5 Gemütliche Krimis vom Lande Dezember 2023 - Alfred Bekker - E-Book

5 Gemütliche Krimis vom Lande Dezember 2023 E-Book

Alfred Bekker

0,0

Beschreibung

Dieses Buch enthält folgende Romane: Robert Gruber, Peter Haberl: Dampfmosers dritter Fall Alfred Bekker & Albert Baeumer: Kaffee, Kunst und Kaviar Peter Haberl: Die Tote im Unterholz Alfred Bekker: Zweisam in Sonsbeck Alfred Bekker & W. A. Hary: Schüsse im Hochwald

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 553

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



lfred Bekker, Peter Haberl, Albert Baeumer & W. A. Hary, Robert Gruber

5 Gemütliche Krimis vom Lande Dezember 2023

UUID: 39196a19-fd1f-48be-b03a-22c032e562b2
Dieses eBook wurde mit StreetLib Write (https://writeapp.io) erstellt.

Inhaltsverzeichnis

5 Gemütliche Krimis vom Lande Dezember 2023

Copyright

​Dampfmosers dritter Fall

Kaffee, Kunst und Kaviar

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Epilog

Albrecht Dürer - Sein Leben und Wirken

Die Tote im Unterholz

1. Kapitel

2. Kapitel

3. Kapitel

4. Kapitel

5. Kapitel

6. Kapitel

7. Kapitel

8. Kapitel

9. Kapitel

10. Kapitel

ZWEISAM IN SONSBECK

SCHÜSSE IM HOCHWALD

1

2

3

4

5

6

7

8

9

10

11

12

13

14

15

16

17

5 Gemütliche Krimis vom Lande Dezember 2023

Alfred Bekker, Peter Haberl, Albert Baeumer & W. A. Hary, Robert Gruber

Dieses Buch enthält folgende Romane:

Robert Gruber, Peter Haberl: Dampfmosers dritter Fall

Alfred Bekker & Albert Baeumer: Kaffee, Kunst und Kaviar

Peter Haberl: Die Tote im Unterholz

Alfred Bekker: Zweisam in Sonsbeck

Alfred Bekker & W. A. Hary: Schüsse im Hochwald

Copyright

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

[email protected]

Folge auf Facebook:

https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/

Folge auf Twitter:

https://twitter.com/BekkerAlfred

Erfahre Neuigkeiten hier:

https://alfred-bekker-autor.business.site/

Zum Blog des Verlags!

Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!

https://cassiopeia.press

Alles rund um Belletristik!

