Der Handwerker und zehn andere erotische Erika Lust Geschichten - Marianne Sophia Wise - E-Book

Der Handwerker und zehn andere erotische Erika Lust Geschichten E-Book

Marianne Sophia Wise

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  • Herausgeber: LUST
  • Kategorie: Erotik
  • Serie: LUST
  • Sprache: Deutsch
  • Veröffentlichungsjahr: 2019
Beschreibung

Hemmungslose Kurzgeschichten über Lust und Verlangen!Henry arbeitet als Hilfsarbeiter auf einer Bohrinsel in der Nordsee. Zwei Wochen lang arbeitet er durchgehend zwölf Stunden am Tag, anschließend geht es für ihn zurück aufs Festland. Im Urlaub lässt er es sich gut gehen: Spaß haben, Freunde treffen, Frauen vögeln. Seine Maxime ist einfach: Eine Nacht, eine Frau. Nur ein einziges Mal macht er eine Ausnahme. Ihr Name ist Clara und die bringt Henry ganz schön ins Schwitzen... Lassen Sie sich verführen von prickelnden Novellen, die ebenfalls in diesem Hörbuch enthalten sind: Lieber SchwagerDer FeministEin neuer FreundTinder-TaxiDer HandwerkerDer rote DiamantDas Spiel mit Mr. XSeeräuber JennyMeine Erinnerungen an dichGeneration Autosex-

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Seitenzahl: 202

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Diverse

Der Handwerker und zehn andere erotische Erika Lust Geschichten

Lust

Der Handwerker und zehn andere erotische Erika Lust Geschichten Übersetzt von

Joachim Benthin Mortensen, Kirsten Evers, Rebecca Jakobi Copyright © 2018, 2019 Diverse und LUST All rights reserved ISBN: 9788726150087

1. Ebook-Auflage, 2019

Format: EPUB 2.0

Dieses Buch ist urheberrechtlich geschützt. Kopieren für gewerbliche und öffentliche Zwecke ist nur mit Zustimmung von LUST gestattet.

Lieber Schwager

Nur zwei Stunden, nachdem alle Gäste zu Bett gegangen sind, wache ich in dem großen, ländlichen Ferienhaus auf. Das liegt wohl vor allem am Rotwein. Ich habe den Überblick verloren, wie viele wir sind. Die ganze Familie ist hier zum jährlichen Treffen zusammengekommen. Es gab einen Haufen Gerede, Diskussionen und Wangenküsse. Manchmal fällt es mir schwer zu glauben, dass mein Mann Joel und ich wirklich zu dieser Familie gehören. Er legt sonst eine gewisse Verschlossenheit an den Tag, vielleicht ist die aber auch erst in letzter Zeit entstanden.

Im Haus herrscht Stille. Nur Jacob und ich schlafen im Hauptgebäude. Seit mehreren Jahren schlafen Joel und ich getrennt, er schnarcht nämlich. Wir behaupten jedenfalls, dass es daran liegt. Ich bin es gewohnt, allein zu schlafen. Ich bin es auch gewohnt, lange wach zu liegen und während der Sommermonate zu Schlaflosigkeit zu neigen. Ich war schon immer ein begieriger Mensch. Besonders in diesem Sommer habe ich mich nach Berührung und Intimität gesehnt. Jacob, Joels kleiner Bruder, hat irgendetwas. Etwas Drängendes, Freches. Einen Funken, der noch nicht verglüht ist. Eine Gefahr, die er noch nicht zu zügeln gelernt hat.

Die Bettwäsche ist schwer, im Zimmer herrscht kühle Luft. Ich schalte das Nachtlicht an. Über dem Bettrand hängt ein großes Gemälde italienischer Weinberge, wie man sie bei Tag auch durch das Fenster sieht. Auf der Bettwäsche sind große Blumen abgebildet und am Fußende liegt eine dicke Decke.

