3 Gruselkrimis Mai 2022 - Alfred Bekker - E-Book

3 Gruselkrimis Mai 2022 E-Book

Alfred Bekker

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3 Gruselkrimis Mai 2022 von Alfred Bekker Über diesen Band: Diesr Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: Dämonenmeister Dämonenrache Ich darf mich nicht verandeln Darry Pendor hat ein Problem: Er muss dem Drang widerstehen, sich in einen Werwolf zu verwandeln. Er ist ein Gestaltwandler und diese Eigenschaft macht sein Leben kompliziert - egal, ob er eine Frau kennenlernt oder in seinem Job bestehen muss. Er ist ein Mensch, der sich in ein Monster verwandelt - aber in seinem Job als Ermittler jagt er Monster in Menschengestalt und es stellt sich die Frage, wer das größere Monster ist: Ein Werwolf oder ein Serienkiller. Auch der Fall, an dem er gerade arbeitet hat etwas mit einer Verwandlung zu tun - allerdings auf eine ganz andere Art... Und dann sind da noch die selbsternannten Dämonenjäger, die ihm das Leben zur Hölle machen! Darry Pendor schwebt in der dauernden Gefahr, dass das Tier in ihm die Oberhand gewinnt... Und so gilt für ihn der Satz: Ich darf mich nicht verwandeln! Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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3 Gruselkrimis Mai 2022

Alfred Bekker

Published by Alfred Bekker, 2022.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

3 Gruselkrimis Mai 2022

Copyright

Dämonenmeister

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Dämonenmeister | von Alfred Bekker

Alfred Bekker Grusel-Krimi #11: Dämonenrache

Alfred Bekker Grusel-Krimi #11

Dämonenrache

Copyright

Prolog

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Ich darf mich nicht verwandeln

Ich darf mich nicht verwandeln

Copyright

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3 Gruselkrimis Mai 2022

von Alfred Bekker

Über diesen Band:

Diesr Band enthält folgende Romane

von Alfred Bekker:

Dämonenmeister

Dämonenrache

Ich darf mich nicht verandeln

––––––––

Darry Pendor hat ein Problem: Er muss dem Drang widerstehen, sich in einen Werwolf zu verwandeln. Er ist ein Gestaltwandler und diese Eigenschaft macht sein Leben kompliziert - egal, ob er eine Frau kennenlernt oder in seinem Job bestehen muss. Er ist ein Mensch, der sich in ein Monster verwandelt - aber in seinem Job als Ermittler jagt er Monster in Menschengestalt und es stellt sich die Frage, wer das größere Monster ist: Ein Werwolf oder ein Serienkiller. Auch der Fall, an dem er gerade arbeitet hat etwas mit einer Verwandlung zu tun - allerdings auf eine ganz andere Art...

Und dann sind da noch die selbsternannten Dämonenjäger, die ihm das Leben zur Hölle machen!

Darry Pendor schwebt in der dauernden Gefahr, dass das Tier in ihm die Oberhand gewinnt...

Und so gilt für ihn der Satz: Ich darf mich nicht verwandeln!

––––––––

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.

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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)

© Roman by Author / COVER KLAUS DILL

© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Dämonenmeister

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Dämonenmeister

von Alfred Bekker

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Fahles Mondlicht fiel auf das graue Gemäuer des uralten und halb verwitterten Herrenhauses. Ein leichter Wind strich über das hohe Gras und die verwilderten Sträucher im Garten. Für Augenblicke hoben sich dunkle Schwingen pechschwarz gegen das Mondlicht ab.

Schwingen, die an die ledrigen Flügel einer Fledermaus erinnerten.

Aber das Wesen, das im nächsten Moment im hohen Gras landete, war sehr viel größer.

Ein geflügelter Affe kauerte zwischen Sträuchern und bleckte die raubtierhaften Zähne.

In pechschwarzen Augen spiegelten sich der Mond, die Sterne...

...und der Tod.

*

Das Übel ist so nahe...

So furchtbar nahe...

Pierre de Dorodonne-Clement erbleichte. Er starrte auf den Bildschirm seines Computers und musste unwillkürlich schlucken. Kolonnen von fremdartig wirkenden Schriftzeichen waren dort zu sehen. Ich bin verloren!, durchzuckte es de Dorodonne-Clement. Es gibt nichts, was mich jetzt noch schützen könnte...

Es war zu spät.

De Dorodonne-Clement wusste es.

Mein Tod ist nur noch eine Frage der Zeit!, ging es ihm schaudernd durch den Kopf, während ein heftiger Windstoß dafür sorgte, dass sich das bis dahin nur angelehnte Fenster zur Gänze öffnete. Der Wind fegte die Stapel von Papieren und Computerausdrucken durcheinander, die überall in de Dorodonne-Clements Arbeitszimmer herumlagen. Ein Stapel Bücher, die über und über mit Lesezeichen gespickt waren, stürzte geräuschvoll um.

Ein stöhnender Laut war daraufhin zu hören und ein pechschwarzer Kater sprang davon.

„Schon gut, Caesar", sagte de Dorodonne-Clement laut. „Das war der Wind, mein Kater... nur der Wind..."

Wie gerne hätte er selbst das glauben wollen!

Aber de Dorodonne-Clement wusste nur zu gut um die schreckliche Wahrheit. Die Mächte, mit denen er sich eingelassen hatte, waren zu stark, zu furchtbar, zu grausam....

Aber jetzt konnte er nicht mehr zurück.

Für mich gibt es nur noch den Weg der Verdammnis, ging es ihm durch den Kopf.

Pierre de Dorodonne-Clement ging zum Fenster, um es zu schließen. Der Wind, der mit erneut zunehmender Heftigkeit von draußen herein blies, war von einer so durchdringenden Kälte, dass de Dorodonne-Clement unwillkürlich fröstelte.

Aber nicht diese Kälte war es, die ihn im nächsten Augenblick bis ins Mark erschauern ließ, sondern eine Bewegung im hohen Gras.

Da war etwas...

Für einen kurzen Moment fielen ihm glühend rot leuchtende Punkte in der Dunkelheit auf.

De Dorodonne-Clement brauchte eine volle Sekunde, um zu begreifen, dass es Augen waren.

Dämonisch wirkende Augen, so hell wie glühende Kohlen. Ein tierischer, fauchender Laut mischte sich in das Aufheulen des Windes hinein.

Sie sind da, durchzuckte es de Dorodonne-Clement. Die Ouroungour der verlorenen Stadt Chôrangkôr... Sie sind gekommen, um mich zu vernichten.

Als de Dorodonne-Clement das Fenster schloss, verfinsterte sich auf einmal der fahle Mond. Zuerst Dutzende, dann hunderte von geflügelten Wesen hoben sich als dunkle Schatten gegen das leuchtende Oval ab. Ungezählte weitere geflügelte Schatten ließen sich nur in den Schattenzonen daneben erahnen.

„Nein", flüsterte de Dorodonne-Clement und wich unwillkürlich ein Stück zurück. Verflucht... Es ist so schrecklich... so unsagbar schrecklich... Aber was kann ich tun? Nichts. Das ist die Wahrheit, auch wenn sich alles in mir weigert, das einzugestehen.

Die Gedanken rasten in seinem Kopf.

Sie rasten, aber es war eine ausweglose Schleife, in der sie sich bewegten.

Gefangen.

Totgelaufen.

Der schwarze Kater verzog sich jaulend unter einen über und über mit staubigen Büchern bedeckten Plüschsessel. Das Tier schien die Gefahr instinktiv zu spüren, die von den nun massenhaft das alte Herrenhaus belagernden geflügelten Affen ausging.

Tierhafte Schreie drangen von draußen herein. Krächzende und fauchende Laute, die jedem Zuhörer das Blut in den Adern gefrieren lassen konnten.

Etwas flog auf das Fenster zu. Der Schlag ledriger Schwingen war kurz zu hören, dann prallte der Körper eines Ouroungour gegen das Fenster.

Das Wesen war etwa so groß wie ein Schäferhund. Mit seinen siebenfingrigen, mit Krallen bewehrten Händen hielt es sich am Fensterrahmen fest. Die Krallen schnitten offenbar in den Kitt der Scheiben und in das weiche Holz des Rahmens hinein.

Ouroungour...

Nennt man euch nicht so?

