4 Extra Thriller Januar 2023 - Alfred Bekker - E-Book

4 Extra Thriller Januar 2023 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

4 Extra Thriller Januar 2023 (499) von Alfred Bekker, Franklin Donovan Der Umfang dieses Buchs entspricht 550 Taschenbuchseiten. Dieses Buch enthält folgende Romane: Franklin Donovan: Trevellian und die Killer-Ballade Alfred Bekker: Die Waffe des Skorpions Alfred Bekker: Böser Bruder Alfred Bekker: Wir fanden Knochen Enrique Beltran hasste New York. Die riesige Steinwüste am Hudson River war viel kälter als seine mexikanische Heimat. Die New Yorker hetzten, drängelten, rasten. Die eleganten Ostküsten-Ladys warfen Beltran arrogante Blicke zu. Sie behandelten ihn wie Luft. Dabei wollte der Mexikaner unbedingt im Mittelpunkt stehen. Darum war er Sänger geworden. Aus diesem Grund schrieb er Lieder, die es in sich hatten. Seine Texte waren schärfer und verletzender als Giftdolche. Den Menschen sollten seine Killerballaden in den Ohren dröhnen. Hier, an der Ostküste, war man endlich auf ihn aufmerksam geworden. Und deshalb liebte Enrique Beltran New York. Hier würde er endlich ein Superstar werden, dachte Beltran.

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4 Extra Thriller Januar 2023

Alfred Bekker and Franklin Donovan

Published by Alfred Bekker, 2023.

Inhaltsverzeichnis

Title Page

Copyright

4 Extra Thriller Januar 2023

Trevellian und die Killer-Ballade

Die Waffe des Skorpions

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Böser Bruder

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Wir fanden Knochen

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Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author 

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen 

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Alles rund um Belletristik!

4 Extra Thriller Januar 2023

von Alfred Bekker, Franklin Donovan

Der Umfang dieses Buchs entspricht 550 Taschenbuchseiten.

Dieses Buch enthält folgende Romane:

––––––––

Franklin Donovan: Trevellian und die Killer-Ballade

Alfred Bekker: Die Waffe des Skorpions

Alfred Bekker: Böser Bruder

Alfred Bekker: Wir fanden Knochen

Trevellian und die Killer-Ballade

von Franklin Donovan

––––––––

Enrique Beltran hasste New York. Die riesige Steinwüste am Hudson River war viel kälter als seine mexikanische Heimat. Die New Yorker hetzten, drängelten, rasten. Die eleganten Ostküsten-Ladys warfen Beltran arrogante Blicke zu. Sie behandelten ihn wie Luft.

Dabei wollte der Mexikaner unbedingt im Mittelpunkt stehen. Darum war er Sänger geworden. Aus diesem Grund schrieb er Lieder, die es in sich hatten. Seine Texte waren schärfer und verletzender als Giftdolche. Den Menschen sollten seine Killerballaden in den Ohren dröhnen.

Hier, an der Ostküste, war man endlich auf ihn aufmerksam geworden. Und deshalb liebte Enrique Beltran New York. Hier würde er endlich ein Superstar werden, dachte Beltran.

***

Noch ahnte Beltran nicht, dass er nur noch eine halbe Stunde zu leben hatte. Der gebürtige Mexikaner schlenderte durch El Barrio. So wurde der Teil von Harlem genannt, in dem überwiegend Latinos lebten.

Wäre der kalte Wind vom East River nicht gewesen, Beltran hätte sich wie in Mexiko fühlen können. Überall roch es nach heißen Tacos und Burritos, aus den Bars tönte traditionelle Mariachi-Musik. Beltran grinste. Mit solchen sentimentalen Liebesliedern konnte man seiner Meinung nach keinen Hund mehr hinter dem Ofen hervorlocken. Die moderne Zeit brauchte Sänger wie ihn, Enrique Beltran. Das war seine feste Überzeugung.

An diesem Tag hatte Beltran richtig gute Laune. Selbst das kühle New Yorker Wetter machte ihm nichts mehr aus. In seiner Fantasie sah er sich schon als gefeierten Star der Latino-Musikwelt, von Mexico City bis Lima, von Kuba bis Paraguay.

Und dann erblickte er Florentina. Mit ihren engen Hüftjeans ,und dem bauchfreien Pullover war sie ein echter Blickfang.

Die junge Schönheit aus El Salvador arbeitete nur stundenweise an diesem Getränkestand in der West 116th Street. Daher wusste der Mexikaner nie, wann er sie treffen konnte. Bisher hatte sie ihn immer abgewiesen. Aber Beltran glaubte, dass an diesem Tag seine Glückssträhne begann. Daher wollte er bei Florentina einen neuen Eroberungsversuch starten.

Die Salvadorianerin rollte bereits genervt mit den Augen, als sie Beltran auf sich zukommen sah. Dieser mexikanische Dummschwätzer war einfach nicht ihr Typ.

»Buenos Dias, meine Schöne!«

»Ich bin nicht deine Schöne, sondern die Limonadenverkäuferin von Señor Rodriguez. Und ich stehe mir hier nicht zu meinem Vergnügen die Beine in den Bauch.«

»Warum so zickig, Florentina?« Beltran holte mit großer Geste eine Dollarnote aus der Tasche. »Eine eiskalte Orangenlimo für mich. Ich kann eine Abkühlung gebrauchen.«

Florentina machte sich an der Zapfanlage zu schaffen. Giftig gelbe Flüssigkeit rann in einen Plastikbecher. Die Verkäuferin sparte nicht mit den Eiswürfeln.

»Hier, dein Softdrink.« Sie kassierte und legte das Wechselgeld hin. »Und warum bist du so erhitzt bei dem ungemütlichen Wetter?«

»Dein Anblick lässt mein Blut brodeln. - Nun schau mich nicht so vernichtend an, Florentina. Das war nur ein Scherz. In Wirklichkeit habe ich hart an meinen neuen Liedern gearbeitet, Tag und Nacht. Nun sind sie endlich fertig. Und ich habe echtes Dynamit produziert, das kannst du mir glauben.«

Die Salvadorianerin war wenig beeindruckt.

»Dynamit, soso. Hast du deshalb deinen Fanklub gleich mitgebracht?«

»Was für ein Fanklub?«

Beltran wollte sich umdrehen. Und dann ging alles ganz schnell. Einer der drei Männer, die ein Stück weit hinter dem Mexikaner standen, hielt plötzlich eine Pistole in der Hand. Die Waffe krachte zweimal hintereinander. Schon beim ersten Schussgeräusch warf sich Florentina geistesgegenwärtig zu Boden. Sie wusste, wie schnell man sich im Big Apple eine Kugel einfangen konnte.

Doch keines der beiden Geschosse traf die junge Frau. Stattdessen schlugen sie in Beltrans Schädel ein. Das erste Projektil traf seinen Hinterkopf, das zweite hackte seitlich in seine linke Schläfe. Er war schon tot, als er mit dem Gesicht nach unten zu Boden ging-Florentina schrie entsetzt auf, denn plötzlich war überall Blut. Auch einige andere Passanten suchten entsetzt Deckung und riefen um Hilfe. Doch von den drei Männern ging einstweilen keine Bedrohung mehr aus. Sie stiegen in einen Buick und fuhren Richtung Midtown Manhattan davon.

Beltran lag auf der Kante zwischen Gehweg und Fahrbahn. Sein Blut sickerte in den Rinnstein.

***

Für Milo und mich begann dieser Arbeitstag mit einer Besprechung im Dienstzimmer von Mr McKee. Pünktlich fanden wir uns im FBI Field Office an der Federal Plaza ein. Die bezaubernde Sekretärin unseres Chefs hatte bereits für köstlichen Kaffee gesorgt. Mandy begrüßte uns mit einem strahlenden Lächeln.

Jonathan D. McKee nickte uns freundlich zu und bat uns mit einer knappen Handbewegung, Platz zu nehmen. Nachdem wir auf den Besucherstühlen saßen, schauten wir ihn erwartungsvoll an. Assistant Director McKee faltete seine schmalen Künstlerhände auf der Schreibunterlage seines penibel aufgeräumten Tisches.

»Gestern hat es eine Schießerei in El Barrio gegeben, wie Spanish Harlem ja seit einiger Zeit genannt wird. Die Tat erinnert an eine Exekution. Es wurden zwei Schüsse von hinten abgegeben, aus einer Distanz von ungefähr sechs Yards. Das Opfer hatte keine Chance.«

»Gibt es schon Erkenntnisse über den Ermordeten, Sir?«

»Negativ, Jesse. Es handelt sich um einen jungen Latino, vermutlich Mitte zwanzig. Er hatte keine Ausweispapiere bei sich. Das NYPD geht davon aus, dass es sich um einen illegalen Einwanderer handelt.«

»Das klingt für mich nach einer Abrechnung im Gangmilieu«, sagte ich. »Gibt es Tätowierungen, die auf eine Bandenzugehörigkeit hindeuten?«

»Nein, das nicht. Der Mann befand sich an einem Getränkestand, als die Schüsse fielen. Die Verkäuferin könnte etwas gesehen haben. Aber sie ist spurlos verschwunden.«

»Zeugen leben manchmal gefährlich«, grollte Milo. »Warum ist dieser feige Mord eigentlich ein FBI-Fall, Sir? Für Gang-Verbrechen hat das NYPD doch eine eigene Task Force.«

»Das stimmt, Milo. Allerdings hat sich bei einem Eiltest im Kriminallabor gezeigt, dass die Schüsse aus einer registrierten Pistole abgegeben wurden. Besagte Waffe fand bereits vor zwei Jahren bei einem Raubüberfall in New Jersey Verwendung.«

Ich nickte. Dadurch, dass die Waffe in zwei US-Bundesstaaten für Verbrechen benutzt wurde, ging der Fall automatisch an uns, das FBI.

»Gibt es weitere Zeugen?«, hakte ich nach. Der Chef schüttelte den Kopf.