​Dampfmosers dritter Fall

Peter Haberl, Robert Gruber

Dampfmosers dritter Fall – Kommissar Dampfmoser ermittelt

Alpenkrimi 3
Roman von Peter Haberl & Robert Gruber
nach einem Exposé von Robert Gruber
Wer hat Thomas Oberbichler ermordet? Der Immobilienmakler gilt als seriöser und ehrlicher Mann, doch als zwei seiner Freunde ebenfalls ermordet werden, kommt eine schreckliche Wahrheit aus der Vergangenheit ans Licht. Kommissar Dampfmoser und sein Kollege suchen einen mehrfachen Mörder, der sich gut tarnt.
Copyright
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
Exposé: Robert Gruber
Robert Gruber ist ein Pseudonym von Alfred Bekker
Kommissar Dampfmoser wurde erfunden von Alfred Bekker
© dieser Ausgabe 2022 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
Alle Rechte vorbehalten.
www.AlfredBekker.de
Folge auf Facebook:
https://www.facebook.com/alfred.bekker.758/
Folge auf Twitter:
https://twitter.com/BekkerAlfred
Erfahre Neuigkeiten hier:
https://alfred-bekker-autor.business.site/
Zum Blog des Verlags!
Sei informiert über Neuerscheinungen und Hintergründe!
https://cassiopeia.press
Alles rund um Belletristik!
1
Kriminalhauptkommissar Ludwig Dampfmoser nahm im Büro seines Vorgesetzten Platz. Kriminaldirektor Schrotz machte ein ernstes Gesicht, und schon dadurch war Dampfmoser klar, dass der Anlass dieses Gesprächs ganz sicher nicht erfreulich sein konnte.
Also kein Angebot einer Beförderung zum Beispiel, dachte Dampfmoser. Dass es um einen neuen Fall ging, hielt Dampfmoser für ausgeschlossen. Dann wäre nämlich sein Kollege Roderich Berger mit Sicherheit dabei gewesen. Der saß jetzt allein im Büro.
Kriminaldirektor Schrotz wollte also ausdrücklich unter vier Augen mit Dampfmoser reden.
„Grüß Gott, Herr Dampfmoser“, sagte Schrotz auf eine Art und Weise, die selbst für ihn förmlich wirkte.
Und Schrotz war eigentlich schon ohnehin die Förmlichkeit in Person.
„Servus, Herr Schrotz“, gab Dampfmoser zurück.
„Herr Dampfmoser … Wie soll ich jetzt anfangen?“
„Am besten immer gleich direkt zur Sache, Herr Schrotz, meinen Sie net?“
Schrotz atmete tief durch.
Ein deutlich hörbares Seufzen war das.
„Genau das ist ja schon das Problem, Herr Dampfmoser.“
„Das verstehe ich jetzt net“, meinte er. „Aber naja, man muss ja auch net alles verstehen.“
„Es liegen hier jetzt einige Beschwerden vor, die sich so angesammelt haben.“
„Beschwerden?“
„Von Kollegen, von Verdächtigen, die von Ihnen befragt wurden, von Behörden, mit denen wir kooperieren müssen, und von Reportern und Lokalpolitikerin, die ein paar Auskünfte von Ihnen wollten …“
„Beschwerden?“ Dampfmoser runzelte die Stirn.
„Also jetzt mal gleich zur Sache, Herr Dampfmoser: Können Sie nicht vielleicht mal etwas umgänglicher und diplomatischer sein?“
„Ich, Herr Schrotz, ich bin sensibel und rücksichtsvoll, wie jeder weiß, der mit mir zu tun hat.“
„Naja, diese Beschwerden sprechen da eine andere Sprache, Herr Dampfmoser! Eine deutlich andere Sprache!“
„Ich bin die Diplomatie persönlich, Herr Schrotz – aber immer nur, so lange es geht. Und manchmal, da kommt man auf die sanfte Tour einfach net weiter, Herr Schrotz!“
„Herr Dampfmoser, ich habe Ihnen mal ein Fortbildungsseminar herausgesucht.“
„Fortbildung?“
„Ja.“
„Brauch ich net.“
„Aber …“
„Ich bin lange genug im Dienst, Herr Schrotz. Ich kann alles, und ich weiß alles, was es da zu wissen gibt. Der Mord wird net neu erfunden!“
„Die Fortbildung richtet sich an die Mitarbeiter aller möglichen staatlichen Behörden. Nicht nur an die Polizei. Die dahinterstehende Idee ist, die Menschen, mit denen wir es zu tun haben, als Kunden zu begreifen – und auch so zu behandeln.“
Dampfmosers buschige Augenbrauen zogen sich jetzt so stark zusammen, dass sie sich in der Mitte berührten.
Seine Skepsis war unübersehbar.
„Als Kunden?“, vergewisserte er sich, so als glaubte er, sich verhört zu haben.
„Als Kunden, deren Bedürfnisse wir in unser Kommunikationsverhalten einbeziehen müssen.“
„Und der Kunde ist bekanntlich König!“
„So ist es, Herr Dampfmoser.“
„Also auf Hochdeutsch heißt das: Ich soll in den Verbrechern jetzt Kunden sehen.“
„Herr Dampfmoser …“
„Als ob ich denen was verkaufen wollte! Stattdessen soll ich mich jetzt von denen für dumm verkaufen lassen?“
„Herr Dampfmoser, das haben Sie jetzt in den falschen Hals gekriegt, würde ich sagen.“
„Nein, das würde ich net sagen!“
„Hier sind die Unterlagen zur Fortbildung, Herr Dampfmoser. Ich habe Sie schon angemeldet.“
„Was?“
„Sehen Sie Ihre Teilnahme als dienstlich angeordnet, Herr Dampfmoser.“
„Und wenn jetzt ein Fall dazwischenkommt?“
„Für die paar Seminarsitzungen ist immer Zeit genug, Herr Dampfmoser.“
Dampfmoser atmete tief durch. Aber richtig Luft machen konnte er sich erst draußen auf dem Flur. „Himmel, Sakra noch einmal!“, donnerte es aus ihm heraus. So laut, dass eigentlich auch Kriminaldirektor Schrotz dies gehört haben musste.
2
Der sechsundfünfzigjährige Thomas Oberbichler trat auf die Terrasse seiner feudalen Villa, die ein ganzes Stück vom Ortsrand entfernt inmitten eines parkähnlichen Gartens errichtet worden war, und blinzelte in das letzte Licht der Sonne, das über die Berge im Westen flutete.
Oberbichler hatte die Abendnachrichten im Wohnzimmer angeschaut. Nun wollte er mit seiner Frau, die noch im Haus zu tun hatte, auf der Terrasse den lauen Abend genießen und ein Glas Wein trinken. Er schien ein problemloses Leben zu führen, der schwerreiche Immobilienmakler, dennoch war er unzufrieden, nachdem er vor einigen Monaten die Geschäftsführung an seinen Sohn Kai übergeben hatte.
Thomas Oberbichler war nämlich der Meinung, dass es ohne ihn im Betrieb nicht lief. Kai hingegen war der festen Überzeugung, dass ihm sein Vater so ziemlich alles beigebracht hatte, was er wissen musste, um in der Branche erfolgreich zu sein.
Die sich ständig wiederholenden, tagtäglichen Anrufe seines Vaters empfand Kai als immens störend, um nicht zu sagen, lästig. Unablässig versuchte ihm sein Vater am Telefon zu erklären, wie dieses oder jenes richtig zu erledigen sei, immerzu hatte der Senior an der Arbeit Kais etwas auszusetzen. Kai war genervt, wenn ihn sein Vater immer wieder mit den gleichen Worten auf sein Unvermögen hinwies, oft drei- bis viermal in derselben Angelegenheit. Der alte Herr hatte die vorhergehenden Anrufe schlicht und einfach vergessen.
Thomas Oberbichler setzte sich in einen der gepolsterten Stühle, die um einen Glastisch herum gruppiert waren, lehnte sich zurück, reckte die Schultern, hob die Arme und legte die flachen Hände gegen den Hinterkopf. Er-folg-reich! Er zerlegte den Begriff in seine Silben. Erfolg war die Voraussetzung, um reich zu sein. Doch ohne Schweiß kein Preis! Den Schweiß vermisste er bei seinem Sohn. Den hatte seiner Meinung nach nur er vergossen.
Außerdem war da noch das verdammte Handicap, das ihn seit mehreren Wochen plagte. Er vergaß viel, erkannte manche Leute nicht mehr mit letzter Sicherheit, und manches Mal hatte er selbst das Gefühl, wirres Zeug zu reden. Dem Rat seiner Frau, einen Arzt aufzusuchen, folgte er nicht, denn er fürchtete eine niederschmetternde Diagnose. Er wollte einfach nichts davon wissen, dass er unter einer Demenz im Anfangsstadium litt, verdrängte es einfach und war davon überzeugt, dass die Krankheit stagnierte, wenn er sie einfach ignorierte.
Der Abendsonnenschein hüllte das Land in gleißendes Licht. Die Blätter an den Bäumen und Büschen, die in dem Garten ausgesprochen üppig wuchsen, zitterten leicht in der lauen Brise, die vom Dorf her wehte. Er hatte damals weit weg von der Stadt sein Haus errichtet, denn er liebte die Idylle zwischen Wäldern, Wiesen, Feldern und Äckern. Thomas Oberbichler war ein Naturmensch und tat viel für den Umweltschutz. Im Dorf und auch in der Stadt wurde er bei den Zeitgenossen, die über sein Engagement Bescheid wussten, als Gutmensch gehandelt.
Seine Frau trat mit einer Flasche Rotwein und zwei Gläsern in den Händen lächelnd durch die Terrassentür und wollte etwas sagen, als ein peitschender Knall durch den Garten stieß. Ihr Mann wurde samt Stuhl umgerissen. Noch zwei– dreimal erklang das Echo des Schusses, bis es mit geisterhaftem Geflüster verebbte.
Thomas Oberbichler hatte keinen Laut von sich gegeben. Reglos lag er auf der Terrasse, die Augen wie im letzten Schrecken seines Lebens weit aufgerissen, das T-Shirt über seiner Brust war zerfetzt und färbte sich rot von seinem Blut.
Wie zur Salzsäule erstarrt stand Kerstin Oberbichler da, einen stupiden Ausdruck der Verständnislosigkeit in den Augen und in den Gesichtszügen, zu keiner Reaktion fähig. Sie sah nicht die über einem dichtbelaubten Busch im lauen Wind zerflatternde Pulverdampfwolke am Rand des Gartens. Sie nahm auch nicht den Schützen wahr, der sich lautlos zurückzog, durch ein Loch im Drahtzaun kroch und im Wald verschwand.
Erst nach einer ganzen Weile stellte sich bei Kerstin Oberbichler das Begreifen ein, und es kam mit einer geradezu schmerzlichen Schärfe. „Thomas!“, brach es fast kreischend über ihre bleichen Lippen. „Gütiger Gott …“
Sie eilte zu dem Reglosen hin und fiel neben ihm auf die Knie nieder. Ihrem Entsetzen gesellte sich die Verzweiflung hinzu. Mit beiden Händen packte sie ihn an den Schultern und rüttelte ihn. „Sag was, Thomas, mein Gott, sag doch etwas!“
Sie war vollkommen konfus, wusste nicht, wo ihr der Kopf stand.
Thomas Oberbichler war tot. Sein Mund war für immer versiegelt, die gebrochenen Augen starrten ins Leere. Kerstin kam hoch, taumelte und musste sich am Tisch festhalten. Ihr Herz raste und jagte das Blut durch ihre Adern, vor ihren Augen verschwammen die Dinge. Eine den Bruchteil einer Sekunde andauernde Blutleere im Gehirn löste bei ihr Benommenheit aus.
Du musst Kai anrufen, hämmerte eine innere Stimme. Nein, zuerst den Rettungsdienst, und dann Kai. Sie griff sich an die Stirn und versuchte ihre wirbelnden Gedanken zu ordnen und koordiniert vorzugehen. Auf Beinen, die sie kaum zu tragen vermochten, wankte sie zurück ins Haus.