Mein gepunkteter Seidenkimono liegt auf einem Lehnstuhl. Ich stehe auf und schmiege ihn um meinen Körper, knote ihn locker zusammen. Ich betrachte mich im Spiegel an der Wand. So schlimm ist es nicht. Das Band des Kimonos betont die schmale Taille über meinem kurvigen Po. Ich streiche mir das Haar aus dem Gesicht und befestige es mit einer Spange. Danach gehe ich den langen Gang entlang zur Küche. Ich stehe meistens auf, wenn ich nicht schlafen kann und trage meist nichts als den Kimono. Die dunklen Stunden lassen mich aufblühen, sie gehören ganz allein mir.

Draußen scheint der Mond hell. Auf dem Weg schalte ich das Licht an, dann auch in der Küche, bevor ich mir ein frisches Glas Rotwein einschenke. Wie der Rest des Hauses strahlt die Küche eine ländliche Idylle aus. Ich glaube, eine Tante wohnt hier. Auf einem Landsitz, der seit Generationen weitervererbt wird. Dieser Bruch mit der Stadt ist angenehm. Die Klinkersteine auf dem Boden sind immer noch warm von der Hitze, die sie den Tag über aufgesaugt haben. Ich setze mich auf einen der hohen Stühle. Meine Nägel sind wegen des Festes rot lackiert. Ich spüre die Seide auf meiner Haut. Der Wein duftet stark, als ich an ihm nippe. Da höre ich ein Poltern von der Treppe und einen Augenblick später kommt Jacob zum Vorschein. Er wirkt verschlafen, fragt, ob ich nicht schlafen kann und nickt in Richtung meines Glases. Ich lächle und erkläre, dass ich im Sommer bei Vollmond oft unter Schlaflosigkeit leide. Er lächelt, nickt, und nimmt sich auch ein Weinglas aus dem Schrank hinter mir. Er ist barfuß, trägt dunkle Jeans und ein weißes Unterhemd. Während er sich einschenkt, bewegen sich die Muskeln unter seiner goldenen Haut. Zwischen uns war schon immer eine Art Flirt am Laufen. Lange Blicke, leichte Berührungen und so weiter. Als ich im Lauf des Tages ein Bad nahm, schloss ich die Tür nicht ab und Jacob platzte herein, während ich nackt auf dem Boden stand und gerade meinen Körper eingeölt hatte. Einen Moment zögerte er, ehe er die Tür wieder schloss. Seine Wangen erröteten, als ich ihn später zum Essen traf. Gleichzeitig bekam ich Appetit auf ihn. Die Beleuchtung in der Küche ist düster. Wir stoßen an. Unsere Blicke treffen sich. Jacob hakt nach, wie es mir eigentlich geht. Er meint, bemerkt zu haben, dass sein Bruder und ich uns voneinander entfernen. Versucht er etwas aus mir herauszukitzeln? Was er bemerkt hat, stimmt. So läuft es schon seit langem. Ich antworte ausweichend. Ich habe keine Lust, über Joel und unsere Beziehungsprobleme zu reden. Stattdessen lenke ich das Gespräch auf Jacob. Er führt ein sehr aufregendes Leben und hat immer unübertreffliche Anekdoten zu erzählen. Sein breites Lächeln ist blendend weiß. Sein Haar fällt ihm ins Gesicht, wenn er gestikuliert. Dabei kommt die italienische Abstammung zum Vorschein. Unsere Knie berühren sich unter dem Tisch. Ich lasse meine Beine ein wenig auseinandergleiten. Wärme schießt in meine Wangen. Das Gespräch läuft gut. Wir leeren den Wein. Unter der Haut spüre ich mein Herz, den Kontakt zu meiner Jugend, Freiheit. Zu der Frau, die ich war, bevor ich sesshaft wurde, bevor ich an ein Dasein mit Joel gekettet wurde, das wir scheinbar allmählich beide wieder verlassen wollen.

