4 Atemberaubende Strand Thriller März 2023 - Alfred Bekker - E-Book

4 Atemberaubende Strand Thriller März 2023 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis: Trevellian oder Man nannte sie Wildkatze (Jan Gardemann) Falsche Heilige (Alfred Bekker) Trevellian und die Aasgeier von New York (Pete Hackett Trevellian und der Cop mit der Schlange (Franklin Donovan) Rücksichtslose Anschläge auf Abtreibungskliniken fordern Menschenleben. Die Ermittler kommen einer radikalen Sekte auf die Spur, die in der modernen Welt nur das neue Babylon sieht, einen Ort der Sünde und Gottlosigkeit. Doch dann stellt sich heraus, dass dahinter nicht nur eine kleine Gruppe fehlgeleiteter Fanatiker steckt, sondern eine Verschwörung, die tief in die Kreise des organisierten Verbrechens hineinreicht... Ein Thriller von Alfred Bekker ALFRED BEKKER wurde vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X.

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Franklin Donovan, Jan Gardemann, Alfred Bekker, Pete Hackett

4 Atemberaubende Strand Thriller März 2023

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Inhaltsverzeichnis

4 Atemberaubende Strand Thriller März 2023

Copyright

​Trevellian oder Man nannte sie Wildkatze: Kriminalroman

Falsche Heilige

Trevellian und die Aasgeier von New York

Trevellian und der Cop mit der Schlange: Action Krimi

4 Atemberaubende Strand Thriller März 2023

von Alfred Bekker, Jan Gardemann, Pete Hackett, Franklin Donovan

Dieser Band enthält folgende Krimis:

Trevellian oder Man nannte sie Wildkatze (Jan Gardemann)

Falsche Heilige (Alfred Bekker)

Trevellian und die Aasgeier von New York (Pete Hackett

Trevellian und der Cop mit der Schlange (Franklin Donovan)

Rücksichtslose Anschläge auf Abtreibungskliniken fordern Menschenleben. Die Ermittler kommen einer radikalen Sekte auf die Spur, die in der modernen Welt nur das neue Babylon sieht, einen Ort der Sünde und Gottlosigkeit. Doch dann stellt sich heraus, dass dahinter nicht nur eine kleine Gruppe fehlgeleiteter Fanatiker steckt, sondern eine Verschwörung, die tief in die Kreise des organisierten Verbrechens hineinreicht...

Ein Thriller von Alfred Bekker ALFRED BEKKER wurde vor allem durch seine Fantasy-Romane und Jugendbücher einem großen Publikum bekannt wurde. Daneben schrieb er Krimis und historische Romane und war Mitautor zahlreicher Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, John Sinclair und Kommissar X.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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​Trevellian oder Man nannte sie Wildkatze: Kriminalroman

