5 Top Krimis in einem Band Juli 2023: Krimi Paket - Alfred Bekker - E-Book

5 Top Krimis in einem Band Juli 2023: Krimi Paket E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

Dieser Band enthält folgende Krimis Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Lichtkämpfer von Marseille Franklin Donovan: Trevellian und der Marathon des Todes Earl Warren: Bount Reiniger und das fünfte Opfer Earl Warren: Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten Earl Warren: Bount Reiniger und der Rosenmörder Der junge Mann lenkte den offenen Jensen Interceptor durch das Automatik-Tor der Villa am Santa Monica Boulevard. Der Kies knirschte in der Auffahrt des weitläufigen Parkgrundstücks, ehe der Mann den englischen Sportwagen vor der breiten Freitreppe stoppte. Der Butler des Filmstars June Armando empfing den Gast eher ungnädig. »Sie haben sich verspätet, Sir. Miss Armando erwartet Sie bereits.« »Ist June allein?« Der junge Mann ließ sich nicht aus dem Konzept bringen. »Ja, Sir.« Der Butler blieb steif – und riss jäh die Augen auf, als der Lauf des Revolvers in der Hand des Besuchers hochschwang. Er streckte noch abwehrend die Hände vor, da blitzte und krachte es schon. Das Geschoss drang in die Stirn des Butlers und tötete ihn auf der Stelle. Der Killer glättete die Bügelfalten und richtete das Armani-Jackett. Dann versenkte er den Revolver in der Tasche, nahm eine einzelne Rose vom Rücksitz des Sportwagens und stieg die Treppe hoch.

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Earl Warren, Franklin Donovan, Alfred Bekker

5 Top Krimis in einem Band Juli 2023: Krimi Paket

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Inhaltsverzeichnis

5 Top Krimis in einem Band Juli 2023: Krimi Paket

Copyright

​Commissaire Marquanteur und die Lichtkämpfer von Marseille

Trevellian und der Marathon des Todes: Action Krimi

Bount Reiniger und das fünfte Opfer

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten

1.

2.

3.

4.

5.

6.

Bount Reiniger und der Rosenmörder

1.

2.

3.

4.

5.

6.

7.

5 Top Krimis in einem Band Juli 2023: Krimi Paket

Alfred Bekker, Earl Warren, Franklin Donovan

Dieser Band enthält folgende Krimis

Alfred Bekker: Commissaire Marquanteur und die Lichtkämpfer von Marseille

Franklin Donovan: Trevellian und der Marathon des Todes

Earl Warren: Bount Reiniger und das fünfte Opfer

Earl Warren: Bount Reiniger und die Cockpit-Piraten

Earl Warren: Bount Reiniger und der Rosenmörder

Der junge Mann lenkte den offenen Jensen Interceptor durch das Automatik-Tor der Villa am Santa Monica Boulevard.

Der Kies knirschte in der Auffahrt des weitläufigen Parkgrundstücks, ehe der Mann den englischen Sportwagen vor der breiten Freitreppe stoppte.

Der Butler des Filmstars June Armando empfing den Gast eher ungnädig.

»Sie haben sich verspätet, Sir. Miss Armando erwartet Sie bereits.«

»Ist June allein?« Der junge Mann ließ sich nicht aus dem Konzept bringen.

»Ja, Sir.«

Der Butler blieb steif – und riss jäh die Augen auf, als der Lauf des Revolvers in der Hand des Besuchers hochschwang.

Er streckte noch abwehrend die Hände vor, da blitzte und krachte es schon.

Das Geschoss drang in die Stirn des Butlers und tötete ihn auf der Stelle.

Der Killer glättete die Bügelfalten und richtete das Armani-Jackett. Dann versenkte er den Revolver in der Tasche, nahm eine einzelne Rose vom Rücksitz des Sportwagens und stieg die Treppe hoch.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

COVER A.PANADERO

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

www.AlfredBekker.de

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​Commissaire Marquanteur und die Lichtkämpfer von Marseille