In einem der Schränke findet Jacob ein halbes Päckchen Zigaretten und eine Schachtel Streichhölzer. Wir teilen uns eine Zigarette, obwohl keiner von uns raucht. Wir tun es, weil wir es können. Ich fühle mich geschmeichelt, jung. Plötzlich steht Jacob auf, reicht mir die Hand und bittet mich zum Tanz. Er hält mich am gestreckten Arm, zieht mich zu sich, dreht mich. Er summt ein Lied. Sonst ist niemand im Haus, also brauchen wir nicht leise zu sein. Wir lachen. Die Flammen der zwei Kerzen auf dem Tisch tanzen. Wir wirbeln umher. Der Knoten meines Seidenkimonos löst sich und im nächsten Augenblick stehe ich Jacob halbnackt gegenüber. Meine eine Brust ist entblößt. Wir starren einander intensiv an, noch immer ein wenig außer Puste. Ich decke mich nicht wieder zu. Mit zwei schnellen Schritten ist er bei mir, legt die Hände um mein Gesicht und küsst mich innig. Er lässt die Zunge meinen Hals und die Brust hinabwandern, während seine Hände meinen Rücken unter der Seide entlanggleiten. Mein Körper zittert, öffnet sich gleichzeitig. Jacob kniet nieder und dreht mich zum Küchentisch, fegt den Kimono beiseite und küsst mich auf den Hintern, während er mich mit italienischen Vokabeln umschmeichelt. Ich kann hören, wie er seinen Gürtel öffnet. Er hebt eines meiner Beine und kommt näher. In der Spiegelung in den dunklen Fenstern kann ich uns sehen. Die Grenze zwischen uns ist aufgehoben. Die Spannung gelöst. Alles geht so schnell. Zu keinem Zeitpunkt fürchte ich, dass jemand hereinkommen könne. Hinter dem, was wir jetzt tun, steckt Absicht.

Vor dem Sofa zieht Jacob sich aus, während ich mich auf das Leder lege. Sein Körper ist jung und angespannt. Sein Penis ist steif. Er legt sich auf mich, während er mir in die Augen starrt. In einer ausladenden Bewegung gleitet er hinein, während er das Gesicht in Freude und Schmerz verzieht.

Seine Laute sind jung und voller Eifer. Das schmeichelt mir, ich bin Stille gewohnt. Ich schubse ihn weg, er lehnt sich nach hinten und ich neige mich über ihn. Selbst unten ist er nicht in der Lage, seine Begeisterung zurückzuhalten. Unter mir bewegt er sich, angespannt. Unsere Körper kleben am Leder. Der Stoff knarzt. Ich schließe die Augen, spüre seinen angespannten Körper unter meinem. Seine glänzenden Augen, die mich betrachten, in mir eine erfahrene Frau sehen. Eine verbotene Begierde. Die ganze Zeit steht er kurz vor dem Orgasmus. Seine Bewegungen sind elektrisch und seine Kehle jedes Mal gespannt, wenn ich mich senke. Er greift fest nach meinen Hinterbacken und gibt sich den Bewegungen hin. Er schießt mit den Hüften aufwärts und sein Blick bleibt leer. Wieder stoppe ich ihn, indem ich meine Hände auf seine Brust lege und ihn lang und feucht küsse.

Ich erhebe mich und Jacob setzt sich auf. Ich knie vor dem Sofa zwischen seinen Beinen nieder. Ich kneife die Lippen zusammen und befeuchte sie. Jacob dreht die Tischlampe so, dass sie mein Gesicht beleuchtet. Er hält seinen Penis fest umklammert. Ich spüre seine Wärme in meinem Gesicht. Ich lehne mich ein Stück nach vorn und öffne den Mund ein wenig. Während er sich selbst berührt, schaut er mich an. Es ist auf eine Weise charmant, dass allein mein Gesicht schon dazu einlädt. Ich lasse den Mund leicht geöffnet, lege die Arme um ihn und massiere seinen Hintern. Er weiß, wo er sich anfassen muss. Ich küsse die Innenseite seiner Oberschenkel entlang. Seine Haut ist feucht. Er kommt in drei langen Stößen. Er greift nach meiner Schulter, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Die warme Flüssigkeit läuft über meinen Bauch. Er setzt sich auf den Teppich neben mich.

