Erhalten Sie Zugang zu diesem und mehr als 300000 Büchern ab EUR 5,99 monatlich.
4 Thriller Exklusivband 4002 – Meine spannendsten Krimis (499) von Alfred Bekker Über diesen Band: Dieser Band enthält folgende Krimis: Kubinke und das Kabel Kubinke und die Selbstmörder Kubinke und der Fall am Nordseestrand Mord am East River Die Yacht, mit einer angeblich großen Menge verschollenen Kokains an Bord, explodiert mitten auf der Nordsee. Das Kokain, verpackt in luftdichte Säckchen, wird auf die Küste zugetrieben. Zufällig findet ein Hund eines dieser Päckchen und bringt es seinem Herrchen, der den tödlichen Fehler macht, sich damit öffentlich zu präsentieren. Nun ist es die Aufgabe der beiden Kriminalinspektoren Kubinke und Meier, nicht nur den oder die Mörder dieses Mannes zu finden... Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:
Seitenzahl: 549
Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:
4 Thriller Exklusivband 4002 – Meine spannendsten Krimis
von Alfred Bekker
Über diesen Band:
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Kubinke und das Kabel
Kubinke und die Selbstmörder
Kubinke und der Fall am Nordseestrand
Mord am East River
Titelseite
4 Thriller Exklusivband 4002 – Meine spannendsten Krimis
Copyright
Kubinke und das Kabel: Kriminalroman
Kubinke und das Kabel: Kriminalroman
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
Kubinke und die Selbstmörder: Kriminalroman
Kubinke und die Selbstmörder: Kriminalroman
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
38
39
40
41
Kubinke und der Fall am Nordseestrand: Kriminalroman
Kubinke und der Fall am Nordseestrand: Kriminalroman
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
33
34
35
36
37
Mord am East River
Copyright
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
11
12
13
14
15
16
17
18
19
20
21
22
23
24
25
26
27
28
29
30
31
32
Sign up for Alfred Bekker's Mailing List
About the Author
About the Publisher
Die Yacht, mit einer angeblich großen Menge verschollenen Kokains an Bord, explodiert mitten auf der Nordsee. Das Kokain, verpackt in luftdichte Säckchen, wird auf die Küste zugetrieben. Zufällig findet ein Hund eines dieser Päckchen und bringt es seinem Herrchen, der den tödlichen Fehler macht, sich damit öffentlich zu präsentieren.
Nun ist es die Aufgabe der beiden Kriminalinspektoren Kubinke und Meier, nicht nur den oder die Mörder dieses Mannes zu finden...
––––––––
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, Jack Raymond, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author / COVER TONY MASERO
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!Verlags geht es hier:
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
Kubinke und das Kabel: Kriminalroman
Alfred Bekker
Published by Alfred Bekker, 2022.
Table of Contents
UPDATE ME
Harry Kubinke Krimi
von Alfred Bekker
Der Umfang dieses Buchs entspricht 118 Taschenbuchseiten.
BKA-Ermittler Harry Kubinke bekommt von dem Terrorverdächtigen Jamal Al-Kebir Informationen zu einem geplanten Anschlag auf einen Knotenpunkt des Telekommunikationsnetzes in Deutschland.. Doch nachdem dieser Anschlag verhindert worden ist und die Akteure festgenommen werden, wird auch Al-Kebir tot aufgefunden. Weitere Morde folgen, und so ist Kubinke klar, dass dieser Fall noch lange nicht abgeschlossen ist, denn jemand zieht weiterhin die unsichtbar mörderischen Fäden ...
***
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker (https://www.lovelybooks.de/autor/Alfred-Bekker/)
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
Es war nun schon wirklich eine ganze Weile her, dass ich das letzte Mal im Park ,Planten un Blomen‘ in Hamburg gewesen war. Und die Tatsache, dass ich jetzt an diesem sonnigen, aber ziemlich kühlen Tag auf einer Bank in den Bürgergärten saß, hatte nun wirklich rein gar nichts mit einem Freizeitvergnügen zu tun, auch wenn es nach außen vielleicht so wirken mochte.
Es war was Dienstliches.
Auch, wenn die äußeren Umstände das nicht vermuten ließen.
Aber war Absicht.
Tarnung sozusagen.
Ich wollte mich mit Jamal Al-Kebir treffen, einem Informanten aus der Szene der islamistischen Terror-Gefährder. Erwartet hatte ich einen dunkelhaarigen Mann mit braunen Augen. Der Mann, der sich neben mich auf die Parkbank setzte, war allerdings blond, ziemlich blass und hatte blaue Augen.
„Sehen Sie mich nicht direkt an, Herr Kubinke”, sagte der Blonde. „Hören Sie mir genau zu! Ich werde nichts von dem, was ich Ihnen jetzt sage, wiederholen. Es steht ein Schlag gegen ein für die nationale Sicherheit relevantes Top-Ziel in Deutschland bevor. Und ich gebe Ihnen die einmalige Chance, diesen Anschlag zu verhindern. Vorausgesetzt natürlich, meine Bedingungen werden erfüllt.”
Eines musste man meinem Gesprächspartner wirklich lassen: Er verstand es, sein Anliegen wirkungsvoll auf den Punkt zu bringen.
„Sind Sie wirklich Jamal Al-Kebir?”, fragte ich.
„Wieso?”
„Sie sehen nicht wie Jamal Al-Kebir aus.”
„Ich nehme Ihre Bemerkung als Kompliment.”
„Für Ihren Maskenbildner?”
„Meine Devise ist: Die wirklich wichtigen Dinge sollte man immer selbst erledigen.”
„Und sein Aussehen zu verändern, gehört dazu?”
„Das ist leider manchmal notwendig. Ich lebe nämlich zu gerne, um mir in dieser Hinsicht irgendeine Nachlässigkeit zu erlauben.”
„Um welches für die Sicherheit Deutschlands wichtige Top-Ziel geht es bei dem geplanten Anschlag?”
„Diese Frage kann ich Ihnen noch nicht beantworten. Aber gehen Sie davon aus, dass es sich wirklich um ein Top-Ziel handelt, und das Gelingen dieser Aktion für dieses Land, seine Regierung und jeden einzelnen Bürger nachhaltige Konsequenzen haben würde.”
„Und deswegen bin ich extra nach Hamburg gekommen, um mir derartig vage Aussagen anzuhören?”, fragte ich etwas irritiert.
Jamal Al-Kebir griff in die Innentasche seiner Jamale und setzte eine Sonnenbrille auf. Nachdem ich etwas mit ihm gesprochen hatte, konnte ich mir zumindest vorstellen, dass es sich wirklich um Al-Kebir handelte.
„Ich nehme an, Sie kennen den Namen Jaffar Al-Malik.”
„Der steht in der Liste untergetauchter sogenannter terroristischer Top-Gefährder ganz oben”, sagte ich. „Er wurde als deutscher Staatsbürger unter dem Namen Georg Huckriede geboren und ist später zum Islam konvertiert. Was genau dazu geführt hat, dass er sich so radikalisierte, dass er sich terroristischen Gruppierungen anschloss, ist uns bis heute ein Rätsel.”
Jamal Al-Kebir lächelte kühl.
„Konvertiten neigen öfter mal zu einem besonderen Glaubenseifer”, stellte er fest. „Sie wissen, dass dieser Al-Malik eine tickende Zeitbombe ist.”
„Er hat drei Soldaten bei dem Versuch getötet, Sprengstoff aus einem Bundeswehr-Depot zu stehlen”, stellte ich fest.
„Ich liefere Ihnen den Kerl frei Haus. Sie brauchen ihn nur noch einsacken. Und außerdem bekommen Sie die Leute, mit denen er im Augenblick sein großes Ding plant.”
„Okay.”
„Sie bekommen eine Liste der beteiligten Personen, ihren Treffpunkt - und ich werde Ihnen auch verraten, welches Ziel ihr nächstes großes Ding hat. Na, ist das nichts?”
„Wenn es nicht nur Gerede ist, dann würde uns das tatsächlich sehr weiterhelfen”, gab ich zu.
„Die Liste haben Sie schon auf ihrem Smartphone.”
„Wie kommen Sie an die Nummer?”
„Sie erwarten nicht im Ernst eine Antwort darauf, oder?”
„Eigentlich nicht”, gab ich zu.
„Meine Bedingungen kennen Sie ja, Herr Kubinke.”
„So viel kann ich Ihnen dazu schon jetzt sagen: Sie können Immunität nur für Verbrechen bekommen, die mit diesem Ermittlungskomplex zu tun haben. Sollten Sie noch irgendwelche anderen Leichen im Keller haben ...”
„Ach, Kriminalinspektor ... Wär hätte das nicht? Noch andere Leichen im Keller ... Wie Sie das sagen, klingt das sehr hässlich.”
„Es ist möglicherweise hässlich.”
„Was ich will, ist in Anbetracht meiner Gegenleistung alles andere als unverschämt”, erklärte er und schob sich die Sonnenbrille wieder ein Stück die Nase hoch, nachdem sie ihm etwas heruntergerutscht war. „Ich will doch nichts weiter, als ein Leben, bei dem ich nicht Gefahr laufe, jederzeit erschossen zu werden.”
„Und was ist mit Ihrem Glauben? Sie haben die radikalen Ansichten dieser Leute doch schließlich mal geteilt.”
„Das ist vorbei. Ich weiß inzwischen, dass es nur hohle Phrasen sind, die nichts bedeuten. Aber ich erzähle Ihnen sicher nichts Neues, wenn ich Ihnen sage, dass man aus dieser Szene nicht so einfach aussteigt, als wenn man keine Lust mehr hat, seinen Beitrag im Segelverein zu bezahlen. Für die werde ich in Zukunft ein Verräter sein. Jemand, der den Tod verdient hat. Sagen Sie mir einfach Bescheid, ob mein Angebot akzeptiert wird. Dann werde ich liefern.”