von Alfred Bekker

: Frankreich Krimi

von Alfred Bekker
Das Team um Commissaire Marquanteur hat einen neuen Fall.
Wer tötet die Verbrecher, die von der Polizei trotz Anklagen wieder freigelassen werden müssen? In Marseille macht sich Panik im Unterwelt-Milieu breit, weil die entstehenden Lücken offenbar nicht von einer rivalisierenden Bande aufgefüllt werden. Auch die FoPoCri sucht zunächst vergeblich – bis ein Kollege getötet wird und neue Spuren auftauchen.
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton Reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jenny Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden und Janet Farell.
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Alfred Bekker
© Roman by Author
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Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
1
»Bonjour«, sagte ich. »Mein Name ist Commissaire Pierre Marquanteur, Kripo Marseille, Spezialabteilung. Und ich habe ein paar Fragen an Sie.« Ich befand mich in der JVA Les Baumettes.
Der Mann, der mir gegenübersaß, war über und über mit Tattoos bedeckt. Er war Rausschmeißer im Amüsierviertel Pointe-Rouge gewesen. Weil er jemanden zu heftig rausgeschmissen hatte, saß er jetzt hier. Der Betreffende war nämlich gestorben. Der Inhaftierte hieß bürgerlich Jacques Malinois. Aber in Pointe-Rouge war er immer schon als Queequeg-Jacques bekannt gewesen. Queequeq – wie der tätowierte Harpunist in Moby Dick.
Queequeg-Jacques hatte gute Ohren. Er bekam alles mit, und viele erzählten ihm vieles. Darum lohnte es sich manchmal, ihm zuzuhören, wenn man was erfahren wollte.
»Sie sind das also«, sagte er.
»Ja, ich bin das.«
»Ich meine: Sie sind der Kerl, auf den es der Albaner abgesehen hat, wie man so hört.«
»So was hört man«, bestätigte ich.
Der Albaner war ein bekannter Profi-Killer. Niemand kannte seine wahre Identität. Aber ich war gewarnt worden. Jemand hatte dem Albaner den Auftrag gegeben, mich zu töten. Jemand, der sich an mir rächen wollte. Jemand vielleicht, den ich nach Les Baumettes gebracht hatte und der mir das einfach nicht verzeihen konnte. Jemand mit sehr viel Geld im Hintergrund natürlich, denn der Albaner war nicht billig.
Natürlich interessierte es mich, wer den Albaner beauftragt hatte.
Und Queequeg-Jacques behauptete, dazu etwas sagen zu können.
»Ich habe gehört, dass dieser Ukrainer dahinterstecken soll: Selnikow. Ich denke, der Name sagt Ihnen was.«
»Oligarchen-Wlad?«
»Genau: Oligarchen-Wlad. Ist eine fiese Socke. Wissen Sie, Leute wie Oligarchen-Wlad oder diese Tschetschenen-Schweine vertreiben die guten alten Zuhälter, die noch Respekt hatten und niemanden ohne Grund umbringen. Die brauchen keinen Grund.«
»Immer eine Sache der Perspektive.«
»Ja.«
»Wie kommen Sie darauf, dass dieser Selnikow dahintersteckt?«
»Ich habe es gehört. So wie ich auch gehört habe, dass jemand einen Killer namens Der Albaner auf einen Kripo-Mann namens Marquanteur losgehetzt hat. Ich schlage vor, Sie sehen zu, dass Sie Selnikow irgendwie aus dem Verkehr ziehen. Dann sind Sie das Problem mit dem Albaner auch los.«
»Danke für den Tipp«, sagte ich.
So einfach war das nicht.
Die Marseiller Geschäfte von Wladimir Selnikow waren nämlich nach außen hin ziemlich sauber. Da perlten unsere Maßnahmen für gewöhnlich ab wie Fett an Teflon.
»Ich mach das völlig uneigennützig«, sagte Queequeg-Jacques. »Leider muss ich ja noch ein bisschen Zeit hier in Les Baumettes verbringen. Ich will keine Vergünstigungen und ich weiß auch, dass ich kaum damit rechnen kann, wegen guter Führung oder sowas vorzeitig entlassen zu werden.«
»Und warum helfen Sie mir dann?«
»Wegen der Kollegen«, sagte er. »Ich mag Leute wie Oligarchen-Wlad nicht. Die haben keine Ehre, verstehen Sie?«
Mehr Konkretes konnte er mir nicht sagen.
»Seltsam ist, dass ich nie etwas mit Selnikow zu tun hatte.«
»Vielleicht nicht direkt.«
»Tja.«
»Vielleicht haben Sie einfach seine Geschäfte gestört, weil Sie jemanden verhaftet haben, der für ihn wichtig war und von dem Sie noch nicht mal wussten, dass er zu ihm gehört.«