Jan Gardemann

Greg Loone erwartete heute keine Kundschaft mehr. Er war zufrieden. Ein Haufen reicher Touristen aus Europa war am Vormittag über seinen Juwelierladen hergefallen. Irgendein Reiseführer hatte Loones Laden als Geheimtipp angepriesen.
Pfeifend traf Loone die üblichen Vorbereitungen, den Juwelierladen zu schließen. Er ging zu dem Sicherungskasten hinter dem Verkaufstresen und schloss ihn auf. Er dachte dabei, wie glücklich er sich schätzen konnte, diesen kleinen Laden in Manhattans Diamond District bekommen zu haben. Soviel er wusste, war er der einzige schwarze Juwelier in dieser Gegend.
Loone drückte den Knopf, der die Rollläden draußen vor den Schaufenstern herunterfahren lassen würde. Die Stahllamellen schoben sich ratternd aus dem Kasten über den Fenstern.
Da wurde die Ladentür plötzlich aufgestoßen, und drei in Schwarz gekleidete Gestalten tauchten unter dem herabfahrenden Rollladen hindurch. Ihre Köpfe waren in Ledermasken gehüllt. In ihren behandschuhten Fäusten hielten sie silbrig blitzende Pistolen.
Loone erstarrte - er wusste, dass ihm die schrecklichsten Momente seines Lebens bevorstanden…
***
Die Ledermasken, die die Eindringlinge trugen, hatte Loone schon einmal in einer Late-Night-Show im Fernsehen gesehen. Die Kerle, die sie getragen hatten, verwendeten sie für perverse Sexspiele. Das schwarze Leder schloss die Köpfe vollständig ein. Nur für die Augen gab es kreisrunde Öffnungen, während sich dort, wo sich der Mund befand, ein Reißverschluss befand.
Einer der Kerle riss den Arm hoch und feuerte.
Loone warf sich unwillkürlich auf den Boden. Die Kugel schlug über ihm neben der Wanduhr ein - dort, wo sich die Überwachungskamera befand.
Verzweifelt robbte der Juwelier über den Boden zur Mitte des Verkaufstresens, wo auch die Computerkasse stand. Dort befand sich, unter der Tischplatte versteckt, der rote Alarmknopf. Er war Loones einzige Rettung, denn er war ganz allein in dem Laden!
Da erschienen vor dem Schwarzen plötzlich ein paar Springerstiefel. Mit dumpfem Schlag setzten sie auf dem roten Teppichboden auf, mit dem der ganze Laden ausgelegt war. Der Kerl, der in den Stiefeln steckte, war über den Verkaufstresen gesprungen und direkt vor Loone gelandet, als hätte er geahnt, wohin der Juwelier sich hatte begeben wollen.
Mit einem verzweifelten Schrei stieß Loone den Arm hoch zum Alarmknopf. Doch bevor seine Finger ihn erreichten, traf ihn der Springerstiefel mitten ins Gesicht. Der Tritt war so heftig, dass Loones Oberkörper hochgerissen wurde. Seine Hand verfehlte den Knopf. Loone stürzte zurück auf den Boden.
Er röchelte, schmeckte Blut und spürte plötzlich einen ausgebrochenen Zahn auf der Zunge.
Der Maskierte packte den Juwelier an den Schultern und riss ihn auf die Beine.
Loones Knie waren butterweich. Alles um ihn herum drehte sich. War das wirklich noch sein Laden? Die Vitrinen waren zerschlagen. Scherben lagen überall auf dem roten Teppichboden. Die beiden anderen Vermummten stopften Diamanten in ihre schwarzen Beutel. Die Rollläden waren inzwischen ganz heruntergefahren. Niemand auf der Straße würde mitkriegen, was in dem Juwelenladen geschah!
Loone war taub vor Schmerz. Er wäre gestürzt, hätte sein Gegenüber ihn nicht mit unerbittlichem Griff festgehalten.
»Mach die Kasse auf!«, kam es dumpf unter der Ledermaske hervor. Die Augen hinter den runden Ausschnitten starrten ihn kalt und brutal an.
»Es… es sind nur Schecks in der Kasse«, presste Loone zitternd hervor. »Damit könnt ihr doch nichts anfangen.«
»Schnauze!«, bellte der Vermummte. Hart presste er dem Schwarzen den Lauf seiner Waffe gegen die Stirn. »Ich weiß, dass du Geld in der Kasse hast! Also, mach das verdammte Ding jetzt auf!«
Loone nickte hektisch. Es war idiotisch gewesen, sein Leben für die Tageseinnahmen zu riskieren. Die Kerle waren zu allem entschlossen. Außerdem kannten sie sich anscheinend bestens in seinem Laden aus!
Mit zitternden Fingern tippte Loone den Code in die Computertastatur, der die Kasse öffnen würde. Mit einem hellen Glockenton sprang die Lade auf. Der Vermummte griff hinein und stopfte sich die Dollarscheine in die Hosentasche. Dabei hielt er die Waffe auf Loones Kopf gerichtet.
»Seid ihr fertig?«, rief der Vermummte dann seinen Komplizen zu.
»Alles klar, Boss. Fehlen nur noch die Klunker im Tresor!«
»Mach den Tresor auf!«, forderte der Maskierte, packte Loone am Kragen und drückte ihn rücklings auf den Tresen.
Schmerzhaft bog sich das Kreuz des Schwarzen durch.
»Bitte!«, flehte Loone ächzend. »Mein ganzes Leben steckt in diesem Laden. Ihr… ihr dürft mir nicht alles nehmen!«
»Der Tresor!«, schnauzte sein Gegenüber und lehnte sich über den Schwarzen, sodass die Ledermaske Loones verschwitztes Gesicht fast berührte.
»Er… er ist offen«, flüsterte der Juwelier mit versagender Stimme. Die Angst schnürte ihm die Kehle zu. Er hatte das schreckliche Gefühl, einen Fehler begangen zu haben.
Der Vermummte richtete sich abrupt auf. »An die Arbeit, Jungs! Der Tresor gehört euch!«, rief er seinen Komplizen zu, ohne sich zu ihnen umzudrehen. Stattdessen richtete er seine Pistole nun mit ausgestrecktem Arm auf das Herz des Schwarzen, der noch immer mit dem Rücken auf dem Tresen lag, die Hände in einer lächerlich wirkenden Geste erhoben.
»Nein!«, krächzte Loone voller Panik und starrte auf die Waffe. »Bitte nicht! Töten Sie mich nicht!«
Der Maskierte lachte hysterisch.
Das war das Letzte, was Loone hörte, bevor der Schuss in seinen Ohren explodierte und das Leben des Juweliers mit unwiderruflicher Endgültigkeit auslöschte.
***
».’. möchte ich diese kleine Party zum Anlass nehmen, meinen beiden Rettern herzlich zu danken!«
Die Frau, die dies sagte, stand auf einem kleinen Podest inmitten blühender Rosenhecken. Hinter ihr befand sich eine pompöse Villa aus dunklem, massiven Holz und mit grauem Schieferdach. Die Frau war um die vierzig. Sie trug ein weißes Kleid mit Schleppe und geraffter Taille. Ihr blondes Haar hatte sie im Nacken zu einem Knoten gebunden. Sie erinnerte mich ein wenig an eine römische Statue. Ihr Name passe allerdings nicht zu diesem Bild. Sie hieß Loretta Trade. Sie war Millionärin, wie fast alle, die sich am Strand von Coney Island eine Villa leisten konnten. Lorettas Mann, der vor fünf Jahren an Krebs gestorben war, hatte ihr mehrere Zucker- und Schokoladenfabriken hinterlassen.
»Nur dem beherzten Vorgehen der beiden G-men habe ich es zu verdanken, dass ich an diesem herrlichen Abend im Garten meiner Villa stehen kann«, ertönte ihre Stimme aus den versteckten Lautsprechern hinter den Rosenhecken. »Ohne diese beiden Männer würde ich mich wahrscheinlich noch immer in der Gewalt meiner Entführer befinden…«
Lorettas Stimme klang nun ein wenig brüchig. Mit einer theatralischen Geste zog sie ein Taschentuch aus dem tiefen Dekollete ihres Kleides und tupfte sich die Tränen fort. Dann warf sie beide Arme nach vorn, als wollte sie jemanden umarmen. Ihr Gesicht zeigte eine leidenschaftliche Miene, und ihr Blick war direkt auf Milo und mich gerichtet, die wir mitten in dem Pulk nobel gekleideter Gäste standen, die sich vor dem Podest versammelt hatten.
»Agent Jesse Trevellian und Agent Milo Tucker!«, schmetterte Lorettas Stimme über die Köpfe der Versammelten hinweg. »Tausend Dank, dass Sie mein Leben gerettet haben!«
Die Leute drehten sich zu Milo und mir um. Wir blickten in die lächelnden Gesichter der Frauen - und in die der Männer, die zurückhaltenden Respekt ausdrückten. Dann fing plötzlich jemand an zu klatschen. Die anderen stimmten mit ein, sodass der Garten der Villa schließlich von brandendem Applaus erfüllt war.'
Milo schaute sich um, nickte und grinste zufrieden. Dann schlug er mir mit der flachen Hand auf die Schulter.
»Hat dir je jemand auf diese Weise seinen Dank ausgesprochen?«, meinte er. »Mann, Junge! Mir geht das runter wie Öl.«
»Ein einfaches Dankeschön hätte es auch getan«, erwiderte ich. »Ich verstehe Loretta Trade nicht. Es sind erst drei Tage vergangen, seit wir sie in dem abgebrannten Haus in der Bronx fanden, wo die Entführer sie gefangen hielten. Und sie hat nichts Besseres zu tun, als eine Party zu feiern.«
Milo zuckte gelassen mit den Schultern. »So sind sie eben, die Reichen«, erklärte er lapidar und nahm einem der livrierten Diener, die zwischen den Gästen umhereilten, zwei volle Champagnergläser von dem Tablett, reichte mir eins und prostete mir augenzwinkernd zu.
»Chers, Partner«, rief er, während der Applaus endlich verebbte. »Lass uns darauf anstoßen, dass New York in Zukunft noch mehr so dankbare und großzügige Bürger aufzuweisen hat wie Loretta Trade.«
Ich erhob mein Glas, prostete Milo zu und führte es dann an meine Lippen. Während der prickelnde Champagner meine Kehle hinunterrann, warf ich einen Blick zum Podest. Einige Frauen waren zu Loretta emporgeklettert. Sie umarmten die Millionärin und waren ebenso in Tränen aufgelöst wie sie. Die Szene erinnerte mich an den Schlussakt eines billigen Theaterstücks. Ich konnte mir nicht helfen. Ein freundschaftlicher Händedruck und ein paar ehrliche Worte des Dankes wären mir erheblich lieber gewesen als das Melodrama, das Loretta Trade um ihre Rettung veranstaltete.
»Was schauen Sie so griesgrämig drein, Agent Trevellian?«, vernahm ich hinter mir plötzlich eine sonore Stimme.
Ich drehte mich um und sah direkt in das Gesicht eines hageren Mannes, dessen bleicher Teint durch das schwarze halblange Haar, das wie angeklatscht an seinem Kopf klebte, noch unterstrichen wurde. Ich kannte den Mann. Er hieß Mark Lafella und war Lorettas Psychologe. Seit die Millionärin wieder frei war, hatte er sie rund um die Uhr betreut.
