5 Bewegende Bergromane im Bundle Juli 2024 - Alfred Bekker - E-Book

5 Bewegende Bergromane im Bundle Juli 2024 E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Romane: Mein Erbe muss der Beste sein (Anna Martach) Ein großer Sprung zur Liebe (Ana Martach) Das Herz der jungen Bäuerin (Sandy Palmer) Die Tochter des Einsiedlers (Alfred Bekker) Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich (Anna Martach) Ferdinand Sendlinger, Besitzer mehrerer Gutshöfe, muss sich nach einem Herzanfall ernsthafte Gedanken über sein Erbe machen und überlegen, welches seiner vier Kinder der Haupterbe werden soll. Doch bis eine Entscheidung getroffen ist, warten noch so einige Überraschungen auf ihn...

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Anna Martach, Sandy Palmer, Alfred Bekker

5 Bewegende Bergromane im Bundle Juli 2024

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Inhaltsverzeichnis

5 Bewegende Bergromane im Bundle Juli 2024

Copyright

Mein Erbe muss der Beste sein

Ein großer Sprung zur Liebe

Das Herz der jungen Bäuerin

Die Tochter des Einsiedlers

Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich

5 Bewegende Bergromane im Bundle Juli 2024

Anna Martach, Sandy Palmer, Alfred Bekker

Dieser Band enthält folgende Romane:

Mein Erbe muss der Beste sein (Anna Martach)

Ein großer Sprung zur Liebe (Ana Martach)

Das Herz der jungen Bäuerin (Sandy Palmer)

Die Tochter des Einsiedlers (Alfred Bekker)

Wir lassen unsere Kirche nicht im Stich (Anna Martach)

Ferdinand Sendlinger, Besitzer mehrerer Gutshöfe, muss sich nach einem Herzanfall ernsthafte Gedanken über sein Erbe machen und überlegen, welches seiner vier Kinder der Haupterbe werden soll. Doch bis eine Entscheidung getroffen ist, warten noch so einige Überraschungen auf ihn...

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Bathranor Books, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

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© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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Mein Erbe muss der Beste sein

Anna Martach

von Anna Martach

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© der Digitalausgabe 2015 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

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Der Umfang dieses E-Book entspricht 106 Taschenbuchseiten.

Ferdinand Sendlinger, Besitzer mehrerer Gutshöfe, muss sich nach einem Herzanfall ernsthafte Gedanken über sein Erbe machen und überlegen, welches seiner vier Kinder der Haupterbe werden soll. Doch bis eine Entscheidung getroffen ist, warten noch so einige Überraschungen auf ihn...

1

„Guten Morgen, Großvater.“ Die 11-jährige Klara, ein bildhübsches Madl mit leuchtend goldblonden Haaren und strahlenden blauen Augen, sprang von ihrem Platz am Frühstückstisch auf und lief dem älteren Mann entgegen, der gerade zur Tür hereinkam.

Die missmutige Miene von Ferdinand Sendlinger hellte sich schlagartig auf, als er seine Enkelin erblickte. Dieses Kind war sein Ein und Alles, sein Sonnenschein, und auch vermutlich der einzige Mensch, der allein mit einem Lächeln aus dem Patriarchen des Sendlinger-Gutes einen fröhlich lächelnden Mann machen konnte. Er umarmte Klara und gab ihr einen Kuss auf die Stirn, während sein Blick den Tisch streifte, an dem noch ein Mann saß und sich das Frühstück schmecken ließ.

Michael Sendlinger, der zweitälteste Sohn und hier auf dem Gut für die Abteilung Landwirtschaft verantwortlich, schaute nur kurz auf, nickte seinem Vater zu und vertiefte sich gleich wieder in eine Fachzeitschrift.

„Hast dein Tagwerk heuer schon getan, dass du hier herinnen sitzen kannst?“, fragte Ferdinand.

„Ich hab‘ mich entschlossen, die Felder heuer net mit Pflanzenschutzmittel zu sprühen“, kam seine Antwort.

„Ach, und warum net? Was ist denn das wieder für ein Schmarrn? Tust ja grad so, als wär‘s das normalste von der Welt, wenn die Wildkräuter und der Befall durch Milben und sonst noch was unsere Feldfrucht verderben. Dieses Saatgut ist nun mal so gezüchtet, dass es wenigstens einmal gespritzt werden muss. Oder tät‘s einen besonderen Grund dafür geben, dass du vielleicht keine Lust hast?“ Die Stimme des 64-jährigen war lauter geworden, und er griff sich unbewusst an die Brust.

„Ich will doch nur schon mal den Versuch machen, dass wir auf ökologische Landwirtschaft umstellen, und da wird nun mal net gespritzt“, verteidigte sich Michael, doch er merkte selbst, wie lahm seine Ausrede klang. Dieses Thema hatten er und sein Vater nun schon oft genug erörtert, und der alte Herr war einfach dagegen, basta. Auf den Feldern, die zum Sendlinger-Anwesen gehörten, wurde ohnehin nur das nötigste an Chemie eingesetzt, niemand konnte behaupten, es wäre nicht schon fast ökologische Landschaft. Aber eben nur fast. Doch das, was den alten Herrn am meisten an der Situation ärgerte, war die Tatsache, dass Michael sich mit einigen Leuten eingelassen hatte, die ihm ständig etwas aufschwatzten, was seltsamerweise eine ziemliche Menge Geld kostete. Das passte nach Ansicht von Ferdinand einfach nicht zusammen. Michael verteidigte sich jedoch ständig damit, dass man erst einmal was investieren müsste, um dann mit sauberen Produkten den Markt zu erobern.

Ferdinand schaute seinen Sohn grimmig an. „Noch hab ich das Sagen. Und ich sag, dass einmal gespritzt werden muss, sonst ist der Ausfall für uns groß. Kannst dir ja gern selbst irgendwo ein Stück Land pachten und nach Gutdünken damit verfahren – du und deine Freunde, die von Ackerbau und Viehzucht so viel Ahnung haben wie ein Hengst vom Kalben. Aber net auf meinem Grund und Boden, wenn das net vorher abgesprochen ist und das entsprechende Saatgut eingebracht wird.“

Michael wusste, wann er nachgeben musste, um nicht einen lauten Streit heraufzubeschwören. Er senkte den Kopf.

„Ja, Vater“, sagte er leise.

Ferdinand setzte sich auf seinen Platz und griff nach einer frischen Semmel. Klara zupfte ihn am Ärmel.

„Musst schon früh am Morgen so grantig sein?“, fragte sie sanft.

Er strich dem Kind über den Kopf. „Hast ja recht, mein Engel, ich sollt‘ mich net aufregen. Und wahrscheinlich hat‘s der Michael auch nur gut gemeint, aber halt eben net recht gemacht.“ Er schaute zu seinem Sohn hinüber, der verbissen weiter in die Zeitung starrte. Michael war gelernter Landwirt, und seine Aufgaben kannte er recht gut von hinten bis vorne. Seiner Meinung nach hätte der Vater ihm längst das Anwesen übergeben sollen. Er war doch kein Dummkopf. Was war denn schon so schlimm daran das Gut in einen Bio-Hof umzuwandeln? So groß war der Schritt doch gar nicht mehr, denn Ferdinand dachte bei allem daran, dass die Qualität der Produkte über dem Normalen lag. Das war dennoch immer wieder ein Reibungspunkt zwischen den beiden Mannsbildern. Oft genug musste die kleine Klara diese Auseinandersetzungen miterleben.

Das Kind, die Tochter der viel zu früh bei einem Unfall verstorbenen Tochter Sabine, war für den Sendlinger jeden Tag aufs Neue ein Lichtblick. Obwohl Ferdinand bis heute den Vater des Kindes nicht kannte, sah er in Klara seine Lieblingstochter aufs Neue. Der Verlust der jungen Frau schmerzte ihn noch immer, und die Ähnlichkeit von Klara und Sabine gab dem Mann manchmal das Gefühl, seine Tochter wieder vor sich zu haben und bei der Erziehung alte Fehler vermeiden zu können. Das führte dazu, dass er ihr vielleicht zu viele Freiheiten ließ, die Klara zum Erstaunen aller jedoch nie ausnutzte. Sie war ein fröhliches liebenswertes Kind, das viel Freude verbreitete und nicht nur von Ferdinand heiß geliebt wurde.

Doch auch gegen Klara war Michael eingestellt. Vielleicht lag es daran, dass er früher stets mit Sabine im Wettstreit gelegen hatte um die Gunst des Vaters. Und nun hatte er ganz einfach verloren. Klara besaß all die Liebe und Zuneigung, die seiner Meinung nach ihm zustand, und er konnte nichts dagegen tun. So rührte er sich jetzt auch nicht bei den schon fast versöhnlichen Worten von Ferdinand. Für die Verhältnisse des Patriarchen kam das schon einem Friedensangebot gleich, doch der junge Mann wollte keinen Gebrauch davon machen. Er glaubte, er würde sich dann vor Klara eine Blöße geben.

Sendlinger bemerkte die ablehnende Haltung natürlich, machte sich aber nicht die Mühe darüber nachzudenken. Er brummte etwas in seinen Vollbart hinein und zwinkerte Klara verschmitzt zu.

Die Hauswirtschafterin Kathrin kam herein, brachte ein Glas frische Milch und eine neue Kanne Kaffee. Sie war eine füllige resolute Frau, die niemals ein Blatt vor den Mund nahm und schon so lange hier im Hause tätig war, dass sie jeden Bewohner ebenso gut wie sich selbst kannte. Ihr kritischer Blick fand ihren Chef.

„Was ist denn das hier? Früh am Morgen schon schlechte Laune verbreiten, dass man‘s draußen hören kann? So geht‘s aber net. Haben wir heut‘ denn net einen schönen sonnigen Tag? Hast nix anderes zu tun, als den Michael schon anzubrüllen? So kann das aber nix werden.“ Sie stellte die Milch und den Kaffee ab und verschränkte die Arme vor der Brust.

