4 Science Fiction Romane Juni 2023 - Alfred Bekker - E-Book

4 Science Fiction Romane Juni 2023 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende SF-Romane (499XE) von Alfred Bekker: Flucht nach Laika III Die verschwundenen Raumschiffe Die Spur der Götter Eine Krise der Raumzeit Unser Schiff befindet sich immer noch in der Gefangenschaft der geheimnisvollen Herrscher des gewaltigen, künstlich geschaffenen Objekts, das die Morrhm als Ruuneds Heimat ansehen. Dass es sich dabei um ein Artefakt jener Spezies handelt, die oft als die Alten Götter bezeichnet werden, daran zweifele ich nicht. Die starke 5-D-Strahlung spricht allein schon dafür. Während Corporal Terrifor und einige Marines versuchen, uns von den tellerartigen Modulen zu befreien, von denen wir annehmen, dass sie eine wichtige Rolle bei der Justierung der Fesselstrahlen spielen, die uns und die meisten Schiffe unserer Verbündeten ins Innere dieses Artefakts gezogen haben, ist Commander Van Doren mit dem Großteil unserer Wissenschaftler zu einem der vielen Raumschiffe geflogen, die hier lange vor uns bereits eingefangen und festgehalten wurden. Wir erhoffen uns davon weitere Erkenntnisse. Dak Morkey ist im gesetzlosen OutlawSector von Old-L.A. auf der Erde untergetaucht. Aber er weiß, dass nur eine Flucht in die Weiten der Galaxis sein Leben retten kann, denn ein unerbittlicher Feind ist ihm auf den Fersen... Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

4 Science Fiction Romane Juni 2023

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Inhaltsverzeichnis

4 Science Fiction Romane Juni 2023

Copyright

Flucht nach Laika III

​Chronik der Sternenkrieger 28: Die verschwundenen Raumschiffe

Chronik der Sternenkrieger 29: Die Spur der Götter

Eine Krise der Raumzeit

4 Science Fiction Romane Juni 2023

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende SF-Romane

von Alfred Bekker:

Flucht nach Laika III

Die verschwundenen Raumschiffe

Die Spur der Götter

Eine Krise der Raumzeit

Unser Schiff befindet sich immer noch in der Gefangenschaft der geheimnisvollen Herrscher des gewaltigen, künstlich geschaffenen Objekts, das die Morrhm als Ruuneds Heimat ansehen. Dass es sich dabei um ein Artefakt jener Spezies handelt, die oft als die Alten Götter bezeichnet werden, daran zweifele ich nicht. Die starke 5-D-Strahlung spricht allein schon dafür.

Während Corporal Terrifor und einige Marines versuchen, uns von den tellerartigen Modulen zu befreien, von denen wir annehmen, dass sie eine wichtige Rolle bei der Justierung der Fesselstrahlen spielen, die uns und die meisten Schiffe unserer Verbündeten ins Innere dieses Artefakts gezogen haben, ist Commander Van Doren mit dem Großteil unserer Wissenschaftler zu einem der vielen Raumschiffe geflogen, die hier lange vor uns bereits eingefangen und festgehalten wurden.

Wir erhoffen uns davon weitere Erkenntnisse.

Dak Morkey ist im gesetzlosen OutlawSector von Old-L.A. auf der Erde untergetaucht. Aber er weiß, dass nur eine Flucht in die Weiten der Galaxis sein Leben retten kann, denn ein unerbittlicher Feind ist ihm auf den Fersen...

Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author / COVER A. PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Flucht nach Laika III

Alfred Bekker

P R O L O G

Er ist überall.

In jedem Chip. In jedem elektronischen Bauteil. In der Schiebetür eines Appartments. Im Steuermodul eines Gleiters. In der Sauerstoffversorgung eines Raumschiffs. Im Rechnersystem eines Transmitters und an tausend anderen Stellen, an denen man ihn nicht vermutet.

Er ist ein Jäger.

Auf tausend Welten zugleich.

Ein stiller Mörder.

Wohin man auch flieht, er ist schon dort.

Ein sich selbst reproduzierender Datensatz, der in der Lage ist, jedes Rechnersystem, in das er eindringt zu einem Mordinstrument zu verwandeln.

Das ist der MEGA KILLER.

Und sein Ziel bin ich.

E R S T E R

T E I L :

I m O u t l a w S e c t o r

Ein greller Blitz zuckte dicht neben mir in den grauen Beton der Ruinen. Der konzentrierte Energiestrahl brannte sich in das antike Baumaterial hinein, aus dem die Trümmer von Old-L.A. zum größten Teil bestanden. Der Zahn der Jahrtausende hatte unbarmherzig an ihnen genagt. Und nun der Schuss aus der Strahlpistole, die der Angreifer bei sich trug.

Ich riss meinen eigenen Strahler hoch, zielte.

Mein Gegner trug eine Ledermontur. Selbst auf die Entfernung wirkte er groß. Er stand oben auf dem Flachdach eines verfallenen Hauses und feuerte in meine Richtung. Sein Gesicht war durch eine grimassenhafte Maske bedeckt, die sich beinahe perfekt an die Konturen anschmiegte. Das Zeichen des Blitzes war auf der Brust, den Armen und auf der Maske angebracht. Irgendeine fluoreszierende Substanz musste dafür verwendet worden sein. Jedenfalls leuchtete der Blitz auffällig.

Ich feuerte.

Mein Gegner war ein lausiger Schütze.

Und das war mein Glück.

Ich hingegen traf ihn mitten in der Brust, genau dort, wo der Knick des leuchtenden Blitzes zu sehen war. Erst dunkel, dann rot brannte sich ein Loch in seinen Körper. Er sank zu Boden. Ich lief in geduckter Haltung voran, erreichte dann die Betonwand auf der gegenüberliegenden Straßenseite. Dicht preßte ich mich gegen den Beton. Zwei weitere Blitz-Krieger kamen die schmale Gasse entlang, bewaffnet mit Nadler und Strahler. An die Masken, die hier im OutlawSector von Old-L.A. getragen wurden, mußte ich mich erst noch gewöhnen. Wahrscheinlich war ich dafür einfach noch nicht lange genug in dieser Welt aus Ruinen und an Stammesfehden erinnernden Kleinkriegen. Eine Welt, die für mich einen der wenigen Fluchtpunkte in einem ansonsten total vernetzten Universum darstellte. Denn hier gab es keine Verbindung zum GalaxyNet, dem interstellaren Netz aus Datenhighways und Transmitterstraßen. Somit konnte das tödliche Datenbiest, das mir jemand auf den Pelz gehetzt hatte, mir hier her auch nicht folgen. Jedenfalls hoffte ich das. Dafür gab es hier andere Gefahren, wie ich bald festgestellt hatte.

Die beiden Blitz-Krieger näherten sich.

Ich hatte keine Chance, ihnen zu entkommen.

Es gab nur eine Möglichkeit. Ich mußte mich ihnen stellen. Normalerweise besaßen Strahlpistolen auch die Möglichkeit, Betäubungsstrahlen abzuschießen. Aber die Energiezellen, die das entsprechende Modul an meiner Waffe versorgten, waren längst leer. Der dafür vorgesehene Strahlungsfilter hielt auch nur eine begrenzte Anzahl von Betäubungsschüssen. So blieb mir nichts anderes übrig, als meine Gegner zu töten, bevor sie dasselbe mit mir taten.

Denn unter Gang-Kriegern des OutlawSectors galt es als unehrenhaft, mit Betäubungsstrahlen zu kämpfen. Gewöhnlich entfernten sie die entsprechenden Module aus ihren Strahlern.

Der erste der beiden Blitz-Krieger bemerkte mich, riss sofort Strahler und Nadler hoch. Er feuerte beide Waffen gleichzeitig ab. Ich ließ mich zur Seite fallen. Das Nadelprojektil kratzte am Beton. Der gebündelte Energiestrahl der Strahlpistole sengte eine dunkle Spur in das Material, das davon porös wurde und zerbröselte.

Ich feuerte noch im Fallen.

In irgendeinem anderen Leben war ich Dak Morley gewesen, ein Privat-Agent für heikle Aufträge. Dieser Job hatte mir den Ärger mit dem Datenbiest namens MEGA KILLER eingebrockt. Aber in Situationen wie dieser schützte mich die Erfahrung, die ich dabei gesammelt hatte. Erfahrung ist in so einer Situation fast alles. Und Glück gehört natürlich auch dazu. Mein Schuss sengte dem Kerl aus der Blitz-Gang den halben Kopf weg. Zumindest nahm ich an, daß es ein Kerl war. Genau wusste man das durch die Masken oft nicht, obwohl es auch Gangs gab, bei denen sich Frauen- und Männer-Masken erheblich unterschieden. Ich rollte auf dem Boden herum. Dort, wo ich gerade im Staub gelegen hatte, brannte sich jetzt ein Energiestrahl ein. Ich riß meine eigene Waffe hoch, schoss ohne zu zögern. Der Strahl erfasste den zweiten Blitz-Krieger voll und tötete ihn auf der Stelle. Ich rappelte mich auf, kam wieder auf die Beine. Nachdem ich den Blick suchend hatte schweifen lassen, überprüfte ich das Energiereservoir meines Strahlers. Ein gemütlicher Ort war der OutlawSector mitnichten. Aber ich hatte mir dieses Exil ja auch nicht ausgesucht. Ich hatte einfach keine andere Wahl gehabt, das war es.

Pass auf! ging es mir durch den Kopf. Dies ist kein Ballerspiel aus dem GalaxyNet, bei dem du nur aus dem Level hinausgeworfen wirst! Dies ist tödlicher Ernst. Ein falscher Schritt, ein Moment der Unaufmerksamkeit und du bist nicht mehr als ein verbranntes Stück Fleisch. Und vielleicht ist diese Variante der Möglichkeit, falls du einen Treffer überlebst sogar noch vorzuziehen...

Ich ging weiter.

Die Angehörigen der Blitz-Gang waren verflucht zahlreich in dieser Gegend. Einer Gegend von Old-L.A. wohlgemerkt, in der sie eigentlich nicht das geringste verloren hatten. Denn eigentlich befand ich mich noch immer im Bereich von John Sabascos Leuten, deren Symbol die gekreuzten Dreizacke waren. Sabascos Gang hatte meine Begleiterin Garenna Broderick und mich bei sich aufgenommen. Das hing mit einem alten Gefallen zusammen, den Sabasco mir schuldete.

Aber Sabasco schien lange nicht mehr so mächtig zu sein wie ich es von meinem letzten Aufenthalt im OutlawSector von Old-L.A. in Erinnerung hatte. Nichts war ewig. Warum hätte ausgerechnet die Herrschaft eines Gang-Chiefs eine Ausnahme von dieser Regel sein sollen?