»Als ein Patrolcar eintraf, war der betreffende Straßenabschnitt der West 116th Street wie leergefegt. Die Kollegen vom Police Department konnten immerhin feststellen, wem der Getränkestand gehört. Die Leiche des Ermordeten befindet sich in der Gerichtsmedizin. Sobald es Erkenntnisse von der Obduktion gibt, werden Sie informiert. Ansonsten sprechen Sie am besten mit den Beamten beim zuständigen Precinct.«

»Das werden wir tun, Sir.«

Milo und ich erhoben uns von unseren Stühlen und eilten hinaus. In meinem Sportwagen-E-Hybriden fuhren wir nach Harlem, zur 25. Revierwache in der 119th Street.

»Das Letzte, was wir jetzt gebrauchen können, ist ein neuer Bandenkrieg«, sagte Milo, als wir aus dem Wagen stiegen. »Die Gangs halten gerade ausnahmsweise einmal die Füße still. Wenn neue Revierkämpfe drohen, dann wird bald das gesamte Barrio einem Hexenkessel gleichen.«

»Gerade darum ist es wichtig, jetzt sofort einzugreifen«, erwiderte ich. »Ich bin gespannt, was die Kollegen uns erzählen können.«

Wir hatten Glück. Die jungen uniformierten Cops, die als Erste am Tatort gewesen waren, traten gerade wieder ihre Schicht an.

»Es gab also wirklich keine Zeugen?«, vergewisserte ich mich. Officer Jay Kaminski schüttelte den Kopf.

»Aber an diesem Getränkestand muss jemand gearbeitet haben, G-Man. Der Inhaber heißt Paco Rodriguez. Er lässt ständig wechselnde Aushilfen Limo verkaufen, möglichst weiblich, jung und hübsch...«

Seine Dienstpartnerin Officer Laurie Webster lachte und knuffte dem Cop freundschaftlich in die Seite.

»Das stimmt, Jay kriegt immer Stielaugen, wenn wir an dem Getränkestand vorbeifahren.«

Ich schrieb mir auf, wo wir diesen Rodriguez erreichen konnten. Er musste ja wissen, welche seiner Angestellten zur Tatzeit vor Ort gewesen war.

»Ist euch sonst noch etwas aufgefallen?«, fragte Milo.

Jay Kaminski und Laurie Webster verneinten.

»Wie gesagt, es gab unmittelbar am Tatort keine Zeugen«, meinte die junge Polizistin nach kurzem Nachdenken. »Aber ein Zeitungsverkäufer hat einen Block weiter südlich kurz nach den Schüssen einen Wagen in die Lenox Avenue einbiegen sehen. Könnte ein Chevy oder Buick gewesen sein. Aber er wollte sich nicht festlegen.«

Ich nickte. Da wir als FBI den Fall übernahmen, hatten die Detectives des Police Department nicht weiter ermittelt. Mehr Informationen als von diesen uniformierten Cops würden wir einstweilen nicht bekommen. Wir bedankten uns und verließen den Precinct.

»Willst du diesem Rodriguez auf den Zahn fühlen, Jesse?«

»Du hast es erraten.«

***

Der Besitzer des Getränkestandes hatte eine Gewerbeanmeldung für sein Geschäft, was bei vielen fliegenden Händlern auf den Straßen von New York nicht selbstverständlich ist. Trotzdem war er schwer zu finden. Seine Geschäftsadresse in der Amsterdam Avenue sah mir verdächtig nach Briefkastenfirma aus. Sein privates Apartment war eine Bruchbude in Whitestone, Queens. Immerhin gab es dort eine neugierige Nachbarin, die uns einen Hinweis geben konnte.

»Der Dicke ist selten hier«, plärrte sie. »Er hängt immer in so einer Texmex-Bar im Barrio herum.«

»Und wie heißt der Laden genau?«, bohrte Milo nach.

Die Frau legte die Stirn in Falten, wodurch die rosafarbenen Lockenwickler auf ihrem Kopf in Bewegung gerieten.

»Rio Grande Girls, glaube ich. Irgendwo an der Lenox Avenue.«

»Rio Grande Girls, kaum zu glauben«, murmelte Milo, als wir wieder in meinem roten Boliden saßen. »Immerhin ist es nicht weit vom Tatort bis zur Lenox Avenue.«

»Mit den Schüssen wird dieser Señor Rodríguez wohl nichts zu tun haben, falls er wirklich vom Limonadenverkauf lebt. Dieses Verbrechen hat seinem Geschäft jedenfalls ziemlich geschadet. Seine Verkäuferin ist glatt getürmt.«

»Stimmt genau, Jesse. Ich frage mich, ob sie auch die Kasse mitgenommen hat.«

»Das wird uns Rodríguez schon verraten.«

Doch so weit kam es vorerst nicht. Als wir das Rio Grande Girls betraten, verstummten dort schlagartig alle Gespräche. Die Bar war ein schlauchartiger düsterer Raum mit schäbiger Einrichtung. Selbst bei dem schummerigen Licht war der überall vorhandene Schmutz unübersehbar.

Obwohl die Bar schäbig und trist wirkte, verkörperte sie doch ein Traumbild vom guten Leben, das diese Menschen hier hatten. Die meisten von ihnen hatten ihrer Heimat den Rücken gekehrt, weil sie dort unter noch viel erbärmlicheren Bedingungen hausten. Selbst die übelste Bar in New York City war für sie schon ein Teil ihres ganz persönlichen amerikanischen Traums.

In der Bar hielten sich ein gutes Dutzend Menschen auf, die meisten von ihnen männliche Latinos. Doch es gab auch einige Mädchen und Frauen, die offenbar aus Süd- und Mittelamerika stammten. Jedenfalls sprachen sie alle Spanisch miteinander.

»La policia!«, rief jemand mit sich überschlagender Stimme. »La Migra!«

Ich wusste, dass die Beamten von der Einwanderungsbehörde im spanischen Straßenslang »La Migra« genannt wurden. Offenbar hielten die Barbesucher uns für Einwanderungsbeamte. Und außerdem schien das Rio Grande Girls keinen Hinterausgang zu besitzen. Jedenfalls stürmten die Latinos alle gleichzeitig auf uns los. Im ersten Moment glaubte ich, sie griffen uns an.

Doch die Leute wollten nur fliehen. Dabei standen wir ihnen allerdings im Weg. Ich hatte nicht vor, mich von einer wild gewordenen Menge zu Boden trampeln zu lassen. Milo ging es gewiss genauso. Das konnte schnell gefährlich werden.

»FBI! Niemand verlässt den Raum!«, rief ich. Doch damit machte ich alles nur noch schlimmer. Fäuste flogen, Ellenbogen wurden eingesetzt. Wir mussten uns unserer Haut wehren, um nicht einfach umgeworfen zu werden. Ich schickte einige Männer mit gezielten Kinnhaken zu Boden. Milo musste von einem Kerl mit rasiertem Schädel einen Kopfstoß in die Magengegend einstecken. Doch mein Partner drehte sich schnell, sodass er nicht die volle Wucht abbekam. Milo stellte dem Angreifer ein Bein, und dieser ging zu Boden.

Und dann war der Spuk vorbei. Von den Männern und Frauen, die verschwunden waren, besaß gewiss keiner eine Aufenthaltserlaubnis. Doch das war jetzt nicht unser Anliegen. Wir suchten Paco Rodriguez.

Wir fanden ihn selig schlummernd in einer Sitznische.

»Das muss er sein«, bemerkte Milo trocken. »Jedenfalls, wenn die Nachbarin recht hat.«

Die Lockenwickler-Lady hatte Rodriguez einen Dicken genannt. Die Figur dieses Kerls erinnerte wirklich an die eines Walrosses. Über seinem Bauch spannte ein Freizeithemd, das mit zahlreichen kleinen Eiffeltürmen bedruckt war.

»Ein Mann von Welt«, lachte mein Freund. »Mal sehen, ob er wasserscheu ist.«

Milo griff sich einen Sodawasser-Siphon und jagte dem Schlummernden eine Ladung von dem kühlen Nass ins Gesicht. Der Kerl riss seinen Mund auf, als käme er gerade von einer Tiefsee-Tauchtour zurück an die Meeresoberfläche.

»Was ist...«

»Paco Rodriguez?«, fragte ich laut und deutlich.

»Jaaaa...«

Wir hielten Rodriguez unsere FBI-Dienstausweise vor die Nase. Das ernüchterte ihn mehr als alles Sodawasser dieser Welt. Schlagartig verwandelte sich der Angetrunkene in einen unterwürfigen Musterknaben. Doch mir konnte er nichts vormachen. Dieser Rodriguez hatte etwas zu verbergen, das sagte mir meine langjährige Diensterfahrung.

»Sie haben von den gestrigen Schüssen an Ihrem Verkaufsstand an der West 116th Street gehört, Mister Rodriguez?«, begann ich.

Er nickte.

»Deswegen musste ich ja Trost im Tequila suchen, G-man.«

Rodriguez deutete auf eine leere Schnapsflasche, als ob diese irgendetwas beweisen würde. Dass er nicht mehr nüchtern war, konnten wir auf drei Meilen gegen den Wind riechen. Vor Gericht würde seine Aussage keinen Bestand haben, das war uns selbst klar. Doch wir brauchten für unsere Ermittlungsarbeit auch den kleinsten und scheinbar unwichtigsten Hinweis.

»Sie haben wegen des Mordes getrunken?«, hakte ich nach. »Kannten Sie das Opfer?«

»Das nicht, aber diese Florentina -sie ist mit dem Wechselgeld getürmt. Deshalb musste ich mir einen hinter die Binde gießen.«

Rodriguez warf mir einen halb ängstlichen und halb hasserfüllten Blick zu. Vermutlich fragte er sich selbst, ob er sich gerade um Kopf und Kragen redete. Jetzt ließen wir ihn jedenfalls nicht mehr vom Haken. Meine Fragen kamen nun Schlag auf Schlag.