Kathrin war vielleicht die einzige Person, vor der Ferdinand einen gehörigen Respekt entwickelte. Sie war schließlich auch dabei gewesen, als damals seine geliebte Frau Klara gestorben war. Sie hatte seine Hand gehalten, als ihm Tränen über die Wangen gelaufen waren, und sie hatte ihm mit deutlichen Worten zu verstehen gegeben, dass das Leben mit diesem Tag nicht zu Ende war. Er trug nicht nur die Verantwortung für die beiden Buben, Friedrich und Michael, sowie für Sabine, sondern auch für die eben geborenen Zwillinge Antonius und Franziska. Er konnte und er durfte sich nicht in seinem Schmerz verstecken.

Ferdinand hatte verstanden und war Kathrin bis heute dankbar, dass sie ihm damals zur Seite gestanden hatte und das eigentlich bis heute noch tat. Und doch hatte sich der Mann seit jenem schicksalhaften Tag verändert. Verschlossen war er geworden, manchmal mürrisch und herrisch, so als wollte er das Leben dafür bestrafen, dass es ihm die geliebte Frau genommen hatte. Hier auf dem gesamten Sendlinger-Gut galt nur sein Wille. Den zwang er anderen manchmal auf, als könnte er so beweisen, dass nur der Tod seine Anweisungen zunichte machen konnte.

Außer bei Kathrin. Diese Frau war einfach etwas Besonderes.

Klara beobachtete diese kleine Szene und lachte in sich hinein. Sie verstand dieses besondere Verhältnis zwischen den beiden Erwachsenen noch nicht recht, wusste aber ziemlich genau, dass der alte Herr, wie er von vielen genannt wurde, letztendlich nachgeben würde, wenn Kathrin das so wollte.

Er brummte jetzt auch vor sich hin, verzog dann aber die Lippen zu einem Lächeln.

„Hast ja mal wieder recht, Kathrin. Ich sollt‘ öfter mal dran denken, dass net die ganze Welt sich nach meinem Kopf dreht. Tut mir leid, Michael, ich wollt‘ dich net so anfahren. Wir reden noch mal über das Thema. Ich hab‘ da nämlich eine Idee, die dir bestimmt gefallen wird.“

Eigentlich hatte Michael nur ein unbestimmtes Geräusch von sich geben wollen, doch das hier waren ja völlig neue Töne, die der alte Herr da anschlug. Und welch eine Idee mochte das sein, die auch ihm gefallen konnte?

„Ist schon recht“, sagte er also zustimmend und schaute nun endlich von seiner Zeitung auf.

Klara lachte ihm zu, und es war wirklich schwer, dieses Kind nicht zu mögen.

In den Augen von Ferdinand stand ein vergnügtes Funkeln, was Michael noch mehr irritierte. Automatisch vermutete er etwas Boshaftes. Warum sonst sollte sein Vater gute Laune haben, wenn er ihm einen Vorschlag machen wollte?

Kathrin aber wirkte zufrieden.

„Gibt‘s noch was?“, knurrte Sendlinger und schaute die treue Seele fragend an.

„Nein, ich denk‘ net. Reicht ja wohl auf für einen Morgen, oder?“

„Werd‘ ja net frech, Weib“, donnerte Ferdi nicht ganz ernst und gab ihr einen Klaps auf das Hinterteil. Sie ging hinaus, und er griff nach der normalen Tageszeitung, während Klara ihm einen Kuss auf die Wange klatschte.

„Ich muss zur Schule. Macht‘s gut, pfiat di, Großvater.“ Und schon war sie wie ein Wirbelwind verschwunden.

Eine Weile herrschte Stille im Raum. Michael wollte jetzt nicht drängen, sein Vater würde erst dann mit der neuen Idee herausrücken, wenn er selbst es wollte. Aber die Arbeit rief, er stand auf.

„Ja, da soll doch gleich dieser und jener dreinschlagen“, donnerte Sendlinger in diesem Moment. „Haben denn diese Deppen, diese hochgestochenen feinen Pinkel in ihren Sonntagsanzügen nix Besseres zu tun? Hast das schon gelesen, Bub, welche neuen Bestimmungen da nun schon wieder eingeführt werden sollen?“

„Ach, Vater, was regst dich so auf? Dagegen können wir doch sowieso nix unternehmen“, versuchte Michael zu beschwichtigen.

„Können wir net? Na, warte, da ist das letzte Wort noch net gesprochen. Ich werd‘ hingehen zu diesem Bazi, diesem feinen Herrn Abgeordneten, und dann werd‘ ich ihm schon sagen, wie wir Landwirte darüber denken. Der wird sich das net hinter den Spiegel stecken. Schau'n wird er, der Herr Grieshuber, ich ...“ Ferdinand Sendlinger brach ab, rang nach Atem, während sich seiner Kehle ein schreckliches Röcheln entrang, und griff mit beiden Händen an die Brust. Dann sackte der Kopf vornüber, Kaffeetasse und Milchglas kippten um und ergossen ihren Inhalt über den Tisch, während der Mann hilflos zuckte.

„Vater!“, schrie Michael aufgeregt und entsetzt. Er war mit zwei Schritten bei ihm, zerrte ihn vom Stuhl und riss das Hemd auf.

„Kathrin! Kathrin, komm schnell und bring den Valentin mit, und ruf den Doktor. Dem Vater geht‘s gar net gut.“

2

Ferdinand Sendlinger tauchte aus einem tiefen schwarzen Loch wieder auf. Auf seiner Brust lastete ein Zentnergewicht, das Atmen fiel ihm schwer, und er fragte sich, welch ein schrecklicher Traum das gewesen sein musste, dass er sich so zerschlagen fühlte. Er war nur selten in seinem Leben krank gewesen, und so war es für ihn etwas Schreckliches nicht Herr über sich selbst zu sein. Langsam kehrte die Erinnerung zurück.

Er hatte beim Frühstück gesessen, und dann war ein grässlicher Schmerz gekommen, der ihn innerlich förmlich zerrissen hatte. Seine Lungen hatten nach Luft geschrien, ohne dass eine Erlösung möglich schien, und das schlimmste an dem ganzen Anfall war die Todesangst gewesen.

Doktor Müller-Rath beugte sich gerade über ihn und lächelte aufmunternd, doch damit kam er bei dem Patriarchen nicht gut an. Die beiden Männer kannten sich lang genug, so dass der eine dem anderen nichts vormachen konnte.

„Lass dein Grinsen und sag mir, was da los war“, knurrte Sendlinger noch etwas mühsam.

Der Doktor wurde ernst, hier musste er nicht beschwichtigen. Er und sein Patient befanden sich allein hier im Zimmer, da musste er auch keine vorsichtigen Formulierungen wählen. Klare Worte waren angesagt.

„Dein Herz will net so ganz, wie du es von ihm verlangst. Ist aber auch kein Wunder. Jedes Mal wenn du dich aufregst und lospolterst, muss der Muskel Schwerarbeit leisten. Dazu kommt dann auch noch, dass du bestimmt zu viel arbeitest, ein bisserl viel an Gewicht hast und niemals so richtig abschalten kannst. Magst net mal ein bisserl Urlaub machen? Dein Herz täte es dir danken.“ Der alte Arzt und der Sendlinger waren schon gemeinsam zur Schule gegangen, es gab keine Geheimnisse zwischen ihnen, und offene Worte schätzten beide sehr. Diese langjährige Freundschaft brachte es auch mit sich, dass der Doktor häufiger Gast auf dem Anwesen war, obwohl Ferdinand nur selten von einer Krankheit geplagt wurde. Außerdem schätzten beide eine gute Runde Doppelkopf, die sie öfter mal in der Gaststätte beim Ochsenwirt spielten. Umso schlimmer schien es jetzt, dass Ferdinand die medizinischen Künste seines Freundes in Anspruch nehmen musste. Ausgerechnet das Herz hatte den Dienst versagt, viel schlimmer konnte es für Sendlinger nicht sein. Doch so einfach ließ er sich nicht unterkriegen.

„Schmarrn red‘st da grad. Bist jetzt fertig? Urlaub? Sowas! Hast schon mal festgestellt, ich leb‘ hier in einer Gegend, wo andere Leut‘ eine Menge Geld auf den Tisch legen, um herkommen zu dürfen, damit sie Urlaub machen. Komm mir also net damit“, knurrte er und versuchte aufzustehen.

Müller-Rath drückte ihn zurück. „So geht‘s net, alter Freund. Du darfst das net auf die leichte Schulter nehmen. Es geht net darum, dass du in eine andere Gegend fährst, sondern es ist wichtig, dass du mal ein bisserl zur Ruhe kommst und gut zu dir selbst bist. Ich kenn‘ dich lang genug, Ferdinand, und ich weiß, dass du dich für unersetzlich hältst. Bist du aber net. Ist gar niemand, da mach dir also mal nix vor.“

Sendlinger blickte seinen alten Freund misstrauisch an.

„Was willst mir also jetzt mit all dem Geschwätz sagen? Kannst net klar und deutlich reden? Wie schaut‘s aus? Muss ich sterben?“

„Das müssen wir alle mal“, brummte der Arzt. „Aber du könntest eine Menge dran tun, um zu verhindern, dass das vor der Zeit passiert. Musst dich halt ein bisserl schonen, auch bei der Arbeit. Solltest dich net über jeden Schmarrn aufregen – schon gar net über deine Kinder. Die sind nämlich net so schlimm, wie du sie hinstellen willst.“

Das war nun ausgerechnet der falsche Vorschlag, denn Ferdinand regte sich grundsätzlich über seine Kinder auf, die seiner Meinung nach alle nicht seinen Vorstellungen entsprachen.