Ich erreichte die Straßenecke. Ein offener Platz schloss sich an. Es gab einige Gebäude hier, von denen nur noch die Gundmauern standen. Old-L.A. war wie ein großer Irrgarten, wie sie in alt-terranischer Zeit so beliebt gewesen waren. (War das nicht zu Zeiten von Ludwig XIV, der dort neckische Spielchen mit seinen Mätressen zu spielen pflegte? Oder verwechsle ich den Kerl jetzt mit Bill Clinton? Egal. Einer dieser Herrscher des ausgehenden zweiten Jahrtausends wird es gewesen sein.)

Ich bewegte mich vorwärts, hielt mich dabei immer in der Nähe irgendwelcher Mauern. Den Strahler hielt ich mit beiden Händen. Ich glaubte Stimmen zu hören, war mir aber nicht hundertprozentig sicher, wie weit sie entfernt waren. Mir war klar, daß ich jetzt sehr vorsichtig sein mußte. Der winzigste Fehler und ich war geliefert. Ich zog es vor, nicht weiter darüber nachzudenken. Angeblich soll man in alter Zeit die Verdrängung als eine Art Ursünde angesehen haben. Dies war insbesondere bei den Anhängern des Freud-Glaubens der Fall, der im ausgehenden zweiten Jahrtausend für kurze Zeit auf dem Weg schien, das Christentum abzulösen. Warum das nicht geklappt hatte, weiß nichtmal ein Alt-Terra-Freak wie ich. Wahrscheinlich muss jede Art von Glauben wenigstens ein Körnchen Wahrheit enthalten. Und die Wahrheit ist, das Verdrängung ein ganz nützlicher Mechanismus sein kann. Überlebenswichtig mitunter. Ich hatte das oft genug erlebt. Und wenn diese Blitz-Krieger, die mit ihren Strahlern auf mich lauerten, mit mir eines gemeinsam hatten, dann mit Sicherheit genau diese Überzeugung.

Ich wagte es schließlich die Straße zu überqueren. In dem Ruinenfeld auf der anderen Seite würde ich immerhin Deckung finden. Immer wieder kam es vor, daß in den Häusern Heckenschützen lauerten, die auf alles feuerten, was sich bewegte und keine Blitzmaske trug. Selbst bei größter Vorsicht konnte man da immer wieder in eine Falle tappen. Aber in den Grundmauern, die das Ruinenfeld in Rechtecke und Quadrate aufteilte, war das nicht so leicht möglich. Ich arbeitete mich voran, stieg durch ein ehemaliges Fenster, wirbelte herum, weil ich aus den Augenwinkeln heraus einen Schatten zu sehen glaubte. Aber da war nichts außer einer riesigen Ratte, die sich davonmachte, ehe ich sie zerstrahlen konnte. Von diesen Biestern gab es wirklich mehr als genug hier im OutlawSector. Wahrscheinlich waren sie die wichtigsten Eiweißlieferanten der Menschen, die in diesen Trümmern das zu führen versuchten, was sie für ein freies Leben hielten.

Ich war sicher nicht der einzige, der sich nur deshalb hier aufhielt, weil es keinen anderen Ort für ihn gab. Es war leichter hier, in den OutlawSectors der Erde - mitten im Gebiet von IPLAN, den Inneren Planeten! - unterzutauchen als am Rande der Galaxis. Denn das GalaxyNet breitete sich ständig aus. Seine Ausbreitungsgeschwindigkeit war rasend. Selbst die Randföderation, die in fünfhundertjähriger Isolation vom Rest der Galaxis existiert hatte, konnte sich nach dem Ende der Phase der sogenannten Kalten Konfrontation gar nicht schnell genug an den interstellaren Datenstrom anschließen.

Ein grenzenloses Universum wartete da draußen, von dem immerhin ein ganz beachtlicher Teil besiedelt war. Entfernungen spielten innerhalb dieses Bereichs keine Rolle mehr, Raumfahrt war etwas für Liebhaber und rückständige Planeten geworden.

Nur für mich galt all das nicht.

Ich hatte meinen CyberSensor, den Verbindungschip, über den mein Körper mit dem Netz verbunden gewesen war, deaktiviert. In der ersten Zeit war es schlimm gewesen. Keine Netzhautprojektionen, kein allgegenwärtiges SYSTEM, daß einem bei den Verrichtungen des Alltags half. Keine Pseudostimme, die in Wahrheit nur eine Stimulation von Nervenendungen der Hörnerven war.

Es war wohl eine Art Einsamkeit gewesen, die ich empfunden hatte. Ein Gefühl des Abgeschnittenseins vom Rest des Universums. Unwillkürlich betastete ich die leere Cyberbuchse an meinem Nacken, in die der CyberSensor eigentlich hineingesteckt wurde. Ich kam mir immer noch nackt vor, ohne das Ding. Aber ich wußte auch, daß ich nur kurze Zeit, nachdem ich es wieder eingesteckt hätte und die Verbindung zum GalaxyNet aufgebaut gewesen wäre, mich bereits wieder in den Klauen des MEGA KILLER befunden hätte.

('In den Klauen...' Mein Gott, ich habe mir die bildhafte Ausdrucksweise der irdischen Prä-Weltraum-Antike wirklich schon ziemlich angewöhnt...)

Ich durchquerte das Trümmerfeld.

Als ich schließlich dessen Ende erreicht hatte, kam ich an einen freien Platz. Stimmen konnte ich hören. Das mussten jene Stimmen sein, die ich schon in weiterer Entfernung gehört hatte. Ich kauerte hinter einer der Mauern, beobachtete dann aufmerksam, was sich dort tat.

Ein großes, tellerförmiges Objekt stand in der Mitte des Platzes. Zuerst hatte ich es für einen Gleiter gehalten, aber das es war es nicht.

Es war etwas so seltenes in einer Galaxis, die von Transmitterstraßen durchzogen wurde, daß man mit diesem Anblick kaum rechnete.

Ein Raumschiff!

Wenn auch nur eine kleine Raumyacht.

Sie war etwa vierzig Meter lang.

Bewaffnete Blitz-Leute patrouillierten in der Umgebung herum.

Einer der Blitzleute stieg über einen Antigravschacht ins Innere der Raumyacht.

Ich möchte nur zu gern wissen, wie diese Gang-Leute an so etwas herankommen!, ging es mir durch den Kopf. Ein langer Weg war wohl auszuschließen. Also mußten sie sich den Raumer irgendwo gekapert und hier her entführt haben. Daß sie ein abgestürztes Exemplar eigenhändig repariert hatten, traute ich ihnen eigentlich nicht zu.

Dazu besaßen sie einfach nicht die technischen Möglichkeiten. Hatte ich bislang jedenfalls geglaubt. Aber vielleicht mußte ich mich von der Wirklichkeit eines besseren belehren lassen.

In meinem Hirn rasten die Gedanken.

Eine Raumyacht, das bedeutete vielleicht eine der wenigen Möglichkeiten für jemanden wie mich, die Erde verlassen und in jene Bereiche der Galaxis zu gelangen, in denen die Reichweite des GalaxyNets bislang endete. Beispielsweise zu den Äußeren Kolonien oder darüber hinaus.

Einige Augenblicke lang schätzte ich die Möglichkeiten ein, diese Raumyacht in meine Gewalt zu bringen und mit ihrer Hilfe die Erde zu verlassen. Natürlich gab es eine Raumüberwachung im Bereich von IPLAN. Aber da waren eventuell Möglichkeiten denkbar, um die Kontrollen auszutricksen.

Nur der MEGA KILLER hatte sich bislang nicht austricksen lassen! ging es mir durch den Kopf. Jedesmal, wenn ich geglaubt hatte, ihm entkommen zu sein hatte ich ihn in Wahrheit nur unterschätzt, diesen quasi intelligenten Virus, der mir auf den Fersen war. Erbarmungslos. Eiskalt. Ein geduldiger Jäger, wie er perfekter nicht denkbar war.

Ich atmete tief durch.

Aus den Augenwinkeln heraus sah ich eine Bewegung.

Ein Schatten.

Ich wirbelte herum.

Ein maskierter Blitz-Krieger riss seinen Nadler hoch. Mir blieb nichts anderes übrig, als ihn mit dem Strahler zu erledigen, obwohl das zweifellos die Bewaffneten rund um die Raumyacht auf mich aufmerksam machte. Das war gar nicht vermeiden. Das grelle Aufblitzen des Energiestrahls würde dafür sorgen. Mein Schuß erwischte den Blitz-Krieger, bevor er den Nadler abfeuern konnte. Der Strahl traf ihn exakt in Höhe des Brustbeins. Eine Kontraktion der Muskulatur sorgte dafür, daß sich das Nadelgeschoß noch aus seiner Waffe löste. Aber es war ein ungezielter Schuss ins Nichts. Ich setzte zum Spurt an. Mir war klar, daß ich jetzt nur so schnell wie möglich fliehen mußte. Hinter mir hörte ich die Stimmen der Blitz-Leute. Sie hatten mit Sicherheit den Energiestrahl hinter der Mauer aufleuchten sehen.

Hinter dem nächsten Mauervorsprung wartete einer der Kerle. Er war ebenso erschrocken wie ich.

Der Nadler, den er abfeuerte, machte 'klack'.

Das Projektil zischte dicht an meinem Kopf vorbei. Es verfehlte mich nur um Haaresbreite. Mein Strahlschuss erwischte ihn nur an der Schulter. Er taumelte zurück, schrie auf und richtete noch einmal den Nadler auf mich. Bevor er abdrücken konnte, machte ich ein Ende mit ihm.

Ich hetzte weiter.

Schweiß perlte mir von der Stirn.

Ich hörte die Stimmen von allen Seiten. Es wurde eine Art Treibjagd. Trommeln ertönten jetzt. Trommelschlag, der typische akustische Background der OutlawSectors oder kurz OS genannt. Man konnte sich nur wundern, wie schnell Strukturen einer längst überwunden geglaubten archaischen Stammesgesellschaft um sich griffen, wenn der Mensch ohne sein gewohntes technisches Brimborium dastand. Und das war in den OS (abgesehen von der Bewaffnung) der Fall. Die Parias der GalaxyNet-Gesellschaft lebten wie in vorzivilisatorischen Horden.

Ich rannte um mein Leben und fragte mich, wie es sein konnte, daß in dieser Gegend so viele Blitz-Leute waren.

Mit einem der gelegentlichen Vorstöße dieser Gang hatte das nichts zu tun.

Offenbar waren die Angaben, die John Sabasco über die Ausdehnung seines Gebietes gemacht hatte, reichlich übertrieben gewesen.

Ich erreichte das Ende des Trümmerfeldes, überquerte die Straße. Von irgendwoher wurde in meine Richtung geschossen. Jemand musste auf den Dächern lauern. Das Klackern eines Nadlers hallte zwischen den Ruinen wider. Ich spurtete los, schlug einen Haken und erreichte schließlich die andere Straßenseite. Dicht presste ich mich gegen die Mauer, blickte mich um. Das Energiereservoir meines Strahlers ging zur Neige. Und eine andere Waffe besaß ich nicht. Ich fluchte innerlich. In Zukunft musste ich mir gut überlegen, wen ich zu Asche laserte.