Aber das Entsetzen trägt viele Namen.

Das mit grauenerregenden Raubtierzähnen ausgestattete Maul wurde aufgerissen und stieß einen furchtbaren Schrei aus.

Mit dem sehr kräftigen Schwanz schlug der geflügelte Affe gegen das Glas.

So heftig, dass es splitterte.

Wind toste herein. Mit ein paar weiteren Schwanzschlägen war die Scheibe so weit zerschlagen, dass das alptraumhafte Wesen ins Innere zu gelangen vermochte.

Es machte einen Satz und landete mit einer geradezu katzenhaften Geschmeidigkeit auf dem Boden.

Fürchtest du dich? Kriecht dir die Angst den Rücken hinauf und bleibt dort wie eine kalte, glitschige Hand?

Pierre de Dorodonne-Clement erwachte unterdessen aus der Erstarrung, die ihn bis dahin befallen hatte. Er lief zu seinem Schreibtisch, riss eine Schublade auf und holte einen Revolver hervor. Es handelte sich um eine kurzläufige Waffe der Firma Smith & Wesson vom Kaliber .38. Pierre de Dorodonne-Clement besaß sie seit Jahren zur Selbstverteidigung, hatte allerdings keine besonders große Übung in der Benutzung der Waffe.

Immerhin wusste er, dass sie geladen war.

Er nahm die Waffe mit beiden Händen und richtete sie auf den geflügelten Affen. Na, jetzt könnte dir zur Abwechslung auch mal etwas gelingen! Aber andererseits – hat irgend jemand gesagt, dass das Schicksal oder das Universum oder wie auch immer man die Ordnung der Dinge nennen mag, eine gerechte Angelegenheit ist?

De Dorodonne-Clement schoss!

Aber die Kugel ging daneben.

Nein!

Das Projektil kratzte in den Parkettboden hinein und ließ Holzstücke heraussplittern.

Dort, wo gerade noch das dämonische Wesen gelauert hatte, war nichts mehr. Der geflügelte Affe hatte blitzschnell  einen Sprung vollführt. Jetzt kroch er unter dem Sessel hervor, unter den sich kurz zuvor der Kater geflüchtet hatte.

Doch Caesars Schicksal war nun besiegelt.

Rot tropfte es aus dem Maul des Ouroungourhaften Wesens.

Blutdurchtränkte Stücke des Katzenfells hatten sich in den Krallen der prankenartigen Hände verfangen.

Das Wesen fauchte de Dorodonne-Clement angriffslustig entgegen. Das dämonische Leuchten seiner Augen wurde noch intensiver.

Ein zweiter geflügelter Affe landete am Fenster, krallte sich am Rahmen fest und sprang anschließend ins Innere des Hauses.

De Dorodonne-Clement feuerte.

Die Kugel traf diesen Neuankömmling mitten in den Körper. Dabei war die Wucht des Geschosses so groß, dass das Wesen einmal um die eigene Achse geschleudert wurde. Es jaulte auf wie ein verwundeter Wolf.

Das Wesen landete auf dem Rücken, rollte sich herum und stand im nächsten Moment wieder auf seinen vier jeweils mit siebenfingrigen Krallenhänden ausgestatteten Extremitäten.

Die Wunde am Bauch war für einen kurzen Moment zu sehen. Blut tropfte aus ihr heraus und sickerte auf den Boden. Der Teppich sog es förmlich auf.

Es ist grünes Blut, erkannte Pierre de Dorodonne-Clement schaudernd.

Aber ist das nicht auch zu erwarten gewesen? Schließlich hatte Pierre de Dorodonne-Clement nahezu alles zusammengetragen, was es an verfügbarem Wissen über die so genannten Ouroungour der verlorenen Stadt Chôrangkôr zu wissen gab.

Das Wesen näherte sich ihm, hob dabei den Schwanz, an dessen Ende sich eine Verdickung befand, aus der jetzt ein gutes Dutzend Stacheln herauswuchsen. Das Ganze ähnelte einem mittelalterlichen Morgenstern.

Der Kopf war geduckt.

Das dämonische Leuchten in den Augen wurde abwechselnd stärker und schwächer.

Es pulsierte.

Der andere Ouroungour näherte sich ebenfalls auf diese Weise.

Am Fenster erschienen kurz nacheinander ein drittes und ein viertes geflügeltes Wesen dieser Art. Nach kurzer Landung am Fenster, sprangen sie ins Innere des Arbeitszimmers hinein.

Schweißperlen glänzten auf Pierre de Dorodonne-Clements Stirn.

Er feuerte immer und immer wieder auf die angreifenden Wesen, obwohl er wusste, dass deren Wunden sich nach wenigen Augenblicken wieder schließen würden. Es war einfach ein Akt purer Verzweiflung.

Der letzte Schuss feuerte aus dem .38er Smith & Wesson heraus.

Dann machte es klick.

Die Revolvertrommel war leer geschossen, während sich mehrere der geflügelten Affen sich jaulend auf dem Boden wanden.

Doch nun gab es nichts mehr, was diese Monstren auch nur einen einzigen weiteren Augenblick aufzuhalten vermochte.

Mit gefletschten Zähnen sprang die erste dieser Dämonenkreaturen auf de Dorodonne-Clement zu. Dieser hob schützend die Hände.

Die Wucht, mit der ihn der geflügelte Affe angesprungen hatte, riss de Dorodonne-Clement zu Boden.

Er schrie und schlug um sich. Die Reißzähne des Ouroungour schlugen in seinen Hals. Das Blut spritzte auf. Wie eine Meute hungriger Wölfe stürzten sich nun die anderen Ouroungour auf den bereits schrecklich entstellten Körper Pierre de Dorodonne-Clements.

*

Johannes Darenius, Meister und zeitweilig Abt im Orden vom Weißen und Heiligen Licht, beschleunigte seinen BMW, auf der gewundenen Straße, die hinauf ins Hochgebirge der Maskatagne führte.

Nebel kam auf. Aber das war nichts Ungewöhnliches in dieser Gegend, zumal er nun bald die Dimensionsgrenze überschreiten würde, die diesen Ort abschirmte. Es ist der Nebel der Zeiten, dachte er. Der Nebel zwischen den Welten des Polyversums... Ein magisch begabter Geist braucht sich davon nicht beeindrucken zu lassen.

Darenius ließ den Motor des BMW aufheulen.

Ein geistiger Impuls genügte, um ihn hochschalten zu lassen.

Eigentlich konnte dabei nichts passieren.

Es gab niemanden, der ein so primitives Vehikel wie dieses Automobil so sehr unter seiner Kontrolle hatte, wie Darenius.

Dann schlug plötzlich etwas gegen die Scheibe. Blut rann an dem bruchsicheren Glas herab. Darenius konnte nichts mehr sehen und murmelte eine metamagische Formel, um seine inneren Sinne zu stärken. Er trat auf die Bremse der Wagen kam punktgenau zum Stehen.

Dann stieg Darenius aus.

Er sah sich an, was da auf die Scheibe gekommen war.

Ein blutiges Wesen, das einem geflügelten Affen glich und ungefähr so groß wie ein Baby war.

Darenius atmete tief durch.

Das tote, starre Gesicht sah ihn zornig an.

Ein Ouroungour! Jetzt tauchen die sogar schon hier auf, ging es ihm durch den Kopf. Aber zum Glück ein relativ kleines Exemplar. Hätte schlimmer kommen können. Aber wir werden auf diese Viecher acht geben müssen...

*

Irgendwie hatte Murphy gehofft, dass alles besser werden würde, seit Meister Darenius den Neuen Orden gegründet hatte. Den Neuen Orden vom Weißen und Heiligen Licht, wie er vollständig hielt. Eine Organisation, die auf allen Ebenen des Polyversums gegen den Einfluss der Dämonen der Dämmerung kämpfte. Der alte Orden war diskreditiert und vollkommen unter dem Einfluss der Dämonenjünger. Wie ein schleichendes Gift hatte sich deren Einfluss immer weiter fortgesetzt und zuletzt war Murphy selbst vom Orden verfolgt worden. Und das in mehr als nur einer Welt.

Meister Darenius war ihm zunächst wie jemand erschienen, der dem Einfluss der Dämonen erlegen war. Und für einige Inkarnationen von Darenius traf das sicherlich auch zu. Aber insgesamt schien er sich doch gegen diesen Einfluss einigermaßen behauptet zu haben.