„Da bist besser stad“, unterbrach er barsch. „Hast selbst gar keine Kinder und kannst deswegen zu diesem Thema auch net mitreden.“

„Ich lass mir doch von dir net den Mund verbieten“, gab der Doktor zurück. „Ich bin lang genug Arzt, um da mehr Erfahrungen gesammelt zu haben, als du es dir vorstellen kannst. Also, auch wenn du net auf mich hören willst, ich sag‘s dir nochmal. Weniger Aufregung, über wen auch immer, maßvolles Essen und ab und zu ein bisserl mehr Ruhe, sonst kann ich für gar nichts garantieren.“

„Eine Garantie hab ich von dir auch net verlangt, die gibt sowieso kein Doktor. Aber ich hab‘s verstanden“, trumpfte Sendlinger auf. Davon war der Doktor noch längst nicht überzeugt, doch er wusste, dass im Augenblick jedes weitere Wort überflüssig war. Er nahm sich vor, mit Kathrin darüber zu reden. Die Hauswirtschafterin mochte wohl eher in der Lage sein ein bisschen mäßigend auf den Mann einzuwirken. Er packte seine Utensilien wieder in die Tasche und spürte plötzlich den intensiven Blick des anderen Mannes.

„Sag mir die Wahrheit. Wie ernst steht es?“, forderte Ferdinand.

Johannes Müller-Rath hielt inne. „Es steht halt so ernst, wie es nach einem ersten Anfall sein kann. Es ist net lebensbedrohlich, aber falls du so weitermachst wie bisher, musst damit rechnen, dass der nächste Anfall net lang auf sich warten lässt. Und was der dann mit sich bringt, kann niemand vorher sagen. Hast das jetzt verstanden? Ich schreib dir einige Medikamente auf, die musst regelmäßig nehmen, dann kann‘s schon ein bisserl besser werden.“

Der Patriarch nickte und starrte grimmig auf die Bettdecke. „Und wie lang soll ich jetzt hier wie ein kranker Vogel im Bett bleiben?“, fragte er fast gehorsam.

„Na, ich denk‘, schon noch zwei oder drei Tage.“

Ein Kopfschütteln verriet dem Arzt, dass es bei dieser Empfehlung wohl bleiben würde. Niemand würde Sendlinger aufhalten, wenn der es sich in den Kopf setzte aufzustehen. Der Arzt ließ den Mann allein zurück, doch kaum hatte er die Tür draußen hinter sich geschlossen, kam Klara mit angstvollem Gesicht angelaufen. Sie war vor Kurzem aus der Schule gekommen, und eigentlich wäre es jetzt an der Zeit etwas zu essen und sich dann mit den Hausaufgaben zu beschäftigen. Doch kaum hatte sie das Haus betreten, als ihr auch schon jemand die schreckliche Neuigkeit mitteilte.

Bleich und mit geballten Fäusten hatte sie auf dem Fußboden vor dem Schlafzimmer des alten Herrn gesessen und darauf gewartet, dass der Doktor endlich wieder herauskam. Jetzt blickte sie Müller-Rath mit großen ängstlich geweiteten Augen entgegen, doch er strich ihr beruhigend über die leuchtend blonden Haare.

„Ist net ganz so schlimm, Klara, kannst hineingehen und mit ihm reden, aber mach‘ net so lang, der Großvater braucht noch viel Ruhe. Doch es wird ihm guttun, wenn du bei ihm bist.“

Ein zaghaftes Lächeln malte sich auf dem Gesicht des Madls, dann stürmte es in das Zimmer. Der Doktor lächelte und machte sich auf, Kathrin zu suchen und anschließend vielleicht auch mit Michael zu reden.

Etwas unwillig blickte Ferdinand auf, als die Tür sich öffnete. Hatte der Doktor noch etwas vergessen? War es denn noch nicht genug mit den Ermahnungen? Er sollte ihn doch jetzt einfach in Ruhe lassen, damit er nachdenken konnte.

Doch seine mürrische Miene hellte sich sofort auf, als er den blonden Haarschopf sah und gleich darauf von zwei kindlichen Armen umschlungen wurde.

„Großvater, ist alles in Ordnung mit dir? Ich hab ja so einen Schreck bekommen grad.“

Klara schmiegte sich an ihn, und er spürte, wie der kleine schmale Körper von einem heftigen Schluchzen geschüttelt wurde.

„He, was soll das denn hier?“, brummte er. „Da fließen doch net etwa Tränen? Für was denn, Madl? Ich bin ja schließlich net tot.“

Klara schniefte noch einmal, dann blickte sie mit großen blauen Augen auf den Großvater. „Das hab ich aber doch gedacht, als es hieß, du wärst am Tisch zusammengebrochen. Das darfst nimmer machen. Versprich mir das.“

„Ach, Schatzerl, versprechen kann man so was net. Aber ich werd‘ mir Mühe geben, dir net noch mal einen solchen Schreck einzujagen.“

„Was ist denn nur passiert?“, wollte sie jetzt wissen.

„Ach, mein Herz hat ein bisserl verrückt gespielt. Aber jetzt wird‘s wieder gut. Wirst schon sehen, morgen bin ich wieder auf den Beinen. Und jetzt machst dir keine Gedanken mehr darüber in deinem hübschen Köpfchen. Lauf jetzt zur Kathrin, die soll dir was zu essen geben, und dann machst deine Hausaufgaben. Sowas hier ist kein Grund seine Arbeit zu vernachlässigen.“

Klara schmatzte ihm noch einen dicken Kuss auf die Wange, wischte sich energisch durch das Gesicht, um auch die letzten Spuren von Tränen zu verbergen, und lief davon. Sie fühlte sich schon viel besser. Aber trotzdem, was sollte denn aus ihr werden, wenn der Großvater nicht mehr da war? Sie hing nicht nur sehr an ihm, er war auch ihr Vormund bis zu ihrer Volljährigkeit, doch die Bedeutung dieser Tatsache war ihr nicht in vollem Umfang klar. Allerdings wollte sie jetzt beruhigt wieder an ihren Tagesablauf gehen. Sie schloss die Tür hinter sich, und Ferdinand versank aufs Neue in tiefes Nachdenken.

Der Doktor hatte sich ja nun sehr unbestimmt ausgedrückt, was dem Sendlinger gar nicht gefiel. Der Mann machte sich nichts vor, und er nahm diesen Anfall auch nicht auf die leichte Schulter. Vielleicht sollte er versuchen mit seinen Kindern endlich ins Reine zu kommen. Oder nein, er musste das sogar, denn schließlich war es an der Zeit ein Testament zu machen. Damit gab es für ihn das größte Problem. Wen sollte er als Haupterben einsetzen?

Vier Kinder hatte er, und im Grunde hielt er keinen für so recht geeignet das Anwesen in vollem Umfang zu übernehmen und zu leiten. Nicht einmal Michael, der doch eigentlich die besten Voraussetzungen dafür mitbrachte. Auch nicht Friedrich, der als Bankier in der Schweiz lebte und so gerne in die Politik gehen wollte. Noch viel weniger war Franziska in der Lage einen Betrieb dieser Größenordnung zu führen. Sie war die Zwillingsschwester von Antonius, der als Ingenieur durch die ganze Welt reiste und nirgendwo lange blieb.

Ferdinand gab sich da keinen Illusionen hin, gerade bei diesen letzten beiden Kindern hatte er selbst versagt. Ohne seine geliebte Frau Klara war er einfach nicht in der Lage gewesen, die Kinder vernünftig zu erziehen und hatte das in erster Linie dem Personal überlassen. Er hatte außerdem nichts dagegen unternommen, dass gerade die Zwillinge Abneigung, wenn nicht gar Hass gegen ihn entwickelten. Eine Abneigung, die nie klar definiert worden war, die jetzt aber mit Schuld daran war, dass diese beiden durch die Welt reisten, auf der Suche nach einer Heimat im Herzen.

Nein, auch diese beiden konnten das Sendlinger-Gut nicht übernehmen, würden es vermutlich auch gar nicht wollen.

Eine schwierige Frage, die sich Ferdinand gerade stellte, und eine Antwort darauf war nicht in Sicht. Eine Idee reifte in ihm, er würde seine Kinder nach Hause rufen und ihnen das Erbe anbieten. Aus ihren Reaktionen konnte er sehen, ob und wer geeignet erschien.

Allein diese Überlegungen hatten den im Augenblick schwerkranken Mann erschöpft, und er schlief übergangslos ein.

3

Das gesamte Sendlinger-Anwesen erstreckte sich über eine riesige Fläche und beinhaltete wesentlich mehr als nur Landwirtschaft. Es gab neben dem Hauptgebäude noch vier kleinere Höfe, die von Angestellten nach den strengen Vorgaben des Patriarchen bewirtschaftet wurden. Dort wurde in erster Linie Tierhaltung betrieben, und es gab den Urlaub auf dem Bauernhof, denn jedes dieser Häuser verfügte über drei bis acht Gästezimmer, die fast das ganze Jahr über voll belegt waren. Alle diese Einrichtungen genossen einen guten Ruf und bildeten das zweite Standbein zur traditionellen Landwirtschaft, wie sie von Michael und Ferdinand betrieben wurde. Zu guter Letzt gab es dann noch einen Zweig der Tierhaltung, der eine ganz besondere Leidenschaft des alten Sendlinger war. Ein eigener Reiterhof nämlich, auf dem Pferde in Pension genommen, aber auch eigene Tiere gezüchtet wurden. Dabei handelte es sich nicht um teure Tiere, die womöglich weltweit Preise gewannen, sondern um ganz normale Reitpferde, auf denen ein jeder seine ersten Reitstunden absolvieren oder auch sein Können erweitern konnte. Ganz normale Reitpferde also, gut gewachsen und bestens gepflegt.

Eines davon war allerdings der ganz besondere Liebling von Ferdinand. Er hatte die Stute als Fohlen mehr oder weniger geschenkt bekommen, weil der damalige Besitzer glaubte, das Tier würde sterben.

