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Dieser Band enthält folgende Krimis: Trevellian und die Hoffnung stirbt zuletzt (Pete Hackett) Trevellian und der Bazooka-Killer (Alfred Bekker) Trevellian im Camp des Todes (Franklin Donovan) Wer steckt hinter dem tödlichen Attentat auf Brian Imperioli? Der Mafioso besaß eine Menge Feinde – und zwei Söhne, die er verstoßen hatte. Da sind aber auch noch alte Rechnungen offen, die in der Zeit des Vietnamkrieges entstanden. Die ErmittlerTrevellian und Tucker müssen sich auf eine Spur konzentrieren. Aber ist das auch die Richtige? Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Seitenzahl: 395
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3 FBI Krimis im Bundle Juli 2024
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Trevellian und die Hoffnung stirbt zuletzt: Thriller
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Trevellian und der Bazooka-Killer
Trevellian im Camp des Todes
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Trevellian und die Hoffnung stirbt zuletzt (Pete Hackett)
Trevellian und der Bazooka-Killer (Alfred Bekker)
Trevellian im Camp des Todes (Franklin Donovan)
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Krimi von Pete Hackett
Der Umfang dieses Buchs entspricht 104 Taschenbuchseiten.
Fünf tote Männer rufen die FBI-Agenten Trevellian und Tucker auf den Plan. Alle waren von ähnlichem Aussehen, und allen wurde das Geschlechtsteil abgeschnitten. Handelt es sich um Rache für eine Vergewaltigung, oder steckt ein anderer Grund dahinter? Die beiden Special Agents werden mit purem Hass konfrontiert, aber der Täter agiert aus dem Dunkel heraus.
»Ich habe mich kundig gemacht«, sagte Mr. McKee. »Es geht um ein Areal von fast vier Hektar im Süden des Alley Parks. Bis vor dreißig Jahren wurde dort Bauschutt gelagert.«
»Asbesthaltiger Bauschutt«, sagte ich.
»Ja. Allerdings gibt es ein Gutachten, wonach der Boden für gesundheitlich unbedenklich erklärt wurde, nachdem die Bauträgergesellschaft, die das Land von der Stadtverwaltung erwarb, die Altlasten beseitigen ließ. Aufgrund dieses Gutachtens wurde das Areal zum Bauland erklärt.«
»Und nun hat ein anonymer Anrufer behauptet, dass der Boden nicht ordnungsgemäß saniert wurde«, konstatierte Milo.
Mr. McKee nickte. »Er behauptet, dass das vorgelegte Gutachten gefälscht sei und das Areal niemals zum Bauland erklärt hätte werden dürfen. Allerdings ist der Gutachter unter mysteriösen Umständen gestorben. Man hat das FBI mit den Ermittlungen betraut.«
Der Assistant Director machte eine kurze Pause. Milo und ich schwiegen und warteten darauf, dass er weitersprach. Und er ließ mit seinen weiteren Ausführungen nicht lange auf sich warten.
»Gordon Boulder wurde von einem Wagen überfahren, als er seine Wohnung in New Jersey verließ und die Straße überquerte. Der Unfallfahrer beging Fahrerflucht. Augenzeugen behaupten, dass es sich um einen beigefarbenen Mercury mit einer Nummer des Staates New York handelte. Das ist aber auch schon alles, was wir wissen.«
»Wann erfolgte er anonyme Anruf?«, fragte ich. »Bevor Boulder ums Leben kam oder danach?«
»Vorher«, antwortete Mr. McKee. Er kniff die Augen ein wenig zusammen. »Daran habe ich auch schon gedacht, Jesse. Es ist nicht auszuschließen, dass es sich bei dem Anrufer um Boulder selbst handelte.«
Der Chef nahm eine dünne Akte von seinem Schreibtisch und reichte sie mir. »Hier sind die bisher getroffenen Feststellungen und Ermittlungsergebnisse zusammengefasst. Arbeiten Sie sich in den Fall ein, Gentlemen, und – bringen Sie Licht in das Dunkel.«
Zwei Stunden später hatten wir alles, was es in dem Fall bisher schwarz auf weiß gab, gecheckt. Die Bauträgergesellschaft hatte das Areal gewissermaßen für ein Butterbrot von der Stadtverwaltung erworben. Nachdem es zum Bauland erklärt worden war, hatten die Preise für das Land schwindelerregende Höhen erreicht. Die Bauträgergesellschaft würde Gewinne im zweistelligen Millionenbereich machen.
Geschäftsführer der Bauträgergesellschaft war ein Mann namens Wyatt Stanfield. Die Gesellschaft hatte ihren Sitz in der Pine Street. Ich rief an und fragte Wyatt Stanfield, ob er uns für einige Fragen zur Verfügung stehen würde.
»Worum geht es denn?«
»Um das Bauland im Alley Park.«
»Was ist damit?«
»Das würden wir gerne mit Ihnen unter sechs Augen besprechen.«
»Von mir aus. Kommen Sie vorbei. Aber beeilen Sie sich. In zwei Stunden findet eine Besprechung mit den Aufsichtsräten der Gesellschaft statt.«
»Wir kommen sofort.«
Wir fuhren also in die Pine Street. Name der Bauträgergesellschaft war »Manhattan Construction Company«. Die Sekretärin, bei der wir uns meldeten, war eine freundliche Frau von etwa vierzig Jahren, die uns die Verbindungstür zum Büro ihres Chefs öffnete und sagte: »Bitte, meine Herren, treten Sie ein. Mr. Stanfield erwartet Sie bereits.«
Wyatt Stanfield war ein schwergewichtiger Mann um die fünfzig. Seine dunklen Haare hatten sich über der Stirn bereits stark gelichtet und nahmen eine graue Färbung an. Er lehnte sich in seinem Ledersessel zurück, lächelte und sagte: »Guten Tag, Special Agents. Ich habe zwar keine Ahnung, was das FBI von mir will, aber sicherlich werden Sie es mir gleich sagen.«
Er gab sich ausgesprochen jovial. Diese Sorte mochte ich nicht. Jedoch versuchte ich, das aufsteigende Gefühl der Antipathie zu unterdrücken und objektiv zu bleiben.
Ich nannte meinen Namen und zeigte dem Geschäftsführer meine ID-Card, stellte auch Milo vor, und Stanfield forderte uns auf, an dem runden Besuchertisch Platz zu nehmen. »Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Kaffee oder Tee? Oder vielleicht ein Glas Mineralwasser?«
»Vielen Dank«, versetzte ich. »Das ist nicht notwendig.«
»Wie Sie meinen.« Er setzte wieder sein leutseliges Lächeln auf, das mir ausgesprochen suspekt erschien, denn es kam mir vor wie das Zähnefletschen eines Wolfes.
»Ich sagte es bereits am Telefon«, begann ich, als wir saßen. »Es geht um das Bauland im Alley Park, das Ihre Gesellschaft von der Stadtverwaltung erworben hat.«
Stanfield legte die Stirn in Falten. »Weshalb interessiert sich das FBI dafür?«
»Es handelte sich bis vor dreißig Jahren um eine Bauschuttdeponie, auf der riesige Mengen von asbesthaltigem Material entsorgt wurden.«
»Das ist völlig richtig. Unsere Gesellschaft hat die Altlasten beseitigt. Der verseuchte Boden wurde abgetragen und ersetzt. Das Land kann jetzt bedenkenlos genutzt werden. Es gibt ein entsprechendes Gutachten.«
»Ein anonymer Anrufer hat behauptet, dass die Altlasten nicht ordnungsgemäß abgetragen wurden«, erklärte ich. »Er behauptet auch, dass das vorliegende Gutachten gefälscht sei.«
Stanfield presste sekundenlang die Lippen zusammen, sein Lächeln war wie weggewischt, er holte durch die Nase tief Luft, und sagte dann: »Ihnen liegt das Gutachten sicher vor. Der Mann, der es erstellt hat …«
»… ist tot«, so unterbrach Milo den Geschäftsführer. »Er wurde, als er die Straße überquerte, von einem Mercury überfahren. Der Todesfahrer beging Fahrerflucht.«
Stanfield zog die Unterlippe zwischen die Zähne und nagte darauf herum. »Das ist natürlich tragisch«, murmelte er dann, zuckte schließlich mit den Schultern und fuhr fort: »Es handelte sich um einen neutralen Gutachter. Wir haben uns auf seine Aussage verlassen.« Stanfield machte eine kurze Pause. »Die Gesellschaft hat bereits mit der Bebauung des Areals begonnen«, fuhr er dann fort. »Es entsteht dort eine Wohnsiedlung. Wir erstellen die Häuser und bieten sie zum Kauf an. Das Projekt hat großen Anklang gefunden.«
»Ihre Gesellschaft ist doch sicher darauf bedacht, so hohe Gewinne wie möglich zu erzielen«, bemerkte ich.