»Ich bin nicht griesgrämig«, erwiderte ich. »Ich habe auch nichts gegen eine Party. Es ist nur der Anlass, der mir nicht passt.«
Lafella zog eine Augenbraue hoch und musterte mich, als wollte er eine Psychoanalyse bei mir durchführen. »Loretta hat ihre ganz eigene Art, mit ihrem Schicksal fertig zu werden«, sagte er dann. »Ich bin glücklich, dass sie sich dazu durchgerungen hat, diese Party zu geben. Es ist nicht zuletzt auch meiner mühevollen psychologischen Arbeit zu verdanken, dass Loretta wieder zu ihrer ursprünglichen Lebensfreude zurückfand.«
»Bescheiden sind Sie ja nicht gerade«, bemerkte ich säuerlich. »Aber das könnten Sie sich bei Ihrem Honorar wahrscheinlich auch nicht erlauben.«
»Sind Sie etwa neidisch, weil ich mehr verdiene als ein G-man?«
»Nein. Aber ich wünschte, Sie hätten etwas mehr Verantwortungsgefühl Ihrer Klientin gegenüber gezeigt. Wir haben Sie zwar aus der Gewalt der Kidnapper retten können. Aber wir wissen noch immer nicht, wer hinter der Entführung steckt. Der Anführer der Bande läuft noch immer frei herum. Meines Erachtens ist Loretta noch nicht außer Gefahr.«
Lafella machte eine wegwerfende Handbewegung. »Für die Sicherheit meiner Klientin bin ich nicht verantwortlich. Das ist Ihr Job, Trevellian.«
Plötzlich blickte Lafella auf, und seine schmalen Lippen verzogen sich zu einem breiten Grinsen.
»Loretta!«, rief er mit erhobener Stimme und winkte. Ich drehte mich um und sah, dass die Millionärin auf Milo und mich zukam. Die Leute machten ihr Platz und bildeten eine Gasse, durch die Loretta mit ihrem Gefolge majestätisch daherschritt. Schließlich blieb sie vor uns stehen und sah uns mit schief gelegtem Kopf an, während ein seliges, fast ein wenig idiotisch wirkendes Lächeln ihre Lippen umspielte.
»Agent Trevellian und Agent Tucker«, sagte sie in einem Ton euphorischer Begeisterung. »Sie müssen meinen Gästen unbedingt noch einmal schildern, wie Sie mich gerettet haben!«
»Da gibt es nicht viel zu erzählen«, sagte Milo ausweichend, der sich auf der Party nun plötzlich doch nicht mehr so wohlzufühlen schien. Besonders, da Loretta ihm plötzlich das Mikrofon vor das Gesicht hielt, sodass seine Stimme laut durch den Garten schallte.
»Bitte tun Sie mir den Gefallen!«, bettelte Loretta.
Milo warf mir einen Hilfe suchenden Blick zu. Aber ich zuckte nur kalt mit den Schultern und grinste zynisch. Milo würde sich wohl kein zweites Mal wünschen, dass die Leute, die wir retteten, von einer ähnlich euphorischen Dankbarkeit beseelt waren wie Loretta Trade!
»Nun«, tönte Milos Stimme aus den versteckten Lautsprechern. »Eigentlich beruhte alles nur auf ganz gewöhnliche Polizeiarbeit. Den Ausschlag gab dann ein anonymer Hinweis aus der Bevölkerung, der uns auf das abgebrannte Haus in der Bronx aufmerksam machte, wo die Kidnapper Miss Trade auch tatsächlich gefangen hielten.«
»Beschränken Sie sich lieber auf die spannenden Momente meiner Befreiung«, warf Loretta ein. »Schließlich will ich meine Gäste nicht langweilen. Erzählen Sie zum Beispiel, wie Sie und Ihr Kollege Trevellian plötzlich mit gezogenen Dienstwaffen in dem schmuddeligen Keller auf tauchten und die beiden Wachen niederstreckten.«
»Das war schon ein dolles Ding«, sagte Milo, der allmählich warm zu werden schien. »Jesse und ich hatten die Ruine vorher einige Stunden observiert. Ab und zu kam jemand aus einem Kellerfenster gekrochen, sah sich auffällig um und verschwand in einer Seitenstraße, nur um etwas später mit einer Plastiktüte voller Lebensmittel wieder in dem Rattenloch zu verschwinden. Die Entführer schienen sich ihrer Sache ziemlich sicher zu sein, denn sie hatten draußen nicht einmal eine Wache aufgestellt. Es war für Jesse und mich daher nicht schwer, einen Überraschungsangriff zu starten. Wir schlichen uns an und stiegen die Kellertreppe hinab, was eine ziemlich eklige Angelegenheit war, da die Stufen mit Unrat und Müll bedeckt waren.«
Einige der Frauen, die sich um uns geschart hatten, riefen pikiert »Igitt!«, und lachten affektiert.
»Als wir dann endlich unten ankamen, überwältigten wir einen Kerl, der in dem Kellergang Wache halten sollte«, fuhr Milo fort. »Er schien es mit seinem Job jedoch nicht so ernst zu nehmen, denn er döste im Halbschlaf vor sich hin. Auf seinem Bauch lag seine Knarre und ein Comicheft.«
Verhaltenes Lachen war zu vernehmen.
»Nachdem wir den Kerl ausgeschaltet hatten, rannten wir zu einem Keller, dessen Eingang mit einem dreckigen Tuch verhängt war. Durch die groben Maschen sickerte trübes Licht. Wir blieben einen Moment mit angehaltenem Atem stehen und lauschten auf die Geräusche hinter dem Vorhang. Aus dem, was wir nun hörten, schlossen wir, dass sich zwei Menschen in dem Keller aufhalten mussten. Jesse und ich gaben uns Zeichen. In solchen Situationen verständigen wir uns immer mit genau festgelegten Gesten, sodass wir kommunizieren können, ohne dabei viel Lärm zu machen. Dann stürmten wir in den Keller, wie wir es unzählige Mal zuvor in anderen Einsätzen getan haben. Es war eine mustergültige Aktion, die jeden Ausbilder in Quantico, der FBI-Schule, zufriedengestellt hätte.«
Milo deutete mit ausgestrecktem Arm auf mich und sagte: »Den Rest wird Ihnen mein Kollege schildern, der bei diesem Einsatz die meiste Arbeit hatte.«
Milo grinste hämisch, als Loretta sich nun zu mir umdrehte und mir das Mikro erwartungsvoll entgegenstreckte.
Ich räusperte mich entnervt. Aber mir blieb keine andere Wahl. Ich musste in dieser Show mitspielen, wollte ich nicht vor allen als übellauniger Spielverderber dastehen.
»Es waren tatsächlich zwei Kerle in dem Kellerraum - genau, wie wir es erwartet hatten«, sagte ich. »Auf einem schäbigen Feldbett lag Loretta. Sie hatten sie gefesselt und geknebelt. Die beiden Gangster, die bei ihr waren, hatten sich maskiert, damit Loretta sie nicht erkannte und später eventuell Aussagen über das Aussehen dieser Männer machen könnte…«
Ich hielt inne und schaute Loretta prüfend an. An dieser Stelle wurde die Sache ein wenig heikel. Die beiden Männer hatten nämlich schwarze Masken aus Leder getragen. Diese Dinger werden in Sado-Maso-Kreisen bei entsprechenden Sexspielchen verwendet. Loretta beteuerte bei einer späteren Vernehmung zwar, dass die Männer sie nicht sexuell belästigt hätten, was eine ärztliche Untersuchung auch bestätigte. Trotzdem waren wir vom FBI darüber übereingekommen, die Ledermasken weder der Presse noch anderen Personen gegenüber zu erwähnen.
Lorettas Miene versteinerte, als sie meinen prüfenden Blick bemerkte. Sie konnte mir nichts vormachen. Die psychischen Folgen der Entführung hatte sie noch längst nicht überwunden. Vier Tage hatte sie sich in der Gewalt der Entführer befunden, bevor wir das Versteck endlich fanden und Loretta befreien konnten. Es musste sehr erniedrigend für die Millionärin gewesen sein, ihre tägliche Notdurft in dem miefigen Keller verrichten zu müssen, den Dosenfraß zu essen, den die Gangster ihr auftischten, und stundenlang reglos und gefesselt dazuliegen, mit einem ungewissen Schicksal vor Augen.
»Die beiden Männer waren von unserem plötzlichen Auftauchen völlig überrascht«, fuhr ich nun fort. »Wir hatten ein leichtes Spiel. Bevor die Kerle ihre Waffen ziehen konnten, hatte ich den ersten auch schon mit einem Fausthieb niedergestreckt.«
Ich schüttelte meine Hand und sagte: »Es muss ein ziemlich harter Schlag gewesen sein, denn meine Hand schmerzt noch heute. Den Gangster hob der Fausthieb von den Füßen. Er prallte gegen.die raue Kellerwand und rutschte dann bewusstlos daran hinab. Der zweite Ganove hatte unterdessen seinen Revolver gezogen und legte auf Milo an. Mein Kollege konnte nicht auf ihn schießen, da es in dem Keller zu war und er Gefahr lief, statt des Gangsters mich oder Loretta zu treffen. Es kam mm also auf mich an. Wenn ich nicht rasch genug reagierte, war es um meinen Kollegen geschehen. Blitzschnell trat ich nach der Hand des Mannes. Im gleichen Augenblick, da der Kerl seinen Abzugsfinger krümmte, traf ich seinen Revolver mit der Schuhspitze. Der Schuss verriss, die Kugel jagte nur wenige Handbreit über dem Kopf meines Kollegen hinweg und klatschte in die Decke.«
Ich legte eine kurze Pause ein. Die Blicke der Gäste klebten wie gebannt auf meinen Lippen.
»Bevor der Kerl sich besann, verpasste ich ihm einen Kinnhaken. Aber der Schlag wurde durch die Maske gedämpft, darum musste ich noch einen nachsetzen, ehe auch der zweite Kidnapper endlich bewusstlos zusammenbrach.«
Ich reichte Loretta das Mikrofon zurück. »Den Rest der Befreiungsaktion erzählen Sie Ihren Gästen am besten selbst«, sagte ich. »Aus Ihrer Sicht betrachtet, ist das bestimmt sehr viel eindringlicher.«
In Lorettas Mundwinkel zuckte es. Doch dann hatte die Frau sich wieder unter Kontrolle. Mit spitzen Fingern nahm sie das Mikrofon und räusperte sich.
»Es waren wohl die nervenaufreibendsten Momente, die ich in meinem langen Leben erdulden musste«, sagte sie mit schwankender Stimme. »Von dem Moment an, da die beiden G-men in dem Kellerloch auf tauchten, war ich von dem schrecklichen Gedanken erfüllt, die beiden könnten es nicht schaffen. Ich war an das Feldbett gefesselt. In meinem Mund steckte ein alter Lumpen. Aber auch ohne meine Fesseln wäre ich unfähig gewesen, mich zu bewegen oder einen Laut von mir zu geben. Mit ängstlich auf gerissenen Augen beobachtete ich die Szene, die sich vor mir abspielte. Die brutalen Schläge, der Schuss - all dies lief vor mir mit quälender Langsamkeit ab. Und dann war plötzlich alles vorbei. Die beiden Ganoven lagen bewegungslos auf dem dreckverschmierten Kellerboden. Und während Agent Tucker sein Funkgerät zückte und eine Meldung zu seinen Kollegen durchgab, die draußen in Bereitschaft standen, kam G-man Trevellian auf mich zu. ›Es ist vorbei‹, sagte er nur und fing an, mich vorsichtig von den Fesseln und dem Knebel zu befreien.«
