4 Thriller Exklusivband 4018 - Meine spannendsten Krimis - Alfred Bekker - E-Book

4 Thriller Exklusivband 4018 - Meine spannendsten Krimis E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker: (499) Kubinke und der Fall am Nordseestrand Kubinke und die Selbstmörder Tod eines Schnüfflers Commissaire Marquanteur und die besonderen Kugeln Eine Reihe von erzwungenen Selbstmorden unter Mitgliedern von kriminellen Banden lässt den Verdacht aufkommen, dass jemand aufräumen will. Die Art des Vorgehens ist die des Masterminds. Doch wer ist dieser Mastermind? Niemand scheint ihn zu kennen. Die beiden Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier machen sich auf die Suche nach dem unbekannten Killer … Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

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Alfred Bekker

4 Thriller Exklusivband 4018 - Meine spannendsten Krimis

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Inhaltsverzeichnis

4 Thriller Exklusivband 4018 - Meine spannendsten Krimis

Copyright

​Kubinke und der Fall am Nordseestrand: Kriminalroman

​Kubinke und die Selbstmörder: Kriminalroman

Tod eines Schnüfflers

​Commissaire Marquanteur und die besonderen Kugeln

4 Thriller Exklusivband 4018 - Meine spannendsten Krimis

von Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane von Alfred Bekker:

Kubinke und der Fall am Nordseestrand

Kubinke und die Selbstmörder

Tod eines Schnüfflers

Commissaire Marquanteur und die besonderen Kugeln

Eine Reihe von erzwungenen Selbstmorden unter Mitgliedern von kriminellen Banden lässt den Verdacht aufkommen, dass jemand aufräumen will. Die Art des Vorgehens ist die des Masterminds.
Doch wer ist dieser Mastermind? Niemand scheint ihn zu kennen.
Die beiden Kriminalinspektoren Harry Kubinke und Rudi Meier machen sich auf die Suche nach dem unbekannten Killer …
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Alles rund um Belletristik!