»Natürlich.«
»Das Land soll ausgesprochen teuer sein.«
»Wir mussten viel Geld investieren, um die Altlasten zu beseitigen.«
»Wir werden ein neues Gutachten veranlassen«, erklärte ich. »Außerdem werden wir eine Verfügung erwirken, wonach sämtliche Bauarbeiten bis zur Klärung, ob das Areal gesundheitlich unbedenklich ist, einzustellen sind.«
Stanfield biss die Zähne zusammen. Er sah jetzt gar nicht mehr freundlich aus. »Ich sehe es schon: Mir bleibt nichts anderes übrig, als unsere Anwälte einzuschalten.«
»Die Leiche trieb im Bronx River. Ein Angler entdeckte sie und verständigte die Polizei. Es war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren, eins achtzig groß, schlank und grauhaarig. Er war nackt. Ihm fehlte das Geschlechtsteil. Jemand hatte es ihm abgeschnitten.«
Mr. McKee verstummte und schaute von Milo zu mir, ließ seine Worte kurze Zeit wirken und fuhr dann fort:
»Es ist der fünfte Mord dieser Art in New York. Keiner der Toten wurde bis jetzt identifiziert. Das Police Department hat den Fall an uns abgegeben.«
»Die sorgen dafür, dass wir nicht arbeitslos werden«, knurrte Milo.
Mr. McKee lächelte nachsichtig. »Wie weit sind Ihre Ermittlungen in Sachen Alley Park fortgeschritten?«
»Wir haben ein neues Gutachten veranlasst«, antwortete ich. »Außerdem haben wir eine gerichtliche Verfügung beantragt, aufgrund der die Bauarbeiten bis zur Klärung, ob das Land gesundheitlich unbedenklich ist, einzustellen sind.«
»Bis es erstellt ist, liegt der Fall sozusagen auf Eis«, ergänzte Milo.
»Schön«, meinte der Chef. »Dann sind Sie ja im Moment frei. Ich will, dass Sie den neuen Fall übernehmen.«
»Beim Police Department hat man sicher schon ein Täterprofil erstellt«, sagte ich.
Der Chef nickte. »Die Opfer in allen fünf Fällen waren um die fünfzig Jahre alt, etwa eins-achtzig groß, schlank und grauhaarig. Die Tatsache, dass jedem der Opfer das Geschlechtsteil abgeschnitten wurde, lässt tief blicken. In Frage kommt beispielsweise eine Frau, die irgendwann einmal missbraucht wurde – missbraucht von einem Mann, der dem Aussehen der getöteten Männer entspricht.«
»Eine Psychopathin«, bemerkte ich.
»Jemand, der voll Hass ist«, murmelte Milo. »Voll Hass auf etwa fünfzigjährige, grauhaarige Männer. Großer Gott, wo sollen wir da ansetzen?«
»Ich denke, der Fall ist bei Ihnen in guten Händen«, gab Mr. McKee zu verstehen. Seine Stimme senkte sich, als er fortfuhr: »Es ist davon auszugehen, dass der Mörder – oder die Mörderin – es nicht bei den fünf Toten belässt. Die Zeit brennt Ihnen also unter den Nägeln. Es gilt nicht nur, die Morde aufzuklären, sondern weitere Morde zu verhindern.« Der AD schlug mit der flachen Hand leicht auf den Schreibtisch. »Halten Sie mich auf dem Laufenden.«
Wenige Minuten später befanden wir uns in unserem Büro. Den Rest des Tages gaben wir uns dem Aktenstudium hin. Alle fünf Toten hatten Misshandlungsspuren aufgewiesen, alle waren erwürgt worden, und jedem fehlte das Geschlechtsteil.
Alles deutete auf eine Neurose des Täters hin. Dem vorliegenden psychologischen Gutachten entsprechend musste jemand die brutalen Morde begangen haben, der von einem ausgeprägten Hass gegen einen gewissen Männertyp erfüllt war – einem Hass, der keine Grenzen kannte. Als Mörder kamen sowohl ein Mann als auch eine Frau in Frage.
Wir filterten die Fälle heraus, in denen Frauen missbraucht worden waren, in denen es aber nicht gelungen war, den Vergewaltiger zu überführen. Es gab insgesamt vier Vergewaltigungen, in denen der Täter als Mann um die fünfzig Jahre mit grauen Haaren beschrieben worden war. Vier junge Frauen, die mit der Tatsache leben mussten, dass ihr Peiniger frei herumlief.
Kath Donegan, 27 Jahre alt, wohnhaft in der 20th Street.
Kim Richards, 25 Jahre alt, wohnhaft in Brooklyn, Maple Street.
Jennifer Baldwin, 27 Jahre alt, letzte bekannte Anschrift war Bethune Street Nummer 136.
Samantha Frederick, 28 Jahre alt, wohnhaft in Staten Island, Leonard Avenue.
Die Vergewaltigungen geschahen alle innerhalb der vergangenen zwei Jahre. Die Vergewaltiger wurden nie geschnappt, das heißt, die Verbrechen an den vier Frauen wurden nicht gesühnt.
Also kam jede der vier Frauen als Täter in Frage.
Aber war die Tatsache, dass sie von einem Mann bestimmten Typs vergewaltigt wurden, Motiv für eine Reihe von Morden an Männern, die dem Vergewaltiger glichen?
Ich konnte es mir nicht vorstellen. Nur das Aussehen allein konnte nicht ausschlaggebend dafür gewesen sein, dass sie ermordet worden waren. Es musste etwas anderes dahinterstecken. Was es sein hätte können, entzog sich meinem Verstand. Fakt war jedenfalls, dass hinter den fünf Morden ein und derselbe Täter stecken musste. Eine Bestie – ein sadistischer Psychopath.
Kath Donegans Name stand im Telefonbuch. Ich rief bei ihr an. Der automatische Anrufbeantworter meldete sich und ich erfuhr, dass sich die Lady im Moment nicht in ihrer Wohnung aufhielt. Ich sollte meine Telefonnummer hinterlassen. Miss Donegan versprach, zurückzurufen.
Wir fanden auch Jennifer Baldwins Nummer heraus. Sie meldete sich. »Hier ist Special Agent Trevellian vom FBI New York, Miss Baldwin. Wir …«
»Mistress«, unterbrach Sie mich. »Ich bin verheiratet.«
»Oh, entschuldigen Sie. Wir hätten einige Fragen an Sie, Mistress Baldwin. Haben Sie etwas dagegen einzuwenden, wenn wir gleich bei Ihnen vorbeikommen?«
»Was sind das denn für Fragen?«
»Das werden wir Ihnen sagen, wenn wir bei Ihnen sind. Können wir zu Ihnen kommen?«
»Von mir aus. – Geht es um die Sache von vor einem halben Jahr? Ich – ich habe doch …«
»Es hängt damit zusammen.«
Wir fuhren in die Bethune Street. Jennifer Baldwin wohnte in der vierten Etage. Sie öffnete uns die Tür, und ich zeigte ihr meine ID-Card, dann stellte ich Milo vor.
Es handelte sich um eine hübsche, dunkelhaarige Frau, die uns misstrauisch musterte. In ihren dunklen Augen stand eine stumme Frage.
»Dürfen wir in die Wohnung kommen?«
Sie gab die Tür frei. Wir traten ein und befanden uns in einem geräumigen Wohnzimmer. In der Ecke stand eine Polstergarnitur um einen niedrigen Couchtisch herum. Drei Türen zweigten ab in andere Räume.
»Setzen Sie sich.«
Jennifer Baldwin blieb stehen. Sie hatte die Hände vor der Brust verkrampft und knetete sie. Hatte sie Grund, nervös zu sein, oder war es allein die Tatsache, dass wir vom FBI waren, die sie so unruhig sein ließ?