„Jetzt bist du dran“, sagt er und führt seine Hand zwischen meine Beine. Ich bin feucht, er gleitet geradewegs hinein. Meine Beine gebeugt und gespreizt auf dem Teppich. Seine Hand drückt auf meinen G-Punkt. Er hat keine Angst zuzugreifen. Meine Atemzüge lassen ihn wissen, dass ich nah dran bin. Ich ergreife seinen Arm. Während ich komme, schließe ich meine Beine um seine Hand. Er lässt sie in mir, während ich mich sammle. Ich spüre meinen Unterleib um seine Hand hämmern. Wir küssen uns. Jacob besorgt Papiertücher und trocknet meine Brust und meinen Bauch. Danach hilft er mir auf und wir gehen in mein Zimmer. Er holt sein Handy und stellt den Wecker auf kurz vor Tagesanbruch. Ich hänge den Seidenkimono auf den Stuhl nahe dem Bett und krieche unter die Decke zu Jacob. Seine Haut ist warm. Der Mond scheint durch das Fenster. Ehe ich es mich versehe, bin ich eingeschlafen und schlafe so gut wie seit langem nicht mehr.

Als ich morgens aufwache, ist er fort. Am Frühstückstisch werfe ich ihm intensive Blicke zu. Die Gespräche sind heiter. Niemand weiß, was gestern Nacht in der gleichen Küche geschehen ist. Heute ist Tag der Abreise. Ich sitze auf der anderen Seite des Tischs. Jacob lässt seinen Fuß auf meinem weilen. Absichtlich lasse ich den Kimono ein wenig weiter nach vorn fallen und wir tauschen einvernehmliche Blicke über das Buffet hinweg. Jacob steht als erster auf und beginnt sich von der Familie zu verabschieden. Er duftet nach Rasierwasser, als er mich zum Abschied auf beide Wangen küsst. Jetzt ist sein Körper mir so vertraut. Ich gehe wieder in mein Zimmer und beobachte durchs Fenster, wie er den Hof verlässt. Energisch winkt er den anderen, die mit nach draußen gekommen sind, zu. Seine Energie zieht alle Aufmerksamkeit auf sich. Ich widme mich wieder meinem Koffer, um fertig zu packen, wähle ein Kleid und falte es auf, sobald ich den Kimono ausgezogen habe. Ein kleiner Zettel fällt auf den Boden. Julia! Danke für heute Nacht. Ruf mich an, wenn du nicht schlafen kannst. Ruf mich an, wenn du dir ein anderes Leben wünschst. Ich stecke den Zettel in die Tasche des Kimonos und ziehe den Reißverschluss zu.

Auf der Heimfahrt schweigen Joel und ich. Er fährt, den Blick auf die Fahrbahn gerichtet. Keine anderen Autos in Sicht. Auf der Fahrt ins Tal der Gebirgskette stoßen wir auf vereinzelte Regenschauer. Ich schaue durch das Seitenfenster, lausche dem Regen auf der Scheibe und dem leisen Radio. Die Stimmung zwischen Joel und mir ist unverändert. Er hat nichts über den Besuch zu sagen. Trotz dessen muss ich wieder und wieder schmunzeln, während ich Regen und Sonne über den Abhängen betrachte. Meine rechte Hand fährt über das Leder des Autositzes. Mit dem Daumen versuche ich, das gleiche Geräusch von Haut auf Leder wie auf dem Sofa zu erzwingen, aber es gelingt mir nicht. Ich kann spüren, dass ich einen Fehler begangen habe. Ich habe etwas Verbotenes getan, aber es fühlt sich gut an. Solch ein Gefühl hatte ich schon lang nicht mehr. Ich denke an die Worte der Hellseherin letztens. An diesem Tag war ich traurig und niedergeschlagen gewesen. Sie hatte meine Karten betrachtet und gesagt, dass sich die Dinge bald ändern würden. Dieses Jahr sollte mein Jahr werden. Es würde etwas geschehen. Etwas, das ich mir seit langem wünschte, das aber nie in Erfüllung gegangen war. Das könnte alles Mögliche bedeuten.