»Ist Florentina die junge Lady, die an Ihrem Verkaufsstand Limonade ausgeschenkt hat?«

»J-ja.«

»Hat diese Florentina auch einen Nachnamen?«

Rodriguez stockte. Er überlegte anscheinend, wie viel er uns verraten durfte. Ich lächelte ihn an.

»Sie wollen doch gewiss Ihr Wechselgeld zurückbekommen, Mister Rodriguez?«

Er nickte eifrig.

»Und ob Ihre Angestellten eine Aufenthaltserlaubnis haben, kümmert uns wenig«, ergänzte Milo. »Wir sind nicht von der Einwanderungsbehörde, sondern jagen einen Mörder.«

Der Geschäftsmann rang nach Luft.

»Also gut, Agent. Florentina heißt mit Nachnamen Lopez. Sie haust als Untermieterin bei einem anderen Salvadorianer namens Jaime Valdez. Sie stammt selbst ebenfalls aus El Salvador.«

Rodríguez nannte uns die Adresse. Die Straße befand sich auch in El Barrio.

»Warum sind Sie dort nicht schon hingegangen, um Ihr Wechselgeld einzufordern?«, wollte ich wissen.

»Dieser Jaime ist ein Loco, ein Verrückter. Er verliert schnell die Beherrschung«, jammerte Rodríguez.

»Und warum haben Sie nicht die Cops verständigt?«, fragte ich. Darauf erwiderte Rodríguez nichts mehr. Er blickte zu Boden.

***

Ich beantwortete die Frage selbst, als wir wenig später wieder im Auto saßen.

»Wer geht schon zur Polizei, wenn er eine illegale Einwanderin beschäftigt?«

»Da hast du recht, Jesse. Rodríguez ist doch cleverer, als ich zunächst dachte.«

Wir erreichten das Haus, in dem die mögliche Zeugin wohnen sollte. Es war ein trister Wohnblock in der Edgecombe Avenue. Dieser Jaime Valdez, bei dem Florentina hauste, hatte ein Apartment im fünften Stockwerk. Wir erklommen die Treppe. Der Aufzug war kaputt.

Milo und ich stellten uns links und rechts von der Tür auf. Ich schlug mit der Faust gegen das billige Holz.

»Florentina Lopez? FBI New York. Öffnen Sie die Tür.«

Von drinnen waren einige halblaute Sätze auf Spanisch zu hören. Im nächsten Moment dröhnte ein Schuss. Ein großkalibriges Projektil stanzte ein Loch in die Tür. Eine Frau kreischte, ein Mann stieß raue Schreie aus. Die Waffe wurde noch einmal abgefeuert. Milo und ich zogen unsere Pistolen. Mit einem schnellen Blick verständigten wir uns.

Ich trat die Tür ein, während mein Partner mir mit seiner SIG Sauer im Beidhandanschlag Deckung gab. Das winzige Apartment bestand nur aus einem Raum. Dort lag eine Frau im Unterrock auf einem zerwühlten Bett. Sie schrie unverständliche Satzfetzen und hielt sich die Hände vor die Augen.

Wollte sie nicht sehen, was geschah? Oder war sie so berauscht, dass sie ihre Bewegungen nicht mehr kontrollieren konnte? Das war momentan nicht meine größte Sorge, denn ihr Begleiter nahm meine ganze Aufmerksamkeit in Anspruch.

Mitten im Zimmer stand ein junger Mann mit kahlrasiertem Schädel und wild tätowierten Armen. Er trug nur ein T-Shirt und eine Armyhose. Sein flackernder Blick deutete darauf hin, dass er mit Drogen vollgepumpt war. Das stand für mich fest. Dieser Glatzkopf war unberechenbar. Er würde morgen nicht mehr wissen, was er heute getan hatte. Das machte ihn so gefährlich.

Die schwere.357er Magnum in seiner rechten Faust deutete genau auf mein Gesicht. Wenn ich jetzt einen Fehler machte, war ich tot.

»Es ist alles in Ordnung«, sagte ich so ruhig wie möglich und schaute dem Kerl direkt in die Augen. Mir fiel Rodriguez wieder ein, der Jaime Valdez als einen Verrückten bezeichnet hatte. Nun, das konnte ich ihm nicht verdenken. Auf jeden Fall zitterte der Kahlrasierte vor Wut, ohne dass es einen erkennbaren Grund gab.

»Nichts ist in Ordnung«, röchelte er. Dabei fuhr er sich mit der Zungenspitze über die rissigen Lippen. Er hatte anscheinend großen Durst. Auch das deutete auf Drogenkonsum hin.

Ich war völlig konzentriert. Aus dem Augenwinkel bemerkte ich, dass nun auch Milo in der Wohnung stand. Mein Freund richtete seine Dienstwaffe ebenfalls auf den Durchgedrehten. Aber trotzdem konnte Valdez immer noch sehr viel Unheil anrichten.

»Florentina«, sprach ich die Frau an. »Sagen Sie Ihrem Freund, er soll aufgeben. Noch ist nichts Schlimmes passiert.«

Die Salvadorianerin versuchte, sich zusammenzureißen. Ihre Stimme zitterte, als sie das Wort ergriff.

»Sie... Sie kennen ihn nicht. Er lässt sich nichts gefallen.«

»Verdammt richtig!«, brüllte Valdez. »Und schon gar nicht von Bullen!«

Nur meine Beobachtungsgabe konnte mich retten. Ich warf mich in der Zehntelsekunde zur Seite, bevor der Kerl seinen Finger um den Abzug krümmte. Eine unterarmlange Flammenzunge leckte aus der Mündung seiner großkalibrigen Waffe. Aber das Geschoss verfehlte mich.

Von meiner liegenden Position aus feuerte ich zurück. Meine Patrone traf Valdez in die Wade und riss ihn von den Beinen. Die Pistole fiel ihm aus der Hand. Milo sprang vor und trat die Waffe von ihm weg. Außerdem ließ er den Täter in die Mündung seiner Dienstpistole blicken.

»Keine Bewegung mehr, Valdez! Hände an den Kopf!«

Blut sickerte aus dem Bein des Angeschossenen auf den dreckigen Teppichboden. Der Schock schien ihm seine Aggressivität vorerst ausgetrieben zu haben. Trotzdem legten wir ihm sicherheitshalber Handschellen an. Milo verständigte per Handy eine Ambulanz.

Ich wandte mich inzwischen an die Frau.

»Ich bin Agent Trevellian, FBI New York. Das ist mein Kollege Agent Tucker. - Sie sind doch Florentina Lopez, nicht wahr?«

»Ja, die bin ich.« Tränen rannen aus ihren Augen. »Ich habe noch nie erlebt, dass sich jemand Jaime in den Weg gestellt hat. Er ist - wie eine Dampfwalze.«

»Auch eine Walze kann gegen eine Häuserwand fahren. Warum hat er auf uns geschossen? Wir wollten nur mit Ihnen reden, Miss Lopez.«

»Ich - Sie verstehen das nicht. Jaime hasst Bullen. Er wollte, er dachte - ach, ich weiß auch nicht.«

»Jedenfalls war es nicht sehr klug von ihm, einfach zu schießen. Mordversuch an zwei FBI-Agents ist kein Kavaliersdelikt.«

Ich wollte noch weitersprechen, aber in diesem Moment kamen die Sanitäter und der Notarzt. Außerdem erschienen noch zwei uniformierte Kollegen vom NYPD. Ich bat darum, dass der Verwundete in die Krankenabteilung von Rikers gebracht wurde. Auf der Gefängnisinsel ist man auf aggressive Täter unter Drogeneinfluss bestens vorbereitet.

»Ziehen Sie sich bitte etwas über und begleiten Sie uns zur Federal Plaza«, sagte ich zu Florentina Lopez.

»Bin ich verhaftet?«

»Es geht uns um Ihre Zeugenaussage zu der Schießerei an der West 116th Street«, erklärte ich. Aber ich fügte hinzu: »Doch wenn Sie wollen, können wir Sie auch nach Ihrer Aufenthaltserlaubnis fragen.«

Die Lopez biss sich auf die Unterlippe. Sie verschwand in dem winzigen Bad und kehrte wenig später in einem Kleid, Strumpfhosen und Pumps zurück. Milo musste sich auf den Notsitz quetschen, während Florentina auf dem Beifahrersitz meines Sportwagen-E-Hybriden Platz nehmen durfte. Sie bekam große Augen.

»Wow, was für ein Wagen.«

»Das höre ich öfter«, gab ich zurück.

Florentina löcherte mich mit Fragen zu meinem roten Flitzer. An den verletzten Jaime oder ihre eigene Lage verschwendete sie scheinbar keinen Gedanken mehr. Diese Sorte Mensch habe ich als FBI-Agent schon oft genug kennengelernt. Sie leben hundertprozentig in der Gegenwart und machen sich keine Gedanken über die Zukunft. Als Zeugen sind sie leider meist ziemlich unbrauchbar. Doch wir waren auf Florentina angewiesen, wenn wir mehr über die Hintergründe des Mordes erfahren wollten.

***

An der Federal Plaza gingen wir in einen freien Verhörraum. Ich belehrte Florentina über ihre Rechte und stellte klar, dass wir sie nicht als Beschuldigte vernahmen.

Milo sorgte für Kaffee und Kekse, auf die sich die Salvadorianerin begeistert stürzte.

»Sie wissen, wie man eine Frau glücklich macht, Agent Tucker«, sagte sie und schenkte Milo einen verheißungsvollen Blick. Mein Freund ist normalerweise keinem Flirt abgeneigt, aber nicht bei einer Frau wie Florentina Lopez. Daher blieb er zurückhaltend.

»Erzählen Sie uns bitte, was gestern passiert ist, Miss Lopez.«

»Ach, das ist schon so lange her. Wen kümmert das?«

»Das hier ist kein Spiel«, sagte ich scharf. »Wir benötigen Ihre Aussage, um einen Mordfall aufzuklären. Und wenn Sie uns etwas verschweigen, dann sind Sie wegen Beihilfe dran.,«

Diese klare Ansage wirkte. Jedenfalls bemühte sich die junge Frau nun offenbar, ihr Gedächtnis auf Trapp zu bringen.