»New York wird von einer Mordserie heimgesucht«, begann ich. »Vor drei Tagen wurde die fünfte Leiche gefunden. Es handelt sich um Männer, die um die fünfzig und grauhaarig sind. Man hat ihnen das Geschlechtsteil abgeschnitten.«
Mistress Baldwin schluckte würgend. In ihren Mundwinkeln zuckte es. »Ich – ich habe davon in der Zeitung gelesen«, sagte sie schließlich. »Es ist immer ein bestimmter Typ, der umgebracht wird.«
»Derselbe Typ, der Ihnen vor einem halben Jahr Gewalt angetan hat«, sagte ich und ließ die junge Frau nicht aus den Augen. Möglicherweise konnte ich aus ihrer Reaktion Schlüsse ziehen.
Sie ging zur Couch und setzte sich. »Der Mann, der mir Gewalt angetan hat, wurde nicht ermittelt. Ich – ich lebe seitdem in ständiger Angst. Sobald es finster wird, verlasse ich die Wohnung nicht mehr. Mein Mann …«
Sie brach ab.
»Warum sprechen Sie nicht weiter?«
Sie senkte das Gesicht. »Seit der Vergewaltigung kriselt es in unserer Ehe. Ich – ich glaube, mein Mann ekelt sich vor mir. Wenn das so weiter geht …«
Wieder verstummte sie.
Ich holte ein Bild von dem Toten aus der Innentasche meiner Jacke und zeigte es der Frau. »Kennen Sie diesen Mann?«
Sie nahm das Bild und betrachtete es lange, dann schüttelte sie den Kopf. »Nein. Ich habe diesen Mann nie in meinem Leben gesehen.«
Wir stellten Jennifer Baldwin noch eine Reihe von Routinefragen, und als wir die Wohnung verließen, war ich mir sicher, dass sie mit den Morden nichts zu tun hatte.
Dem verlieh ich auch Ausdruck, als wir im Sportwagen saßen, indem ich sagte: »Das ist keine Mörderin. Das ist eine Frau, deren Leben brutal zerstört wurde und die immense Angst vor der Zukunft hat. Für sie würde es sich empfehlen, zusammen mit ihrem Mann eine Eheberatung aufzusuchen.«
»Ich gebe dir recht«, erklärte Milo. »Fahren wir nach Brooklyn zu Kim Richards.«
Natürlich versicherte ich mich telefonisch, dass sie auch zu Hause war.
Auch Kim Richards war dunkelhaarig und ausgesprochen hübsch. Ich erklärt ihr, weshalb wir kamen. Ihr Gesicht nahm einen Ausdruck an, der mir nicht gefiel. Es war der blanke Hass, der aus ihren Zügen sprach.
»Der irdischen Strafe ist der Schuft entgangen«, brach es über ihre Lippen. »Doch ich schließe ihn in mein Abendgebet ein und wünsche ihm die Pest an den Hals.«
»Das Verbrechen fand vor einem drei Viertel Jahr statt«, sagte ich.
»Ja, und seitdem finde ich keinen richtigen Schlaf mehr. Sobald es finster ist, kommt die Angst. Der Kerl …«
Kim Richards schluchzte. Die Erinnerung schien sie zu überwältigen.
Ich holte das Bild von dem Toten aus der Tasche. Sie betrachtete es und atmete schneller. Dann murmelte sie: »Nein, das war er nicht. Was hat es mit diesem Mann auf sich?«
»Er wurde ermordet. Seine Leiche trieb im Bronx River.«
Kim Richards zog die Schultern an.
»Sie sind voll Hass auf den Mann, der Ihnen Gewalt angetan hat«, sagte ich.
Sie nickte. »Ich könnte ihn ohne mit der Wimper zu zucken töten.«
»Kann es sein, dass sie eine Art kollektiven Hass auf den Typ Mann entwickelt haben? Waren Sie nach der Sache von damals in psychiatrischer Behandlung?«
»Ich bin heute noch in Behandlung.«
»Bei wem?«
Sie nannte uns Namen und Adresse des Psychiaters. Es war eine Frau. Ella Carrington. Ihre Praxis befand sich in Manhattan.
»Bei dem Verbrechen handelte es sich um den fünften Mord in einer Serie von Morden, bei denen das Opfer immer demselben Typ entspricht – jenem Typ Mann, der Ihrer Beschreibung des Täters von damals entspricht.«
Kim Richards lachte auf. »Daher Ihre Frage, ob ich kollektiven Hass gegen diesen Typ entwickelt habe.« Sie schüttelte den Kopf. »Ich hasse den Kerl, der mir Gewalt angetan hat. Es war entwürdigend, ich fühle mich seitdem beschmutzt, mein Verhältnis zum männlichen Geschlecht ist gestört. Ich war verlobt, habe die Verlobung aber gelöst. Ich – ich …«
Sie brach ab und begann zu weinen.
Wir suchten Ella Carrington auf. Sie war Psychotherapeutin und Psychologin und nahm sich Zeit für uns. Wir sprachen mit ihr über Kim Richards. Nach dem Gespräch mit Ella Carrington wussten wir, dass es sich bei Miss Richards um eine sensible Frau handelte, der es bis heute nicht gelungen war, das schreckliche Ereignis zu überwinden und die zu Depressionen neigte. Sie lebte seit dem Verbrechen zurückgezogen und hatte sogar ihren Job bei einer namhaften Versicherung gekündigt. Ihre Eltern unterstützten sie finanziell.
Wir beschlossen, für diesen Tag Schluss zu machen, und fuhren zurück ins Field Office. Ein Bogen Schreibmaschinenpapier lag auf meinem Schreibtisch. Ich erkannte Mandys Schrift. »Bitte sofort bei Mr. McKee vorsprechen«, stand auf dem Blatt Papier.
Zwei Minuten später betraten wir das Vorzimmer. Mandy lächelte. »Ich hätte euch auch telefonisch Bescheid sagen können«, meinte sie. »Aber Mr. McKee meinte, das sei nicht notwendig. Geht nur hinein.«
Der AD telefonierte gerade. Mit einer Handbewegung forderte er uns auf, an dem kleinen Konferenztisch Platz zu nehmen. Dann widmete er sich wieder seinem Telefonat. Schließlich bedankte er sich, legte auf und richtete den Blick erst auf Milo, dann auf mich. Und dann sagte er: »Man hat uns Leiche Nummer sechs präsentiert. Etwa fünfzig Jahre alt, grauhaarig, abgeschnittenes Geschlechtsteil. Der Leichnam wurde in einem Abbruchhaus in der Bronx gefunden. Der Tod dürfte vorgestern in der Nacht eingetreten sein.«
Ich spürte Fassungslosigkeit. Und ein Blick in Phils Gesicht sagte mir, dass er ebenso erschüttert war wie ich. Mr. McKee nahm ein Blatt Papier von seinem Schreibtisch und reichte es mir. Es war ein Ausdruck, und er zeigte mir das Bild vom Gesicht eines Mannes mit grauen Haaren.
»Das ist der Tote«, erklärte Mr. McKee. »Er war nackt und hatte weder einen Führerschein noch sonst etwas bei sich, was auf seine Identität schließen ließe.«
»Das Archiv gibt auch nichts her?«
»Seine DNA und die Fingerabdrücke sind noch nicht ausgewertet. Vielleicht setzen Sie sich mir der SRD in Verbindung.«
»Vorgestern war der Neunte«, sagte ich. »Der Mord muss also vom achten auf den neunten September geschehen sein.«
»Die Mordkommission ist sich sicher, dass der Mord nicht in dem abbruchreifen Haus geschah«, sagte Mr. McKee. »Der Leichnam wurde dort abgelegt. Er weist Spuren von Misshandlungen auf. Der Tod trat durch Erdrosseln ein.«
Von unserem Büro aus rief ich bei der SRD an.