​Kubinke und der Fall am Nordseestrand: Kriminalroman

Ein Harry Kubinke Krimi
Der Umfang dieses Buchs entspricht 116 Taschenbuchseiten.
Die Yacht, mit einer angeblich großen Menge verschollenen Kokains an Bord, explodiert mitten auf der Nordsee. Das Kokain, verpackt in luftdichte Säckchen, wird auf die Küste zugetrieben. Zufällig findet ein Hund eines dieser Päckchen und bringt es seinem Herrchen, der den tödlichen Fehler macht, sich damit öffentlich zu präsentieren.
Nun ist es die Aufgabe der beiden Kriminalinspektoren Kubinke und Meier, nicht nur den oder die Mörder dieses Mannes zu finden…
***
Copyright
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Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
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Alles rund um Belletristik!
1
Auf der Nordsee vor der Küste der Insel Sylt …
Die Sonne spiegelte sich im Wasser.
Ein steter Wind blies.
Und er trieb die Yacht voran.
Die Segel beulten aus.
Die Yacht kämpfte sich voran und durchnitt das schäumende Meer.
En Wolken standen am Himmel.
Es war ein schöner Tag, mit idealen Segelbedingungen.
Das Meer konnte so friedlich sein.
Aber manchmal konnte sich um Handumdrehen alles ändern.
Dann wurde aus der Idylle etwas anderes.
Etwas, das man nicht einfach als Hölle bezeichnen kann, sondern eher als ein Spiel von ungeheuer starken Gewalten, denen der Mensch noch immer nichts gleichwertiges entgegenzusetzen hat.
Das Meer, der Ozean…. Für den Menschen ist das nur ein guter, solange das Wetter gut ist.
Und das ist bekanntermaßen launisch.
Allerdings gibt es noch ein paar andere Gefahren, die man weniger auf dem Schirm hat.
Die größte Gefahr für eine Segelyacht sind die riesigen Containerschiffe, die stur wie ein Roboter ihren Kurs fahren.
Riesige Blechwale, die alles unterpflügen, was ihnen in die Quere kommt.
Und an Bord des Containerschiffs merkt vielleicht sogar niemand, was passiert ist.
Rein statistisch ist dieses Risiko nicht zu unterschätzen.
Und dann gibt es da noch eine andere Gefahr für Segelyachten auf der Nordsee, die statistisch vielleicht nicht ganz so relevant ist wie Containerschiffe, Monsterwellen oder ein plötzlicher Sturm.
Angenommen, man hat Sprengstoff an Bord.
Und weiter angenommen, man weiß gar nichts davon.
Aber alles der Reihe nach…
„Hey, entspann dich!”, sagte Georg Raimund.
Er blinzelte gegen die Sonne.
Er stand am Steuerrad der Yacht.
Der Wind blähte die Segel.
Und Georg Raimund hatte gute Laune.
Sehr gute Laune.
Der grauhaarige, drahtig wirkende Mann grinste die junge Frau an, die sich gegen die nautischen Armaturen lehnte. Der Wind hatte ihr blondes Haar zerzaust. Sie sah traumhaft aus. Der Wind drückte nämlich ihre Kleidung an den Körper und ließ sie eng anliegen, dass ihre sexy Kurven gut zur Geltung kamen. „Ich bring den Deal auf Sylt über die Bühne und dann tun wir beide gar nichts mehr.”
„Ach, Georg…”
„Jedenfalls nichts, was uns keinen Spaß macht, Katrina.”
„Ja, wirklich…”
„Du sagst immer so sachen!”
„Ich meine es auch so!”
„Ich weiß nicht…”
„Du kannst Gift drauf nehmen!”
„Was du immer redest…”
„Aber Gift nimmst du ja eigentlich schon regelmäßig!”
„Quatsch!”
„Wieso? Kokain ist auch sowas wie Gift.”
„Willst etwa gerade du jetzt den Moralapostel tun?”
„Nein.”
„Na, also!”
Katrina wirkte fast schlaftrunken.
Sie hatte eine Sanduhrfigur und tolle Brüste.
Georg Raimund stellte sich vor, wie sie ohne Kleidung aussah - auch wenn die eigentlich nicht viel verbarg.
Sie versuchte, ihre Haare aus dem Gesicht zu bekommen und machte ein paar wischende Bewegungen.
Aber das war vergeblich.
Der Wind hatte so seine eigenen Pläne mit ihrem Haar.
Der Wind, der Wind, die himmlische Macht, die man niemals unterschätzen durfte, wie jeder gute Segler wusste…
Im übrigen galt das auch für ein paar andere Dinge.
Was den Wind anging, war Georg Raimund vorsichtig.
Schließlich war er ein erfahrener Skipper.
Was andere Dinge betraf, war er schon deutlich leichtsinniger und sorgloser.
Sowas konnte sich rächen.
Aber in diesem Moment verschwendete Georg Raimund daran keinen einzigen Gedanken. Zu sehr lenkte ihn die allgegenwärtige Schönheit, die ihn umgab. Die schöne Frau, das schöne Wetter, die schöne Yacht, die schönen Aussichten, was das Geschäftliche betraf…
Zu viel Schönheit machte sorglos.
So ist das manchmal.
Nur ein kleines Wölkchen war da an diesem wunderschönen HImmel, der den kommenden Sturm nicht ahnen ließ. Diese wunderschöne Frau hatte ein bisschen schlechte Laune. Aber das würde er wieder hinkriegen. Wer schöne Titten hat, darf auch ein bisschen nörgelig sein, dachte Georg Raimund.
„Ich dachte, wir machen nur Urlaub, Georg!”
„Ja, machen wir ja auch.”
„Aber…”
„In Zukunft machen wir immer Urlaub!”
„Leere Versprechungen…”
„Nein!”
„Doch”, widersprach sie.
„Nein, genauso wird es sein. Genau so, wie ich sage.”
„Ach!”
Sie rieb sich die Nase. Sie war rot und wirkte entzündet.
Das war ihr Schönheitsfehler.
Die rote Nase.
Die war eigentlich fast immer entzündet.
Und das hatte seinen Grund.
„Für die Menge an Koks, die du dir geschnupft hast, ist deine Laune immer noch reichlich schlecht”, meinte Raimund.
Im nächsten Moment gab es einen Knall.
Der vordere Teil der Yacht explodierte. Eine Sekunde später hatte die Yacht keinen Bug mehr. Wasser strömte ein, und ein Ruck ging durch das Boot. Es senkte sich schnell abwärts. Aber die Fahrt in die Tiefe hatte noch gar nicht begonnen, als eine weitere Explosion das Heck zerriss.
Katrina wurde wie eine Puppe durch die Luft geschleudert. Ihr Körper prallte gegen die Reling. Ihr Schrei erstarb, als der Aufprall auf der Reling ihr das Rückgrat brach.
Georg Raimund klammerte sich an das Steuerrad. Dann schlug das Wasser über ihm zusammen.
Er strampelte, versuchte zu schwimmen. Irgendetwas schlug gegen seinen Kopf. Einige Augenblicke war er benommen. Er ruderte mit den Armen. Dass er auf der Gesamtschule mal eine Schwimmmeisterschaft gewonnen hatte, war Jahrzehnte her. Aber er war immer noch ein guter Schwimmer, der es auch mit viel jüngeren aufnehmen konnte. Allerdings dämmerte ihm, dass ihm dies wohl kaum etwas nützen würde. Nicht so weit draußen in der Nordsee.
Mindestens 50 Kilometer lagen zwischen der letzten Position der Yacht und der Küste. So weit konnte niemand schwimmen. Nicht einmal jemand wie Georg Raimund.
Er hatte mal gehört, dass die Wikinger meistens nicht schwimmen konnten und dass sie es auch gar nicht anstrebten, es zu lernen.
Wenn man als Seefahrer schwimmen konnte, bedeutete das nämlich nur, dass sich die Todesqualen verlängerten, wenn man gekentert war.
Langsam begann begann Georg Raimund zu dämmern, wie Recht die alten Seefahrer damit gehabt hatten…
Ihn schauderte.
Die Todesangst erfasste ihn. Panik machte sich breit. Er erreichte die Oberfläche. Von der Yacht war kaum noch etwas zu sehen. Einige Trümmerteile, die schnell sanken. Und ein paar Päckchen, die ebenfalls noch an der Oberfläche hielten. Eines war so nahe, dass ihm die Aufschrift geradezu ins Auge viel: MKM SICILIANA stand dort in verschnörkelten und zu einem kunstvollen Emblem miteinander verschmolzenen Buchstaben.
Verdammt!, ging es ihm durch den Kopf. So nah am Ziel - und jetzt das Ende!
Er wusste, dass er seinen Tod nur hinauszögern, aber nicht mehr verhindern konnte.
Das Spiel ist aus, dachte er. Für immer.
Alles hatte sich im Handumdrehen verändert.
Ein Bltt hatte sich gewendet.
Urplötzlich.
Wieder einmal.
2
Am Strand von Büsum…
Dietrich Bäumer nahm das Stück Treibholz und warf es so weit er konnte.
„Na los! Hol es zurück!”, rief er.
Der etwas zottelige Terrier ließ sich das nicht zweimal sagen. Er rannte hinter dem Holzstück her. Sein Bellen mischte sich mit dem Rauschen der Brandung. Dietrich Bäumer ging barfuß. Er hatte seine Hosen bis zu den Knien hochgekrempelt. Wenn eine Welle besonders stark war, umspülte sie die Füße des siebzigjährigen, etwas übergewichtigen Mannes.
Diesen Urlaub, dachte er, habe ich mir wirklich verdient.
Und das seit langer Zeit!
Er atmete tief durch.
Der Wind blies ziemlich kräftig vom Meer her. Das rauschen des Meeres mischte sich mit den Schreien der Möwen, die hoch oben am Himmel kreisten. Scheißt mich bloß nicht voll!, dachte er.
Der Hund kehrte zurück.
Aber er hatte nicht das Stück Treibholz im Maul, sondern etwas anderes.
„Na, was hast du denn da?”
Der Hund wedelte mit dem Schwanz und ließ sich das Päckchen ohne Widerstand aus dem Maul nehmen. Das aufgedruckte Emblem fiel ihm auf.
MKM SICILIANA.
Dietrich Bäumer öffnete es.
„Oh, mein Gott”, flüsterte er, nachdem er begriffen hatte, was der Inhalt war. Bäumers Gesicht verlor fast vollkommen die Farbe.
Er sagte zu dem Hund: “Na, da hast du aber was Schönes angeschleppt!”
“Wuff!”, kam es zurück.
Fast wie eine bestätigende Antwort.
Und zu allem Überfluss ließ dann auch noch eine Möwen was fallen.
Aber zumindest diese Bombe verfehlte Dieter Bäumer deutlich.
3
Observationen können ziemlich langweilig sein.
Ob Privatermittler oder Polizeikräfte - was die Langeweile betrifft, triift sie dasselbe Schicksal.
Lange Zeit passiert buchstäblich gar nichts.
Und wenn man Pech hat, geht dann alles plötzlich vielleicht so schnell, dass man das Entscheidende gar nicht mitbekommt.
Alles schon vorgekommen.
Daniel Altan saß hinter dem Steuer seines SUV. Die Zeitung, die er aufgeschlagen hatte, diente eigentlich nur der Tarnung. Sein Partner Erkan Piper saß auf dem Beifahrersitz und hatte die andere Hälfte des bunt bedruckten Boulevardblatts. Sie waren beide schon seit Stunden mit der Observation eines Mannes beschäftigt, der sich wahrscheinlich in Kürze mit jemandem traf, der ihm brisante Firmengeheimnisse abkaufen würde.
Genau das waren die Fälle, auf die sich die Firma ALTAN & PIPER, SECURITY & INVESTIGATION in den letzten Jahren konzentriert hatte.
„Hast du schon den Bericht über den beknackten Rentner gelesen, Daniel?”, fragte Piper.
„Welchen beknackten Rentner?”