„Wie kann ich Sie erreichen?”
Jamal Al-Kebir verzog das Gesicht. Er hatte eine Narbe an der Lippe. Vorher war sie kaum zu sehen gewesen. Vom Schminken schien er wirklich was zu verstehen. Aber jetzt hatte die unwillkürliche Bewegung seiner Mundwinkel die Narbe für einen Moment offensichtlich gemacht, denn die betreffende Stelle bewegte sich anders. Immerhin war spätestens jetzt der letzte Zweifel ausgeräumt, dass es ich bei meinem Gesprächspartner tatsächlich um Jamal Al-Kebir handelte, denn diese Narbe gehörte zu den unveränderbaren Merkmalen, die in unseren Datensätzen verzeichnet waren.
Aber was bedeutete schon der Begriff ‘unveränderbar’ in diesem Zusammenhang?
„Sie können mich gar nicht erreichen.”
„Ach, ja?”
„Ich erreiche Sie, Herr Kubinke. Regeln Sie bis dahin alles, was es zu regeln gibt!”
„Ich werde sehen, was ich tun kann”, versprach ich.
Al-Kebir erhob sich von der Bank. Er sah sich um.
„Immerhin rechne ich es Ihnen hoch an, dass Sie wirklich allein gekommen sind”, meinte er. „Ich hatte eigentlich erwartet, dass Sie mich in diesem Punkt bescheißen.”
„Sie kennen mich eben nicht.”
„Doch, ich kenne Sie. Ich weiß, dass Sie früher viele Jahre in Hamburg im Dienst waren. Ich weiß, dass Sie eine Wohnung in Volksdorf hatten und einen Dienst-Porsche fahren ... Farbe: schwarz. Ja, ich pflege mich über Leute zu informieren, mit denen ich rede. Sollten Sie auch tun. Vor allem dann, wenn so viel davon abhängt.”
Er drehte sich nicht noch einmal zu mir um, sondern ging einfach davon, wich einem Jungen auf einem Skateboard aus und verschwand wenig später in einer Gruppe von Passanten.
Ich sah auf die Uhr.
Wenn ich mich ranhielt, schaffte ich noch den nächsten Linienflieger nach Berlin.
Kriminaldirektor Hoch, mein Vorgesetzter beim BKA in Berlin, beendete das Telefongespräch und sah in die Runde.
„Das war gerade der für den Fall zuständige Anwalt”, sagte unser Vorgesetzter mit ernstem Gesicht. „Juristisch ist die Sache geregelt. Jamal Al-Kebir bekommt, was er verlangt.”
„Vorausgesetzt, er liefert auch”, meinte mein Kollege Rudi Meier.
Kriminaldirektor Hoch nickte.
„Natürlich. Al-Kebir bekommt Immunität und ein neues Leben im Rahmen des Zeugenschutzprogramms. Aber es sollte niemand glauben, dass das ein Privileg ist. Er wird bis ans Ende seiner Tage nicht wissen, ob nicht einer seiner radikalen Glaubensbrüder mit einer Kalaschnikow vor der Tür steht, jedes Mal wenn es klingelt.”
Außer Rudi und mir war ausnahmsweise auch Dr. Lin-Tai Gansenbrink bei diesem Meeting anwesend. Sie war Teil des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts in Quardenburg, auf dessen Dienste Rudi und ich zurückgreifen konnten. Die Mathematikerin und IT-Spezialistin hatte sich insbesondere darum gekümmert, herauszufinden, was Jamal Al-Kebir in den letzten Jahren so getrieben hatte. Und das Erstaunliche war, sie hatte bislang buchstäblich nichts finden können. Das kam äußerst selten vor. Anscheinend hatte Jamal Al-Kebir es in den letzten Jahren geschafft, sich datentechnisch so gut wie unsichtbar zu machen und nirgends Spuren zu hinterlassen. Aber seit ich gesehen hatte, wie perfekt er sein Äußeres zu verändern wusste, überraschte es mich eigentlich kaum noch, dass er auch in anderer Hinsicht ein Meister der Tarnung war.
„Tatsache ist, dass es uns kaum gelingen dürfte, Al-Malik oder einen der anderen, die uns Jamal Al-Kebir angeblich auf dem Silbertablett ausliefern will, zu fangen, bevor sie ihren großen Coup landen”, sagte Lin-Tai. „Zumindest schaffen wir das auf gar keinen Fall ohne Al-Kebirs großzügige Hilfe.”
„Gibt es denn irgendwelche konkreten Anhaltspunkte dafür, dass diese Gruppe um Al-Malik tatsächlichen einen Anschlag auf ein für die nationale Sicherheit relevantes Top-Ziel plant?”, fragte Kriminaldirektor Hoch.
„Die gibt es durchaus”, erklärte Lin-Tai. „Ich konnte durch eine mathematische Auswertung von Netz-Transaktionen nachweisen, dass es in den letzten Monaten hier in Deutschland mutmaßlich zu einem Handel mit sehr typischen Sprengstoffen gekommen ist.”
„Sprengstoff kann man aus handelsüblichen Zutaten herstellen, die man in jedem Baumarkt bekommt”, sagte Kriminaldirektor Hoch.
„Das hat mir mein geschätzter Kollege FGF auch klargemacht”, gab Lin-Tai unbeirrt zurück. Mit ‘FGF’ meinte sie Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim, den Naturwissenschaftler des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts. „Solche Sprengstoffe reichen aus, um irgendwo einen großen Schaden anzurichten und viele Menschen zu verletzen. Sie können damit einen Zug zum Entgleisen bringen oder ein parkendes Fahrzeug in einer belebten Einkaufsstraße in die Luft jagen und damit maximalen Schrecken verbreiten.”
„Darum geht es doch Terroristen in der Regel”, sagte Kriminaldirektor Hoch.
„Aber in diesem Fall scheinen sich die Täter höhere Ziele gesteckt zu haben.”
„Wie darf ich das verstehen?”
„Die Sprengstoffe, um die es geht, werden zu militärischen Zwecken oder im Bergbau verwendet. Oder man benutzt sie für gezielte Sprengungen von Gebäuden. Solche Stoffe werden über das Darknet gehandelt. Sie kriegen natürlich nie raus, wer da an wen verkauft hat. Aber mit geeigneten Algorithmen und Filtern können Sie durchaus herausfinden, ob überhaupt irgendwer im Moment so etwas ankauft. Und das ist in den letzten Monaten der Fall gewesen.”
„Mit anderen Worten: Es sind Profis, keine Amateure, die nur von ihrem fanatischen Glauben beseelt sind”, schloss Rudi.
„Nicht unbedingt”, widersprach Lin-Tai und wandte dabei den Blick in Rudis Richtung. Ihr Gesichtsausdruck wirkte dabei unbewegt und fast ausdruckslos. „Es stimmt, dass es in letzter Zeit der Strategie islamistischer Terror-Gruppen entsprach, mit wenig Aufwand Anschläge durchzuführen, bei denen auf Seiten der Attentäter keine oder nur geringe Vorkenntnisse erforderlich sind. Eine Splitterbombe während eines Marathonlaufs oder in einer Diskothek, ein Lastwagen, der in eine Menschenmenge rast und so weiter. Aber wir müssen auch mit Tätern rechnen, die über militärische und chemische Kenntnisse verfügen und über ein beträchtliches technisches Wissen verfügen. Manche von ihnen sind vielleicht im Ausland ausgebildet worden oder haben nach ihrer Radikalisierung gezielt in Berufen gearbeitet, in denen sie relevante Kenntnisse erwerben konnten.”
„Stelle ich mir nicht ganz einfach vor, als jemand, der untergetaucht ist und unter falscher Identität lebt, bei der Bundeswehr oder in einer Polizeieinheit als Sprengstoffspezialist unterzukommen”, meinte ich.
„Eher schon im Bergbau oder in der chemischen Industrie”, sagte Lin-Tai. „Da sind die Sicherheitshürden nicht so groß. Auch private Sicherheitsfirmen sind denkbar. Im Moment konzentriere ich mich allerdings auf Personen mit Gefährder-Potenzial, die möglicherweise im Ausland eine Ausbildung in einem Trainingscamp irgendeiner radikalen Miliz durchlaufen haben. Wenn es da Übereinstimmungen mit der Liste von Personen geben sollte, die Jamal Al-Kebir uns gegeben hat, sind wir einen Schritt weiter.”
„Um was für ein sicherheitsrelevantes Top-Ziel könnte es sich handeln?”, fragte Kriminaldirektor Hoch.
„Jamal Al-Kebir wollte uns dazu noch Näheres mitteilen - vorausgesetzt, wir erfüllen ihm seine Wunschliste”, sagte ich.
„Was ja nun wohl der Fall sein dürfte”, ergänzte Rudi.
„Aber wir müssen uns trotzdem unsere eigenen Gedanken machen”, meinte Kriminaldirektor Hoch.
„Dr. Dr. Förnheim hat dazu eine Liste zusammengestellt”, sagte Lin-Tai. „Aufgrund der unspezifischen Angaben, die wir bis jetzt haben, ist sie natürlich ziemlich lang.”
„Ich nehme an, vom Bundeskanzleramt bis zum Reichstagsgebäude steht so ziemlich alles darauf, was in diesem Land irgendeine Bedeutung für die Sicherheit unseres Landes hat”, vermutete ich.
„Förnheim vermutet eher, dass das Ziel nicht der ersten Kategorie angehört, die so stark gesichert ist, dass für die Attentäter kaum eine Chance besteht. Aber es gibt durchaus Ziele der zweiten Kategorie, auf die ein fachkundig durchgeführter Angriff verheerende Auswirkungen haben könnte. Staudämme, Atomkraftwerke, Internetknotenpunkte, sensible Energieversorgungseinrichtungen und so weiter.”