Gut, dass wir diesen Zufluchtsort haben, dachte Murphy. Die Schädelhöhle von Maskatan. Ein Höhlenschloss jenseits von Raum und Zeit in der Maskatagne - an eine nebelverhangenen Bergsee gelegen, der so mit Magie geladen ist, dass man ihn schon als eine Art Artefakt sehen muss.

Beinahe, wie das Amulett mit dem Namen Branagorns Stern, das Meister Darenius andauernd trug.

*

Später...

Murphy trat auf die Felsenkanzel hinaus. Die Schädelhöhle von Maskatan und das dazugehörende, in die Granitfelsen hineingeschlagene Höhlenschloss waren so etwas wie ein Rückzugsort zwischen den Dimensionen.

Murphy ließ den Blick schweifen.

Vor ihm lag die Gebirgslandschaft der Maskatagne, ein abgelegener Landstrich inmitten des Hochgebirges. Ein metamagischer Schirm – kurz einfach M-Schirm genannt – umgab das Hochtal, in dessen Mitte sich der Lac de Maskatagne befand, ein Bergsee, dessen Wasser auf eine höchst widernatürliche Weise von einem Augenblick zum Anderen die Farbe zu wechseln vermochte. Auch das hing damit zusammen, dass sich hier die Dimensionen und Parallelen des Polyversums kreuzten.

„Wir nennen diese Welt PP-Null“, sagte eine Stimme hinter Murphy. Es war eine Gestalt in einer Kutte, die sich näherte. Die Augen leuchteten unter der Kapuze.

„PP-Null?“, echote Murphy.

„Polyversum-Parallele Null. Der Ort, an dem alles zusammenläuft. Die Koordinaten des Raumes und der Zeit, die Kausalität und ihr Gegenteil. Alles, Murphy.“

„Ein guter Ort, um von hier aus den Kampf gegen die Dämonen der Dämmerung zu führen, ehrwürdiger Abt.“

„Ich mag es nicht mehr als Abt bezeichnet zu werden. Nenn mich einfach Meister Darenius. Das genügt. Und seitdem sich gewisse Differenzen zwischen mir und dem alten Orden vom Weißen Licht aufgetan haben, wird man es dort sicherlich begrüßen, wenn ich darauf verzichte, mich als Abt bezeichnen zu lassen.“

Murphy drehte sich um. „Für eine Weile glaubte ich, Ihr wärt bereits ein Teil des Übels.“

„Das war ich gewiss auch. In manchen Parallelen der Realität ganz bestimmt. So wie auch du, Bruder David – wenn ich doch nach allem, was geschehen ist, noch so nennen darf.“

„Was meint Ihr damit?“

Darenius lächelte. „Oh, verzeiht mir, vielleicht liegen diese Ereignisse aus Eurer Perspektive gesehen ja noch in der Zukunft.“

„Von welchen Ereignissen sprecht Ihr?“

„Dinge, die etwas mit der Tinnbergen-Direktive zu tun haben, die wiederum auf einen Okkultisten zurückgehen, der George Washington beraten hat und später auf rätselhafte Weise verschwand.“

„Jan-Jacob Tinnbergen...“

„Er kommt übrigens auch ab und zu hier her, Murphy.“

„Und von Schlichten?“

„Welchen der vielen metamagischen Zeitenwandler aus der Sippe derer von Schlichten meinst du?“

„Natürlich Hermann von Schlichten.“

„Ich sehe ihn hin und wieder. Genau wie diesen Branagorn von Elbara, in dessen Gegenwart man immer so leise sprechen muss, weil seine Ohren so empfindlich sind.“

Darenius trat jetzt neben Murphy.

„Bleib eine Weile hier, aber tut mir den Gefallen und braucht nicht wieder alle meine Vorräte am Salz des Lebens auf wie beim letzten mal, Bruder David!“

„Daran erinnere ich mich nicht!“

„Die Erinnerung kommt schon noch wieder. Ihr Fehlen ist eine Nebenwirkung des metamagischen Raumzeitwandelns.“

„Möglich.“

„Sie gewöhnen sich dran.“

„Glauben Sie?“

„Sicher.“

Darenius schlug die Kapuze zurück. Ein schwarzbärtiges Gesicht kam darunter zum Vorschein. Es war erstaunlich jugendlich. Murphy hatte es offenbar in anderer Erinnerung und konnte seine Verwunderung nicht verbergen. Das kannst du sowieso nicht, Murphy, denn deine Gedanken sind für mich wie ein Buch, wenn ich es will! Laut sagte Darenius: „Ich werde bald einiges zu tun haben. Fühle dich während meiner Abwesenheit wie zu Hause.“

„Haben wir uns in dieser Existenzebene des Polyversums eigentlich gesiezt oder geduzt? Oder gar geihrzt?“

„Je nach Sprache, Murphy. Halten Sie es einfach so, wie Ihnen zu Mute ist.“

„Das habe ich immer so gehalten. Aber irgendwie ging das in unserem Gespräch gerade etwas durcheinander.“

„Das kann schon passieren, wenn man zu sehr im metamagischen Zeitfluss des Polyversums herumwandelt."

„Ich versehe", murmelte Murphy und seine Stirn zog sich in Falten. Die Gesichtszüge schienen für einen Moment zu erstarren, und er wurde ganz blass.

Meister Darenius lächelte.

„Ah, die Erinnerung kehrt zurück, Murphy - oder Bruder David!“

„Ich komme aus dem Jahr 2001.“

„Das erklärt natürlich einiges.”

„So?”

„Es scheint, das mit den Zwillingstürmen lässt dich einfach nicht los, Bruder!“

„Mag sein.“

„War nicht so leicht zu verdauen wie der Fall Konstantinopels, das mag sein. Aber ich habe bemerkt, dass du inzwischen sogar ohne Hilfsmittel durch die Raumzeiten des Polyversums wandelst... Respekt! Nicht einmal eine dieser Blumen benötigst du, die ich gerne als Hilfsmittel benutze, um räumliche Distanzen zu überbrücken ohne allzu viel an magischer Energie zu verschwenden - auch wenn ich die Hilfe dieses Gestrüpps eigentlich nicht nötig hätte.“ Er zuckte mit den Schultern. „Geistige Trägheit nennt man das wohl. Auch ich bin nicht davor gefeit!“

Sie schwiegen einige Augenblicke.

Dann fragte Murphy: „Welche Realität wird bleiben, Meister Darenius? Von all den vielen.”

„Ich weiß es nicht. Aber genau das ist es, worum es in unserem Kampf geht.“

„So?“

„Um das Überleben von allem. Um die Existenz, Murphy. Und selbst um die Existenz eines Ortes wie diesem, der doch der Nullpunkt des Seins ist.“

„Dann ist selbst PP-Null in Gefahr?“

„Aber natürlich, Murphy. Wenn eine andere Möglichkeit überhaupt in Betracht gezogen wird, liegt das immer daran, dass man gerade aus einem optimistischen Jahrzehnt kommt.“

Murphy zuckte mit den Schultern. „Muss wohl so sein“, meinte er.

*

Johannes Darenius, der Meister des Übersinnlichen, Gründer des Neuen Ordens vom Weißen und Heiligen Licht (der wie sein korrumpierter Vorgänger manchmal auch nur einfach der Orden vom weißen Licht oder der Orden vom heiligen Licht genannt wurde) saß in seinem im Nordturm des Höhlenschlosses Maskatan gelegenen Arbeitszimmer und starrte angestrengt auf den Schirm seines Computers. Dort waren Ablichtungen von uralten Inschriften aus der Hoch-Zeit des versunkenen Khmer-Reiches zu sehen, das vor gut einem Jahrtausend Südostasien beherrscht hatte.  Ausgehend von der Hauptstadt Angkor hatte sich eine der erstaunlichsten und rätselhaftesten Hochkulturen entfaltet, die die Welt je gesehen hatte.

Ihre steinernen, halb vom Dschungel überwucherten Steinmonumente hatten die Zeitalter überdauert und lockten seit ihrer Wiederentdeckung im neunzehnten Jahrhundert Legionen von Forschern und Touristen in den Dschungel Kambodschas.