„Nimm es mit“, hatte der Mann gesagt. „Damit ist eh nix mehr los, und ich werd‘ meine Zeit net damit vergeuden, ein Tier zu pflegen, was keine Aussicht hat.“ Sendlinger konnte ein so hilfloses Wesen nicht leiden sehen, er hatte das kleine Fohlen aufgepäppelt, bis es sicher auf den eigenen vier Beinen stehen konnte. Mittlerweile war Dorina zwei Jahre alt und bereitete dem Sendlinger jeden Tag aufs neue Freude. Er schimpfte nur regelmäßig über den Namen, den er für absolut unmöglich hielt. Da im Pferdestammbuch jedoch alles rechtmäßig eingetragen war, blieb der Name bestehen.

Hier auf dem Reiterhof kamen auch viele der Touristen zum ersten Mal in ihrem Leben mit Pferden zusammen und lernten reiten.

Einer von ihnen war Tobias Steiner, ein junger Mann, der eigentlich nur durch einen Zufall hier Urlaub machte. Er hatte zum fünfundzwanzigsten Geburtstag von seinen Eltern diesen Urlaub hier auf dem Bauernhof geschenkt bekommen. Er war in der Stadt aufgewachsen und hatte keine Ahnung, wie es in der Landwirtschaft zuging. Hier sollte er einen Eindruck davon bekommen. Außerdem würde er auf diese Weise mal ein bisschen abschalten können.

Tobias hatte gleich nach der Lehre als Elektriker darauf hingearbeitet, möglichst rasch seinen Meister zu machen, um den Vater daheim in der Firma zu entlasten. Über all der Arbeit hatte der junge Mann fast vergessen, dass es außerdem auch noch ein Leben gab. Zuerst hatte er sich gesträubt und vergeblich darauf hingewiesen, wie viel Arbeit noch zu tun wäre. Doch der Vater hatte den Überblick und wusste, dass er für zwei Wochen auch ohne die fleißigen Hände des Sohnes auskommen würde.

Nun stand der junge Elektromeister ein wenig ratlos und verloren da. Hatte er denn nicht eigentlich zum Graupner-Hof gewollt? Jedenfalls war das die Adresse, die er dem Taxifahrer genannt hatte, woraufhin der was vom Sendlinger-Anwesen gemurmelt hatte. Aber dies hier war ein Reiterhof, ganz sicher kein Bauernhof, auf dem er Urlaub machen sollte. Tobias stellte seinen Koffer auf den Boden und schaute in die Runde. Pferde, Boxen, Reiter – eigentlich faszinierend. Noch interessanter fand er jedoch plötzlich die schlanke junge Frau, die auf ihn zugelaufen kam und ihn mit einem freundlichen, aber kritischen Blick musterte.

Lisa Berger, die eigentlich Elisabeth hieß, war dreiundzwanzig Jahre alt und hatte nie etwas anderes gewollt als Pferdewirtin zu werden. Sie liebte die Pferde und war zufrieden mit dem, was sie tat. Dazu gehörte denn auch manchmal den Leuten den rechten Weg zu weisen.

„He, hallo, Sie“, rief die junge Frau fröhlich. „Da können S‘ aber net stehenbleiben, und Ihr Koffer auch net. Hier kommt gleich eine Gruppe Reiter vorbei, und wenn S‘ net unter die Hufe kommen wollen, sann sollten S‘ ein bisserl an die Seite gehen.“

Tobias lauschte einen Moment dem Klang der Stimme nach, wurde aber unterbrochen durch das heftige Getrappel vieler Hufe. Irritiert schaute er sich um. Im nächsten Moment wurde er von zwei kräftigen Händen gefasst und zur Seite gezerrt, während die Gruppe von Reitern an ihm vorbeirauschte.

Lisa schüttelte den Kopf. „Machen S‘ das öfter so?“, fragte sie.

Er schüttelte den Kopf und griff nun rasch nach seinem Koffer, um den aus dem Weg zu nehmen. „Eigentlich net“, gestand er. „Aber ich glaub, man hat mich hier falsch abgesetzt. Ich wollt‘ zum Graupner-Hof, und nun steh ich daher und weiß net so recht ...“

Die junge Frau lachte fröhlich auf. „Da sind S‘ schon recht, der Graupner-Hof liegt da drüben.“ Sie deutete in Richtung auf einen schmalen Fußweg, der zu einem zweistöckigen Fachwerkhaus führte.

„Der Taxifahrer wollt Ihnen bestimmt etwas Geld ersparen, denn er hätt sonst einen Umweg fahren müssen, um Sie dort abzusetzen. Von hier aus geht‘s viel schneller.“

„Und wo bin ich hier?“, fragte Tobias verwirrt.

„Na, auf dem Sendlinger-Reiterhof. Das gehört alles zusammen, und wenn S‘ Lust haben, können S‘ gerne hier Unterricht im Reiten nehmen. Das wird Ihnen aber die Wagerbäuerin schon noch erklären, die ist nämlich die Hausmutter auf dem Graupner-Hof.“

„Kann ich das bei Ihnen lernen?“, erkundigte sich Tobias mit einem Mut, von dem er vorher nie etwas geahnt hatte.

„Ja, freilich, wenn S‘ Ihnen Spaß macht. Aber nun kommen S‘ her, ich bring Sie hinüber, sonst wird das sicher heut‘ nix mehr.“

Lisa spürte die Verwirrung in dem jungen Mann, außerdem gefiel er ihr ausnehmend gut. Er war so ganz anders als die Burschen hier am Ort, die manchmal dreist werden konnten. Tobias wirkte schüchtern, und seine Höflichkeit ihr gegenüber machte ihn irgendwie verletzlich. Er ließ auch nicht zu, dass sie den Koffer in die Hand nahm. Stattdessen verschlang er sie jedoch fast mit seinen Blicken, was Lisa wiederum amüsant fand. Das konnte noch ein lustiger Aufenthalt werden mit diesem jungen Mann.

4

Sebastian Haffner galt in ganz Leutkirchen als gute Partie. Er war jedoch ziemlich überheblich und glaubte, jedes Madl müsste nur so dahinschmelzen, wenn er Interesse zeigte. Lisa wollte nichts von ihm wissen, vielleicht hatte er sich deswegen für sie entschieden. Auf jeden Fall nutzte er jede freie Minute, um auf dem Reiterhof zu sein, Lisa auf die Finger zu sehen, mit ihr zu reden und sie manchmal auch von der Arbeit abzuhalten, was ihr ausgesprochen peinlich war. Dem Sendlinger gefiel das auch nicht, und er war nicht mehr bereit noch lange zuzusehen. Er hatte längst bemerkt, dass Sebastian ohne rechten Grund dauernd bei den Pferden und Lisa zu finden war, und er hielt es für nicht besonders gut, dass die junge Frau sich von ihm belästigt fühlte. Der Patriarch mochte in mancher Beziehung schwierig sein, doch er sorgte für seine Leute und hatte stets ein offenes Herz für die Probleme. Was ihm bei seinen Kindern nicht gelang, klappte beim Personal bestens, und die meisten Angestellten respektierten und achteten ihn dafür. So schaute sich Sebastian neuerdings erst genau um, bevor er auf dem Reiterhof herumlief und Lisa mit seiner Anwesenheit belästigte.

An diesem Morgen war Lisa schon früh mit der Arbeit im Stall angefangen. Sie sollte später ein paar Reitstunden geben, und bis dahin mussten die Pferde natürlich versorgt sein. Am frühen Vormittag hatte die junge Frau schon zweimal Unterricht gegeben, als Tobias auftauchte. Er war als nächster Schüler an der Reihe und hatte darauf bestanden, dass Lisa seine Lehrerin sein sollte.

Sie lächelte ihn jetzt an, und für Tobias ging zum zweiten Mal an diesem Tag die Sonne auf. Er wusste nicht, dass er sich hier immer etwas tollpatschig benahm, was natürlich daran lag, dass er ganz einfach keine Ahnung vom Landleben hatte. Lisa erklärte ihm nun, wie er Zaumzeug anzulegen und den Sattel festzuschnallen hatte. Dann ging es ans aufsteigen, und das erwies sich für Tobias als Problem.

Der Mann war sportlich, doch die Sportarten, die er betrieb, halfen ihm hier nicht. Mit Schwung zog er sich am Sattel hoch und gab sich einen Ruck, um in den Sitz zu gelangen – im nächsten Moment purzelte er auf der anderen Seite im hohen Bogen hinunter ins Gras.

Lisa hatte schon viele Schüler gehabt, die sich in der ersten Stunde ein bisschen dumm anstellten, doch solch ein Bild hatte selbst sie noch nie gesehen.

Völlig verblüfft hockte Tobias am Boden, schaute ungläubig zu der feschen jungen Frau, die sich bemühte das Lachen zu verbergen und rieb sich unwillkürlich das Hinterteil. Er wurde plötzlich puterrot, als ein Mann am Gatter lauthals zu lachen begann.

Sebastian hatte diesen Bemühungen zugesehen und konnte jetzt nicht an sich halten.

„So ein Depp“, grölte er. „Lisa, willst im Ernst einem solchen Bazi was beibringen? Das ist doch vergebene Liebesmüh. Den solltest besser auf dem Ochsen da drüben festbinden und beim Almauftrieb zur allgemeinen Gaudi ausstellen.“

Sie warf ihm einen zornigen Blick zu. „Wie kannst nur so gemein sein? Ich hab deine ersten Versuche auf einem Pferd auch noch net vergessen. Du hast dich auch net grad klüger angestellt. Wie kommst bloß dazu, über wen anders zu lachen? – Haben S‘ sich verletzt? Kommen S‘, ich helf‘ Ihnen auf, und dann versuchen wir es gleich noch einmal. Da haben S‘ wohl ein bisserl viel Schwung genommen, aber das kriegen wir schon hin. Der Depp da drüben sollt‘ uns net weiter stören. Der steht nur hier, um anderen Leuten die Zeit zu stehlen“, meinte sie mit einer wegwerfenden Handbewegung.

Tobias war dankbar, dass sie so viel Verständnis zeigte, allerdings schämte er sich dem anderen Mann gegenüber fürchterlich, ebenso wie vor den übrigen Leuten hier, die jedoch kaum Notiz von diesem kleinen Vorfall nahmen. Jeder fing mal klein und ganz bestimmt mit Fehlern an, keinem war es irgendwo anders ergangen. Also schmunzelte man ein wenig darüber, und damit war die Sache abgetan.