Nur eine kurze Pause gönnte ich mir, um wieder einigermaßen zu Atem zu kommen. Dann hetzte ich weiter. Ich rannte eine enge Gasse entlang und hoffte, daß mich mein Orientierungssinn nicht trog und ich am Ende völlig in die Irre ging.

Eine ganze Weile lang hörte und sah ich nichts von den Blitz-Leuten.

Dann fiel mir für den Bruchteil einer Sekunde ein Schatten auf einem der Dächer auf. Ein Schütze, der in Stellung ging. Ich hielt mich dicht an den Mauern, bog dann in eine andere Straße ein und hoffte, daß es sich nicht um eine ausweglose Sackgasse handelte.

Schließlich erreichte ich bekanntes Gelände. Ich gelangte auf eine alte Industrieanlage, die schon seit mehr als tausend Jahren nicht mehr in Betrieb war. Es war nichts von dieser Produktionsanlage geblieben, abgesehen von ein paar Hallen, unverrotbarem Material und jeder Menge rötlichem Eisenoxid-Staub. Mochte der Teufel wissen was hier sonst noch an giftigen Chemikalien lagerte. Einfach vergessen, für Jahrhunderte sich selbst überlassen. Ich erinnerte mich genau, diese Anlage auch auf meinem Weg hier passiert zu haben. Ein beißender Geruch hing in der Luft. Ich war froh, als ich das Gelände endlich hinter mich gebracht hatte.

Etwa zwei Stunden noch streifte ich durch die Ruinenlandschaft von Old-L.A. Ich machte ein paar Umwege, um sicherzugehen, daß mir niemand gefolgt war.

Es dämmerte bereits, als ich auf die ersten Außenposten der Dreizack-Leute traf. Auch sie trugen Masken. Etwas, woran ich mich nur schwer gewöhnen konnte.

Das Lager der Gang befand sich im Hinterhof eines zehngeschossigen ehemaligen Wohnhauses, auf dem früher einmal eine Art Kuppel aufgesetzt gewesen war. Aber die Kuppel hatten Sabascos Gegner mit einem ferngelenkten Explosiv-Geschoss zerstört. Sie war früher ein wichtiger Aussichtspunkt gewesen, von dem aus man das gesamte Territorium der Dreizack-Leute hatte überblicken können.

Aber das war lange her.

Schon als ich zu erstem Mal bei Sabasco gewesen war, hatte es von der Kuppel nur noch Reste gegeben, die inzwischen in sich zusammengefallen waren. Der Bau hatte jetzt Ähnlichkeiten mit einer überdimensionalen Eierschale, aus der irgendein gigantisches Ungetüm herausgekrabbelt war.

Als ich das Lager erreichte, dämmerte es bereits. Feuer brannten und loderten hoch empor. Der Geruch von gebratenem Rattenfleisch verbreitete sich. Schatten tanzten an den grauen, hoch emporragenden Mauern.

Garenna Broderick begrüßte mich. Sie hatte an einem der Feuer gekauert. Wir beide waren die einzigen nichtmaskierten Personen im Lager und so war sie mir natürlich sofort aufgefallen.

"Wir haben uns hier schon alle Sorgen um dich gemacht!" meinte sie. Garenna war eine aufregend schöne Frau. Ihre Silhouette glich einer geschwungenen Kurve. Sie war die Tochter von Grivas Lonk, einem Computerspezialisten, der versucht hatte mich von dem MEGA KILLER zu befreien. Lonk hatte mit dem Leben dafür bezahlt. Garenna hatte mich zunächst für den Mörder ihres Vaters gehalten, weil sie mich in seiner Wohnung vorfand. Inzwischen klebte der Killer- Virus auch an ihr. Mit einem Gleiter waren wir in der Nähe der Ruinenstadt Old-L.A. abgestürzt. Auch dieser Absturz war kein gewöhnlicher Unfall, sondern ein Anschlag meines unsichtbaren Feindes gewesen. Nur mit knapper Not waren wir entkommen und standen jetzt unter dem Schutz von John Sabasco und seinen Dreizack-Leuten.

Ich musterte Garenna kurz.

"Ich bin aufgehalten worden", meinte ich.

Sie warf einen Blick auf den Energienazeiger des Strahlers, den ich an der Seite trug.

"So nennt man das also!"

John Sabasco näherte sich. Inzwischen erkannte ich ihn an seiner Gestalt und dem Haarschopf, der hinter seiner Maske hervorquoll. Es ist erstaunlich, wie schnell man sich daran gewöhnt, einen Menschen an etwas anderem zu erkennen als an den Linien seines Gesichtes, die im Übrigen ja auch von keinem Personenerkennungssystem noch als Ausweis der Identität anerkannt werden. Mit gutem Grund.

"Du hast gesagt, du wolltest dich nur ein bisschen in der näheren Umgebung umsehen", meinte er. An seinem Tonfall war leicht zu erkennen, daß er ziemlich ärgerlich war.

"Nähere Umgebung ist ein relativer Begriff, John!"

"Hör auf mit deinen Spitzfindigkeiten, Dak! Das konnte ich schon früher nicht an dir leiden!"

"Sorry!"

"Und deine altsprachliche Attitüde genauso wenig!"

"Ich war im Norden. Scheint so als hättet ihr dort ein paar Gebiete mehr oder weniger verloren. Auf der Karte, die du mir zeigtest..."

"Vergiss die Karte, Mann!"

"Du hättest mir trotzdem sagen können, wen ich da treffe!"

"Die Grenzen sind im ständigen Fluß, Dak!"

"Ihr verteidigt den Norden nicht mehr."

"Weil es dort nichts gibt, was für uns wichtig wäre."

"Scheinen die Blitz-Leute anders zu sehen, John!"

"Sollen sie doch! Sollen sie das Gift dieser ehemaligen Produktionsanlage schlucken, daß als feiner Staub durch die Gegend fliegt! Ich habe nichts dagegen, dann gibt es in Zukunft ein paar weniger von ihnen!"

Ich sah ihn an. Besser gesagt, ich starrte seine Maske an. Von seinem Gesicht sah ich nichts weiter als seine dunklen Augen, die mich durch entsprechende Löcher in der Maske ansahen. Der Rest seines Gesichts war unter der ledernen Maske verborgen, deren herausragendstes Kennzeichen das Emblem der gekreuzten Dreizacke war. Das Zeichen seiner Gang. Seines Stammes, wenn man es mit einem älteren Begriff ausdrücken wollte.

Er schüttelte schließlich den Kopf.

"Du mußt wahnsinnig sein, Dak Morley!" meinte er. "Schließlich bist du nicht zum ersten Mal hier im OutlawSector von Old-L.A.."

"Das ist wahr."

"Dich als Unmaskierter, als Mann ohne Gang, in die Randbereiche unseres Gebietes zu wagen..." Abermals schüttelte John Sabasco den Kopf. "Das ist mehr als Tollkühnheit! Das ist Selbstmord!"

"Ich hab's überstanden", erwiderte ich.

"Sind sie dir gefolgt?"

"Nicht weit."

John Sabasco nickte zufrieden.

"Offenbar haben Sie noch Angst vor mir. Das ist gut so."

"Ich würde vorsichtig sein, John!"

Er lachte auf. "Das sagst du mir?" Unter der Maske hatte sein Lachen einen eigenartigen, gedämpften Klang. "Du bist wirklich verrückt, Dak Morley!"

"Es sind sehr viele Blitz-Leute im Norden."

"Natürlich!"

"Außerdem besitzen sie ganz offensichtlich ein Raumschiff."

Sabasco schwieg einige Augenblicke lang. Er wandte sich halb herum, hob die Hand ans Kinn und rückte sich die Maske etwas zurecht. Bei John Sabasco eine Verlegenheitsgeste, wie ich inzwischen wußte. "Du mußt dich täuschen!"

"Ich habe es mit eigenen Augen gesehen."

"Was war es für ein Raumer?"

"Eine Yacht. Offenbar war es den Blitz-Leuten wichtiger, diese Raumyacht weiter bewacht zu halten, als eine große Treibjagd auf mich zu veranstalten. Und das, obwohl ich einige der Blitz-Leute erledigt habe!"

Ich hatte das Gefühl, daß Sabasco über etwas nachdachte. Stumm verfluchte ich die Maske, die er trug. Dadurch, daß er meine Gesichtszüge sehen konnte, ich die seinen aber nicht, war er mir gegenüber im Vorteil.

Garenna mischte sich in das Gespräch ein. Sie war immerhin Raumpilotin im Bereich der Äußeren Kolonien gewesen, bevor sie ihre eigene Leichtfertigkeit zu einer Beute des MEGA KILLER gemacht hatte. Beinahe jedenfalls. Schließlich hatten wir die Havarie des Atmosphärengleiters ja beide relativ unbeschadet überlebt.

Wenn wir in jenem Moment gewußt hätten, was uns erwartet! ging es mir durch den Kopf. Wahrscheinlich hätte es gar nichts geändert. Andererseits ist es vielleicht ganz gut, keinen Blick hinter den großen Vorhang tun zu können, hinter dem die Zukunft verborgen liegt.

"Ich habe nicht gewußt, daß es Raumschiffe im OutlawSector gibt!" stieß Garenna hervor.

John Sabasco hob die Schultern. "Hin und wieder kommt das vor", gestand er ein.

"Und wie kommen die Blitz-Leute an so ein Raumschiff?"

"Sie werden es gekapert haben", meinte Sabasco. "Einige Gangs betreiben interplanetare Linien, vorbei am Transmitternetz und den offiziellen Raumschiffahrtsrouten."

"Dabei müßten sie die Raumkontrolle im Iplan-Bereich überlisten!" stellte Garenna fest.

Sabasco bestätigte das. "Es gibt Mittel und Wege, um die Raumkontrolle auszutricksen. Natürlich klappt so etwas nur für eine gewisse Zeit, dann kommen die Raumpatrouillen ihnen auf die Schliche und bringen sie auf."

"Meinst du, man könnte diesen Blitz-Leuten die Raumyacht abluchsen?" fragte ich.

Sabasco lachte auf. "Hey Mann, was ist deinem Hirn passiert? Zu lange auf einem Planeten mit starker Sonneneinstrahlung gewesen? Die werden dir die Yacht weder verkaufen noch dir eine Gelegenheit geben, sie ihnen wegzunehmen!"

"Käme auf einen Versuch an."

"Aber meinen Segen hast du dafür nicht, Dak! Ich habe dich hier aufgenommen. Dich und deine Begleiterin. Ich habe noch nicht einmal gefragt, wer hinter euch her ist und warum ihr unbedingt untertauchen müßt. Ihr müßt schon etwas auf dem Kerbholz haben, ansonsten kann ich mir nicht vorstellen, daß jemand so todesmutig ist, als Unmaskierter in den OutlawSector von Old-L.A. zu gehen..."