„Der das Kilo Kokain am Strand gefunden hat. Und jetzt hat sich der Blödmann damit in der Zeitung ablichten lassen. Ich wette, der kommt sogar noch in die eine oder andere Talkshow.” Piper schüttelte den Kopf. „Wie dumm kann man nur sein.”
Altan zuckte die Schultern.
„Wieso?”
„Was heißt hier wieso?”
„Wieso heißt wieso.”
„Na, muss ich dir das wirklich sagen?”
„Ja, ja.. Lass mich ruhig wie einen Doofi dastehen.”
„Warst du jetzt mal beim BKA oder steht das nur in unserer Werbung, damit wir leichter Kunden einfangen können und mehr Aufträge bekommen?”
„Nein, ich war wirklich beim BKA.”
„Okay…”
„Zehn Jahre lang.”
„Doch so lange?”
„So lange.”
„Also meiner Ansicht nach ist das wirklich das Bescheuertste, was man machen kann, wenn man zufällig ein Kilo Kokain irgendwo findet! Das gehört doch irgendjemandem!
„Alles gehört irgendjemandem!”
„Und die Typen wollen das sicher wiederhaben, weil es schweineteuer ist.
„Logisch.”
„Und nette Leute sind das sicher nicht.”
„Ich nehme an, er hat es längst der Polizei gegeben”, sagte Altan und sah nun in den Bericht vor sich. Ein älterer Herr hielt ein Päckchen in die Kamera. Neben ihm saß sein Hund. Auf der anderen Seite posierte ein Polizist. Ein Polizist aus Büsum, für den das der Fall seines Lebens war, weil er es sonst wohl nur mit gestrandeten Robben zu tun hat, ging es Altan durch den Kopf.
„Trotzdem!”, meinte Piper. „Wo ein Päckchen Kokain ist, da sind doch noch mehr.”
„Du kennst dich da aus?”
„Ich versuche mich nur in die Typen hineinzuversetzen, die das Zeug verloren haben.”
Altan überflog den Artikel. Er war eher gelangweilt. Observationen waren noch nie so wirklich sein Ding gewesen. Schon damals nicht, als er noch beim BKA gewesen war. Aber sie waren damals wie heute nun mal ein wesentlicher und unerlässlicher Bestandteil des Jobs. Wenigstens wurde jetzt, da er auf eigene Rechnung arbeitete, auch anständig dafür bezahlt, dass er stundenlang irgendwo herumsaß und sich mehr oder minder langweilte.
Wahrscheinlich würde er diese Zeitung noch zehnmal lesen müssen, ehe sich bei der Zielperson irgendetwas tat, was eine Reaktion erforderte. Mit dem Handy herumspielen kam nicht in Frage. Schließlich wollte er nicht, dass der Akku vorzeitig schwach wurde.
Ein Detail an dem Zeitungsartikel ließ Altan dann plötzlich stutzen.
Es war nichts, was in dem ziemlich reißerischen Text stand, der mehr oder minder nur aus haltlosen Spekulationen bestand, weil bislang wohl niemand wirklich wusste, wie das Kokain an den Strand gelangen konnte. Es hatte mit dem großformatigen Foto zu tun.
Genauer gesagt mit der Aufschrift auf dem Päckchen.
MKM SICILIANA stand da in verschnörkelten und zu einem Emblem miteinander verschlungenen Buchstaben.
Das darf doch nicht wahr sein!, ging es ihm durch den Kopf.
Dieses Emblem hatte er schon einmal gesehen. Lange war es her … Damals, als er noch Ermittler gewesen war …
Irgendwann kommt alles mal wieder an die Oberfläche, dachte er. Jede Leiche und jedes Päckchen Kokain …
„Daniel! Da ist unser Typ!”
Pipers Stimme drang wie aus sehr weiter Ferne in Altans Bewusstsein.
„Hey, bist du jetzt eigentlich bei der Sache, oder was ist los, Daniel?”
4
BKA Bundesakademie, Quardenburg. Einige Tage später …
„Fortsetzung des vorläufigen Autopsieberichts zum Fall Dietrich Bäumer. Das Opfer wurde auf die weiter oben bereits beschriebene Weise gefoltert. Es ist anzunehmen, dass als Folge dieser Folterungen schließlich ein Herz-Kreislaufversagen eintrat, das zum Tod führte.”
Dr. Gerold M. Wildenbacher, der Gerichtsmediziner des Ermittlungsteam Erkennungsdienstes hielt inne und setzte das Diktiergerät ab. Der alte Mann auf dem Seziertisch war furchtbar zugerichtet worden und musste schreckliche Schmerzen gehabt haben, bevor er gestorben war. Offenbar war Dietrich einer ziemlich groben Befragung unterzogen worden, die er nicht überlebt hatte.
„Ist es mir gestattet, unseren bayerischen Landarzt bei seinem Vortrag vor sich selbst zu unterbrechen oder wäre das eine ungebührliche Kränkung Ihres Egos, Gerold?”, fragte eine Stimme mit unverkennbar hamburgischem Akzent.
Gerold drehte sich um. In der Tür des Sezierraums stand Dr. Friedrich G. Förnheim, der von allen anderen Mitgliedern des Teams nur kurz FGF genannte Naturwissenschaftler und Ballistiker.
„Wenn es was wirklich Wichtiges ist, FGF, dann will ich über diese Kränkung hinwegsehen”, sagte Gerold etwas knurrig.
Friedrich warf einen kurzen Blick auf den Toten.
„Sind Sie schon weitergekommen, was die Todeszeit angeht? Wie auch immer, die spielt eigentlich kaum eine Rolle. Herr …”
„Bäumer. Dietrich Bäumer.”
„… mag zwar erst vor kurzem umgekommen sein, aber der Fall ist trotzdem ein Cold Case.”
„Sie wollen mich jetzt auf den Arm nehmen?”
„Mitnichten. Ich weiß, dass man bei Ihnen in Bayern nur vergleichsweise einfache Witze goutiert und einen etwas, nun sagen wir mal, rustikaleren Begriff von Humor haben, während die hamburgische Variante dieses menschlichen Kulturgutes weltweit geschätzt wird.”
„Kommen Sie auf den Punkt, FGF!”
„Der Punkt ist, dass ich soeben die Analyse des Kokains abgeschlossen habe, das dieser arme Mann vor einiger Zeit am Strand gefunden hat. Und die Vermutung, dass das plötzlich erwachte Interesse eines unbekannten Folterknechts irgendetwas mit diesem Drogenpäckchen zu tun hatte, mit dem sich unser Freund dann auch noch in der Öffentlichkeit zeigte, ist Ihnen ja auch schon gekommen.”
Gerold hob die Augenbrauen. Auch wenn Friedrich ihm oft genug gestelzt und umständlich erschien, fachlich war nichts gegen ihn zu sagen und daher schätzte der Gerichtsmediziner die Unterstützung durch seinen Kollegen ungemein. Allerdings vermied er es tunlichst, das zuzugeben. Schließlich hätte das wohl nur dazu beigetragen, dass der immerhin mit zwei Doktortiteln ausgestattete Friedrich G. Förnheim dann vielleicht nur noch mehr in seiner hamburgisch-herablassenden Art bestärkt worden wäre.
„Worauf wollen Sie hinaus?”, fragte der Gerichtsmediziner.
„Wenn man Kokain analysiert, findet man da meistens jede Menge Zusatzstoffe. Wie allgemein bekannt ist, verkaufen Dealer immer gerne so wenig wie möglich Kokain und so viel, wie möglich von irgendetwas anderem, was nicht ganz so wertvoll ist. Und das exakte Mischungsverhältnis ist wie ein Fingerabdruck für eine bestimmte Kokain-Charge.”
Gerold Wildenbacher hob die Augenbrauen.
Das ließ den den erfahrenen, wenngleich etwas zur Gemütsarmut neigenden Forensiker aufhorchen.
Er sagte: „Und diese spezielle Charge ist schon mal irgendwann aufgefallen, nehme ich an.”
„So ist es Kollege!”, bestätigte Friedrich G. Förnheim.
„Dachte ich es mir doch!”
„Sie wurde vor Jahren in Frankfurt konfisziert, als dort ein großer Drogendeal aufgeflogen ist. Die Zusammensetzung ist sehr charakteristisch, da kann es keinen Zweifel geben. Und noch ein Merkmal passt dazu.”
„Welches?”
„Die Verpackung.”
„Hat die in diesem Fall eine Aussagekraft?”
„Und ob.”
„Spannen Sie nmich nicht auf die Folter, sondern kommen Sie zur Sache!”
„Die Drogen stammten den mir zugänglichen Daten nach aus Sizilien und wurden in einer Waschmittelfabrik verpackt. Dort haben Mafiafamilien mit Drogenhandel einen Teil ihrer Finanzen bestritten. Auf der Packung stand MKM SICILIANA, das Emblem dieser Waschmittelfabrik. Die Maschinen waren wohl so eingestellt, dass das automatisch geschah.”
Wildenbachers Stirn bekam eine tiefe Furche.
Sie wirkte irgendwie nachdenklich.
„Okay, und was bringt das jetzt an neuen Erkenntnissen im Hinblick auf Dietrich Bäumer?”
„Noch gar keine”, sagte Friedrich Förnheim. „Aber der Fall ist insofern ein Cold Case, weil ein Teil des Rauschgifts nie aufgetaucht ist.”
„Hm…”
„Die Menge, die man konfiszieren konnte, war viel kleiner als die, die mutmaßlich eingeführt wurde.”
„Interessant!”
„Allerdings!”
„Das jetzt noch einmal ein Kilo davon auftaucht, sollte gewisse Abteilungen bei uns neugierig machen”, stimmte Gerold zu.
„Nicht nur ein Kilo, Gerold.”
„Wie bitte?”
„Inzwischen sind an mehreren Küstenabschnitten der Nordsee Kokainpakete mit dem Aufdruck MKM SICILIANA angeschwemmt worden.”
„Dann sollten Sie jetzt wohl ein paar Telefongespräche führen!”, schlug Gerold vor.
„Ich wusste, dass Sie so etwas sagen würden.”
„Ich werde noch den Bericht zu Ende bringen. Dann haben die Kollegen schon mal etwas mehr in der Hand.”
„Ich werde Ihre gerichtsmedizinische Glanzleistung schon mal gebührend ankündigen, Gerold!”, erklärte Friedrich Förnheim.
„Dieser Fischkopp”, murmelte Gerold wenig später - aber erst als Friedrich bereits wieder den Raum verlassen hatte. Gerold wandte sich unterdessen wieder der Leiche zu. „Wir finden heraus, wer dich ermordet hat”, murmelte er. „Darauf kannst du dich verlassen!”
Auch wenn viele dem Gerichtsmediziner das Gemüt eines Schlachtergesellen attestierten, so hatte er doch zweifellos zu Toten auf seinem seziertisch auf seine Weise ein sehr inniges Verhältnis. Man hätte es fast emotional nennen können.
5
Wie üblich hatte ich Rudi an diesem Morgen an der bekannten Ecke abgeholt, um dann mit ihm zusammen zum Hauptpräsidium in Berlin zu fahren. Dort hatten wir unsere jeweiligen Büros. Ich bin Kriminalinspektor Harry Kubinke. Mein Kollege Rudi Meier und ich sind Ermittler des BKA in Berlin, was die Abkürzung für Bundeskriminalamt ist, falls Sie das nicht wissen sollten.
„Hast du heute Morgen auch ein paar Mails mit umfangreichen Anhängen bekommen?”, fragte ich meinen Kollegen, nachdem er sich neben mich auf den Beifahrersitz des Dienst-Porsches gesetzt hatte.
Rudi sah mich etwas erstaunt an, während ich bereits weiterfuhr und mich in den fließenden Verkehr eingereiht hatte. Unglücklicherweise wollen in Berlin die meisten Leute ungefähr zur selben Zeit zur Arbeit und dementsprechend voll ist es dann auf den Straßen der Bundeshauptstadt. Aber da wir immer einen gewissen zeitlichen Puffer einplanten, würden wir vermutlich pünktlich sein. Zumindest, wenn nichts Unvorhergesehenes geschah.
