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... "Beugʼ dich nach vorn", sagte er und drückte ihren Kopf leicht nach unten. Sie beugte sich vor, legte ihre Stirn auf die Hände und betrachtete den dicht gewebten, persischen Teppich, der ihr dunkel, tief und rot wie das Begehren in seinen Augen entgegen leuchtete. Er legte seine Hände an ihre Hüften und presste sich an sie. Wärme drang von seinem Körper an den ihren. Seine Nägel bohrten sich in ihre Haut ...
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Seitenzahl: 24
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Saga
Eines späten Märzabends. Es hatte den ganzen Tag über geregnet und graue, matschige Schneereste trieben über den Gehsteig. Sie wohnte in der Eigentumswohnung einer Wohnanlage in Vesterbro, einem Stadtteil von Kopenhagen. Gerade war sie dabei, den Schlüssel ins Schloss der Haustür zu stecken, als sie eine Gestalt bemerkte, die auf der Stufe direkt vor ihr saß. Es war ein Mann, beinahe unsichtbar in seinem schwarzen Mantel und einem Schal, der sein Gesicht verdeckte. Er sah zu ihr auf, der Schal rutschte nach unten und ein bleiches Gesicht mit einer kleinen, blutenden Wunde auf der Stirn kam zum Vorschein.
„Darf ich kurz vorbeigehen?“, fragte sie. Ihre Blicke trafen sich ohne Aggressionen. Er saß einfach nur da – bleich und blutig. Sie musste wohl gestarrt haben, denn er murmelte etwas von ein paar besoffenen Typen, die ihn ins Gebüsch gestoßen hatten. Er senkte seinen Blick, rückte an den äußersten Rand der Treppe und schlang die Arme um seinen Körper.
Sie schloss auf und trat ein. Das Geräusch der zufallenden Tür ließ sie innehalten. Es war ein langer und anstrengender Tag im Büro gewesen und eigentlich hätte sie erschöpft sein sollen, doch der Anblick des Mannes auf der Treppe draußen vor der Tür erfüllte sie mit Energie. Dieses Gesicht. Sie musste es haben. Es könnte die Perle der Ausstellung werden, die Hauptattraktion. Sie drehte sich um und luscherte durch die Fensterscheibe der Eingangstür. Er saß noch immer da. Ein Gefühl der Anspannung überkam sie. Sie machte auf. „Möchtest du etwas zu essen und eine Tasse Kaffee?“
Ein Ausdruck der Verwunderung lief über sein Gesicht, dann nickte er, kam auf die Beine und folgte ihr mit steifen Gliedern die Treppen hinauf.
Als er über die Schwelle der großen Dachgeschosswohnung trat, gab er ein kurzes Pfeifen von sich. Sie lächelte ein wenig – diese Reaktion war sie gewohnt, wenn Gäste ihre Wohnung zum ersten Mal sahen.
Der Mann blieb an der Wohnungstür stehen und sah sich um. Sie schaltete eine Wandlampe ein. Weißes Licht fiel auf ihn herab und machte seine dick eingehüllten Umrisse deutlicher und voluminöser. Seine Hände lugten aus den Mantelärmeln hervor. Groß und fremd. Seine Kleidung war schäbig. Und stand er nicht sogar etwas unsicher auf den Beinen? War er krank? Oder drogenabhängig?! Erst jetzt überkam sie ein Gefühl der Angst. Sie war nahe daran zu bereuen, dass sie ihn nach oben gebeten hatte.
„Ich bin clean“, sagte er, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Er kämpfte mit seinen Ärmeln, schob sie nach oben und streckte ihr seine Arme entgegen. Sie waren weiß und mager und ohne jegliche Spur von Einstichstellen. „Ich bin einfach nur obdachlos.“ Seine Stimme war schrill und doch zugleich sanftmütig.