»Vielleicht sollte ich an Selnikow tatsächlich ein paar Fragen stellen.«
Zu diesem Zeitpunkt wusste ich noch nicht, dass Monsieur Selnikow nicht mehr in der Lage sein würde, sie zu beantworten …
*
Ich verließ die Haftanstalt Les Baumettes. Bevor ich in den Dienstwagen steigen konnte, mit dem ich hier war, explodierte das Fahrzeug. Eine Bombe zerriss ihn.
Es hätte nicht viel gefehlt …
Ob das der Albaner war?
Vermutlich.
Einen Tag später erfuhr ich, dass Queequeg-Jacques in seiner Zelle erwürgt worden war. Auch danach hätte ich Oligarchen-Wlad gerne gefragt.
Es kam nicht mehr dazu.
*
Die Männer trugen blaue Overalls und hatten Werkzeugkoffer in den Händen. Der eine war hochgewachsen, hatte kurzgeschorenes blondes Haar, und sein Gesicht wirkte eckig und brutal. Der andere Kerl war dunkelhaarig, breitschultrig und untersetzt.
Der Blonde hatte die Rechte in der Tasche seines Overalls versenkt. Seine Faust umklammerte den harten Stahl einer Automatik mit aufgesetztem Schalldämpfer.
Die beiden Männer wechselten einen kurzen Blick, als sie den Aufzug verließen. Dann gingen sie den Korridor entlang auf die Wohnungstür eines Penthouse zu.
Vor der Tür stand ein riesiger Kerl. Seine Bodybuilderfigur sprengte beinahe den grauen Flanellanzug.
Das Gesicht war eine konturlose Maske, die völlig bewegungslos blieb.
Er hob die Arme und die Ausbeulung, die sich dabei unter seiner Schulter abzeichnete, zeigte, dass er unter dem Jackett eine Waffe trug.
»Halt!«, sagte der Riese, und die beiden Männer in den Overalls blieben einige Schritte vor ihm stehen.
»Wir wollen zu Monsieur Selnikow«, sagte der Blonde. »Wegen der Heizung.«
Aus den Augen des Riesen wurden schmale Schlitze. Sein Gesicht verzog sich etwas. Seine Züge drückten leichtes Misstrauen aus.
»Sie sind früh«, meinte er.
»Monsieur Selnikow erwartet uns.«
»Dann nehmen Sie bitte die Hände hoch, damit ich Sie abtasten kann. Setzen Sie die Werkzeugkoffer ganz langsam auf den Boden ab und öffnen Sie die Dinger.«
Der Blonde runzelte die Stirn.
»Was soll das?«
»Anordnung von Monsieur Selnikow. Hier kommt keiner rein, der nicht genau durchsucht worden ist! Also, machen Sie keine Schwierigkeiten.«
Der Blonde atmete tief durch, während der Untersetzte bereits seinen Werkzeugkoffer absetzte und damit begann, die Schnappverschlüsse zu öffnen.
Der Riese an der Tür beobachtete ihn dabei genau.
In diesem Augenblick passierte es.
Die Bewegungen des blonden Overallträgers schienen zu explodieren, er riss die Automatik hervor, war mit einem Schritt bei dem Riesen vor der Tür und presste ihm den Schalldämpfer unter das Kinn noch bevor der Bodyguard reagieren konnte.
Der Riese erstarrte zur Salzsäule.
Er war klug genug, um zu wissen, dass er in diesem Moment keine Chance hatte und jetzt am besten gar nichts tat.
Der Untersetzte hatte nun ebenfalls seine Waffe hervorgeholt. Auch er trat an den Riesen heran, griff unter dessen Jackett und holte dessen Pistole zum Vorschein.
Für den Bruchteil einer Sekunde kam es dem Riesen in den Sinn, den Blonden mit einem gezielten Handkantenschlag zu töten. Er konnte das, hatte es lange trainiert. Aber das Risiko war zu groß, die anderen waren zu zweit, der Untersetzte würde sofort schießen, und man würde den Schuss drinnen im Penthouse nicht mal hören. Schweißtropfen bildetet sich auf der Stirn des Riesen.
»Sie gehen voran«, befahl der blonde Overallträger, und seine Stimme war wie das Zischen einer Kobra.
Der Riese drehte sich langsam um.
Beinahe provozierend langsam, wenn man die Lage bedachte, in der er sich befand. Der Schalldämpfer wurde ihm jetzt in den Nacken gedrückt.
»Was immer Sie auch vorhaben, es ist ein Fehler«, sagte der Riese, aber seine Stimme klang dabei brüchig, denn er wusste, dass er keine Chance hatte. Er hatte es mit Profis zu tun und das hieß, dass sie ihn mit Sicherheit nicht am Leben lassen würden. So ging das Spiel nun mal. Der Riese hatte es selbst schon gespielt.