"Nun wollen wir mal nicht übertreiben", meinte ich. "Wir leben ja noch. "

"Reine Glücksache, John. Wenn ihr nicht zuerst auf uns getroffen währt, sondern auf eine andere Gang..." Er sprach nicht weiter, machte stattdessen nur eine eindeutige Geste. Er fuhr sich mit der Handkante am Hals entlang.

"Ich habe dich eigentlich als einen Realisten in Erinnerung, Dak", meinte John Sabasco dann, nach einer Pause des Schweigens. "Du solltest dich also mit den Gegebenheiten abfinden. So wie wir das auch tun."

"Diese Art von Realismus schmeckt mir nicht!"

"Kann ich mir denken. Aber ich finde, es gibt keine Alternative." John Sabasco trat an mich heran, hob den Arm und berührte dann mit seiner flachen, behandschuhten Hand meine Schulter. "Werde einer von uns, Dak."

"Ich glaube, auf die Dauer ist das Leben zwischen diesen Ruinen nichts für mich!" erwiderte ich.

"Nicht wenige, die hier leben, haben irgendwann so gedacht!" erwiderte der Anführer der Dreizack-Gang. "Aber irgendwann gewinnt die realistische Einschätzung der Situation die Oberhand. Glaub mir, das gilt auch für dich."

"Abwarten."

"Wie gesagt, Dak. Es ist ein Angebot. Du kannst einer von uns werden und dann wärst du kein Mann ohne Maske mehr, der im Territorium einer anderen Gang Freiwilds ist. Dann würden wir dich schützen - so wie du auch uns beistehen würdest."

"Dein Angebot ehrt mich", erwiderte ich. Ich durfte ihn nicht zu schroff ablehnen. Schließlich hatte Sabasco sehr viel für uns getan. Ohne ihn und seine Gang hätten Garenna und ich die ersten Tage in dieser Ruinenwildnis niemals überlebt.

"Zögere nicht zu lang!" sagte er.

"Keine Sorge."

Aber ich konnte einfach nicht anders. Meine Gedanken waren bei dem Raumschiff, daß ich bei den Blitz-Leuten gesehen hatte.

Eine Fluchtmöglichkeit!, ging es mir siedend heiß durch den Kopf. Eine andere Stimme in meinem Inneren schalt mich einen Narren.

Du weißt doch gar nicht, ob dieser Raumer überhaupt noch funktionsfähig ist und es sich nicht um einen Haufen Schrott handelt! meldete sich eine skeptische Stimme in mir. Aber der Gedanke an die Raumyacht ließ mich nicht los.

*

Die Trommeln waren dumpf zu hören. Es war eine jener typischen Nächte in den Ruinen von Old-L.A. Garenna und ich befanden uns in einem der mittleren Stockwerke des großen Wohngebäudes, das einen Teil von John Sabascos Hauptquartier darstellte. Es gab kein Glas mehr in den Fenstern. Wir blickten hinaus in die Nacht. Auf den Dächern der umliegenden Gebäude standen bewaffnete Wächter, patrouillierten auf und ab.

In dem Hinterhof, auf den wir hinabblickten, brannten Feuer. Gesänge erklangen. Die Bewohner des OutlawSectors pflegten eigenartige Gebräuche und Rituale. Viele davon verstand ich nicht, geschweige denn, daß ich auch nur im Entferntesten ihre Bedeutung erfaßt hätte.

"Du denkst an das Raumschiff, was du bei den Blitz-Leuten gesehen hast!" Es war eine Festellung, die Garenna traf, keinesfalls eine Frage.

Ich nickte.

Ich wollte etwas sagen, aber mir fielen einfach nicht die passenden Worte ein. Schließlich atmete ich tief durch, ohne, daß eine einzige Silbe über meine Lippen gekommen war.

Schließlich brachte ich heraus: "Ich habe nicht vor, mein Leben als maskentragendes Mitglied der Dreizack-Gang zu beschließen."

"Ich habe den Eindruck, daß John Sabasco das sehr gerne sähe!"

"Natürlich! Bei den ewigen Kleinkriegen im OutlawSector haben alle Gangs einen ständigen Bedarf an Kämpfern."

"Ich glaube, er erwartet mehr."

"So?"

"Ich denke, Sabasco will, daß du ihn auf lange Sicht bei der Führung der Gruppe unterstützt."

"Da kennst du diese Gangleute aber wirklich schlecht!"

"Was meinst du damit?"

"Wenn Sabasco in mir einen potentiellen Anführer sähe, würde er mich zum Zweikampf herausfordern und umbringen."

Garenna zuckte die Achseln. "Ich sehe auf absehbare Zeit keine reelle Möglichkeit an dieses Raumschiff heranzukommen, Dak. Es ist wie eine Fata Morgana. Eine Luftspiegelung von etwas, was irgendwo, an einem weit entfernten und nicht erreichbaren Ort existiert. Die Blitzleute werden diese Raumyacht hermetisch abriegeln. Du kannst von Glück sagen, daß du überhaupt nahe genug herangekommen bist, um sie einmal ansehen zu dürfen!"

Ich grinste.

"Wenn diese Blitzkrieger nicht so sehr darauf erpicht gewesen wären, ihr Raumschiff zu bewachen, dann stünde ich jetzt nicht hier."

"Schon klar, Dak."

Ich sah sie an, blickte direkt in ihre Augen. Sie war attraktiv. Ich fühlte mich durchaus zu ihr hingezogen, aber da war noch etwas anderes, was uns jetzt verband. Unser Feind. Der MEGA KILLER. Er hatte uns beide mit einem Schlag aus unserem gewohnten Leben hinauskatapultiert und solange dieses Etwas, dieses Biest aus einem Konglomerat sich selbst reproduzierender Informationseinheiten, nicht zerstört war, würde es für uns keine Rückkehr in jene Welt geben, in der man über seinen CyberSensor eine direkte Verbindung zwischen Gehirn und GalaxyNet verfügte und in der eine Reise durch die halbe Galaxis eine Sache von Sekunden war, so fern es auf der Zielwelt eine Transmitterstation gab.

Der archaische Rhythmus der Trommeln wirkte wie ein greller Kontrast zu jenem Universum, das ich verlassen hatte. Einem Universum, in dem das wertvollste Gut die Information selbst war, wie ich in meiner Eigenschaft als Industrie-Spion oft genug hatte feststellen können.

Virtuelle und corporale Realität hatten gleichberechtigt nebeneinandergestanden.

Im OutlawSector gab es nur die sogenannte corporale Realität.

Die Wirklichkeit des Physischen.

Und die des physischen Endes, daß in dieser unbarmherzigen Umgebung sehr schnell kommen konnte.

Keine ausgeklügelte medizinische Versorgung konnte einen davor bewahren. Man hatte nicht die Möglichkeit, erst einmal sein Cyber-Ich auf einen heiklen Weg zu schicken, bevor man ihn selbst ausprobierte. Man hatte immer genau eine einzige Chance und wenn die nicht genutzt wurde, war es eben vorbei. Mit Schaudern dachte ich daran, daß dies vor Jahrtausenden, genau in jener Epoche, die ich als Nostalgiker der altirdischen Geschichte, mitunter etwas zu verklären neigte, die tägliche grausame Wirklichkeit aller Menschen gewesen war.

Ich beschloß, nicht länger darüber nachzudenken. Auch nicht länger darüber, daß die Blitzkrieger, die ich bei meinem Besuch in den Nordgebieten erledigt hatte, eben keine Netzhautprojektionen eines Cybernet-Spiels waren, sondern wirkliche Menschen, deren einziges Leben in einem gebündelten Strahl Energie verraucht war. Buchstäblich.

Ich wußte, daß es hin und wieder Leute gab, die genau dieses Risiko als eine Art Kick für ihr Leben brauchten und deswegen ein Dasein in einem der OutlawSectors einer Existenz im perfekt organisierten GalaxyNet-Universum vorzogen. Nicht wenige behielten allerdings nebenbei ihre Identität als gute Iplan-Bürger, so daß sie jederzeit die Möglichkeit hatten, sich aus der Gesetzlosigkeit wieder zurückzuziehen. Einer Gesetzlosigkeit, die im übrigen durch die Regeln der einzelnen Gangs in Wahrheit stärker reglementiert war, als das Leben auf allen Iplan-Welten die ich bisher kennengelernt hatte. Und das waren nicht wenige.

"Ich glaube, daß wir auch hier nicht lange sicher sein werden", meinte ich schließlich an Garenna gewandt.

Sie hob die Augenbrauen. Draußen schwollen die eigenartigen Gesänge, die sich mit dem Klang der Trommeln mischten, zu einem Crescendo an. Davon abgesehen, daß ein Teil derer, die da draußen im Schein der Flammen tanzten gar keine andere Wahl als ein Leben im OS hatten, so schien es offenbar so zu sein, daß eine hochkomplexe, galaxisweit vernetzte Gesellschaft offenbar auch die tiefe Sehnsucht nach ihrem Gegenteil produzierte. Und genau das wurde in diesen primitiven Ritualen, dem Maskenzauber und der tribalistischen Ordnung der Gangs manifest.

"Sei nicht albern", meinte Garenna. "Der MEGA KILLER hat keine Chance, uns hier her zu verfolgen."

"Ich weiß nicht..."

"Wie stellst du dir das vor? Es gibt keinerlei Datenverbindungen zwischen dem OS und dem GalaxyNet."

"Trotzdem... Dieses Datenbiest ist ein geduldiger Jäger..."

"Sag mal, warst du eigentlich schon paranoid, bevor der MEGA KILLER auf deinen Fersen war?"

"Vielleicht."

"Den Eindruck habe ich auch."

"Außerdem möchte ich wissen, wer wirklich dahintersteckt."

"Ich dachte, das wäre klar."

"Klar ist gar nichts. Klar ist nur, daß jemand sehr sauer auf mich war und ein DING konstruierte, daß unter anderem deinen Vater umbrachte. Alles, was wir in der Hand haben sind Indizien, Vermutungen, Spekulationen... Willst du nicht auch wissen, wer deinen Vater auf dem Gewissen hat?"

"Natürlich."

"Du bist Pilotin."

"Daher weht also der Wind."

"Kannst du dir eine Möglichkeit vorstellen, die Iplan-Raumkontrolle auszutricksen?"

Sie zuckte die Achseln. "In den Äußeren Kolonien ist Raumfahrt etwas anderes als hier im Sol-System. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich meine."

"Doch, ich denke schon."

"Wenn wir so etwas versuchen, Dak, dann muß das gut vorbereitet sein."

"Natürlich."

"Wir werden nur eine Chance haben."

"Ich weiß, Garenna."

"Und du meinst, das reicht?"

"Das muß reichen."

"Es ist ein Wunder, daß du noch lebst!"