„Ich habe meine Mails heute Morgen noch nicht gecheckt”, bekannte Rudi. Er unterdrückte ein Gähnen. „Und wenn ich es mir recht überlege, werde ich das auch nicht eher tun, als wir beide das Hauptpräsidium betreten haben.”
Ich grinste.
„Dann beginnt die Dienstzeit.”
„Siehst du das etwa anders, Harry?”
„Aber das gilt nur, wenn wir gerade keinen Fall haben.”
„So ist es.”
„Und das dürfte ab heute der Vergangenheit angehören.”
„Wieso das, Harry? Weißt du schon etwas, was ich nicht weiß?”
„Wie sollte das der Fall sein?”
Rudi zuckte mit den Schultern.
„Kriminaldirektor Hoch könnte dich bereits im Wagen über irgendetwas informiert haben, was ich dann wohl erst sehr viel später im Meeting erfahren werde.”
Ich lächelte. „Nein, das ist es nicht. Ich habe eben nur schon meine Mails gecheckt. Und diejenige, die wichtig war, kam von FGF, inklusive umfangreicher Datendossiers. Ich will jetzt nicht behaupten, dass ich auf die Schnelle schon alles verstanden habe, aber hat wohl mit diesem Typen zu tun, der ein Paket Kokain am Strand von Büsum gefunden hat.”
„Habe ich von gehört. Man konnte ihm nicht ausweichen. Er war in den Zeitungen, im Radio und in mindestens zwei Talkshows”, sagte Rudi.
„Erstens wurde der Kerl ermordet und vorher wohl ziemlich übel zugerichtet, weil jemand was aus ihm herauskriegen wollte.”
„Wahrscheinlich derjenige, dem das Kokain gehört”, vermutete Rudi.
„Zweitens gehört das Paket nach Analyse von FGF zu einer Charge, von der vor Jahren ein Teil konfisziert wurde, während man nach dem Rest bis heute sucht und …”
„Hört sich an, als käme auch noch drittens!”
„Es ist nicht das einzige Päckchen von dem Stoff, das man an den Nordsee-Stränden von Schleswig-Holstein und Niedersachsen gefunden hat.”
„Da scheint jemand eine Ladung Drogen ganz schnell über Bord geworfen zu haben, um sie loszuwerden, um sie nicht der Küstenwache erklären zu müssen.”
„Ich wette, wir erfahren gleich etwas mehr, Rudi.”
„Auf jeden Fall war es ganz bestimmt alles andere als eine gute Idee, mit einem Kilo Kokain lächelnd vor irgendeiner Kamera zu posieren.”
„Schätze, es wird unsere Aufgabe sein, herauszufinden, was der Hintergrund ist.”
„Und der gute Herr Dr. Dr. Förnheim war mal wieder ein bisschen übereifrig und hat die Datenpakete schon losgeschickt, bevor wir den Fall offiziell auf dem Tisch haben.”
„Wir haben ihn auf dem Tisch, Rudi. So oder so. Nur wissen wir offiziell noch nichts davon.”
6
„Guten Morgen”, begrüßte uns Kriminaldirektor Hoch. Unser Vorgesetzter hatte die Hände tief in den weiten Taschen seiner Flanellhose vergraben. Die Hemdsärmel waren hochgekrempelt. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals.
Wir setzten uns.
„Sie haben bereits umfangreiche Datenpakete zu Ihrem neuen Fall in Ihren Mailfächern. Mit den Einzelheiten werden Sie sich selbst vertraut machen können. Es geht um einen Cold Case, der nun durch den brutalen Mord an einem Rentner, der ein Kilo Kokain am Strand fand, wieder aktuell geworden ist.
„Wie viele Funde von Kokain-Paketen hat es inzwischen gegeben?”, fragte ich.
Kriminaldirektor Hoch hob die Augenbrauen.
„Wie ich sehe, haben Sie sich bereits im Groben mit dem Fall beschäftigt oder zumindest Ihre Mails gelesen.”
„Ja.”
„Heute Morgen wurde Päckchen 25 an die Strände von Schleswig-Holstein gespült. Alle tragen die Beschriftung und das Emblem von MKM SICILIANA, einer Fabrik, die früher unter der Kontrolle der sizilianischen Drogenmafia stand und wohl unter anderem dazu benutzt wurde, Drogen zu verpacken. Sie werden die Berichte unseres Ermittlungsteams Erkennungsdienst noch nicht alle im Einzelnen zur Kenntnis genommen haben, aber anscheinend sind die Päckchen nicht ganz so verpackt worden, wie es hätte sein sollen. Es gab innen Luftblasen, die für Auftrieb gesorgt haben. Zurzeit wird gerade eine Strömungsanalyse durchgeführt und außerdem soll abgeglichen werden, welche Wasserfahrzeuge diese Ladung vielleicht verloren haben könnten.”
„Die Päckchen sind Teil eines uralten Deals, den wir jetzt noch einmal unter die Lupe nehmen müssen”, sagte ich.
„Das liegt Jahre zurück”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Es ging um eine sehr große Lieferung Kokain aus Sizilien. Die Sizilianer beherrschten damals den Handel fast vollständig. Ein gewisser Jörn Graumann war damals eine aufstrebende Nummer im Drogenhandel von Frankfurt. Er wollte mit einem Schlag ein riesiges Vermögen machen und kam auf die glorreiche Idee, dass fast vollkommen reine Kokain aus Sizilien zu verlängern.”
„Was nicht unüblich ist”, sagte Rudi.
„Aber wer seine Handelspartner darüber nicht informiert, muss damit rechnen, dass die einem das ganz schön übel nehmen”, hielt ihm Kriminaldirektor Hoch entgegen. „Graumann war damals ein Zwischenhändler für einen gewissen Mario Ferrante. Der vertraute Graumann und stand kurze Zeit seinerseits als Betrüger gegenüber seinen Geschäftspartnern da, denen er die Drogen weiterverkaufte. Ferrante wurde daraufhin erschossen. Die Kollegen in Frankfurt gingen damals davon aus, dass Ferrante ganz bewusst in eine Falle gelockt worden war. Sein Tod war Teil eines Plans, der Graumann an die Spitze jenes kriminellen Netzwerkes bringen sollte, dem sie beide angehörten.”
„Anscheinend hat sich die Sache für diesen Graumann gelohnt”, meinte ich.
„Aber nur kurzfristig, Harry. Die Kollegen aus Frankfurt hatten ihn damals ohnehin schon seit längerem im Visier. Durch die Arbeit eines verdeckten Ermittlers flog er auf. Allerdings konnte Graumann der Verhaftung entgehen. Und ein Teil der Drogen aus dieser einen sizilianischen Lieferung, die Graumann durch die chemische Streckung des Stoffes gewonnen hatte, ist nie wieder aufgetaucht. Genau wie Graumann.”
„Wenn Graumann es geschafft hat, im letzten Moment das Land zu verlassen und unterzutauchen, dann wird er es kaum noch geschafft haben, auch den Stoff mitzunehmen”, meinte ich. „Also wird das Kokain all die Jahre irgendwo gelagert worden sein.”
„Vielleicht hat er jetzt versucht, diesen Schatz zu bergen, Harry”, meinte Rudi. „Und dabei ist dann etwas schiefgegangen …”
7
Am frühen Nachmittag trafen wir uns mit Gina Bäumer in einem Berliner Park. Gina Bäumer war die Tochter des ermordeten Rentners. Sie war etwa Mitte dreißig und betrieb in Berlin ein Reisebüro. Jetzt führte sie einen Hund aus, was wohl auch der Grund für die Auswahl des Treffpunkts war.
„Das ist der Hund meines Vaters gewesen”, sagte sie. „Es kümmert sich nun ja niemand mehr um ihn. Gott sei Dank wurde er wiedergefunden.”
„Das Tier war zwischenzeitlich vermisst?”, fragte ich. Aus den Akten ging das bisher nicht hervor. Und offenbar hatte sich auch niemand weiter um diese Frage gekümmert.
Gina Bäumer nickte.
„Die Typen, die meinen Vater entführt haben und ihn zu Tode quälten, wollten Billy - den Hund - ganz bestimmt nicht dabei haben.”
„Wir würden gerne die Geschehnisse, soweit sie zu ermitteln sind, mit Ihnen zusammen noch einmal durchgehen”, sagte ich. „Vorausgesetzt, das ist nicht zu schmerzvoll für Sie.”
„Es hält sich in Grenzen”, sagte Gina Bäumer und schluckte. Ihr Gesicht veränderte sich. Das gezwungen wirkende Lächeln verschwand. „Das Wichtigste ist jetzt, dass diese Verbrecher gefunden werden, die meinem Vater das angetan haben. Ich hatte ihn noch gewarnt …”
„Inwiefern?”, fragte ich.
„Wegen seiner Auftritte in den Medien. Innerhalb weniger Tage war er so bekannt wie ein bunter Hund. Und dass er unbedingt groß in die Zeitung musste und dabei ein Kokain-Päckchen in die Kamera hielt, war ganz sicher nicht besonders schlau. Aber das gibt trotzdem niemanden das Recht, ihn zu quälen und umbringen.”
„Das sehen wir ganz genauso”, sagte ich. „Und ich verspreche Ihnen, dass wir alles in unserer Macht stehende tun werden, um die Hintergründe in Erfahrung zu bringen.”
Sie lächelte matt.
„Davon bin ich überzeugt”, meinte sie. „Der Fall ist bei Ihnen sicher in guten Händen. Das habe ich im Gefühl.”
„Wir sind dabei auf Ihre Mithilfe angewiesen”, sagte Rudi. „Alles, was Sie uns sagen, kann uns eventuell zu dem oder den Tätern führen. Und selbst Beobachtungen, die Ihnen vielleicht unwichtig erscheinen, können für unsere Aufklärungsarbeit eventuell wichtig sein.”
„So wie das mit dem Hund”, ergänzte ich. Dass das Tier bei den bisherigen Ermittlungen komplett durch den Rost gefallen war, konnte ich immer noch kaum fassen. Aber so etwas kam vor. „Bislang wissen wir nicht, wo und wann genau Ihr Vater in die Hände seiner Entführer geriet”, erklärte ich. „Der Wagen stand bei dem Ferienhaus, das er bewohnte. Insofern ist er vielleicht zu Fuß unterwegs gewesen.”
„Mit dem Hund”, sagte Gina Bäumer. „Das sagte ich ja schon. Er ist eigentlich nirgendwo ohne ihn hingegangen. Deswegen muss das Tier auch dabei gewesen sein, als er überfallen wurde.”
„Hätte der Hund Ihren Vater dann nicht zu verteidigen versucht?”
„Ja, das denke ich schon. Wenn jemand meinem Vater zu nahe kam, hat er immer gleich die Zähne gefletscht und geknurrt.”
„Wo und von wem ist das Tier aufgefunden worden?”, fragte ich.
„Das war zwei Tage, nachdem ich die Nachricht erhielt, dass mein Vater umgebracht wurde. Billy - so heißt der Hund - ist offenbar einem Bauern zugelaufen. Er heißt Günter Kendrick betreibt einen Geflügelhof ein paar Kilometer landeinwärts.“
„Wie ist dieser Herr Kendrick darauf gekommen, wessen Hund das ist und dass er sich an Sie wenden muss?”, fragte ich.
Sie sah mich einen Moment lang etwas irritiert an.
„Darauf ist er gar nicht gekommen. Der Kontakt lief über die örtliche Polizei.”
„Über die Polizei?” Vermutlich war ich es jetzt, der irritiert wirkte.
„Billy ist gechipt. Als der Hund zulief, hat es bis zum nächsten Besuch des Tierarztes gedauert, bis die Daten ausgelesen wurden und Billys Identität festgestellt werden konnte. Glücklicherweise war ich für den Fall, dass der Hundebesitzer nicht erreichbar ist, als Ersatzadresse angegeben worden, sonst hätte sich das alles noch länger hingezogen, weil ich dann erst einmal den Nachweis hätte erbringen müssen, dass ich das Tier auch geerbt habe.”