„Sag du mir net, was ich tun soll“, fuhr auch er ungerührt fort. „Ich wollt dich eigentlich vor solchen Dummköpfen bewahren, Lisa. Das musst dir doch wirklich net antun. Geh, lass den doch laufen, komm mit. Ich lad‘ dich auf ein Eis ein, oder was du sonst gern magst.“ Er lachte breit und erwartete tatsächlich, dass die junge Frau jetzt alles stehen und liegen ließ, um mit ihm zu gehen.

Sie schüttelte ungläubig den Kopf. „Weißt, Sebastian, irgendwie hab ich das Gefühl, als unser Herrgott das Gehör und den Verstand ausgeteilt hat, da bist ein bisserl zu kurz gekommen. Oder warum sonst kannst net darauf hören, wenn ich sag‘, dass ich kein Interesse daran hab, mit dir auszugehen? Außerdem find‘ ich‘s dreist und lästig, dass du dich hierher stellst, Gäste und Schüler beleidigst und mir Probleme bei meinem Chef machst. Geh heim und lass dich nimmer hier sehen, dann könnt ich ja vielleicht noch ab und an einen Gruß für dich übrig haben.“

„Ach geh, nun stell dich aber net so an. Ich weiß doch ganz genau, dass du mich gern hast und dich nur ein bisserl zierst. Aber nun sag schon ja, es reicht doch nun.“ Es kam ihm überhaupt nicht in den Sinn, dass sie ihre Worte ernst gemeint haben könnte.

Lisa schnappte nach Luft. War der Sebastian so dumm, oder tat er nur so?

Tobias hatte es nun endlich geschafft heile in den Sattel zu kommen, und er verfolgte dieses Gespräch mit einiger Besorgnis. Was wollte dieser Mann eigentlich? War er vielleicht auf Händel aus? Auf jeden Fall musste man diese schöne junge Frau schützen, auch wenn sie nicht unbedingt den Eindruck machte, als dass sie Schutz nötig hätte. Der junge Mann besaß jedoch eine angeborene Ritterlichkeit, er konnte in diesem Punkt nicht schweigen.

„Die Dame hat doch laut und deutlich gesagt, dass sie von Ihnen net belästigt werden will“, mischte Tobias sich also ein und erntete ein höhnisches Gelächter.

„Ja, da schau her, was bist denn du für einer? Kommt aus der Stadt, hat keine Ahnung, wie man Ochs und Kuh auseinanderhalten soll und spricht große Töne. Ich hab mit der Lisa geredet, und net mit einem Bazi. Also sei stad.“

Das ging ziemlich weit, was Sebastian sich da herausnahm, und Lisa wollte es nicht darauf ankommen lassen, dass es jetzt womöglich zu einem Raufhändel zwischen den beiden Mannsbildern kam. Außerdem durfte sie nicht zulassen, dass zahlende Gäste derart beleidigt wurden. Sie ging ein Risiko damit ein, doch sie schlug dem Pferd von Tobias auf die Hinterbacken, und das Tier setzte sich sofort in Bewegung, während er verzweifelt versuchte sich im Sattel zu halten. Erst als die beiden schon ein gutes Stück vom Reiterhof entfernt waren, gelang es dem Mann das Tier wieder unter Kontrolle zu bekommen. Auf diese Weise hatte er auch gleich eine ganz besondere Lektion erhalten, die vielleicht sogar besser war als alles, was Lisa in vielen Worten sagen konnte.

Auch die junge Frau hielt jetzt ihr Tier an und warf Tobias einen Blick zu, in dem sie um Entschuldigung bat.

„Ich hab‘ das net so gewollt, tut mir leid, es geht natürlich net an, dass so ein Depp mit dummen Worten um sich wirft. Aber ich hab mir grad gedacht, das macht net viel Sinn, wenn S‘ sich mit dem Sebastian anlegen. Der ist halt ein bisserl – na, dumm will ich net grad sagen, aber ein bisserl sehr von sich eingenommen und net grad das, was man umgänglich nennt. Ich will schon lang, dass er mich in Ruh‘ lässt, aber deswegen müssen S‘ sich net bemühen. Vielen Dank trotzdem.“ Sie lachte ihn an, ihre Augen blitzten fröhlich und amüsiert, und Tobias fühlte sich noch mehr von ihr angezogen.

„Ich fand‘s trotzdem ganz lieb, wie S‘ das gemacht haben, und ich dank Ihnen noch einmal herzlich für die Hilfe“, setzte sie hinzu.

Er schaute sie ebenso fröhlich an. „Ist schon recht. Ich kann‘s nun mal net leiden, wenn so jemand daherkommt und eine schöne Frau belästigt“, erklärte er galant, dann wurde seine Miene doch etwas unglücklich. „Aber nun wär‘ ich Ihnen doch sehr dankbar, wenn S‘ mir endlich beibringen, wie ich mit dem Tier hier recht umgehen muss. Sonst steig ich doch besser ab und geh zu Fuß.“

Lisa lachte erneut auf und begann nun auf ordentliche Weise mit dem Unterricht. Tobias hörte längst nicht jedes Wort, das sie zu ihm sagte, er war ganz versunken in ihren Anblick und ihre fröhliche sympathische Stimme. Seinetwegen hätte der Unterricht noch Stunden weitergehen können. Und auch Lisa war ein bisschen traurig, als die Zeit wie im Flug vergangen war. Doch für beide gab es ja am nächsten Tag ein Wiedersehen. Allerdings wurde die Freude der beiden getrübt, als sie zum Reiterhof zurückkehrten und Sebastian sich noch immer dort aufhielt. Lisa verzog sich sofort, um erst gar nicht wieder mit ihm zusammenzutreffen. Tobias verschwand ebenso rasch, weil er sich für eine Besichtigung angemeldet hatte.

Sebastian war unzufrieden, er hatte sich von diesem Tag mehr versprochen und hoffte vergeblich darauf, dass Lisa noch einmal auftauchte. Mit grimmigem Blick schaute er dem anderen Mann hinterher. Wollte der ihm womöglich die Frau ausspannen, die er für sich haben wollte? In dieser Sache war das letzte Wort ganz bestimmt noch nicht gesprochen.

5

„Und – wird der Vater wieder gesund – oder müssen wir uns auf das Schlimmste gefasst machen?“ Michael sprach mit beherrschter Stimme, so als würde es sich hier um ein krankes Tier handeln, und nicht um seinen Vater.

Johannes Müller-Rath schüttelte den Kopf. „An diesem Anfall wird er sicher nicht sterben. Aber du, und auch alle anderen, sollten darauf achten, ihn net zu sehr aufzuregen“, gab er zurück.

„Das sagst ihm doch wohl besser selbst. Schließlich macht er aus jeder kleinen Mücke gleich einen Elefanten und brüllt sinnlos in der Gegend herum.“

„Du wünscht deinem Vater doch wohl nix Schlechtes?“ Der Arzt war ein bisschen aufgebracht, dass der junge Mann so achtlos darüber hinwegging.

„Ich wünsch‘ niemandem was Schlechtes, und dem Vater schon gar net. Aber ich kann‘s einfach net verstehen, dass er für einen solchen Notfall keine Vorkehrungen getroffen hat. Hier muss doch schließlich alles weiterlaufen. Aber wie soll das gehen, wenn er net zulässt, dass sich jemand um alles kümmert? Immer weiß er alles besser, nie lässt er es zu, dass man auch mal was in Eigenverantwortung übernimmt.“

Der Doktor, der recht gut um die Spannungen zwischen den beiden Männern wusste und auch die Vorbehalte kannte, die Ferdinand gegenüber den Plänen seines Sohnes hegte, war durch diesen Wortschwall nicht beruhigt.

„Meinst dich damit? Dann hätt‘st ja wohl schon lang genug Zeit gehabt, um deinen Vater davon zu überzeugen, dass du das kannst. Offenbar ist dir das aber net gelungen. Willst jetzt die Schuld dafür bei anderen suchen?“

„Ich will mich vor allen Dingen net mit dir streiten, du gehörst net zur Familie“, erklärte Michael unwirsch. „Ist also schon recht. Wenn du sagst, dass der Vater wieder gesund wird, dann ist‘s ja gut. Aber tu uns allen einen Gefallen und bring ihm bei, dass er an die Zukunft von Sendlinger-Gut denken muss. Er hört ja auf keinen von uns, aber du bist der Doktor, da muss er wohl ein bisserl Verstand beweisen.“

„Vielleicht hat er das längst“, erwiderte der Arzt. „Solltest mal drüber nachdenken, was du tun würdest, wärst du an seiner Stelle. Weißt auf jeden Fall jetzt Bescheid. Versuch die Aufregung von ihm fernzuhalten.“

In diesem Augenblick kam Dorothea, die langjährige tüchtige Sekretärin, die immer über alles Bescheid wusste, zu den beiden Männern und verzog das Gesicht.

„Ich hab noch eine schlechte Nachricht. Am Sonntag ist Almauftrieb, aber es schaut grad so aus, als hätten wir keinen Senner. Der hat sich nämlich heut‘ früh das Bein gebrochen und liegt in der Stadt im Hospital.“

Michael fasste sich an den Kopf, und der Doktor zuckte die Schultern.

„Da hast die beste Gelegenheit deine Eignung zu beweisen. Ich muss jedenfalls los, die Arbeit ruft. Pfiat di, Michael, mach‘s gut, Dorothea.“

Die Krankheit des Patriarchen hatte sich sofort unter sämtlichen Angestellten herumgesprochen, und nicht wenige fürchteten um sein Leben, solange es keine klare Aussage über seinen Zustand gab. Ferdinand galt in den Augen mancher Leute als Diktator, besaß aber auch den Ruf gerecht zu sein. So gab es im Haupthaus bei Dorothea laufend Anfragen nach dem Gesundheitszustand vom Chef.