3
Es war Freitag, und es ging auf zwanzig Uhr zu. Hauptkommissar Ludwig Dampfmoser hatte um siebzehn Uhr Feierabend gemacht, sich auf dem Nachhauseweg im Gasthaus Zum Bierdümpfl eine Halbe Weißbier genehmigt, zu Hause eine Kleinigkeit gegessen und sich dann auf die Couch in seinem Wohnzimmer gelegt, wo er vor sich hin döste. Der Fernseher lief.
Ludwig versah seinen Job bei der Kriminalpolizei zwar gern, er liebte aber auch die Entspannung und das Nichtstun. Eigentlich war in dem Landstrich, in dem er lebte und arbeitete, inmitten der Berge, umgeben von schier grenzenloser Natur und Ursprünglichkeit, die Welt noch in Ordnung.
Er freute sich auf das Wochenende. Vielleicht ein bisschen angeln gehen, sich die eine oder andere Halbe Weizen genehmigen, am Samstagabend im Bierdümpfl am Stammtisch einen zünftigen Schafskopf klopfen …
Wenn das elende Diensthandy nicht gewesen wäre. Zunächst einmal musste er sich sammeln, denn das Klingeln hatte ihn ziemlich unsanft aus dem Halbschlaf gerissen. Nachdem der dritte Klingelton verhallt war, schnappte er sich das Mobiltelefon und nahm das Gespräch an. Es war jemand von der Dienststelle, der seine Ruhe störte.
„Servus, Ludwig“, erklang die Stimme des Kollegen vom Bereitschaftsdienst. „Es tut mir leid, aber du musst noch einmal ran heute. Du kennst doch den Thomas Oberbichler?“
„Wer kennt den net, den Immobilienmogul hier im Tal?“, fragte Ludwig. „Was ist mit ihm?“
„Er ist vor einer Stunde erschossen worden.“
„Was?“ Ludwig hielt den Atem an. „Ich hör‘ wohl net recht“, stieß er dann zusammen mit einem Schwall verbrauchter Atemluft hervor. „Wer sollt‘ Interesse dran haben, den Oberbichler vom Leben zum Tod zu befördern? Er war doch gar nimmer aktiv in seinem Job. Das macht doch jetzt der Junior.“
„Du wirst verstehen, Ludwig, dass ich dir diese Frage net beantworten kann. Denn wenn wir wüssten, wer hinter dem Mord steckt, dann würden wir den Täter sicherlich dingfest gemacht haben, und du wärst nimmer gefordert.“
„Schon gut, schon gut“, sagte Ludwig. „Ich hab lediglich laut gedacht. Wo ist der Mord geschehen? Sind die Spurensicherung und die Staatsanwaltschaft schon verständigt? Weiß mein Kollege, der Roderich, Bescheid?“
„Der Oberbichler hat auf der Terrasse seiner Villa gesessen, als ihn der Schuss traf“, antwortete der Kollege. „Seine Frau war Zeugin. Der Täter hatte sich scheinbar im Garten versteckt. Mehr kann ich dir im Moment auch net sagen, Ludwig. Am besten, du setzt dich in dein Auto und fährst zum Tatort. Wo der Oberbichler wohnt, das muss ich dir ja net sagen. – Natürlich sind die Kollegen von der Spurensicherung und die Staatsanwaltschaft verständigt worden. Deinen Kollegen Berger ruf‘ ich jetzt gleich an.“
„Ich mach das schon“, erklärte sich Ludwig bereit. „Ich fahr dann gleich bei ihm vorbei und nehm‘ ihn mit.“
„In Ordnung. Viel Erfolg bei der Suche nach dem Täter, Ludwig.“
„Danke. Es wird sicher net schaden, wenn du mir und dem Roderich die Daumen drückst.“
„Schaden wird‘s net, ob‘s was bringt, ist allerdings fraglich. Servus, Ludwig.“
„Habe die Ehre“, knurrte der Hauptkommissar, dann rief er Kommissar Roderich Berger an und klärte ihn auf. „Feierabend ade“, sagte Ludwig am Ende seines Kurzberichts. „Ich hol‘ dich ab, Roderich, und dann fahren wir gemeinsam zur Villa Oberbichlers.“
„Das Verbrechen kennt halt keinen Feierabend und kein Wochenende“, gab Roderich zu verstehen. „Okay, Ludwig, ich wart‘ auf dich.“
„Bis dann“, brummte der Hauptkommissar, dann beendete er das Gespräch. Eine Viertelstunde später hielt er sein Auto vor Roderichs Wohnung an, der Kollege stieg zu, und weitere zwanzig Minuten später erreichten sie die Villa Oberbichler. Einige Dienstfahrzeuge der Polizei parkten vor dem riesigen Grundstück, da waren auch der Kastenwagen der Spurensicherung und eine Ambulanz sowie der Pkw des Notarztes.
„Wir sind scheinbar die letzten, die am Tatort ankommen“, murmelte Roderich.
„Wahrscheinlich hat man uns auch zuletzt verständigt“, rechtfertigte Ludwig ihr spätes Kommen. „Außerdem sind wir eh außen vor, solang die Kollegen von der Spurensicherung am Werk sind.“
„Das ist auch wieder wahr“, pflichtete Roderich dem Hauptkommissar bei. „Also stürzen wir uns ins Getümmel.“
Im Garten waren einige Kollegen in weißen, sterilen Einwegoveralls auszumachen. Auf der Terrasse trafen die beiden Kripobeamten den Notarzt, zwei Sanitäter sowie zwei Kollegen in den weißen Schutzanzügen der Spurensicherer. Auch ein Vertreter der Staatsanwaltschaft war anwesend, außerdem die bleiche Gattin des Ermordeten und sein Sohn Kai, der nur fünf Gehminuten entfernt einen eigenen Bungalow besaß.
Der Tote lag noch auf der Terrasse. Mit Kreide war seine Kontur nachgezeichnet worden. Roderich verzog das Gesicht, als er den Blick auf die von einer Schrotladung zerfetzte Brust des Getöteten warf. Es war in der Tat kein schöner Anblick.
Der Staatsanwalt wandte sich Ludwig und Roderich zu. „Wie es ausschaut“, sagte er, „wurde er mit einem Jagdgewehr erschossen. Er hat die Schrotladung in die Brust bekommen. Nach ersten Erkenntnissen hat sich der Täter dort hinten …“, der Staatsanwalt wies in eine bestimmte Richtung, „… verborgen gehabt. Da haben die Leute von der Spurensicherung ein Loch im Zaun gefunden, und das Gras ist an einer Stelle zwischen dem Buschwerk niedergetreten.“
„Hat schon jemand mit Frau Oberbichler und dem Sohn des Ermordeten gesprochen?“, erkundigte sich Ludwig.
„Die Frau kam gerade aus dem Haus, als der Schuss fiel. Ihr Mann kippte samt Stuhl um. Frau Oberbichler war, wie Sie sich denken können, schockiert und wie gelähmt. Sie hat dann, nachdem sie feststellen musste, dass ihr Mann kein Lebenszeichen mehr von sich gab, den Rettungsdienst und ihren Sohn verständigt. Der Notarzt konnte allerdings nur noch den Tod feststellen. Tatzeitpunkt war viertel sieben Uhr.“
„So richtig ausgefragt hat sie also noch niemand“, konstatierte der Hauptkommissar. „Und den Sohn hat auch noch niemand gesprochen. Nun, wir werden das unverzüglich nachholen. Es ist net auszuschließen, dass die Frau eine Beobachtung gemacht hat, die uns vielleicht weiterhilft.“
„Ich hab den Leichnam beschlagnahmt“, erklärte der Staatsanwalt. „Er wird in die Gerichtsmedizin überführt und obduziert. Einen Bestatter haben wir bereits informiert. Er wird den Toten abholen.“
„Sehr gut“, lobte Ludwig, dann ging er zur Gattin des Getöteten und dessen Sohn hin. Kerstin Oberbichler war krankhaft bleich, ihre Augen waren gerötet und verquollen. Sie saß in einem der gepolsterten Gartenstühle und beobachtete, was sich im Garten und auf der Terrasse abspielte. Dabei mutete sie völlig geistesabwesend an. Wahrscheinlich versuchte sie immer noch zu begreifen, dass ihr Mann auf gewaltsame Weise aus dem Leben gerissen worden war.
Kai Oberbichler, der seinem Vater sehr ähnlich sah, schien das Geschehene ebenfalls noch nicht verarbeitet zu haben. Er schaute den Hauptkommissar an wie einer, der aus dem Tiefschlaf erwacht, als dieser ihn ansprach: „Entschuldigen S‘, Herr Oberbichler. Ich bin Hauptkommissar Dampfmoser von der Mordkommission. Können wir Sie und Ihre Frau Mutter kurz sprechen?“
Es dauerte eine Weile, bis die Frage bei Kai Oberbichler durch war. Dann nickte er. „Bitte, wir stehen Ihnen zur Verfügung. Nehmen Sie aber ein bisschen Rücksicht auf meine Mutter. Sie kann es noch immer net so recht begreifen …“
„Natürlich“, erklärte der Hauptkommissar. „Hier ist aber net der richtige Ort für unser Gespräch. Drum würd‘ ich sagen, wir gehen ins Haus …“
Kai nickte, beugte sich zu seiner Mutter hinunter und sagte leise: „Die Herren von der Kripo wollen mit uns beiden reden. Komm, Mama, wir gehen hinein. Ich helf‘ dir.“
Er stützte seine Mutter, geleitete sie durch die Terrassentür ins Wohnzimmer und wartete, bis sie sich gesetzt hatte, dann bot er Ludwig und Roderich Plätze zum Sitzen an und ließ sich selbst auch nieder. „Es – es ist furchtbar“, stöhnte er. „Wer kann meinen armen, kranken Vater so sehr gehasst haben, dass er net davor zurückgescheut ist, ihn aus dem Hinterhalt zu ermorden?“
Er schlug die Hände vor das Gesicht, und seine Schultern zuckten, als würde er weinen.
Fast ein bissel zu theatralisch, sinnierte Ludwig. Ich will ihm aber nix unterstellen. Möglicherweise ist er wirklich so sensibel.
4
Sie warteten, bis Kai nach einiger Zeit seine Hände wieder sinken ließ. Seine Augen waren tatsächlich feucht.
„Tja, wenn wir das wüssten“, ging Roderich, der bisher noch kein Wort gesprochen hatte, nunmehr auf Kais Frage ein. „Das könnt‘ uns womöglich einen Haufen Ermittlungsarbeit ersparen.“
Ludwig nickte und sagte: „Ihre Äußerung von eben sagt mir, Herr Oberbichler, dass Sie keinen Verdacht haben.“ Während er sprach, ließ er den Sohn des Ermordeten nicht aus den Augen. Dampfmoser sagte sich, dass der Mord, nachdem kein Raubmord vorlag, eventuell auf familiäre Probleme zurückzuführen war. Daher achtete er sehr auf Körpersprache. Sie konnte oftmals recht ausdrucksstark sein. Abgesehen davon, dass Kai nach dem Mord an seinem Vater nervlich stark in Anspruch genommen war, zeigte er jedoch keine Anzeichen von Nervosität oder Unsicherheit.
Er schüttelte den Kopf. „Nein. Ich könnt‘ Ihnen net sagen, ob er einen Feind hatte. Wenn ihn jemand bedroht hätt‘, dann glaub‘ ich net, dass er das mir oder der Mama gegenüber verheimlicht hätt‘. Im Gegenteil! Er würd‘ jeden, der ihm gedroht hätt‘, wahrscheinlich sofort angezeigt haben. Der Papa war ziemlich unduldsam und konnt‘ recht ungemütlich werden, wenn ihm jemand ungerechtfertigterweise gegen die Karre fahren wollte.“
„Sie wissen auch nix, Frau Oberbichler?“, fragte Ludwig. „Ich mein‘, ob‘s jemand gibt, der Ihrem Mann net wohlgesinnt war.“
„Ich – ich hab keine Ahnung“, kam es lahm über die Lippen der Dreiundfünfzigjährigen. „Der Thomas hat jedenfalls nie erwähnt, dass er in Gefahr wär‘ oder dass er einen Feind hat.“