Tränen kullerten Loretta über die Wangen. Sie schluchzte.
»Diese drei banalen Worte sind wohl das Schönste, was ein Mann je zu mir gesagt hat: ›Es ist vorbei !‹«
Sie wischte sich mit dem Zeigefinger kokett die Tränen aus dem Gesicht und lächelte dann spitzbübisch. »Unter anderen Umständen wären diese Worte natürlich weniger schmeichelhaft gewesen. Aber als ich dort in dem miefigen Keller auf dem Feldbett lag und spürte, wie das Blut langsam in meine gemarterten Hände und Füße zurückkehrte, da erschienen mir seine Worte wie eine Offenbarung. Es ist vorbei! Und so war es tatsächlich. Eine der schlimmsten Erfahrungen meines Lebens liegt nun hinter mir. Und jetzt stehe ich hier inmitten meiner Freunde, genieße den Abend, den Geruch des nahen Meeres. Und das alles habe ich nur ganz allein meinen Rettern zu verdanken!«
Mit ausladender Geste deutete sie auf Milo und mich. Wieder brandete Applaus auf. Milo brachte es sogar fertig, sich zu verbeugen.
»Und nun entschuldigt mich bitte einen Moment, meine Freunde«, sagte Loretta und schaltete das Mikrofon aus. Sie legte es einem Diener kurzerhand auf das Tablett und hakte sich dann bei Milo und mir ein. Ihren Gästen zunickend, die noch immer klatschten, führte sie uns von dem Platz mit dem Podest fort.
Als wir außer Hörweite waren, atmete Loretta einmal tief durch. Ihr Gesicht schien plötzlich einzufallen. Das Lächeln verschwand von ihren Lippen.
»Vielen Dank, dass Sie bei meinem kleinen Theaterstück mitgespielt haben«, sagte sie matt. »Ich hoffe, ich habe Ihnen nicht zu viel zugemutet.«
»Sie haben Ihre Rolle perfekt gespielt«, sagte Milo einfühlsam. »Für einen Moment hatte ich wirklich geglaubt, dass Sie über die Entführung hinweggekommen wären. Aber das schafft wahrscheinlich nicht einmal der beste Seelenklempner.«
Loretta zuckte müde mit den Schultern und dirigierte uns zu einem Kiesweg, der zwischen zwei Rosenhecken begann und in einem seichten Bogen um die Villa führte.
»Ohne Lafellas Hilfe hätte ich es nicht geschafft, diese verdammte Party durchzustehen«, gestand sie. »Aber sie war nun einmal notwendig. Eine Frau in meiner Position darf es sich nicht erlauben, Schwäche zu zeigen. Was glauben Sie, wie viele Angebote ich in den letzten Tagen erhalten habe, von Kerlen, die glaubten, ich würde mich aufgrund der Entführung aus dem Geschäftsleben zurückziehen. Sie wollten die Aktienanteile, die mir ein Mitspracherecht in den Vorständen zahlreicher Firmen ermöglichen. Einer von ihnen war sogar so dreist, mir vorzuschlagen, für mich die Leitung der Zucker- und Schokoladenfabriken zu übernehmen.«
Loretta straffte sich. »All diesen Leichenfledderern habe ich mit meiner Party den Wind aus den Segeln genommen. Die Geschäftswelt weiß nun, dass sie weiterhin mit mir zu rechnen hat!«
Loretta sank wieder in sich zusammen und stützte sich schwer auf meinen Arm.
»Zum Glück wissen nur ganz wenige, wie es in Wahrheit in mir aussieht. Nachts kann ich nicht schlafen. Immer sehe ich die schrecklichen Ledermasken vor mir. Und die Augen, die kalt und böse hinter den runden Löchern hervorstarren.«
Loretta schüttelte sich. Dann sah sie zu mir hoch.
»Doch was mich am meisten fertig macht, ist das Wissen, dass der Boss der Entführer noch immer frei herumläuft«, sagte sie mit zitternder Stimme.
»Machen Sie sich darum keine Sorgen«, erwiderte ich zuversichtlich. »Wir werden den Kerl bald geschnappt haben.«
»Sie können mir nichts vormachen, Trevellian«, erwiderte Loretta kühl. »Sie und Tucker tappen noch immer im Dunkeln.«
Wir erreichten einen Irrgarten aus mannshohen Hecken. Er schloss direkt an einen kurz geschorenen Rasen an, der sich bis zu den Terrassen der Villa erstreckte.
Als wir den Irrgarten betraten, sagte ich: »Wir wissen bisher tatsächlich nur sehr wenig über den Kerl, der hinter der Entführung steckt. Die drei Kerle, die wir bei der Befreiungsaktion verhaften konnten, behaupten, ihr Boss hätte immer eine Ledermaske getragen, wenn er sich mit ihnen traf. Er ließ sich von allen einfach nur Boss nennen. Aber das wissen Sie ja selbst.«
»Wir haben unsere Verhörspezialisten auf die drei Ganoven angesetzt«, schaltete sich Milo ein. »Sie werden die drei in die Mangel nehmen. Einer der Ganoven stammt aus der Bronx. Sein Name ist Bobby Mandrake. Bei den beiden anderen handelt es sich offenbar um illegale Einwanderer aus einem mittelamerikanischen Staat.«
Der Weg gabelte sich. Loretta zog uns in den rechten Gang, der wenige Schritte später wieder einen scharfen Knick nach rechts beschrieb.'
»Halten Sie es immer noch für möglich, dass der ›Boss‹ aus meinem Bekanntenkreis kommt?«, fragte uns die Millionärin unbehaglich.
»Das können wir leider nicht ausschließen«, antwortete ich bedauernd.
Loretta seufzte und lehnte für einen flüchtigen Moment ihren Kopf an meine Schulter. »Ich bin Ihnen wirklich sehr dankbar, für alles, was Sie für mich getan haben.« Sie löste sich von uns und zuckte bedauernd mit den Schultern. »Ich muss jetzt zurück zu meinen Gästen«, erklärte sie gefasst und lächelte säuerlich. »Sie zerreißen sich sonst noch ihre Mäuler, wenn ich zu lange fortbleibe.«
»Gehen Sie nur«, sagte ich verständnisvoll. »Milo und ich haben noch etwas zu besprechen.«
Loretta wandte sich ab und eilte den Gang zurück, den wir gekommen waren. Kurz darauf war sie hinter einer Heckenbiegung verschwunden.
»Die Frau ist echt stark«, sagte Milo. »Ich denke, sie wird nicht lange brauchen, um mit den psychischen Folgen der Entführung fertig zu werden - wenn wir nur den Boss endlich schnappen.«
»Es ist wirklich ein Jammer, dass der Boss sich nicht in dem Gebäude aufhielt, als wir es stürmten«, gab ich zurück. »Wir konnten Loretta befreien, bevor es zu einer Geldübergabe kam. Dem Boss ging auf diese Weise eine halbe Million Dollar Lösegeld durch die Lappen. Wie wird der Unbekannte sich nun verhalten?«
Milo zuckte mit den Schultern. »Loretta hat viele Freunde und Bekannte«, sagte er. »Jeder Gast auf dieser Party könnte der geheimnisvolle Boss sein. Die meisten von ihnen wissen, dass Loretta Trade jeden Morgen von einem Chauffeur zu ihrem New Yorker Büro gefahren wird. Theoretisch hätte jeder von ihnen ein paar Ganoven anheuem können, um Loretta zu entführen. Wir wissen noch nicht einmal, ob der ›Boss‹ dabei war, als die Kidnapper Lorettas Limousine stoppten, den Fahrer niederschossen und die Millionärin in einen Lieferwagen zerrten.«
»Wir haben alle Personen, die über Lorettas Tagesablauf Bescheid wussten, befragt«, gab ich zu bedenken. »Doch ohne Ergebnis. Jeder von ihnen hatte für den fraglichen Zeitpunkt ein Alibi.«
Milo nickte düster. »Es ist zum Kotzen«, sagte er und kickte wütend einen Kiesel in die Heckenwand. »Wir kommen in diesem verflixten Fall einfach nicht weiter. Ist dir übrigens aufgefallen, dass Lexington nicht auf der Party war? Loretta scheint es nicht zu stören, dass ihr Sohn dieser Veranstaltung ferngeblieben ist. Aber bei ihr kann man nicht wissen. Sie ist eine Meisterin der Verstellung, wie ihre kleine Ansprache bewiesen hat.«
Wir schlenderten weiter und erreichten nun einen bogenförmigen Durchgang, hinter dem ein runder Platz lag. Milo und ich blieben unwillkürlich stehen, als wir ein Pärchen bemerkten, das auf der Bank in der Mitte des Platzes saß.
Den Mann erkannte ich sofort wieder. Es war Lexington, Lorettas Sohn.
Tagelang hatten wir zusammen mit ihm beim Telefon Wache gehalten und auf einen Anruf der Entführer gewartet. Lexington war mit den Nerven ziemlich am Ende gewesen. Er hatte sich wahnsinnige Sorgen um seine Mutter gemacht und erlitt mehrere Nervenzusammenbrüche. Doch Lafella hatte den jungen Mann jedes Mal wieder aufgerichtet.
Die Blondine, mit der Lexington sich innig beschäftigte, kannte ich jedoch nicht. Ihre Bluse war aufgeknöpft, und Lexington befingerte voller Wonne ihre Brüste. Die beiden küssten sich leidenschaftlich und stürmisch.
Milo und ich sahen uns an. Ein breites Grinsen huschte über Milos Lippen. »Jetzt wissen wir, warum Lexington nicht auf der Party ist«, murmelte er.
Wir schickten uns an, uns abzuwenden. Da dudelte plötzlich mein Handy!
***
Das Girl schrie spitz auf und fuhr wie von einer Tarantel gestochen von der Bank auf. Hastig knöpfte sie die Bluse zu.
Vorwurfsvoll starrte Lexington zu uns herüber.
»Entschuldigen Sie, Lex«, rief ich bedauernd. »Wir sind nur zufällig vorbeigekommen.«
Ich fischte das Handy aus der Jackentasche.
»Agent Trevellian«, meldete ich mich.
»Jonathan McKee hier«, vernahm ich die sonore Stimme unseres Vorgesetzten. »Vor wenigen Minuten ist eine Meldung des Polizeireviers von Midtown South eingegangen. Im Diamond Dis.trict ereignete sich vor zwei Stunden ein brutaler Überfall auf einen Juwelierladen. Der Besitzer, ein gewisser Greg Loone, kam dabei ums Leben. Von dem Überfall existiert nur eine kurze Videosequenz, denn die Diebe schossen die Überwachungskamera kaputt, als sie den Laden stürmten. Doch die kurze Sequenz reichte aus, um die Cops zu überzeugen, lieber das FBI einzuschalten. Die Verbrecher trugen nämlich Masken aus schwarzem Leder. Es waren solche, wie sie auch die Entführer von Loretta Trade benutzten!«