Darenius' momentanes Interesse an den Inschriften und Legenden der alten Khmer hatte einen handfesten Grund und entsprang keineswegs nur einem allgemeinen Interesse an alten Kulturen. Schon seit einiger Zeit waren ihm Meldungen über ausgesprochen grausige Todesfälle aufgefallen. Die Opfer waren regelrecht zerfleischt worden, so dass die Polizei den Verdacht aufgeworfen hatte, dass nicht Menschen als die eigentlichen Täter in Frage kamen, sondern Tiere.

Abgerichtete Kampfhunde, so hatte der erste Verdacht geheißen. Aber das hatte sich mit der sonstigen Spurenlage wohl nicht so recht in Einklang bringen lassen.

Johannes Darenius hatte von Anfang an den Verdacht gehabt, es mit dem Einfluss dämonischer Kräfte zu tun zu haben, ohne dafür letztlich einen handfesten Beweis zu bekommen.

Auffällig war von Anfang an gewesen, dass sämtliche Opfer dieser grausigen Mordserie ehemalige Teilnehmer an einer archäologischen Expedition in den Dschungel Kambodschas gewesen waren, die der verlorenen Stadt Chôrangkôr gegolten hatte. Düstere Legenden rankten sich um diesen Ort, dessen Ruinen angeblich noch irgendwo in den unwegsamen Wäldern Kambodschas zu finden waren. Ein Mythos, der von den meisten Archäologen nicht sonderlich ernst genommen wurde.

Jetzt war Professor Dr. Dr. Pierre de Dorodonne-Clement, der Leiter der letzten Expedition, die sich auf die Suche nach Chôrangkôr gemacht hatte, in seinem Herrenhaus in der Camargue eines ebenso grausamen Todes gestorben wie zuvor schon einige jener Männer und Frauen, die ihn anderthalb Jahre zuvor in die Tiefe des kambodschanischen Dschungels begleitet hatten.

Seinem untrüglichen Instinkt folgend, hatte sich Darenius daran gemacht, sämtliches über das Internet verfügbare Material zu den Forschungen Pierre de Dorodonne-Clements zu sichten, denn er war überzeugt davon, dass der Tod des Wissenschaftlers in irgendeiner Form damit in Zusammenhang stehen musste.

Dabei war er auf einige interessante Zusammenhänge gestoßen. So hatte de Dorodonne-Clement eine Monografie von Inschriften veröffentlicht, die von Reliefs bisher unbekannter Ruinen stammten, die nördlich der berühmten Ruinenstädte von Angkor Wat und Angkor Thom gefunden worden waren.

Der Sinn dieser Inschriften war nach wie vor nicht zur Gänze erschlossen, auch wenn de Dorodonne-Clement ein erstklassiger Kenner der Khmer-Sprache sowohl in ihrer modernen als auch in ihrer klassischen Form war.

Es ging um die Legende von der verlorenen Stadt Chôrangkôr, die unter die Herrschaft von Heng Son geriet, dem dunklen Bruder des Affengottes Hanoman.

Für Darenius war dabei ein Umstand von besonderem Interesse.

Einige der Schriftzeichen, die offenbar schon de Dorodonne-Clement einiges an Kopfzerbrechen bereitet hatten und bei denen es dem Wissenschaftler letztlich nicht gelungen war, sie hinreichend zu interpretieren, entsprachen jenen Elbenrunen, die auf Darenius' handtellergroßem Amulett zu finden waren - Branagorns Stern, seiner wichtigsten Waffe im Kampf gegen die Geschöpfe der Finsternis. Einst hatte der Elbenmagier Branagorn dieses Amulett aus der Kraft der Sonne gewonnen. Jetzt benutzte es Johannes Darenius in seinem Kampf gegen die Mächte des Bösen.

Dass dieses Amulett hin und wieder etwas eigenwillig reagierte und er sich insbesondere in letzter Zeit wiederholt nicht auf dieses magische Werkzeug hatte verlassen können, stand auf einem anderen Blatt.

Dennoch blieb Branagorns Stern Darenius' wichtigste Waffe, das bedeutendste Artefakt, das er gegen schwarzmagische Bedrohungen aus der Welt des Übersinnlichen einsetzen konnte.

Die volle Funktionsweise war ihm trotz intensiver Studien dabei nach wie vor nicht wirklich klar. Er kannte nur einen Bruchteil der Funktionen, die durch ein Verschieben der Elbenrunen ausgelöst werden konnten.

Und manchmal wurde das Amulett aus unerfindlichen und nicht immer nachvollziehbaren Gründen auch ganz von selbst aktiv...

Und nun das...

Elbenrunen von Branagorns Stern in einer Inschrift, die ein unter mysteriösen Umständen verstorbener Wissenschaftler in einer bisher unbekannten Ruine im kambodschanischen Dschungel abfotografiert hatte. 

„Seit drei Tagen scheint dich nichts anderes mehr zu interessieren, als der Tod dieses Pierre de Dorodonne-Clement", stellte eine helle weibliche Stimme fest. Sie gehörte Darenius' Lebensgefährtin Neldarine. Darenius war dermaßen in seine Arbeit vertieft gewesen, dass er gar nicht mitbekommen hatte, wie die junge Französin den Raum betreten hatte. 

Sie war vollkommen nackt.

Darenius blickte nur kurz an ihrem wohlgeformten Körper herab und deutete dann auf den Schirm. „Schau dir das an", verlangte er. „Ich habe eine Formanalyse mit Hilfe des Computers durchgeführt. Bei drei der Zeichen liegt die Übereinstimmung zu den Elbenrunen meines Amuletts bei hundert Prozent, bei zwei weiteren Zeichen besteht eine Kongruenz von zumindest siebzig bis achtzig Prozent, was auch kein Zufall sein kann."

Neldarine atmete tief durch. Ihre Brüste hoben und senkten sich dabei. Sie lehnte sich gegen Darenius' Schulter. „Was ist das für eine Sprache, in der dieser Text verfasst ist, in den die Elbenrunen eingestreut wurden?", fragte sie.

„Das ist Khmer", antwortete Darenius.

„Du kannst Khmer lesen?", wunderte sich Neldarine.

„Wie du weißt, beherrsche ich so gut wie alle relevanten Sprachen."

Neldarine hob die Augenbrauen. „Kein Mensch würde behaupten, dass Khmer eine relevante Sprache wäre... Die meisten Menschen wüssten noch nicht einmal, in welchem Land sie gesprochen wird, wenn man sie danach fragen würde."

Darenius lächelte nachsichtig. „Mag ja sein, dass Khmer keine relevante Sprache mehr ist - aber sie war es in der Vergangenheit sehr wohl. Auch wenn diese Zeit außerhalb Kambodschas und einer kleinen Schar von Gelehrten, die sich mit dem alten Khmer-Reich befassen, nahezu vollkommen in Vergessenheit geraten ist..." Darenius atmete tief durch.

Er lehnte sich zurück und blickte Neldarine ernst an. „Chèrie, wir werden uns wohl schon sehr bald auf den Weg machen müssen."

Sie runzelte verständnislos die Stirn. „Auf den Weg? Wohin denn?", fragte die junge Französin verständnislos.

„Diese alten Texte sind bruchstückhaft und es scheint so, dass die Zeichen, die den Zeichen meines Amulettes entsprechen, wichtige Begriffe des Originals quasi verdecken. Daher kann ich bislang nur bruchstückhaft den Sinn erfassen. Aber so viel ist klar: Es geht um eine große Gefahr, die durch Heng Son, den Bruder Hanomans ausgeht."

„Ich verstehe überhaupt nichts", bekannte Neldarine.

„Vielleicht macht es dir das hier etwas deutlicher", entgegnete Darenius, während seine Finger über die Tastatur seines Rechners rasten.

Wenig später erschien auf dem Bildschirm ein Zeitungsbericht vom vorletzten Tag. Neldarine überflog rasch die wenigen dürren Zeilen dieser Meldung, die von einer Agentur unter der Rubrik Vermischtes gemeldet worden war. Ein Pferdehändler in der Camargue, dessen Hof sich in der Nähe der Ortschaft Aiges-Mortes befinden sollte, hatte behauptet, des Nachts Wesen gesehen zu haben, die geflügelten Affen geglichen hatten. Diese Wesen seien auf das ganz in der Nähe befindliche Herrenhaus von Pierre de Dorodonne-Clement zugeflogen und hätten sich dort gesammelt  - und zwar genau in jener Nacht, in der de Dorodonne-Clement eines äußerst mysteriösen Todes gestorben war. Der Pferdehändler hatte dies als sachdienlichen Hinweis zur Aufklärung eines Verbrechens gemeint, der von offizieller Seite jedoch nicht sonderlich ernst genommen worden war. Jetzt wurde der Mann auf seinen Geisteszustand hin untersucht.