„Hatte er Freunde?“, fragte Roderich. „Vielleicht haben sie den einen oder anderen Tipp für uns.“
„Er hat sich fast jeden Freitag mit drei alten Freunden zum Schafskopf getroffen“, murmelte Kerstin. „Und zwar mit dem Bernd Dübner, der hat zwei oder drei Taxis laufen, dem Peter Reininger, der einen Kiosk betreibt, und dem Markus Drehwinkel, einem Bauunternehmer in der Nachbargemeinde.“
Roderich holte einen Notizblock und einen Kugelschreiber aus der Innentasche seiner leichten Sommerjacke und schrieb die Namen auf. „Können S‘ mir auch die Adressen der drei Herren nennen?“, fragte er.
Kerstin schüttelte den Kopf. „Nein.“
„Wir werden sie auch so ausfindig machen“, erklärte Ludwig und heftete den Blick auf Kai Oberbichler. „Sie haben vorhin angedeutet, dass Ihr Vater krank war. An was für einer Krankheit hat er denn gelitten?“
„Er ist langsam aber sicher dement geworden. Die Krankheit befand sich zwar erst im Anfangsstadium, doch sie war nimmer zu verleugnen. Er hat einige Dinge vergessen, andere Sachen hat er drei- und viermal erzählt, oft redete er auch wirres Zeug. Die Krankheit trat schubweise auf. Das war ja auch der Grund, aus dem er mir die Geschäftsführung in der Immobilienfirma übertragen hat. Er hätte andernfalls doch mit Mitte fünfzig niemals das Zepter aus der Hand gegeben.“
„Interessant“, murmelte der Hauptkommissar. „Er hat die Geschäfte somit mehr oder weniger gezwungenermaßen an Sie übergeben“, konstatierte er dann.
„Aus gesundheitlichen Gründen“, betonte Kai.
„Sicher“, versetzte Ludwig. „Die Demenz hat der Teufel erschaffen. Derjenige, den sie befällt, der ist net zu beneiden. – Ziehen S‘ jetzt bitte keine falschen Schlüsse, Herr Oberbichler, wenn wir Ihnen ein paar Routinefragen stellen.“
Kais Gesichtszüge drohten für einen Moment zu entgleisen. „Routinefragen?“, echote er fast ein wenig hysterisch. „Ich steh‘ doch net etwa im Verdacht, meinen eigenen Vater …“
Seine Stimme versagte, als weigerten sich seine Stimmbänder, das Ungeheuerliche auszusprechen. Entsetzt starrte er den Hauptkommissar an.
„Wir müssen jeden aus dem unmittelbaren Umfeld des Getöteten befragen“, erklärte Ludwig mit ruhiger Stimme. „Sie, Ihre Mutter, seine Freunde, die Bedienung in dem Wirtshaus, in dem sich Ihr Vater zum Schafskopf mit seinen Freunden getroffen hat … Einfach jeden, der in irgendeinem Zusammenhang mit ihrem Vater stand. – Eigentlich sind es nur zwei Fragen, Herr Oberbichler, die ich habe.“
„Wenn‘s sein muss, dann fragen S‘“, brummte Kai.
„Wo waren S‘ um neunzehn Uhr?“, erkundigte sich Ludwig.
„Daheim. Mein Haus liegt ungefähr einen halben Kilometer von hier entfernt.“
„Kann das jemand bestätigen?“, fragte Roderich.
„Ich leb‘ alleine“, antwortete Kai.
„Okay, zweite Frage“, stieß Ludwig hervor. „Wie war das Verhältnis zwischen Ihnen und Ihrem Vater?“
Er ließ Kai nicht aus den Augen. Die Erfahrung hatte ihn gelernt, auf jede Reaktion in den Gesichtern zu achten und Zeichen von Unruhe, schlechtem Gewissen und unnatürlichem Verhalten zu deuten.
Kai bog die Mundwinkel nach unten. „Oft hat er meine Art, die Geschäfte zu führen, gemaßregelt. Du machst das nicht richtig, du machst alles falsch, du musst mit den Kunden anders umgehen … Er hatte ständig etwas an mir auszusetzen, und es ist schon das eine oder andere Mal zum Streit gekommen.“ Kai atmete durch. „Er hat mich auch genervt, weil er immer wieder die gleichen Beschwerden vorgetragen hat, oft mehrere Male an einem Tag. Er wusste oft um elf Uhr nicht mehr, was er mit mir um neun Uhr gesprochen hat.“
„Sind solche Streitigkeiten eskaliert?“, fragte Roderich.
„Nein, ich hab einfach aufgelegt, wenn es zu schlimm geworden ist, weil ich mir gedacht hab, dass er in einer Stunde eh nimmer weiß, dass er mit mir telefoniert hat.“
„Das war für den Moment von meiner Seite alles“, gab Ludwig zu verstehen. „Hast du noch irgendwelche Fragen, Roderich?“
„Ja“, antwortete der Kommissar. „Hat Ihr Mann eine Lebensversicherung abgeschlossen?“
Es war Kai, der antwortete. „Ja, zwei sogar. Eine über hunderttausend Euro, eine weitere über fünfzigtausend. Sie wären mit seinem fünfundsechzigsten Lebensjahr fällig geworden.“
„Bei welcher Versicherung wurden sie abgeschlossen?“
Kai nannte den Namen der Versicherungsgesellschaft.
Der Kommissar bedankte sich und schaute die Witwe an. „Ich nehme an, die Versicherungen wurden zu Ihren Gunsten abgeschlossen, falls der Versicherte vor Ablauf der Zeit verstirbt, Frau Oberbichler.“
„Ja“, murmelte Kerstin Oberbichler. „Das ist für Sie doch hoffentlich kein Grund, anzunehmen, dass ich was mit dem Mord zu tun hab?“, entrang es sich ihr. „Ich – ich kann Ihnen die Auszüge unseres gemeinsamen Kontos zeigen, damit Sie sehen, dass wir genug Geld haben …“
Roderich winkte ab. „Auch die Frage nach eventuellen Lebensversicherungen ist ebenfalls Routine, Frau Oberbichler. Wir haben net vor, aus Ihren Antworten ein Motiv zu konstruieren.“ Er wandte sich an Ludwig. „Ich hab keine weiteren Fragen.“
Ludwig erhob sich. „Dann dürfen wir uns empfehlen.“ Er schaute Kerstin Oberbichler an. Sie sah in der Tat krank und mitgenommen aus. „Ich darf Ihnen noch einmal meine Anteilnahme ausdrücken, Frau Oberbichler.“ Jetzt suchte sein Blick Kai. „Ihnen natürlich auch, Herr Oberbichler. Uns wird sich im Rahmen der Ermittlungen sicher noch die eine oder andere Frage stellen. Erschrecken S‘ dann net, wenn wir plötzlich bei Ihnen auf dem Teppich stehen.“
5
Dampfmoser und Berger fuhren in die Polizeiinspektion und verfassten einen Kurzbericht. Am folgenden Morgen, am Samstag also, wollten sie sich die Stammtischfreunde des Getöteten vornehmen. Ludwig brachte seinen Kollegen nach Hause, und ehe sie sich voneinander verabschiedeten, fragte Ludwig: „Was hältst eigentlich du von der ganzen Sache, Roderich?“
Der Kommissar wiegte den Kopf. „Fakt ist lediglich, dass wir eine Leiche haben, in deren Brust eine Schrotladung steckt. Dazu kommen eine Witwe, die ziemlich gefasst zu sein scheint, und ein Sohn, dem sein Vater mit zunehmender Krankheit immer mehr auf die Nerven gegangen ist.“
„Kann das ein Grund sein, seinen alten Herrn vom Leben zum Tod zu befördern?“, fragte Dampfmoser.
Roderich zuckte mit den Schultern. „Es sind schon Morde geschehen, bei denen der Mörder eine noch viel geringere Veranlassung hatte“, gab er schließlich zu bedenken. „Aber wir wollen objektiv bleiben und das Ergebnis der Spurensicherung abwarten. Außerdem gilt es noch einige Leute zu vernehmen. Vielleicht finden wir einen Hebel, an dem wir ansetzen können.“
„Lassen wir es einfach auf uns zukommen.“ Ludwig schaute auf die Uhr im Armaturenbrett seines Autos. „Zeit, ins Bett zu kommen“, knurrte er. „Morgen wartet ein Haufen Arbeit auf uns.“
„Ich denk‘“, brummte Roderich, „das Wochenende können wir knicken.“ Er stieg aus dem Auto und schaute in die Runde. Über ihm entfaltete sich ein sternenklarer Nachthimmel, und auf den Berghängen rings um das Tal glühten die Lichter verschiedener Anwesen. Die Konturen der Berge zeichneten sich schwarz und scharf gegen die Kulisse des Sternenhimmels ab. Im Südosten hing die Sichel des Mondes; sein spärliches Licht erreichte die Erde kaum.
„Das ist eben unser Schicksal“, erwiderte Ludwig. „Wir sollten uns eben auf nix freuen. Aber was soll‘s? Wir haben den Job gewählt, und drum dürfen wir uns net beklagen.“
„Wie wahr, wie wahr“, stimmte Roderich zu. „Komm gut heim, Ludwig. Bis morgen früh dann – Servus.“
„Pfüat di.“
Roderich warf die Autotür zu, und Ludwig fuhr an.
Nicht nur er und Roderich mussten am nächsten Tag ran; auch die Kollegen von der Spurensicherung mussten die sichergestellten Hinweise auswerten. Kurz nachdem er den Dienst angetreten hatte, telefonierte Ludwig schon mit dem Teamleiter der Profiler.
„Wir haben einige Fußspuren gefunden“, berichtete der Kollege, „und dort, wo der Schütze gestanden hat, als er den Schuss abfeuerte, hat sich Pulverschmauch auf den Blättern eines Strauchs abgelagert. Der Mord ist mit einer Schrotbüchse ausgeführt worden, wahrscheinlich mit einer Jagdwaffe. Den Todeszeitpunkt wissen wir. Alles andere muss noch ausgewertet werden. Ach ja, das Loch im Drahtzaun muss schon vor längerer Zeit hineingeschnitten worden sein. An den Drahtenden haben wir Haar sichergestellt, dem ersten Augenschein nach sind es aber Haare aus dem Fell eines Hundes.“
„Das ist net viel“, grummelte Ludwig. „Der Leichnam befindet sich in der Gerichtsmedizin, wie?“
„Natürlich. Der Gerichtsmediziner wird ihn sich aber erst im Lauf der kommenden Woche zu Gemüte führen.“
„Wir fangen heut‘ an, einige Leut‘ aus dem engsten Umfeld des Getöteten zu vernehmen“, erklärte Ludwig. „Wenn ihr was habt, was von Interesse sein könnt‘, dann teilt es uns mit. Du weißt ja selber, Kollege, dass die Ermittlungen, je mehr Zeit verstreicht, net einfacher werden.“
„Sobald wir neue Erkenntnisse haben, kriegst du sie auf den Tisch, Kollege“, versprach der Teamleiter.
Ludwig legte auf und schaute seinen Kollegen Berger an, mit dem er sich das Büro teilte. „Ich würd‘ sagen, wir fangen bei dem Taxiunternehmer an, Roderich. Wie war gleich wieder sein Name? Du hast ihn notiert.“
„Ich hab ihm mir sogar gemerkt“, erklärte der Kommissar. „Sein Name ist Dübner – Bernd Dübner.“
„Danke.“ Ludwig nahm das Telefonbuch, das griffbereit auf dem Schreibtisch lag, blätterte kurz darin, sein suchender Blick glitt über eine Seite, dann brummte er: „Da haben wir ihn ja. Ich diktier‘ dir die Nummer. Vermerk‘ sie bitte bei seinem Namen in deinem Notizbüchl.“
Roderich nahm das Büchlein und einen Kugelschreiber aus der Jackentasche, schlug es auf und sagte: „Ich höre.“
Ludwig nannte ihm die Nummer, und Roderich schrieb sie Zahl für Zahl auf. Dann wählte er sie an. Eine Dame meldete sich. „Polizeiinspektion, mein Name ist Berger“, stellte sich Roderich vor. „Ist Herr Dübner zu sprechen?“
„Einen Moment, bitte“, erhielt Roderich zur Antwort, dann herrschte eine ganze Weile Stille im Äther. Schließlich aber meldete sich eine männliche Stimme. „Dübner. Es geht sicherlich um den Mord am Thomas.“