Ich war plötzlich wie elektrisiert. »Liegen schon Ergebnisse von der Spurensicherung vor?«, fragte ich.
»Alles verfügbare Material wird zusammen mit dem Video von einem Kurier ins Distriktbüro gebracht und müssten jeden Augenblick hier eintreffen«, sagte Mr. McKee.
»Wir machen uns sofort auf die Socken!«, rief ich und unterbrach die Verbindung.
»Was gibt es?«, fragte Milo.
»Für uns ist die Party vorbei, Alter«, informierte ich ihn. »Wir haben vielleicht endlich eine Spur, die uns zu dem Boss führt.«
Mehr wollte ich nicht verraten, da Lexington und sein blondes Girl in der Nähe waren. Ich winkte den beiden zu.
»Lasst euch nicht stören!«, rief ich. »Wir sind schon wieder weg!«
***
Drei Stunden später saßen wir zusammen mit Loretta im Livingroom der Trade-Villa. Draußen trieben sich noch einige Partygäste herum. Die meisten waren aber schon gegangen.
Kaum in unserem Büro an der Federal Plaza angekommen, hatten Milo und ich uns mit Fiebereifer die Sachen durchgesehen, die die Kollegen von der Spurensicherung geschickt hatten. Bisher hatten sie leider nicht viel gefunden. Die Gangster hatten kaum Spuren hinterlassen.
Die Fotos von dem ermordeten Juwelier gaben uns besonders zu denken. Der Mann war erschossen worden, obwohl er unbewaffnet gewesen war und keine Gefahr für die Verbrecher dargestellt hatte. Dies bewies einmal mehr, wie gefährlich die Bande war, die bei der Entführung von Loretta Trade bereits den Chauffeur kaltblütig niedergeschossen hatten. Der Mann lag noch im Koma.
Dass es sich bei den Gangstern, die den Juwelier töteten und ausraubten, um dieselben Leute handelte, die auch Loretta Trade entführten, erschien uns durchaus möglich. Wir hatten über die Art der Vermummung, die die Entführer von Loretta benutzten, nichts an die Öffentlichkeit dringen lassen. Dass es sich um Nachahmungstäter handelte, war also auszuschließen. Dass die Diebe zufällig die gleichen Masken benutzten wie die Entführer von Loretta, war eher unwahrscheinlich.
Das-Video der Überwachungskamera hatten Milo und ich uns mehrmals angesehen. Schließlich waren wir damit zu den drei Männern gegangen, die to bei der Befreiungsaktion von Loretta verhaftet hatten. Aber die Kerle hatten sich den Film nur ungerührt angesehen und behauptet, nicht erkennen zu können, ob einer der Vermummten der Boss war.
Schließlich war uns nichts anderes übrig geblieben, als mit der Videokassette zurück nach Coney Island zu fahren, um sie Loretta vorzuführen.
Lexington, der sich ebenfalls im Livingroom aufhielt, legte nun die Kassette in den Videorekorder und reichte mir die Fernbedienung. Fragend sah ich Loretta an, die in steifer Haltung in einem Sessel saß und starr auf die Mattscheibe blickte.
»Sind Sie sicher, dass Sie den Anblick der Vermummten wirklich ertragen?«, erkundigte ich mich.
Mark Lafella, den wir darum gebeten hatten, der Videovorführung beizuwohnen, lehnte sich von hinten über Lorettas Sessel. »Sie müssen sich diesen Film nicht ansehen«, sagte er mit gedämpfter Stimme. »Denken Sie daran, wie labil Sie noch sind…«
Loretta brachte den Psychologen mit einer fahrigen Handbewegung zum Schweigen. »Ich würde alles tun, damit der Kerl, der meine Entführung plante, endlich geschnappt wird«, erwiderte sie rau. »Lassen Sie das Video endlich laufen, Agent Trevellian!«
Ich drückte auf die Play-Taste. Auf dem Bildschirm zu sehen war der Verkaufsraum des Juwelierladens. Da die Kamera unterhalb der Decke angebracht gewesen war, sah man den Raum von einer erhöhten Position aus. Greg Loone, ein Schwarzer in maßgeschneidertem Anzug und mit kurzem Haar, ging zu einem Kasten, der an der Wand hinter dem Verkaufstresen hing, und öffnete ihn. Der Juwelier betätigte ein paar Knöpfe. Daraufhin begann sich draußen eine Stahljalousie vor die Schaufenster zu senken.
Die Jalousie hatte kaum die Hälfte der Fenster bedeckt, als plötzlich ein paar Gestalten vorbeihuschten. Die Tür wurde aufgestoßen. Drei vermummte Gestalten tauchten unter der Jalousie hindurch und erschienen im Verkaufsraum. Der Erste riss seine Waffe hoch und legte direkt auf die Kamera an. Ein Schuss löste sich, und das Bild brach zusammen. Stattdessen schwirrten nur noch schwarze und weiße Streifen über den Bildschirm.
Da ich das Video bereits kannte, sah ich nicht auf den Fernseher, sondern betrachtete Lorettas Gesicht. Es wurde kreidebleich, als die Vermummten in dem Juwelierladen auftauchten - und Loretta zuckte erschrocken zusammen, als einer von ihnen schoss.
»Ich… ich möchte die Szene noch einmal sehen«, sagte Loretta mit rauer Stimme.
Ich tat ihr den Gefallen und spulte die Kassette zurück. Diesmal war Lorettas Miene völlig unbewegt, als der Film auf der Mattscheibe ablief. Dann nickte sie plötzlich.
»Ja«, sagte sie. »Der Mann, der auf die Überwachungskamera feuerte, ist der Boss der Kidnapper!«
»Sind Sie sich wirklich sicher?«, hakte Milo nach.
Loretta nickte. »Er hat dieselbe drahtige Statur und dieselbe Art, sich zu bewegen.« Sie sah zu Milo auf. »Was ist mit dem Juwelier geschehen?«
Milo atmete tief durch. »Er ist tot«, sagte er. »Die Kerle haben ihn kaltblütig erschossen.«
Lorettas Kiefer mahlten. »So hätte es mir auch ergehen können«, kam es dann rau über ihre zitternden Lippen. »Ich habe meinen Chauffeur heute Nachmittag im Krankenhaus besucht. Er liegt noch immer im Koma und wird vielleicht nie wieder erwachen. Was sind das nur für Menschen, die eine unschuldige Frau entführen, ihren Chauffeur lebensgefährlich verletzen und einen Juwelier töten?«
Niemand in dem Raum sagte ein Wort. Doch dann war es Lafella, der die Stille brach.
»Sie haben sich nun genug gequält, Loretta.« Vorwurfsvoll sah er Milo und mich an. »Ich finde Ihre Vorgehensweise verantwortungslos!«
»Regen Sie sich wieder ab«, gab Milo schroff zurück. »Wir versuchen nur, ein Verbrechen aufzuklären. Und erst, wenn die Gangster hinter Schloss und Riegel sind, hat Loretta wirklich eine Chance, die schrecklichen Tage, die sie sich in der Gewalt der Entführer befand, zu verarbeiten!«
Loretta erhob sich. Ihr weißes Kleid raschelte. »Werden Sie den Kerl denn nun schnappen können?«, fragte sie.
Ich zuckte mit den Schultern. »Erst müssen wir die letzten Berichte aus den kriminaltechnischen Labors abwarten.«
Loretta gab Lafella ein Zeichen und wandte sich zum Gehen. »Halten Sie mich auf dem Laufenden, wenn sich etwas Neues ergibt«, bat sie, bevor sie zusammen mit dem Psychologen den Raum verließ.
Lexington hatte inzwischen die Kassette aus dem Videogerät geholt und überreichte sie mir.
»Wer war die Kleine, die vorhin bei Ihnen war?«, fragte ich übergangslos.
Lexington errötete. Doch dann hatte er sich wieder unter Kontrolle. »Sie ist bloß eine Freundin«, antwortete er ausweichend. »Ihr Name ist Lana Lebowski.«
»Sie haben sie nie erwähnt«, sagte Milo. »Auch nicht, als wir Sie darum baten, eine Liste von Ihren Freunden und Bekannten anzufertigen. Jeder im Umfeld Ihrer Familie könnte als Täter infrage kommen, das wissen Sie doch!«
Lexington sah Milo entrüstet an. »Aber doch nicht Lana!«, rief er und lachte hart und trocken.
»Warum nicht?«
»Weil Lana mich liebt«, behauptete Lexington ein wenig einfältig. »Außerdem wäre sie zu einem Verbrechen gar nicht fähig. Sie ist ein wenig naiv und genießt es, auf der Sonnenseite des Lebens zu stehen.«
»Wir werden Ihre Freundin trotzdem überprüfen müssen«, erklärte Milo. »Wie lieb Sie sie auch immer finden mögen.«
»Sie verschwenden mit ihr nur Ihre Zeit«, entgegnete Lexington überzeugt.
***
Am nächsten Morgen lagen die Berichte aus den Labors auf unserem Schreibtisch.
Die ballistischen Untersuchungen der beiden Pistolenkugeln, die in dem Juwelierladen sichergestellt worden waren, hatten ergeben, dass sie aus derselben Waffe stammten. Demnach war der Kerl, der die Überwachungskamera zerschoss, auch der Mörder von Greg Loone. Es sei denn, er hatte seine Waffe während des Überfalls an einen seiner Komplizen weitergegeben, der mit der Pistole dann den Juwelier erschoss. Aber diese Möglichkeit erschien Milo und mir eher unwahrscheinlich, da wir aufgrund der Videoaufzeichnung wussten, dass die beiden anderen Kerle ebenfalls bewaffnet gewesen waren.
Milo lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück und warf den Bericht der Ballistiker auf seinen Schreibtisch.
»Wir wissen also nun, dass der ›Boss‹ ein kaltblütiger Mörder ist«, resümierte er. »Trotzdem haben wir noch immer keinen Anhaltspunkt, wer hinter der verfluchten Maske steckt.«
»Ich frage mich die ganze Zeit, warum unser maskierter Unbekannter gleich nach der erfolglosen Geiselnahme einen Juwelier ausraubt«, murrte ich. »Der Kerl steckt wahrscheinlich in finanziellen Schwierigkeiten und braucht dringend einen Haufen Greenbucks.«
Milo brummte unzufrieden. »Wenn wir den Kerl doch nur schon geschnappt hätten. Loretta muss Todesängste ausstehen. Seit wir ihr gestern Abend das Video vorführten, hat sich ihre psychische Verfassung bestimmt verschlechtert. Als sie sich von uns verabschiedete, war ihr von der Selbstsicherheit, die sie auf der Party zur Schau getragen hatte, nichts mehr anzumerken. Sie sah um Jahre gealtert aus.«
»Du machst dir ja echt Sorgen um die Millionärin«, bemerkte ich.
Milo zuckte mit den Schultern. »Irgendwie bewundere ich Loretta. Sie hat einen starken Willen und einen wachen Geist. Ich glaube, sie erinnert mich ein bisschen an meine eigene Mom.«
Ich grinste, doch ich wurde gleich wieder ernst. »Ich schlage vor, wir nehmen noch einmal die Kerle in die Mangel, die wir bei der Befreiungsaktion verhaftet haben«, sagte ich. »Wenn wir sie mit den neuen Fakten über ihren Boss konfrontieren, lassen sie sich vielleicht dazu hinreißen, uns doch einen Hinweis zu geben.« Die drei Männer befanden sich noch in den Zellen im Keller des FBI-Gebäudes.