Auch Lisa hatte sich schon zweimal im Laufe des Tages erkundigt, denn sie schätzte Sendlinger sehr. Er hatte damals recht schnell erkannt, dass sie nur von einem Wunsch erfüllt war und mit einer anderen Stellung nicht glücklich werden konnte. Er war es, der ihr eine Chance gegeben hatte und sie bis heute wohlwollend im Auge behielt. Dafür war sie ihm nicht nur dankbar, sie mochte ihn auch, da konnte er ruhig manchmal poltern und den Grobian herauskehren, für Lisa war er der Beste. Dorothea wusste das natürlich auch, wie sie praktisch bei jedem über die großen und kleinen Schwächen und Stärken informiert war. Aus diesem Grund hatte sie Lisa denn auch am Nachmittag Entwarnung geben können. Der Chef war längst über den Berg, und wenn es nach ihm ging, dann würde er wohl schon am nächsten Tag die Arbeit wieder aufnehmen.

Der Doktor hatte jedoch was dagegen, und dem musste auch Ferdinand sich beugen. Durch die Strenge von Ferdinand kannte aber jeder seine Arbeit auf dem Gut, und so würde man auch einige Tage ohne seine lenkende Hand auskommen. Beruhigt hatte sich die junge Frau wieder an die Arbeit gemacht und war nicht wenig erstaunt, dass kurz vor ihrem Feierabend Tobias im Stall stand.

„Grüß Gott, wollten S‘ noch ein bisserl Freundschaft mit dem Pferd schließen?“, fragte sie verschmitzt lächelnd und sah, wie der Mann leicht errötete. Er hatte eher vorgehabt mit Lisa engere Freundschaft zu schließen. Sollte das aber über den Umgang mit den Tieren gehen, würde ihm das auch recht sein, er hatte seine Scheu vor den großen Pferden längst abgelegt.

„Ich hatte gehofft, dass S‘ noch hier sind“, gab er unumwunden zu. „Dann könnten S‘ mir gleich erzählen, was ich so alles falsch gemacht hab‘. Das kann ich dann gleich beim nächsten Mal vermeiden. – Warten S‘, ich helf‘ Ihnen.“

Lisa zerrte an einem Strohballen und riss einzelne Stücke auseinander, um davon reichlich am Boden der Pferdebox zu verstreuen. Die Futtereimer mussten noch gefüllt werden, und die Pferde waren daran gewöhnt, auch gegen Abend noch einige Streicheleinheiten zu bekommen. Tobias half tatkräftig und fröhlich mit. Es lag ihm nichts daran Leuten bei der Arbeit nur zuzusehen, selbst dann, wenn er Urlaub hatte. Außerdem war dies eine ungewohnte und angenehme Abwechslung.

Lisa ließ es lachend zu, dass er sich abmühte und unterhielt sich dabei mit ihm. Es war ausgesprochen angenehm, beide fühlten sich auch weiterhin zueinander hingezogen. Doch sie kannten sich erst kurze Zeit, und Tobias war zu schüchtern, um zu fragen, ob er sie nach Hause bringen durfte, um dieses Beisammensein zu verlängern. Dabei sprachen seine Blicke Bände, was Lisa nicht verborgen blieb.

„Sagen S‘ mal, hätten S‘ Lust und Zeit, mit mir noch einen kleinen Spaziergang zu machen? Ich hab‘ gleich Feierabend hier und tät‘ mich über etwas Begleitung auf dem Heimweg freuen.“

Der junge Mann konnte sein Glück kaum fassen. Eifrig nickte er und strahlte Lisa an, wobei er dann aber über einen Futtereimer stolperte und sich nur mit Mühe auf den Beinen halten konnte. Unvermittelt fand er sich in den Armen der Frau wieder, die ihn stützen wollten. Ganz nah waren sich die zwei, und für einen Moment herrschte eine ganz besondere Spannung zwischen ihnen. Sie fühlten gegenseitig das Schlagen der Herzen, den Duft der Haut, und die Augen trafen sich zu einem intensiven Kontakt. Unwillkürlich berührten sich ihrer beider Lippen, als ganz in der Nähe Schritte erklangen.

Wie ertappte Sünder fuhren sie auseinander. Es bestand zwar keine generelle Anweisung, dass zwischen Personal und Gästen Beziehungen verboten waren, sie wurden aber auch nicht gerne gesehen, denn sie brachten meist Unruhe und gebrochene Herzen mit sich.

Tobias stand wieder auf seinen eigenen Beinen und bedauerte, dass er diesen köstlichen Augenblick nicht sofort ausgenutzt hatte.

Lisa hingegen hatte rote Wangen bekommen und spürte die Stellen an ihrem Körper, wo er sie berührt hatte, wie Feuer brennen. Was war das nur, das hier mit ihr geschah? War das Liebe auf den ersten Blick? Dieses seltsame Ziehen und Schmerzen, das doch so glücklich machte? Dann sollte das ja nie wieder aufhören.

Doch sie befanden sich hier nicht allein, und es sollte besser keinen Anlass zu überflüssigem Gerede geben. Wenige Minuten später war die Arbeit getan, und zwischen den beiden jungen Menschen herrschte wieder eine gewisse Distanz, auch wenn diese längst nicht mehr so groß war wie noch vor einer Stunde.

Lisa verabschiedete sich kurz von ihren Kollegen, dann ging sie mit Tobias los und erzählte ihm einige fröhliche Geschichten vom Leben auf dem Sendlinger-Gut. In bester Laune schritten die zwei den Weg nach Leutkirchen entlang, als ausgerechnet Sebastian Haffner auftauchte. Der hatte eigentlich auch den Feierabend von Lisa abpassen wollen, um sie nach Hause zu begleiten. Als er feststellen musste, dass ausgerechnet dieser Bazi aus der Stadt bei ihr war, erfüllte ihn Wut. Wie konnte der es wagen, mit dem Madl anzubandeln, das er für sich haben wollte? Es spielte für ihn keine Rolle, dass Lisa bisher nichts von ihm wissen wollte. Das war sicher nicht mehr als eine vorübergehende Laune. Er war in jedem Fall eine gute Partie, und wenn sie sich noch etwas zierte, dann würde die Beziehung später bestimmt umso besser. Was also wollte dieser Bazi von „seinem“ Madl?

„Ich glaub‘ net, dass der Sendlinger das gern sehen tät‘, wenn du mit Gästen was anfängst“, erklärte Sebastian von oben herab und musterte den anderen Mann voller Abneigung.

„Das lässt doch wohl besser mal meine Sorge sein, solltest lieber selbst aufpassen, denn der Sendlinger sieht‘s noch weniger gern, wenn du mich hier dauernd von der Arbeit abhältst. Im Übrigen red‘ ich dir ja auch net drein, wenn du jeden Tag mit einem anderen Madl durch die Gegend läufst. Lass mich einfach in Ruh‘“, gab sie kalt zurück.

Sebastian stutzte. Das hatte sie bemerkt? Dann musste sie sich also doch für ihn interessieren, oder nicht?

„Ich find‘s ja lieb von dir, dass du eiferst, aber deswegen musst mir das doch net mit gleicher Münze heimzahlen“, erklärte er lachend.

Lisa schnappte nach Luft. „Eifern? Ich? Ja, bist denn narrisch? Bei dir tät‘ ich net mal eifern, wenn du das letzte Mannsbild auf Gottes Erdboden wärst. Ich mag dich net, Sebastian Haffner, kriegst das wohl endlich in deinen sturen Dickschädel hinein?“

Musste er sich das gefallen lassen? Noch dazu, wenn dieser Depp aus der Stadt dabei war? Ganz bestimmt net. Sebastian baute sich in voller Größe vor der schlanken zierlichen Lisa auf.

„Nun tu doch net so. Ich weiß doch, dass du nix anderes im Kopf hast als mich. Also, gehen wir heut‘ Abend noch aus?“

„So leer und armselig kann mein Kopf gar nimmer sein, dass du Platz darin hättest. Nun geh heim und kümmer dich um die Marie, die hat schon lang ein Auge auf dich geworfen.“

Das Gesicht von Sebastian verzerrte sich. „Die will ich aber net. Und jetzt hast dich lang genug geziert. Komm endlich mit.“

„Nein!“ Lisa wich der Hand des Mannes aus, die nach ihr greifen wollte.

„Jetzt ist‘s aber wirklich genug“, mischte sich Tobias ein, der eine heftige Abneigung gegen den anderen Mann entwickelte. Lisa hatte nein gesagt, war denn das wirklich so schwer zu verstehen? Er trat einen Schritt vor, aber da ging die junge Frau noch einmal dazwischen. Sie spürte die gegenseitige Ablehnung und befürchtete das Schlimmste.

„Schluss jetzt. Sebastian, ich hab net vor, mit dir zu gehen. Lass mich aus. Und du, komm endlich, Tobias“, befahl sie und verfiel in das vertraute Du, was den Mann ganz glücklich machte. Besitzergreifend wollte er den Arm um sie legen, aber das traute er sich denn doch nicht. So griff er stattdessen sanft nach ihrer Hand und ging mit der Frau davon.

Sebastian ballte die Fäuste. Das würde er dem Lackaffen schon heimzahlen.

6

Michael wartete bis zum anderen Morgen, um dem Vater die Nachricht zu überbringen, dass Florian, der Senner, ausgefallen war. Damit stand man zunächst vor einem Problem. Es gab droben auf der Alm zwei Leute, die für die tägliche Arbeit zuständig waren, man brauchte aber auch jemanden, der dort die Verantwortung trug und auch die Bewirtschaftung der Almhütte für Touristen und Bergsteiger vornahm. Dabei handelte es sich um einen verantwortungsvollen Vertrauensposten, da konnte nicht jeder hingehen und das erledigen. Es gehörte schon auch eine Menge Wissen und Können dazu, denn dort droben wurde auch eine ganz besondere Art von Käse hergestellt. Das Hausrezept dazu gab der Sendlinger natürlich nicht einem jeden in die Hand. Außerdem befanden sich doch droben Tiere von verschiedenen Landwirten, also musste auch für jeden eine spezielle Abrechnung erstellt werden.