„Sie wissen Bescheid?“
„Heut‘ früh um sieben hat‘s der lokale Radiosender in den Nachrichten gebracht. Das ist ja ein Hammer! Erschossen soll ihn jemand haben. Ich – ich kann‘s noch immer net glauben.“
„Sie waren sehr gut mit ihm bekannt, Herr Dübner“, sagte Roderich. „Darum haben wir einige Fragen an Sie. Allerdings können wir das net auf die lange Bank schieben. Wie schaut‘s aus? Können S‘ bei uns vorbeikommen, oder ist es Ihnen lieber, wenn wir Sie zu Hause besuchen?“
Dübner überlegte kurz, dann sagte er: „Wenn S‘ mir schon die freie Wahl zugestehen, dann werd‘ ich zu Ihnen kommen. Ich kann in zwanzig Minuten bei Ihnen in der PI sein.“
„Gut, ich sag‘ den Kollegen am Eingang Bescheid. Bis dann, Herr Dübner.“
Es dauerte in der Tat nur etwa zwanzig Minuten, bis ein Beamter, der in Portiersloge Dienst versah, anrief und mitteilte, dass Bernd Dübner eingetroffen sei. „Schick‘ ihn herauf“, bat Roderich, der den Anruf entgegengenommen hatte. „Ich nehm‘ ihn auf dem Flur in Empfang.“
Hübner war ein mittelgroßer, untersetzter Mann, Mitte fünfzig, mit fleischigem Gesicht und Halbglatze. Er trug eine etwas zerknitterte Stoffhose und ein hellblaues Poloshirt.
Roderich fing ihn auf dem Flur ab und geleitete ihn ins Büro, wo sich der Taxiunternehmer dem prüfenden Blick Ludwigs ausgesetzt fühlte. Der Hauptkommissar machte sich ein erstes Bild von dem Mann, verriet aber mit keiner Miene, wie seine Einschätzung ausgefallen war.
„Grüß Gott, Herr Dübner“, erwiderte er den Gruß des Eintretenden. „Bitte, setzen S‘ sich.“ Er wies auf einen Stuhl neben den zusammengestellten Schreibtischen. Als Dübner saß, stellte sich der Hauptkommissar vor und sagte dann: „Da Sie wissen, aus welchem Grund wir Sie sprechen möchten, muss ich keine großen Vorreden halten. Ihr guter Bekannter Thomas Oberbichler ist gestern am frühen Abend aus dem Hinterhalt erschossen worden. Er hat auf seiner Terrasse gesessen, der Mörder hatte sich in seinem Garten versteckt. Tatwaffe war wahrscheinlich ein Jagdgewehr.“
Dübner saß vornübergebeugt auf dem Stuhl, hatte die Unterarme auf den Oberschenkeln liegen und ließ die Hände zwischen seinen Knien baumeln. „Der Thomas und ich kennen uns schon, seit wir Kinder waren“, murmelte er. „Nach der Schule hatten wir uns ein bissel aus den Augen verloren, doch später haben wir die alte Freundschaft aufgefrischt, und seitdem treffen wir uns jeden Samstagabend auf eine Runde Schafskopf im Gasthof Bergblick. – Es will mir einfach net in den Kopf, dass der Thomas tot sein soll. Ermordet! Ich frag‘ mich unablässig, wer ein Interesse dran haben könnt‘, dass er stirbt. Ich komm‘ net drauf. Haben S‘ denn schon einen Verdacht?“
„Bis jetzt tappen wir noch im Dunkeln“, gestand Ludwig. „Wir reden mit den Leuten, die dem Herrn Oberbichler nahegestanden haben, Leuten wie Ihnen, und hoffen, den einen oder anderen brauchbaren Hinweis zu erhalten.“
„Ich kann Ihnen wahrscheinlich nix sagen“, murmelte Dübner. „Ich wüsst‘ auch net, dass der Thomas einen Feind gehabt hätt‘. Er hat auch nie drüber gesprochen, dass er sich von jemand bedroht fühlen würd‘. Vielleicht war‘s einer, der zum Zeitvertreib Leut‘ totschießt. Hört man doch immer wieder, dass Menschen grundlos niedergestochen und erschossen werden, einfach nur, weil s‘ zur falschen Zeit am falschen Ort waren.“
„Nach so einer Tat schaut der Mord an Thomas Oberbichler net aus“, entgegnete Roderich. „So, wie das Geschehen abgelaufen ist, dürft‘ der Mord wohlüberlegt gewesen sein. Wichtig für uns wär‘s, das Motiv zu kennen, denn über das Motiv führt möglicherweise der Weg zum Mörder.“
„Ich kann mir keinen Grund vorstellen, der jemand veranlasst haben könnt‘, sich in Thomas‘ Garten auf die Lauer zu legen und den Thomas zu erschießen“, murmelte Dübner versonnen.
„Kennen Sie jemanden aus seinem Bekanntenkreis, der ein Jagdgewehr besitzt?“, fragte Ludwig.
„Der Kai ist Jäger“, antwortete Dübner. „Thomas‘ Sohn hat eine Jagd gepachtet, und sicher verfügt er auch über entsprechende Waffen.“
„Besitzen Sie ein Jagdgewehr?“, erkundigte sich der Kommissar.
„Nein. Ich hab weder ein Jagdgewehr noch einen Grund, den Thomas vom Leben zum Tod zu befördern.“ Dübner hielt Roderichs forschendem Blick ohne mit der Wimper zu zucken stand. „Außerdem weiß ich, dass der Mord gestern Abend gegen sieben Uhr geschehen ist. Das hat der Nachrichtensprecher des lokalen Senders ebenfalls in den Nachrichten verraten. Und um diese Zeit hab ich nachweislich vor dem Bahnhof in meinem Taxi gesessen und auf Kundschaft gewartet. Ich kann Ihnen die Namen mehrerer Kollegen nennen, die das bestätigen können.“
„Gut, sagen S‘ uns die Namen“, bat Ludwig.
Roderich griff nach seinem Notizbüchlein und dem Kugelschreiber …
6
Nachdem die beiden Beamten einige der genannten Kollegen des Taxifahrers vernommen hatten, war Bernd Dübner aus dem Schneider. Jeder der Befragten bestätigte, dass er zum Tatzeitpunkt mit seinem Taxi vor dem Bahnhof gestanden habe.
„Okay“, murmelte Dampfmoser, während er den Dienstwagen vom Bahnhof zurück zum Dienstgebäude steuerte, „den können wir von unserer Liste streichen. Aber wir sollten wohl noch einmal den jungen Oberbichler vernehmen und eventuell seine Jagdgewehre beschlagnahmen.“
„Dazu müsst‘ ein konkreter Verdacht vorhanden sein“, gab Roderich zu bedenken. „Allein die Tatsache, dass er wahrscheinlich einige Schrotflinten besitzt, wird net ausreichen, um einen Beschlagnahmebeschluss zu erwirken. Schrotkugeln kannst du nämlich net ballistisch auswerten, und Gebrauchsspuren an dem Gewehr werden auf die Ausübung der Jagd zurückgeführt werden müssen. Die Mordwaffe kannst du in einem Fall wie diesem net bestimmen.“
Ludwig nahm die Ausführungen seines Kollegen wortlos zur Kenntnis. Es gab dem nichts hinzuzufügen, denn es war genauso, wie Roderich es zum Ausdruck gebracht hatte.
In der PI telefonierte Ludwig noch einmal mit einem Kollegen von der Spurensicherung, musste aber zu seinen Leidwesen zur Kenntnis nehmen, dass bis jetzt nicht eine einzige brauchbare Spur gefunden worden war. Bei den Haaren, die in dem Loch im Zaun gefunden worden waren, handelte es sich tatsächlich um Hundehaare. Ein Rückruf bei Kerstin Oberbichler brachte die endgültige Gewissheit.
„Ja, wir besitzen einen altdeutschen Schäferhund“, sagte sie. „Das Loch hat mein Mann vor längerer Zeit in den Zaun geschnitten, damit der Hund hindurchschlüpfen und in den Wald laufen konnte, um sein Geschäft zu verrichten.“
„Und er ist wieder zurückgekommen?“, fragte Ludwig.
„Ja. Wir haben ihn gut abgerichtet.“
„Wer wusste von dem Loch, außer Ihnen und Ihrem Mann?“, fragte Ludwig.
„Unser Sohn. Ansonsten hab ich keine Ahnung, wer noch davon gewusst hat.“
„Wo war denn der Hund, als wir bei Ihnen waren?“
„Er mag keine Leute und hat sich in seine Ecke im Keller zurückgezogen. Er ist schon elf Jahre alt und hat Probleme mit den Hüften.“
„Mehr wollt‘ ich net wissen, Frau Oberbichler“, erklärte der Hauptkommissar. „Vielen Dank.“
„Moment“, rief die Frau ins Telefon. „Ich hab an Sie eine Frage. Gibt es schon Ergebnisse bezüglich des Täters? Sie müssen doch mehr gefunden haben als nur ein paar Hundehaare.“
„Nein. Wir sind erst im Anfangsstadium mit unseren Ermittlungen. Der einzige Augenzeuge des Mordes waren Sie, und Sie haben vom Täter nicht einmal die Nasenspitze zu sehen gekriegt. Aber wir ruhen net, Frau Oberbichler, das kann ich Ihnen versichern. Bei uns hier im Tal geschehen zwar nur selten Morde, aber die wenigen Morde, die bisher passiert sind, die haben wir aufgeklärt. Also hüllen S‘ sich bitte ein bissel in Geduld.“
„Mir wird wohl nix anderes übrig bleiben“, versetzte die Witwe, und ihrem Tonfall war anzuhören, dass sie unzufrieden war.
„Auf Wiedersehen, Frau Oberbichler“, verabschiedete sich der Hauptkommissar.
„Wenn wir uns wiedersehen, hoff‘ ich, dass Sie was zu bieten haben“, blaffte die Witwe.
„Entweder ist das wirklich so eine Bissgurn“, erregte sich Ludwig, nachdem er den Hörer aufgelegt hatte. Sein Schnauzbart zitterte regelrecht vor Grimm. „Oder sie ist vor lauter Gram und Trauer tatsächlich so sehr aufgewühlt, dass sie die Regeln des guten Benehmens vergisst.“
„Oder sie hat Interesse daran, dass der Fall so schnell wie möglich aufgeklärt wird, weil die Versicherung wahrscheinlich erst dann bezahlt“, gab Roderich zu bedenken.
Ludwig schaute ihn nachdenklich an. „Vielleicht sollten wir uns die Policen mal etwas intensiver zu Gemüte führen. Bei Unfalltod gibt es oft die doppelte Versicherungssumme. Und Mord dürfte unter die Kategorie Unfalltod fallen. Das heißt, die Versicherungssumme würde schon mal dreihunderttausend Euro – ohne irgendwelche Zinsen oder andere Erträge – betragen.“
„Das heißt, dass wir uns auch mit der finanziellen Situation der Witwe auseinandersetzen sollten“, gab Roderich zu verstehen.
„Und auch mit der des Sohnes“, fügte Ludwig hinzu. „Möglicherweise hatte der Ermordete Grund, die Geschäftsführung seines Sohnes ständig zu kritisieren. Immerhin hat er die Firma aufgebaut und zum Erfolg geführt. Es ist net auszuschließen, dass es für ihn Grund zu der Annahme gegeben hat, dass sein Nachfolger auf dem Chefsessel auf dem besten Weg war, den Erfolg ins Gegenteil zu verkehren.“
„Reden wir erst noch mit dem Wirt oder eventuell einer Bedienung des Gasthauses Bergblick, und dann mit den anderen Stammtischfreunden des Getöteten“, schlug Roderich vor. „Ich bin mir fast sicher, dass wir den Reininger und den Drehwinkel ebenso wie den Dübner als Täter ausschließen und uns auf die Witwe und den Sohn Kai stürzen können.“
„Du hast sie in Verdacht?“, fragte Ludwig.