Ich schnappte mir das Telefon und wählte die Nummer des Büros von Irwin Foster und Dirk Baker, unseren Vernehmungsspezialisten.
»Agent Baker«, meldete sich unser Kollege.
»Hi, Malcolm«, begrüßte ich den Innendienstler. »Milo und ich wollen noch einmal die Männer vernehmen, die bei der Entführung von Loretta Trade mitgewirkt haben.«
»Hey, wollt ihr Irwin und mir etwa in die Suppe spucken?«, fragte Malcolm scherzend. »Wir haben die Bastarde ausgequetscht wie Zitronen. Sie wissen wahrscheinlich wirklich nichts über ihren Boss.«
»Ich zweifle ja gar nicht an euren gottgegebenen Fähigkeiten, einem die Seele aus dem Leib zu fragen. Wir haben nur ein paar Informationen, die wir den Ganoven nicht vorenthalten wollen. Vielleicht frischt das ja ihr Erinnerungsvermögen auf, sodass sie sich ganz plötzlich an etwas entsinnen, das sie vergaßen, euch zu erzählen.«
»Verstehe«, brummte Malcolm. »Ich glaube, ich habe auch schon den richtigen Kandidaten für euer Vorhaben. Versucht es einmal mit Bobby Mandrake. Er ist der Jüngste aus der Gruppe und am labilsten. Seine Mom hat ihn schon zwei Mal besucht. Jedes Mal gab es Tränen. Heute hat sie kurz mit mir gesprochen. Du wirst es nicht glauben, Jesse. Bobbys Mutter gestand mir, dass sie es war, die dem FBI den anonymen Hinweis zukommen ließ, der zur Befreiung der Geisel und der Verhaftung der drei Kidnapper führte. Sie hat ihrem Sohn nachspioniert und war so auf das Versteck gestoßen.«
Ich stieß einen überraschten Pfiff aus. »Es muss sie große Überwindung gekostet haben, ihren Sohn der Polizei auszuliefem.«
»Sie sah wohl keinen anderen Weg, ihren Sohn wieder auf die richtige Bahn zu bringen. Sie möchte allerdings nicht, dass wir es Bobby erzählen. Von ihm ist allerdings am ehesten zu erwarten, dass er mit Informationen rausrückt. Die beiden anderen Kerle sind verstockt. Irwin und ich haben den-Verdacht, dass sie mehr wissen als Bobby. Aber sie schweigen trotz all unserer Bemühungen. Wir konnten noch nicht einmal in Erfahrurig bringen, aus welchem Land sie stammen und wie sie in die Vereinigten Staaten gelangten.«
»Diese Kerle geben nicht nur euch ein Rätsel auf«, erwiderte ich. »Nachdem wir ihre Fingerabdrücke gescannt hatten, haben wir die Prints mit den Daten aus den Archiven des FBI verglichen. Es existieren dort aber keine Vermerke über die beiden Männer. Milo und ich versuchten es dann auch noch bei Interpol und dem Archiv der CIA, aber mit dem gleichen Ergebnis. Es sind nirgendwo Informationen über die beiden Männer gespeichert.«
»Wenn ihr wollt, bringe ich Bobby sofort in einen Vernehmungsraum«, sagte Malcolm.
»Danke. Wir sind gleich bei dir.«
***
Bobby Mandrake saß vornübergebeugt vor dem kleinen Tisch und starrte auf seine gefalteten Hände, die auf der Holzplatte ruhten. Bobby war ein athletischer, blonder Typ mit derben, grobschlächtigen Gesichtszügen. Seine Haut war braun gebrannt und wettergegerbt. Er hatte auf dem Bau gearbeitet, ehe er sich dazu entschloss, die Laufbahn eines Schurken einzuschlagen.
Ich hatte Bobby gegenüber Platz genommen, während Milo an der Wand neben der Tür lehnte. Gedämpftes Licht erfüllte den kahlen Raum, der außer dem quadratischen Tisch und den Stühlen kein Mobiliar aufwies. In die Wand rechts neben mir war eine dunkle Scheibe eingelassen, durch die man nur von der anderen Seite hindurchsehen konnte. In der schlauchartigen Kammer, die hinter der Scheibe lag, hielt sich Dirk Baker auf, der die Vernehmung mitverfolgen wollte.
»Du weißt, warum wir hier sind, Bobby«, eröffnete ich das Gespräch.
»Na klar«, erwiderte Bobby, ohne von seinen Händen aufzusehen. »Es geht um die Schlampe, die wir entführt haben. Ich kann schon nicht mehr zählen, wie oft ich euch Bullen bis ins kleinste Detail geschildert habe, wie die Sache abgelaufen ist. Ich war dafür zuständig, ein passendes Versteck für die Millionärin zu finden, weil die anderen Kerle sich in New York nicht auskannten. Bei der Gefangennahme der stinkreichen Lady war ich nicht dabei. Ich hab sie nur in dem abgebrannten Haus in der Bronx in Empfang genommen. Lasst mich also endlich in Ruhe.«
»Wir sind erst dann mit dir fertig, wenn wir deinen Boss geschnappt haben«, sagte Milo kalt.
»Verdammt!«, knurrte Bobby. Seine Hände verkrampften sich ineinander, sodass die Knöchel weiß hervortraten. »Ich kenne das Arschloch nicht, das sich hinter der Maske versteckt!«, rief er zornig. »Wenn wir uns trafen, trug er immer seine verdammte Sado-Maso-Maske.«
»Wir haben das Video aus dem Juweliergeschäft, das wir euch gestern zeigten, Miss Trade vorgeführt«, erklärte ich unbeeindruckt. »Sie behauptet, in einem der Kerle euren Anführer wiedererkannt zu haben.«
Bobby kniff die Lippen zusammen, wodurch sein kantiges Gesicht noch grobschlächtiger wirkte.
»Wir wissen inzwischen, dass dein Boss den Juwelier erschoss«, sagte ich gedehnt, um die Worte auf Bobby wirken zu lassen. »Dein Boss ist ein brutaler Killer. Er tötete den Juwelier ohne ersichtlichen Grund.«
Bobby knetete seine Hände. Noch immer sah er nicht von der Tischplatte auf. »Dieses Schwein!«, stieß er plötzlich gepresst hervor. »Er hat versprochen, mich reich zu machen. Ich brauchte dafür nur eine wohlhabende Tussi für einige Tage zu verstecken und aufzupassen, dass sie niemanden von den anderen erkannte. Es würde alles glattgehen, hat der Boss gesagt. Niemand würde etwas passieren! Pah!« Bobby schlug mit der Faust auf den Tisch. »Und nun ist schon ein Mensch gestorben, und einer schwebt noch in Lebensgefahr!«
»Du hast uns immer noch nicht gesagt, wie du mit dem Maskierten zusammengekommen bist«, sagte ich.
Bobby schüttelte energisch den Kopf. »Es sind genug Leute durch dieses maskierte Schwein in den Abgrund gerissen worden«, meinte er rau. »Von mir erfahrt ihr nichts!«
»Dich wird es aber noch viel tiefer in den Abgrund reißen, wenn dir vor Gericht vorgeworfen wird, einen Mörder zu decken«, sagte Milo und verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wie wird deine Mutter reagieren, wenn sie bei ihrem nächsten Besuch erfährt, dass ihr Sohn gemeinsame Sache mit einem Mörder macht?«
Bobby sprang auf. Schwer stützte er sich mit den Fäusten auf die Tischplatte und starrte Milo mit wutfunkelnden Augen an. »Lass meine Mutter aus dem Spiel, G-man!«, schrie er.
Milo sah Bobby gelassen an. Doch in Wahrheit war er genauso angespannt wie ich. Ich war bereit, jeden Moment aufzuspringen um mich auf Bobby zu werfen, falls er versuchen sollte, Milo anzugreifen.
Aber so dumm war Bobby nun doch nicht. Wie festgenietet blieb er stehen. Sein mächtiger Brustkorb hob und senkte sich, als versuchte er, eine Luftmatratze aufzupusten. Er visierte Milo mit feindlichem Blick, während es in seinem groben Gesicht nervös zuckte.
Milo hatte Bobbys wunden Punkt getroffen!
»Du bist es, der deine Mutter unglücklich macht«, sagte Milo hart. »Du kannst mir glauben, Es würde mich wirklich froh machen, wenn ich ihr bei ihrem nächsten Besuch berichten könnte, dass du Fortschritte machst und uns einen wichtigen Hinweis geliefert hast, der uns vielleicht hilft, den maskierten Unbekannten zu fassen. Der Richter wird das sicherlich auch anerkennen.«
Bobby sackte plötzlich in sich zusammen. Schwer ließ er sich auf den Stuhl fallen und vergrub sein Gesicht in seine Pranken.
»Also gut«, kam es dumpf zwischen den Fingern hervor. »Ich sage euch, wer mich mit dem Maskierten zusammenbrachte. Aber ihr dürft meinen beiden Mitgefangenen nichts davon verraten. Ich habe Angst vor diesen Typen.«
»Versprochen«, sagte ich.
Bobby nahm die Hände vom Gesicht und sah mich unverwandt an. In seinen Augen schwammen Tränen. »Der Mann, der mich mit dem ›Boss‹ zusammenbrachte, heißt Jacob Tregger. Tregger ist okay. Er hatte seine Finger bestimmt nicht in dieser Entführungsgeschichte drin. Aber er weiß eine Menge, was in der Szene so los ist.«
Bobby verschränkte wieder seine Hände ineinander und starrte auf sie hinab. »Ich hatte Tregger erzählt, dass ich meinen Job auf dem Bau verlieren würde. War bei der Arbeit ein paar Mal betrunken und habe ziemlichen Mist gebaut. Der Vorarbeiter hatte schließlich die Schnauze voll und erklärte, dass ich noch bis Ende der Woche bleiben könnte. Danach sollte ich mich auf der Baustelle nicht wieder blicken lassen.«
Tief atmete Bobby durch. Dann fuhr er fort: »Ich brauchte das Geld aber, das ich auf dem Bau verdiente. Meine Mom… sie ist krank. Ein Tumor wächst in ihrem Kopf. Die Operation ist teuer, und Mom hat keine Krankenversicherung. Darüber hab ich mich bei Tregger ausgeheult. Er hat so eine gewisse Art, es einem leicht zu machen, ihm das Herz auszuschütten.«
»Und was weiter?«, fragte ich.
»Tregger sagte mir daraufhin, dass er etwas wüsste, was meine Probleme ein für alle Mal aus der Welt schaffen könnte. Es war etwas Illegales - das hat er mir von vornherein gesagt. Wenn ich Interesse hätte, sollte ich mich um Mitternacht in einem verlassenen Hinterhof in der Bronx einfinden.«
»Und du hast sofort zugestimmt?«, wollte ich wissen.
Bobby sah zu mir auf. »Ich habe lange überlegt, ob ich dort hingehen soll«, sagte er. »Aber dann tat ich es doch. Schließlich war es Tregger gewesen, der mir diesen Tipp gab. Er war immer wie ein Vater zu mir, und ich vertraute ihm.«
»Was geschah dann?«
»In dem Hinterhof traf ich auf den Maskierten. Es waren sechs andere Männer bei ihm. Zwei von ihnen habt ihr bei eurer Aktion verhaftet.«
