33 Spots - Ernst Wilhelm Möbius - E-Book

33 Spots E-Book

Ernst Wilhelm Möbius

0,0

Beschreibung

Kurzgeschichten zwischen den Welten und Empfindungenbranche

Das E-Book 33 Spots wird angeboten von Books on Demand und wurde mit folgenden Begriffen kategorisiert:
Weltall, Kindheit, Begierden, Science Fiction, Visionen

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 70

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Inhaltsverzeichnis

1. RETTUNG

2. RAUSCHEN

3. YAMANAK, DAS LIED DER HÖHEN

4. DER TANZ

5. VOLLALARM

6. DANIELLE

7. DIE BRÜCKE

8. DAS ALTE WEITE TAL

9. CONVENTION

10. GOLDENES KLEID

11. DANTE

12. DER GENERAL

13. DIE BÄRIN

14. DIE QUOTE

15. STILLE

16. WIR MIETEN BEI ROSI

17. DER BLICK ÜBERS GARTENRESTAURANT

18. VERSCHLUSS

19. DER KELCH

20. DIE KlEINE BAR

21. LILIATA RUTILANTIUM

22. DIE BUSFAHRT

23. REICHER HAFEN

24. BILDZITTERN

25. KLINGENBERG

26. Grenze

27. SCHNABEL

28. COCKTAIL

29. KRIMI

30. SACHZWÄNGE

31. BEZIEHUNG

32. MONDGARTEN

33. ZUGFAHRT PRENZLAU

1 RETTUNG

Als ich mein Bett verließ, wütete lautlos der Mitternachtssturm. Die hohen Kronen des Hains im Innenhof wurden gewalkt und gebeugt. Der vordere Baum wurde rückwärts gegen einen kleinen Hügel gedrückt und langsam umgelegt. Das Erdreich vor ihm riß auf, die Wurzeln brachen hervor und warfen den Boden hoch.

Ein bleicher Schein hatte das Schauspiel beleuchtet und verlöschte, als der Baum gestürzt war. An die Lichtlosigkeit, die darauf folgte hatten wir uns allmählich gewöhnt. Seit einigen Wochen war die Sonne unregelmäßig und immer seltener erschienen; keiner wagte mehr ihren nächsten Aufgang vorherzusagen. Ich gebe zu, daß mir ihre vollständige Abwesenheit im Moment lieber war, als das gelegentliche düstere Aufglosen, mit dem sie uns, schon mehrfach in Schrecken versetzt hatte. Es ereignete sich so unregelmäßig, es geschah an derart ungewohnten Himmelsorten und in einem solchen Rot, daß es absolut etwas Bösartiges gewann.

Die Finsternis, so wie sie jetzt herrschte, war wie tiefes aber sehr klares Wasser ich konnte alles erkennen. Ruhig aber mit der gebotenen Vorsicht bewegte ich mich zwischen den Baumriesen vorwärts. Einige Stück Großvieh standen reglos da wie in dumpfer Erwartung. Im Hintergrund sah ich schon den gelb erleuchteten Eingang ihres Hauses.

Den Stier meinte ich ungesehen passieren zu können, als ich ihn plötzlich dicht hinter mir spürte. Er versuchte, mir mit roter großer Zunge das Ohr zu lecken. Steif und langsam ging ich in seinem heißen Atem weiter, während er heiser auf mich einredete: “Weiß nicht, was heute mit den Kühen los ist... überhaupt kein Entgegenkommen... das Wetter...”, er blieb an meinem Ohr, “... oder kannst Du mir vielleicht...?”

Schließlich näherte ich mich der halbgeöffneten Tür, aus der der gelbe Lichtschein fiel. Und da war sie auch schon, die Schlange, halb aufgerichtet und an den Rahmen gelehnt. Obwohl ihr Lächeln etwas starrte, war ich gewiß, daß ihr Leib, der unter dem engen dunkelgrünen Schuppenkleid weiblich geteilte Rundungen aufwies, daß ihre Lippen, die bei aller Fülle an der Oberfläche leicht gerauht waren - wie ihre Stimme - daß sie, die da bequem abwartend stand, mich retten würde.

2 RAUSCHEN

Unser Hinterhof ist vollständig von vier- und fünfstöckigen Wohnhausreihen eingeschlossen. Er ist etwa zweihundert Meter lang aber nur zwanzig breit. Mit der einsinkenden Dunkelheit gehen hinter einigen Gardinen Lampen an. Sie projizierten wachsende und schrumpfende Schatten. Wir selbst sprachen halblaut und hörten dazwischen Reden von anderen Balkons, Auflachen und manchmal Musik.

Der Himmel hoch über uns wird mit der Zeit eher durchsichtiger als dunkler. In dem grundlosen gläsernen Blau zieht der Wind vier riesige Pappelkronen hin und her. Die Bäume stehen in einer Reihe nebeneinander und überragen die Dächer unseres Blockes beträchtlich. Ein viertel ihrer Länge befindet sich damit nicht mehr im windgeschützten Bereich. Bei zunehmender Dunkelheit werden die Leute stiller und bald auch die Vögel. Dafür rauschen die Bäume immer deutlicher, manchmal bloß hell und raschelnd, dann wieder anschwellend zu singender Fülle.