„Verstehst du nun, was ich meine?", fragte Darenius.

„Vielleicht beginne ich gerade zu verstehen, worauf du hinaus willst", gab sie zurück.

Darenius tätschelte ihr den Po und meinte: „Dann zieh dich jetzt an, wir fahren in die Camargue."

„Jetzt - sofort?"

„Natürlich - oder sollen wir erst warten, bis uns die Polizei mit ihrem Erkennungsdienst sämtliche Spuren ruiniert hat?"

Neldarine ging in Richtung Tür. „Irgendwie finde ich, dass du mein Äußeres überhaupt nicht angemessen gewürdigt hast, Chèri!"

Darenius verdrehte die Augen.

„Du siehst umwerfend aus, Neldarine - wie immer!"

„Ich meinte eigentlich meine neue feuerrote Perücke", maulte sie. „Und du hast sie anscheinend noch nicht einmal bemerkt!"

Noch bevor Neldarine die Tür erreicht hatte, um den Raum zu verlassen, klopfte es.

„Herein!", rief Darenius.

Murphy, zur Zeit ein rothaariger Fettmops in langem Ledermantel, der als einfacher Bruder und Dämonenjäger des Ordens vom Weißen Licht in der Schädelhöhle von Maskatan diente, trat mit einem etwas indignierten Gesicht ein und Darenius wusste sofort, dass irgendein Unglück geschehen sein musste. (Je nachdem aus welcher Zeit- und Dimensionsebene des Polyversums er gerade kam, hatte Murphy manchmal auch eine andere Gestalt, war dünner, dicker, hatte eine andere Haarfarbe - oder war mitunter sogar selbst schon zu einer Kreatur des Unheils mutiert. Aber das war Darenius selbst auch schon passiert. Deswegen war er in diesem Punkt nachsichtig. Das Polyversum blieb eben unkalkulierbar, und wer sich auf die Metamagie des Dimensionswandelns einließ, musste mit mehr oder weniger unerfreulichen Überraschungen zurecht kommen.)

„Heraus damit, Murphy!", forderte Darenius ihn zum reden auf. „Was ist geschehen?"

„Es geht um Geirlyjor...", begann der Murphy zögernd.

Nein, nicht schon wieder, dachte Darenius. Manchmal bleibt einem auch nichts erspart. 

Neldarine stemmte die Arme in ihre geschwungenen Hüften.

„Was hat unser Jungdrache wieder angestellt?"

Murphy trat etwas vor und wandte sich direkt an den Herrn vom Höhlenschloss Maskatan.  „Sie wissen, dass ich Sie immer eindringlich davor gewarnt habe, in Geirlyjors Nähe irgendetwas Brennbares liegen zu lassen, dass Ihnen vielleicht wertvoll ist!" Der Dämonenjäger seufzte herzzerreißend und fuhr anschließend fort: „Es geht um ein paar Ihrer alten Folianten aus der Bibliothek, Meister..."

Darenius erbleichte, als ob ihm eine ganze Armee leibhaftiger Höllendämonen begegnet wäre.

„Nein“, flüsterte er.

*

Etwa eine halbe Stunde später verließen Darenius und Neldarine das durch den so genannten M-Schirm vom Einfluss schwarzer Dämonenmagie abgeschirmte Höhlenschloss Maskatan in der Maskatagne. Sie benutzten dazu  Darenius' BMW. Nur das Nötigste hatte Bruder Murphy für den Trip von Meister Darenius in den Süden Frankreichs zusammengepackt.

Darenius' Ankündigung nach handelte es sich ohnehin nur um einen Kurztrip - auch wenn sich der Meister des Ordens vom Heiligen weißen Licht in dieser Hinsicht schon des Öfteren vertan hatte. Als sie das Höhlenschloss hinter sich gelassen hatten, begann Darenius seiner Freundin zu eröffnen, was er inzwischen herausbekommen hatte.

„Hanoman, der allseits geachtete Gott der Affen, hatte einer Legende nach einen dunklen Bruder namens Heng Son. Heng Son neidete seinem Bruder die Beliebtheit bei den Sterblichen, so berichtet die Überlieferung, auf die de Dorodonne-Clement gestoßen ist. Aus diesem Grund beschwor Heng Son Ouroungourhafte Affendämonen mit ledrigen Schwingen und hungrigen Raubtiermäulern."

„Dann muss er sich zuvor eingehend mit schwarzer Magie befasst haben", schloss Neldarine messerscharf.

„Durchaus möglich“, gestand Darenius zu.

„Was geschah dann?“

„Der Legende nach verbündeten sich die anderen Götter gegen Heng Son und verbannten ihn in den Tempel von Chôrangkôr, den er sich selbst von den Sterblichen hatte erbauen lassen. Bei den alten Khmer war Stein ein Baumaterial, das den Göttern vorbehalten war und so gibt es heute nur noch die Ruinen von Tempeln und den Palästen der Gottkönige, während von den Behausungen der einfachen Leute nichts geblieben ist. Wir wissen also nicht, wie groß diese alten Khmer-Städte wirklich waren, da wir nur noch den Kern haben. Aber der Legende nach stellte Chôrangkôr die Hauptstadt Angkor weit in den Schatten. In nur einem Jahr hatte Heng Son sie unter Zuhilfenahme magischer Mittel mitten in den Dschungel hineingebaut und einen künstlichen See dazu angelegt, der den quadratischen, ebenfalls künstlich angelegten See von Angkor Thom wie einen kleinen Tümpel aussehen ließ.“ Darenius atmete tief durch und lenkte seinen BMW um eine enge Kurve, in der ihm ein Lieferwagen entgegenkam. Nur Millimeter trennten beide Fahrzeuge im Augenblick ihrer größten Annäherung.

Aber Darenius blieb vollkommen ruhig. 

Er kommentierte die riskante Fahrweise des anderen Fahrers nicht einmal durch eine bissige Bemerkung, sondern fuhr mit seiner Erzählung fort.

„Die anderen Götter verbannten Heng Son in seiner eigenen Stadt und sorgten mit einem gewaltigen Zauber dafür, dass Chôrangkôr – mitsamt seinem Herrn, in eine andere Welt versetzt wurde. So wurde aus Chôrangkôr die verlorene Stadt, aus seiner Umgebung das verlorene Land... die Legende, die Pierre de Dorodonne-Clement offenbar in einer bislang unbekannten Ruine im Inneren des kambodschanischen Dschungels entdeckte, enthält noch eine Prophezeiung.“

„Wie lautet sie?“

„Dass die Welt unter die Herrschaft Heng Sons fallen wird, wenn sich je wieder geflügelte Affen auf der Erde zeigen sollten. Ein Zeitalter des Bösen würde dann die Folge sein, der Herr des Schreckens würde über die Erde ziehen und seinen unheimlichen Hunger nach Blut und Seelen befriedigen...“

„Klingt fast so, als könnte man da nicht mehr viel machen, sobald diese Ouroungourartigen Wesen aufgetaucht sind“, stellte Neldarine fest.

„Es gibt immer eine Möglichkeit“, widersprach Darenius. „Wenn ich in meinem bisherigen Kampf gegen die Mächte der Finsternis eines gelernt habe, dann ist es dies: Man darf niemals aufgeben.“

Neldarine strich sich eine Strähne ihrer Perücke aus dem Gesicht und schwieg einige Augenblicke.

„Hast du eigentlich schon Kontakt mit der Polizei aufgenommen?“, fragte sie schließlich. „Ich meine, mit der Mordkommission, die doch sicher eingerichtet worden sein wird, um den Tod de Dorodonne-Clements zu untersuchen.“

Darenius schüttelte entschieden den Kopf.