Der Beamte sagte: »Wir haben dem Toten die Fingerabdrücke genommen und sie durch den Computer gejagt. Keine Übereinstimmung mit registrierten Prints. Wenn wir auch über die DNA nicht herausfinden, um wen es sich bei dem Toten handelt, wird er wohl als namenloser Leichnam im Krematorium landen.«
»Nein«, sagte ich. »Seine Identität ist sehr wichtig. Nur über sie können wir möglicherweise eine Spur zum Täter aufnehmen.« Ich bedankte mich und legte auf, dann wandte ich mich an Milo und sagte: »Wir werden Bilder von den Ermordeten in den Medien veröffentlichen. Irgendjemand in New York wird den einen oder anderen der Toten wohl kennen.«
»Eine gute Idee«, meinte Milo.
Da klingelte mein Telefon. Ich pflückte den Hörer vom Apparat, hob ihn vor mein Gesicht und nannte meinen Namen. Es war Kath Donegan. »Sie haben auf meinen Anrufbeantworter gesprochen, Special Agent. Und ich habe Ihnen einen Anruf zugesichert. Worum geht es?«
Ich warf einen Blick auf meine Armbanduhr. Es war nach 18 Uhr. »Um eine Reihe von toten Männern, die dem Typ des Mannes entsprechen, den Sie damals nach der Vergewaltigung beschrieben haben.«
Sekundenlang herrschte eisiges Schweigen im Äther, dann stieß Kath Donovan hervor: »Haben Sie etwa mich im Verdacht, etwas mit den Morden zu tun zu haben?«
Das hatte ausgesprochen aggressiv geklungen.
»Wir müssen jeder möglichen Spur nachgehen, Miss Donegan. Wie machen wir es? Wollen Sie morgen bei uns vorbeikommen, oder …«
»Am Besten, Sie kommen zu mir.«
»Gleich?«
»Von mir aus.«
»In Ordnung. Wir sind in spätestens einer halben Stunde bei Ihnen.« Nachdem ich aufgelegt hatte, wandte ich mich an Milo. »Ich denke, die Lady hat Haare auf den Zähnen.«
»Lassen wir uns überraschen«, meinte Milo mit einem schiefen Grinsen um die Lippen.
Ich fand vor dem Gebäude, in dem Kath Donegan wohnte, einen Parkplatz. Wenig später läutete Milo an ihrer Wohnungstür. Die Linse des Spions verdunkelte sich, dann wurde die Tür einen Spaltbreit geöffnet. »Sind Sie vom FBI?«
Ich hatte die ID-Card schon in der Hand und hob sie hoch.
Kath Donegan öffnete. Sie hatte dunkelblonde Haare, die in weichen Wellen über ihre Schultern fielen, ihr Gesicht war ebenmäßig und hübsch, ihre Augen waren grünlich. Sie war von einer besonderen Rasse und verströmte etwas, dem sich wohl kaum ein Mann verschließen konnte.
Kath Donegan ließ uns in die Wohnung. Sie bot uns Sitzplätze an und ließ sich selbst nieder. »Ihr Verdacht ist lächerlich.«
»Wir haben keinen Verdacht, Miss Donegan«, versetzte ich. »Wir gehen nur möglichen Spuren nach. Was arbeiten Sie?«
»Ich bin Krankenschwester im Mount Sinai Medical Center und habe zu unregelmäßigen Zeiten Dienst. Diese Woche habe ich Tagschicht.«
Ich zog die Bilder der beiden letzten Toten aus der Jackentasche und zeigte sie Kath Donegan. Ohne die Spur einer Gemütsregung schaute sie sich die beiden Aufnahmen an, dann legte sie sie auf den Tisch und sagte: »Das Schwein, das mich vergewaltigt hat, ist nicht dabei.«
»Wo waren sie vorgestern in der Nacht, in der Nacht vom achten auf den neunten September also?«
»Von Samstag auf Sonntag«, murmelte die Frau. »Ich hatte Nachtdienst. Mein Dienst begann um zwanzig Uhr und endete am Sonntag um acht Uhr.«
Kath Donegan musterte mich trotzig. Als Milo das Wort ergriff, schaute sie ihn an. Er sagte: »Hassen Sie den Mann, der Ihnen Gewalt angetan hat?«
»Hassen!« Kath Donegans Stimme klang schrill. »Das ist gar kein Ausdruck. Ich wünsche ihm einen furchtbaren Tod. Die Polizei war ja nicht fähig, ihn zu schnappen. Ich muss damit leben, dass er wohl nie für sein Verbrechen zur Verantwortung gezogen wird.«
Ich fragte sie, ob sie sich nach der Tat in psychotherapeutischer Behandlung befunden hatte. Sie verneinte. Dann sagte sie: »Ich bin nicht verrückt, Special Agents. Mit der Ermordung der Männer, deren Bilder Sie mir gezeigt haben, habe ich nichts zu tun. Wenn ich mich nicht im Dienst befinde, bin ich zu Hause. Mein Lebensgefährte kann Ihnen das sicher bestätigen. Er ist allerdings als Kraftfahrer tätig und hat keinen regelmäßigen Dienstschluss. Sein Name ist Clint Waggoner.«
»Wenn man im Krankenhaus bestätigt, dass Sie in der Nacht vom 8. auf den 9. September Dienst hatten, sind Sie aus dem Schneider. Wir werden Sie dann nicht mehr behelligen.«
Als wir wieder im Sportwagen saßen, zog ich Resümee. »Ich halte weder Kim Richards noch Jennifer Baldwin noch Kath Donegan für den Mörder. Vielleicht können wir herausfinden, um wen es sich bei den Toten handelt, und es gelingt uns, über ihre Identität eine Spur aufzunehmen.«
Die Medien brachten die Bilder der getöteten Männer am übernächsten Tag. Kaum, dass wir den Dienst angetreten hatten, erhielt ich einen Anruf. Es war ein Mann. Er nannte seinen Namen, dann sagte er: »Einen der Männer, deren Bilder heute in der Times veröffentlicht waren, kenne ich. Sein Name ist Matt Callagher. Er war Stammgast im Infidelity, das ist eine Bar in der fünfundachtzigsten Straße. Ich habe dort auch schon einen von den anderen Männern gesehen. Allerdings kenne ich seinen Namen nicht.«
Ich bedankte mich.
Der Name der Bar war »Untreue« oder »Seitensprung«. Ich war gespannt, was uns dort erwartete.
Wir hatten in der Zwischenzeit auch Samantha Frederick vernommen, waren aber zu dem Schluss gekommen, dass auch sie nicht als Mörderin in Frage kam.
Es war kurz vor 22 Uhr, als Milo und ich die Bar betraten. Sofort war mir klar, dass es sich hier um einen Schwulentreff handelte. Viele Männer in Lederanzügen und mit Ledermützen bevölkerten den Gastraum. Leise Musik lief. Einige Kerle tanzten miteinander.
Wir wurden angestarrt. Irgendwie passten wir nicht hierher. Ich fühlte mich völlig deplatziert. Hinter dem Tresen arbeiteten zwei Keeper. Wir gingen zur Theke und einer der Keeper wandte sich uns zu. »Was darf ich Ihnen zu trinken geben?«
Seine Stimme war hell und weich.
»Zwei Gläser Wasser«, bestellte ich gleich für Milo mit, dann beugte ich mich ein wenig über den Tresen und sagte: »Wir sind vom FBI. Mein Name ist Jesse Trevellian, das ist mein Kollege Milo Tucker.«
»Ich dachte mir doch gleich, dass Sie von der Polizei sind«, gab der Keeper zu verstehen. »Und sicher kommen Sie nicht grundlos her.«
Ich holte die Bilder der getöteten Männer aus der Jackentasche, von denen einer Matt Callagher war. »Kennen Sie den einen oder anderen dieser Männer?«
Ich reihte die Bilder auf dem Tresen auf. Der Keeper schaute sie sich an. Seine Stirn furchte sich, und plötzlich nickte er, deutete auf ein Bild und sagte: »Das ist Matt.« Er legte seinen Finger auf das nächste Bild und gab zu verstehen: »Der hier ist Derek. Und den hier«, er deutete auf ein anderes Bild, »habe ich auch schon einige Male hier gesehen, allerdings weiß ich seinen Namen nicht. – Jeff, komm doch mal her.«
Der andere Keeper näherte sich.