„Wie auch immer: Es ist notwendig, dass Billy kriminaltechnisch untersucht wird”, erklärte ich.
„Wie meinen Sie das denn?”
„Billy ist sozusagen ein wichtiger Zeuge. Leider kann er nicht sprechen und uns schildern, was er beobachtet hat und wie es dazu kam, dass er von Ihrem Vater getrennt wurde. Also wird man ihn medizinisch untersuchen. Ich kann Ihnen nicht sagen, wonach die Kollegen alles suchen könnten, aber falls das Tier zum Beispiel Kontakt mit dem Täter hatte, wäre es theoretisch möglich, dass noch irgendwelche Fasern im Fell sind. Wir sind darauf angewiesen jeder Spur nachzugehen …”
„Okay … Wie soll das ablaufen?”
„Billy wird von einem Kollegen abgeholt und nach Quardenburg zu unserer BKA Bundesakademie gebracht. Dort steht uns ein hochspezialisiertes Ermittlungsteam Erkennungsdienst zur Verfügung, die alles Weitere in die Wege leiten.”
„Kann ich Billy begleiten? Ich würde mir Urlaub nehmen.”
„Das würde unseren Kollegen den Job sicherlich erleichtern”, nickte ich.
8
„Es ist unfassbar!”, entfuhr es Rudi, als wir wieder im Dienst-Porsche saßen. „Dieser Hund ist einfach vergessen worden - oder wie immer man das bezeichnen will.”
„Na ja, ob er wirklich ein wichtiges Beweismittel darstellt, müssen wir erst noch abwarten”, sagte ich.
„Trotzdem! Wie kann es sein, dass von diesem Hund bisher nichts in den Akten steht? Und keiner der Kollegen, die sich bisher mit dem Fall befasst haben, hielten es für nötig, sich überhaupt darum zu kümmern, wo der Hund eigentlich geblieben ist, obwohl es ja nun wirklich kein Geheimnis war, dass Dietrich Bäumer Hundebesitzer war.”
Auf einigen der Fotos, die in der Presse und in den Online-Medien verbreitet worden waren, war außer Dietrich Bäumer und dem Kokain-Paket mit dem Aufdruck MKM SICILIANA auch Billy abgebildet worden. Schließlich war der Hund ja der eigentliche Finder des Kokains gewesen.
„Es ist nun mal, wie es ist. Wir werden diesen Spuren nachgehen und vielleicht kommt ja auf diese Weise noch irgendetwas ans Tageslicht, was den Kollegen bisher verborgen geblieben ist”, sagte ich.
„Das Ferienhaus und die Wohnung von Herrn Bäumer wurden durchsucht. Und selbst auf den davon dokumentierten Fotodateien, die wir ja in unserem Datensatz haben, ist deutlich ein Fressnapf zu sehen. Dass sich niemand gefragt hat, wo der dazugehörige Hund eigentlich geblieben ist …”
Rudi hatte sich richtig in Rage geredet. Aber die Dinge laufen nun einmal nicht immer perfekt.
Ein Anruf erreichte uns. Es war Kriminaldirektor Hoch. Rudi nahm das Gespräch über die Freisprechanlage entgegen, so dass wir beide mithören konnten.
„Ich habe gerade Neuigkeiten aus Hamburg übermittelt bekommen”, erklärte unser Vorgesetzter. „Die Yacht eines gewissen Georg Raimund lief in Den Haag aus und kehrte nie wieder. Unsere Küstenwache hat Trümmerteile dieser Yacht gefunden und es gilt als sicher, dass die Yacht durch eine oder mehrere Explosionen zerstört wurde. Die ungefähre letzte Position konnte inzwischen anhand von Satellitenbildern und dem Abgleich von Radar-Daten anderer Schiffe festgestellt werden. Außerdem gab es wohl auch Maschinen der Bundeswehr, die in dem Gebiet geflogen sind und Daten liefern konnten.”
„Ist diese Yacht der Ursprung der Kokain-Pakete, die an die Küsten gespült wurden?”, hakte ich sofort nach.
„Wir wissen, dass die Yacht in einem bestimmten Gebiet circa vierzig bis fünfzig Kilometer vor der Küste gesunken sein muss. Eine Strömungsanalyse ist noch in Arbeit und liegt möglicherweise morgen vor. Prinzipiell haben bereits mehrere Marine-Fachleute und Strömungsexperten den Kollegen aus Hamburg bestätigt, dass die Yacht definitiv als Ursprung des Kokains in Frage kommt und zweitens gab es zwar mehrere andere Seefahrzeuge im betreffenden Gebiet - aber nur eins, dass mutmaßlich durch eine Explosion zerstört wurde.”
„Was eine gewisse Nähe zu kriminellen Machenschaften nahelegt”, schloss Rudi.
„So sehen das die Kollegen aus Hamburg auch”, bestätigte Kriminaldirektor Hoch. „Beweise sind das nicht, aber Indizien, die natürlich in eine gewisse Richtung deuten.”
„Weiß man, wer dieser Georg Raimund ist?”, fragte ich.
„Anscheinend ein unbeschriebenes Blatt. Die Kollegen aus Hamburg haben bislang noch nicht einmal ein Foto von ihm.”
„Heißt das, er hat keinen Führerschein, keinen Ausweis oder Pass?”
„So ungefähr. Möglicherweise ist diese Identität nicht echt, aber da werden wir den weiteren Gang der Ermittlungen abwarten müssen.”
„Wir müssen ohnehin morgen nach Hamburg, um mit Kollegen zu sprechen, die an der Anti-Drogen-Operation beteiligt waren, bei der ein Teil des Kokains mit dieser speziellen Zusammensetzung konfisziert wurde”, sagte ich. „Möglicherweise weiß man dann schon Näheres.”
9
Für den späten Nachmittag hatten wir ein Treffen mit Daniel Altan vor uns. Daniel Altan hatte zu der Einheit in Frankfurt gehört, die seinerzeit gegen Jörn Graumann ermittelt hatten. Allerdings hatte Altan das BKA vor Jahren schon verlassen und sich zusammen mit einem gewissen Erkan Piper eine Agentur für private Ermittlungen gegründet.
Die Agentur war in Cuxhaven ansässig. Das Agenturbüro befand sich in einer Büroetage, die man zu diesem Zweck angemietet hatte.
Als wir dort auftauchten, hatten wir es zunächst mit Erkan Piper zu tun.
Offenbar hielt er uns zunächst für potenzielle Klienten. Als wir ihm unsere Ausweise gezeigt hatten, änderte sich das. Auf seiner Stirn erschien eine deutlich sichtbare, v-förmige Falte.
„Herr Altan erwartet uns”, erklärte ich.
„Komisch, davon hat er mir gar nichts gesagt”, sagte Piper. „Kaffee ist alle. Wenn Sie also auf ihn warten wollen, dann …”
„Wir sind mit ihm verabredet”, erklärte ich etwas irritiert.
„Er musste noch mal kurz weg, aber ich nehme an, dass er gleich wieder da ist.”
Das will ich hoffen!, dachte ich. Eigentlich hatte ich erwartet, dass ein ehemaliger Kollege wusste, was ein Termin war. Und ich ging davon aus, dass er eigentlich auch wusste, wie negativ es sich unter Umständen auf unsere Ermittlungen auswirken konnte, wenn so ein fest vereinbarter Termin platzte.
Unterdessen verabschiedete sich die Sekretärin von Piper.
„Bis morgen”, meinte sie.
Piper schien an etwas anderes zu denken und wirkte abgelenkt.
„Darf man erfahren, worum es geht?”
„Das müssen wir mit Herrn Altan schon persönlich besprechen”, erklärte ich.
Allerdings wunderte es mich insgeheim schon, dass Piper offenbar nichts davon wusste, worum es ging. Ein Partner in einer Privatdetektei ist schließlich etwas ähnliches wie ein Dienstpartner. Dass Dietrich Altan ihn nicht eingeweiht hatte, war ungewöhnlich.
Piper schien irritiert zu sein. Er zuckte mit den Schultern und verschränkte dann die Arme vor der Brust.
„Okay, ich nehme an, dass ich Sie nicht dazu überreden kann, mir mehr zu sagen.”
„Fragen Sie Ihren Partner!”, sagte ich.
„Das werde ich tun”, versprach Piper.
In diesem Augenblick ging die Tür auf, und ein Mann in den Vierzigern kam herein. Ich hatte ein Bild von Altan in unseren Daten gesehen, dass der Personalakte beim BKA entnommen war. Seit seinem Ausscheiden aus dem aktiven Dienst hatte er ein paar Kilo zugelegt und seine Haare waren grau geworden. Aber er war trotzdem auf den ersten Blick erkennbar geblieben.
„Diese Herren wollen dich sprechen, Daniel”, sagte Piper unterdessen. „Ich muss noch die Fall-Dokumentation für einen unserer Kunden zusammenstellen … Eigentlich hatte ich gedacht, dass du mir dabei hilfst, Daniel, denn das ist noch ein ziemlich großer Brocken. Und wie du weißt, muss das bis morgen fertig sein.”
Piper verließ den Raum und ließ uns mit Altan allein.
Ich zeigte Altan meinen Ausweis.
„Kriminalinspektor Kubinke, BKA”, sagte ich und deutete auf auf Rudi. „Dies ist mein Partner Kriminalinspektor Meier. Wir hatten kurz telefoniert.”
„Setzen Sie sich! Ich helfe Ihnen natürlich gerne weiter, wenn ich kann”, sagte Altan. „Allerdings muss ich Ihnen sagen, dass ich die entsprechenden Daten nicht mehr so präsent habe. Ich bin kein Computer und der Fall, um den es geht, liegt schon sehr lange zurück.”
„Keine Sorge”, sagte ich.
„Im Übrigen sollten Sie vielleicht besser mit meinen ehemaligen Kollegen aus Frankfurt sprechen. Die meisten dürften noch im Dienst sein.”
„Das haben wir uns für morgen vorgenommen”, sagte Rudi.
Wir nahmen Altans Einladung an und setzten uns. Der Privatdetektiv selbst zog es allerdings vor stehen zu bleiben. Er verschränkte die Arme vor der Brust, lehnte kurz an der Fensterbank und ging dann wieder zwei Schritte auf den Schreibtisch zu. Insgesamt machte er auf mich einen ziemlich angespannten und nervösen Eindruck.
„Der Fall Jörn Graumann ist eine der größten Niederlagen, die ich während meiner Zeit bei der Polizei erleben musste. Und ganz ehrlich, der Fall beschäftigt mich bis heute.”
„Inwiefern?”, fragte ich.
„Sie müssen sich einfach mal die Situation vorstellen. Wir wussten davon, dass eine der größten, jemals nach Deutschland eingeschleuste Menge an Kokain über Jörn Graumann ins Land gelangt war. Wir wussten auch, dass Jörn Graumann gewaltige Ambitionen hatte. Er wollte die Nummer eins in Deutschland werden, was den Drogenhandel anging. Und das hätte bedeutet, dass er auch einen Großteil von anderen europäischen Ländern beherrscht hätte.”
„Für kurze Zeit hatte er eines dieser Ziele ja auch erreicht”, meinte Rudi.
Daniel Altan nickte.
„Ja, weil er so skrupellos war, das Vertrauen seines wichtigsten Handelspartners Mario Ferrante auszunutzen. Der glaubt, dass er reinstes Kokain bekommen hat, steht wenig später vor seinen Partnern als Betrüger da und wird von denen als Konsequenz liquidiert, was Graumann den Weg nach ganz oben frei gemacht hat.”
„Aber Sie und Ihre Leute waren ihm auf den Fersen.”