„Mit anderen Worten, es sind so viele mögliche Ziele, dass wir ohne etwas Hilfe von Herr Al-Kebir keine Chance haben, den Anschlag zu verhindern”, stellte ich fest.
„Die Sicherheitsmaßnahmen wurden überall verstärkt, die Terrorwarnstufe erhöht”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Aber im Prinzip haben Sie recht.”
„Kein Wunder, dass Jamal Al-Kebir vergleichsweise leichtes Spiel mit dem zuständigen Anwalt hatte”, sagte Rudi. „Ich würde die Verantwortung dafür, dass ein Anschlag vielleicht nicht verhindert werden konnte, nur weil man einem Aussteiger aus der Terrorszene nicht etwas entgegenkommen wollte, auch nicht gerne übernehmen wollen.”
Im Augenblick blieb uns nichts anderes übrig, als abzuwarten. Kriminaldirektor Hoch sorgte unterdessen dafür, dass organisatorisch für alle Eventualitäten vorgesorgt war. Wenn uns der Aufenthaltsort von Al-Malik und seiner Gruppe bekannt war, mussten wir schnell zuschlagen. Eine zweite Chance würden wir vermutlich nicht bekommen - und ein fanatischer Terrorist, der uns bei dieser Operation durch die Lappen ging, wurde vielleicht zu einem völlig unberechenbaren Amokläufer, dem es nur noch darum ging, möglichst viel Schaden anzurichten.
Rudi und ich waren in meinem Büro. Wir waren damit beschäftigt, abzugleichen, was wir bisher über die auf Al-Kebirs Liste verzeichneten Personen wussten. Es waren alles gesuchte Gefährder, hinter denen das BKA seit langem her war. Leute, die sich erst radikalisiert hatten und dann untergetaucht waren. Und entgegen einem weit verbreiteten Vorurteil waren sie alle Inhaber deutscher Pässe. Kein einziger Ausländer war unter ihnen.
„Weißt du, was mir Kopfzerbrechen bereitet, Rudi?”
„Was?”
„Dieser Jamal Al-Kebir.”
„Raus damit: Was geht dir durch den Kopf, Harry?”
Ich zuckte mit den Schultern.
„Ich meine, wenn schon unsere geschätzte Kollegin Lin-Tai nicht in der Lage war, ihn aufzuspüren - wieso braucht der dann unser Zeugenschutzprogramm? Der ist doch sehr gut in der Lage, sich selbst zu schützen und vor seinen Feinden verborgen zu halten, würde ich sagen.”
„Vielleicht überschätzt du ihn, Harry.”
„So?”
„Ich weiß nicht warum, er scheint dich bei eurem Treffen in Hamburg ziemlich beeindruckt zu haben. Aber sein Äußeres zu ändern, heißt doch nicht, dass man sich dauerhaft vor den Leuten versteckt halten kann, mit denen es Al-Kebir in Zukunft mutmaßlich zu tun haben wird.”
Ich atmete tief durch.
„Vielleicht hast du recht, aber ...”
„Du traust dem Kerl aus irgendeinem Grund nicht über den Weg, oder?”
„Das ist vielleicht zu viel gesagt, Rudi. Aber ich habe mir trotzdem mal seinen Lebenslauf angesehen - beziehungsweise das, was wir darüber wissen. Und das ist schillernd genug.”
„Sicher.”
„Er wurde als Reza Darya in Afghanistan geboren. Später wurde er von der Bundeswehr als Übersetzer angeworben. Auf diese Weise kam er in die Bundesrepublik, wurde deutscher Bürger unter dem Namen Jamal Al-Kebir eingebürgert. Er hat eine Reihe von Orden an seiner Brust ...”
„... was ihn nicht daran gehindert hat, sich einer radikalen islamistischen Gruppierung anzuschließen und sich von einem extremistischen Moschee-Prediger in Frankfurt das Hirn aus dem Kopf reden zu lassen!”, unterbrach mich Rudi. „Ich habe mir Jamal Al-Kebirs Lebenslauf auch angesehen und sogar mit seinem Führungsoffizier bei der Bundeswehr telefoniert. Als er als Hilfskraft in Afghanistan angeworben wurde, hatte er gute Kontakte zu den Taliban, wurde nach seiner Einbürgerung ein vorbildlicher regulärer Soldat, brachte es bis zum Leutnant, nur um anschließend plötzlich seinen angeblich wahren Glauben zu entdecken und in der islamistischen Szene abzutauchen.”
„Und jetzt dreht er sich erneut um hundertachtzig Grad, Rudi! Genau das meine ich!”
„Niemand mag Verräter, Harry. Aber sie sind nützlich. Und wenn sie einem helfen, Menschenleben zu retten, dann ist es mir auch gleichgültig, aus welchen Beweggründen sie handeln.”
„Okay, eins zu null für dich, Rudi. Trotzdem, mir kommt es so vor, als wäre da etwas faul.”
„Manchmal ist der Grund, weshalb jemand in dem einen oder anderen Fall die Seiten wechselt, ganz simpel und hat weder etwas mit irgendeinem Glauben, einer Ideologie oder der Politik zu tun.”
„Und was soll das nun heißen?”
Rudi zuckte mit den Schultern.
„Keine Ahnung, du kennst ihn ja ohne Zweifel besser als ich. Aber es könnte doch zum Beispiel sein, dass er schlicht und ergreifend eine Frau kennengelernt hat und sich jetzt nach einem gemütlichen Familienleben im Grünen sehnt. Er wäre nicht der erste, für den so etwas alles ändert.”
„Wir werden abwarten müssen, bis er sich meldet.”
„Würdest du ihm mehr trauen, wenn du wüsstest, was seinen erneuten Gesinnungswandel ausgelöst hat?”
Ich zuckte mit den Schultern. „Da könnte in der Tat was dran sein, Rudi.”
Als ich Rudi am Abend gerade an der bekannte Ecke abgesetzt hatte, meldete sich mein Smartphone. Ich hatte eine Nachricht bekommen. Es waren GPS-Koordinaten, sonst nichts. Der Absender der Nachricht war unbekannt. Es war nicht die Handynummer, über die mir Al-Kebir die Liste der Personen geschickt hatte, die an dem bevorstehenden Anschlag beteiligt sein würden. Aber ich hatte auch nicht erwartet, dass Al-Kebir so unvorsichtig sein würde, dasselbe Prepaid-Handy ein zweites Mal zu benutzen.
Trotz alledem war ich mir sofort sicher, dass ich es mit Al-Kebir zu tun hatte. Ich fuhr an den Straßenrand und ließ mir anzeigen, was sich bei den Koordinaten befand, die Al-Kebir mir geschickt hatte. Sie gehörten zu einem Parkplatz neben einem Supermarkt, ungefähr einen Kilometer von meinem jetzigen Standort entfernt. Wenig später war mir auch klar, weshalb er mich dorthin lotsen wollte.
Eine App zeigte mir an, dass es dort eine der letzten Telefonzellen von Berlin gab. Seitdem sich Smartphones explosionsartig verbreitet haben, ist die Zahl der öffentlichen Fernsprecher drastisch zurückgegangen, die entsprechenden Anlagen sind abgebaut worden oder fielen dem Vandalismus zum Opfer. Vermisst hat sie kaum jemand, aber einige wenige von ihnen habe als Relikte des vordigitalen Zeitalters überlebt.
Ich fuhr mit meinem Dienst-Porsche zu den angegebenen Koordinaten, parkte den Wagen und stieg aus. Im Augenblick herrschte hier Hochbetrieb. Viele Pendler, die im Zentrum Berlins ihren Jobs nachgingen, wollten noch schnell was einkaufen, bevor sie nach Hause fuhren.
Ich sah mich um. Drei Telefonzellen waren neben dem Haupteingang des Supermarktes zu sehen. Eine trug ein Schild mit der Aufschrift „Defekt - außer Betrieb”.
Einer der Fernsprecher klingelte. Ich nahm ab.
„Schön, dass Sie Zeit für mich haben, Herr Kubinke”, sagte eine Stimme, die ich sofort wiedererkannte.
„Ich habe gute Nachrichten für Sie, Herr Al-Kebir.”
„Dann kann ich davon ausgehen, dass man auf meine Bedingungen eingeht?”
„Das können Sie. Aber Sie werden jetzt liefern müssen.”
„Sie bekommen von mir eine weitere Nachricht. Darin sind die GPS-Koordinaten eines Gebäudes enthalten. Es handelt sich um eine Lagerhalle, die der Gruppe um Al-Malik als Aufbewahrungsort für Sprengstoff und Waffen dient. Außerdem bekommen Sie eine Mailadresse, an die Sie eine Erklärung der Staatsanwaltschaft über meine Immunität schicken.”
„Das dürfte kein Problem sein.”
„Sobald das geschehen ist, werden Sie weitere Informationen bekommen. Insbesondere werde ich Ihnen einen Zeitpunkt nennen, zu dem sich Al-Malik mit mindestens fünf weiteren Mitgliedern der Gruppe genau in dem Gebäude mit den angegebenen Koordinaten treffen wird.”
„Woher stammen diese Informationen?”
„Das sollte Sie nicht interessieren. Wichtig ist nur, dass ich darüber verfüge. Alles andere ist unwichtig.”
„Okay. Ich nehme an, Sie haben sich das so gedacht, dass wir uns zum angegebenen Zeitpunkt auf die Lauer legen und die an dem Treffen beteiligten Gefährder festnehmen.”
„Exakt.”
„Die Liste der Personen, die an dem bevorstehenden Anschlag beteiligt sein sollen, war aber wesentlich länger.”