»Sieh dir mal die Bilder an. Den hier kenne ich vom Sehen. Vielleicht weißt du, wie er heißt.«
Der Keeper, der hinzugekommen war, begutachtete die Bilder, dann sagte er: »Das ist Jack. Was ist mit den Burschen? Matt war erst vor zwei Tagen hier. Jack habe ich schon eine ganze Weile nicht mehr gesehen.«
Der Keeper, mit dem wir zuerst gesprochen hatten, sagte: »Derek war auch schon seit einiger Zeit nicht mehr in der Bar. Warum erkundigen Sie sich nach diesen Männern?«
»Sie wurden ermordet.«
Die beiden Keeper zuckten zusammen. Ungläubigkeit und Fassungslosigkeit, um nicht zu sagen Erschütterung zeichnete ihre Mienen. »Ermordet!«, echote einer von ihnen.
»Ja. Kennen Sie die Familiennamen dieser Männer?«
»Nein«, antwortete der eine der beiden, der andere schüttelte den Kopf.
Mehr war nicht herauszubekommen. Nachdem die Keeper nicht einmal die Familiennamen der Getöteten kannten, erübrigte sich die Frage nach ihren Wohnanschriften.
Matt Callagher!
Von ihm hatten wir Vor- und Familiennamen. Dass die Getöteten in einer Schwulenbar verkehrten, warf ein völlig neues Licht auf die Sache. Wir mussten umdenken. Als Mörder kam für uns nun vornehmlich ein Mann in Frage – jemand, der etwa fünfzigjährige, grauhaarige Schwule hasste. Es sah so aus, als hätte der Mörder möglicherweise mit drei der Getöteten in der Bar Kontakt aufgenommen.
Am folgenden Tag fanden wir heraus, dass Matt Callagher in der 39th Street wohnte. Wir fuhren zu seiner Wohnung. Da auf unser Läuten niemand öffnete, nahmen wir an, dass Callagher alleine hier gelebt hatte. Milo klingelte bei einem Nachbarn. Es war eine Frau, die die Tür öffnete.
Ich übernahm es, uns vorzustellen. Dann fragte ich: »Kennen Sie Mr. Callagher, Ihren Nachbarn, näher?«
»Wir haben einige Male im Treppenhaus miteinander gesprochen«, antwortete die Frau. »Ich habe ihn nun schon ein paar Tage nicht mehr gesehen. Ist er krank? Was ist mit ihm?«
»Er ist tot.«
Die Frau zuckte zusammen, als hätte ich sie mit einem glühenden Draht berührt. Erschreckt schaute sie mich an. Dann stammelte sie: »Callagher ist tot? Großer Gott! Er – er war doch kerngesund.«
»Er wurde ermordet. Wussten Sie, dass er homosexuell veranlagt war?«
»Ja. Er hat keinen Hehl daraus gemacht. Bis vor zwei Jahren lebte er sogar in einer festen Beziehung.« Die Frau griff sich an den Kopf. »Er – er tat doch keiner Fliege etwas zuleide. Haben Sie eine Ahnung, wer ihn auf dem Gewissen hat?«
»Nein. Brachte er des öfteren Männer mit nach Hause?«
»Das kam mitunter vor.« Die Frau zuckte mit den Schultern. »Ich habe mich nie darum gekümmert. Jeder soll nach seiner Version glücklich werden.«
»Hat er Verwandte?«
»So weit ich weiß, eine Schwester. Sie wohnt in Queens. Ihren Namen kenne ich leider nicht.«
Die Frau konnte uns nicht helfen. Milo rief bei der SRD an. Eine Stunde später erschienen die Kollegen. Die Wohnungstür wurde geöffnet, dann machten sich die Beamten an die Spurensicherung. Vielleicht erhielten wir auf diese Art und Weise ein paar Aufschlüsse über seinen Umgang.
Wir tappten im Dunkeln.
Nachdem wir ins Field Office zurückgekehrt waren, erhielt ich einen Anruf. Es war ein Angestellter aus dem Büro des Gutachters, den wir mit einer Bodenanalyse des Areals im Alley Parks, auf dem die »Manhattan Construction Company« eine Eigenheimsiedlung errichten wollte, beauftragt hatten. Der Mann sagte: »Wir haben an verschiedenen Stellen des Areals Bodenproben entnommen. Erste Analysen haben ergeben, dass der Boden zu neunzig Prozent mit Asbest verseucht ist.«
»Bis wann bekommen wir das Gutachten?«, wollte ich wissen.
»Das wird noch einige Tage in Anspruch nehmen. Ich wollte Sie nur vorab informieren.«
»Vielen Dank.«
Wir sprachen mit Doc Howard, dem Arzt des FBI. Er sagte: »Bei Asbest ist das Hauptproblem, dass Fasern freigesetzt werden können, die über die Atemwege in den Körper gelangen. Fasern werden während der Beschädigung freigesetzt, also auch dann, wenn der Asbest im Boden liegt und dieser mit Raupen oder Baggern bearbeitet wird. Asbestfasern spalten sich während der Beschädigung in feinste, schwebfähige Fasern auf und können so tief in die Lunge eindringen. Im Körpergewebe verweilen sie Jahrzehnte, stechen Zellen auf und können so zwanzig bis dreißig Jahre später Krebs auslösen. Wenn Arbeiter jahrelang hohe Konzentrationen eingeatmet haben, kann auch eine Staublungenerkrankung entstehen, die Asbestose.«
Mir wurde zum ersten Mal so richtig bewusst, wie gefährlich Asbest für den Menschen war. Ich hatte vorher nie einen Gedanken daran verschwendet. Bis in die siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts war Asbest gängiger Baustoff gewesen. Was damals in privaten und öffentlichen Gebäuden an gefährlichem Material verbaut wurde, musste zwanzig, dreißig Jahre später mit hohem finanziellen Aufwand wieder entsorgt werden.
Wir fuhren zu Wyatt Stanfield. Er empfing uns in seinem Büro. Der Geschäftsführer der Bauträgergesellschaft verriet Unsicherheit. Er konnte meinem Blick nicht standhalten.
Ich sagte: »Wir werden es in den nächsten Tagen schwarz auf weiß erhalten, Mr. Stanfield. Der Boden im Alley Park, auf dem Ihre Gesellschaft eine Eigenheimsiedlung errichtet, ist hochgradig asbestverseucht.«
»Was ziehen Sie daraus für Schlüsse?«
»Dass die Aussagen in Gordon Boulders Gutachten nicht den Tatsachen entsprechen.«
»Warum sollte der Gutachter falsche Aussagen treffen?«
»Das ist die Frage, an der wir rätseln«, versetzte ich. »Da gibt es verschiedene Möglichkeiten.«
»Und die wären?«
»Dass er zum Beispiel jemandem einen Gefallen erweisen wollte.«
»Oder?«
»Dass er sein Handwerk nicht verstand.«
Stanfield wiegte den Kopf. »Boulder war ein namhafter Experte, der sein Handwerk sicher verstand.« Er lehnte sich zurück. »Natürlich werden wir auch unsererseits einen Gutachter einschalten. An Ihre Theorie, dass Boulder jemandem einen Gefallen erweisen wollte, glaube ich nicht. Wir nehmen das nicht so ohne Weiteres hin …«
»Vielleicht ließ er sich den Gefallen gut bezahlen«, warf Milo ein.
Stanfield prallte zurück. »Sie unterstellen der Gesellschaft kriminelle Machenschaften.«
»Es geht um sehr viel Geld«, erklärte Milo.
»Wir haben den asbestverseuchten Boden sanieren lassen«, beharrte Stanfield. »Es hat Unmengen von Geld gekostet. Nach Vorlage eines Gutachtens, das die Unbedenklichkeit des Bodens zum Inhalt hatte, wurde das Areal zum Bauland erklärt. Aus unserer Sicht hatte alles seine Ordnung. Und solange das Gegenteil nicht bewiesen ist, gehe ich davon aus, dass sich Ihr Gutachter irrt.«
»Die Bodenproben wurden an verschiedenen Stellen des Geländes entnommen«, entgegnete ich. »Ich glaube nicht, dass den Aussagen des Gutachters ein Irrtum zugrunde liegt. Stellen Sie sich darauf ein, dass die Bauarbeiten ruhen werden, bis eine endgültige Klärung vorliegt.«
Wyatt Stanfield machte um 17 Uhr Feierabend. Sein Chrysler der gehobenen Klasse stand in der Tiefgarage des Gebäudes in der Pine Street, in der sich die Verwaltung der »Manhattan Construction Company« befand.