Damit war das Problem ziemlich groß. Es machte nicht viel Sinn, eine Anzeige in die Zeitung zu setzen. Hier wurde jemand gebraucht, der sich auskannte und von dem man nicht befürchten musste, dass Betriebsgeheimnisse weitergegeben wurden oder die Abrechnungen nicht korrekt waren.

Ferdinand lag noch immer in seinem Bett, doch er machte längst nicht mehr einen so angegriffenen Eindruck wie noch am Tag vorher. Wortlos hörte er sich an, was Michael zu sagen hatte.

„Da kann man halt nix machen“, brummte er dann unzufrieden. „Kannst ja net den Florian mit einem gebrochenen Bein auf den Berg schicken. Also müssen wir jemanden finden. Kannst es ja mal beim landwirtschaftlichen Betriebsdienst versuchen, vielleicht haben die wen für ein paar Wochen, obwohl mir jemand für die ganze Saison schon lieber wäre, damit der Florian das Bein auskurieren kann. Und dann sagst der Kathrin Bescheid, die soll Gästezimmer vorbereiten. Der Friedrich wird heut‘ noch kommen mit der Dora und den Kindern.“

Diese Ankündigung überraschte Michael total. „Was will er denn hier?“, fragte er verwundert. „Er sagt doch immer, er hat in seiner Bank so viel zu tun, dass ihm keine Zeit für Besuche bleibt.“

„Der Friedrich kommt, weil ich es so will. Vielleicht ist er ja in der Lage, sich ein bisserl um seinen alten kranken Vater zu kümmern.“

Eine Zornesfalte erschien auf der Stirn des jungen Mannes. „Meinst net, dass ich mich tagtäglich um dich kümmern tät‘?“, presste er hervor.

„Das mag schon sein. Aber machst das auch richtig? Bub, ich will wissen, wem ich irgendwann mal alles hinterlassen kann. Und da wirst doch wohl einsehen, dass ich mir einen Überblick verschaffen will, wer von euch nun das kleinere Übel ist.“

„Vater!“, rief Michael empört. „Das ist net fair. Ich führe doch hier schon das meiste an Arbeit aus, und mein Herz hängt am Gut, wie du sehr wohl weißt. Wie kannst mir da unterstellen, ich wär‘ net geeignet?“

„Ich unterstell‘ gar nix, ich will nix weiter als Klarheit. Oder hast was dagegen?“ Unter dem Blick von Ferdinand wurde Michael immer kleiner.

„Nein, ist schon recht. Aber da ist noch was anderes“, setzte er fast trotzig hinzu.

„Und was? Hast noch mehr Hiobsbotschaften?“

„Nein. Aber hast gesagt, du hätt‘st eine Idee, die mir auch gefallen könnt, und ich denk‘, die hat mit dem Gut zu tun. Ich weiß net genau, in welcher Richtung du das meinst. Kann ich das nun auch erfahren, oder bleibt das noch ein Geheimnis?“ Trotz sprach aus seiner Stimme, und Ferdinand dachte kurz darüber nach, dass man mit Michael wesentlich besser auskommen könnte, wenn er nicht so schrecklich starrköpfig wäre. Vermutlich handelte es sich jedoch um ein Erbteil, was dem Sendlinger aber nicht bewusst war, denn schließlich benahm er sich auch nicht viel besser.

„Da ist kein Geheimnis dabei. Ich hab mir so gedacht – weil du ja immer was Besonderes anfangen willst, bekommst den Vierwälderhof und kannst ihn bewirtschaften, wie‘s dir recht ist.“

Er sah das ungläubige Staunen im Gesicht seines Sohnes.

„Unter einer Bedingung. Der Ertrag dort darf net mehr als zwanzig Prozent unter dem liegen, was er jetzt einbringt. Dann wirst wohl sehen, wie du weiterkommst.“

Michael stand stumm da. Genau eine solche Chance hatte er sich immer gewünscht. Wie oft schon hatte er seinen Vater darum gebeten, ihm eine Möglichkeit zu geben, damit er beweisen konnte, dass seine Ideen nicht einmal halb so falsch waren, wie Ferdinand sie darstellte. Nun wurde ihm völlig überraschend die Chance geboten, und er brachte kein Wort heraus.

Sendlinger weidete sich an der Verblüffung seines Sohnes und lachte zufrieden auf.

„Na, da kann ich alter sturer Kerl also doch noch was vollbringen, dass mein Sohn zur Abwechslung mal dumm aus der Wäsche schaut? So soll‘s sein, Bub, aber net gleich heut‘, ja? Gibst mir schon noch ein paar Tage, damit ich wieder auf die Beine kommen kann.“

Michael nickte, er hatte einen dicken Kloß im Hals vor Rührung. Er dachte in diesem Augenblick nicht an all die Kämpfe, die er für die Erfüllung seines Wunschtraumes mit dem Vater schon geführt hatte, und noch weniger dachte er daran, dass es sicher noch mehr Kämpfe geben würde, bis er bewiesen hatte, dass er fähig war, ebenso gut ein Anwesen zu leiten wie Ferdinand. Er war einfach nur glücklich, dass er jetzt zum Greifen nah sein Ziel vor sich hatte.

„Danke, Vater“, sagte er ergriffen. „Du weißt gar net, was du mir damit antust. Aber ich versprech‘s dir, ich werd‘ alles tun, damit du siehst, wie gut ich bin.“ Vergessen war der Beginn der Auseinandersetzung noch vor wenigen Minuten. Mit einem Schlag war auch beiseitegeschoben, dass Ferdinand keinem seiner Kinder zutraute in seine Fußstapfen zu treten. Der Ehrgeiz war geweckt, darüber vergaß Michael ebenfalls, dass sein Bruder Friedrich kommen würde, doch das fiel ihm gleich darauf wieder ein.

Das war nämlich der Wermutstropfen, denn Friedrich hielt sich für etwas Besonders.

Er hatte als Bankier in der Schweiz einen guten Arbeitsplatz, lebte jedoch direkt an der Grenze noch in Deutschland, war damit aber längst nicht zufrieden und wollte lieber in die Politik gehen. Da er allerdings nicht allein über ausreichende Beziehungen verfügte, hatte er klug geheiratet. Dora war das, was man in gewissen Kreisen eine Dame nannte. Etwas hochnäsig, zu fein, um körperliche Arbeit zu verrichten, aber nicht fein genug, um in der wirklich vornehmen Gesellschaft zu verkehren. Sie schätzte Ferdinand nicht besonders, weil es ihm trotz oder gerade wegen seiner Grobheit und Energie gelungen war, aus einem „schmutzigen“ Bauernhof einen florierenden Großbetrieb zu machen, aber sie wusste das Geld zu schätzen, das Sendlinger verdiente. Sie wäre hier auf dem Gut vermutlich an der falschen Stelle, um zusammen mit ihrem Mann das Anwesen zu leiten. Aber vielleicht handelte es sich dabei auch nur um eine Maske, die sie trug, wie fast jeder Mensch es tat, um seine wahren Gefühle zu verbergen. Man würde sehen, wie sie reagierte.

Ferdinand jedenfalls hatte sich einen Plan im Kopf zurechtgelegt, und den würde er ausführen, wobei viel vom Verhalten seiner Kinder abhing.

„Nun lauf schon, oder gibt‘s nix mehr zu tun da draußen?“, knurrte Ferdinand, der rührselige Szenen nicht mochte.

„Ja, natürlich“, stotterte Michael, jäh aus seinen Gedanken gerissen. Er lachte glücklich. „Wirst schon sehen, Vater, wirst schon sehen.“

„Davon bin ich überzeugt. Aber im Moment würd‘ ich lieber die Klara sehen. Wenn du dafür sorgen könntest, wär‘s schon mal ein Fortschritt.“

„Ja, freilich. Die Kleine kann dich ein bisserl aufmuntern.“

„Hab ich das nötig?“, brummte Sendlinger. „Aber die ist tatsächlich die einzige, die mir immer die Wahrheit sagen wird, weil sie ganz einfach keine Vorteile erwartet.“

Der junge Mann reagierte auch auf diese Spitze nicht. Er lachte noch immer glücklich. „Du brauchst tatsächlich ein bisserl Aufmunterung, damit du net mehr so griesgrämig bist.“ Er lief hinaus und schickte Klara zu ihren Großvater, dann suchte er Kathrin und fand sie in der Wäschekammer. Als er ihr ausrichtete, dass sie für Friedrich und seine Familie Gästezimmer richten sollte, verzog sie das Gesicht, als hätte sie Zahnschmerzen.

„Kommen die schrecklichen Kinder tatsächlich auch mit?“, erkundigte sie sich entsagungsvoll.

Peter und Maria waren in den Augen der Frau eine rechte Plage. Die zwei hörten auf kein Verbot und stellten an einem Tag mehr Unsinn an als Klara in einem ganzen Jahr. Doch Dora war überzeugt davon, dass es sich bei ihren Kindern um wahre Engel handelte. Sie musste sich ja auch nur selten um die zwei kümmern, dafür hatte sie Personal.

Kathrin sah in diesem Besuch eine Art Naturkatastrophe, die man hinnehmen musste, sie konnte ohnehin nichts dagegen tun. Also ging sie an die Arbeit und warnte das übrige Personal vor.

Michael machte sich auf den Weg, um einen neuen Senner aufzutreiben. Das würde auf jeden Fall nicht einfach werden.

7

Schon früh an diesem Sonntagmorgen, der für Leutkirchen und sicher auch eine Menge anderer Ortschaften eine Art Feiertag war, gab es eine festliche Messe, denn der Almauftrieb, der heute stattfinden sollte, war immer auch mit einem zünftigen Fest verbunden.