Zu einem anderen Ort- und Zeitpunkt auf dem Heimweg denke ich an Jacob. Wie sein Gesicht aussieht. Welche Musik er hört. Wie er sich freut, wenn er sich meine Reaktion auf seinen Zettel vorstellt. Als Joel und ich unsere Wohnung in der Stadt erreichen, verziehe ich mich, nachdem ich ausgepackt habe, mit einem Glas Wein in mein Büro. Nachdem ich die Kleidung in den Schrank geräumt habe, schiebe ich den Koffer unters Bett. Unser Zuhause ist ordentlich aufgeräumt. Joel fragt nicht, warum ich mir wieder den Kimono anziehe, als ich durch das Wohnzimmer laufe.

Eigentlich müsste ich arbeiten, aber ich kann mich nicht konzentrieren. Mehr als den Computer anzuschalten und meine Mails zu öffnen, schaffe ich nicht. Egal, wo ich ansetze, meine Gedanken wandern zu Jacob und mir in der Küche. Mein ganzer Körper schreit nach mehr als in dieser Nacht geschehen ist. Jacobs Zettel platziere ich in der Schreibtischschublade. Ich bin einzig und allein daran interessiert, die Flamme am Brennen zu erhalten und die Romanze fortzusetzen, den Weg zurück in seine Arme zu finden. Ich finde Jacobs Facebookprofil und füge ihn als Freund hinzu. Das habe ich mich zuvor nicht getraut, aber es ist doch vollkommen unschuldig. Darüber wird niemand nachdenken. Ich nehme ein Blatt Papier und gebe mir mit der Schrift Mühe. Lieber Schwager… schreibe ich.

Der Feminist

Wir redeten über alles und nichts. Wir lachten und sprachen über die Zukunft, aber nie über unsere. Wir sprachen über die Zukunft des Landes und Volkes. Wir sprachen über die Politiker, Studenten, Frauen, aber nie über uns zwei. Wir redeten über all das, was eine Zukunft zu haben schien. Die hatten wir nie, und vielleicht war es deshalb so intensiv, weil wir beide wussten, dass es nicht von Dauer war. Vielleicht konnten wir deswegen einfach loslassen. Weil wir wussten, dass wir uns in den dunkelsten Momenten des Lebens nie sehen würden, weil die abstrakten Gedanken, die ein Netz zwischen uns spannten und uns zusammenhielten, nie konkret wurden und sich nie zu zerlumpten Morgenröcken und einem Haus in der Vorstadt wandelten. In den Sechzigern waren die Träume groß, aber wir waren überzeugt, dass alles möglich war – selbst es mit seinem Professor auf dessen Schreibtisch zu treiben, während der Rest der Universität ahnungslos auf dem Flur vorbeilief.