Stanfield sagte seiner Sekretärin Bescheid, dass er nach Hause fahren würde. Der Frau entging nicht, dass er einen recht fahrigen und unkonzentrierten Eindruck machte.
»Fühlen Sie sich nicht wohl, Mr. Stanfield?«, fragte sie. »Sie sehen irgendwie krank aus. Vielleicht sollten mal ‘ne Zeitlang kürzer treten. Sie arbeiten zu viel und …«
Stanfield winkte ab. »Es ist nichts. Machen Sie sich keine Gedanken, Ann.«
Dann fuhr er mit dem Aufzug in die Tiefgarage.
Er war beunruhigt. Einige Telefongespräche, die er geführt hatte, waren nicht dazu angetan, seine Unruhe zu verdrängen. Man fand es gar nicht lustig, dass er plötzlich in den Focus der Ermittlungen des FBI gerückt war.
Er hatte auch mit Wesley Dalton, dem Seniorchef von Dalton & Sons telefoniert, und der Anwalt hatte erklärt, dass er gegen die Verfügung, mit der der Baustopp angeordnet werden würde, vorgehen werde. Außerdem wollte er einen Gutachter einschalten, der den Boden des Areals in Queens unabhängig vom Gutachter des FBI analysieren sollte.
Stanfield machte sich Sorgen. Ihm war klar, dass es nur ein Ergebnis geben konnte, nämlich, dass der Boden verseucht und als Bauland ungeeignet war. Solange der Asbest unter einer dicken Schicht aus Humus ruhte, ging keine Gefahr von ihm aus. Wenn aber Bagger und Raupen den Boden aufwühlten …
Der Verlust der Gesellschaft würde in die Millionen gehen.
Darüber, dass man sich in betrügerischer Art und Weise einen Vorteil in Millionenhöhe verschaffen wollte, dachte Stanfield nicht nach.
Doch der geldliche Verlust beschäftigte Stanfield nicht so sehr wie die Sorge um die eigene Person. Er wusste eine Menge, und er konnte mit seinem Wissen einigen Leuten sehr gefährlich werden. Und jetzt, da das FBI ein Auge auf ihn geworfen hatte, war er ein Risikofaktor geworden.
Er hatte Angst.
Der Aufzug hielt an, die Türen glitten auseinander. Er betrat die Tiefgarage. Unwillkürlich schaute er in die Runde. Hinter ihm schloss sich die Aufzugtür fast lautlos. Stanfield gab sich einen Ruck. Er lenkte seine Schritte zwischen den parkenden Autos hindurch und erreichte seinen Wagen. Per Fernbedienung öffnete er die Türen. Die Scheinwerfer leuchteten kurz auf, als die Signale, die beim Bedienen der Fernbedienung ausgesandt wurden, ansprachen. Ein leises Ploppen war zu hören, als die Verriegelung der Türen gelöst wurde.
In dem Moment, als Stanfield die Fahrertür öffnen wollte, trat hinter einem Dodge Jeep ein Mann hervor. Er bewegte sich lautlos wie ein Schatten. Stanfield wandte ihm den Rücken zu. Der Mann hob die Hand mit der Pistole, zielte kurz, und drückte dann ab. Die Detonation wurde von einem Schalldämpfer geschluckt. Stanfield bekam die Kugel zwischen die Schulterblätter und war sofort tot. Er brach neben dem Chrysler zusammen.
Der Mörder verschwand.
Ich hatte es mir auf der Couch in meiner Junggesellenbude gemütlich gemacht. Auf dem Tisch stand eine Cola, daneben eine Schale mit Chips. Der Fernsehapparat lief, ich verfolgte mit Interesse ein Interview, das ein bekannter Redakteur von New York One mit einem Stadtverordneten hielt. Es ging bezeichnenderweise um Umweltschutz, und ich hatte unseren Fall mit dem asbestverseuchten Boden vor Augen.
Da klingelte mein Telefon. Ich erhob mich nach dem zweiten Klingelton, nahm den Hörer aus der Station und nannte meinen Namen. Es war ein Kollege aus dem Field Office, der Bereitschaft hatte. Er sagte: »Ich habe soeben erfahren, dass Wyatt Stanfield erschossen wurde. Man hat mir gesagt, dass ihr im Rahmen eines Falles mit ihm zu tun habt.«
Ich war entsetzt. »Wo wurde er erschossen?«
»In der Tiefgarage in der Pine Street. Seine Sekretärin hat ausgesagt, dass er um siebzehn Uhr Feierabend machte. Er muss also kurz nach siebzehn Uhr ermordet worden sein.«
»Wer hat ihn gefunden?«
»Ein Bewohner des Hauses, als dieser gegen neunzehn Uhr nach Hause kam und seinen Wagen auf dem Parkplatz neben dem Parkplatz abstellte, den Stanfield innehatte. Die Mordkommission ist vor Ort.«
Ich rief Milo an. Eine Viertelstunde später war ich unterwegs zu der Ecke, an der mein Kollege jeden Morgen zustieg, damit wir gemeinsam zur Arbeit fuhren. Milo wartete schon. Der Sportwagen trug uns in die Pine Street. Einige Patrouillenfahrzeuge der City Police standen vor dem Gebäude, in dem die Bauträgergesellschaft untergebracht war. Die Lichtbalken auf den Dächern der Fahrzeuge warfen rote und blaue Lichtreflexe gegen die Fassaden der Häuser. Polizisten riegelten den Platz vor der Einfahrt in die Tiefgarage ab und ließen niemanden durch, der hier nichts zu suchen hatte. Wir wiesen uns aus und durften passieren. In der Tiefgarage waren bereits die Kollegen von der Spurensicherung am Werk. Man konnte sie an ihren weißen, sterilen Anzügen erkennen. Wir fragten uns durch zu dem Beamten, der den Einsatz vor Ort leitete, und er stellte sich uns schließlich als Detective Lieutenant Johnson vor.
Ein Mann, den ich kannte und von dem ich wusste, dass er zur Staatsanwaltschaft gehörte, gesellte sich zu uns. Wir begrüßten uns per Händedruck.
»Welche Erkenntnisse liegen vor?«, fragte ich dann Johnson. Der Leichnam war bereits in einen Leichensack verpackt und für den Abtransport in die Gerichtsmedizin bereit. Die Umrisse des Toten waren auf dem Boden mit Kreide nachgezeichnet. Ein Blutfleck auf dem grauen Beton sprach eine deutliche Sprache.
»Wir wissen noch nicht viel«, antwortete Johnson. »Nur, dass Stanfield um siebzehn Uhr sein Büro verlassen hat, um nach Hause zu fahren. Sein Mörder muss ihn hier in der Tiefgarage erwartet haben. Er hat Stanfield in den Rücken geschossen. Laut Polizeiarzt dürfte der Tod sofort eingetreten sein.«
Ich schaute den Staatsanwalt an. »Stanfield war Geschäftsführer der Manhattan Construction Company. Die Gesellschaft steht gerade im Mittelpunkt eines Falles, in dem es um gravierende Verstöße gegen den Umweltschutz und um möglichen Betrug geht.«
Ich berichtete mit knappen Worten.
»Hier könnte auch das Motiv für den Mord an Stanfield zu suchen sein«, meinte der Vertreter der Staatsanwaltschaft. »Möglicherweise hatte er sich für seine Hintermänner zu einer Gefahr entwickelt und musste deshalb sterben.«
»Wer stand hinter Stanfield?«, fragte Milo.
»Da wäre zunächst einmal der Aufsichtsrat der Bauträgergesellschaft«, erwiderte der Staatsanwalt.
»Das könnte heißen, dass Stanfield nur ein Handlanger war – der Handlanger von jemandem, der nichts dem Zufall überlässt.«
»Von jemandem, der sich nicht mit Peanuts abgibt«, vollendete ich. »Wir werden uns die Mitglieder des Aufsichtsrates zu Gemüte führen müssen.«
»War Stanfield verheiratet?«, fragte Milo.