"Es ist auch ein Wunder, daß du noch lebst!"

"Wollen wir uns in Zukunft wirklich weiter auf Wunder verlassen?"

Wir sprachen nicht weiter. Unsere Lippen fanden sich zu einem zögernden Kuß. Ich legte den Arm um ihre Schultern, spürte die ihren an meinem Rücken. Der zweite Kuß wurde leidenschaftlicher, verlangender. Ich mochte den Geruch ihrer Haare. Und für ein paar Augenblicke vergaß ich, daß wir auf der Flucht waren.

*

Ein Blitz zuckte durch die Nacht. ETWAS schnellte daher und im nächsten Moment erhellten die auflodernden Flammen einer gewaltigen Detonatioon die Nacht. Einer der Wächter auf dem Dach eines Nachbarhauses schrie auf. Als brennende Fackel lief er daher. So hoch waren die Flammen emporgeschnellt. Wir duckten uns. Ein ohrenbetäubender Lärm entstand. Das Stimmengewirr der Dreizack-Leute wurde von den Explosionsgeräuschen fast gänzlich überdeckt. Schreie gellten durch die Nacht. Ich hatte instinktiv zum Strahler gegriffen - und auch Garenna hatte ihre Waffe in der Hand.

Aber im Moment konnten wir damit nichts ausrichen.

Der Feind - wer immer er auch sein mochte - blieb im Verborgenen.

Ich kannte die Wirkung der Big-Bang-Geschosse, die der Gegner einsetzte. Es handelte sich um selbstlenkende Explosivmunition, die von einer entsprechenden Pistole abgeschossen wurde. Bei den Dreizack-Leuten hatte ich dergleichen nichts gesehen. Offenbar waren ihre Feinde in dieser Hinsicht besser ausgerüstet.

Ein weiterer Knall ertönte.

Ein Geschoß schlug ein.

Eines der Gebäude auf der anderen Seite des Hinterhofs hatte es erwischt. Die obersten drei Etagen verwandelten sich in eine Flammenhölle. Beinahe taghell wurde es jetzt. Und heiß. Verdammt heiß.

"Wir müssen hier weg!" rief ich an Garenna gewandt. Ich rappelte mich auf, blickte kurz auf den Hinterhof. Ein Bild des Grauens bot sich dort.

Zahllose Tote bedeckten den Boden. Verletzte schrien noch. Aber sie waren so furchtbar zugerichtet, daß sie kaum Überlebenschancen hatten.

Garenna hielt dieser Anblick einige Augenblicke lang gefangen.

Sie war blaß geworden.

"Komm, worauf wartest du noch?" rief ich.

Ich zog sie mit mir, während ganz in der Nähe ein weiteres Geschoß einschlug. Wieder loderten Flammen empor. Es krachte. Offenbar stürzte eine Hauswand in sich zusammen. Wer immer diesen Angriff inszeniert hatte, er hatte ihn außerordentlich gut geplant.

Natürlich kamen dafür in erster Linie die Blitz-Leute in Frage.

Offenbar hatten sie vor, John Sabascos Gang den Garaus zu machen.

Und dabei waren sie nicht zimperlich. Auf Gefangene schienen sie nicht den geringsten Wert zu legen.

"Diese Bestien!" stieß Garenna hervor.

Wir erreichten das Treppenhaus. Die Antigravschächte, die in diesem Wohnsilo einst installiert gewesen waren, funktionierten schon seit Jahrhunderten nicht mehr. Die Elektronik war schon vor langer Zeit geplündert worden. Möglicherweise hatte mit den Modulen jemand die Energiesteuerung seiner Strahlenpistole modifiziert. Die Prioritäten wurden im OutlawSector eben etwas anders gesetzt, als im Rest des Universums. Daran mußte man sich schnell gewöhnen.

Weitere Detonationsgeräusche folgten. Schreie, Stimmen. Es herrschte das blanke Chaos. Jederzeit erwartete ich auf Blitz-Krieger zu treffen, die mir einen Strahler entgegenhielten und versuchten, uns beide in Asche zu verwandeln.

Wir hetzten weiter, gelangten schließlich ins Erdgeschoß.

Irgend etwas stimmt hier nicht! dachte ich. Schon die Verwendung von Big Bang-Geschossen hätte mich stutzig machen sollen. Aber eigentlich galten unter den Gangs strenge Ehrenregeln. Eine Art Kodex, der auch im Kampf nicht verletzt wurde, es sei denn man wollte Gefahr laufen, als ehrlos zu gelten. Ein so massiver Angriff mit Explosionsgeschossen paßte nicht zum Kodex der Gangs, soweit er mir bekannt war.

Wir erreichten das Erdgeschoß, gelangten dann ins Freie. Überall lagen Tote verstreut im Hinterhof, einem von ihnen nahm ich den Strahler und den Nadler ab und heftete sie mir an die Magnethalterungen meiner Kombination. Das Energiereservoir meines eigenen Strahlers war ja ziemlich leer. Es reichte nur noch für wenige Strahlschüsse.

Das Haus auf der anderen Seite des Hinterhofs stand in hellen Flammen. Es war höllisch heiß. Die Flammen fraßen sich die Wände empor. Ein Grund für die Ächtung von Explosionsgeschossen und Brandbomben unter den Gangs war mit Sicherheit auch die Erkenntnis, dass es für alle Bewohner eines OutlawSectors gefährlich wurde, wenn sich ein Feuersturm entfachte. Und das konnte leicht passieren.

Die Hitze war mörderisch.

Von den Verletzten, die wir vor kurzem noch hatten stöhnen und schreien hören, lebte keiner mehr.

Einige der Leichen, die näher an dem brennenden Haus lagen, fingen Feuer.

Der Ausgang des Hinterhofs war durch die Hitze versperrt.

Es war unmöglich dort her zu gehen. Das Feuer war zu nah. Beißender Qual kam uns entgegen, stieg auf und wuchs als dunkelgraue Schwade zum mondhellen Himmel hinauf.

"Zurück!" meinte ich.

Garenna sah mich fragend an.

Sie kam nicht mehr dazu, noch etwas zu sagen.

Eine schattenhafte Gestalt erschien dort, wo der Ausgang des Hinterhofs lag. Immer deutlicher hob sie sich gegen den grauen Rauch ab. Die Hitze schien ihr nichs auszumachen. Die Bewegungen zeugten nicht von großer Eile.

Mir stockte der Atem.

Die Gestalt besaß vier Arme und war extrem groß.

Mindestens zwei Meter fünfzig!

"Sampor!" stieß ich hervor.

Ich war verwirrt.

Was hatte einer dieser gentechnisch veränderten Söldner-Klone, wie sie auf dem Planeten Cartax produziert wurden, hier im OS von Old-L.A. zu suchen?

Ich hatte nie etwas davon gehört, daß es Sampor gab, die sich irgendwelchen Gangs angeschlossen hatten. Die vierarmigen, extrem widerstandsfähigen aber entgegen ihrem Aussehen genetisch gesehen menschliche Wesen, die sich nur in einem verschwindend geringen Bruchteil ihrer Erbinformation von einem Erdbewohner unterschieden, waren als Söldner überall in der Galaxis gefragt. Sie waren psychisch so konditioniert, daß ihnen der eigene Tod nichts ausmachte.

Aber diese Konditionierung sorgte auch dafür, daß es extrem unwahrscheinlich war, daß sie zu Outlaws wurden. Sie waren ihren Auftraggebern ergeben, erfüllten ihre Jobs.

Wessen Job erledigen sie jetzt gerade? ging es mir durch den Kopf.

Der Sampor trat aus dem Nebel heraus.

Seine sehr widerstandsfähige Panzerhaut schützte ihn vor der Hitze, während sein tunikaartiges Gewand teilweise weggesengt war. Am Halsansatz gab es ein zweites Augenpaar. Es war geschlossen. Ein Sampor besaß im Brustbereich eine zweite Hirnsektion, die zusammen mit dem Augenpaar am Hals vorzugsweise dann aktiviert wurde, wenn die Hauptsektion im Kopf aus irgendwelchen Gründen ausfiel.

Drei seiner vier Hände hielten Waffen.

Eine Big Bang-Gun zum Verschießen von Explosionsgeschossen, einen Strahler und einen Nadler mit einem deutlich sichtbaren, übergroßen Magazin.

Und offenbar war er nicht allein.

Ein weiterer Sampor tauchte im Rauchnebel als Schattenriß auf.

"Weg hier!" sagte ich.

"Dak, was geht hier vor sich?"

"Darüber können wir uns Gedanken machen, wenn wir einigermaßen in Sicherheit sind!"

"Wer schickt Sampor in einen OutlawSector?"

"Gute Frage!"

Wir wichen zurück.

Der erste Sampor hob den Arm mit dem Strahler und feuerte. Der Strahl brannte sich dicht neben uns in den Boden. Augenblicke später hatten wir wieder das Haus erreicht. Wir gingen in Deckung, feuerten zurück.

Ich erwischte ihn am Kopf, stellte dabei die Intensität des Strahlers auf die höchste Stufe. Anders konnte man gegen einen Sampor nicht ankommen. Sie waren verdammt schwer zu töten.

Ich laserte ihm den halben Schädel zu Asche. Sein Gehirn lag frei. Er stoppte kurz, feuerte ein paar ungezielte Schüsse ab.

Sein Kopf drehte sich noch hin und her.

Trotz der furchtbaren Verwundung, die er davongetragen hatte.

Das Augenpaar am Hals öffnete sich. Die zweite Hirnsektion war jetzt aktiviert und ersetzte das zerstörte Haupthirn. Der Sampor marschierte weiter. Seine weit ausholenden Schritte waren ziemlich raumgreifend. Er hob den Strahler, feuerte in unsere Richtung. Der Schuss ging durch eines der Fenster hindurch. Wir preßten uns gegen die Wand, während der gebündelte Energiestrahl sich in den Fußboden bohrte und an der Stelle, an der er auftraf, zu einer weißen, bröseligen Substanz pulverisierte.

Ich tauchte aus der Deckung hervor, feuerte den Strahler ein letztes Mal ab, denn danach war das Energiereservoir erschöpft. Mein Schuß war gut, traf den Hals. Das zweite Augenpaar war erheblich in Mitleidenschaft gezogen worden, vermutlich versengt. Der Sampor brüllte auf. Ich warf den leergeschossenen Strahler zur Seite, nahm stattdessen jene Waffe, die ich dem Toten abgenommen hatte.

"Mein Gott, das ist ja mindestens ein Dutzend von diesen Höllensöldnern!" rief Garenna.

"Mindestens!" nickte ich. Sie kamen einer nach dem anderen aus dem Rauch heraus.