„Richtig. Allerdings sind diese Jungs nicht auf den Kopf gefallen. Sie werden niemals alle an einem Ort antreffen. Selbst wenn Sie also einen Teil der Gruppe festnehmen, könnte der Rest von ihnen immer noch den Anschlag durchführen. Ihnen würde nicht genug Zeit bleiben, um das Ding zu verhindern.”
„Hört sich an, als hätten Sie einen Vorschlag dafür, Herr Al-Kebir.”
„Mal vorausgesetzt, ich habe das geforderte Dokument der Staatsanwaltschaft erhalten und alles läuft so, wie ich es verlangt habe ...”
„... worauf Sie sich verlassen können, Herr Al-Kebir.”
„Dann werde ich Ihnen als Letztes ein besonderes Bonbon zukommen lassen.”
„Das bitte schön woraus besteht?”
„Die Nummern der Prepaid-Handys mit deren Hilfe die Gruppe untereinander kommuniziert. Sie können sie tracken und so den Aufenthaltsort sämtlicher Mitglieder überwachen. Ich werde durch eine genau getimte Nachricht an eines der Mitglieder dafür Sorge tragen, dass zum Zeitpunkt des Treffens tatsächlich alle Mitglieder der Gruppe ihre Geräte eingeschaltet haben.”
„Sehr fürsorglich.”
„Die Schwierigkeit für Sie und Ihre Leute besteht darin, dass Sie so zuschlagen müssen, dass Sie alle Gruppenmitglieder zur selben Zeit erwischen - egal, ob sie sich gerade in Hamburg, München, Frankfurt oder sonst wo befinden. Wenn Ihnen auch nur einer entgeht oder der Zugriff nicht koordiniert erfolgt, besteht die Gefahr, dass die anderen gewarnt werden.”
„Ich verstehe.”
Das sah wirklich nach einer anspruchsvollen Aufgabe aus. Ein simultaner Zugriff an mehreren Orten in unterschiedlichen Städten. Aber derartige, synchron durchgeführte Aktionen hatten wir auch schon in anderem Zusammenhang durchgeführt. Gerade im Bereich der organisierten Kriminalität war es oft genug gar nicht anders möglich, ausreichend Beweise zu sichern.
„Ich hoffe, Sie kriegen das hin”, sagte Al-Kebir. „Mein Interesse an Ihrem Erfolg ist dabei durchaus eigennützig, denn wenn das BKA versagt, bin ich vielleicht ein toter Mann.”
„Wir tun, was wir können”, versprach ich.
„Ich hoffe, dass das reicht.”
„Was ist mit dem Ziel des Anschlags?”, kam ich noch auf eine Sache zu sprechen, über die Jamal Al-Kebir bisher jedes Wort vermieden hatte. Mit Kalkül, wie ich vermutete.
„Sie sind richtig heiß darauf, das zu erfahren, was?”
„Es geht darum, Schaden von unserem Land abzuwenden.”
„Für mich geht es erst mal darum, Schaden von mir selbst abzuwenden. Aber Sie haben Glück. Ich habe heute meinen generösen Tag. Und deswegen liefere ich Ihnen diese Information bereits jetzt, obwohl ich ansonsten ja mehr für die Zug-um-Zug-Methode bin.”
„Ich höre.”
„Sagt Ihnen das Kürzel VKD etwas? Das sollte es jedenfalls.”
An Feierabend war jetzt natürlich nicht zu denken. Ich rief Rudi an.
„Egal, was du dir heute Abend vorgenommen hast, du musst es verschieben”, machte ich ihm am Telefon klar. Dann sprach ich mit Kriminaldirektor Hoch.
Eine halbe Stunde später befanden Rudi und ich uns wieder im Büro von Kriminaldirektor Hoch.
„Voxaphone-Kabel-Deutschland GmbH also”, murmelte Kriminaldirektor Hoch. „Um ehrlich zu sein, hatte ich mit einem höherrangigen Ziel gerechnet.”
Über einen Großbildschirm war Lin-Tai zugeschaltet, die inzwischen schon am Mittag wieder nach Quardenburg gefahren war. Die IT-Spezialistin war in ihrem mit Computer-Equipment vollgestellten Arbeitsraum zu sehen.
„Das VKD sollten Sie in seiner Bedeutung nicht unterschätzen”, sagte Lin-Tai. „Auch wenn das in der Öffentlichkeit nicht ganz so bekannt ist: Es handelt sich in Wahrheit um eine Lebensader unseres Landes in der Weltwirtschaft. Wenn ich ein Terrorist wäre, der darauf aus ist, mit minimalem Aufwand einen maximalen Schaden anzurichten, dann ist das VKD das geradezu ideale Ziel.”
„Das müssen Sie mir erläutern”, sagte Kriminaldirektor Hoch.
„Es handelt sich um das wichtigste Telekommunikationskabel in Deutschland. Ein Großteil des Internetverkehrs geht darüber. Ausgangspunkt ist Düsseldorf und verteilt sich über mehrere unabhängige Trassen geführt. Die südliche geht über Köln, Frankfurt am Main nach München. Die nördliche Trasse geht über Hannover nach Hamburg, und die östliche nach Berlin.”
„Die drei Kabelstationen sind erstklassig gesichert”, stellte Rudi fest.
„Und trotzdem sind sie die Achillesferse”, sagte Lin-Tai. „Das VKD existiert seit 2001 - also ungefähr seit der Zeit, als das Internet eine wirtschaftlich relevante Bedeutung bekam. Viermal geriet es seitdem in die Schlagzeilen. Einmal, als der russische Geheimdienst verdächtigt wurde, das Kabel in Düsseldorf anzuzapfen. Die anderen drei Ereignisse betrafen kleinere Störungen, zumeist einzelne Kabelbrüche, die aber bereits katastrophale Folgen hatten. In einem Fall kam es zu einem Komplettausfalls des Internets in mehreren Bundesländern, außerdem zu einer erheblichen Verlangsamung des Netzes in Deutschland und damit verbunden hat das zu einem Ausfall wichtiger Webservices geführt.”
„Wie würde ein erfolgreicher Angriff auf die Stationen des VKD in Hamburg und Berlin aussehen?”, fragte Kriminaldirektor Hoch.
„Die Terroristen müssten nur dafür sorgen, dass in den Kabelstationen ein genügend großer Schaden angerichtet wird. Wenn sie es dann noch schaffen, einen sich fortsetzenden Kabelbrand zu verursachen, wären die Folgen gravierend.” Lin-Tai hob die Schultern. „Kaum jemandem ist klar, was für ein Nadelöhr das VKD ist. Über die drei Trassen des VKD laufen auch die Verbindungen nach Düsseldorf, dem wichtigsten Internet-Knotenpunkt. Über Düsseldorf gehen alle Verbindungen nach Afrika, Nahost und den Rest des eurasischen Kontinents. Wenn sich vielbeschäftigte Geschäftsleute in Hamburg oder Frankfurt über ein Call Center in Indien einen Platz im Restaurant reservieren lassen, geht das über dieses Kabel.”
„Das heißt, wenn jemand diese Verbindung unterbricht, verdient das Internet seinen Namen nicht mehr”, meinte Rudi.
„Schlimmer”, sagte Lin-Tai. „Unsere Welt ist inzwischen extrem arbeitsteilig geworden. Wenn im Silicon Valley ein neues Smartphone entworfen wird, dann werden dafür mit großer Wahrscheinlichkeit Sensoren eines Herstellers aus Deutschland verwendet. Ohne diese Sensoren wäre ein Smartphone nicht das, was wir heute alle darunter verstehen. Aber gefertigt wird es vermutlich in China oder Taiwan. Vielleicht auch in Indien. Die Daten müssen rund um den Globus gehen, das Geld natürlich auch. Alle beteiligten Firmen teilen vielleicht einen gemeinsam genutzten Cloud-Speicher für ihr Projekt. Der wichtigste Anbieter für Cloud-Dienste sitzt in Seattle. So arbeiten viele Industrien. Wenn in diesem globalen Datenverkehr an einem entscheidenden Nadelöhr wie dem VKD Anfragen nicht mehr weitergeleitet werden können, passiert dasselbe, wie bei einem Stau im Straßenverkehr: Er setzt sich fort.”
„Ich nehme an, die Folgen wären katastrophal”, sagte ich.
Lin-Tai nickte. „Die Auswirkungen wären viel verheerender als bei einem einzelnen Angriff auf die Infrastruktur oder die Energieversorgung. Innerhalb von ein paar Tagen nach einem erfolgreichen Angriff auf die Kabelstation in Düsseldorf würde das Internet komplett ausfallen. Nicht nur bei uns, sondern auch in einigen weiteren wichtigen Industrieländern, vielleicht sogar weltweit. Der komplette Zahlungsverkehr käme zum Erliegen. Es wäre nicht mehr möglich, Banküberweisungen durchzuführen. Man müsste gleichzeitig mit dem Ausfall von Kreditkarten-Diensten rechnen. Wichtige Services wären schon vor dem Komplett-Ausfall des Netzes nicht mehr verfügbar, darunter viele Online-Medien, Bezahldienste, E-Mail-Dienste und so weiter.”
„Mit anderen Worten: Aus dem Datenstau wird ein Stau im ganzen Land”, meinte Kriminaldirektor Hoch.
„Und Sie könnten nicht einfach auf Bahn oder Flugzeug umdisponieren”, erklärte Lin-Tai. „Züge und Flüge bekämen keine Freigaben, weil die Server, auf die die entsprechenden Daten lagern, nicht erreichbar wären. Aus demselben Grund käme bald der nationale und internationale Warenverkehr zum Erliegen. Logistikunternehmen könnten nicht mehr disponieren, weil sie ihre Cloud-Speicher nicht erreichen. In den Häfen stapeln sich die Container. Es kommt mit einer gewissen zeitlichen Verzögerung zu Versorgungsengpässen. Zu diesem Zeitpunkt werden die Leute aber bereits hungernd die vollen Supermärkte gestürmt haben, in denen einerseits die Lebensmittel verderben und andererseits niemand mehr einkaufen kann, weil die Bezahlsysteme ausgefallen sind. So Kleinigkeiten wie der Ausfall von Strom, Heizung und Wasser sind viele unserer Mitbürger ja bereits durch kleinere Havarien gewöhnt. Das fällt angesichts der anderen Folgen schon gar nicht mehr ins Gewicht.”