Johnson nickte. »Allerdings konnte ich seine Frau telefonisch nicht erreichen. Aber ich werde sofort zwei Cops nach Staten Island schicken, damit sie …«
»Das übernehmen wir«, erklärte ich. »Sagen Sie mir nur die Anschrift.«
Das Haus lag in einem großen Grundstück und ließ vermuten, dass Wyatt Stanfield kein armer Mann war. Hinter keinem der Fenster brannte Licht. Das mutete mich seltsam an. Im Garten gab es riesige Büsche und alte Bäume. Das Tor der Einfahrt war geschlossen. Aber die Gartentür daneben ließ sich öffnen. Der Fußweg, der zum Haus führte, war gepflastert. Zwischen Einfahrt und Weg war eine Rosenrabatte angelegt. Süßlicher Geruch lag in der Luft. Der schrale Nachtwind rauschte leise in den Kronen der Bäume und in den Sträuchern.
»Sieht nicht so aus, als wäre jemand zu Hause«, murmelte ich.
»Vielleicht schläft Mrs. Stanfield schon«, meinte Milo.
In dem Moment nahm ich bei der Haustür eine flüchtige Bewegung wahr. Dort war die Dunkelheit dicht, und einen Moment lang glaubte ich, mich getäuscht zu haben. Dann aber war ich mir sicher, dass da jemand war. Ich ließ meine Stimme erklingen: »Stehen bleiben!«
Ein Mündungslicht stieß durch die Dunkelheit. Ein Geräusch, wie wenn man den Korken aus einer Champagnerflasche zieht, war zu vernehmen. Ich spürte den sengenden Strahl des Geschosses an der Wange und zog die SIG. Gleichzeitig duckte ich mich und rannte in die Büsche, die den Weg auf der linken Seite säumten. »Achtung, Milo!«
Phils Dienstwaffe brüllte auf, kaum dass die beiden Worte über meine Lippen waren. »Das sind zwei!«, stieß Milo hervor. Er drängte an mir vorbei zwischen das Strauchwerk. Äste knackten. Beim Haus glühte es wieder auf. Ich schoss auf das Mündungsfeuer. Der Knall meiner SIG wurde durch den Garten geschleudert und schien von den Sträuchern und Bäumen festgehalten zu werden. Trampelnde Schritte erklangen. Ich nahm in der Finsternis, die das Haus umgab, eine schemenhafte Gestalt wahr und feuerte auf sie. Ein erschreckter Aufschrei erklang, dann war ein dumpfer Aufprall zu hören.
Milo brach durch die Büsche und verschwand. Zweige peitschten, dürre Äste knackten.
Ich sicherte in die Richtung des Hauses. Zu sehen war nichts mehr. Die Schritte waren nicht mehr zu vernehmen. Anspannung erfüllte mich und brachte meine Nerven zum Schwingen. Ich versuchte ruhig zu atmen.
Ein leises Stöhnen erreichte mein Gehör.
Und dann erklang Phils Stimme. Er rief: »Ich bin hinter dem Haus, Jesse. Es sieht so aus, als wäre einem der Kerle die Flucht gelungen.«
»Sei nur vorsichtig«, antwortete ich. »Vor dem Haus liegt einer. Ich weiß nicht, ob er kampfunfähig ist.«
Ich lief hinter den Büschen entlang und erreichte die Giebelwand des Wohnhauses. Eng schmiegte ich mich an das Mauerwerk. Meine Rechte hatte sich um den Griff der SIG verkrampft. Darauf gefasst, gedankenschnell zu reagieren, schob ich mich um die Ecke und glitt an der Frontseite des Gebäudes entlang.
Wieder konnte ich das leise Stöhnen vernehmen.
Und dann sah ich das längliche, dunkle Bündel an der Ecke der Doppelgarage liegen. Ich richtete die SIG darauf und rief halblaut: »Rühren Sie sich nicht! Sollten Sie eine falsche Bewegung machen, zwingen Sie mich, auf Sie zu schießen.«
Ein Röcheln war die Antwort.
Auf der anderen Seite der Garage erklang Phils Stimme: »Ich habe Sie ebenfalls im Visier. Sie sollten es sich also überlegen, ehe Sie sich zu irgendwelchen Dummheiten hinreißen lassen.«
»Gib Acht, Milo«, sagte ich, dann trat ich aus dem Schlagschatten des Gebäudes und näherte mich der Gestalt am Boden. Das Gesicht war nur ein heller Fleck in der Dunkelheit. Ich beugte mich über sie. Meine Augen hatten sich einigermaßen an die Dunkelheit gewöhnt, so dass ich die Pistole am Boden liegen sah. Ich griff mit der Linken danach und steckte sie in meinen Hosenbund.
»Es ist in Ordnung, Milo«, gab ich zu verstehen.
Phils Gestalt löste sich aus der Finsternis und nahm Formen an. »Ich rufe eine Ambulanz.«
Ich ging zur Haustür. Sie ließ sich öffnen. Meine Hand ertastete einen Lichtschalter, das Licht flammte auf, ich stand in einem kleinen Flur. Er führte direkt ins Wohnzimmer. Auch dort fand ich den Lichtschalter und machte Licht.
Es sah hier aus, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Der Inhalt sämtlicher Schrankfächer und Schübe schien auf dem Boden verstreut zu sein. Am Boden vor der Couch lag Mrs. Stanfield. Ich erschrak und beugte mich über sie, stellte aber fest, dass sie lebte und lediglich gefesselt und geknebelt war.
Ich befreite die Frau und half ihr, sich auf die Couch zu setzen. Entsetzen prägte ihre Gesichtszüge und sprach aus ihren Augen. In ihrem Gesicht zuckten die Muskeln und ihre Hände zitterten.
»Es – es waren zwei Maskierte. Sie – sie läuteten, und als ich öffnete …«
Ihre Stimme brach. Ihre Psyche versagte. Ein Laut, der sich anhörte wie trockenes Schluchzen, entrang sich ihr.
»Ich bin Special Agent Trevellian vom FBI New York«, stellte ich mich vor. »Sie haben nichts mehr zu befürchten, Mistress Stanfield. Legen Sie sich auf die Couch und ruhen Sie sich aus. Ich werde psychologische Unterstützung für Sie anfordern.«
»Was wollten diese Leute von mir?«, stammelte die Frau. »Sie – sie haben sämtliche Schränke durchwühlt. Was ist mit meinem Mann? Er rief mich kurz vor fünf Uhr an und erklärte, dass er Feierabend machen wollte. Er – er ist nicht nach Hause gekommen? Was – was hat das alles zu bedeuten?«
Konnte ich ihr in ihrem Zustand sagen, dass Wyatt Stanfield ermordet worden war?
Nein! Das wollte ich dem Polizeipsychologen überlassen.
Aber Mrs. Stanfield gab nicht nach. »Sie sind doch nicht zufällig hier, Agent Trevellian.« Sie schien sich ein wenig gefangen zu haben. Ihre Stimme hatte an Festigkeit gewonnen.
»Sie haben recht«, antwortete ich. »Ihr Mann …«
Draußen waren Sirenen zu hören.
Milo hatte Verstärkung angefordert. Jetzt fuhren die ersten Einsatzfahrzeuge der City Police vor.
Mir kam diese Ablenkung recht. »Ruhen Sie sich aus, Mistress Stanfield«, sagte ich. »Wir unterhalten uns später.«
Ich ging schnell nach draußen.
Die Kollegen waren mit Taschenlampen und Handscheinwerfern ausgerüstet. Ein Wagen des Emergency Service erschien, und der Verwundete, der in der Zwischenzeit besinnungslos geworden war, wurde erstversorgt, eingeladen und weggebracht. Er hatte eine Kugel in die Brust bekommen, und der Notarzt war der Meinung, dass sein Zustand ziemlich kritisch war.
Nach Mitternacht kamen die Kollegen von der Spurensicherung. Fast zeitgleich mit ihnen trafen einige Beamte aus dem Detective Bureau des NYPD ein. Sie brachten eine Psychologin mit, die sich um Mrs. Stanfield kümmerte und mir die schwere Aufgabe abnahm, sie von der Ermordung ihres Mannes in Kenntnis zu setzen.
Die Eindringlinge hatten etwas gesucht. Die Festplatte des Computers in Stanfields Arbeitszimmer hatten sie ausgebaut. Dennoch wurden der Computer und sämtliche Datenträger, die wir fanden, beschlagnahmt.