„Net direkt, von der Hand zu weisen ist ein Motiv allerdings net“, antwortete Roderich. „Von Kai Oberbichler wissen wir, dass sein Vater an beginnender Demenz litt. Irgendwann hätte er sich zum Pflegefall entwickelt und wäre seiner Familie entweder in pflegerischer Hinsicht oder finanziell zur Last gefallen. Im Falle, dass er an den Folgen der Krankheit gestorben wäre, hätte die Versicherung seiner Gattin nur die einfache Versicherungssumme, also hundertfünfzigtausend plus Zinsen und Ertragsanteile, ausgezahlt. Das Gleiche gilt für den Fall, dass Oberbichler den Ablauf der Versicherungszeit noch erlebt hätt‘. Warum sich also mit einem Demenzkranken abplagen und hundertfünfzigtausend kassieren, wenn man sich die Arbeit mit ihm sparen und dreihunderttausend kassieren kann.“
„Gesetzt den Fall, du hast recht mit deiner Annahme …“, murmelte Ludwig. „Dass die Frau net selber geschossen hat, dürft‘ so gut wie erwiesen sein. Sie müsste also jemanden mit dem Mord beauftragt haben.“
„Der Sohn ist Jäger und besitzt Jagdwaffen, und er hat kein Alibi für den Tatzeitpunkt. Und er wär‘ wahrscheinlich ebenso Nutznießer vom vorzeitigen …“, Roderich malte zwei Anführungszeichen in die Luft, „ … Unfalltod seines alten Herrn.“
„Du meinst, Mutter und Sohn stecken unter einer Decke?“
„Kann man‘s ausschließen?“, kam Roderichs Gegenfrage.
Ludwig versank in Nachdenklichkeit.
7
Roderich hatte die Nummer des Festnetzanschlusses von Peter Reininger mindestens fünfmal angewählt, doch niemand hob ab.
„Er wird in seinem Kiosk anzutreffen sein“, vermutete Roderich.
„Also versuchen wir‘s dort“, erwiderte Ludwig. „Ein Telefon gibt‘s da oben wohl net.“
„Nein. Er wird das Handy benutzen.“
„Na dann“, tönte Ludwig, „unternehmen wir einen Ausflug auf den Berg.“
Reininger betrieb seinen Kiosk auf der Aussichtsplattform eines Zweitausenders, von denen einige das Tal säumten. Der Kiosk hatte zwar am Samstag geöffnet, aber es stand nicht Peter Reininger hinter dem Tresen, sondern Sandra Wolfinger, seine Lebensgefährtin.
„Ich bin heute Morgen heraufgefahren“, erzählte sie den Kripobeamten, „und seitdem hab ich nix mehr von Peter gehört. Er war ziemlich fertig, nachdem sein Freund, der Oberbichler Josef, gestern erschossen worden ist. Drum hab ich mich bereiterklärt, heut‘ seinen Posten im Kiosk zu übernehmen.“
„Können S‘ uns sagen, wo Herr Reininger gestern, am frühen Abend, um genau zu sein, um neunzehn Uhr, war?“, erkundigte sich Ludwig.
„Er war hier aufm Berg, im Kiosk, und hat verkauft. Der Kiosk hat während der Hauptsaison bis um zwanzig Uhr geöffnet.“ Sandra Wolfinger lachte fast belustigt auf. „Sie denken doch net etwa, dass der Peter den Oberbichler erschossen hat. Die beiden waren ein Herz und eine Seele. Von denen hat keiner auf den anderen was kommen lassen.“
„Besitzt Ihr Lebensgefährte ein Jagdgewehr?“, wollte Roderich wissen.
„Nein. Wozu auch? Er hat keiner Fliege was zuleide getan. Auf ein Reh oder einen Hasen zu schießen hätt‘ er niemals übers Herz gebracht.“
„Können S‘ mir seine Handynummer verraten?“, fragte Ludwig. „Wir würden ihn gern persönlich sprechen. Vielleicht gelangen wir an den einen oder anderen Hinweis, der uns weiterhilft. Außerdem hätte ich gern seine Privatadresse.“
Die Lebensgefährtin, eine Frau von etwa fünfzig Jahren, nannte ihm beides, und Roderich bemühte wieder einmal seinen Kugelschreiber, indem er Handynummer und Adresse in seinem Notizbüchlein vermerkte.
Sie bedankten sich bei Sandra Wolfinger, setzten sich ins Auto und fuhren den Berg wieder hinunter. Während Ludwig den Dienstwagen die engen Serpentinen hinuntersteuerte, versuchte Roderich, Peter Reininger unter seiner Handynummer zu erreichen. Es meldete sich jeweils nur die Mailbox.
„Komisch“, murmelte der Kommissar. „Laut seiner Lebensgefährtin müsst‘ er daheim sein. Er ist aber net ans Telefon gegangen, als ich es unter seinem Festnetzanschluss probiert hab, und jetzt geht er net ans Mobiltelefon.“
„In der Tat – komisch“, brummte Ludwig. „Weißt du was, Kollege? Wir fahren einfach zu der Adresse, die uns seine Lebensgefährtin gegeben hat, und schauen nach.“
Es handelte sich um ein großes, im alpenländischen Stil erbautes Wohnhaus mit Doppelgarage am Rand des Tales, Hanglage, sehr feudal, auf einem etwa tausend Quadratmeter großen Grundstück. An dem Haus war sehr viel Holz verbaut worden. Am kunstvoll geschnitzten Balkongeländer und auf den Fensterbänken blühten in hölzernen Blumenkästen verschiedenfarbige Geranien und Petunien um die Wette; eine wahre Blütenpracht.
„Oha“, entfuhr es Roderich, „mit so einem Kiosk muss ja ganz schön was verdient sein.“
Die beiden Beamten waren im gepflasterten Hof des Anwesens aus dem Auto gestiegen und schauten sich um. Eine der Garagen stand offen, und das Heck eines schweren SUV von Mercedes war zu sehen.
„In der Tat“, staunte auch Ludwig. „Ich glaub‘ wir haben uns den falschen Beruf ausgesucht. Sakra, sakra! Von so was können wir nur träumen.“
„Das ist das Problem“, sagte Roderich. „Mit unserer Verbeamtung haben wir das Gelübde der ewigen Armut abgelegt, und daran wird sich auch nix ändern. Jedenfalls net in diesem Leben.“
„Ich schätz‘, bei dem SUV in der Garage handelt es sich um Reiningers Auto“, verlieh Ludwig seiner Vermutung Ausdruck. „Er könnt‘ also daheim sein. Läuten wir einfach mal.“
Sie gingen zur Haustür, und Roderich legte den Daumen auf die Klingel. Er läutete zweimal – dreimal und ein viertes Mal. Die Gegensprechanlage blieb stumm.
„Vielleicht schläft er und hört die Klingel net“, knurrte Ludwig. „Versuchen wir‘s nochmal mit dem Smartphone.“
Aber auch dieser Versuch war vergebens. Wieder meldete sich nur die Mailbox.
„Da stimmt was net“, stieß Ludwig hervor und rüttelte an der Haustür. Sie ließ sich nicht öffnen. „Ich geh‘ mal zur Rückseite“, erklärte der Hauptkommissar. „Versuch du es noch einige Male mit Läuten, Roderich.“
Der Angesprochene zuckte nur mit den Schultern.
Ludwig ging um das Haus herum. Auf der Rückseite, zum Garten hin, befand sich eine große Terrasse, an diese schloss sich ein Pool an. Stühle, ein Tisch und eine Hollywoodschaukel standen hier. Eine Glastür führte ins Haus. Aber auch sie war verschlossen.
Ludwig trat dicht an die Tür heran, in der sich das Sonnenlicht spiegelte, beschattete seine Augen mit der flachen Hand und versuchte, einen Blick ins Innere zu erhaschen. Er konnte einen Sessel und die Ecke eines Tisches erkennen und vermutete, dass es sich bei dem Raum um das Wohnzimmer handelte.
Mehr war nicht zu erkennen. Also ging er zu einem Fenster rechts von der Tür, mehrere Schritte von dieser entfernt, und schaute hindurch. Hier war der Einfall des Sonnenlichts nicht so stark, denn das Fenster lag im Schatten einer Baumkrone.
Der Hauptkommissar hatte das Gefühl, einen Stromschlag zu erhalten, als er auf dem Teppich hinter einem zweiten Sessel einen Fuß, der in einem weißen Sportschuh steckte, hervorragen sah. Der dazugehörige Körper lag, verdeckt von den beiden Sesseln, zwischen diesen und dem Tisch.
„Ich werd‘ ja nimmer!“, brach es aus Ludwig heraus. Er legte beide Hände seitlich an den Kopf und schaute noch einmal durch das Fenster, denn er wollte sichergehen, dass er keinem Trugbild, hervorgerufen durch Lichtreflexe, zum Opfer gefallen war.
Er hatte sich nicht getäuscht. Da war der Fuß in dem Sportschuh und darüber ein Knöchel, der aus einem hellen Hosenbein ragte. Ein Irrtum war ausgeschlossen. „Da legst dich nieder“, entfuhr es Ludwig. „Ich fress‘ einen Besen, wenn da drin net der Reininger liegt.“
In die Gestalt des Hauptkommissars geriet Leben. So schnell es seine Beine und der beachtliche Bauch zuließen, rannte er zur Vorderseite des Hauses, wo Roderich tatenlos und mit vor der Brust verschränkten Armen herumstand und mit der Schuhspitze in der Ritze zwischen zwei Pflastersteinen herumbohrte. Als er Ludwig wie einen geölten Blitz um die Ecke kommen sah, nahm er die Arme aus der Verschränkung, reckte die Schultern und stand gerade. „Was …“
„Wir brauchen Verstärkung!“, rief Ludwig. „Im Wohnzimmer, zwischen zwei Sesseln und dem Tisch, liegt einer und rührt sich net. Ich ruf‘ in der Dienststelle an. Alarmier‘ du den Rettungsdienst.“
„Na sauber!“, brummte Roderich, der augenblicklich begriff, und angelte sein Handy aus der Jackentasche.
Ludwig hatte sein Smartphone bereits in der Hand und wählte die Nummer der Polizeiinspektion an.
8
Zuerst tauchten die Ambulanz und der Notarztwagen auf, gleich darauf kam auch schon ein Team der Einsatzbereitschaft der Polizeiinspektion. Man verschaffte sich Zutritt zum Haus, und Ludwig ordnete an, dass zunächst nur er und der Notarzt das Wohnzimmer betraten. Ein Verbrechen war nicht auszuschließen, und der Hauptkommissar wollte verhindern, dass Spuren zerstört wurden.
Ein Mann, grauhaarig und Mitte fünfzig, lag bäuchlings zwischen dem Tisch und den beiden Sesseln, deren Rückenlehnen zur Terrassentür wiesen, am Fußboden. Sein Hinterkopf war nur noch eine blutige Masse, und es bedurfte keines Gerichtsmediziners, um erkennen zu können, dass ihm der Schädel zerschmettert worden war.
Die Hoffnung Ludwigs, dass eine Kreislaufschwäche oder eventuell auch ein Herzinfarkt den Mann umgeworfen hatte, zerflatterte wie Rauch im Sturmwind. Die Erkenntnis, dass er vor einem weiteren Mordfall stand, elektrisierte ihn regelrecht. Dass der Tote Peter Reininger war, daran bestand kein Zweifel, und dass der Mord an Reininger in einer engen Beziehung mit dem Mord an Thomas Oberbichler stand, war für den Hauptkommissar keine Frage.
Nachdem der Notarzt nur noch den Tod Reiningers feststellen konnte, gab Ludwig den Kollegen von der Einsatzbereitschaft grünes Licht. Ein Staatsanwalt wurde informiert und ein Gerichtsmediziner kam. Wenig später fuhr auch der schwarze Kombi eines Bestattungsunternehmens vor. Zunächst aber wurden die Beamten der Spurensicherung tätig.
Ludwig und Roderich warteten auf der Terrasse. Sie wollten den Kollegen nicht im Weg herumstehen, aber auch keine Spuren vernichten oder neue legen, was nur zu zusätzlicher und gleichzeitig überflüssiger Arbeit für die Profiler geführt hätte.
Die Lebensgefährtin Reiningers, die an diesem Tag oben auf dem Zweitausender den Kiosk des Getöteten betrieb, war verständigt worden. Ihre Handynummer hatte Ludwig auf dem Smartphone des Ermordeten, das auf dem Tisch im Wohnzimmer gelegen hatte, gefunden.