„Minimaler Einsatz - maximaler Schaden”, schloss ich. „Genau das, was Terroristen wie Al-Malik wollen.”
„Ich denke, dass es zu diesen apokalyptischen Zuständen nicht kommen muss”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Die Sicherheitskräfte bei den Kabelstationen sind bereits alarmiert, die Polizei ist eingeschaltet und die ohnehin schon strengen Sicherheitsvorkehrungen rundum Düsseldorf und den anderen Stationen wurden noch einmal verschärft. Außerdem wurden die Polizeibehörden jener Bundesländer gewarnt, die ebenfalls mit dem VKD verbunden sind.”
„Sie denken, dass es eine koordinierte terroristische Aktion in mehreren Bundesländern geben könnte?”, hakte ich nach.
Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen.
„Das kann man zumindest nicht ausschließen”, erklärte er.
„Zumal ein solches Vorgehen natürlich die beabsichtigte Wirkung potenzieren würde”, gab Lin-Tai zu bedenken. „Und zwar auch dann, wenn das Vorgehen der Terroristen nicht koordiniert, sondern ohne zeitlichen Zusammenhang erfolgt, ausgeführt durch unabhängig voneinander agierende Gruppen.”
„Was für diese Art Netzwerke ja typisch wäre”, meinte Rudi.
„Sehen wir zu, dass wir Al-Malik und seine Leute einfangen, bevor sie ihren Plan in die Tat umsetzen können”, sagte ich.
Der Mann mit dem Doppelkinn schwitzte. Vor ihm auf dem Tisch stand eine Tasse Tee, in der die Sahne langsam zerlief und dabei ausufernde Formen bildete, die an die Tentakel einer Krake erinnerten. Nervös griff der Mann mit dem Doppelkinn an seinen Ringfinger. Dort trug er einen dicken Goldring. Er zog ihn herunter und setzte ihn wieder auf den Finger. Das tat er mehrfach hintereinander. Es wirkte zwanghaft. Der Blick war dabei starr auf den Tee und die zerlaufende Sahne gerichtet.
„Es ist leider etwas später geworden”, sagte eine Stimme, die den Mann mit dem Doppelkinn jedoch zunächst nicht dazu veranlasste aufzusehen.
„Setzen Sie sich, Herr Al-Kebir!”
„Wie gesagt ...”
„Sind Sie aufgehalten worden?”
„Könnte man so sagen.”
„Ich muss wissen, wie die Dinge laufen.”
„Alles läuft großartig und wie geplant.”
„Soll mich das jetzt vielleicht beruhigen?”
„Ich will es mal bildlich ausdrücken: Der Fisch hat den Köder gefressen und hängt nun an unserer Angel.”
„Bringen Sie die Sache möglichst reibungslos zu Ende, Herr Al-Kebir! Es darf in dieser Phase auf gar keinen Fall zu irgendwelchen Komplikationen kommen.”
„Das wird es auch nicht. Wenn Sie Details erfahren möchten ...”
„Bloß nicht!” Der Mann mit dem Doppelkinn hob abwehrend die Hände. Er wich Al-Kebirs Blick aus. Dann begann er wieder damit, den Ring vom Finger zu nehmen und anschließend wieder überzustreifen. Eine Angewohnheit, die Jamal Al-Kebir gewaltig auf die Nerven ging. „Ich will keine Einzelheiten wissen, Herr Al-Kebir”, fuhr der Mann mit dem Doppelkinn fort. „Niemals. Ich will nur wissen, dass die Operation läuft und zielführend ist.”
„Okay.”
„Wollen Sie was essen? Ich kann das Schweinenackensteak empfehlen. Einfach und gut. Und jetzt sagen Sie nicht, dass Sie sowas auch in einem Fast Food Laden kriegen! Der Chefkoch hier hat sich seine Sterne schon verdient und macht aus vermeintlich einfachen Dinge etwas ganz Besonderes.”
„So etwas esse ich nicht”, sagte Al-Kebir.
„Was?”
„Schweinefleisch.”
Der Mann mit dem Doppelkinn hob die dünnen Augenbrauen.
„Ich verstehe”, sagte er. „Manche Angewohnheiten wird man eben nicht wieder los.”
Das Lagerhaus, dessen Koordinaten uns Jamal Al-Kebir übermittelt hatte, lag in Recklinghausen. Es war umgeben von ein paar höheren Gebäuden, die alle fünf und mehr Stockwerke hatten. Für jemanden, der lange in Hamburg zu Hause war, waren das natürlich keine hohen Häuser. Bei den meisten handelte es sich um Bürogebäude. Eins war noch im Bau.
Zu dem Lagerhaus gehörte ebenfalls noch ein zweistöckiger Bürotrakt, der allerdings ziemlich verwaist wirkte.
Der Komplex hatte über Jahre hinweg einer Im- und Exportfirma gehört, nach deren Insolvenz das Gelände dann in rascher Folge mehrfach den Besitzer gewechselt hatte. Letzter Käufer war eine dubiose Briefkastenfirma aus Dresden, die wiederum einer Holding in Bulgarien gehörte.
Wenn man die uns zur Verfügung stehenden Daten für sich nahm, dann waren eigentlich alle typischen Merkmale für eine Immobilie erfüllt, wie sie die Müll-Mafia aufkaufte, um gefährliche Substanzen illegal zu entsorgen.
Offenbar verfuhren Terror-Netzwerke inzwischen auf ganz ähnliche Weise. Es zeigte uns aber auch den sehr hohen Organisierungsgrad, den die Täter offenbar hatten. Das waren keine auf sich gestellten, fanatisierten Amokläufer, die zwar durch ihre Unberechenbarkeit eine große Gefahr darstellten, andererseits aber meistens mit den Kommandoebenen terroristischer Organisationen gar nicht in direktem Kontakt standen. Es sprach einiges dafür, dass das in diesem Fall anders war und die Täter über erhebliche organisatorische und finanzielle Ressourcen verfügten.
Drei Dutzend Kollegen der Polizei in Recklinghausen waren an dieser Operation beteiligt. Die Kollegen hatten sich rings um das Zielgebäude postiert. Über Headset waren wir alle untereinander verbunden. Das Wichtigste war, dass Al-Malik und seine Leute keinen Verdacht schöpften, sobald sie auftauchten.
Gleichzeitig waren wir mit den Kollegen in Kontakt, die jene Mitglieder der Al-Malik Gruppe im Auge behielten, die laut Jamal Al-Kebirs Angaben nicht nach Recklinghausen kommen würden.
In einem halben Dutzend Städten waren Kollegen damit beschäftigt, diese Zielpersonen zu beschatten.
„Ich habe gerade die Nachricht bekommen, dass die Kollegen tatsächlich alle Zielpersonen lokalisieren konnten”, sagte Rudi, während er auf das Display seines Smartphones sah. „Ein Zugriff könnte jederzeit erfolgen.”
„Das nenne ich mal eine gute Nachricht”, meinte ich.
Wir befanden uns mit mehreren Kollegen in einem Nachbargebäude des Lagerhauses. Man hatte eine gute Übersicht über das gesamte Gelände.
„Al-Malik kommt mit einem Wagen, der auf einen gewissen Jörn Ferdinand aus Dortmund zugelassen ist, die Morgenstern-Straße entlang”, meldete einer unserer Kollegen über das Headset an uns.
„Dieser Jörn Ferdinand scheint der Autokäufer der Gruppe zu sein”, meinte Rudi. „Unter den gesuchten Personen, die nicht zu diesem Treffen erwartet werden, sind noch mindestens zwei weitere auf diesen Namen zugelassen.”
„Da scheint ein Nest zu sein”, meinte Kommissar Reinhold Schmidt von der Polizei in Recklinghausen, der zu dem Team von Kollegen gehörte, dass uns bei dieser Operation unterstützte.
„Vermutlich eine Tarn-Identität, die von mehreren Mitgliedern der Gruppe für bestimmte Zwecke benutzt worden ist”, meinte ich.
„Zum Beispiel zur Zulassung von Fahrzeugen”, ergänzte Rudi. „Lin-Tai sollte sich mit diesem Jörn-Ferdinand-Phantom mal genauer beschäftigen.”
Der Wagen erreichte jetzt das zur Lagerhalle gehörende Gelände. Es war ein Van mit getönten Scheiben. Die Türen gingen auf. Drei Männer stiegen aus. Zwei trugen MPis über der Schulter. Das von einem rotblonden Bart umrahmte Gesicht von Jaffar Al-Malik alias Georg Huckriede ließ den Blick schweifen.
Ich erkannte ihn von Fahndungsfotos, die es in unseren Datendossiers von ihm gab. Bei den anderen beiden Männern handelte es sich um Ismael Tekin und Elija Muhammad Förster - zwei ebenfalls bekannte Gefährder aus Al-Maliks Umkreis.
Al-Malik öffnete die Kofferraumklappe. Zusammen mit Elija Muhammad Förster hob er eine Metallkiste aus dem Wagen. Während Ismael Tekin die Kofferraumklappe schloss, gingen Al-Malik und Förster bereits zum Seiteneingang der Lagerhalle.
„Ein zweites Fahrzeug ist auf dem Weg zum Gelände”, meldete uns ein Kollege über das Headset.
Al-Malik und Förster waren bereits mit der Metallkiste im Inneren der Lagerhalle verschwunden. Ismael Tekin postierte sich an dem aus einer feuerfesten Stahltür bestehenden Eingang.