Ich raune ihr zu: “Stell Dir mal die Zeit vor, als die Menschen noch nicht sprachen ... nur rufen und lallen... und vorher, bevor sie da waren, nichts als weites Grasland, wiehern, brüllen, trompeten. Davor wieder Reptilien... vielleicht nur einzelne Laute wie alte Holztüren. Ganz andere Kontinente, wenn man nur mal einen Blick drauf werfen könnte... Ich denke immer an weißen Sand, Farnwald und grüne flache Meere. Aber zu allen Zeiten dies Rauschen, alle die vor uns waren haben es gehört... was meinst Du, klingt es deswegen wie aus der Vorzeit?”

“Ich glaub schon,” sagte sie leicht, “aber mir ist auch, als wenn sie was sagen wollten.” Fast alle Lichter sind inzwischen ausgegangen. Nur in großen Abständen sind ruhige Sätze zu hören. Die Baumsilhouetten sind jetzt noch schwärzer als der Himmel dahinter. Unablässig wandeln und beugen sie sich und wechseln ihre Gestalt. Dabei klingt ihr stetiges Rauschen mal dunkler mal heller und wenn sie sich groß und langsam neigen wie schwarze Segel, dann schäumt es auf, ein Schiff, das ablegt.

3 YAMANAK, DAS LIED DER HÖHEN

Auf mindestens acht von zwölf Bahnhofsgleisen warteten bunte, verheißungsvolle Urlaubszüge. Wir aber ließen sie, die wir selbst schon in grüne Abgründe blickten, noch weiter unter uns, indem wir auf einer breiten, gelblichen Holztreppe die Höhe erklommen. Eigentlich wollten wir in die Ferne, aber wir vertrauten der Verheißung nicht und wählten statt ihrer den langen Aufstieg, per aspera ad astra. Oben verdeckten die Flanken der Kuppel bei abnehmender Steilheit den Blick in das Tal. In dem reinen Sand lagen große Balken mit Sitzen in Form schräger Bretter als Lehnen darauf. Sie waren zwar ziemlich aufgefasert an den Kanten, schwebten dafür aber einige Handbreit über dem Boden. Dies war die Einladung, auf sanfterem Anstieg nach zwei- oder dreihundert Metern das Schloß auf der Anhöhe zu betreten. Wir waren in Wandlung begriffen und freuten uns auf das himmlische Grillfest. Jeder hatte einen guten Beitrag, die Liebe wuchs und die Stimmung - nur das Schloß da oben wirkte etwas still.

Aber es gab durchaus Geselligkeit. Da der Weg nach unten immer enger wurde, kehrte ich um, suchte weiter und fand meine verlorenen Gäste, ein knappes Dutzend vielleicht, hinter der übernächsten Wand. Das Kopfende der Tafel war noch frei; ich setzte mich und sagte, prima daß Ihr gekommen seid. Hattet Ihr alle eine gute Anreise? Man stimmte im Allgemeinen zu, berichtete aber auch vereinzelt und humoristisch von mittleren Ärgernissen. Mich irritierte dabei nur die vollkommene Reglosigkeit der Gäste. Auch fiel mir ihre dunkelgraue Haut und das violette Fleisch auf, durch welches hier und da in Schwarz ein Knochen oder ein ausgelaufenes Auge glänzten. Ein Farbspektrum, das die Möbel aus Schiefergestein sanft ergänzten.

Zuerst bitte ich Euch zuzugreifen und dann erzählt wie Ihr hergekommen seid, sagte ich. Über die letzte Frage entwickelte sich ein heiterer Dialog. Allerdings kamen die Antworten meiner Gäste immer von einer anderen Seite, d.h. ich sah nie jemanden sprechen. Wenn ich mich in die Richtung wandte, aus der ich den Beitrag hörte, dann hatte sich nichts verändert, keine Kopfhaltung, keine Mundstellung. Dafür kam dann die nächste Antwort aus einer anderen Richtung. Nur war dort auch wieder nichts festzustellen, wenn ich die optische Entsprechung zum akustischen Erlebnis suchte.

Hatten Verborgene sich die Kommunikation vorbehalten? Die Luft war dünner geworden. ES sprach, aber es gab kein WER. Irgendwie war der Geist oder war Gott gegenwärtig und äußerte sich verbal in seiner inspirierten Art: “reichst Du mir mal den Lachstartar rüber. ” oder “was, sechs Kilometer?! der Stau war zwanzig!” oder “ein Skandal, diese Inszenierung - wieso? ” Aber die, die einst seine, des Geistes Träger waren, zeigten keine Bewegung, genauer, eine die nur im Zeitraffer erkennbar wurde - sie zeigten die Folgen laufender Verwesung.

Dann war es Nacht und es lag graues Mondlicht auf dem Zementputz einiger hoher kahler Wände und Mauern. Um mich herum war es einsamer geworden. Die Begleiter, eben noch gesprächig und gut aufgelegt, verblaßten oder verschwanden. Aber genau wie unseren Vorfahren bei der Erfindung der Unsterblichkeit, war es mir unmöglich, die Verschwundenen dem Nichts zu überantworten. So wie wir fragen, woher? wenn wir hören, die Welt kam aus der Singularität, so fragte ich: wo waren sie hin? Nichts konnten sie nicht sein. Aber was dann? In welcher Gestalt würden sie mich wieder aufsuchen? Lösten sie sich schon aus dem Grau der Ferne?