»Ich habe mal wieder für diesen Blutsauger Rodríguez gearbeitet, an seinem Limostand. Also, an dem in der West 116th Street.«

»Hat er noch weitere?«

»Ja, Agent Trevellian. Sechs oder sieben Stück, glaube ich. Der Fettsack macht doch selbst keinen Finger krumm. Stattdessen lässt er uns Mädchen für einen Hungerlohn schuften. Na ja, aber wenigstens will er keine gültigen Papiere sehen. Juanita, die wollte einen richtigen Arbeitsvertrag. Da hat er...«

Ich schnitt ihr das Wort ab. Florentina war unkonzentriert. Juanitas Jobprobleme interessierten das FBI nicht.

»Kommen wir zurück auf gestern, Miss Lopez.«

»Können Sie nicht lieber Florentina sagen? Das bin ich so gewohnt.«

»Also gut, Florentina. Was ist genau geschehen?«

»Dieser Typ kam an meinen Stand. Er wollte gar keine Limo, er hatte es auf mich abgesehen.«

»Wie meinen Sie das?«

Florentina Lopez kicherte albern.

»Ach, das wissen Sie doch genau, Agent Trevellian. Er wollte mich anbaggern. Haben Sie noch nie eine Lady angebaggert? Sie sehen doch gut aus, und...«

»Wir reden hier nicht über mich, Florentina. Sie erzählten eben von einem Typen. Sprechen Sie von dem Mann, der erschossen wurde?«

»Ja, genau der.«

»Kennen Sie seinen Namen?«

»Nur seinen Vornamen. Er heißt Enrique. Blöd, oder? Obwohl er ja nichts dafür kann. Und er stammt aus Mexiko. Und angeblich ist er ein Sänger, und zwar ein ganz toller.«

»Ein Sänger?«, hakte ich nach. »Hat er etwas von Auftritten gesagt? Vielleicht in einem der mexikanischen Lokale, die Live-Musik anbieten?«

»Davon weiß ich nichts, Agent Trevellian. Er meinte nur, seine neuen Lieder wären wie Dynamit. Er hätte Tag und Nacht daran gearbeitet.«

»Das klingt für mich danach, als ob er die Lieder selbst komponiert hätte. Und die Texte geschrieben.«

Florentina lachte noch einmal.

»Ich glaube nicht, dass er eine besonders große Leuchte war. Ich kenne die Männer, Agent Trevellian. Enrique war ein kleiner Angeber, der mich beeindrucken wollte. Da hat er sich einfach irgendetwas ausgedacht.«

»Sie meinen, die Sache mit den Liedern war erfunden?«

Florentina hob die Schultern.

»Keine Ahnung. Ich kannte den Typen doch kaum. Wissen Sie, wie oft ich tagtäglich angequatscht werde? Der dicke Rodríguez weiß doch ganz genau, warum er nur hübsche Mädchen einstellt. Sonst würde doch kein Mensch seine Dreckslimonade kaufen wollen.«

»Lassen wir die Limonade mal beiseite. Was genau hat dieser Enrique zu Ihnen gesagt?«

»Ach, nur diesen Unsinn mit seinen Liedern. Länger konnten wir gar nicht reden, denn da tauchten plötzlich diese Kerle auf. Ich dachte erst, sie würden zu ihm gehören. Deshalb fragte ich noch, ob das sein Fanklub sei.«

»Was für Kerle?«

»Drei junge Latinos, zwischen zwanzig und fünfundzwanzig vielleicht. Sie standen mit etwas Abstand hinter Enrique. Ich hatte gar nicht bemerkt, woher sie gekommen waren. Auf jeden Fall zog der eine von ihnen einen Ballermann aus der Tasche. Ich dachte, ich flippe aus. Und schon hat er zweimal auf Enrique geschossen. Das Blut ist fast bis zu mir gespritzt.«

Auf Florentinas nackten Oberarmen bildete sich eine Gänsehaut. In diesem Moment hatte sie keine Schwierigkeiten, sich genau zu erinnern. Sie durchlebte den schrecklichen Moment der Tat noch einmal.

»Und dann, Florentina?«

»Nichts. Ich meine, ich hatte mich flach auf den Boden geworfen. Das Beste, was man tun kann, wenn in New York die Luft bleihaltig wird. Die Typen sind in ein Auto gestiegen und weggebraust.«

»Was für ein Wagen? Und in welche Richtung fuhren sie?«

»Das weiß ich nicht, Agent Trevellian. Von Autos habe ich keine Ahnung. Ich meine, Ihr Sportwagen hat mich echt beeindruckt. Aber die Karre von den Kerlen war irgendeine Mittelklasse-Schleuder. Also nichts Ausgefallenes. Das ist alles, was ich dazu sagen kann. Ich hatte die Nase ja im Straßendreck. Und als ich mich dann aufgerappelt habe, bin ich stiften gegangen.«

»Nicht ohne das Wechselgeld mitzunehmen«, bemerkte Milo trocken.

»Hätte ich die Kohle vielleicht dort lassen sollen? In El Barrio? An einem unbewachten Getränkestand? Die Dollars wären keine zwei Minuten in der Kasse geblieben. Und ich dachte mir, ich kann das Geld besser gebrauchen als irgend so ein Straßendieb.«

»Und warum sind Sie geflohen? Weil Sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben?«

Florentina fuhr sich mit nervösen Bewegungen durch ihr Haar. Dann schaute sie sich um, als ob jemand hinter ihr stehen und sie belauschen würde. Schließlich gab sie mir eine Antwort.

»Was glauben Sie denn?«

»Könnte es nicht auch noch einen anderen Grund geben? Zum Beispiel, dass Sie die Täter kannten?«

Florentina riss die Augen weit auf. Hatte ich sie jetzt entlarvt oder nicht? Das war schwer zu sagen.

»Nein, das stimmt nicht! Ich weiß nicht, wer die Typen waren. Das müssen Sie mir glauben.«

Ich schaute mir die Zeugin genau an. Meistens durchschaue ich Lügner ziemlich schnell. Aber bei Florentina war ich mir unsicher. Wusste sie mehr über diesen Enrique, als sie zugegeben hatte? Gab es vielleicht ein geheimes Motiv, das sich uns noch nicht offenbart hatte?

Das würden die weiteren Ermittlungen zeigen müssen.

»Okay, ich nehme Ihnen die Story ab«, sagte ich daher. »Würden Sie die Männer denn wiedererkennen, wenn wir Ihnen Fotos vorlegen?«

»Sie meinen - so eine richtige Verbrecherkartei? Wie im Fernsehkrimi?«

Ich nickte.

»Versuchen kann ich es ja.«

Florentina hörte sich nicht besonders überzeugend an, wie ich fand. Aber das konnte auch an ihrem Wesen liegen. Die Salvadorianerin war sehr sprunghaft. Was sie in einem Moment begeisterte, interessierte sie einen Augenblick später schon nicht mehr. Ich bat unsere Kollegin Jennifer Clark, der Zeugin die Datensätze von gewalttätigen Latino-Verbrechern in der passenden Altersgruppe vorzulegen.

»Milo und ich fahren zum gerichtsmedizinischen Institut«, sagte ich zu Jennifer. »Wir wollen hören, was bei der Obduktion herausgekommen ist.«

»Okay, wir werden mit dem Ganoven-Bilderbuch erst einmal genug zu tun haben.«

Die blonde Agentin nahm Florentina unter ihre Fittiche. Jennifer konnte gut mit Menschen umgehen, wie ich aus unserer jahrelangen Zusammenarbeit wusste. Möglicherweise würde Florentina ihr gegenüber sogar etwas verlauten lassen, das sie meinem Freund und mir bisher verschwiegen hatte.

***

Milo und ich stiegen wieder in meinen Sportwagen. Auf der Fahrt zur Gerichtsmedizin tauschten wir unsere Gedanken aus.

»Wie schätzt du unsere salvadorianische Zeugin ein, Milo?«

»Schwer zu sagen. Sie weiß vielleicht mehr, als sie zugibt. Ich könnte wetten, dass sie die Täter erkannt hat. Aber auf jeden Fall haben die Typen Florentina gesehen.«

»Das stimmt. Zum Glück befindet sich Florentina jetzt in unserem Gewahrsam. Da ist sie sicher vor Kriminellen, die eine lästige Zeugin zum Schweigen bringen wollen.«

»Ich habe mich gerade gefragt, ob auch dieser Jaime Valdez in die Sache verwickelt ist. Warum schießt er auf uns? Wollte er verhindern, dass seine Freundin uns gegenüber auspackt?«

»Das sollten wir ihn selbst fragen, Milo. Seine Verletzung war nicht allzu schwer. Wir können ja mal in Rikers anfragen, ob eine Vernehmung schon möglich ist.«

Mein Partner rief mit seinem Handy gleich auf der Krankenstation der Gefängnisinsel an. Dort teilte man ihm mit, dass Valdez von meinem Schuss nur eine leichte Fleischwunde davongetragen hatte. Allerdings würde es noch einen Tag dauern, bis sein Körper halbwegs entgiftet war. Valdez hatte eine gefährliche Mixtur von selbst gepanschten Partydrogen intus.

Wenn wir Pech hatten, würde sein Gedächtnis dauerhaften Schaden nehmen. Seine Aussage war dann völlig unbrauchbar.

Im Gerichtsmedizinischen Institut wurden wir bereits erwartet. Doc Morrow begrüßte uns mit einem Händedruck. Wir kannten den hageren ernsten Mann seit Jahren als einen sehr sorgfältigen und zuverlässigen Pathologen.