Wir verließen den Raum, hetzten durch kahle Korridore, die mit eigenartigen Malereien verziert waren. Mir kam ein Vergleich mit altirdischen Höhlenmalereien der Frühmenschen in den Sinn. Hier hatten sich die Mitglieder der Dreizack-Gang künstlerisch verewigt. Eine gewisse Ähnlichkeit der Ergebnisse war unverkennbar. Auch diese Malereien würden bald Hinterlassenschaften eines untergegangenen Volkes sein. Denn die Dreizack-Gang existierte nicht mehr. Jedenfalls hatte ich keines ihrer Mitglieder noch in einem überlebensfähigen Zustand gesehen.

Möglicherweise gab es einzelne Versprengte, denen die Flucht gelungen war oder die sich in den Ruinen der Umgebung verkrochen. Aber selbst von den Wächtern und Kundschaftern, die sich zum Zeitpunkt des Angriffs nicht in der Nähe des Hauptquartiers befunden hatten, waren die meisten sicherlich tot. Anders war es nicht erklärlich, daß die Angreifer den Weg hier her hatten passieren können. Zweifellos hatten sie dafür jeden aus dem Weg geräumt, der versucht hatte, sich ihnen in den Weg zu stellen.

"Wo willst du hin?" rief Garenna.

"Auf die andere Seite des Gebäudes!" erwiderte ich. "Es muß da einen Ausgang geben!"

"Optimist!"

"Notfalls tut es auch ein Fenster, durch das man hinausgelangen kann."

Hinter uns war ein Explosionsgeräusch zu hören. Der Raum, in dem wir uns noch vor Augenblicken befunden hatten, verwandelte sich in eine Flammenhölle. Die Hitze war spürbar. Ich fühlte mich an das Atomfeuer von Hiroshima in den altirdischen Mythen erinnert, bei dem es sich wahrscheinlich nur um eine Ausgeburt der Phantasie handelte.

Beißender Qualm entstand, quoll wie die Arme eines dunkelgrauen Tentakelmonsters durch die Gänge und Korridore.

Wir hetzten weiter, versuchten so wenig wie möglich zu atmen. Das Gebäude, in dem wir uns jetzt befanden, glich in diesem Moment einer Art Irrgarten.

Es konnte zur Todesfalle werden.

Ein Ächzen durchdrang alles.

Irgendwo hinter uns barsten Wände, stürzten Träger in sich zusammen. Und auch dort wo wir uns jetzt befanden, zogen sich plötzlich Risse durch die Wände. Wie mäandernde Flüsse zogen sie sich empor, verzweigten sich vielfach. Hier und da brachen ein paar Brocken aus den Mauern heraus. Es bestand akute Einsturzgefahr. Diese uralten Ruinen waren nie für die Ewigkeit gemacht worden. Zu keinem Zeitpunkt. Nichteinmal in jener historischen Epoche, in der sie hastig und ohne viel Fantasie errichtet worden waren. Old-L.A. hatte immer in einem Erdbebengebiet gelegen. Und zweifellos war bereits die Technik des zwanzigsten Jahrhunderts weit genug entwickelt gewesen, um das zu erkennen. Warum man dennoch hier gebaut hatte, blieb unter Historikern bis heute ein Rätsel. Es mußte ein gewisser Hang zur Morbidität gewesen sein, der die damalige Gesellschaft geprägt hatte. Eine Art unterschwelliger Todessehnsucht, die sich in der Tatsache manifestiert hatte, daß man buchstäblich über glühenden Lavaströmen gebaut hatte.

Entsprechend kunstlos war die Architektur an diesem Ort gewesen. Immer neue Generationen von quaderförmigen Giganten hatte man auf diesen unruhigen Untergrund gesetzt, jede dieser Generationen angeblich sicherer als die vorangegangene.

Daß ein Teil dieser Gebäude dennoch so langen Zeitspannen überdauert hatte, glich einem Wunder.

Und jetzt...

Jetzt kamen ein paar Sampor und legten mit einigen gezielten Strahlschüssen alles in Schutt und Asche, was ihnen vor die Mündungen ihrer Strahler kam.

Ich stoppte abrupt.

Schritte.

Am Ende des Korridors erschien einer der vierarmigen Söldner.

Ich hatte eine Konditionierung hinter mir, die meine Reflexe stark beschleunigte. Genau um den entscheidenden Millisekundenfaktor, der in einem Fall wie diesem darüber entschied, wer überlebte und wer starb.

Der Sampor wollte die Waffen, die er trug, in Schußposition bringen. Zumindest den Strahler und den Nadler. Die Big Bang-Gun hing etwas unentschieden in der Pranke seines linken unteren Arms. Wahrscheinlich hatte er entschieden, daß ein Einsatz dieser Waffe in dieser Umgebung übertrieben war. Dieser Einsatz hätte ihn vermutlich auch selbst das Leben gekostet, denn auch die Explosionsstärke, die ein Sampor zu überleben vermochte, war begrenzt. Zwar war er psychisch derart konditioniert, daß der eigene Tod ihm in einer Kampfsituation nichts bedeutete. Aber das galt nur, wenn er zum Erreichen des Ziels unvermeidbar war.

Und das schien ihm in dieser speziellen Situation nicht der Fall zu sein.

Schließlich konnte er hervorragend mit Strahler und Nadler umgehen.

Zwei gewöhnliche Homo sapiens-Exemplare mussten damit doch zur Strecke zu bringen sein!

Er legte an.

Ich reagierte um den Bruchteil einer Sekunde schneller als er, riss ebenfalls Strahler und Nadler gleichzeitig hoch, so wie mein Sampor-Gegner.

Der Strahl erreichte ihn zuerst, erfasste ihn mitten in der Brust. Die Energie dieses Schusses schleuderte ihn zurück. Ich hatte zweifellos sein Zweithirn und noch allerlei andere lebenswichtige Dinge getroffen.

Das Nadelgeschoß erreichte ihn mit einer kleinen Verzögerung.

Kein Nadler verschoß seine Projektile mit Lichtgeschwindigkeit.

Das Nadelprojektil bohrte sich in sein linkes Auge, drang von dort in sein Haupthirn ein.

Einige Augenblicke lang stand er noch schwankend da, dann klappte der Koloß in sich zusammen, landete schwer und hart auf dem Boden.

Wir liefen den Korridor entlang, stiegen über den toten Sampor hinüber.

Weitere Detonationen waren zu hören. Die Angreifer waren offenbar entschlossen, das ganze Gebäude in Schutt und Asche zu legen.

Eine Hitze- und Druckwelle schlug uns entgegen.

Offenbar waren unsere Gegner auch dort, wohin wir zu flüchten versuchten.

Wir irrten durch die Korridore. Jedes Detonationsgeräusch ließ die Bedrohung, daß der gesamte Komplex in sich zusammenstürzte als realere Bedrohung erscheinen. Dann fanden wir den Eingang zu einem Keller.

Eine Treppe führte hinab in die Tiefe.

Hinein in die Dunkelheit.

An den Mündungen unserer Waffe befanden sich Leuchtzellen, die eine Orientierung erlaubten. Mit einem furchtbaren Krachen fiel dann das Gebäude über uns in sich zusammen. Staub und Geröll drangen bis tief in den Keller-Korridor vor, dem wir folgten.

*

Wir drangen immer tiefer in das Kellerssystem vor. Ich hatte keine Ahnung, wie weit es sich ausdehnte. Vermutlich waren wir unter einem Schuttberg begraben. Die Sampor hatten dafür gesorgt.

Schließlich hielten wir erschöpft inne, kauerten uns auf den Boden.

"Es muß doch noch irgendwelche Ausgänge aus diesem Keller geben!" meinte Garenna.

Ich nickte.

"Und vermutlich sitzt an jedem dieser Ausgänge einer der Vierarmigen und wartet auf uns."

"Das ist nicht dein Ernst!"

"Doch, ist es. Sie haben diesen Angriff derart perfekt durchgeführt, daß sie die Sache auch zu Ende bringen werden."

"Sie haben ihr Ziel doch erreicht. Die Dreizack-Gang existiert nicht mehr!"

"Wer sagt dir, daß das ihr Ziel war?"

"Was dann, Dak?"

"Ich glaube, daß wir das Ziel waren."

"Du spinnst!"

"Nein, das meine ich wirklich."

Sie schwieg eine Weile.

Die Lampen an den Strahlern sorgten dafür, daß wir nicht völlig im Dunkeln saßen.

"Überleg doch mal", sagte ich. "In welchen Fällen würden Sampor in den OS geschickt?"

Sie zuckte die Achseln.

"Ein großer Konzern."

"Kaum anzunehmen. Weder die planetare Regierung der Erde noch die Iplan-Verwaltung würden eine solche Aktion zulassen."

"Bist du dir da sicher?"

"Sicher nicht, aber es erscheint mir unwahrscheinlich. Außerdem denke ich an an eine ganz andere Möglichkeit."

"Und die wäre?"

"Ich habe darüber nachgedacht, auf welche Weise der MEGA KILLER uns jetzt, hier im OS erreichen könnte. Ich versuchte mich in seine Lage zu versetzen."

"In die Lage eines Computervirus?"

Sie machte ein zweifelndes Gesicht.

Ich nickte.

"Genau das! Er hat unseren Gleiter zum Absturz gebracht. Vielleicht weiß er, daß wir überlebt haben und den Gleiter verlassen konnten. Er weiß auch, daß im OutlawSector ein Überleben kaum möglich ist, wenn man sich nicht einer Gang anschließt."

"Aber wie könnte er die Sampor hier her beordern? Dak, wie könnte er so etwas schaffen! Das ist doch absurd!"

Ich schüttelte den Kopf.

"Es ist sogar sehr einfach", widersprach ich. "Angenommen er schafft es, unsere Namen in die Fahnungsdateien hineinzubringen, die..."

"Die Polizei würde niemals Sampor benutzen", unterbrach mich Garenna.

"Völlig richtig", bestätigte ich.

"Na, also!"

"Was aber, wenn wir in den Fahndungsdateien über Leute und Organisationen auftauchen, die die Iplan-Regierung als Staatsfeinde klassifiziert hat. Terroristen, Fanatiker, die im Dienst ihrer Weltanschauung bereit sind, vielleicht Hunderttausende umzubringen. Der MEGA KILLER kommt auch in die betreffenden Rechner hinein. Da mögen sie noch so gut gesichert sein."

Garenna wirkte nachdenklich. "Und du meinst, dann würde eine Horde Sampor in Marsch gesetzt?"

"Wenn jemand glaubt, daß wir einen Faktor darstellen, der die planetare Sicherheit gefährdet - ja!"

Sie atmete tief durch. Dann schluckte sie. "Ich kann nur hoffen, daß du unrecht hast, und es sich um eine ganz gewöhnliche Gang-Fehde handelt."

"Du weißt so gut wie ich, daß das nicht der Fall ist!"