Der zweite Wagen traf ein. Ein Geländewagen. Vier bewaffnete Männer stiegen aus. Einer hatte ein Handy am Ohr.
„Zielperson nimmt Kontakt mit einem Prepaid-Handy auf, das wir Jaffar Al-Malik zugeordnet haben”, meldete Kommissar Reinhold Schmidt.
„Konnte im Infrarot-Scan ermittelt werden, was der Inhalt der Metallkiste ist?”, fragte ich.
„Die Infrarot-Signatur stimmt mit einer Sprengstoffkomponente überein, die für die Fertigung von Sprengsätzen benutzt wird, die für sehr gezielte Gebäudesprengungen verwendet wird”, gab uns Kommissar Schmidt Auskunft.
„Dann haben Al-Malik und seine Leute offenbar zur gemeinsamen Bastelstunde verabredet”, meinte Rudi. „Wenn wir sie dabei in flagranti erwischen und die ganze Aktion ordnungsgemäß auf Video dokumentiert wird, erleichtert das Richtern und Geschworenen anschließend ganz erheblich die Arbeit.”
Wir bekamen einen Anruf von den Kollegen aus Kamen, die dort gerade einen Gefährder namens Emre Badiyi überwachten.
„Die Zielperson hat uns bemerkt, ist auf der Flucht und versucht zu telefonieren.”
„Wen versucht die Zielperson anzurufen?”
„Es handelt sich um ein Prepaid-Handy, das Jaffar Al-Malik zugeordnet wird. Die Verbindung ist bis jetzt noch nicht zustande gekommen.”
Was auch immer Emre Badiyi seinen Komplizen im Lagerhaus jetzt mitzuteilen hatte - wir mussten unterbinden, dass er Al-Malik und die anderen warnte.
„Wir müssen zugreifen!” sagte ich.
„Es fehlen noch zwei Personen”, sagte Kommissar Schmidt. „Noch fünf Minuten, dann sind die hier.”
„Dann aktivieren Sie den Störsender! Sofort!”, befahl ich.
„Das wird Al-Malik merken!”
„Aber wir haben keine andere Wahl. Sonst gefährden wir die gesamte Operation.”
Die Kollegen aus Recklinghausen verfügten über einen Störsender, mit dessen Hilfe der Handy-Empfang in einer Umgebung von hundert Meter kurzzeitig unterbunden werden konnte. Ganz sicher war das natürlich nicht. Ein Restrisiko, dass doch ein Signal durchkam, gab es natürlich immer noch. Der Störsender war in einem als Lieferwagen getarnten Fahrzeug untergebracht, der auf einem der Nachbargrundstücke stand.
„Hier Kommissar Pedersen. Störsender aktiviert”, meldete die Kollegin, die für die Bedienung zuständig war, über Headset.
„Wir werden von den Kollegen in Kamen jetzt natürlich auch nichts hören”, stellte Rudi fest.
Wir warteten.
Endlich trafen die letzten beiden Zielpersonen ein, für die wir unsere Falle aufgestellt hatten. Sie stiegen aus einem metallicfarbenen Coupé. Wenig später verschwanden auch sie in der Lagerhalle.
Jetzt schlug unsere Stunde. Ich gab den Einsatzbefehl zum Zugriff. Da unser internes Funknetz, über das wir per Headset miteinander verbunden waren, eine andere Frequenz hatte, als die Mobilfunknetze, wurde unsere Kommunikation nicht durch unseren Störsender beeinträchtigt. Die Operation trat in ihre entscheidende Phase - und das nicht nur in Recklinghausen, sondern simultan an all den Orten, an denen unsere Kollegen im Moment Mitglieder der Al-Malik-Gruppe beschatteten.
Von allen Seiten stürmten wir das Gelände. Rudi und ich trugen Schutzwesten, genau wie die anderen an der Aktion beteiligten Kommissare.
Mit Blendgranaten drangen wir in die Halle ein. Eine Megafonstimme dröhnte.
„Waffen weg! BKA!”
Al-Malik und seine Leute wurden offenbar vollkommen überrascht. Einer von ihnen feuerte mit seiner MPi wild um sich. Das Mündungsfeuer blitzte auf. Die Einschüsse stanzten sich in das Mauerwerk. Dann traf ihn der Schuss eines Kollegen.
„Allahu akbar!”, rief Al-Malik. Zwei Kommissars überwältigten ihn, ehe er seine Waffe herumreißen und feuern konnte. Elija Muhammad Förster ließ seine Waffe fallen und ergab sich.
„Nicht schießen!”, rief er.
Nacheinander klicken jetzt die Handschellen.
„Ihr könnt mich mal! Allah ist groß und wird euch strafen!”, rief Jaffar Al-Malik. Er sprach einen hamburgischen Akzent, was auch kein Wunder war. Schließlich war Al-Malik unter dem Namen Georg Huckriede laut unseren Daten in Ahrensburg geboren und aufgewachsen. Er war ein radikalisierter Konvertit. „Nieder mit der Herrschaft der Ungläubigen!”
Ein Kollege aus Recklinghausen versuchte, ihm seine Rechte vorzulesen, kam aber kaum zu Wort.
„Ihr werdet der göttlichen Rache nicht entgehen! Das Verderben wird über die Ungläubigen kommen - und ihr werdet es nicht aufhalten können!” Sein Kopf wurde dunkelrot, was den Rotstich in seinem blonden Bart noch hervorhob. Er schien völlig außer sich zu sein.
„Die Pupillen sind so groß, da sollten wir gleich mal einen Drogentest machen”, meinte Rudi.
Kommissar Reinhold Schmidt beugte sich derweil über den von einer Kugel getroffenen Islamisten.
„Sie brauchen den Notarzt nicht mehr zu rufen. Er ist tot”, sagte Schmidt. „Ismael Tekin ist tot.“
„Wir brauchen allerdings ein paar Gefangenentransporter”, stellte ich klar.
„Sind schon auf dem Weg hierher”, erklärte Kommissar Schmidt.
„Der Handy-Störsender ist abgeschaltet”, rief uns ein anderer Kollege herüber, der jetzt gerade in die Halle betrat. „Sie können wieder telefonieren.”
Genau in diesem Moment klingelten bei Rudi und mir die Smartphones. Gleichzeitig.
Ich sah auf das Display. Nacheinander trafen jetzt kurze Statusmeldungen von den anderen Schauplätzen unserer Operation ein. Fast alle Zielpersonen konnten aufgegriffen und verhaftet werden. In mehreren Fällen hatte es Schusswechsel mit Verletzten gegeben. Ein beteiligter Kollege und zwei der Festgenommenen schwebten in Lebensgefahr. Nur einer war uns durch die Lappen gegangen.
„Emre Badiyi ist entkommen”, stellte ich an Rudi gewandt fest. „Und er war leider schlau genug, sein Prepaid-Handy einfach wegzuwerfen.”
„Das heißt, die Kollegen haben ihn verloren”, sagte Rudi.
„Kamen ist nicht gerade eine Großstadt”, erwiderte ich. „Eigentlich müsste es doch möglich sein, Badiyi noch zu kriegen!”
„Unverbesserlicher Optimist, was?”
„Was bleibt einem anderes übrig, Rudi?”
Im Moment hatten die Kollegen Badiyi jedenfalls verloren. Und das bedeutete nichts Gutes. Schließlich mussten wir damit rechnen, dass er die Aktion möglicherweise im Alleingang fortsetzte. Davon abgesehen hatten wir bislang auch keine Ahnung, wie groß das Netzwerk war, dass an dem Plan, die Kabelstationen des VKD auszuschalten, beteiligt war.
Die Gefangenentransporter hatten Verspätung, weil sie im Stau steckten. Die Gefangenen sollten auf direktem Weg in den Hochsicherheitstrakt des nächsten Gefängnisses gebracht werden, und nicht zunächst in die Gewahrsamszellen der Polizei Recklinghausen. Das wir so vorgingen war natürlich der Sicherheitslage geschuldet.
Der Leichenwagen und der Wagen des Gerichtsmediziners trafen ein. Der Tod von Ismael Tekin musste schließlich genauestens untersucht worden - gerade weil er durch die Kugel eines Kollegen gestorben war. Außerdem trafen Erkennungsdienstler der Polizei Recklinghausen ein. Ihre Arbeit bestand vor allem darin, die vorhandenen Beweise zu sichern und dann zu den Kollegen unseres Ermittlungsteam Erkennungsdiensts nach Quardenburg zu bringen. Insbesondere interessierte uns natürlich die Auswertung der Handydaten und die Herkunft der Sprengstoffe und Zündvorrichtungen, die in der Lagerhalle gefunden wurden.
Schließlich trafen auch die Gefangenentransporter ein. Das gesamte Gelände wurde im Übrigen nun von Kollegen der Polizei Recklinghausen zusätzlich gesichert. Außerdem waren etliche Kollegen damit beschäftigt in der Umgebung Anwohner zu befragen, die vielleicht etwas von den bisherigen Aktivitäten der Terroristen in der Lagerhalle mitbekommen hatten.
Rudi und und ich waren dabei, als Jaffar Al-Malik in einen der Transporter gebracht werden sollte. Er hatte die ganze Zeit über ununterbrochen vor sich hingeredet. Drohungen und Parolen wechselten sich ab.
„Allah sieht, was ihr tut und er wird euch strafen!”, rief er. Er hatte sich anscheinend regelrecht in Rage geredet. Einen Anwalt verlangte er nicht. Stattdessen sprach er davon, dass das Opfer der Märtyrer nicht umsonst sein werde. „Das Zeitalter der Ungläubigen hat ein Ende! Schon bald!”