„Wir hatten verdeckte Ermittler eingeschleust, wir haben abhörtechnisch alles getan, was der Richter erlaubte und der Stand der damaligen Technik möglich gemacht hat und trotzdem hat es Graumann geschafft, uns doch irgendwie zu linken.”
„Wie genau ist das abgelaufen?”, fragte ich.
„Er muss etwas geahnt haben. Oder er wurde gewarnt. Jedenfalls sollte einer der größten Deals der Drogengeschichte von Frankfurt über die Bühne gehen. Die Informationen waren vertrauenswürdig, die Informationen waren durch abgehörte Gespräche eigentlich auch abgesichert und schienen wasserdicht zu sein und unser gesamtes Team hat wohl schon insgeheim von der Beförderung geträumt.”
„Aber es ist anders gekommen”, stellte ich fest.
Daniel Altan nickte.
„Der Deal fand zwar statt, wir konnten ein Dutzend der wichtigsten Leute aus der Drogenszene in flagranti festnehmen und das alles war auch noch gerichtsfest dokumentiert, so dass die Aussichten gut standen, diese Typen für sehr lange Zeit aus dem Verkehr zu ziehen. Aber was geschah? Graumann erschien nicht zum Deal. Und die Ware, die da den Besitzer wechselte, war noch nicht die Hälfte von dem, was uns eigentlich hätte ins Netz gehen müssen.”
„Und wie konnte das passieren?”, fragte ich.
Altan zuckte mit den Schultern.
„Wenn ich das wüsste. Glauben Sie mir, ich grüble bis heute darüber nach. Die Sache verfolgt mich immer noch im Schlaf.”
„Sie habe doch sicher eine Theorie.”
„Ich habe sogar mehrere. Aber sie laufen eigentlich immer auf dasselbe hinaus: Wir hatten damals mindestens einen Maulwurf bei uns. Irgendjemand hat falsch gespielt und sich kaufen lassen.”
„Haben Sie irgendeine Ahnung, wer das gewesen sein könnte?”
Er schüttelte den Kopf.
„Ein Kollege starb ein paar Monate später unter sehr ungewöhnlichen Umständen an einer Überdosis. Möglicherweise wurde er aus dem Weg geräumt, um diejenigen nicht zu gefährden, die da im Hintergrund die Fäden gezogen haben. Der Fall ist nie richtig aufgeklärt worden, und vermutlich ist das inzwischen auch unmöglich.” Altan stockte. Es war spürbar, wie nah ihm der Fall noch heute offensichtlich ging. Abgeschlossen hatte Altan damit noch lange nicht. „Ob das wirklich der Verräter war, weiß ich nicht. Ich nehme an, dass Sie auch diesen Fall früher oder später noch mal untersuchen werden - im Zuge Ihrer jetzigen Ermittlungen, meine ich.”
„Das ist durchaus möglich”, stimmte ich zu. „Und haben Sie sich nicht auch gefragt, wo das restliche Kokain aus der betreffenden Lieferung geblieben ist?”
„Doch, auch das hat mir keine Ruhe gelassen.”
„Haben Sie auch darüber eine Theorie?”
„Die habe ich allerdings!” Daniel Altans Gesicht bekam einen verkniffenen, grimmigen Ausdruck. Er ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. „Nehmen wir an, Jörn Graumann wurde tatsächlich gewarnt oder hatte meinetwegen auch hellseherische Fähigkeiten - was auch immer! Er hat sich offenbar eiskalt überlegt, dass er einen Teil des Rauschgifts irgendwo bunkert, bis wieder bessere Zeiten für ihn kommen und Gras über die Sache gewachsen ist. Und der Gedanke hat mich einfach nicht losgelassen, dass dieser Scheißkerl irgendwann in aller Seelenruhe aus der Versenkung auftauchen könnte, um seinen vergrabenen Schatz ganz einfach außer Landes zu bringen oder an einheimische Drogenhändler zu verkaufen. Er wäre dann fein raus und könnte am Ende noch einmal richtig Kasse machen.”
„Vielleicht ist genau das passiert”, meinte ich. Ich zeigte ihm auf dem Smartphone ein Bild von Dietrich Bäumer. „Sie wissen, wer das ist?”
„Der Mann hat nahezu jede Talkshow heimgesucht und sich mit einem Päckchen Kokain in beinahe Lebensgröße fotografieren lassen”, meinte Altan. „Im Moment kennt den wohl jeder.”
„Er wurde umgebracht. Jemand hat versucht, aus ihm Informationen herauszuholen, jedenfalls wurde er schlimm misshandelt.”
„Wer ist auch so dämlich und lässt sich mit dem Stoff fotografieren, den er am Strand gefunden hat!”, meinte Altan. „Da wird doch immer irgendjemand gierig.”
„Die Aufschrift auf dem Päckchen war zu erkennen”, sagte ich.
Altan nickte.
„MKM SICILIANA - ich werde diese Buchstabenkombination nie vergessen, glauben Sie mir.”
„Könnten Sie sich vorstellen, dass nicht in erster Linie die Gier irgendwelcher Gangster geweckt wurde, sondern etwas anderes.”
„Was soll das gewesen sein?”
„Rachegelüste zum Beispiel. Wenn jemand mit Jörn Graumann noch eine Rechnung offen hatte und jetzt erkennt, dass dessen Stoff offenbar aus der Versenkung aufgetaucht ist, wäre das ja auch ein Anlass, Graumanns Spur wieder aufzunehmen”, war Rudi ein.
„Mit Jörn Graumann hatten sehr viele Leute Rechnungen offen”, meinte Altan. „Seine Vorgehensweise war brutal. Der hat es nicht umsonst innerhalb kürzester Zeit von ganz unten in die erste Reihe des organisierten Verbrechens von Frankfurt geschafft. Dazu gehört schon einiges an Skrupellosigkeit.” Altan atmete tief durch. „Aber ich nehme an, da erzähle ich Ihnen ja nichts Neues. Sie kennen sich ja sicher aus.”
„Den größten Schaden hat er mit sicher Mario Ferrante zugefügt”, meinte ich.
„Weil er ihn mit dem verlängerten Stoff ins offene Messer rennen ließ und als Betrüger dastehen ließ?”
„Genau.
„Aber Ferrante ist tot. Ansonsten hätten Sie recht.”
„Er war verheiratet, hatte Familie.“
„Ich denke, seine Witwe ist gut versorgt”, sagte Altan. „Wenn Sie denken, dass da jemand noch eine Rechnung mit Jörn Graumann offen hat und vielleicht dachte, dass Dietrich Bäumer die erste vielversprechende Spur seit Jahren sein könnte, dann sollten sie sich mal ein paar andere Leute gründlich vornehmen.“
„An wen dachten Sie da?“
„In erster Linie an alle diejenigen, die damals in den Knast gewandert sind, als wir zugeschlagen haben. Denen muss doch klar gewesen sein, dass Graumann sie sehenden Auges in die Falle tappen ließ, während er sich selbst in Sicherheit brachte.“
„Scheint eine Verhaltensweise zu sein, die in Graumanns Charakter verankert ist”, meinte ich.
„Die meisten der Personen, die damals einkassiert wurden, dürften immer noch im Knast sitzen”, meinte Rudi.
„Was nicht heißt, dass sie von dort aus keinen Schaden anrichten könnten?”, meinte Altan. „Wäre nicht das erste Mal, dass Mordaufträge aus der Zelle kommen. So sicher ist kein Gefängnis. Und davon abgesehen ist mindestens einer inzwischen frei.”
„So?”
„Ringo Olbrecht. Der hat damals alles für Graumann getan. War so was wie sein bester Gefolgsmann und ich könnte mir denken, dass er besonders sauer ist.”
„Woher wissen Sie, dass Olbrecht auf freiem Fuß ist?”, fragte ich.
„Ich … verfolge die Dinge eben”, sagte Altan. „Und ich habe nach wie vor beste Kontakte zu ehemaligen Kollegen, die noch im Dienst sind. Man redet miteinander und hört so einiges.”
„Verstehe …”
„Wenn Sie keine weiteren Fragen haben …”
„Doch, die hätten wir”, meinte Rudi. Mir fiel auf, dass Altan nervös auf die Uhr sah. Vielleicht hatte er noch irgendetwas vor. Jedenfalls wirkte er angespannt.
„Bitte, dann fragen Sie, Herr Meier!” Altan fixierte Rudi mit seinem Blick.
„Wir gehen davon aus, dass die Kokain-Päckchen, die in mehreren Stränden gespült wurden, von einer havarierten Yacht stammen, die einen Tag zuvor den Hafen von Den Haag verlassen hat.”
„Klingt tatsächlich so, als hätte da jemand seinen Schatz in Sicherheit bringen wollen.”
„Die Yacht gehört einem gewissen Georg Raimund. Haben Sie den Namen schonmal gehört?”
„Nein. Jedenfalls ist das niemand, der damals in Frankfurt zu der einschlägigen Szene gehörte.”
„Es gibt Hinweise, dass die Yacht gesprengt wurde.”
Altan hob die Augenbrauen.
„Dann hat es diesem Raimund offenbar jemand nicht gegönnt, dass er mit einer Ladung Drogen in irgendein mediterranes Sonnenparadies fährt!”
„Es wäre für uns wichtig zu erfahren, wer alles davon wusste, dass es da noch einen großen Kokain-Schatz gab, Herr Altan.”
„So was macht doch die Runde, Herr Kubinke. Das ist wie eine moderne Schatzsucher-Legende für Drogendealer. Und ich wette, schon kurz nach den Ereignissen wäre es völlig unmöglich gewesen, herauszufinden, was Realität war und was die Leute hinzu fantasiert haben, die die Sache weitererzählten.”
Ich gab Altan meine Karte.
„Falls Ihnen noch irgendetwas einfällt, was unsere Arbeit unterstützen könnte …”
„… werde ich Sie unverzüglich kontaktieren”, versprach Altan. „Ich kenne das Geschäft, Herr Kubinke. Und mir ist sehr wohl bewusst, dass man als Ermittler keine Chance hat, wenn man ohne Unterstützung dasteht.”
10
„Hast du mir irgendwas zu sagen, Daniel?”, fragte Piper, während er beobachtete, wie sein Partner in der Detektei damit beschäftigt war, seine Waffe zu reinigen.
„Keine Ahnung, wovon du sprichst”, sagte Daniel Altan.
„Also ich hatte noch nie Besuch von zwei BKA-Beamten. Und wenn du in etwas verwickelt bist, muss ich das wissen. Auch im wohlverstandenen Interesse unserer Kunden.”
„Es geht um einen alten Fall. Weder du noch die Agentur haben damit irgendetwas zu tun. Und ich auch nicht mehr.”
„Das freut mich zu hören.”
Daniel Altan sah auf.
„Du musst ein paar Tage hier allein klarkommen”, meinte er dann. „Ich brauche mal eine Auszeit.”
„Auszeit, was soll das denn heißen?”
„Wir haben den letzten Fall erfolgreich abgeschlossen. Die Präsentation der Ergebnisse für unseren Kunden wirst du sicher allein hinkriegen …”
„Ja, schon, aber …”
„Bevor wir uns an das Sicherheitskonzept für die Supermärkte machen, bin ich wieder an Bord. Aber bis dahin werden ohnehin noch einige Entscheidungen getroffen werden müssen und wie ich diesen Klienten kenne, wird sich das noch länger hinziehen, als uns beiden lieb ist.”
„Moment mal! Du wirst mir schon etwas mehr zu deiner sogenannten Auszeit sagen müssen”, meinte Piper. „So einfach kannst du mich nicht abspeisen.”
„Was erwartest du?”
„Ich will wissen, was dahinter steckt, Daniel.”
„Nichts, was dich beschäftigen muss, Erkan!”