Milo und ich setzten uns zu Mrs. Stanfield und der Psychologin. Mrs. Stanfield weinte. Mir tat die Frau leid, und ich suchte nach Worten um sie zu trösten, unterließ es aber, etwas zu sagen, denn ich sagte mir, dass Worte banal und abgedroschen klingen mussten und wohl keinen echten Trost darstellten.
Ich ließ Mrs. Stanfield Zeit. Als ich das Gefühl hatte, dass sie sich ein wenig gefangen hatte, fragte ich: »Sagten die beiden Eindringlinge, wonach sie suchen?«
»Nein. Aber sie fragten, ob ich informiert sei, für wen mein Mann arbeite. Ich habe diese Frage nicht verstanden. Natürlich war ich darüber informiert, dass mein Mann für die Manhattan Construction Company arbeitet. Das sagte ich den beiden auch.«
»Das war aber nicht gemeint, wie?«
»Ich weiß es nicht. Sie stellten keine Fragen mehr, sondern knebelten mich, und dann fingen sie an, in der Wohnung das Unterste zuoberst zu kehren.«
Die Erinnerung überwältigte sie. Ein Weinkrampf schüttelte Mrs. Stanfield.
Milo und ich überließen den Kollegen das Feld. Und während wir nach Manhattan zurückfuhren, stellte Milo die Frage, die auch mich beschäftigte: »Für wen soll Stanfield gearbeitet haben?«
»Offiziell für die Bauträgergesellschaft«, antwortete ich. »Inoffiziell aber …« Ich zuckte mit den Schultern.
»Denkst du auch, was ich denke?«
»Woran denkst du?«
»An die ENA.«
Die drei Buchstaben geisterten auch durch meinen Verstand. Diese Organisation war seit einiger Zeit unser Gegner Nummer eins. Der Senior, der sich als angesehener New Yorker Rechtsanwalt entpuppt hatte, arbeitete für sie. Bei dem Baulandskandal, in dem wir ermittelten, ging es um Unsummen. Vom Format her durchaus einer Organisation wie der ENA zuzuordnen.
Im Moment handelte es sich jedoch um reine Spekulation.
Nach kurzer Überlegung sagte ich: »Ich will es nicht ausschließen. Doch sollten wir nicht den Teufel an die Wand malen. Beginnen wir morgen, die Mitglieder des Aufsichtsrates zu befragen. Und natürlich den Mann, der uns in die Hände gefallen ist. Vielleicht erzählt er uns, in wessen Auftrag er Mrs. Stanfield überfallen und das Haus auf den Kopf gestellt hat.«
Am folgenden Morgen stellten wir zunächst fest, wer zum Aufsichtsrat der Bauträgergesellschaft gehörte. Wir notierten Namen und Anschriften. Dann rief ich im Krankenhaus an, in das in der Nacht der verwundete Gangster eingeliefert worden war. Ich wurde mit einem Arzt verbunden. Ich erklärte ihm, wer ich war, und dann fragte ich, ob der Verwundete vernehmungsfähig war.
»Um seinen Kreislauf zu entlasten haben wir ihn ins künstliche Koma versetzt«, gab der Arzt zu verstehen. »Seine Chancen zu überleben, stehen fünfzig zu fünfzig. Sollte sich was Neues ergeben, setze ich Sie gerne in Kenntnis. Geben Sie mir Ihre Telefonnummer.«
Ich erwies dem Arzt den Gefallen und bedankte mich.
Dann meldeten wir uns bei Mr. McKee an.
Mandy tischte uns Kaffee auf. Der Assistant Director setzte sich zu uns an den kleinen Konferenztisch. »Sie sehen nicht gerade frisch aus, Special Agents«, meinte der Chef.
»Das ist darauf zurückzuführen, dass wir in der vergangenen Nacht nicht viel geschlafen haben, Sir«, erklärte Milo, und dann berichteten wir abwechselnd von Stanfields Ermordung und dem Überfall auf seine Frau.
»Beweis dafür«, sagte Mr. McKee, als wir am Ende angelangt waren, »dass Stanfield wohl doch nicht so unbedarft war, wie er es hinzustellen versuchte. Die Frage ist nun, wem er gefährlich werden konnte. Haben Sie einen Verdacht?«
Milo und ich wechselten einen schnellen Blick. Dann erwiderte ich: »Wir wollen heute damit anfangen, die Mitglieder des Aufsichtsrates der Bauträgergesellschaft zu verhören. Alles andere wird die Auswertung der Spuren in Stanfields Haus und die Vernehmung des Gangsters ergeben müssen, den wir festgenommen haben.«
Ich vermied es, die Sprache auf die ENA zu bringen. Unser Verdacht war mir nun doch etwas zu vage, um ihn dem AD gegenüber zu äußern. Es gab nichts, womit ich ihn untermauern konnte. Darum hütete ich mich, darüber zu sprechen. Wenn er mich auch beschäftigte und sich nicht verdrängen ließ.
»Was haben Ihre Ermittlungen hinsichtlich des Serienkillers ergeben?«, änderte Mr. McKee das Thema.
»Es sieht so aus, als wenn es sich bei den Ermordeten um Homosexuelle handelt«, antwortete Milo. »Das zwingt uns, umzudenken. Wenn wir zunächst der Meinung waren, dass eine Frau hinter den Morden steckt, die an einer Neurose leidet, so sind wir in der Zwischenzeit zu dem Schluss gekommen, dass der Mörder wahrscheinlich im Homosexuellenmilieu zu suchen ist.«
»Wie haben Sie sich Ihr weiteres Vorgehen vorgestellt?«
Ich übernahm es, zu antworten. »Wir haben an den Einsatz eines V-Mannes gedacht, Sir. Eines Mannes, der den Auswahlkriterien unseres Mörders entspricht.«
»Haben wir einen Mann, der dafür in Frage kommt?«
Ich nickte. »Robert Benson. Er war früher selbst mal Polizist, wechselte dann zu einer Versicherungsgesellschaft und nimmt hin und wieder Aufträge für das Police Department wahr. Ich habe ihn mal zusammen mit Harry Easton getroffen. Er würde unseren Anforderungen genügen – sowohl vom Alter als auch vom Aussehen her.«
»Frage ist, ob er mitmacht.«
»Wir werden mit ihm sprechen müssen«, versetzte ich.
»Reden Sie mit ihm.«
Zurück in unserem Büro rief ich Harry Easton, den Leiter der New Yorker Mordkommission, an. Zusammen mit Cleary, wie wir ihn nannten, hatten wir schon so manchen Fall gelöst. Cleary deshalb, weil er sich immer damit brüstete, dass es kaum einen Fall gab, den seine Leute nicht aufgeklärt hätten.
»Hallo, Harry. Hier spricht Jesse.«
»Ich habe dich sofort an der Stimme erkannt. Lange nichts gehört von dir. Wie geht es euch? Ist es euch noch immer nicht gelungen, das Verbrechen auf New Yorks Straßen auszurotten?«
Harry lachte kehlig.
»Es ist eine Hydra«, erwiderte ich. »Schlägst du ihr einen Kopf ab, wachsen sofort zwei neue Köpfe nach. Es ist ein Kampf gegen Windmühlenflügel.«
»Tja«, seufzte Cleary, »wem sagst du das. Na schön, Jesse, wenn du anrufst, dann hat das seinen Grund. Raus mit der Sprache: Was hat dich veranlasst, zum Telefonhörer zu greifen?«
»Wir brauchen Benson.«
»Bob Benson?«
»Genau den.« Ich erklärte Cleary, in welcher Sache Benson zum Einsatz kommen sollte. Cleary gab mir die Telefonnummer des Mannes, dann verabschiedete ich mich von dem Kollegen und rief bei Robert Benson an.
Er meldete sich mit seinem Namen.
»Guten Tag, Mr. Benson«, grüßte ich. »Ich bin Jesse Trevellian vom FBI New York. Harry Easton hat mir Ihre Telefonnummer gegeben.«
Benson schien meinen Worten kurze Zeit hinterherzulauschen, dann sagte er: »Irgendwo im Hinterstübchen sagt mir der Name Trevellian etwas. Aber egal. Worum geht es, Special Agent?«
»Wir brauchen Sie für einen Einsatz. Können wir uns unter sechs Augen darüber unterhalten?«
»Sechs Augen?«
»Mein Kollege Milo Tucker wird mit von der Partie sein.«