Als ich den letzten Punkt setze, denke ich an ihn. Es ist nach und nach zur Gewohnheit geworden. Wenn ich einen Artikel beendet habe und mich zurücklehne, finden meine Gedanken den Weg zu ihm und seinem ernsten Gesichtsausdruck, seiner nassen Zunge, seinen starken Armen und seinem steifen Penis, der in mich gleitet. Ich speichere das Dokument und die Erinnerung verschwindet genauso schnell, wie sie gekommen ist. Genau wie auf einen Punkt die Erinnerung an ihn folgt, folgt einem fertiggeschriebenen Artikel ein wohlverdienter Kaffee und eine Zigarette. Damals als ich mich als Journalistin selbstständig machte, befürchtete ich, nicht genug zu tun zu haben, aber meine dunklen Vorahnungen wurden schnell beseitigt und ich habe eher zu viel Arbeit als zu wenig. Ich werfe einen flüchtigen Blick in den Spiegel im Flur und wühle das lange Haar auf, um ihm Fülle zu verleihen. Routiniert trage ich schwarzen Eyeliner auf und verwische die Linie ein bisschen, um den Ausdruck zu erweichen. Bevor ich mich vom Spiegel entferne, spitze ich die Lippen und betupfe sie mit Vaseline. Ich reibe die Lippen aneinander, um die Schicht gleichmäßig zu verteilen. Ich werfe einen kurzen Blick zur überquellenden Küche. Benutzte Weingläser mit festgetrocknetem, rotem Bodensatz stehen neben einer leeren Flasche, die ich einen Augenblick in Erwägung ziehe mit nach draußen zu nehmen. Ich schaue, dass ich die Tür schnell schließe, bevor mein Gewissen mich zum Aufräumen, Wegwerfen und Abwaschen zwingt. Es ist nicht ungewöhnlich, dass die Wohnung in Unordnung versinkt. Ich laufe Gefahr, mich zu isolieren, wenn ich arbeite. Ich kaufe Wein, Käse und gutes Brot, dann verbarrikadiere ich mich für ein paar Tage. Wenn der Artikel fertiggeschrieben ist, verlasse ich das Loch und gehe wieder raus.

Der Lärm auf der Straße überwältigt mich. Meine eigene kleine Gesellschaft hat mich im Lauf der letzten Tage empfindlich gegenüber dem Stadtlärm gemacht. Die Autoauspuffe wirken lauter und die Gespräche anderer Menschen nach tagelanger Isolation berauschend. Ich hole tief Luft und atme den Frühlingsduft ein. Der Flieder an der Ecke hat auf magische Weise zu blühen bekommen. Mit hellvioletter Farbe schmückt er die Südseite des Cafés. Ein paar Touristen gehen am Busch vorbei und ziehen den süßen honigähnlichen Frühsommerduft mit sich. Umständlich ziehen die Touristen die Stühle von einem Cafétisch zurück. Die eisernen Stuhlbeine kratzen lautstark über die Pflastersteine. Ich atme tief ein, so tief, dass sich meine Schulter im Takt der Atemzüge heben und senken. Dies ist die erste frische Luft, die ich seit Tagen einatme, aber so fühlt es sich nicht an, wenn mein Gesicht in langen Nächten vom Computerbildschirm erleuchtet wird, wenn meine Finger noch vor dem Kopf ermüden und Schultern und Rücken sich beklagen, ehe meine Ideen auf dem Papier Form annehmen können, während die Zeit zu verfliegen scheint. Ich vergesse, wann Tag und wann Nacht ist. Es ist mir auch egal. Ich mag den Klang der Tastatur, wenn meine Finger über die Tasten tanzen, als spielte ich auf einem alten Flügel. Wenn sich die Ideen von abstrakten und flüchtigen Gedanken in konkrete Argumente und überzeugende Geschichten verwandeln, erfüllt mich eine tiefe Zufriedenheit.