»Wie viele Leute gehörten insgesamt zu der Gang?«, fragte Milo.
»Sieben«, antwortete Bobby. »Sie vinterhielten sich meistens auf Spanisch. Ich glaube, die Männer kennen sich untereinander gut. Und sie hatten einen Heidenrespekt vor dem maskierten Boss. Wahrscheinlich hätten sie die Entführung ohne mich durchgezogen, wenn sie nicht auf jemanden angewiesen gewesen wären, der sich in der Bronx auskennt.«
»Das wäre besser für dich gewesen, Bobby«, sagte Milo.
Bobby zuckte mit den Schultern und grinste zynisch. »Ich dachte, das Versteck in dem abgebrannten Haus wäre sicher. Aber ihr habt es trotzdem gefunden.«
Dass wir diesen Umstand allein seiner Mutter zu verdanken hatten, verschwiegen wir. Sie würde es ihrem Sohn vielleicht irgendwann selbst sagen.
»Wo finden wir Tregger?«, wollte ich wissen.
»Er ist meistens in einem Club in Harlem. Der Schuppen heißt Glitter-Lady. Es ist ein scharfer Laden. Und ich fürchte, ihr G-men werdet ihn nun ruinieren und mit Razzien heimsuchen. Verfluchter maskierter Kerl! Bringt nichts als Unheil. Ich bin froh, wenn ihr ihn schnappt!«
Milo und ich tauschten einen raschen Blick. Es war Zeit, die Vernehmung zu beenden.
»Du hast uns sehr geholfen, Bobby«, sagte ich und stand auf. »Deine Mutter hat jetzt wieder einen Grund, stolz auf dich zu sein.«
Wir wandten uns zum Gehen. Doch in der Tür drehte Milo sich noch einmal zu dem Mann um, der nun wie ein Häuflein Elend an dem Tisch kauerte und wieder auf seine gefalteten Hände starrte.
»Loretta Trade ist übrigens auch eine Mutter«, meinte er. »Sie hat einen Sohn in deinem Alter.«
Bobby zuckte ungerührt mit den Schultern. »Miss Trade gehört zur anderen Seite«, sagte er lapidar. »Sie ist Millionärin. Ihr Schicksal interessiert mich nicht. Ich bereue es nicht, versucht zu haben, ein Stück von ihrem Vermögen an mich zu reißen. Leider hat es nicht geklappt. Meiner Mutter hätte es das Leben gerettet.«
***
Milo und ich saßen in unserem Office, hatten die Krawatten gelockert und die Hemdsärmel hochgekrempelt. Beide starrten wir auf den Bildschirm und warteten, was das elektronische Archiv uns auf unsere Anfrage hin schicken würde.
»Na mach schon«, murrte Milo leise und trommelte mit den Fingern entnervt auf die Tischplatte. Wahrscheinlich dachte er in diesen Sekunden auch an den alten Neville, der früher in dem Archiv gearbeitet hatte und an den wir unsere Anfragen gerichtet hatten, die jetzt der Computer für uns bearbeitete. Mit seinem phänomenalen Gedächtnis hatte Old Neville sich wie kein zweiter in dem umfangreichen Archiv des FBI ausgekannt und uns über manchen Mobster mit Informationen versorgt, die nicht einmal in den Akten standen. Doch die Besuche in dem düsteren Archiv gehörten längst der Vergangenheit an. Old Neville war in den wohlverdienten Ruhestand getreten, und die Suchprogramme der Computer hatten seine Aufgabe übernommen.
Ein leises Schnarren zeigte an, dass das Datenpaket aus dem Archiv in unseren Computer geladen wurde. Ein Fenster mit dem Suchbegriff, den wir auf die Reise in das elektronische Archiv geschickt hatten, wurde geöffnet. »Jacob Tregger« lautete der Name, auf den sich die eingehende Datei bezog. Sie schien ziemlich umfangreich zu sein, denn es dauerte wieder einige Sekunden, bis ein leiser Piepton uns signalisierte, dass der Vorgang abgeschlossen war.
»Na endlich«, sagte Milo. »Länger hätte der alte Neville auch nicht gebraucht, um die entsprechende Akte für uns herauszusuchen. Nur dass er uns zwischendurch noch eine Anekdote aus seinem langen, ereignisreichen Leben erzählt hätte.«
»Du machst wirklich keinen Hehl daraus, dass du dich mit dem Computer nicht anfreunden kannst, Alter«, sagte ich und lächelte. »Aber du hast recht. Old Neville fehlt mir auch. Wir haben viel von ihm gelernt.«
Ich beugte mich vor und betrachtete den Bildschirm, auf dem nun ein Text zu sehen war. In der rechten Ecke befand sich auch ein Foto von Jacob Tregger. Er hatte ein schmales, hageres Gesicht, halblanges dunkles Haar und buschige Brauen, die seine dunklen Augen noch düsterer aussehen ließen.
»Sieh mal einer an«, murmelte Milo, der schon angefangen hatte, den Text zu lesen. »Jacob Tregger hat wegen Drogenhandel gesessen. Der Staatsanwalt hatte versucht, ihn als Kronzeugen für einen Prozess gegen einen Mafiaboss zu gewinnen, für den Tregger angeblich gearbeitet haben soll. Aber aus der Sache wurde nichts. Tregger ließ sich nicht auf den Handel ein und brummte seine Zeit im Knast ab, die ihm das Verfahren wegen Dealerei einbrachte.«
»Um welchen Mafiaboss ging es dabei?«, fragte ich, da Milo den Text bereits weitergescrollt hatte und ich mit dem Lesen nicht so schnell nachkam.
»Der Kerl heißt Tim Monroe«, erklärte Milo, während er weiterlas. »Die Behörden hätten ihn fast drangekriegt. Aber letztendlich scheiterte die Überführung an der Loyalität seiner Mitarbeiter. Jacob Tregger war nicht der Einzige, der aus Monroes Dunstkreis in den Knast wanderte. In dieser Datei befindet sich eine Liste von mutmaßlichen Mitarbeitern des Mobsters. Aber keiner von ihnen hat gegen Monroe ausgesagt, sodass der Mobster am Ende wieder freigelassen werden musste.«
Milo hatte den Text zu Ende gelesen und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Geht aus der Datei hervor, welche Aufgabe Jacob Tregger in der Organisation von Tim Monroe erfüllte?«, fragte ich.
»Angeblich war Tregger ein Vertrauter. Wenn das wirklich wahr ist, muss er sehr viel Wissen über die Struktur und die Geschäfte von Monroes Bande gehabt haben.«
Ich nahm die Maus zur Hand und scrollte den Text, bis die Liste der mutmaßlichen Mitglieder von Monroes Organisation auf dem Bildschirm erschien.
Rasch überflog ich die Namen - und stutzte.
»Wow!«, stieß ich hervor und deutete auf einen Namen auf der Liste. »Sieh mal, wen ich hier gefunden habe!«
Milo beugte sich vor. »Greg Loone«, sagte er überrascht. »Der ermordete Juwelier stand also im Verdacht, Monroes Organisation anzugehören!«
»Die Sache nimmt langsam Formen an«, sagte ich. »Versuch mehr über Tim Monroe herauszufinden. Ich werde inzwischen Mister McKee anruf en und ihm unsere neuesten Erkenntnisse mitteilen. Und dann knöpfen wir uns gemeinsam diesen Jacob Tregger vor!«
***
Eine Viertelstunde später hatte Milo alle nötigen Informationen aus dem Computer gezogen. Wir wussten nun, dass Tim Monroe in einer Villa im Norden von New York wohnte. Entweder war er wirklich kein Mafioso gewesen, wie er behauptet hatte, oder aber er hatte sich aus dem Geschäft zurückgezogen.
Jedenfalls war Tim Monroe, nachdem die Behörden ihn an der Kandare hatten, nicht wieder in krumme Geschäfte verwickelt gewesen. Er wurde noch lange vom FBI beschattet, und auch sein Telefon wurde abgehört. Aber es gab in seinem Leben nichts, was einen G-man hätte interessieren können.
Seitdem wurde Monroe nur noch sporadisch überprüft. Bisher jedoch ohne Erfolg. Der ehemalige Mobster schien ein braver Bürger geworden zu sein, der von Aktiengeschäften lebte.
Jacob Tregger wohnte in einem Apartment im oberen Stockwerk eines alten Backsteinhauses in Harlem. Das Gebäude war schon ziemlich alt und gehörte zu jenen Wohnhäusern, die wegen ihrer nostalgischen Feuertreppen unter Denkmalschutz standen.
Draußen auf der Treppe lungerten ein paar Jugendliche herum. Es waren hauptsächlich Schwarze. Sie rauchten Zigaretten und lauschten hingebungsvoll dem schnodderigen Sprechgesang einer Rap-Band, der aus einem schrottigen Ghettoblaster dröhnte. Die Jungs wiegten ihre Köpfe im Rhythmus der Basdrum und schrien »Yeah!«, wenn ihnen eine Textpassage besonders gut gefiel. Ein paar Girls in Lederklamotten und schwarzer Spitze standen neben der Treppe und kicherten, als Milo und ich wie Störche über die Jungs hinweg staksten und zum Eingang hinauf gingen.
In dem düsteren Treppenhaus roch es muffig und nach billigem Essen. Der Rap-Song hallte dumpf in dem Treppenschacht nach. Aber keinen der Bewohner schien das zu stören. Oder sie wagten nicht, das Wort gegen die Jugendlichen zu erheben.
Milo und ich stiegen die ausgetretenen Stufen empor. Hinter einer Apartmenttür im ersten Stock schrie ein Baby.
»Verdammt, Donna! Kümmer dich endlich um deine hysterische Tochter!«, rief ein Mann.
»Halt die Klappe, du Nichtsnutz!«, kam prompt Donnas Antwort. Ihre Stimme war fast so schrill wie die des Babys.
Die beiden stritten sich noch eine Weile weiter. Aber Milo und ich konnten die Worte nicht mehr verstehen. Stockwerk für Stockwerk arbeiteten wir uns in dem Treppenhaus empor. In fast jeder Etage schlug uns ein anderer Geruch entgegen.
Dann endlich hatten wir das oberste Stockwerk erreicht. Drei Türen gingen von dem Flur ab. Sie sahen insgesamt etwas gepflegter aus als die übrigen, die wir in dem Haus bisher gesehen hatten, was vermuten ließ, dass die Mieter wohlhabender waren als der Rest der Hausbewohner. Auch in Harlem musste man für eine Wohnung in den oberen Etagen, wo der Lärm nicht ganz so schlimm und der Ausblick besser war, mehr bezahlen.
Das Schildchen mit der Aufschrift: »Tregger« verriet uns, dass unser Mann in der linken Wohnung wohnte. Milo drückte auf die Klingel, und kurz darauf waren schlurfende Schritte hinter der Tür zu vernehmen. Eine verschlafene weibliche Stimme fragte: »Tregger, bist du das?«
Milo und ich sahen uns an. Es hörte sich ganz so an, als wäre Tregger nicht zu hause. Trotzdem würden wir die Wohnung durchsuchen. Einen Hausdurchsuchungsbefehl hatten wir in der Tasche. Der Federal Atomey hatte sich in dieser Beziehung nicht lumpen lassen.