Obwohl er Handschellen trug, hatten die beiden Kollegen, die ihn abführten, große Mühe damit, ihn unter Kontrolle zu halten. Plötzlich sank Al-Malik auf die Knie. Seine Bewacher konnten das nicht verhindern. Er begann emphatisch in einer Mischung aus Arabisch und Deutsch zu beten.
Dann erschien ein roter Punkt wie aus dem Nichts mitten auf seiner Stirn. Einen Sekundenbruchteil später war dort ein Einschussloch zu sehen.
Al-Maliks von religiösem Eifer verzerrter Blick erstarrte. Er sackte in sich zusammen und blieb regungslos und in verrenkter Haltung auf dem Boden liegen. An seinem Hinterkopf klaffte eine gewaltige Austrittswunde. Blut sickerte hervor. Das Projektil selbst hatte ein daumengroßes Loch in den asphaltierten Boden auf dem Platz vor der Lagerhalle gerissen.
„In Deckung!”, rief ich.
Die Kollegen rissen die anderen Gefangenen zu Boden und warfen sich selbst auch hin. Rudi duckte sich mit der Pistole in der Faust hinter einen Gefangenentransporter. Ich war vom nächsten Fahrzeug zu weit entfernt und ging erst einmal in die Hocke, um ein kleineres Ziel zu bieten. Instinktiv hatte ich natürlich auch zur Dienstwaffe gegriffen. Mein Blick ging angestrengt in die Richtung, aus der der Schuss gekommen war.
Es gab genügend Gebäude, die ausreichend hoch waren, um von dort schießen zu können.
Für einen Scharfschützen mit einer Waffe, die über eine leistungsfähige Zielerfassung ausgestattet war, bedeutete es kein Problem, auf bis zu 1500 Meter einen Menschen zu töten. In diesem Fall nahm ich an, dass der Täter nicht weiter als 500 Meter entfernt sein konnte. Dazu hatte er nämlich einfach zu punktgenau getroffen.
Aber auch da gab es immer noch mehrere Gebäude, die als Ausgangspunkt des Attentats in Frage kamen. Ich war mir allerdings ziemlich sicher, von wo der Schuss gekommen sein musste. Es war ein Bürogebäude, das sich noch im Bau befand.
„An alle!”, begann ich meinen Befehl. „Hier spricht Kriminalinspektor Kubinke. Im Gebäude der General-Versicherung befindet sich vermutlich ein Scharfschütze, der auf Jaffar Al-Malik gefeuert hatte. Das Gebäude muss umgehend abgeriegelt und durchsucht werden.”
Wenig später saßen Rudi und ich zusammen mit Kommissar Reinhold Schmidt in einem Dienstwagen der Polizei Recklinghausen. Schmidt saß am Steuer. Auf dem Beifahrersitz hatte ein weiterer an der Operation teilnehmender Kollege namens Jürgen Ferrer Platz genommen. Rudi und ich saßen hinten. Reinhold Schmidt trat das Gaspedal voll durch. Annähernd vierhundert Meter waren es bis zu dem Gebäude der General-Versicherung. Die unteren vier Geschosse waren fertig. Dort arbeitete man offenbar auch schon. Die drei Geschosse darüber befanden sich noch im Stadium des Rohbaus.
Ein paar weitere Fahrzeuge unserer Kollegen aus Recklinghausen hatten sich beinahe gleichzeitig in Bewegung gesetzt.
„Du hast alles auf eine Karte gesetzt, Harry!”, stellte Rudi fest.
„Das ist mir klar”, sagte ich.
„Wenn du dich geirrt hast, und der Täter hat von einem anderen Gebäude aus geschossen ...”
„... geht er uns durch die Lappen.”
„Richtig!”
„Das tut er wahrscheinlich sowieso. Unsere Chance, ihn noch zu stellen, ist äußerst gering. Aber ich will nichts unversucht lassen.”
„Dann wollen wir mal hoffen, dass du mit deinem Instinkt richtig gelegen hast.”
Rudi überprüfte die Ladung seiner Dienstwaffe. Wir trugen immer noch Schutzwesten mit dem unübersehbaren Aufdruck BKA. Was wir jetzt brauchten, war einfach etwas Glück.
Von draußen waren Sirenen zu hören. Zusätzliche Verstärkung unserer Kollegen der Polizei Recklinghausen war offenbar unterwegs. Wenn diese Verstärkung uns schnell genug zur Verfügung stand, hatten wir vielleicht doch noch eine Chance, das Gebäude rechtzeitig abzuriegeln. Wir hatten mit viel Glück die Chance, den Täter abzufangen. Aber es wäre unmöglich gewesen, mehrere Gebäudekomplexe zu umstellen und alle Personen zu kontrollieren, die sich im Inneren befanden. Dazu hätten wir einfach nicht schnell genug genügend Einsatzkräfte zur Verfügung gehabt.
Der Wagen hielt mit quietschenden Reifen.
Wir stiegen aus.
Neben uns hielten auch andere Dienstfahrzeuge sowie Einsatzfahrzeuge der Polizei von Recklinghausen.
Rudi gab ein paar Anweisungen an die anrückenden Polizeikräfte und die Kollegen.
Ich stürmte derweil zusammen mit den Kollegen Schmidt und Ferrer durch den Haupteingang des Gebäudes. Ein uniformierter Security Service-Mitarbeiter saß dort in einem kugelsicheren Glaskasten. Ich hielt meinen Ausweis hoch.
„Was kann ich für Sie tun?”, fragte der Mann. Auf seinem Hemd war sein Name vermerkt. Er hieß Pascal Herwig. Die Mütze seiner Uniform war etwas zu klein, das Gesicht wirkte ernst.
„Sorgen Sie dafür, dass Ihre Leute alle Türen schließen! Sofort!”
„Aber ...”
„Ein bewaffneter Verbrecher befindet sich möglicherweise im Haus. Er trägt auf jeden Fall ein Scharfschützengewehr mit Laserzielerfassung bei sich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass er noch weitere Schusswaffen mit sich führt.”
„Okay ... haben Sie ...”
„Nun machen Sie schon!”, unterbrach ich ihn. Auf eine Diskussion darüber, dass wir für unser Vorgehen vielleicht irgendeine Erlaubnis brauchten, wollte ich mich gar nicht erst einlassen. Es war Gefahr im Verzug. Und vielleicht waren wir sogar schon zu spät. „Ansonsten ist der Killer weg!”, mahnte ich.
„Ein Killer?”, echote Herwig. Sein Gesicht drückte tiefste Betroffenheit aus. Manchmal muss man einfach nur die richtigen Worte wählen. In diesem Fall wirkte das Wort ‘Killer’ auf ihn wie ein Beschleuniger. Ein Ruck ging durch seinen Körper. Er griff zum Haustelefon, alarmierte die Kollegen und gab genau die Durchsage an seine Kollegen weiter, die ich von ihm erwartet hatte.
„Wir sind zurzeit ein bisschen unterbesetzt”, sagte Herwig, nachdem er den Rundruf an seine Kollegen hinter sich gebracht hatte. „Ich weiß nicht, ob wir das schnell genug hinkriegen.”
„Das werden Sie schon“, war ich zuversichtlich. „Im Übrigen stehen genug Polizeikräfte zur Verfügung, um die Ausgänge zu besetzen und dafür zu sorgen, dass der Killer nicht entkommt. Es soll nur niemand das Gebäude verlassen. Ihre Leute sollen keine Kontrollen vornehmen. Das machen wir.”
Herwig nickte.
Inzwischen erreichte Rudi uns mit weiteren Kollegen.
„Wissen Sie, wie der Kerl aussieht?”, fragte Herwig. „Wenn Sie ein Handyfoto haben, könnte ich es an alle unsere Leute schicken.”
„Leider nicht”, sagte ich. „Wir nehmen aber an, dass er sich in den oberen Stockwerken aufhält.”
„Dort wird gebaut!”
„Eben!”
„Ganz oben ist niemand, in den beiden Etagen darunter sind zurzeit die Heizungsbauer.”
„Dann ist er dort. Wie kommt man dorthin?”
„Im Moment nur über den Lastenaufzug.”
„Können Sie Arbeiter warnen?”
„Nein, ich habe nur die Handynummer des Bauleiters.”
„Dann rufen Sie ihn an! Falls sich dort jemand herumtreibt, der da nichts zu suchen hat: Nicht ansprechen, nur Bescheid sagen!” Ich schob ihm meine Visitenkarte durch die kleine Öffnung in dem Glaskasten hinüber.
Rudi und ich fuhren mit dem Lastenaufzug hinauf - begleitet von weiteren Kollegen. Das Treppenhaus war im Moment nicht bis in die oberen drei Stockwerke passierbar. Das konnte ein Vorteil für uns sein.
Wir erreichten schließlich das oberste Stockwerk. Ein kühler Wind zog durch die fensterlosen Räume und Flure. Der Reihe nach nahmen wir uns Raum für Raum vor.
Wir fanden keine Spur von dem Killer. Dann meldete sich Kommissar Ferrer über das Headset.
„Ich habe hier was! Eine Leiche!”
Wenige Augenblicke später waren wir bei ihm. Der Tote trug Unterwäsche. Er war durch zwei Schüsse getötet worden, einen in die Brust, den anderen in den Kopf. Die Haltung wirkte stark verrenkt.
„Der Killer hat von hier aus geschossen”, stellte Rudi unterdessen fest. Er stand am offenen, noch nicht verglasten Fenster, steckte die Waffe ein und streifte sich einen Latexhandschuh über, den jeder von uns immer für den Fall dabei hatte, dass man eine Spur sichern musste. Er hob etwas vom Boden auf und hielt es in die Höhe. Ich erkannte gleich, was es war.
„Eine Patronenhülse!”
„Offenbar hatte der Täter keine Zeit mehr, sie einzusammeln, Harry.”
„Vermutlich weil er von ihm hier überrascht wurde.” Ich deutete auf den Toten.