Ich denke an die Male, als wir in seinem Büro saßen. An das Essay, auf das ich so viel Zeit und Energie verwendet hatte und das ich für unverbesserlich hielt, an das Essay, das er korrigierte. Er schrieb mit seinem Kugelschreiber auf jede einzelne Seite. Er markierte einen Absatz und schrieb lange Kommentare an den Rand. Als er fertig war, war das Essay, das ich ihm stolz präsentiert hatte, mit Kreisen, Strichen und Buchstaben übersäht. In diesem Augenblick überkam mich eine unerträglich große Scham. Ich glaube, er konnte meine Enttäuschung spüren, obwohl ich nichts sagte, denn es verging nie viel Zeit, bis er meine Hand nahm. Bis er mir das Haar aus dem Gesicht strich und bis er mich über den ganzen Körper küsste, bis sich meine Haare aufstellten und mein Slip sich nahezu von selbst auszog. Wenn ich benutzt und befriedigt nach Hause kam und seine Anmerkungen durchging, zeigte es sich nach und nach, dass er recht hatte. All seine Kommentare und Anregungen machten die Sprache lebhafter, die Botschaft präziser und den Text schärfer.

Der Duft des frisch erblühten Flieders verführt meine Nasenlöcher und bringt mich zurück ins Café, zurück zu den plaudernden Touristen und hupenden Autos, die über das Kopfsteinpflaster rasen.

Luc heißt mich mit einem Kuss auf beide Wangen willkommen.

„Wo warst du?“, sagt er. „Wir haben dich die letzten Tage vermisst.“

Schnell bringt er den Tisch in Ordnung, an dem ich normalerweise sitze. Mit einem feuchten Lappen entfernt er nichtexistente Krümel. Danach trocknet er ihn mit einem weißen Handtuch ab.

„Einen Serienartikel für La Parisienne schreiben“, sage ich und strecke die Arme in die Luft. Mein Top rutscht nach oben und entblößt einen Teil meines Bauchs.

„Worüber schreibst du gerade?“, fragt er und schaut mir in die Augen.

„Über Frauen in der Politik“, antworte ich. „Ich begleite sie ein bis zwei Tage. In ihrem politischen Leben, aber auch daheim. Ja, und dann schreibe ich einen Artikel über den politischen Menschen. Schließlich ist nicht nur die Politik, sondern auch der Mensch dahinter interessant.“

Ich denke an den Artikel, den ich gerade beendet habe. Die Politikerin, die ich begleitet habe, war barsch und einschüchternd gewesen, sowohl mir, als auch ihren Kollegen und Kindern gegenüber, aber sie hatte unzählige Anträge durchsetzen können und das Paris, das ich kenne, zu einem noch besseren Ort gemacht. Ich wusste, wenn ich mich nicht auf sie als Mutter konzentrierte, würde sie ihre politischen Anhänger verlieren. Denn auch wenn eine Frau eine starke, tatkräftige und kompetente Politikerin ist, wird sie dennoch schnell als unverantwortliche Mutter abgestempelt. Eine Frau kann für noch so viel stehen und noch so viel äußern, denke ich, aber wenn sie keine gute Mutter ist, spielt das alles keine Rolle mehr.

„Ist er gut geworden?“, fragt Luc und unterbricht meine Gedanken.

„Ich glaube schon“, sage ich und zucke mit den Schultern. „Oder hoffe es zumindest“, füge ich hinzu, während die Erinnerung an den Konzentrierten Ausdruck des Professors und seine braune Lesebrille in mein Bewusstsein dringt.

Vor meinem inneren Auge sehe ich, wie er, unmittelbar, nachdem ich fertiggeworden bin, den Artikel überfliegt. Ich sehe, wie der Kugelschreiber das Dokument färbt und wie er den Artikel hastig durchblättert. Ich lächle bei dem Gedanken daran und setze mich.

Bevor ich länger darüber nachdenken kann, kommt Luc mit einem Cappuccino und einem Aschenbecher zurück.

„Du bist ein Schatz“, sage ich.

Er grinst so breit, dass seine Augen sich für eine Weile zu schmalen Schlitzen verformen. Lautlos verschwindet er in Richtung Bar.