Sie schwieg. Aber schweigen kann auch eine sehr beredte Antwort sein. Offenbar brauchte sie noch etwas, um diese bittere Pille zu schlucken. Denn die Konsequenzen lagen auf der Hand. Erstens mußten wir so schnell wie möglich fort von hier. Wir hatten geglaubt, der OS wäre zumindest zeitweise ein sicherere Ort für uns. Aber ganz offensichtlich war das ein Irrtum gewesen. Unser Feind war noch wesentlich cleverer, als ich es mir in meinen schlimmsten Alpträumen vorgestellt hatte.

Zweitens hatten wir, sobald wir den OS verlassen hatten, nicht nur den MEGA KILLER und die gewöhnliche Polizei auf den Fersen, sondern auch noch den Geheimdienst und alle diejenigen, die mit der Abwehr interplanetarer Gefahren beauftragt waren. Wir hatten bei so vielen Jägern kaum eine Chance, der Meute zu entkommen.

"Wir sind vogelfrei", meinte ich. "Ich weiß nicht, ob du diesen Begriff kennst. Er wurde in der altirdischen Antike verwendet!"

"Hör auf mit dem Mist", unterbrach sie mich. "Das interessiert mich im Moment wirklich überhaupt nicht."

Eine Pause entstand.

Ich lauschte. Es herrschte Stille. Eine eigenartige Art von Stille. Ich konnte nicht sagen, daß sie mich in irgendeiner Weise beruhigte. Die Stille des Grabes, dachte ich. Ja, begraben waren wir, unter einem Berg aus Geröll. Und selbst hier würden wir keine Ruhe finden. Denn wenn meine Theorie stimmte, dann hatte sich unser Feind auch nicht mit dem Gleiterabsturz zufrieden gegeben. Er würde erst Ruhe geben, so bald er absolut sicher war, daß wir nicht mehr existierten.

Es war eine Art kalter Perfektion, die hinter diesem Datenbiest stand. Eine Perfektion, von der ich nicht umhin konnte, sie insgeheim auch ein wenig zu bewundern.

Nie hatte jemand einen perfekteren Killer ersonnen.

Jedenfalls hatte man nicht davon gehört.

Ich bezweifelte, daß ich sein erstes Opfer war. Vielleicht gab es Vorstufen, die immer weiter verbessert worden waren.

Aber perfekt war die jetzige Version auch mitnichten.

Schließlich lebte ich noch.

Ich stellte so etwas wie einen Gegenbeweis dar.

Ein mattes Lächeln flog über mein Gesicht. Ich drohte in meinen Gedanken zu versinken.

Aber jetzt galt es kühl nachzudenken.

Es gab eine dritte Konsequenz aus der neuesten Entwicklung.

"Die einzige Möglichkeit, die ich sehe, diesen OS zu verlassen ist das Raumschiff, daß ich bei den Blitz-Leuten gesehen habe!"

"Und das willst du dir jetzt unter den Nagel reißen."

"Ja."

"Ich habe dir schon einmal gesagt, was ich davon halte, Dak."

"Du hast beidesmal geirrt, Garenna. "

"Hast du denn irgendeinen plausiblen Plan, wie wir das Ding in unsere Hände bekommen können?"

Ich schüttelte den Kopf. "Nein, habe ich nicht. Aber ich werde es schaffen. Allerdings brauche ich deine Hilfe. Schließlich bist du Pilotin. Ich habe zwar auch schon eine Raumyacht geflogen, aber um ehrlich zu sein, war mir die Benutzung eines Transmitters zur Überwindung interstellarer Räume immer lieber."

"Das sehen neunzig Prozent der Iplan-Bürger so, Dak. Da bist du keine Ausnahme."

Ich sah sie an. Unser beider Blicke verschmolzen miteinander. Der Schein der Lichter spiegelte sich in ihren Augen.

"Mit deiner Hilfe könnte ich es schaffen!"

*

Wir warteten ab, verhielten uns ruhig. Keiner von uns konnte mit Sicherheit vorhersagen, wie lange die Sampor in der Nähe des ehemaligen Hauptquartiers der Dreizack-Gang warteten, ob nicht vielleicht doch noch jemand aus den Trümmern kroch.

Andererseits wussten wir natürlich nicht, ob es überhaupt irgendeinen Ausgang gab oder ob wir lebendig begraben waren.

"Wir könnten unsere Cybersensoren in unsere Nackenbuchsen stecken", schlug Garenna mit ironischem Unterton vor. "Über das GalaxyNet dürfte es ein Klacks sein, sich einen alten Bauplan dieses Gebäudes zu besorgen..."

"Ein Bauplan, der dann vielleicht schon vom MEGA KILLER manipuliert wäre und uns genau in die falsche Richtung lenken würde!"

"Schön, daß du deinen Sinn für Humor behalten hast!"

"Kunststück! In dieser Lage wohl eher Galgenhumor."

"Was ist das - 'Galgenhumor'. Eine altirdische Metapher, wie die Alt-Erde-Freaks sie untereinander benutzen?"

Ich lächelte matt.

"Ja, genau."

"Was bedeutet 'Galgenhumor'?"

"Erkläre ich dir ein anderes Mal."

"Was Humor ist weiß ich, aber was mit dem 'Galgen'?"

"Alt-irdisches Hinrichtungsinstrument. War noch bis Mitte des Dritten Jahrtausends in Gebrauch."

"Ach so."

"Details?"

"Vielleicht doch besser ein anderes Mal, Dak."

*

Wir machten uns daran, nach einem Ausgang zu suchen. Die unterirdischen Kellergänge glichen einem Labyrinth. Wir hatten kaum Orientierungsmöglichkeiten. Stillschweigend wünschten wir uns das Navigationssystem unserer CyberSensoren, aber deren Gebrauch hätte unweigerlich unseren schnellen Tod bedeutet. Denn unserem unsichtbaren, aber leider allgegenwärtigen Feind wäre dadurch die Möglichkeit gegeben worden, uns zu orten.

Allerdings mit einer gewissen Zeitverzögerung, denn die Sampor besaßen keine Buchsen zum Einführen eines CyberSensor. Das hatte seinen guten Grund. Man wollte diese Super-Söldner vor jeder Möglichkeit der Fernmanipulation schützen.

Außerdem war auf Cartax, der Ursprungswelt der Sampor, jede Computertechnologie verpönt. Entsprechende 'Denk'-Aufgaben wurden von sogenannten Doks ausgeführt. Dabei handelte es sich um mit riesigen Gehirnen ausgestattete Menschenabkömmlinge. Auf Cartax hatte man konsequent den Weg einer genetischen anstatt einer elektronischen Evolution beschritten. Ein Umstand, der dazu geführt hatte, daß die geklonten cartaxianischen Spezialisten im ganzen besiedelten Universum sehr begehrt waren. Das galt nicht nur für die Sampor, sondern auch für die Doks, die als Diplomaten und Wissenschaftler ihren Dienst überall in der Galaxis taten.

Wir arbeiteten uns weiter vor. Erreichten schließlich einen sehr großen Raum. Dicke Pfeiler stützten die Decke. Hier und da sah man völlig verrostete antike Fahrzeuge. Als Alt-Erde-Freak wußte ich, daß es sich um sogenannte Automobile handeln mußte. Oder besser gesagt: Was von ihnen übrig geblieben war. Von einigen Modellen war das so gut wie gar nichts, denn im späten 21.Jahrhundert war man dazu übergegangen, so weit wie möglich kompostierbare Kunstoffe für die Karosserien zu benutzen. Das galt nicht nur für Automobile, sondern für Gebrauchsgegenstände der damaligen Welt, was für die Archäologie des 35.Jahrhunderts ein Desaster bedeutete. Schließlich war die Quellenlage aus keiner Epoche so schlecht wie aus jener Kompost-Zeit. Wertvolle Kulturgüter, ein Raub von Mikroben. Man konnte sentimental bei dem Gedanken werden.

"Es muß hier einen Ausgang geben", meinte ich voller Überzeugung. Schließlich waren die Automobile hier usprünglich nicht ausgestellt, sondern vor allem geparkt worden. Und das bedeutete, daß für sie ein Zugang zur Außenwelt existieren mußte.

"Fragt sich nur, ob er noch immer existiert", antwortete Garenna voller Skepsis.

"Immerhin haben wir hier unten ein Reservoir an Atemluft, das für Tage reichen dürfte!"

"Sag bloß, du hast vor, hier noch 'Tage' zu verbringen!"

"Nur, wenn es sich nicht vermeiden läßt!"

"Hast du dir übrigens schonmal überlegt wie es weitergeht? Ich meine von dem Zeitpunkt an, da wir das Raumschiff dieser Blitz-Gang gekapert haben! Mal vorausgesetzt, uns gelingt das, was eigentlich extrem unwahrscheinlich ist!"

"Es ist auch extrem unwahrscheinlich, daß wir überhaupt noch am Leben sind!"

"Weich nicht aus!"

"Wem?"

"Meiner Frage."

Ich atmete tief durch. "Ich würde sagen, wir überlegen uns eins nach dem anderen. Außerdem kennst du dich mit Raumschiffen ja nun wirklich besser aus als ich, oder?"

"Wir starten, dann befinden wir uns im erdnahen Raum, beschleunigen bis es zur Transition kommt und wir einen Hyperraumsprung machen... Bis dahin sind wir extrem verwundbar. Ich kann nur hoffen, daß der Raumer, den du gesehen hast, wenigstens über einen Schutzschild verfügt!"

"Wir werden's schon schaffen."

"Optimist!"

"Was bleibt einem anderes übrig?"

"Dir ist doch klar, daß man ein Raumschiff auch im Hyperraum anhand von Cordial-Spuren verfolgen kann."

"Ja, das ist mir bekannt. Aber dazu müsste die Raumkontrolle schon gezielt danach suchen. Und wenn sie uns vorher nicht entdeckt..."

"Sie WERDEN uns entdecken, Dak! Das ist so sicher wie der Sonnenuntergang!"

"Die Blitz-Gang hat es offenbar auch geschafft!"

"Wer sagt dir das? Wer sagt dir, daß sie dieses Raumschiff nicht bloß als eine Art primitiven Fetisch nehmen, um den sie herumtanzen können! Diese Primitivlinge aus dem OS haben doch alles vergessen, was einen Menschen des 35.Jahrhunderts ausmacht! Noch schlimmer: Sie WOLLTEN alles vergessen, was unsere Zivilisation zu dem macht, was sie ist! Was sollen sie mit Raumschiffen anfangen! Ich glaube, daß das alles nur Geschichten sind!"

Ich schwieg einige Augenblicke lang. Die Lichter an unseren Strahlern beleuchteten die Umgebung nur notdürftig. Das Spektrum dieser Leuchten war in den Rotbereich verschoben und ließ ihre Gesichtszüge weich und sanft erscheinen, obwohl sie in ihrem Inneren im Moment alles andere als das war.

"Vielleicht sind das nur Geschichten, Garenna. Aber im Moment haben wir keine andere Karte, auf die wir setzen können!"

"Spar dir deine verdammten alt-irdischen Sprachbilder! Ich kann sie nicht mehr ausstehen."