»Der Tod des Opfers trat durch einen Schuss ein, der von hinten direkt in das sogenannte Scheitelbein traf.«

Doc Morrow zeigte, uns die Stelle am Modell eines menschlichen Schädels, das sich in seinem Office befand. Er fuhr fort: »Die zweite Patrone streifte dann nur noch das Schläfenbein. Meiner Ansicht nach war diese Bluttat das Werk eines Profikillers, der nicht zum ersten Mal in seinem Leben auf einen Menschen gefeuert hat. Er wusste genau, wohin er zielen musste.«

Ich nickte grimmig. Der Tod des jungen Latinos war keine spontane Verzweiflungstat gewesen. Die Kerle hatten ihr späteres Opfer möglicherweise bis zur West 116th Street verfolgt. Aber wie sollten wir in diesem lateinamerikanisch geprägten Stadtteil nach drei jungen Latinos Ausschau halten? Solange wir keine genauere Personenbeschreibung hatten, war das sinnlos.

Doc Morrow blätterte in seinen Unterlagen.

»Es wird Sie interessieren, dass der Körper des unbekannten Toten zwei alte Narben aufweist. Die eine befindet sich an der linken Hüfte, die andere am rechten Rippenbogen. Beide stammen meiner Ansicht nach von Messerstichen. Diese Stichverletzungen sind schlecht und unprofessionell versorgt worden. Ich denke nicht, dass der Mann damit im Krankenhaus gewesen ist, weder hier noch in Lateinamerika.«

»Das ist ein wichtiger Hinweis«, stellte ich fest. »Der Mann ist nicht mit seinen Stichverletzungen ins Hospital oder zum Arzt gegangen, weil er unangenehme Fragen vermeiden wollte. Er hat sich vermutlich von einem Quacksalber oder Banditendoc zusammenflicken lassen, so wie Kriminelle es tun.«

»Auf jeden Fall hat er auch Drogen konsumiert, wenn auch nicht in großen Mengen«, sagte der Mediziner abschließend. »In seinem Blut konnten Rückstände von Kokain, Speed und Crack nachgewiesen werden. Aber ein Schwerstabhängiger war er nicht.«

Unser Bild von dem Mordopfer bekam allmählich Konturen. War sein angebliches Musikerdasein nur erfunden, um Florentina zu beeindrucken? Auf jeden Fall mussten wir in der Unterwelt nach seinem Mörder suchen. Der Killer war gewiss kein Ersttäter, das konnte ich mir nicht vorstellen. Der Drogenkonsum des Latinos war für unsere Ermittlungen auch hilfreich. Woher hatte er das Rauschgift? Dealer gibt es in New York City leider mehr als genug.

Ob es einen Zusammenhang zwischen dem Mord und Drogengeschäften gab?

Milos Handy klingelte. Mein Freund nahm das Gerät aus der Tasche und meldete sich. Das Gespräch dauerte nur kurz. Als er es beendete, leuchteten seine Augen.

»Eine Patrolcar-Besatzung hat die mutmaßliche Mordwaffe gefunden. Die Pistole ist bereits auf dem Weg zur Scientific Research Division.«

***

Das Jagdfieber hatte Milo und mich gepackt.

»Vielleicht ist auch schon die Fingerprints-Auswertung des Opfers fertig«, sagte mein Partner hoffnungsvoll. »Ich glaube, wenn wir seinen Namen kennen, haben wir den Killer so gut wie überführt.«

So optimistisch war ich zwar nicht, aber unseren Ermittlungen würde es zweifellos sehr helfen. Im kriminaltechnischen Labor wurde unsere Geduld auf die Probe gestellt. Die Analyse der Waffe war noch nicht abgeschlossen.

»Ich kann euch aber das Ergebnis des Fingerabdruck-Abgleichs schon mal geben«, sagte ein Techniker und reichte uns einen Schnellhefter.

»Schau an«, murmelte Milo. »Kein Eintrag in US-Datenbanken. Dafür aber ein Treffer in Mexiko.«

Ich nickte. Dank seiner Fingerabdrücke konnten wir den Toten nun als einen gewissen Enrique Beltran identifizieren, geboren vor 24 Jahren in Mexico City. Die Kollegen von der Policia Federal, der mexikanischen Bundespolizei, hatten ihn bereits mehrfach erkennungsdienstlich behandelt.

Die grenzübergreifende Zusammenarbeit gehört zu den wichtigsten Vorzügen der modernen Strafverfolgung. In einer Zeit, wo auch die Verbrecher keine Staatsgrenzen mehr kennen, steht und fällt unsere Arbeit mit dem Einsatz der Kollegen in Mexiko und Kanada.

»Ein Kleinkrimineller wie aus dem Akademie-Lehrbuch«, stellte ich fest. »Sieh dir das an, Milo. Einbruch, Drogenhandel, Widerstand bei der Festnahme, Meineid vor Gericht - ein bunter Mix an Delikten.«

»Von einer Musikerkarriere steht dort allerdings nichts«, meinte Milo trocken. »Ob wir die mexikanischen Federales mal anrufen? Die Kollegen werden vielleicht wissen, ob Beltran in den USA Popstar werden wollte.«

Ich nickte. Nachdenklich schaute ich mir die erkennungsdienstlichen Fotos an, die in Mexico City gemacht worden waren. Viele Landsleute des Kleinkriminellen kamen in die Staaten, um einen guten Job zu finden. Beltran hatte sich in New York gewiss in denselben Kreisen bewegt wie in seiner Heimat. Für diese Annahme sprach zumindest sein Drogenkönsum.

Milo hatte schon eine Theorie entwickelt.

»Ich schätze, Beltran ist von Dealern umgelegt worden, Jesse. Der klassische Fall. Er hatte Drogenschulden, konnte nicht zahlen. Einem nackten Mann kann man nicht in die Tasche greifen. Also wird der Schuldner hingerichtet, um ein Exempel zu statuieren. Widerlich, aber so läuft das in der Drogenszene.«

»Deine Annahme ist stichhaltig, Milo. Aber mir geht diese Sache mit den brisanten Liedern nicht aus dem Kopf. Warum erzählt er so etwas, kurz vor seinem Tod?«

»Um anzugeben, warum sonst? Beltran hatte kein Geld, jedenfalls wurden nur ein paar Dollar bei ihm gefunden. Er sah nicht gut aus, hatte keine teuren Klamotten. Mit irgendetwas wollte dieser arme Teufel Florentinas Herz erobern. Da hat er sich eben seine eigene Sängerkarriere ausgedacht. Es kann ja jeder von sich behaupten, er sei Musiker. Auch ich könnte...«

»Du willst doch wohl nicht singen?«, rief ich und tat so, als ob ich erschrecken würde. Milo grinste und knuffte mich freundschaftlich in die Seite.

»Nur wenn du mich nervst, Jesse.«

Die Labortür öffnete sich. Andrew Fenner kam auf uns zu. Der Mann im weißen Kittel war ein ausgewiesener Ballistik-Experte. Er hielt eine Pistole der Marke Glock in Händen.

»Diese Pistole wurde von einem Officer in einem Hauseingang an der Lenox Avenue gefunden. Es handelt sich eindeutig um die Tatwaffe bei dem Mord in der West 116th Street. Ich habe aufgrund der Riefenspuren auf den Geschossen einen Abgleich gemacht. Die Patronen stammen aus dieser Waffe. Es ist übrigens wirklich die gleiche Pistole, die bei dem Raubüberfall vor zwei Jahren in New Jersey vom Täter benutzt wurde.«

»Gut zu wissen«, sagte ich zu Fenner. »Vielen Dank, das hilft uns weiter.«

Wir fuhren zurück zur Federal Plaza. Jennifer Clark hatte inzwischen mit Florentina die Verbrecherkartei gesichtet.

»Dieses Früchtchen ist nicht ganz astrein«, sagte unsere blonde Kollegin. »Bei einigen Aufnahmen hätte ich schwören können, dass Florentina die Männer wiedererkannt hat. Aber gesagt hat sie nichts.«

»Da wir sie wegen ihres illegalen Aufenthalts in Haft behalten, können wir sie später immer noch befragen«, meinte ich. »Vielen Dank, Jennifer.«

Milo und ich gingen in unser Office. Über den länger zurückliegenden Raubüberfall in New Jersey hatten wir uns bisher noch nicht informiert. Aber das holten wir nun nach. Mit Hilfe der NCIC-Datenbank konnten wir schnell auf die elektronische Akte zugreifen.

»Der Täter wurde gefasst«, sagte ich, während ich auf dem Bildschirm die Angaben überflog. »Ein gewisser Ronald D. Malkovic.«

Milo griff zum Telefon, schaltete den Lautsprecher ein und rief das Staatsgefängnis in New Jersey an. Es stellte sich heraus, dass Malkovic schon vor acht Monaten bei einem Streit unter Häftlingen getötet wurde. Wir konnten ihn also nicht fragen, wo seine Glock abgeblieben war. Mein Freund beendete das Gespräch.

»Diese Spur verläuft im Sand«, stellte ich fest. »Vermutlich hat Malkovic seine Pistole in Unterweltkreisen weiterverkauft, bevor er verhaftet wurde. Wer weiß, durch wie viele Hände sie schon gegangen ist, bevor Beltran damit ermordet wurde. Wir sollten uns lieber auf das Umfeld des Opfers konzentrieren. Wir wissen nun, dass Beltran Drogen nahm - genau wie Jaime Valdez. Knöpfen wir uns den Kahlrasierten doch morgen mal vor.«

»Gute Idee, Jesse. Könnte glatt von mir stammen.«

***

Am nächsten Morgen sollte der Häftling angeblich vernehmungsfähig sein. Dazwischen lag allerdings noch der Haftprüfungstermin. Doch ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein Richter diese tickende Zeitbombe auf freien Fuß setzen würde.

Und so war es auch. Als erste Amtshandlung am nächsten Morgen fuhren Milo und ich sofort nach Rikers Island. Nachdem wir diverse Sicherheitsschleusen hinter uns gebracht hatten, wurden wir von einem Vollzugsbeamten zum Krankenbett von Jaime Valdez geführt.

Der Mann machte nicht mehr so einen rebellischen Eindruck wie am Vortag. Der Drogenentzug hatte ihm offenbar den Wind aus den Segeln genommen. Seine Haut wirkte fahl und blass, der Blick war unstet.

Er grinste frech, als er uns erblickte.