Die Fenster des Cafés wurden aufgeschoben und lassen Innenraum und Terrasse miteinander verschmelzen. Ich spüre die warme Vormittagsluft auf meinem Gesicht und bringe den Milchschaum beim Pusten zum Zittern. Ich entzünde die erste Zigarette und lehne mich zurück. Der Rauch in meiner Lunge entspannt meinen Körper. Ich rauche schnell und ehe ich mich versehe, ist es Zeit für die Nummer Zwei. Der Rauch in meinem Mund und das kitzelnde Gefühl im Hals lenkt meine Gedanken unwillkürlich wieder zu ihm. Der Rauch, der sein Gesicht und seinen Körper wie ein zarter Schleier umgab. Der Rauch, der wie eine schöne Erinnerung in seinen frisch gebügelten Kleidern saß. Während der Schweiß auf unseren Körpern verdampfte und ehe wir uns wieder die Kleidung anzogen, die uns – Professor und Studentin – für gewöhnlich voneinander abgrenzte, teilten wir eine oder auch zwei Zigaretten.

Das Geräusch eines Tellers, der vorsichtig auf den Tisch gestellt wird, löst das Gespinst, das es nie gegeben hat, in Luft auf.

„Frisch aus dem Ofen“, sagt Luc und verschränkt die Hände hinter dem Rücken.

Die Wärme des Croissants trifft mich und mein Magen zieht sich beim Duft nach reichhaltiger Butter zusammen.

„Du bist ein Schatz“, teile ich ihm noch einmal mit und breche ein Stück ab.

Die Luft in der Wohnung ist dick und drückend. Eilig öffne ich sämtliche Fenster. Das warme Croissant liegt schwer im Magen und plötzlich macht sich Müdigkeit breit. Ich schmeiße mich aufs Bett. Der Wind bläht die weißen Vorhänge auf und das kühle Lüftchen erfrischt mich. Auf dem Rücken liegend schaue ich auf die Stadt. Die Geräusche aus der Seitenstraße steigen in den vierten Stock und bringen mich langsam zurück auf die Demonstration im Jahr 1968.

Der Lärm der hupenden Autos von der Straße wird durch sanfte Rufe und Gesänge ersetzt. Die Rufe kommen näher und der Klang vieler Schritte erschreckt mich, als ich das Fenster öffne. Sie demonstrieren. Ein Pulk aus bannertragenden Menschen in Miniröcken. Sie halten Schilder hoch und fordern schreiend Frauenrechte. Kurze Zeit später laufe ich zwischen ihnen. Ich bin es, die schreit, die geballte Faust hebt und die ein ganz besonderer Glauben an die Zukunft erfüllt, wie ich ihn nie zuvor erlebt habe. Plötzlich läuft er neben mir. Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie sein Blick meinen Körper auf- und abwandert. Ich spüre den Blick an genau den richtigen Stellen verweilen. Schnell drehe ich mich um und schaue ihm in die Augen. Ich halte den Blickkontakt viel zu lang aufrecht, aber er schaut nicht weg. Wir marschieren im Pulk weiter, wie ein Heer gegen das System. Der Klang des Marschs berauscht mich. Es sind nicht viele Männer mit dabei.

„Toll, dass du hier bist“, rufe ich ihm zu.

„Toll, dass du hier bist“, ruft er lächelnd zurück. Er streckt die Hand aus, stellt sich vor und hält meine Hand lang fest.

Das hier sei wichtig, hatte ich gesagt, er hatte genickt und hinzugefügt:

„Es ist wichtig für uns alle und jetzt ist die Zeit reif, dass endlich was passiert.“Er gestikuliert und ich überlege einen Augenblick, ob er es gewohnt ist, über das Thema zu sprechen. „Frauen sollten wesentlich mehr Einfluss ausüben. Das ist das einzig Sinnvolle“, sagt er und fuchtelt mit den Händen. Ich nicke zustimmend.

„Ja, wir sollten bessere Möglichkeiten bekommen“, rufe ich, „gleichberechtigte Möglichkeiten.“ Ich fange seinen Blick ein, lächle und gemeinsam stoßen wir einen Schlachtruf aus.