„Nein, habe ich nicht.“

„Aber...“

„Ich bin mir auch nicht sicher, ob das in diesem Fall überhaupt notwendig sein wird... Im Zweifelsfall verlasse ich mich ohnehin lieber auf meine eigenen Ermittlungsmethoden.“

*

Es war später Nachmittag, als Darenius und Neldarine das Herrenhaus von Pierre de Dorodonne-Clement in der Nähe von Aiges-Mortes erreichten.

Das Anwesen erhob sich auf einem Hügel und wurde von einer völlig verwilderten Parklandschaft umgeben.

Es war nur noch in Ansätzen die ursprüngliche Anlage dieses Gartens erkennbar. Offensichtlich war dieses Anwesen und das dazugehörige Land seit Jahren sträflich vernachlässigt worden.

Flatterband grenzte das eigentliche Herrenhaus mit einem Abstand von gut fünfzig Metern ab.

Ein Polizist, der offenbar abkommandiert worden war, um den Tatort zu beobachten, versetzte Darenius mittels seiner Hypnosefähigkeiten kurzerhand in Tiefschlaf. Der Uniformierte sank in das ausgesprochen hohe Gras und verschwand beinahe darin.

Die Tür am Portal war versiegelt und verschlossen. Zuerst dachte Darenius daran, keine Rücksicht auf eventuelle Empfindlichkeiten der Polizei und der Justiz zu nehmen und das Siegel sowie die Tür einfach aufzubrechen. Aber Neldarine fand einen Hintereingang, der überhaupt nicht verschlossen war – geschweige denn versiegelt.

Bevor sie eintraten, zögerte Darenius. Sein Blick blieb an einer bestimmten Stelle im hohen Gras hängen.

„Was ist los, Chèri?“, fragte Neldarine.

„Ich kann die Magie spüren“, erwiderte der Meister des Übersinnlichen. Ja, es konnte für ihn keinen Zweifel geben. Hier, an diesem Ort war zweifellos Magie verwendet worden. Schwarze Magie.

Hatte er zuvor vielleicht noch Zweifel gehegt, ob er im Haus von Pierre de Dorodonne-Clement an der richtigen Adresse war, um mit seinen Nachforschungen zu beginnen, so war diese Frage spätestens jetzt entschieden.

Sie betraten das uralte Herrenhaus.

Darenius hatte sich zuvor etwas über das Leben de Dorodonne-Clements informiert.

Er hatte sich sein Leben lang nichts anderem als seinen Studien widmen können. Auf einen Lehrstuhl oder eine Anstellung bei einem wissenschaftlichen Institut war er dabei nicht angewiesen gewesen.

De Dorodonne-Clement war der einzige Erbe einer reichen Familie gewesen, die über eine Reihe von Landgütern verfügte, die über ganz Südfrankreich verteilt waren. Pierre de Dorodonne-Clement hatte einen Großteil dieses Vermögens in seine kostspieligen Expeditionen hineingesteckt, die ein Fass ohne Boden gewesen zu sein schienen.

Kaum ein Fachkollege hatte zum Schluss seine Thesen noch ernst genommen, die die Grenzbereiche zum Okkultismus nicht nur streiften, sondern bisweilen ziemlich eindeutig überschritten.

Und jetzt war er tot.

Wahrscheinlich zerrissen von dämonenhaften Kreaturen, für deren Erscheinung vermutlich niemand anderes als er selbst die Verantwortung trug.

Darenius und Neldarine gingen die langen, hohen Korridore des Herrenhauses entlang. Was den Wandbehang anging, so wurden die teils bereits rissig gewordenen Wände einerseits von großformatigen Gemälden beherrscht, die entweder mehr oder minder berühmte Vorfahren de Dorodonne-Clements abbildeten, während ein anderer Schwerpunkt auf Kultgegenständen aus dem alten Kambodscha lag. Großformatige Abbildungen von Steinreliefs aus den Tempelruinen von Angkor Wat und Angkor Thom hatte de Dorodonne-Clement auf das Format DIN A 1 vergrößern lassen. Tierhafte Göttergesichter wechselten in diesen Reliefs mit den Darstellungen graziler Tempeltänzerinnen ab.

Hin und wieder hingen auch kleinere Kultgegenstände aus Ton oder Holz an der Wand.

Einige dieser Artefakte waren zu Boden gerissen worden. Darenius blieb stehen und deutete auf Kratzspuren an den Wänden.

Namenlose Wut schien die dämonischen Wesen getrieben zu haben, als sie durch die Korridore des Herrenhauses gestürmt waren.

Darenius und Neldarine erreichten die Eingangshalle. Sie war weitaus schwerer verwüstet, als die Korridore, durch die Darenius und seine Lebensgefährtin bis jetzt gekommen waren.

Hier waren sämtliche Bilder und sonstiger Wandbehang, darunter auch ein kostbarer persischer Gobelin zu Boden gerissen und teilweise zerrissen worden. Die Wände waren bis auf eine Höhe von fast drei Metern mit Kratzspuren übersät.

„Es müssen hunderte dieser geflügelten Affen gewesen sein, die sich hier ausgetobt haben", sagte Neldarine laut. Der helle Klang ihrer Stimme hallte in dem hohen Gemäuer wieder.

Darenius deutete mit der Hand auf einige dieser Spuren. „Siehst du die unterschiedliche Größe dieser Spuren? Die Wesen, die dieses Haus heimsuchten, sind offenbar ebenfalls von sehr unterschiedlicher Größe."

Sie gingen die Wendeltreppe hinauf, die in das obere Stockwerk führte.

Nachdem sie mehrere weitere, völlig verwüstete Räume kurz durchstöbert hatten, gelangten sie in de Dorodonne-Clements Arbeitszimmer.

Auch hier herrschte das pure Chaos.

Markierungen zeigten an, wo die sterblichen Überreste des Wissenschaftlers gefunden worden waren. Die Stellen waren nummeriert und über die gesamte Fläche des Arbeitszimmers verstreut.

Allein der Gedanke an das Grauen, das sich hier zugetragen haben musste, konnte einem das Blut in den Adern gefrieren lassen.

„Ich sehe nirgends einen Computer oder dergleichen", stellte Neldarine etwas verwundert fest. 

Darenius deutete auf einen Abdruck in der Staubschicht die sich dem Schreibtisch im Laufe der Zeit gebildet hatte. Er entsprach genau den Ausmaßen eines handelsüblichen Rechners. „de Dorodonne-Clements Computer scheint entfernt worden sein. Fragt sich nur, ob die Polizei das zu verantworten hat..."

„Oder wer sonst?", unterbrach ihn Neldarine. „Du denkst doch nicht etwa an diese Ouroungour..."

„Spricht irgendetwas dagegen?", fragte Darenius zurück. „Wir wissen weder mit welchem genauen Auftrag sie hier her kamen, noch, ob es sich um unzivilisierte Bestien oder hoch intelligente Killer handelt."

Vielleicht auch eine Mischung aus beidem, überlegte Darenius.

Der Bildschirm fand sich wenig später. Er war zusammen mit der Tastatur achtlos in eine Ecke geworfen worden.

Ähnlich wie in den anderen Räumen des Obergeschosses waren die Wände mit Kratzspuren nur so übersät. Zahllose, teils sicher sehr wertvolle Bücher waren aus ihren Regalen  gerissen und so mancher Einband regelrecht zerfetzt worden. Darenius fiel ein Teppich auf, der ein paar dunkelgrüne Flecken aufwies.

Grün - das war der Überlieferung nach das Blut jener Kreaturen der Nacht, die der dunkle Bruder des Affengottes um sich gescharrt hatte.

Darenius berührte unwillkürlich das handtellergroße Amulett, das er um den Hals trug.

Branagorns Stern schlug an.

Er erwärmte sich leicht.

Die magische Kraft dieser Ouroungour ist noch anwesend, erkannte Darenius. Das war kein Wunder. Schließlich hatten sie etwas sehr Wesentliches zurückgelassen.

Ihr Blut...

„Sehen wir uns noch ein bisschen um“, schlug Neldarine vor. „Irgendetwas Brauchbares, das uns vielleicht dich noch etwas weiter bringt, müssten wir doch endlich in diesem Gemäuer noch auftreiben können...

„Leider sind wir wohl  - nach den Ouroungour Heng Sons und der Polizei  - die Letzten in der Reihe, die hier herumstöbern", erwiderte Darenius ziemlich resigniert.