Der Staatsanwaltschaft und der Arzt des Gerichts kamen auf die Terrasse. „Der Tod dürfte dem ersten Augenschein nach zwischen ein Uhr und zwei Uhr mittags eingetreten sein“, äußerte der Arzt. „Reininger wurde mit einem stumpfen Gegenstand auf den Kopf getroffen. Der Schlag wurde mit derartiger Wucht geführt, dass der Schädelknochen am Hinterkopf regelrecht zertrümmert wurde. Der Mann muss sofort tot gewesen sein.“
„Es besteht kein Zweifel, dass es sich um Peter Reininger handelt“, sagte der Staatsanwalt. „Es gibt keine Kampfspuren im Haus, und den Gegenstand, mit dem Reininger erschlagen worden ist, muss der Täter mitgenommen haben.“
„Beide Türen waren versperrt“, murmelte Ludwig wie in Gedanken. „Einbruchsspuren gibt es nicht. Auch sämtliche Fenster sind heil. Das sagt mir, dass Reininger seinen Täter nichtsahnend ins Haus gelassen hat. Also handelt es sich um jemanden, den er gekannt und von dem er sich nichts Böses erwartet hat. Nach der Tat hat der Mörder wahrscheinlich mit Reiningers Schlüssel die Haustür abgesperrt und samt Mordwerkzeug und Schlüssel das Weite gesucht.“
„So kann es sich abgespielt haben“, pflichtete Roderich seinem Freund und Kollegen bei und kratzte sich am Kinn. „Seit dem Mord an Oberbichler waren allenfalls zwanzig Stunden vergangen, als der Täter hier zuschlug, und zwar, ehe wir Reininger in der Mordsache Oberbichler vernehmen konnten.“
Ludwig musterte seinen Kollegen mit grüblerischem Augenausdruck. „Du meinst, er wurde zum Schweigen gebracht?“, kam es fragend über seinen Lippen.
„Ich schließe es zumindest nicht aus“, erwiderte Roderich.
„Und warum hat jemand den Oberbichler ins Jenseits befördert? Aus dem gleichen Grund?“
Roderich zuckte mit den Schultern. „Kann sein, kann aber auch sein, dass er lästig geworden ist. Habgier kann eine Rolle spielen, aber auch Hass.“
„Sehr richtig“, sagte Ludwig. „Drum sollten wir uns noch einmal die Witwe Oberbichlers und seinen Sohn vornehmen. Und an die Lebensgefährtin Reiningers hab ich sicher auch noch die eine oder andere Frage. Außerdem gibt es noch einen vierten Mann, der zu der Stammtisch- oder Kartenrunde gehört, die sich in der Regel freitags im Gasthof Bergblick getroffen hat, nämlich Markus Drehwinkel.“
„Ich schlag‘ vor, wir gehen die Sache der Reihe nach an“, gab Roderich zu verstehen. „Als erstes würd‘ ich sagen, wir reden mal mit jemand vom Bergblick. Dann nehmen wir uns den Drehwinkel vor, und dann widmen wir uns den beiden im Moment Hauptverdächtigen.“
„Der Witwe und dem Sohn“, fügte Ludwig hinzu. „Okay, einverstanden. Wir warten auf die Lebensgefährtin Reiningers, reden mit ihr und fahren dann von hier aus gleich zu dem Wirtshaus. Morgen früh kommt der Drehwinkel in die PI. Er hat auf eine förmliche Vorladung verzichtet. Am Telefon hat er mir bereits angekündigt, dass er uns kaum etwas zu dem Mord sagen kann.“
„Er wird staunen, wenn er hört, dass den Reininger nunmehr das gleiche Schicksal ereilt hat wie den Oberbichler.“
Ludwigs Brauen schoben sich zusammen. „Hoffentlich geht das net weiter“, kleidete er die Befürchtung, die sich mehr und mehr bei ihm einnistete, in Worte. „Ich mein‘, hoffentlich hat‘s der Täter net auf den ganzen Stammtisch abgesehen – aus welchem Grund auch immer.“
„Ein Auto nähert sich dem Anwesen!“, rief einer der Kollegen durchs rückwärtige Fenster. Ludwig und Roderich begaben sich zur Vorderseite des Hauses.
9
Ein weißer Kleinwagen fuhr auf den Hof des Anwesens, wurde abgebremst, der Motor erstarb, und gleich darauf entstieg Peter Reiningers Lebensgefährtin dem Auto. Die Nachricht, dass Reininger tot in seinem Haus aufgefunden worden war, hatte sie offensichtlich sehr mitgenommen. Sie war kreidebleich und wirkte um zehn Jahre gealtert. Ihre geröteten Augen verrieten, dass sie geweint hatte.
Sandra Wolfinger stand neben ihrem Auto und schien total verunsichert zu sein.
„Komm“, forderte Ludwig seinen Kollegen Berger auf, ihm zu folgen. Sie gingen auf die Frau zu und erregten ihre Aufmerksamkeit. Doch sie rührte sich nicht vom Fleck. Die beiden Beamten hielten einen Schritt vor ihr an. Sie erkannten, dass die Frau psychisch am Ende war. Ihre Mundwinkel zuckten, ihre Hände zitterten, ihre Augen flackerten. Sie wollte etwas sagen, doch sie brachte kein Wort hervor. Ihre Stimmbänder versagten.
„Es ist wohl besser“, murmelte Ludwig, „wenn sich zuerst mal der Arzt um Frau Wolfinger kümmert. – Kommen S‘, Frau Wolfinger, wir bringen Sie auf die Terrasse. Sie sind ja völlig aufgelöst. Der Arzt, der noch vor Ort ist, wird sich Ihrer annehmen.“
„Das – das ist net nötig“, stammelte sie. „Was – was ist geschehen? Man – man hat mir am Telefon lediglich gesagt, dass der Peter tot in seinem Wohnzimmer gelegen hat. Warum ist so ein großes Polizeiaufgebot hier?“
„Reden wir auf der Terrasse“, erwiderte Ludwig. „Sind S‘ in der Lage, den Weg ohne Hilfe zurückzulegen, oder möchten S‘ sich bei uns einhängen?“
„Ich schaff‘ das schon.“
Sandra Wolfinger und die beiden Beamten gingen um das Haus herum. Auf der Terrasse angekommen setzten sie sich. Sandra Wolfinger schaute Ludwig und Roderich abwechselnd an. Sie erwartete eine Antwort auf die Fragen, die sie im Hof gestellt hatte.
Es kostete Ludwig Überwindung, ihr die Wahrheit zu sagen. Aber ihm blieb nichts anderes übrig. „Ihr Lebensgefährte ist einer Gewalttat zum Opfer gefallen“, formulierte er vorsichtig seine Aussage. „Jemand, wir wissen noch nicht, wer, hat ihm einen Besuch abgestattet und wahrscheinlich seine Arglosigkeit ausgenutzt.“
Sandra Wolfingers Kinn sank auf die Brust. Sie weinte leise, Tränen rollten ihre Wangen hinunter. Schließlich schaute sie Ludwig an, wischte mit dem Handrücken die Augenhöhlen aus und murmelte: „Gestern der Thomas, heut‘ der Peter. Da muss doch ein Zusammenhang bestehen. Als er von dem Mord an Thomas heut‘ früh gehört hat, war er plötzlich wie ausgewechselt. Ich hatt‘ das Gefühl, dass er nimmer in der Lage war, einen klaren Gedanken zu fassen.“
Sandra Wolfingers Stimme hatte an Festigkeit gewonnen. Sie schien sich langsam zu beruhigen und wieder sicherer in ihrem Auftreten zu werden.
„Hat er irgendwelche Äußerungen gemacht?“, fragte Roderich.
„Haben Sie ihn nicht gefragt, warum ihn die Nachricht vom gewaltsamen Tod seines Freundes derart aus der Fassung gebracht hat?“, fügte Ludwig eine weitere Frage hinzu. „Dass ihn die Hiobsbotschaft betroffen und fassungslos gemacht hat, ist verständlich. Aber dass es ihn derart trifft, dass er nimmer klar denken kann, das ist schon außergewöhnlich. Noch ungewöhnlicher ist, dass er wenige Stunden später selber tot ist.“
„Ich hab gehört, wie er telefoniert hat. Thema war der Mord an Thomas. Er war total aufgeregt. Als er gemerkt hat, dass ich im Nebenzimmer bin, hat er die Tür zugemacht. Mit wem er telefoniert hat und was gesprochen wurde, weiß ich net.“
„Das finden wir heraus“, murmelte Roderich. „Hatte Herr Reininger Feinde? Wurde er bedroht?“
„Nicht, dass ich wüsste“, erwiderte Sandra Wolfinger mit lahmer Stimme.
„Hat er mit Ihnen über den Mordfall Oberbichler gesprochen?“, hakte Ludwig nach.
„Nein. Er meinte nur, dass er net in der Lage sei, heut‘ im Kiosk zu stehen. Drum hat er mich gebeten, heut‘ seinen Job dort oben zu machen. Ich hab ihn noch gefragt, ob ich net lieber bei ihm bleiben sollt‘, aber er hat geantwortet, dass er schon zurechtkomme. Er müsse die Hiobsbotschaft verarbeiten und das wär‘ ihm im Kiosk, wo er ständig gefordert ist, net möglich.“
„Nun ja, ich kann mir vorstellen, dass es einen trifft, wenn man aus dem Radio hört, dass einer seiner besten Freunde eines gewaltsamen Todes gestorben ist“, erklärte Ludwig.
„Der Peter war fix und fertig“, murmelte Sandra Wolfinger. „Jetzt bereu‘ ich es, dass ich auf ihn gehört und ihn allein gelassen hab.“
„Ich halt‘s eher für einen Glücksfall, dass Sie net anwesend waren, als der Mörder ins Haus gekommen ist, Frau Wolfinger“, versetzte Ludwig im Brustton der Überzeugung.
10
Sandra Wolfinger konnte ihnen nichts sagen, das sie weitergebracht hätte. Also fuhren die beiden Polizisten zum Gasthof Bergblick. Es war inzwischen später Nachmittag. Der Inhaber des Gasthofs, Karl Pfleiderer, stellte sich Ludwig und Roderich für ein Gespräch zur Verfügung. Er wusste von dem Mord an Oberbichler; dass auch Reininger tot war, erfuhr er durch Ludwig. Die Mitteilung sorgte bei Pfleiderer für Bestürzung.
Sie saßen an einem Tisch im ansonsten verwaisten Nebenzimmer, und die Ermittler stellten ihre Fragen. Zunächst wollten sie wissen, ob der Gastwirt eine Ahnung hatte, wer Oberbichler und Reininger nach dem Leben getrachtet haben könnte. Pfleiderer verneinte spontan. „Sie hatten weder Streit untereinander“, sagte er, „noch mit einem anderen Gast. Kleine Zwistigkeiten, wenn einer mal die falsche Karte ausgespielt hat, gab‘s natürlich. Aber das gehört zum Spiel und ist sicherlich kein Grund, jemand zu ermorden.“
„Mit Sicherheit net“, stimmte Ludwig zu, der das Problem des Nachtarockens beim Schafskopf nur zu gut kannte. Er formulierte seine nächste Frage im Kopf und stellte sie sogleich: „Haben Sie bemerkt, dass der Thomas Oberbichler in letzter Zeit öfter mal was vergaß oder wirres Zeug geredet hat?“
Karl Pfleiderer schob die Unterlippe vor und dachte kurz nach. Dann antwortete er: „Na ja, ein bissel sonderbar ist der Thomas schon gewesen in letzter Zeit. Zweimal ist er der Kartenrunde schon ohne jede Entschuldigung ferngeblieben und hat sich später damit entschuldigt, dass er die Verabredung vergessen habe. Einmal hat er geäußert, als die Rede auf einen mehrfachen Bankräuber gekommen ist, den die Polizei dingfest gemacht hat, dass es früher viel einfacher war, eine Bank zu überfallen und net erwischt zu werden. Er könnt‘ ein Beispiel nennen, hat er sogar getönt, aber dann ist ihm der Bernd ins Wort gefallen und hat ihn angefahren, er möge endlich ausspielen und keine Volksreden halten.“