Tobias und Lisa hatten sich vor der Kirche getroffen, sich die Hände gereicht und angelächelt. Dabei bemerkten sie nicht, dass Sebastian sie argwöhnisch beobachtete. Doch es war so starke Liebe zwischen ihnen, dass selbst ein Außenstehender bemerken konnte, wie sehr die zwei zueinander gehörten. Dabei hatten sie selbst noch keine klare Entscheidung darüber getroffen, wie es zwischen ihnen weitergehen sollte. Vielleicht brauchten sie das aber auch gar nicht zu tun, denn allein schon die Blicke sprachen Bände.

Und genau das brachte Sebastian in Wut. Niemals zuvor hatte ihn ein Madl so angesehen, und es war nicht nur die Eifersucht auf Tobias, die seine innere Unruhe schürte, sondern auch der Neid darauf, dass es dem anderen gelungen war, eine Frau zu solchen Gefühlen zu bewegen. Doch es waren hier auf dem Kirchplatz so viele Leute zusammengekommen, dass er das offensichtlich glückliche Paar rasch wieder aus den Augen verlor.

Zum ersten Mal seit Tagen war auch Ferdinand auf den Beinen und nahm an der Messe teil. Unzählige Fragen musste er beantworten, und viele Wünsche zur guten Besserung wurden ausgesprochen, die aber vielleicht nicht alle ernst gemeint waren. Sendlinger galt nicht nur daheim als Querkopf, und er verhandelte häufig auf eine ziemlich harte Weise, was ihm den Ruf von Herzlosigkeit eingebracht hatte – aber nur bei gewissen Leuten. Dennoch hatte er nie jemanden übers Ohr gehauen, er kannte halt die Preise und wusste, wie weit er gehen durfte.

Michael, Friedrich und Dora begleiteten ihn, und nicht wenige neidische Blicke trafen auf die elegante Frau, die Grüße nur mit einem kurzen Kopfnicken beantwortete, wenn es sich nicht gerade um einflussreiche Persönlichkeiten handelte.

Nach der Messe ging es hinaus zur Festwiese, wo alle Tiere, die auf die Alm getrieben werden sollten, schon versammelt waren. Die Leitkuh trug einen Kranz aus Blumen und eine besonders große Glocke, deren heller Klang alle anderen übertönte. Einen Wermutstropfen gab es auch weiterhin, denn bisher war die Suche nach einem neuen Senner oder einer Sennerin erfolglos verlaufen, was Ferdinand mit einigen bissigen Kommentaren aufgenommen hatte. Michael war jedoch schon so sehr mit seinen eigenen Planungen beschäftigt, dass ihn die sarkastischen Bemerkungen seines Vaters gar nicht getroffen hatten.

Ferdinand sah durch einen reinen Zufall, dass Lisa mit einem feschen Mannsbild hier war. Er hatte die junge Frau ins Herz geschlossen, weil die Leidenschaft für Pferde beide verband. Jetzt schlug er Tobias krachend auf die Schulter, dass der junge Mann erschreckt zusammenzuckte. Verwirrt schaute er auf den Patriarchen in dem feinen teuren Trachtenanzug, der einen ausgefallenen Hut mit Gamsbart trug und einen dichten gepflegten Vollbart im Gesicht hatte.

Lisa kicherte. „Das ist mein Chef, der Herr Sendlinger. Und so wie‘s ausschaut, hat er nix dagegen, dass wir gemeinsam hier sind, sonst hätt‘ er dir ein Wörterl erzählt, und mir auch.“

„Ist das hier so üblich, dass man dafür verprügelt wird?“, grinste Tobias und rieb sich die Schulter. Er wusste jetzt, dass dieser Schlag nicht als Angriff sondern als Ermutigung gemeint war.

„Da sollten S‘ froh sein, dass ich das wohlwollend zur Kenntnis nehme, junger Mann, schließlich kann net ein jeder daherkommen und unsere Lisa entführen. Ich will aber keine Klagen hören“, bestimmte Ferdinand, der sich schon ein bisschen Sorgen darum machte, dass Lisa eine Enttäuschung erleben könnte. Er musterte den jungen Mann noch einmal aufmerksam, und was er sah, machte einen recht guten Eindruck. Dennoch würde er das Paar im Auge behalten.

Der alte Herr fühlte sich noch immer etwas wackelig auf den Beinen, doch er wollte sich diesen Tag auf keinen Fall entgehen lassen.

Angeführt von der Leitkuh und begleitet von einer ganzen Schar junger Burschen setzte sich die Herde in Bewegung.

Ferdinand wollte jetzt nur noch nach Hause. Michael hatte sowieso andere Pläne, Friedrich und Dora legten nicht viel Wert darauf, sich unter das Volk zu mischen, sie alle begleiteten den Sendlinger heim.

Kathrin kam ihnen mit allen Anzeichen von Aufregung entgegen. Empört schaute sie Friedrich und Dora an, deutete dann anklagend in Richtung Haus und wandte sich an Ferdinand.

„Peter und Maria haben mit Wasserballons gespielt und die ganze Wäschekammer mit dem Leinen nass gemacht“, beklagte sie sich.

Dora zuckte die Schultern. „Das kann so schlimm net sein, ein bisschen Wasser in der Wäsche. Du übertreibst. Und bestimmt war Klara auch dabei. Wie willst du also behaupten, dass es allein unsere Kinder gewesen sind?“

„Ganz einfach, weil Klara heut‘ gar net hier ist“, gab Kathrin spitz zurück.

Friedrich versuchte zu vermitteln, ihm war wohl bekannt, dass es sich bei seinen Kindern nicht gerade um Engel handelte, auch wenn Dora gern das Gegenteil behauptete.

„Ich bin sicher, der Schaden hält sich in Grenzen, denn nasse Wäsche kann doch sicher getrocknet werden, Kathrin. Mach‘ bitte kein Theater für einen harmlosen Kinderscherz. Ich glaub‘ net, dass die beiden das bös‘ gemeint haben.“

Diese Worte beruhigten die Hauswirtschafterin nicht.

„Wozu habt ihr eigentlich ein Kindermädchen, wenn die mit der Rasselbande auch net fertig wird? Und dann dies Geschwätz. So kann auch nur ein Politiker reden.“ Sie stapfte davon, nachdem Ferdinand ihr ein Zeichen gemacht hatte. Er wandte sich an das Ehepaar.

„Ihr müsst wirklich ein bisserl mehr auf die Kinder aufpassen. Meine Leute hier mögen das gar net, und die haben alle ihre festen Aufgaben, da ist‘s äußerst störend, wenn dauernd was dazwischenkommt, was den normalen Ablauf durcheinanderbringt.“

„Aber meine Kinder sind wohlerzogen, ich weiß gar net, was du eigentlich willst“, beschwerte sich Dora.

„Ich denke, es ist ohnehin an der Zeit mit euch was zu bereden. Auf jeden Fall danke ich euch schon mal, dass ihr überhaupt so schnell gekommen seid.“ Diese Worte klangen gerade aus dem Mund vom Ferdinand ungewohnt und seltsam.

„Aber, Vater, das ist doch eine Selbstverständlichkeit“, erklärte Friedrich glatt. „Als ich hörte, dass du krank bist, hab ich gleich dafür gesorgt, dass ich ein paar Tage Urlaub bekommen konnte“, fuhr er fort, als handelte es sich hier um eine Wahlveranstaltung. Er verschwieg dabei, dass er in den nächsten Tagen auf jeden Fall hierhergekommen wäre, denn er hatte selbst ein ernsthaftes Problem. Jetzt war er aber neugierig, was Ferdinand von ihm wollte.

Michael war schon längst wieder verschwunden, er hegte große Pläne für den Vierwälderhof und kam nur noch selten zum Haupthaus. Friedrich und Dora folgten dem alten Herrn jetzt in das gemütliche Arbeitszimmer, wo einige Stapel Papiere anzeigten, dass hier auch eifrig gearbeitet wurde.

Die Frau schaute sich um und verzog etwas das Gesicht. Seit Jahren hatte sich in diesem Raum nichts verändert, und sie fand es längst an der Zeit, dass hier mal eine gründliche Neueinrichtung nötig wäre. Friedrich hingegen taxierte nicht zum ersten Mal die Möbel und die uralte Standuhr. Allein diese Einrichtung wäre ein Vermögen wert, würde man sie verkaufen, denn alles hier in diesem Raum war mehr als zweihundert Jahre alt und bestens gepflegt. Er ließ sich in einem Sessel nieder und atmete tief den Geruch von altem Holz und Leder ein. Ein Strauß Blumen bereicherte das Bukett und schuf eine angenehme Atmosphäre, in der es fast unbemerkt blieb, dass Sendlinger von Zeit zu Zeit eine Pfeife rauchte, was Doktor Müller-Rath besser nicht wissen sollte.

Friedrich versuchte zu verbergen, dass er sich angespannt fühlte, und das lag nicht allein an diesem Gespräch. Er stand unter Druck, und Ferdinand war sicher, dass er darüber noch mehr zu hören bekommen würde, als ihm eigentlich lieb war.

„Ich hab‘ euch net gerufen, damit ihr mal wieder was Anständiges zu essen bekommt“, begann er mit einem Seitenblick auf die äußerst schlanke Gestalt von Dora, „und auch net, damit eure Kinder mein Gut zu einem Abenteuerspielplatz machen. Mir geht‘s darum, dass ich endlich eine Entscheidung treffen kann, wen ich letztendlich in meinem Testament als Haupterben benennen kann.“

Augenblicklich wurde der Blick der beiden interessiert. Geld und Erbe waren eine Sprache, die sie durchaus verstanden.

„Wie stellst du dir das vor, Vater?“, erkundigte sich Friedrich sachlich.

„Wer mein Nachfolger sein wird, muss in der Lage sein, dieses Gut auf anständige Weise und in meinem Sinne weiterzuführen. Das wird im Testament festgehalten, und der Nachlassverwalter überprüft das auch. Es hätte also keinen Zweck so zu tun, als würde sich derjenige für das Anwesen interessieren, während im Vordergrund steht, dass alles möglichst schnell zu Geld gemacht wird und in falsche Hände kommt.“