„Wenn das einer der Arbeiter ist, der hier oben hingeschickt wurde, um irgendetwas zu erledigen, dann vermute ich mal, dass unser Killer jetzt dessen Kleidung trägt”, meinte Rudi.
„Einen Blaumann mit Firmenemblem oder etwas in der Art”, nickte ich.
„Die perfekte Tarnung, um sich davonzumachen.”
„Stimmt!”
„So jemand wird vermutlich überhaupt nicht weiter beachtet.”
„Wir werden am besten alle, die hier arbeiten, überprüfen und verhören”, kündigte Kommissar Reinhold Schmidt an.
„Am besten sorgen Sie als Erstes dafür, dass wir noch weitere Verstärkung bekommen”, sagte ich, an Kommissar Schmidt gewandt. „Sonst sind wir einfach zu wenig Einsatzkräfte hier vor Ort. Außerdem sollen Spurensicherer hier jeden Millimeter absuchen.”
Der Mann mit dem Doppelkinn stand vor der großen Fensterfront seiner Traumetage im obersten Stock. Man hatte eine Aussicht über die gesamte Stadt. Er liebte es, den Schiffen zuzusehen, wenn sie sich gegen die Strömung flussaufwärts quälten, um zum Hafen zu gelangen.
Er versuchte sich den Ring vom Finger zu ziehen. Aber das ging nicht. Die Haut und Fett an seinen fleischigen Händen stauten sich. Er schob den Ring wieder zurück, versuchte es noch einmal. Dann ging es. Nur die Ruhe bewahren!, ging es ihm durch den Kopf.
Aber das war leichter gesagt als getan. Zu viel stand auf dem Spiel.
Ein Handy klingelte.
Der Mann mit dem Doppelkinn griff in die Innentasche seines maßgefertigten Jacketts.
„Hi! Wie ist das Wetter in Recklinghausen?”, fragte er dann, nachdem er das Handy am Ohr hatte. „Ich hoffe, es gibt gute Neuigkeiten.”
„Phase II ist erledigt”, sagte die Stimme auf der anderen Seite der Verbindung.
„Das freut mich zu hören.”
„Wir müssen damit rechnen, dass in nächster Zeit verstärkt Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt werden.”
„Besteht Anlass zur Sorge, dass man dabei etwas finden könnte?”
„Nein.”
„Genau das wollte ich hören.”
„Ich werde mich wieder melden.”
„In Ordnung.”
Der Mann mit dem Doppelkinn beendete das Gespräch und steckte das Handy zurück in die Jacketttasche. Ein zufriedenes Lächeln stand jetzt in seinem breiten Gesicht.
„Langsam fügt sich alles zusammen ...”, murmelte er vor sich hin. „Und irgendwann kommt dann der Tag der großen Ernte ...”
Der Mann hieß Gregor Fernow. Er trug einen blauen Overall mit dem Emblem einer Installationsfirma.
„Ich habe Achim gesagt, er soll schon mal ein paar Sachen nach oben in den obersten Stock bringen. Da fangen wir nämlich morgen an.”
„Aber Achim ist nicht zurückgekommen”, stellte ich fest.
Gregor Fernow kratzte sich am Nacken. Die Nachricht, dass wir seinen Kollegen ermordet aufgefunden hatten, setzte ihm noch immer ziemlich stark zu.
„Ja, das hat mich auch gewundert. Aber Sie sehen ja, was hier los ist. Ein ständiges Kommen und Gehen.”
„Trug Ihr Kollege auch so einen Overall wie Sie?”, hakte ich nach.
„Na klar. Achim war noch nicht lange dabei, deswegen war er vorwiegend für Hilfs- und Laufdienste eingeteilt.” Gregor Fernow schüttelte den Kopf. Sein Gesichtsausdruck wurde finster. „Er hat Frau und Kinder und war sehr froh, endlich wieder einen Job bekommen zu haben. Verdammt ...“
Während ich weiter mit Gregor Fernow sprach, gab Rudi die Information darüber, wie der Killer bei seiner Flucht gekleidet gewesen war, telefonisch an die Kollegen und die Mitarbeiter des Security Service weiter. Im obersten Stockwerk hatten wir alles gründlich durchsucht und niemanden gefunden. Die Überprüfung der Arbeiter lief noch, ich rechnete nicht damit, dass sich daraus noch etwas ergab. Die wahrscheinlichste Variante war, dass der Killer es geschafft hatte, kurz vor unserem Eintreffen mit dem Lastenaufzug bis ins Erdgeschoss zu gelangen. Vermutlich hatte er es dann auch geschafft, das Gebäude zu verlassen. Zwar lief auch die Personenüberprüfung noch, aber ich machte mir in dieser Hinsicht kaum noch irgendwelche größeren Hoffnungen.
Wir waren zu spät gewesen.
Nicht viel, aber für den unbekannten Scharfschützen hatte selbst das enge Zeitfenster, das wir ihm für seine Flucht gelassen hatten, vollkommen ausgereicht. Jetzt mussten wir zusehen, dass wir wenigstens ein paar Spuren fanden - abgesehen von der Patronenhülse, die er hinterlassen hatte. Teile des Bürogebäudes wurden Videoüberwacht. Insbesondere natürlich der Eingangsbereich. Möglicherweise war der Täter auf einer der Aufzeichnungen zu sehen. Und da dafür nur ein ganz bestimmtes Zeitfenster in Frage kam und wir immerhin wussten, wie er gekleidet war, fanden wir vielleicht ein brauchbares Bild von ihm.
„Wenn ich irgendetwas tun kann, um Ihnen zu helfen, diesen Mistkerl zu kriegen, sagen Sie es mir”, meinte Fernow.
„Ich verspreche Ihnen, dass wir alles tun werden, um den Mörder Ihres Kollegen zur Rechenschaft zu ziehen”, erklärte ich.
„Achim war ein guter Kerl, wissen Sie. Sie haben ihn ja nicht gekannt. Er hatte vorher ein bisschen Pech, aber jetzt, mit dem neuen Job ging es aufwärts für ihn. Und dann so was!”
„Sagen Sie, das Treppenhaus ist doch im Moment nicht passierbar.”
„Weil dort gearbeitet wird.”
„Das heißt, jemand mit einem Overall Ihrer Firma könnte das Treppenhaus passieren. Oder kennen Sie alle Arbeiter persönlich?”
„Natürlich nicht!” Fernow runzelte die Stirn und schien einen Moment lang nachzudenken. „Könnte sein”, meinte er.
„Was geht dir im Kopf herum?”, fragte Rudi.
„Ich frage mich, weshalb sich der Killer die Mühe gemacht hat, den Overall überzustreifen.”
„War bestimmt eine spontane Entscheidung, Harry. Er konnte ja nicht wissen, dass er da oben überrascht werden würde.”
„Nein. Aber von seiner Position aus konnte er sehen, dass sich unmittelbar nach seinem Schuss mehrere unserer Einsatzfahrzeuge in Richtung dieses Gebäudes in Bewegung gesetzt haben.”
Rudi nickte. „Das ist natürlich wahr.”
„Er konnte sich auch ausrechnen, dass es vielleicht problematisch werden könnte, auf demselben Weg zu flüchten, auf dem er ins oberste Stockwerk gelangt war.” Ich wandte mich an Fernow. „Wir müssen mit den Männern sprechen, die im Treppenhaus beschäftigt waren.”
„Das dürfte kein Problem sein”, meinte Fernow.
Wenig später befragten wir die Männer, die zum fraglichen Zeitpunkt im Treppenhaus beschäftigt gewesen waren. Ihre Aufgabe war es gewesen, den Bodenbelag der Treppe sowie Geländer und Handläufe anzubringen. Allerdings gehörten sie einer anderen Firma an. Die Befragung entpuppte sich als etwas schwierig, da sie alle nur polnisch sprachen und zudem noch eingeschüchtert wirkten. Bis ein Kollege der Polizei Recklinghausen eintraf, der ausreichende Polnischkenntnisse hatte, um mit den Zeugen zu sprechen, dauerte es eine Weile. Es handelte sich um Kriminalhauptkommissar Robert Perkow. Seine erste Aufgabe war, die Männer zu beruhigen. Und dann kamen wir schließlich auch dazu, unsere Fragen zu stellen.
Robert Perkow übersetzte das ins Polnische.
Es war unübersehbar, dass das eine beruhigende Wirkung hatte. Aber das bedeutete noch nicht, dass sie auch tatsächlich mit uns kooperierten.
So gut ich konnte, versuchte ich ihnen klar zu machen, worum es uns ging. Und ich zeigte ihnen ein Handyfoto des ermordeten Installateurs.
„Diese Männer kommen aus kleineren polnischen Städten”, sagte Perkow dann an mich gewandt, so als würde das etwas erklären.
„Ja, und?”
„Wenn ich von dort hierherkommen würde, dann würde ich auch keinem Polizisten trauen, egal wie freundlich er ist oder ob er mir irgendeine nette Geschichte darüber erzählt, dass er mir nichts am Zeug flicken will.”
„Versuchen Sie sie davon zu überzeugen, dass sie uns helfen”, sagte ich an Perkow gerichtet. „Der Mann, den dieser Killer umgebracht hat, hatte eine Familie. Er hat niemandem etwas getan und nur versucht, seinen Job gut zu machen - so wie diese Männer hier auch.”
Ich zeigte ihnen noch einmal ein Foto des Toten, während Perkow auf sie einredete.
„Da war ein Mann”, sagte schließlich einer von ihnen. Er war groß, hatte eine hohe Stirn und schwarzes, leicht gelocktes Haar. Der ebenfalls dunkle Schnauzbart bildete die markanteste Linie in seinem Gesicht. Er verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt näher.
„Wie sah dieser Mann aus?”, fragte ich.
Sicherheitshalber übersetzte Perkow simultan, was ich gesagt hatte.