„Sie meinen den Bernd Dübner, wie?“, fragte Roderich.
„Genau. Zu mir hat der Bernd mal gesagt, dass der Thomas immer vergesslicher werd‘ und viel dummes Zeug redet. Es sei wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis man ihn nimmer allein auf die Straße lassen kann, weil zu befürchten ist, dass er nimmer heimfindet.“
„Er deutete damit sicherlich an, dass er bei Thomas Oberbichler eine beginnende Demenz vermutete“, schloss Ludwig.
„Das nehm‘ ich an. Er hat auch beim Schafskopf immer mehr Fehler gemacht. Ich glaub‘, wir alle haben diese Vermutung gehabt.“
„Hat er sich vielleicht mal darüber ausgelassen, dass er mit seinem Sohn Probleme hat?“, fragte der Hauptkommissar.
„Über den Kai hat er des Öfteren gemeckert. Mit der Art, wie der Kai den Betrieb leitet, konnt‘ er sich net anfreunden, und seine größte Angst war immer, dass der Kai das Unternehmen in den Ruin führt.“
„Können S‘ mir etwas über das Verhältnis zu seiner Gattin sagen?“, erkundigte sich Ludwig. „Nachdem er sich ziemlich abfällig über seinen Sohn geäußert hat, wird er doch auch mal ein Wort bezüglich seiner Frau verloren haben.“
„Sie haben doch net seine eigene Familie in Verdacht, den Thomas auf‘m Gewissen zu haben, Herr Dampfmoser!“, platzte es aus dem Gastwirt heraus. Er schaute den Beamten geradezu empört an.
„Wir müssen den Fall nach allen Seiten abklopfen“, rechtfertigte sich Ludwig. „Als Täter kommt jeder in Frage, der sich im Dunstkreis des Opfers bewegt hat.“
„Ich etwa auch?“, entfuhr es Pfleiderer.
„Wo waren Sie denn gestern am frühen Abend um sieben Uhr?“, wollte Roderich wissen.
Pfleiderers Gesicht zuckte zu dem Kommissar herum. „Ich war hier!“, keifte er. „Ich glaub‘, es schlägt dreizehn! Haben Sie mich wirklich im Verdacht? Ich glaub‘, ich spinn‘! Ich hab gestern und heut‘ das Haus net verlassen. Das können meine Frau und meine beiden Töchter bestätigen.“
„Schon gut, schon gut“, beschwichtigte Ludwig. „Dass Sie mit den Taten was zu tun haben, denkt keiner von uns.“
„Fragen S‘ ruhig meine Frau und beiden Madeln“, versetzte Pfleiderer. „Ich war gestern und heut‘ daheim. Das können die beschwören.“
„Regen S‘ sich net auf, Herr Pfleiderer“, beruhigte Ludwig den Gastwirt. „Mein Kollege hat sich lediglich beiläufig nach Ihrem Alibi erkundigt. Beantworten S‘ bitte meine Frage, ob der Oberbichler Bemerkungen bezüglich seines Verhältnisses zu seiner Gattin gemacht hat.“
„Eigentlich net. Zwei- oder dreimal hat er erwähnt, dass er mit seiner Meinung über die Geschäftsführung seines Sohnes ganz allein dastehe, woraus man vielleicht schließen kann, dass die Kerstin zum Kai gehalten hat. Aber das ist nur eine Vermutung. Sonst hat er sich net über seine Frau ausgelassen. Ich glaub‘, die beiden waren über dreißig Jahre miteinander verheiratet und hatten sich längst zusammengerauft.“
„Dreißig Jahre“, brummte Dampfmoser und nickte anerkennend. „Eine verdammt lange Zeit. Dass einem nach dreißig Jahren der Ehepartner vielleicht zum Hals raushängt, ist net mal so abwegig, wie?“
„Der Thomas hat sich nie abfällig über die Kerstin geäußert“, erklärte der Gastwirt.
„Das war auch nur eine rein rhetorische Aussage“, entgegnete der Hauptkommissar. „Aus dem Leben gegriffen …“
Die Brauen Pfleiderers hoben sich ein wenig, aber er kommentierte das Gesagte nicht. Stattdessen sagte er: „Das Schafskopfquartett, wie ich es genannt hab, kennt sich – glaub‘ ich – schon seit der Schulzeit, vielleicht sogar noch länger. Von denen bringt keiner den anderen um. Warum auch? Jedem von ihnen geht es gut, keiner muss dem anderen neidisch sein.“
Aus Karl Pfleiderer war nichts herauszuholen. Ludwig unterstellte dem Gastwirt auch nicht, dass er ihm und Roderich wissentlich etwas verschwieg. Er wusste nichts! Die familiären Verhältnisse der vier Stammtischler kannte er nur am Rande. Das einzige, was er den beiden Kriminalbeamten mit auf den Weg geben konnte, war, dass Thomas Oberbichler hin und wieder eine negative Äußerung über die Geschäftspraktiken seines Sohnes zum Besten gegeben hatte.
Ludwig war der Meinung, dass es nur vergeudete Zeit war, zu versuchen, mehr aus dem Gastwirt herauszuholen. „Von meiner Seite wär‘s das, Herr Pfleiderer. Wenn mein Kollege keine Fragen mehr hat, würden wir uns empfehlen. Sollt‘ Ihnen was einfallen, das möglicherweise für uns von Nutzen sein könnt‘, dann rufen S‘ mich bitte an.“
Er gab Pfleiderer eine von seinen Visitenkarten.
„Ich hab auch keine Fragen mehr“, erklärte Roderich.
Sie verabschiedeten sich. Im Auto sagte der Kommissar: „Meinst du net auch, dass sich die Schlinge um den Hals Kai Oberbichlers immer mehr zusammenzieht, Ludwig?“
„Ja, könnt‘ man fast meinen. Er besitzt Jagdgewehre, hat sicher die Gewohnheiten seines Vaters und das Loch für den Hund im Zaun gekannt, ist zunächst von seinem Vater genervt, weil der ihm ständig dreinredet, und beginnt ihn zu hassen, als er immer wieder hört, dass ihn sein Vater auch in der Öffentlichkeit negativ kennzeichnet.“ Ludwig nickte. „Da kommen ein paar Motive zusammen.“
„Und die Mutter Kais könnte in dieser Inszenierung auch eine Rolle spielen“, spann Roderich den Faden weiter. „Thomas Oberbichler drohte zum Pflegefall zu werden, im Falle eines Unfalltodes wird die doppelte Lebensversicherungssumme fällig, und sie hält von Haus aus mehr zu ihrem Sohn als zu ihrem Mann.“
Ludwig schaute auf die Uhr. „Heut‘ rentiert es sich nimmer, dass wir noch was anfangen. Wir könnten zwar Kai Oberbichler und seine Mutter noch ein bissel in die Mangel nehmen, aber hinterher werden wir genauso weit sein wie jetzt. Außerdem frag‘ ich mich, welche Rolle Peter Reininger in dem Mordfall Oberbichler einnehmen sollt‘. Dass beide Morde in einem Zusammenhang stehen, ist für mich keine Frage. Reininger passt net in die Geschichte, die wir eben bezüglich eines Motivs von Seiten Kai Oberbichlers gestrickt haben.“
„Vielleicht will man uns auf eine falsche Fährte locken“, gab Roderich zu bedenken.
„Meinst du net, dass das ziemlich an den Haaren herbeigezogen ist, Kollege?“, streute Ludwig seine Zweifel aus. „Das ist eine Konstruktion, die mich an einen schlechten Krimi erinnert.“
„Wer weiß denn, was im Kopf mancher Leute vorgeht“, knurrte Roderich leicht pikiert. „Es liegt im Bereich des Möglichen, und daher können wir es net von vornherein ausschließen.“
„Reg‘ dich net auf, Kollege“, erwiderte Ludwig. „Es wird sich zeigen, was dahintersteckt. Warten wir das Ergebnis der Spurensicherung ab, reden wir morgen mit dem Drehwinkel und danach noch einmal mit der Witwe und Kai Oberbichler, und wenn wir alles an Material beisammen haben, selektieren wir, was wichtig für uns ist und was net, setzen aus den Teilchen ein Mosaik zusammen und nehmen auf diese Art und Weise vielleicht die richtige Spur auf.“
„Dann machen wir für heut‘ Feierabend, wie?“, konstatierte Roderich.
„So ist es. Übers Knie können wir in dieser Angelegenheit nix brechen, und morgen ist auch noch ein Tag.“
„Von mir aus“, sagte Roderich. „Also fahren wir zur PI, stellen den Dienstwagen in den Fuhrpark und versuchen ein paar Stunden zu relaxen.“
Die Sonne war hinter den zerklüfteten Bergen im Westen verschwunden, vergoldete mit ihrem Licht aber noch die Gipfel der Felsen. Nicht mehr lange, dann würde sich der Tag nach und nach verabschieden und dem Abend Platz machen.
11
Zu Hause angekommen stellte sich Ludwig Dampfmoser unter die Dusche, zog sich einen bequemen Trainingsanzug an, machte sich ein Weißbier auf, goss es in ein Weizenbierglas – und zerkaute eine Verwünschung, weil sein Diensthandy dudelte. Er nahm das Gespräch an. Es war ein Kollege, der Bereitschaftsdienst versah, der sich meldete und sagte: „Man hat einen Mann namens Bernd Dübner tot in seinem Taxi aufgefunden. Er war auf dem Weg zur Brombeerhütte, um jemanden von dort oben abzuholen. Auf halbem Weg zu der Hütte muss der Schütze gelauert haben. Das Taxi ist an der Leitplanke zum Stehen gekommen. Wär‘ sie net gewesen, wär‘s mehr als hundert Meter in den Abgrund gestürzt.“
„Mach‘ mich net verrückt!“, entfuhr es Ludwig. „Erst der Oberbichler, dann der Reininger, und jetzt auch noch der Dübner! Sie gehören zu ein und demselben Stammtisch. Sakra, Sakra! Das Schafskopfquartett hat der Wirt vom Bergblick die vier genannt. Jetzt fehlt‘s nur noch, dass dem Drehwinkel auch noch das Licht ausgeblasen wird. – Ist schon jemand auf dem Weg zum Tatort?“
„Spurensicherung, Arzt, Staatsanwalt, Bestatter – alle sind informiert. Den Roderich in Kenntnis zu setzen überlass‘ ich dir.“
„Ausgerechnet jetzt, wo ich mir eine Halbe Weiße eingeschenkt hab“, beschwerte sich Ludwig. „Na ja, ich werd‘ sie in den Ausguss schütten. Schad‘ um das edle Getränk.“
„Es wär‘ net gut, würdest du eine Fahne haben, wenn du dort oben ankommst und mit dem Staatsanwalt oder dem Medizinmann sprichst“, sagte der Kollege lachend. „Nimm‘s leicht, Ludwig. Es kommen auch wieder andere Zeiten.“
„Ja, ja, ausgesprochen tröstend. Okay, ich zieh‘ mich wieder an und fahr los. Servus. Lass‘ dir die Zeit in der Dienststelle net lang werden.“
Ludwig beendete das Gespräch, rief seinen Kollegen Berger an, der mindestens ebenso betroffen und genauso wenig erfreut war, dass die paar Stunden der Ruhe dahin waren, dann tauschte er den Trainingsanzug gegen Straßenkleidung und verließ die Wohnung.
Einige Zeit später stieg Roderich zu, dann ging es in Richtung der Berge, die das Tal nach Süden begrenzten. Sie wussten, dass die Brombeerhütte auf einer Höhe von sechzehnhundert Metern lag. Eine Wirtschaftsstraße führte hinauf, über die die Gaststätte mit allem Notwendigen versorgt wurde.
Die Serpentinen waren ziemlich eng, alle zweihundert Meter ungefähr gab es Ausweichstellen. Linkerhand erhob sich die Steilwand, rechts war der Abgrund. Nur eine Leitplanke bot Sicherheit. Wer hier fuhr, durfte nicht eine Sekunde in seiner Achtsamkeit nachlassen. Es war ein lebensgefährliches Unterfangen.