»Erinnern Sie sich an Agent Tucker und mich, Valdez?«

»Na klar, G-man. Ich wollte euch das Hirn wegpusten, hat aber nicht geklappt. Was soll's, man kann nicht immer gewinnen.«

Ich setzte mich rittlings auf einen Stuhl, Milo folgte meinem Beispiel. Der Vollzugsbeamte lehnte sich gegen die Wand, die Arme vor der Brust verschränkt.

»Meinetwegen können Sie gerne den Obercoolen spielen, Valdez. Das beeindruckt mich überhaupt nicht. Es hängt ganz von Ihnen ab, wie lange Sie in Rikers bleiben.«

»Wie meinen Sie das, Agent... Agent...?«

»Trevellian.«

»Agent Trevellian - was soll der Mist? Ihr habt mich doch sowieso eingebuchtet, ich komme nicht wieder raus.«

»Sie hätten nicht auf uns schießen sollen, wir wollten schließlich nur mit Florentina reden. Aber wenn Sie uns jetzt helfen, werden Agent Tucker und ich im Prozess zu Ihren Gunsten aussagen. Sie standen unter Drogeneinfluss...«

»Das kann man wohl sagen.« Valdez grinste stolz. »Mann, ich habe mir gestern echt die Birne zugedröhnt.«

Ich fand es schlimm, wie die Sucht den Täter offenbar immer noch fest im Griff hatte. Obwohl er jetzt entgiftet war, dachte er freudig an seinen letzten Rausch zurück. Das hatte ich leider schon oft erlebt.

»Haben Sie denn gestern trotz der Drogen noch etwas mitbekommen? Zum Beispiel, was Florentina Ihnen erzählt hat?«

Valdez stützte seinen kahlrasierten Schädel in die Hände. Offenbar versuchte er wirklich, sich zu erinnern. Das war doch immerhin schon mal ein Anfang.

»Florentina ist völlig ausgerastet. Sie war fertig, als sie nach Hause kam. Hat dauernd etwas von einer Ballerei gefaselt. Immerhin hatte sie Kohle dabei. Davon habe ich gleich was Nettes zum Spaßhaben gekauft.«

»Sagt Ihnen der Name Enrique Beltran etwas?«

»Nee. Wer soll das sein?«

»Der Mann, dessen Ermordung Florentina als Zeugin miterlebt hat«, erklärte ich, ohne Valdez aus den Augen zu lassen. Log er oder nicht? Ich war mir ziemlich sicher, dass er Beltran nicht kannte. Noch konnte ich jedenfalls keine Verbindung zwischen Valdez und Beltran erkennen. Abgesehen davon, dass beide Latinos waren und Drogen nahmen.

Milo zog die erkennungsdienstlichen Fotos der Policia Federal aus der Tasche und legte sie Valdez vor. Wir hatten uns die Aufnahmen schon am Vortag ausgedruckt.

»Das ist Beltran«, erklärte Milo.

»Nie gesehen, den Vogel. Und der wurde umgelegt? Warum denn? Und von wem?«

»Wir stellen hier die Fragen, Valdez. Wenn wir ein gutes Wort für Sie einlegen sollen, müssen Sie sich schon anstrengen.«

»Okay, Agent Trevellian. Ich versuche es ja, aber in El Barrio kann man sich schnell ein Stück heißes Blei einfangen. Sagen Sie, war der Typ zufällig Musiker oder so was?«

Ich wurde hellhörig. Schon wieder war im Zusammenhang mit Beltran von Musik die Rede. Und das, obwohl Valdez den Toten angeblich nicht kannte. Ich hakte sofort nach.

»Wie kommen Sie darauf?«

»Ach, ich habe gehört, dass jemand Ärger macht. So ein selbsternannter Dichter, der Narcocorridos schreibt. Und damit ist er ein paar Leuten ziemlich auf die Nerven gegangen.«

»Narcocorridos?«, hakte Milo nach. »Sind das nicht diese Drogenballaden, in denen irgendwelche Verbrechen verherrlicht werden? Eine Beweihräucherung von Killern und Drogendealern?«

Valdez grinste schief.

»Das findet ihr FBI-Typen natürlich gar nicht gut. Aber es stimmt, Narcocorridos handeln von den Drogengangs. Und von Dingen, die wirklich passiert sind, Morde und so. Also eigentlich sind das keine erfundenen Lieder.«

»Es werden also echte, Morde und andere Straftaten besungen?«, vergewisserte ich mich. »Es könnte also auch jemand ein Lied über diese Bluttat gestern schreiben?«

»Beltran jedenfalls nicht«, meinte Valdez grinsend. »Höchstens sein Geist...«

Ich fand seinen Zynismus widerlich. Was konnte man von ihm schon anderes erwarten? Trotzdem war sein Hinweis wichtig.

»Es gibt also einen Narcocorridos-Sänger, der sich unbeliebt gemacht hat, Valdez? Und bei wem?«

»Hey, nach Namen dürfen Sie mich nicht fragen. Und nun kommen Sie mir nicht schon wieder auf die Tour, dass ich mir Mühe geben soll. Ich weiß es einfach nicht. Als ich noch draußen war, habe ich so manches gehört. Aber könnten Sie bei jedem Hinweis sagen, wo Sie den aufgeschnappt haben? Na also, kann ich auch nicht.«

»Sie werden lachen, aber das glaube ich Ihnen sogar, Valdez. Doch Sie können uns etwas anderes verraten. - Bei wem würden Sie in El Barrio Drogen kaufen, wenn Sie auf freiem Fuß wären?«

»Häh?« Der Kahlrasierte blinzelte misstrauisch. »Wieso wollen Sie denn das wissen?«

»Ganz einfach. Uns ist bekannt, dass Sie Drogen nehmen. Beltran hat sich ebenfalls einiges eingeworfen. Wir wollen versuchen, an seinen Dealer heranzukommen. Vielleicht weiß der mehr als Sie.«

Valdez schwieg und starrte vor sich hin. Ich glaubte schon, dass ich nicht mehr aus ihm herausquetschen konnte.

Aber dann öffnete er doch wieder den Mund.

»Es gibt in El Barrio mehr als genug Möglichkeiten, an Stoff zu kommen. Versuchen Sie es bei Churro. Das ist der größte und wichtigste Dealer. Aber fangen Sie sich keine Kugel ein, Sie wollen doch noch zu meinen Gunsten aussagen.«

Milo und ich hielten es nicht für nötig, seinen dämlichen Spruch zu kommentieren. Immerhin hatten wir einiges in Erfahrung bringen können.

Bevor wir die Gefängnisinsel wieder verließen, rief Mr McKee auf meinem Handy an.

»Vor einer Stunde ist für Ihren Mordfall ein Bekenneranruf beim NYPD eingegangen, Jesse«, sagte der Chef.

***

Gespannt fuhren wir zurück ins Field Office. Assistant Director McKee erwartete uns bereits. Er forderte uns mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen.

»Der Anruf kam über die normale Notfallrufnummer, die 911. Das Police Department hat uns die Audio-Datei umgehend zukommen lassen, weil der Fall in unserer Zuständigkeit liegt. Am besten hören Sie selbst rein.«

Jonathan D. McKee startete einen McKee-tech-MP3-Player, der zu seiner Büroausstattung gehörte.

»Notrufzentrale, was kann ich für Sie tun?«

»Wollt ihr Cops wissen, wer den Typen in der West 116th Street umgelegt hat?«

»Wie ist Ihr Name, Sir?«

»Ich bin doch nicht bescheuert, Bullenpuppe! Mein Name geht dich nichts an. Aber eins kann ich dir sagen: Beltran hat falsch gesungen. Das war sein Verhängnis.«

»Sir, wenn Sie Erkenntnisse über ein Verbrechen haben, dann sind Sie verpflichtet...«

Mit diesen Worten des weiblichen Operators endete das kurze Telefonat. Es war klar, warum der Kerl beim NYPD angerufen hatte. Woher hätte er wissen sollen, dass das FBI an dem Fall dran war?

»Vom Akzent her könnte der Anrufer ein Latino sein, Sir«, stellte Milo fest. »Wenn wir Tatverdächtige haben, können wir einen Stimmenabgleich mit der Tonaufnahme machen. Kam der Anruf von einem öffentlichen Münztelefon?«

»So ist es, Milo. Auch beim NYPD werden anonyme Anrufe automatisch zurückverfolgt. Es wurde ein Apparat benutzt, der Ecke Third Avenue und 34th Street an einer Hauswand hängt. Dort strömen jeden Tag Zehntausende von Menschen vorbei. Auf Zeugen können wir nicht hoffen.«

»Ich frage mich, was dieses Telefonat überhaupt soll«, warf ich ein. »Bekenneranrufe sind doch sonst eher bei Taten mit terroristischem Hintergrund üblich. Bei diesem Fall deutet bisher nichts in diese Richtung. Immerhin kannte der Anrufer den Namen des Opfers, den wir inzwischen ebenfalls herausbekommen haben.«

»Und dass Beltran angeblich falsch gesungen hat - auch wir konnten ermitteln, dass der Tote etwas mit Musik zu tun hatte. Mit diesen Narcocorridos, genauer gesagt«, ergänzte Milo.

Ich berichtete dem Chef, was Milo und ich bisher herausgefunden hatten. Jonathan D. McKee legte nachdenklich die Fingerspitzen seiner Hände gegeneinander.

»Jesse, Sie haben gerade eine entscheidende Frage gestellt. Welchen Grund könnte der Anruf haben?«

»Mir fällt nur eine Antwort ein, Sir. Der Mörder will von seinem wahren Motiv ablenken. Darum sollen wir denken, dass Beltrans Sängerkarriere etwas mit seinem Tod zu tun haben könnte.«

Der Assistant Director wiegte seinen schmalen Kopf.