„Ach komm schon, da tauchen diese beiden Kriminalinspektoren auf, befragen dich zu einem Uralt-Fall, und du willst plötzlich für eine Weile verschwinden - und ich soll das einfach hinnehmen und mich nicht wundern? Mal davon abgesehen, dass ich dann mit einem nicht gerade einfachen Klienten bei der Ergebnisbesprechung allein dastehe.”
„Du bist der geborene Diplomat, Erkan!”
„Ernsthaft: So einfach kommst du aus der Sache nicht raus, Daniel.”
Daniel Altan atmete tief durch. Er wechselte einen Blick mit Piper. Für einen Moment schien er noch abzuwägen, ob es nicht doch eine Möglichkeit gab, das Thema einfach zu beenden. Aber Piper kannte ihn zu gut. Die beiden arbeiteten schon so viele Jahre so eng zusammen, dass jeder mitunter die Gedanken des anderen lesen konnte. Zumindest konnte man hin und wieder den Eindruck gewinnen.
„Okay”, sagte Daniel Altan schließlich. „Es ist was Medizinisches.”
„Bist du krank?”
„Ich lass mich durchchecken und es werden ein paar Tests gemacht. Nicht hier in der Gegend, weil ich den hiesigen Kliniken nicht traue, was die Datensicherheit angeht.”
„Ist es etwas, worüber ich mir Sorgen machen muss?”
„Nein, nur Routine. Aber es dauert ein paar Tage.”
Erkan Piper verengte die Augen. Eine Falte erschien auf seiner Stirn.
„Okay”, sagte er. Aber es klang nicht so, als wäre er mit dieser Auskunft wirklich zufrieden.
11
Es war bereits nach Mitternacht. Aber unser Kollege Dr. Friedrich G. Förnheim wollte uns unbedingt noch den jetzt vollständig vorliegenden Bericht zu der Yacht-Havarie in der Nordsee erläutern. Und wenn den Naturwissenschaftler mal etwas gepackt hatte, dann kannte er keinen Feierabend.
Also waren wir noch am Abend nach Berlin geflogen und dann nach Quardenburg gefahren, um uns die neuen Erkenntnisse im Einzelnen erläutern zu lassen. Da wir am nächsten Tag nach Frankfurt fahren wollten, war es sicher nicht schlecht, wenn wir vorher über alles, was mit der Yacht und ihrer mysteriösen Havarie zusammenhing, eingehend informiert waren.
Außer Friedrich war auch Dr. Lin-Tai Gansenbrink anwesend, die die Mathematikerin und IT-Spezialistin des Ermittlungsteam Erkennungsdiensts. Ohne ihre Hilfe wäre es wahrscheinlich kaum möglich gewesen, aus der Vielzahl von inzwischen vorliegenden Daten ein einigermaßen stimmiges Gesamtbild zu erstellen.
Zum wiederholten Mal spielte uns Lin-Tai ihre Simulation auf einem großen Flachbildschirm vor. Man konnte den Weg der Yacht von Den Haag aus Richtung Sylt verfolgen - bis zu ihrer Havarie.
„Sehen Sie, wie die vorhandenen Strömungen in Kombinationen mit den Wetterbedingungen mit einer hohen Wahrscheinlichkeit dafür sorgten, dass die Kokain-Päckchen genau an den Küstenabschnitten an Land gespült wurden, wo sie auch tatsächlich gefunden wurden”, fuhr Lin-Tai fort. „Die Tatsache, dass ein Teil der Päckchen offenbar Luftblasen enthielt, hat die Berechnungen natürlich verkompliziert.”
„Die Strömungsanalyse an sich stammt in ihrer Rohversion von der Marine”, sagte jetzt Friedrich. „Wir haben sie nur unter kriminaltechnischen Aspekten aufbereitet.”
„Ich verstehe”, sagte ich, obwohl das im Grunde genommen reichlich übertrieben war.
„Dass die Päckchen mit der Aufschrift MKM SICILIANA von dieser besagten Yacht stammen, dürfte erwiesen sein. Die Wahrscheinlichkeit, dass es nicht so sein könnte, spielt allenfalls noch für Zeitgenossen eine Rolle, die ein übertrieben detailversessenes Interesse an mathematischen Problemen haben.” Friedrich rieb sich das Kinn und fuhr dann fort: „Interessanter ist die Frage, was für eine Yacht das war und wem sie gehörte.”
„Allerdings!”, gab ich zu. xxx
„Zunächst mal ist die Yacht in Hamburg unter dem Namen RYSUM I registriert worden. Der Besitzer ist ein Georg Raimund. Er hat das Boot vor zwei Monaten erworben und auch den Liegeplatz im Yachthafen übernommen.” Friedrich wandte sich an Lin-Tai. „Vielleicht zeigen Sie unseren Kriminalinspektoren mal eine Abbildung.”
„Kein Problem”, sagte Lin-Tai.
Sie ließ ihre Finger über eine Computertastatur gleiten. Wenig später öffnete sich auf dem Großbildschirm ein Fenster, und wir sahen eine typgleiche Abbildung.
„Für uns war die Frage von Interesse, ob die RYSUM I genug Laderaum hatte, um das gesamte, noch fehlende Kokain aus der betreffenden Lieferung zu laden.”
„Und?”, hakte ich nach.
„Der Stauraum reicht aus. Zumindest, wenn man nicht allzu viel anderes mitnimmt”, sagte Friedrich. „Wie Sie sehen, handelt es sich um eine Yacht, die sowohl gesegelt, als auch mit einem Motor betrieben werden kann. Und sie verfügt über Navigationshilfen mit GPS-Funktion. Und genau das ist der springende Punkt.”
„Diese Navigationshilfen gibt es inzwischen auf vielen Wasserfahrzeugen - und sie sind in der Regel ausgesprochen schlecht gesichert”, mischte sich Lin-Tai ein. „Ein Kinderspiel, sie zu hacken. Theoretisch ist es für Hacker möglich, die Kontrolle über die Steuerung zu übernehmen und wieso es nicht viel öfter vorkommt, dass Gangster einfach einen großen Frachter mit wertvoller Ladung an einem völlig falschen Ort ankommen lassen, um ihn dann in aller Ruhe auszuräumen, weiß ich ehrlich gesagt nicht.”
„Nun, die Erklärung dafür ist ganz einfach”, erklärte Friedrich G. Förnheim, und der unverkennbar hamburgische Akzent ließ ihn dabei leicht überheblich wirken. „Erstens ist eine stabile Datenverbindung auf See nicht immer gegeben, und zweitens würden sich Seeleute niemals nur auf den Datenstrom einer Navigationshilfe verlassen. Normalerweise ist jeder Skipper in der Lage, auch anhand konventioneller seemännischer Hilfsmittel den Kurs zu halten. Auch aus diesen Gründen wird der Datensicherheit bislang keine Priorität zugemessen, wie sie bei Autos, Handys und Computern inzwischen selbstverständlich ist. Der springende Punkt ist: Über die Datenverbindung der Navigationshilfe ließe sich auch ein zuvor angebrachter Sprengsatz zünden.”
„Voraussetzung ist natürlich, dass zum Zeitpunkt der Signalübertragung eine stabile Verbindung besteht”, meinte Lin-Tai.
Friedrich hob die Augenbrauen.
„Und genau das war der Fall”, stellte er nicht ohne Triumph fest.
„Wie die Einwahlprotokolle des verwendeten Satelliten zeigen”, erklärte Lin-Tai. „Wir wissen, wann die Verbindung bestand - und wann sie urplötzlich und ohne einen technischen Grund abriss.”
„Das wird dann wohl der Zeitpunkt der Explosion gewesen sein”, stellte ich fest.
„So ist es”, bestätigte Lin-Tai. „Ich hätte natürlich gerne den entsprechenden Steuerbefehl und und die in das System eingeschleuste Schadsoftware isoliert - aber das wird wohl selbst nicht mehr möglich ein, wenn die Taucher der Marine doch noch weitere Teile des Wracks finden sollten.”
„Es ist nicht anzunehmen, dass irgendein Speichermedium diese Explosion überlebt hat”, ergänzte Friedrich.
„Was wir allerdings haben, ist der Ausgangspunkt eines Signals, dass kurz vor dem ermittelten Zeitpunkt der Explosion die RYSUM I via Satellit erreicht haben muss.”
Ich atmete tief durch.
„Ich nehme an, das kam irgendwo aus Frankfurt”, schloss ich.
„Exakt”, bestätigte Lin-Tai.
Einige Augenblicke herrschte Schweigen. Ich trank meinen Kaffee aus. Er war inzwischen kalt geworden und schmeckte nicht mehr.
„Wer arbeitet so?”, fragte unterdessen Rudi.
„Es gibt einen bislang unbekannten Profi-Killer, auf den die Kombination aus Sprengstoffeinsatz und Zündung mithilfe von Online-Zugängen kennzeichnend ist”, sagte Friedrich.
Lin-Tai ließ auf einem kleinen Bildschirm ein BKA-Fahndungs-Datenblatt erscheinen.
„Ein Kollege aus Frankfurt scheint einen besonderen Sinn für Humor zu haben, und ein Dossier unter dem fiktiven Namen Johannes Maria Killer angelegt. Natürlich gibt es bislang keinerlei Informationen dazu, wer diese Person ist. Es könnte ein Mann, eine Frau oder was auch immer sein”, meinte Friedrich und hielt kurz inne. „Tatsache ist, dass möglicherweise mehrere Morde durch Autobomben, eine durch ein havariertes Privatflugzeug und einer durch eine gesunkene Yacht auf der Nordsee auf das Konto dieses Unbekannten gehen.”
„Immer dieselbe Vorgehensweise?”, hakte ich nach.
„Vorsicht, das kann sein, ist aber nicht zwingend”, sagte Friedrich. „Es gibt zwischen diesen Fällen einige Übereinstimmungen: Die Verwendung von Sprengstoff in Verbindung mit der Ausnutzung der jeweils vorhandenen Datenzugänge von Fahrzeugen, Booten oder Flugzeugen zur Zündung. Und es gibt eine Übereinstimmung, was die Opfer angeht.”
„Inwiefern?”, fragte ich.
„Sie sehen alle in einem mehr oder weniger engen Zusammenhang zum organisierten Verbrechen in Frankfurt.”
„Wobei man sagen sollte, dass diese Verbindung in einigen Fällen nur sehr vage ist”, mischte sich Lin-Tai ein. „Und die Annahme, dass all diese Taten vom selben Profi-Killer ausgeführt wurden, dessen Auftraggeber mutmaßlich zum organisierten Verbrechen in Frankfurt gehören, ist zwar auch unter mathematischen Gesichtspunkten durchaus wahrscheinlich …”
„Das klingt, als würde da noch ein Aber kommen”, sagte ich, als Lin-Tai stockte und aus irgendeinem Grund nicht weitersprach. Ihre Augen verengten sich. Sie hatte auf dem Schirm irgendeine Einzelheit entdeckt, die ihre Gedanken wohl im Moment etwas ablenkten. Sie sah mich an.
„Es besteht auch die Möglichkeit einer Scheinrelation, Harry. Wir haben nämlich letztlich keinen einzigen Beweis dafür, dass diese Taten tatsächlich von unserem mysteriösen und bislang höchst hypothetischen Johannes Maria Killer begangen wurden. Weder war es möglich, Schadsoftware zu isolieren, noch haben wir Sprengstoff. Von den mutmaßlich auslösenden Signalen wissen wir nur, dass es sie gegeben haben muss. Aber nichts davon hinterlässt etwas, das auch nur annähernd mit einem Fingerabdruck oder einer DNA-Spur vergleichbar wäre.”
„Kommen wir zu diesem Georg Raimund”, sagte ich. „Konnten Sie etwas über ihn herausfinden?”
„Außer, dass es sich höchstwahrscheinlich um eine Fake-Identität handelt? Nein. Aber dafür habe ich etwas anderes.”
„Was?”
„Eine Person, die eine echte Identität besitzt und sehr wahrscheinlich mit an Bord war.”