Ein Geräusch ließ ihn und Neldarine jäh zusammenzucken. Draußen, auf dem Korridor hatte es geknarrt. Natürlich kam es in einem derart alten Haus immer wieder vor, dass sich Fußbodenbretter verzogen und dadurch unerklärliche, beinahe geisterhafte Laute entstanden, die manchmal einem menschlichen Aufstöhnen oder Seufzen ähnelten.

Aber daran glaubte Darenius in diesem Augenblick nicht.

Er zog den Magiestrahler unter seiner Jacke hervor, wo er diese ausgesprochen wirkungsvolle und auch gegen Dämonen und dämonenähnliche Wesen einsetzbare Waffe verborgen trug. Sie haftete dort an einer Magnetplatte, die am Gürtel seiner Hose befestigt war.

Die Wirkung des Blasters ließ sich regulieren. Normalerweise hatten die mit dieser Pistole abgefeuerten Strahlen eine verheerende und in der Regel auch für jedes gewöhnliche Lebewesen tödliche Wirkung. Aber der Magiestrahler ließ sich auch auf Betäubung umschalten.

Darenius legte den Finger auf seinen Mund, während draußen vom Korridor her jetzt eindeutig Schritte zu hören waren.

Darenius und Neldarine postierten sich links und rechts der ins Schloss gefallenen Tür.

Knarrend öffnete sie sich.

Eine junge Frau trat ein. Das brünette Haar fiel ihr lang und offen über die Schultern.

In der Rechten hielt sie einen kurzläufigen, sehr zierlich wirkenden Revolver. Darenius schätzte, dass es sich um eine Waffe vom Kaliber .22 handelte.

Die junge Frau wirbelte herum.

Mit einer entschlossenen Bewegung schlug Neldarine ihr auf das Handgelenk, so dass sie die Waffe fallen ließ.

„Ganz ruhig", sagte Darenius. „Sie haben nichts zu befürchten."

Die junge Frau blickte von Neldarine zu Darenius, der seinen Magiestrahler wieder wegsteckte - eine Waffe, die für die junge Frau wie aus einer anderen Welt wirken musste.

„Wer sind Sie?", fragte Darenius.

Die junge Frau verschränkte ihre Arme vor der Brust. „Dasselbe könnte ich Sie mit sehr viel mehr Recht fragen!", erwiderte sie.

„Ich bin Johannes Darenius und meine Partnerin heißt Neldarine Xerian. Wir versuchen Licht in das Dunkel um Monsieur de Dorodonne-Clements Tod zu bringen", trat Darenius sogleich die Flucht nach vorn an.

Die junge Frau hob die Augenbrauen.

„Dann sind Sie von der Polizei?" Sie machte einen Schritt zurück und hob abwehrend die Hände. „Nein, das kann nicht sein!", schüttelte sie entschieden den Kopf. „Der Beamte, der zur Bewachung des Anwesens abgestellt wurde, hätte mich dann für kein Geld der Welt hier her gelassen."

„Sie haben ihn bestochen?", fragte Darenius.

„Ja - aber was Sie mit ihm gemacht haben, um ihn auszuschalten, wage ich mir gar nicht vorzustellen!"

Darenius lächelte mild.

„Ich glaube, Sie schätzen uns wirklich vollkommen falsch ein. Pierre de Dorodonne-Clement beschäftigte sich mit höchst eigenartigen Studien. Was er betrieb dürfte nicht nur einfach mit der Archäologie des alten Khmer-Reichs zu tun gehabt haben."

Sie hob die Augenbrauen.

„Sondern?"

„Sein wahres Interesse galt wohl der Erforschung gewisser übernatürlicher Mächte, die ihm wohl letztlich auch zum Verhängnis wurden."

„Was reden Sie da nur für einen Unfug zusammen!", erwiderte die junge Frau und strich sich dabei eine Strähne aus ihrem Gesicht.

„Jedenfalls wird die Polizei kaum in der Lage sein, die Hintergründe von Pierre de Dorodonne-Clements Tod wirklich aufzuklären", mischte sich Neldarine in das Gespräch ein.

Die junge Frau atmete tief durch. „Was wissen Sie darüber?", verlangte sie zu wissen.

„Bevor wir dazu auch nur eine Silbe sagen, möchten wir schon ganz gerne wissen, mit wem wir es zu tun haben", erwiderte Neldarine kühl.

Die junge Frau zögerte noch einen Moment. Ihre Züge machten einen nachdenklichen Eindruck.

Sie schien noch abzuwägen, in wieweit sie Darenius und seiner Begleiterin vertrauen könnte. Schließlich überwand sie aber ihre Zweifel und begann zu sprechen.

„Mein Name ist Valerie Cordonnier - und obgleich ich nicht denselben Namen trage, bin ich doch die Tochter von Pierre de Dorodonne-Clement. Seine einzige lebende Verwandte und damit Erbin seines gesamten Nachlasses, wenn Sie verstehen, was ich meine..."

„Sicher verstehe ich das", gab Darenius zurück.

„Um es auf den Punkt zu bringen, ich bin Monsieur de Dorodonne-Clements Alleinerbin. Ich befinde mich also gewissermaßen auf meinem eigenen Besitz - auch wenn diese Bürokraten von der Justiz mir den Zugang zu meinem rechtmäßig Eigentum bislang einfach nicht gewähren wollten."

Darenius hörte Valerie schon gar nicht mehr wirklich zu. Seine Aufmerksamkeit galt etwas anderem. Das Gefühl der Anwesenheit einer schwarzmagischen Kraft war innerhalb der letzten Minuten beständig stärker geworden und jetzt begriff Darenius auch, was die Quelle dieser Kraft war. 

Das dunkelgrüne, getrocknete Ouroungourblut auf dem Teppich!

Die Flecken gewannen plötzlich auf unheimliche Weise an Substanz. Sie wuchsen innerhalb von Sekunden zu grünlich schimmernden, unförmigen Klumpen heran, in deren Mitte sich Paare von wie rot glühend leuchtenden Augen bildeten. Arme, Beine, siebenfingrige Hände und lederhäutige Schwingen formten sich. Aus den knöchernen Verdickungen an den Schwanzenden wuchsen dolchartige Stacheln heraus.

Drohende Knurrlaute gingen von diesen Wesen aus.

In de Dorodonne-Clements Arbeitszimmer gab es Dutzende von kleinen Flecken mit grünem Ouroungourblut. Offenbar hatte sich der Wissenschaftler nach Kräften gewehrt, bevor ihn diese Kreaturen der Finsternis schließlich im wahrsten Sinne des Wortes zerrissen hatten.

Aus jedem dieser Flecken wuchs nun ein geflügelter Affe hervor. Manche von ihnen waren winzig. Kaum größer als eine Hand oder ein Finger.

Ihre Größe schien von der jeweils zur Verfügung stehenden Menge an Ouroungourblut abhängig zu sein.

Ein gutes Dutzend dieser Nachtkreaturen setzten im selben Moment zum Angriff an und sprangen mit weit geöffneten Mäulern und ausgestreckten Krallenhänden auf Darenius, Neldarine und Valerie zu.

Darenius verschob eine der Elbenrunen auf Branagorns Stern.

Das handtellergroße Amulett erhitzte sich.

Blitze zuckten daraus hervor und vernichteten eine Schattenkreatur nach der anderen. 

Ein sehr kleiner Ouroungour, kaum größer ein Daumennagel, sprang Valerie an, krabbelte über ihren Arm höher und höher, bis er schließlich ihren Hals erreichte.

Die junge Frau schrie. Sie schlug mit den Händen um sich und schüttelte den winzigen geflügelten Affen wie ein lästiges Insekt von sich. Im hohen Bogen flog er durch die Luft. Einer der aus dem Amulett herausschießenden magischen Blitze erfasste ihn und verdampfte ihn zu Staub.

Darenius stellte sich vor Neldarine und Valerie. Das grünlich schimmernde Schutzfeld, das durch das Amulett jetzt aktiviert wurde, hüllte sie alle drei ein.

Nur wenige Augenblicke dauerte Darenius' Kampf gegen diese aus Dämonenblut geborenen Kreaturen.

Dann waren sie sämtlich vernichtet. Zwei oder drei von ihnen entkamen durch das nur notdürftig mit Folie verklebte Fenster und gelangten ins Freie.

Die anderen wurden unter dem Beschuss der Blitze, die aus Darenius' Amulett herausschossen zu Staub.