»Das wäre eine Möglichkeit. Wie wollen Sie weiter vorgehen?«

»Beltran hat Drogen genommen. Wir versuchen, seinen Dealer zu finden. Außerdem wissen wir immer noch nicht, wo er gewohnt hat.«

»Wie glaubwürdig ist denn diese Zeugin, Florentina Lopez?«

»Ich kann sie schwer einschätzen, Sir. Ihr Freund ist auf jeden Fall äußerst gewalttätig und ebenfalls in der Drogenszene unterwegs. Daher könnte es einen Zusammenhang mit Beltran geben.«

»In Ordnung, Jesse und Milo. Falls Sie Unterstützung brauchen, lassen Sie es mich wissen.«

Wir verabschiedeten uns und fuhren zurück ins Barrio. Dort gingen wir zur 23. Revierwache in der 102nd Street, die für das ganze östliche Harlem zuständig ist.

»Was kann ich für euch tun, Agents?«, fragte der Desk Sergeant, der Milo und mich schon lange kannte.

»Wir müssten mit einem eurer Drogenfahnder reden«, erwiderte ich.

»Sekunde, ich habe Ortega gerade noch gesehen. Der kann euch bestimmt helfen.«

Der Desk Sergeant griff zum Telefonhörer, während wir uns umsahen. Der Precinct glich einem Hexenkessel.

Ständig wurden Verdächtige von uniformierten Officers hereingeschleppt. Auf einer Holzbank hockte ein Obdachloser, dessen Kopf ständig zur Seite kippte. Eine beleibte alte Lady redete mit schriller und lauter Stimme auf einen Sergeant ein, der so ruhig wie möglich ein Formular ausfüllte. Beide sprachen Spanisch, ohne das man in diesem Teil von Harlem nicht weit kam.

Wir mussten nicht lange warten, bis ein athletischer Latino in Zivil auf uns zukam. Er hatte ein offenes sympathisches Gesicht und streckte uns die Rechte entgegen.

»Hallo. Ich bin Sergeant Julio Ortega von der Drogenfahndung.«

Wir gaben ihm die Hand und stellten uns ebenfalls vor. Ortega lotste uns in einen Pausenraum, wo er uns zunächst mit Automatenkaffee versorgte. Nachdem jeder von uns einen Plastikbecher mit der heißen dampfenden Flüssigkeit vor sich stehen hatte, kam ich sofort zur Sache. Ich erzählte, was wir am Vortag von dem Inhaftierten erfahren hatten. Ortega kratzte sich nachdenklich am Kopf.

»Es stimmt, dieser sogenannte Churro ist momentan unser Drogenkönig hier im Barrio. Er ist sehr clever, man kommt nicht an ihn heran. Für die Drecksarbeit hat er seine Helfershelfer. Ich weiß nicht, Wie ihr ihn verhaften wollt.«

»Das haben wir gar nicht vor«, stellte ich richtig. »Außerdem wollen wir uns nicht in euren Job einmischen. Es geht uns nur darum, mehr über unser Mordopfer Beltran zu erfahren. Es könnte doch sein, dass er bei einem von Churros Leuten seine Drogen gekauft hat.«

»Das ist gut möglich. Ich kann euch ein paar Ecken zeigen, wo der Straßenhandel blüht. Wir machen natürlich regelmäßig Razzien. Aber es ist wie ein Kampf gegen Windmühlenflügel.«

Ich nickte verständnisvoll. Die schwere Aufgabe der Drogenfahnder in Elendsvierteln war mir bewusst. Ortega erklärte sich sofort bereit, uns zu den Drogenumschlagplätzen zu führen. Wir stimmten zu und fuhren in Begleitung von Ortega langsam durch die Straßen von East Harlem. Natürlich nahmen wir dafür nicht einen Ford Crown Victoria mit Polizeilackierung, sondern ein neutrales Dienstfahrzeug.

»Da drüben, vor dem ehemaligen Kino«, sagte der Latino-Cop und deutete in die Richtung. »In Mexiko und den anderen lateinamerikanischen Ländern spielt sich ein Großteil des Lebens auf der Straße ab. Diese Gewohnheiten behalten die Leute bei, wenn sie nach New York City kommen. Das macht unsere Arbeit so schwierig. In anderen Stadtteilen macht man sich verdächtig, wenn man einfach nur auf dem Gehweg herumsteht. Hier ist das völlig normal. Es ist für Außenstehende nicht leicht, einen Dealer von einem ganz normalen Müßiggänger zu unterscheiden.«

Nach einer halben Stunde hatten wir genug gesehen. Ich war nun sicher, mir die Handlanger von Churro eingeprägt zu haben. Wir kehrten zum Precinct zurück und bedankten uns bei dem Kollegen.

»Was habt ihr nun vor?«, fragte Ortega.

»Wir werden ins Wespennest stechen«, erwiderte Milo grinsend.

»Seid bloß vorsichtig«, warnte der Drogenfahnder. »Churro ist ein gewissenloser Krimineller. Von dem könnt ihr keine Gnade erwarten, nur weil ihr eine Dienstmarke habt.«

***

Mit meinem roten Sportwagen-E-Hybriden konnten wir in East Harlem ohnehin nicht unauffällig aufkreuzen. Also versuchten wir es gar nicht erst.

Milo und ich gingen bewusst vor wie der Elefant im Porzellanladen. Vor dem ehemaligen Kino, dessen Türen mit dicken Brettern vernagelt waren, riss ich plötzlich das Lenkrad herum. Die eingeschlagenen Vorderreifen des Sportwagen landeten auf dem Bürgersteig. Ich stieg in die Bremsen. Im nächsten Moment sprangen Milo und ich aus dem Wagen.

»FBI!«, rief ich mit gellender Stimme. »Personenkontrolle!«

Die herumlungernden Kerle stoben auseinander wie eine Hühnerschar, in die der Fuchs eingedrungen ist. Es waren fünf oder sechs junge Latinos, die auf dem Gehsteig Löcher in die Luft gestarrt hatten. Nun nahmen sie die Beine in die Hand.

Wir verfolgten einen schlaksigen Burschen in einem teuren Jogginganzug. Er rannte um die Ecke und stieß einen Verkaufswagen mit Südfrüchten um. Der Inhaber fluchte auf Spanisch und schüttelte die Faust. Milo und ich hatten unsere Dienstmarken bereits an unseren Jacketts befestigt. Jeder sollte sehen können, dass wir das Gesetz vertraten.

Der Flüchtende sprang in einen Secondhand-Kleiderladen. Wir blieben ihm auf den Fersen. Das Geschäft war vollgestopft mit Textilien aller Art. Zwischen den Garderobenständern und Wäschestapeln war kaum Platz. Für einen Moment verlor ich den Mann aus den Augen. Nun kam mir auch noch eine füllige Matrone entgegen, offenbar die Besitzerin. Wild gestikulierend wollte sie mich und Milo aus dem Laden drängen. Da erblickte ich den Jogginganzugträger wieder. Aber nun drehte er sich halb zu mir um. Und er hatte eine Waffe in der Hand.

Mit einem Hechtsprung riss ich die beleibte Lady zu Boden. Sie schrie erschrocken auf. Fast im gleichen Moment krachte die Pistole.

Das Geschoss orgelte über uns hinweg.

»FBI! Waffe fallen lassen!«, rief Milo. Ich konnte sehen, dass mein Partner nun seine Dienstwaffe in der Hand hielt. Er presste seinen Rücken gegen eine steinerne Säule. Ich drückte die Ladenbesitzerin weiterhin zu Boden, wobei ich beruhigend auf sie einredete.

»Behalten Sie bitte die Nerven, Ma'am. Wir sind FBI-Agents und verfolgen einen flüchtenden Verbrecher. Ihnen wird nichts geschehen.«

»Verbrecher?«, gab sie empört zurück. »Das ist mein Neffe Eusebio. Was hat der Junge denn angestellt?«

»Finden Sie es normal, dass er in Ihrem Laden eine Schusswaffe benutzt?«, fragte ich. Darauf fiel ihr nichts mehr ein. Ich wollte ohnehin eine Diskussion vermeiden.

Dieser Eusebio warf einige Stapel mit gebündelten Textilien um und lief Richtung Hinterausgang. Milo und ich nahmen erneut die Verfolgung auf. Wir sprangen über die Wäschebündel hinweg.

Nach hinten raus ging es auf einen Hof, der von einem hohen Zaun umgeben war. Aber Eusebio konnte zwei verschiedene Fluchtwege gewählt haben.

»Du rechts, ich links.«

»Einverstanden, Jesse!«

Milo zog sich bereits auf der rechten Seite am Eisengitter hoch, ich packte die Metallstäbe an der linken Hofecke. Im nächsten Moment flankte ich über die Absperrung.

Ich verharrte einen Moment lang, um mich zu orientieren. Die schmale Gasse führte hinüber zur nächsten Straße. Zahlreiche Müllcontainer standen herum, der süßliche Verwesungsgeruch von altem Abfalllag in der Luft. Manche Anwohner hatten offenbar ihren alten Plunder einfach aus den Fenstern in den schmalen Durchgang geworfen. Dort vergammelten nun Pappkartons und aufgeschlitzte Matratzen, Kleider und schwarze Müllsäcke.

Langsam bewegte ich mich vorwärts, die SIG schussbereit in der Hand. Eusebio hatte bewiesen, dass er einen nervösen Zeigefinger hatte. Wenn er sogar im Laden seiner eigenen Tante ohne Skrupel die Waffe benutzte, würde er hier draußen erst recht keine Hemmungen haben.

Aber hatte er wirklich diesen Fluchtweg eingeschlagen? Momentan deutete nichts darauf hin. Es waren noch mindestens zehn Yards bis zur Einmündung in die nächste Avenue. Dort war die Gasse zu Ende.

Ich schlich an mehreren Müllcontainern vorbei. Da ertönte ein leises Keuchen und Würgen. Ich kniff die Augen zusammen. In dem schmalen Spalt zwischen zwei Abfallbehältern kauerte Eusebio. JDer schlaksige Junge musste sich förmlich zusammengefaltet haben, um dort Platz zu finden.

Ich ging in die Knie, richtete meine Dienstwaffe im Beidhandanschlag auf ihn.