„Um wen handelt es sich?”
„Um eine gewisse Katrina Niermann”, sagte Frau Gansenbrink und ließ auf einem anderen Bildschirm ein Polizei-Dossier erschienen. „Und wie Sie an dem Dossier sehen können, ist sie kein unbeschriebenes Blatt. Verurteilungen wegen Drogenbesitz und Diebstahl. Und - sie war Stripperin einem Club, der früher unter der Kontrolle von Mario Ferrante stand.”
„Da ergibt sich dann schon mal ein Zusammenhang”, meinte Rudi.
„Sie wollen gar nicht wissen, wie ich herausgefunden habe, dass diese Lady sehr wahrscheinlich mit an Bord war?”, wunderte sich Lin-Tai. „Es ist immer dasselbe. Für die ästhetische Schönheit reiner mathematischer Erkenntnis und perfekter Logik hat heute niemand mehr einen Sinn. Es geht immer nur um das Ergebnis.”
„Könnte daran liegen, dass uns die andere Seite in der Regel ein paar Schritte voraus ist und wir kaum Zeit haben, umso etwas wirklich zu genießen”, sagte ich.
Lin-Tai Gansenbrink hob die Augenbrauen. Sie schien sich nicht ganz sicher zu sein, ob ich das vielleicht ironisch oder sarkastisch gemeint hatte. In diesem Punkt war sie des Öfteren ziemlich unsicher. Vermutlich, weil es keinerlei algorithmische Unterstützung gab, umso etwas beurteilen zu können.
„Nun sagen Sie es schon, wie haben Sie es herausbekommen, Lin-Tai?”, fragte ich.
„Durch eine algorithmisch unterstützte Suche in verschiedenen sozialen Netzwerken bin ich auf diese Katrina gestoßen. Sie hat dort in einer geschlossenen Gruppe gepostet, dass sie die nächsten Tage auf einer Yacht mit der Bezeichnung RYSUM I verbringen würde und mit ihrem Freund in einem im Moment wohl ziemlich angesagten Laden auf Sylt Schuhe kaufen wollte. Na ja, und so viele Yachten mit dem Namen RYSUM I gibt es nicht - schon gar nicht im Hafen von Den Haag.”
„Dann war das Ziel der Reise Sylt?”, hakte Rudi nach.
„Das sieht so aus, ja.”
„Ich hätte vermutet, dass dieser Herr Raimund versuchte, das Rauschgift auf die Insel zu bringen”, meinte Rudi.
„Vielleicht hatte er einen Kunden auf Sylt, der bereit war, einen großen Deal zu machen”, vermutete ich. Ich zuckte mit den Schultern. „Wäre doch möglich.”
„Dann sollten wir die Kollegen in Kiel kontaktieren. Möglicherweise gibt es dort ja schon Erkenntnisse, die mit dieser Geschichte zusammenpassen”, schlug Rudi vor.
Friedrich G. Förnheim sah auf die Uhr an seinem Handgelenk.
„Es ist spät. Ein paar Stunden Schlaf sollten wir uns alle gönnen …”
Ich wandte mich an den Naturwissenschaftler.
„Was ist eigentlich mit Billy?”, fragte ich.
„Billy?”, echote Friedrich.
„Das ist der Name des Hundes, den Dietrich Bäumer hinterlassen hat”, sagte ich.
„Der Hund ist noch hier”, sagte Friedrich. „Er wird die nächsten Tage hier in der Bundesakademie verbringen, damit weitere Untersuchungen an ihm durchgeführt werden können. Dass wir lebende Tiere als Beweismittel haben, kommt übrigens gar nicht so selten vor.”
„Sie können noch nichts sagen?”, fragte ich. „Laut Aussage von Bäumers Tochter hätte das Tier niemanden an ihren Vater herangelassen, aber es gelang dem oder den Tätern, die Bäumer entführt und misshandelt haben, den Hund auf irgendeine Weise auszuschalten, abzulenken - was auch immer.”
„Er wurde höchstwahrscheinlich betäubt”, sagte Friedrich.
Ich glaubte im ersten Moment mich verhört zu haben.
„Das sagen Sie jetzt einfach so in aller Seelenruhe in einer Nebenbemerkung?”
„Es ist noch nicht sicher. Der Veterinär, den wir hier an der Bundesakademie haben, muss noch ein paar Untersuchungen durchführen und meine Tests im Labor sind auch noch nicht abgeschlossen. Ich kann Ihnen also nichts dazu sagen, welche Substanz verwendet wurde und …”
„FGF!”, unterbrach ich ihn.
Friedrich atmete tief durch.
„Der Hund hat eine kleine Verletzung an der Seite. Die ist kaum zu sehen, obwohl sie sich etwas entzündet hat. Gina Bäumer, die das Tier herbrachte, war das auch schon aufgefallen. Sie vermutete den Befall durch einen Parasiten. Ihrer Aussage nach hatte der Bauer, dem der Hund zugelaufen ist, dieselbe Vermutung gehabt. Aber ich glaube, dass es sich um das Injektionsprojektil einer Waffe handelt, wie sie zum Betäuben von wilden Tieren verwendet wird. Beweisen kann ich das erst, wenn ich weiß, welche Chemikalie verwendet wurde. Und da das Ganze schon etwas her ist, ist der Nachweis jetzt sehr schwierig. Aber in Haaren und Urin lassen sich solche Betäubungsmittel auch in geringer Konzentration noch eine ganze Weile nachweisen, auch wenn die Analysemethoden aufwändig und zeitraubend sind. Da ich aber weiß, wonach ich suchen muss, bin ich insgesamt sehr zuversichtlich.”
12
Auch wenn Friedrich noch letzte Zweifel ausräumen wollte, so machte die Annahme, dass der Hund betäubt worden war, durchaus Sinn. Und er gab uns ein paar neue Rätsel auf, an denen wir zu knabbern hatten.
Rudi und ich waren hundemüde, als wir uns auf dem Rückweg nach Berlin befanden. Aber die bohrenden Fragen, die sich jetzt ergaben, hielten uns wach.
„Dietrich Bäumer geht also mit seinem Hund spazieren”, fasste Rudi zum wiederholten Mal das mutmaßliche Geschehen zusammen. „Jemand lauert irgendwo an dem Weg, den er zu gehen pflegte, betäubt den Hund mit einem Schuss aus einem Betäubungsgewehr und … Tja, was dann?”
„Bäumer ist vermutlich nicht betäubt worden”, stellte ich fest.
Unser Gerichtsmediziner Dr. Gerold M. Wildenbacher hatte zwar nach Friedrichs Angaben zugesagt, die gerichtsmedizinischen Befunde noch einmal unter diesem Aspekt zu überprüfen, aber es war nicht anzunehmen, dass dadurch ein anderes Ergebnis zustande kam. Wildenbacher hatte die Befunde des ursprünglich mit der Sektion betrauten Pathologen ohnehin schon eingehend geprüft. Da schien tatsächlich nichts übersehen worden zu sein. Und die Wunde einer verschossenen Injektionsnadel sowieso nicht! Im Gegensatz zu Hunden besaßen Menschen schließlich kein Fell. Der unweigerlich auftretende Bluterguss wäre sofort aufgefallen.
„Vielleicht findet Gerold ja doch noch irgendetwas, das auch näheren Aufschluss über den eigentlichen Tathergang geben kann”, meinte Rudi. „Ich meine, wenn ich mir die Situation einfach konkret vorstelle ...“
„Die entscheidende Frage ist doch: Wieso hat der Unbekannte den Hund nicht einfach erschossen?”, fragte ich. „Warum macht er sich die Mühe, ihn zu betäuben?”
„Vielleicht ist er selbst Hundeliebhaber und einfach etwas sentimental?”
„Trotzdem! Da entführt, foltert und ermordet jemand einen Mann, weil er offenbar glaubt, dass der weiß, wo sich noch mehr von dem Kokain befinden könnte, aber bei dem Hund hat er offenbar Skrupel.”
„Es gibt Veganer, die in Tränen ausbrechen, wenn jemand ein Steak isst und die mehr Mitleid mit einem Schwein als mit einem Obdachlosen haben, Harry. Das ist nicht immer logisch!”
„Trotzdem, diesen Aspekt müssen wir im Hinterkopf behalten. Irgendwas passt da auch noch nicht so richtig zusammen.”
„Würde es besser passen, wenn wir annehmen, dass dieser Unbekannte Dietrich Bäumer vielleicht gar nicht töten sollte?”
„Du meinst, er war einfach nur ein schlechter Folterer?”
„So kann man es auch ausdrücken.”
„Gerold soll man überprüfen, ob man die Befunde in diese Richtung interpretieren könnte”, schlug ich vor, denn ich fand tatsächlich, dass diese Variante sehr viel mehr Sinn ergab.
„Ein Killer, der Mitleid mit Hunden hat. Was wissen wir noch über ihn?”, fragte Rudi.
„Der Unbekannte muss allein gewesen sein”, schloss ich. „Ich glaube nicht, dass er einen Helfer hatte.”
„Wie kommst du darauf?”
„Betäubungswaffen sind in der Regel einschüssig. Der Unbekannte schaltet den Hund aus, kann danach aber unmöglich schnell genug nachladen, um auch noch Dietrich Bäumer auf diese Weise zu betäuben.”
„Die gerichtsmedizinischen Befunde lassen auch nichts in dieser Richtung vermuten, Harry”, gab Rudi zu bedenken.
„Der Unbekannte könnte Bäumer mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen haben, sich in einen Wagen zu begeben”, sagte ich. „Wenn der Unbekannte einen Komplizen gehabt hätte, wäre es viel leichter gewesen, Bäumer auch zu betäuben. Zu zweit kann man einen reglosen Körper wegschaffen, wenn man allein ist, ist man darauf angewiesen, dass der Entführte selbst läuft. Vielleicht hat er sogar den Wagen steuern müssen, mit dem er weggebracht wurde.”
„Alles mehr oder minder Spekulationen, Harry!”
„Tja…”
„Ist so.”
„Wenn du das sagst.”
„Es fügt sich eben noch nicht alles so richtig zusammen.”
„Kommt mit der Zeit.”
„Ja.”
„Anscheinend sind wir hier alle optimisten.”
„Sollten wir etwas anderes sein?”
„Wir werden uns in nächster Zeit nach Büsum begeben müssen”, sagte ich. „Bislang kennen wir nicht einmal den genauen Tatort. Wie will man da Spuren finden?”
„Ich nehme an, die örtliche Polizei werden hellauf begeistert sein, wenn wir da auftauchen, Harry!”
„Darauf pfeif ich, Rudi.”
Rudi zuckte mit den Schultern. „Na ja, morgen sind wir ja erst einmal in Frankfurt.”
13
Ringo Olbrecht steckte sorgfältig eine Patrone nach der anderen in die Waffe. Dann lud er die Waffe durch und ließ sie im Holster verschwinden. Er setzte die Schutzbrille auf und nahm sich einen Ohrenschutz. Anschließend betrat er den Schießstand.
Ein hagerer Mann mit kantigen Gesichtszügen und sehr breit wirkendem Kinn stand dort und feuerte. Das Gesicht wirkte regungslos. Der Schütze war hochkonzentriert - und sehr gut.
„Das muss der Neid dir lassen, Mark”, sagte Ringo Olbrecht. „So schnell kommt an dich wohl keiner heran.”
Der hagere Mann, den Ringo Olbrecht mit dem Namen Mark angeredet hatte, drehte sich um und runzelte die Stirn. Seine Augen verengten sich. Der Blick verriet Überraschung.
„Was willst du, Ringo?”
„Ich habe da so ein paar Gerüchte gehört, Mark.”
„Es wird viel erzählt.”
„Ich hatte immer das Gefühl, dass ich Jahre im Knast verbracht habe, weil sich jemand anderes sehr elegant aus der Affäre gezogen hat.”
„Das ist alles lange her, Ringo. Und ich wüsste auch nicht, dass ich etwas damit zu tun hätte.”