Ein eigenartiger Geruch verbreitete sich in Pierre de Dorodonne-Clements ehemaligem Arbeitszimmer. Es war eine Mischung aus verbranntem Fleisch und Fäulnis. Der aasige Atem der Hölle selbst, so kam es Darenius für einen Moment vor.

„Gehen wir besser“, schlug Neldarine vor.

Valerie hingegen war unfähig, auch nur ein einziges Wort herauszubringen. Sie würgte und rang nach Luft. Ihr Gesicht war so bleich wie die Wand geworden.

Niemand außer ihr bemerkte die kleine Wunde an der Handinnenfläche ihrer linken Hand, die bei dem Angriff des winzigen Ouroungour entstanden war.

„Ich hoffe, mit Ihnen ist alles in Ordnung", meinte Darenius.

„Mit mir ist alles okay", antwortete Valerie. „Zumindest ist nichts passiert, was der Rede wert gewesen wäre.“

Aber das war ein Irrtum.

*

Ein schwerer Geruch von Fäulnis und Moder hing in dem hohen, von flackernden Fackeln erhellten Saal.

Düstere, in Kutten gehüllte Gestalten hatten sich in einem Halbkreis um einen Thron versammelt. Die Kapuzen diese Kuttenträger waren tief ins Gesicht gezogen, so dass von ihren Gesichtern nichts zu sehen war. Auch der Schein der Flammen konnte die Finsternis darunter nicht erhellen.

Der Thron, um den sich die etwa fünfzig Kuttenträger gruppiert hatten, war aus versteinerten Schädeln errichtet worden. Schädel von Menschen waren ebenso darunter wie tierisch wirkende, durch lange Reißzähne gekennzeichnete Totenköpfe anderer Arten.

Unter anderem zählten dazu wohl die geflügelten, rotäugigen Affen, die sich zu Hunderten und in nahezu jeglicher Größe im Saal befanden. Viele von ihnen kauerten dicht gedrängt in Gruppen beieinander. Den Blick ihrer funkelnden Dämonenaugen hielten sie dabei gesenkt. So als wollten sie es vermeiden, mit jener Kreatur direkten Blickkontakt aufzunehmen, die sich auf dem Knochenthron niedergelassen hatte...

Das Leuchten ihrer wie glühend wirkenden Augen pulsierte sehr viel schneller, als man es beobachten konnte, wenn man sie andernorts antraf.

Manche der kleineren Ouroungour, von denen viele nur die Größe menschlicher Hände oder Finger aufwiesen, manche sogar an Insekten erinnerten, flogen und kletterten an der gewölbten Decke dieses unheimlichen Thronsaals herum, von der Primatenschädel jeglicher Art an hauchdünnen, aber sehr haltbaren Fäden herabhingen. Bei dem geringsten Aufkommen von Zugluft geriet dieses groteske Mobile des Grauens in Bewegung. Hin und wieder klammerten sich kleinere Exemplare unter den Ouroungour an diese Fäden oder an die daran befestigten Schädel und schwangen damit hin und her. Besonders winzige unter den geflügelten Affen machten sich offenbar einen Spaß daraus, durch die leeren Augen- und Mundhöhlen der Schädel hindurch zu fliegen.

Aber auch sie schienen allergrößten Respekt vor jenem Wesen zu haben, das den Thron besetzte und von dem sie wussten, dass es ihr Herr war.

Ein Herr, der absolute Unterwerfung forderte und jeden Hauch von Ungehorsam grausam bestrafte.

Es reichte schon ein leises Knurren, um die in dem eigenartigen Schädel-Mobilé herumturnenden Klein-Ouroungour augenblicklich zur Räson zu bringen und in eine andächtige Erstarrung zu versetzen, in der sie dann aufmerksam den Anweisungen ihres Herrn und Meisters lauschten.

Eines Herrn und Meisters, den keiner von ihnen je gesehen hatte, obwohl er doch vor ihnen auf dem Schädelthron saß und niemand seine Anwesenheit ernsthaft bestreiten konnte.

Ein Schattenfeld umgab Heng Son, den dunklen Bruder des geliebten Affengottes Hanoman, von dessen Existenz die meisten Sterblichen nichts ahnten. Und diejenigen, die von seiner Existenz wussten, versuchten ihn so schnell wie möglich zu vergessen, damit er sie nicht bis in ihre Alpträume hinein verfolgte. Denn auch das war Heng Son – der Herr der Alpträume.

Der Umriss des Schattenfeldes hatte keine eindeutigen Konturen. Es ging kaum merklich in das Halbdunkel über, das in dem Thronsaal herrschte. Kein Lichtstrahl vermochte es, in dieses Dunkelfeld einzudringen und es zu erhellen.

Viele Geschichten rankten sich um Heng Son. Sowohl unter den Sterblichen, als auch unter den Ouroungour erzählte man sich, dass sich der dunkle Bruder des Affengottes in den Zeitaltern seiner Herrschaft über das vergessene Land und die vergessene Stadt Chôrangkôr sehr stark verändert hätte.

Aber wer hätte dies schon bezeugen können, da ihn seit Jahrhunderten niemand mehr gesehen hatte?

Und Herrschaft war Heng Sons Ansicht nach auch das völlig falsche Wort, um seine gegenwärtige Existenz zu charakterisieren. Ein Herrscher war er nur für seine Untertanen und willigen Knechte, die er mit Hilfe seiner schwarzmagischen Fähigkeiten und Kräfte in seinen Bann zu ziehen vermochte.

Er selbst sah sich anders.

Ich bin ein Verbannter, dachte er. Einer, dem man die Wiederkehr auf ewig versagen wollte – aber diese Zeit nähert sich dem Ende. Die Macht der alten Götter ist im Schwinden begriffen und meine nimmt zu. Ich werde sehr bald schon mächtiger auf die Erde zurückkehren, als ich sie seinerzeit unter Zwang verlassen musste...

Niemand konnte sehen, wie sich unter dem Schattenfeld knöcherne, siebenfingrige Hände zu grimmigen Fäusten ballten. Da war so viel Zorn, so viel Hass, so viel Lust an namenloser Grausamkeit, die sich in all den Jahrhunderten aufgestaut hatte. Wie oft hatte er davon geträumt, seine Herrschaft des Schreckens und der Finsternis zu etablieren. Niemanden, der ihm auch nur im Entferntesten hätte gefährlich werden können, würde er verschonen. Diesmal nicht, schwor er sich. Diesmal sollte es anders kommen, als damals. Ich hatte die Gelegenheit meinen Bruder und seine Helfershelfer zu vernichten, erinnerte er sich, aber ich habe diese einmalige Gelegenheit verstreichen lassen... Wen willst du denn nun dafür verantwortlich machen, außer dich selbst?, meckerte in der hintersten Ecke seiner finsteren Seele eine kritische Stimme, die Heng Son am liebsten auch zum Schweigen gebracht hätte, was sich allerdings bisweilen als viel schwieriger erwies, als der Umgang mit seinen Gegnern, mit denen er kurzen Prozess zu machen pflegte. Es war dein eigenes Versagen, deine eigene  Feigheit, die dich in deine jetzige Situation gebracht hat. Verbannt in einem Land, das nicht umsonst das vergessene Land genannt wird. Du kannst von Glück reden, dass man dich in all diesen Jahren nicht auch vergessen hat...

Das Schlimme und Qualvolle für Heng Son war die Erkenntnis, dass diese unangenehme Stimme aus den Tiefen seiner Seele Recht hatte. Es war tatsächlich sein Versagen, das zu dem Desaster geführt hatte.

Heng Son, der Meister der schwarzen Magie, hätte ein Ritual von ungeahnter Macht ausführen können, um seine damaligen Gegner auf alle Zeiten zu vernichten. Nie wieder hätte jemand ihm dann seine Herrschaft streitig machen können.

Aber Heng Son hatte gezögert.

Die Folgen, die die Beschwörung derart unkalkulierbarer Mächte nach sich ziehen konnte, hatten ihn zurückschrecken lassen. Dabei hatte er weniger an die Folgen für andere als an die gedacht, die ihn selbst treffen konnten. 

Ich hätte es riskieren müssen, eventuell die Kontrolle über diese schwarzen Mächte zu verlieren und selbst vernichtet zu werden,