»Heraus mit dir! Wirf deine Pistole weg! Die Hände dorthin, wo ich sie sehen kann!«

Ich war absolut konzentriert. Bei Verbrechern auf der Flucht muss man mit allem rechnen. Vielleicht versuchte er einen miesen Trick. Seine Waffe schlidderte mir entgegen. Der Flüchtende kroch langsam aus seinem Versteck. Eusebio hörte nicht auf, nach Luft zu ringen. Seine Kampfeslust war anscheinend verflogen. Er hustete und röchelte immer noch. Sein Kopf war rot angelaufen, die Augen traten fast aus den Höhlen.

Ich glaubte, den Grund zu kennen. Dieser Blödmann hatte auf seiner Flucht einige Drogenpäckchen verschlucken wollen. Und nun waren ihm die winzigen Plastikbeutel im Hals stecken geblieben. Er würde ersticken, wenn nichts geschah. Das durfte ich natürlich nicht zulassen. Hier ging es um ein Menschenleben.

»Auf die Knie!«, kommandierte ich. »Beug dich vor!«

Eusebio gehorchte.

»Und jetzt steck dir deinen Finger in den Hals. Tief durch die Nase atmen.«

Er führte auch diesen Befehl aus. Während ihm schlecht wurde, klopfte ich ihm kräftig mit der flachen Hand auf den Rücken. Eusebio erbrach sich, mehrere Drogenpäckchen landeten im Dreck der Gasse. Dort, wo sie hingehörten.

Ich griff inzwischen zu meinem Handy.

»Du kannst kommen, Milo. Ich habe ihn.«

Eusebio glotzte mich aus geröteten Augen an. Allmählich normalisierte sich sein Atem wieder.

»Das war knapp. Ich dachte, ich müsste krepieren. Ein widerliches Gefühl.«

Brav hielt er mir seine Handgelenke entgegen, erwartete offensichtlich die Handschellen. Milo kam angerannt.

»Alles in Ordnung bei dir, Jesse?«

»Ja, nur unser junger Freund hatte mit einem Unwohlsein zu kämpfen.« Ich wandte mich an Eusebio. »Du weißt, dass wir dich hinter Gitter bringen könnten?«

Der Junge im Jogginganzug nickte.

»Du arbeitest für Churro, nicht wahr?«

Er zögerte. Aber dann machte er abermals eine bejahende Bewegung.

»Wir lassen dich laufen, wenn du Churro eine Nachricht überbringst. Sag ihm, er soll mich anrufen. Ich will mit ihm reden, nur reden. Es geht um diesen Mann.«

Während ich sprach, gab ich Eusebio ein erkennungsdienstliches Foto von Beltran sowie meine Visitenkarte.

»Und Sie verhaften mich echt nicht?«

»Sehen wir aus, als würden wir Witze machen? So, und nun ab mit dir. Dein Boss soll sich so bald wie möglich melden.«

Eusebio rappelte sich vom Boden auf, wo er immer noch gehockt hatte. Dann jagte er auf seinen langen Beinen davon. Als er außer Sichtweite war, ergriff Milo das Wort.

»Es geht mir gegen den Strich, einen Dealer einfach laufen zu lassen.«

»Mir auch, Milo. Aber für uns hat unser Mordfall äußerste Priorität. Außerdem, wenn wir bei dem Treffen mit Churro wichtige Beobachtungen machen, können wir sie ja an die Drogenfahnder weiterleiten.«

»Wir - du willst dich also nicht allein mit Churro treffen?«

»Ich dachte mir, dass du um jeden Preis dabei sein willst, Milo.«

»Da hast du verflixt recht. Ich frage mich nur, ob dieser Dealerkönig sich überhaupt meldet.«

***

Es vergingen keine zwei Stunden, bis Churro anrief. Zu diesem Zeitpunkt saßen wir schon wieder in unserem Office an der Federal Plaza und wälzten Akten mit anderen Tötungsdelikten aus dem Barrio. Wir versuchten, ein Muster zu erkennen. Aber es waren keine Parallelen vorhanden.

Mein Telefon klingelte. Ich griff zum Hörer.

»Trevellian.«

»Sie wollten mich sprechen, Agent.«

Ich vernahm eine schwere ölige Stimme mit Latino-Akzent. Es war die Stimme eines befehlsgewohnten Mannes, der über Leben und Tod bestimmt.

‘ »Churro? Es geht um Enrique Beltran, um den Mann auf dem Foto.«

»So? Dann sehen Sie mir i,n die Augen, wenn Sie mir etwas zu sagen haben, Agent. Heute, um Mitternacht.«

»Okay, und wo?«

Churro nannte mir eine Adresse in der Bronx, unweit der White Plains Road. Ein ödes Gewerbegebiet, wo nachts weit und breit keine Menschenseele zu sehen ist.

»Seien Sie pünktlich, G-man«, meinte Churro und legte auf. Milo hob die Augenbrauen. Er hatte über Lautsprecher das Telefonat natürlich mitgehört.

»Clever, dieser Churro. Er hat dort gute Rückzugsmöglichkeiten. Wenn wir mit einem Großaufgebot an Kollegen anrücken würden, bekäme er das rechtzeitig mit und könnte sich mit seinen Leuten aus dem Staub machen.«

»Ja, dumm ist dieser Verbrecher nicht. Sonst wäre er den Drogenspezialisten schon längst ins Netz gegangen. Aber auch seine Stunde wird kommen, verlass dich drauf.«

***

Wir arbeiteten an diesem Tag länger und stärkten uns später mit einer Pizza im Mezzogiorno für den Nachteinsatz. Auf den nächtlichen Straßen herrschte weniger Verkehr als zur Rushhour, obwohl New York seinem Ruf als Stadt, die niemals schläft, alle Ehre machte. Doch in dem stillen Gewerbegebiet hinter der Westchester Avenue wurde der Autoverkehr immer spärlicher.

Am Maschendrahtzaun von Churros Unterschlupf hielt ein Latino in Karohemd und mit rasiertem Schädel Wache. Er winkte uns mit einer Taschenlampe auf das Grundstück. Nachdem mein Sportwagen auf das Gelände gefahren war, wurde das Tor hinter uns zugerammt.

Nun kamen zahlreiche Gang-Mitglieder aus ihren Verstecken. Sie ähnelten sich, als ob sie Brüder wären. Ausnahmslos hatten sie beide Arme tätowiert, ihre Köpfe waren kahlgeschoren. Und diese karierten Hemden schienen bei ihnen groß in Mode zu sein. Alle waren bewaffnet, viele mit Automatikwaffen, zum Beispiel mit Uzis.

»Wollen die hier den Dritten Weltkrieg beginnen?«, murmelte Milo.

»Du kennst doch unsere schweren Jungs, die geben gerne an. Ich wette, dass viele von den Chorknaben noch nie geschossen haben.«

Trotz unseres lockeren Wortwechsels nahmen wir die Bewaffnung der Drogengang nicht auf die leichte Schulter. Aber wir konnten momentan an dieser Tatsache nichts ändern. Wir waren aufmerksam, aber nicht eingeschüchtert.

Ich stoppte den Sportwagen neben einem protzigen nachtblauen SUV. Sofort wurde mein Wagen von Churros Handlangern umringt. Ich öffnete die Fahrertür.

Einer der Kahlköpfe streckte mir seine Rechte entgegen. »Gebt eure Pistolen ab. Sonst empfängt euch Churro nicht.«

Ich schüttelte den Kopf und blickte ihm in die Augen. »Das dürfen wir nicht, es sind Dienstwaffen. Aber wir können meinetwegen die Magazine herausnehmen.«

Der Kerl glotzte mich an. Offenbar war er es nicht gewohnt, dass ihm jemand widersprach. Vor allem angesichts der zahlenmäßigen Überlegenheit dieser Drogengangster. Auch Milo war inzwischen ausgestiegen. Er war ebenso wenig wie ich bereit, seine SIG diesen Typen auszuhändigen.

Schließlich gab sich Churros Handlanger einen Ruck.

»Also gut, meinetwegen«, murmelte er. Ich zog für alle gut sichtbar das Magazin aus meiner Pistole und warf es auf den Fahrersitz. Milo nahm ebenfalls die Munition aus seiner Waffe.

Unsere Furchtlosigkeit hatte Eindruck hinterlassen. Jedenfalls hielten die Verbrecher Abstand, während sie uns ins Innere des fensterlosen Lagerschuppens begleiteten. Marihuanaschwaden waberten uns entgegen, als die Tür geöffnet wurde. Drinnen lungerten noch weitere Kerle herum, die ebenfalls zum Hofstaat des Drogenkönigs gehörten.

Churros massiger Körper thronte auf einem zerschlissenen roten Samtsofa. Ich hatte jedenfalls keinen Zweifel, dass dieser feiste Glatzkopf der Boss war. Sein Platz bildete das Zentrum des ganzen Raumes. Links und rechts von ihm waren große Kerzenständer aus Metall aufgestellt, jeder mit mindestens einem Dutzend Kerzen bestückt. Neben ihm auf dem Sofa lümmelte eine kurvige Latina, die viel nackte Haut zeigte. Eine Armeslänge von ihm entfernt standen vier finster blickende Halsabschneider. Dieser Churro wirkte auf mich wie das Abziehbild eines mittelalterlichen Königs.

Er grinste feist, als wir vor ihm stehen blieben. Churro hatte meine Visitenkarte in seinen mit protzigen Ringen geschmückten Wurstfingern.

»Wer von euch ist Special Agent Trevellian?«

»Das bin ich«, gab ich zurück und schaute in seine Schweinsäuglein. Man durfte sich von seiner Behäbigkeit nicht blenden lassen. Meine Erfahrung sagte mir, dass dieser Mann äußerst gefährlich war.

»Und der Blonde?«

»Ich bin Special Agent Tucker«, sagte mein Freund. Churro lachte, als ob das komisch wäre.

»Könnt ihr mir einen Grund nennen, warum ich euch nicht sofort umlegen lasse?«