»He! Wer, zum Teufel, ist da?«, rief die Frau durch die verschlossene Tür. »Wenn ihr die Freaks seid, die den ganzen Tag auf der Treppe abhängen und die Leute mit eurer Musik nerven, rate ich euch, lieber zu verschwinden. Ich bin nicht besonders gut aufgelegt!«
»Wir sind vom FBI!«, rief ich und zog meine Dienstmarke, um sie der Frau gleich vorführen zu können, wenn sie die Tür öffnete.
Doch daran schien sie kein Interesse zu haben. Hektische Geräusche waren plötzlich hinter der Tür zu hören. Dann folgte ein hartes metallisches Ratschen.
»Achtung!«, rief Milo und versetzte mir einen derben Stoß, sodass ich von der Tür wegkatapultiert wurde.
Im nächsten Moment barst das Türblatt, als zwei rasch aufeinanderfolgende Schüsse darauf abgegeben wurden.
Holzsplitter fetzten in den Flur, und der Putz der gegenüberliegenden Wand bekam zwei kleine Krater.
Die Frau benutzte wahrscheinlich eine doppelläufige Schrotflinte!
Bevor sie wieder schießen konnte, musste sie die Waffe nachladen.
Milo und ich zogen unsere SIG-Sauer-Pistolen, gingen neben der Tür in Stellung. Es bedurfte nur einiger knapper Gesten, um unser Vorgehen aufeinander abzustimmen. Dann ging ich rasch in die Knie und postierte mich mit einem Dreh um meine Achse direkt vor die Tür - die SIG- schussbereit in meinen Fäusten. Durch das Loch, das die Schrotladungen in das Holz geschlagen hatten, erhaschte ich einen Blick in den Flur der Wohnung.
Eine schwarzhaarige Frau, die nichts als einen weißen Tanga-Slip trug, fingerte hektisch an einer Schrotflinte herum, dessen Zwillingslauf abgesägt war. Lange schwarze Haarsträhnen bedeckten das Gesicht des Girls.
Milo schnellte sich von der Wand ab, wirbelte herum und gab der Tür einen Tritt. Das zerstörte Türblatt schwang auf und krachte gegen die Wand.
Der Kopf des Girls ruckte hoch. »Scheiße!«, schrie sie und warf die Schrotflinte zu Boden.
Der kurze Blick in das zierliche Gesicht des Girls reichte aus. Ich hatte dieses Gesicht mit den grünen Augen, der langen schmalen Nase und den geschwungenen Brauen vor wenigen Tagen auf einem Fahndungsfoto gesehen, das von dem Feldbüro in New Haven an alle FBI-Dienststellen der Vereinigten Staaten verschickt worden war.
Die Frau hieß Sandra Ryan. Sie hatte in New Haven einen Geldtransporter überfallen und auf der Flucht einen Cop lebensgefährlich verletzt. Seitdem wurde überall fieberhaft nach ihr gesucht.
»Stehen bleiben!«, rief ich.
Aber die Frau hörte nicht. Rasch verschwand sie in einem angrenzenden Zimmer.
Milo und ich stürmten in den Korridor und gingen neben dem Durchgang, durch den die Frau verschwunden war, erneut in Deckung.
»Kommen Sie mit erhobenen Händen raus, Miss Ryan!«, rief Milo, der die Frau ebenfalls erkannt hatte.
»Einen Scheißdreck werde ich!«, schrie Sandra mit überschnappender Stimme. »Ich warne euch! Ich bin bewaffnet! Wer sich blicken lässt, dem verpass ich eine Kugel!«
»Machen Sie Ihre Situation nicht noch schlimmer«, versuchte ich es mit Psychologie. »Geben Sie auf, Sandra! In Ihrem Aufzug kommen Sie sowieso nicht weit!«
Lautes Rumoren und Poltern war plötzlich zu hören. Das Girl schien ziemlich beschäftigt zu sein.
Ich nutzte meine Chance und huschte flink in den angrenzenden Raum. Milo gab mir Deckung.
Aber Sandra Ryan war nicht mehr im Zimmer. Ich sah gerade noch, wie sie aus dem Fenster verschwand. Sie hatte sich eine Lederjacke übergeworfen. Sie war ihr um einige Nummern zu groß und reichte ihr bis knapp über den knackigen Po.
»Sie ist über die Feuerleiter getürmt!«, rief ich Milo zu. »Ich verfolge sie. Versuch du, ihr den Weg abzuschneiden!«
Milo wirbelte herum und stürmte aus der Wohnung. Ich rannte unterdessen zum Fenster, kletterte hindurch und stand wenig später auf dem Rost, der die oberste Plattform der Feuerleiter bildete und sich die ganze Fassade entlang erstreckte.
Unter mir ertönten die Schritte der Flüchtenden. Das Gerüst bebte. Durch den Bodenrost hindurch sah ich auf Sandra Ryan herab, barfuß und mit fliegendem Haar. In ihrer zierlichen Hand hielt sie einen klobigen Revolver.
Augenblicklich begann ich mit der Verfolgung. Ich musste die Frau aufhalten, bevor sie die Straße erreichte und mit ihrer Waffe Unheil anrichten konnte.
Immer drei Stufen auf einmal nehmend stürmte ich die steile Eisentreppe hinab.
Sandra wirbelte plötzlich herum, riss den Revolver hoch und feuerte, traf aber nicht.
Doch sie hatte einen Vorsprung gewonnen und stürmte bereits die unter mir gelegenen Treppen hinunter.
»Mist!«, presste ich hervor und hastete die Stufen hinab, bis ich die nächste Plattform erreichte.
Eine dicke weiße Frau lehnte sich aus einem Fenster. Sie trug eine geblümte Schürze und sah ziemlich übellaunig aus.
»Was soll der Krach?«, meckerte sie. »Reicht es nicht, dass ihr jungen Burschen uns mit eurer abartigen Musik malträtiert?«
»Ziehen Sie den Kopf wieder ein!«, rief ich, während ich an der Frau vorbeirannte. Ich spähte durch den Rost nach unten - und sah, wie Sandra durch ein Fenster stieg und verschwand!
Verflucht! Sandra war in eine Wohnung eingedrungen! Damit hatte ich nicht gerechnet.
Sekunden später erreichte ich die nächste Plattform. Über mir zeterte die Frau noch immer. Sie schien das alles für eine Art Spiel zu halten. Ich stürmte zu dem Fenster, durch das Sandra gestiegen war, presste mich mit dem Rücken gegen die Mauer. Vorsichtig spähte ich dann durch das Fenster, die SIG schussbereit in der Rechten.
Das Zimmer, in das ich sah, war einfach und billig eingerichtet. Sandra beugte sich in diesem Moment über einen Laufstall. Rabiat riss sie das Baby, das sich darin befand, an sich.
Ich zielte mit der Waffe auf das Girl. Doch da wirbelte Sandra auch schon mit dem Baby auf dem Arm zu mir herum, den Lauf ihres Revolvers gegen die Brust des kleinen Bündels gedrückt.
Sandras Gesicht war verschwitzt. Die schwarzen Haarsträhnen klebten auf ihrer Stirn. Mit weit aufgerissenen Augen starrte sie mich an.
»Verpiss dich, Scheiß-Bulle!«, schrie sie mit überschnappender Stimme. »Oder ich puste diesem schwarzen Balg das Lebenslicht aus!«
»Beruhigen Sie sich, Sandra!«, sprach ich eindringlich auf sie ein. »Sie haben in New Haven eine Dummheit begangen. Wollen Sie Ihre Fehler wiederholen?«
Weiter kam ich nicht, denn in diesem Moment regte sich plötzlich etwas in dem Fernsehsessel, der rechts in einer Ecke des Zimmers stand. Es war ein Schwarzer, der offenbar in dem Sessel geschlafen hatte und nun erwachte. Ein schmuddeliges Rippenunterhemd spannte sich über seinen massigen Leib. Er trug eine verbeulte Jogginghose und ausgetretene Turnschuhe, um die herum sich leere Bierdosen auf dem Boden' gruppierten. Links von mir und dem Mann gegenüber stand eine Glotze. Über den Bildschirm flimmerte ein Boxkampf. Der Ton war auf stumm geschaltet.
Sandra hatte den Mann vorher anscheinend noch nicht bemerkt. Hektisch blickte sie nun zwischen ihm und mir hin und her.
»He!«, rief der Mann mit rauer, verschlafener Stimme. »Was geht denn hier ab? Lassen Sie sofort meine Kleine wieder runter!«
Er machte Anstalten sich in dem Fernsehsessel hochzustemmen.
Sandra reagierte eiskalt. Sie riss den Revolver von dem Baby fort und schoss auf den Mann. Die Kugel traf ihn in die Brust und schleuderte den Schwarzen in den Sessel zurück. Das Baby fing daraufhin an zu schreien und strampelte mit den Ärmchen und Beinchen.
Ich hatte Sandra genau im Visier, konnte aber nicht abdrücken, da sie das zappelnde Baby vor ihrer Brust hatte.
Der Mann in dem Fernsehsessel röchelte und spuckte Blut. Ein Zittern durchlief seinen massigen Körper, und seine Augen waren panikartig aufgerissen.
»Verdammt, Sandra!«, rief ich und kletterte langsam durch das Fenster, wobei ich die Frau immer im Visier hatte. »Sie machen alles nur noch schlimmer. Leben Sie das Baby zurück!«
»Bleiben Sie, wo Sie sind!«, kreischte Sandra. Tränen schossen ihr in die Augen, während sie den Revolver demonstrativ auf das Baby richtete. »Tregger, dieses Schwein - er hat mir versprochen, ich wäre bei ihm sicher. Stattdessen hetzt er mir das FBI auf den Hals. Was zahlt ihr ihm, damit er seine Freunde verpfeift?«
»Sie irren sich«, entgegnete ich ruhig. »Nicht wegen Ihnen sind wir hier. Wir wussten nicht, dass Sie sich in der Wohnung von Jacob Tregger aufhielten. Eigentlich hatten wir Tregger bloß ein paar Fragen stellen wollen. Sie sehen also, dass Sie gar keinen Grund haben, durchzudrehen. Leben Sie das Baby jetzt endlich zurück. Dann sprechen wir über alles.«
Die Frau stieß ein hartes, freudloses Lachen aus. »Für wie blöd halten sie mich? Ich will nicht in den Knast. Wo ist eigentlich Ihr Partner?«
Sandra sah sich hektisch um, ohne dabei ihre Deckung zu vernachlässigen. Die Frau war gefährlich und unberechenbar. In dem Dossier, das uns das Field Office in New Haven zusammen mit dem Fahndungsfoto geschickt hatte, stand, dass Sandra wegen Körperverletzung und Diebstahl bereits mehrfach vorbestraft war. Ein nicht gerade gewöhnlicher Lebenslauf für eine junge Frau, die ziemlich attraktiv und zierlich aussah.
»Mein Kollege wartet unten beim Hauseingang«, sagte ich und ging dabei seitlich zu dem Mann im Fernsehsessel. Sein schmuddeliges Unterhemd hatte sich über der Brust rot verfärbt. Er hatte inzwischen das Bewusstsein verloren, und der Kopf war ihm auf die Brust gesunken. Wenn ihm nicht rasch geholfen wurde, würde er in seinem Fernsehsessel verbluten.
Da bemerkte ich die Fernbedienung für den Fernseher. Sie lag zwischen den leeren Bierdosen auf dem Boden. Der Knopf für die Stummschaltung glimmte rot.
Ich fing Sandras Blick ein und setzte dann langsam den Fuß auf die Fernbedienung.