Um ein Haar hätte ich 'Sorry!' gesagt.

Aber gegen Altsprachliches hatte sie ja auch etwas. Und ich entschied, daß es in dieser angespannten Situation vielleicht besser war, sie nicht unnötig zu reizen.

*

Wir irrten mehrere Stunden lang durch das unterirdische Labyrinth. Aber jeder Ausgang - auch die Ausfahrt der ehemaligen Tiefgarage für Automobile - war verschüttet.

Über einen Gulli fanden wir schließlich den Zugang zum ehemaligen Abwasser-System der Stadt. Die Städte der alten Zeit glichen Maulwurfshügeln. Der Grund zu ihren Füßen wurde von zahllosen Gängen für Abwasser, sowie verschiedene Systeme von Untergrundbahnen durchzogen. Ob es in Old-L.A. eine Untergrundbahn gegeben hatte, war mir nicht bekannt. Aber, daß das Abwasser irgendwohin hatte abfließen müssen, stand fest.

Wir stiegen einen engen, röhrenartigen Zugang hinab, an dessen Wand sich primitive Trittstufen befanden. Dann gelangten wir in einen gewölbeartigen Tunnel, in dessen Mitte sich eine Schlammschicht befand.

Wir versuchten uns am Rand zu halten, um nicht bis über die Knöchel in den weichen Grund einzusinken, der sich hier im Lauf der Zeit abgelagert hatte. Offenbar hatte es längere Zeit nicht geregnet, sonst hätten wir hier an dieser Stelle durch einen reißenden Bach aus Regenwasser waten müssen.

Stundenlang arbeiteten wir uns vorwärts. Der Marsch war sehr anstrengend, der Gestank bestialisch. Es roch nach Moder und Verwesung. Wie in einer gigantischen Gruft. Eine feuchte Kühle herrschte hier. Aber immerhin bot uns dieser Weg eine Möglichkeit, vielleicht von dem über uns eingestürzten Gebäude fort zu gelangen. Selbst dann, wenn die Sampor das Objekt ihrer Zerstörungswut immer noch umzingelt hatten, was ich diesen geduldigen Killern durchaus zutraute.

Hunger und Durst quälten uns inzwischen.

Das Trinkwasser in den OutlawSectors stammte aus einem System von Zisternen. Wenn es regnete wurde das Wasser für die trockenen Perioden gesammelt. Ein uraltes Verfahren, regelrecht primitiv. Aber es funktionierte offenbar. Die Wasservorräte wurden von den Gangs bewacht. In Trockenzeiten war das Wasser wertvolles Handelsgut, wurde hin und wieder sogar gegen Waffen getauscht.

Die Zisternen der Dreizack-Gang waren allerdings bei dem Angriff der Sampor zum Großteil zerstört worden. Möglicherweise hatte John Sabasco noch irgendwo anders zur Sicherheit Zisternen anlegen und bewachen lassen. Aber das war reine Spekulation.

Garenna klagte nicht. Wir gingen schweigend durch den tunnelartigen Höhlengang, errichtet vor Jahrtausenden.

Natürlich hatten wir keine Ahnung, wohin wir über diesen Gang gelangten. Daß es irgendwo eine Möglichkeit geben mußte, wieder an die Oberfläche zu gelangen, stand für mich so gut wie fest. Das war aber auch schon alles, was in meinen Augen relativ gewiß war.

Wo wir dann an die Oberfläche stiegen, konnten wir unmöglich im Vorhinein wissen.

Möglicherweise mitten im Lager der Blitzkrieger.

Und in dem Fall hatten wir nichts Gutes zu erwarten.

Soweit mir bekannt war, unterlag die Behandlung von Gefangenen anderer Gangs dem Codex.

Aber wir waren Maskenlose.

Rechtlose.

Wenn wir in die Hände einer anderen Gang gerieten, konnte die mit uns tun, was ihr Anführer bestimmte. Und ganz gleichgültig was es auch war - er würde in keinem Fall Gefahr laufen, seine Ehre zu verlieren.

Ein Geräusch ließ mich plötzlich erstarren.

Garenna hatte es offenbar nicht so richtig registriert, denn sie sah mich überrascht an.

"Was ist los, Dak?"

"Still!"

Wir lauschten jetzt beide sehr angestrengt. Ein Schaben und Kratzen war zuhören.

Wie von einem Tier.

Dazu erklang ein eigenartiger dumpfer Laut.

"Was ist das?" fragte Garenna.

"Wenn ich das wüßte, wär mir vielleicht wohler!"

"Oder auch nicht!"

Während unseres Weges durch den Abwasserkanal hatten wir immer wieder Ratten gesehen. Manche davon in erstaunlicher Größe. Sie konnten sich hier unten ziemlich unbehelligt entwickeln. Natürliche Feinde besaßen sie kaum, so lange sie unter der Oberfläche blieben. Oben wurde sie ebenso wie die verwilderten streundenden Hunde und Katzen gejagt und dienten den Gangs als Eiweiß-Lieferanten. Aber ich konnte mir kaum vorstellen, daß ein stolzer Gang-Krieger freiwillig in diese Kloake hinabstieg, um sich etwas Eßbares zu schießen.

Das Schaben wurde lauter. Es kam von hinten. Irgendetwas folgte uns. Zweifellos mußte es sich um ein größeres Tier handeln. Der Schein unserer Leuchten reichte nicht weiter als die nächste Rohrbiegung. Irgendwo dahinter war ES.

"Machen wir besser, daß wir wegkommen!" meinte ich.

"Einige der Dreizack-Frauen erzählten mir etwas von eigenartigen Mutantengeschöpfen!" meinte Garenna. "Ich habe das für Geschichten gehalten, die sie sich aus Langeweile erzählten..."

"Hoffen wir's!"

Andererseits war es natürlich möglich, daß sich im Verlauf der letzten tausend Jahre Geschöpfe entwickelt hatten, von denen niemand etwas ahnte, zumal, wenn sie so tief unter der Erdoberfläche blieben. Desgleichen war denkbar, daß unbekannte Spezies von anderen Planeten eingeschleppt worden waren und hier im OS einen neuen Lebensraum gefunden hatten.

Es hatte auch in der Vergangenheit immer wieder Gerüchte darüber in den GalaxyNet-News gegeben. Aber kaum jemand hatte so etwas ernster genommen als in früheren Zeitaltern die Sage vom Yeti oder dem Ungeheuer von Loch Ness. Derartige Mythen waren kaum auszurotten. Und sie entstanden mit schöner Regelmäßigkeit dann, wenn es Orte gab, die auf Grund irgendwelcher Umstände schwer zugänglich blieben.

Das galt für den Himalaya der alten Erde ebenso wie für den OS, zu dem eigentlich nur Gang-Mitglieder einen einigermaßen ungehinderten Zugang hatten. Zumindest in den Grenzen, die das Einflußgebiet ihrer jeweiligen Gruppe umschlossen.

Ich ertappte mich dabei, schneller zu gehen und weniger darauf zu achten, nicht in den Schlamm zu treten.

Die Ratten, die uns bis dahin begegnet waren, wirkten stets ziemlich neugierig. Sie zeigten kaum Scheu. Wahrscheinlich, weil sie hier unten nie gejagt wurden. Aber jetzt verzogen sie sich piepsend. Ihr untrüglicher Instinkt schien ihnen deutlich zu machen, daß sie in Gefahr waren.

Ich beschloß, ihrem Instinkt zu folgen.

Denn in diesem Punkt waren die kleinen Nager jedem Menschen oder Menschenabkömmling um ein Vielfaches überlegen.

Sie waren Überlebenskünstler.

Seit Jahrmillionen streiften sie über die Erde und hatten sich nahezu jeder noch so extremen Umgebung anpassen können.

Wir gingen schneller. Schweiß perlte von Garennas Stirn. Vor uns lag ein sich unendlich hinziehender röhrenartiger Gang, dessen Ende nicht einmal die Scheinwerfer unserer Strahlpistolen erhellen konnten. Ein finsterer Schlund, wie der Eingang zur Hölle. Ein Weg, der geradewegs ins Nichts zu führen schien.

Und hinter uns...

Keiner von uns sagte einen Ton.

Aber wir bekämpften beide still für uns die aufsteigenden Phantasien.

Da war zweifellos ETWAS. ES näherte sich, holte auf. Unsere Vorstellungskraft machte ein Monstrum darauf. Eine Ausgeburt des Schreckens. Atemzüge waren zu hören. Schnelle, keuchende Atemzüge. Und ein unglaublich scharfer Gestank verbreitete sich, eilte diesem Wesen voraus wie ein übelriechender Atem.

Vermutlich war es der Urin dieses Wesens.

Viele Spezies markierten damit ihr Revier.

Bei einer Duftnote von derart penetranter Intensität wurde diese Funktion natürlich voll erfüllt. Ich fragte mich, ob es reine Säure war, was ES da von sich gab.

Wir versuchten schließlich zu rennen. Immer wieder blieben wir dabei im Schlamm stecken. Wenn wir Glück hatten erreichten wir eine Abzweigung oder einen Ausgang, bevor das DING uns erreichte. Wenn es sehr groß war, konnte es uns möglicherweise durch einen schmalen Schacht nicht folgen.

Dann ließ uns ein markerschütternder Schrei zusammenzucken und herumfahren.

Etwas tauchte für einen Moment aus der Dunkelheit hervor, wurde für kurze Momente von den Leuchten unserer Strahlpistolen beschienen.

Eine gewaltige Ratte.

Gerade so groß, daß sie sich durch den Abwasserkanal zwängen konnte.

Schwarze Augen starrten uns an.

Ein dumpfes Knurren wurde von diesem Tier ausgestoßen.

Offenbar hatten die Vorfahren dieses Biestes hier unten dermaßen günstige Bedingungen vorgefunden, daß sie diesen Riesenwuchs entwickelt hatten. Wer schnell wuchs hatte in der Regel keine Feinde. Auch das war ein Gesetz der Natur.

Dennoch - das Wesen bewegte sich trotz seiner gigantischen Ausmaße mit einer Behendigkeit, die man ihm auf den ersten Blick gar nicht zutraute.

"Oh, mein Gott!" murmelte Garenna.

Sie hob den Strahler, schoß eine konzentrierte Ladung auf den Pelz des Monstrums. Ein verbrannter Geruch verbreitete sich. Das Wesen brüllte auf und setzte zum Angriff an.

Offenbar war ein einzelner Strahlschuß nicht in der Lage, die Riesenratte zur Strecke zu bringen.

Wir schossen beide, stellten dabei die Strahlintensität auf die höchste Stufe.

Ich erwischte den Kopf.

Das Wesen kam zum Stillstand, blieb liegen. Die schwarzen Augen waren starr. Der Geruch von verbranntem Fleisch, der sich jetzt mit dem scharfen Uringeruch mischte, raubte einem schier den Atem.