»Mund halten!«, erwiderte der Blonde kalt.
»Man kann über alles reden und Monsieur Selnikow …«
»Mund halten! Und Tür öffnen!«
2
Der Blonde schob den Riesen vor sich her, drückte ihm noch immer die Waffe in den Nacken.
Der Untersetzte schloss hinter ihnen die Tür.
Die lichtdurchflutete Penthousewohnung mit dem traumhaften Blick auf den Seepark war sehr weiträumig und hatte mehrere Zimmer.
Im Empfangsraum befand sich eine moderne Sitzecke.
Futuristisches Design. Viel Plastik in geschwungenen Formen, dafür wenig Polster.
Ein Mann saß dort, er hätte der Zwilling des Riesen sein können, zumindest was den Körperbau betraf. Allerdings war er rothaarig.
»Heh! Was ist denn …« Er blickte von der Zeitung auf, in der er gelesen hatte, dann sprang er hoch, griff unter sein Jackett.
Er reagierte schnell, aber doch nicht schnell genug.
Er hatte die Waffe noch nicht hervorgezogen, da ertönte ein Geräusch, das wie ein kräftiges Niesen klang.
Der Schuss einer Schalldämpferwaffe.
Auf der Stirn des Rothaarigen bildete sich ein roter Punkt, der Leibwächter wurde in den futuristischen Sessel zurückgeworfen. Seine Arme fielen zur Seite, die Waffe entglitt seiner kraftlosen Hand, fiel zu Boden, der weiche Teppich dämpfte den Aufprall.
»Wo ist er?«, fragte der Blonde den Riesen, den er immer noch mit der Waffe im Schach hielt. Er flüsterte es so leise, dass man es kaum hören konnte. Sein Kumpan, der untersetzte Schwarzhaarige, hatte den anderen Leibwächter erschossen. Auch seine Waffe hatte einen Schalldämpfer.
»Wo ist er?«, wiederholte der Blonde.
»Wer?«
»Selnikow.«
»Weiß … weiß nicht.«
Man konnte die Angst, die der Hüne empfand, beinahe riechen.
»Du willst doch am Leben bleiben«, sagte der Blonde, und seine Stimme klang wie fernes Donnergrollen.
»Ihr werdet mich sowieso töten.«
»Warte es doch ab.«
Der Riese atmete tief durch. »Ich … ich glaube, dass er im Schlafzimmer ist.« Dabei deutete er mit der Linken auf eine der Türen, die vom Empfangsraum abzweigten.
»Danke.«
Wieder ertönte dieses Niesen. Zweimal kurz hintereinander.
Und der Riese sackte in sich zusammen, blieb reglos am am Boden liegen, während sich eine rote Lache um ihn bildete.
Der Blonde stieg über die Leiche hinweg zur Schlafzimmertür, während sein Komplize mit der Waffe in der Hand an der Wohnungstür verharrte.
Mit einem wuchtigen Tritt ließ der Blonde die Schlafzimmertür aufspringen.
Ein Mann in den Fünfzigern, grauhaarig und mit Oberlippenbart, saß aufrecht in einem breiten Doppelbett, vor sich ein üppiges Frühstück auf einem Tablett. Er zuckte erschrocken zusammen, blickte auf, und eine Tasse entglitt seinen Fingern.
Selnikow.
Er hatte nicht mal mehr Gelegenheit aufzuschreien, bevor ihn zwei Schüsse förmlich ans Bett nagelten. Sein gefrorener Blick drückte Verwunderung aus.
Der Blonde atmete tief durch. »Abschaum«, murmelte er.
Das dumpfe Niesen einer Waffe mit Schalldämpfer ließ ihn plötzlich herumfahren. Aus einer der anderen Türen war eine Frau im Bademantel herausgetreten. Sie war blond und ziemlich grell geschminkt.
Der Schuss hatte sie zusammenklappen lassen wie ein Taschenmesser, und jetzt lag auch sie leblos und mit starren Augen auf dem Boden.
»Sie … Sie kam so plötzlich aus dem Bad«, sagte der Untersetzte fast entschuldigend.
»Schon gut«, erwiderte der Blonde tonlos. »Auch sie war Abschaum.«
3
»Marquanteur, FoPoCri!« Ich zeigte meinen Dienstausweis dem uniformierten Polizisten, der die undankbare Aufgabe hatte, Unbefugte vom Betreten des Tatortes abzuhalten.
Mein Freund und Kollege François Leroc tat es mir gleich, und der Uniformierte nickte, ließ uns vorbei.
Wir waren die letzten am Tatort, einer noblen Penthouse-Adresse am Seepark. Eine Wohnung in traumhafter Lage, mit einem Ausblick, für den man sicher viel Geld berappen musste.
Jetzt sah sie aus wie ein Schlachtfeld.
Ich sah die zusammengekrümmten Leichen einer Frau und zwei Männern, die offenbar als Leibwächter für den Besitzer dieses Penthouses gearbeitet hatten.
In der Mitte des Raums stand ein Mann in einem grauen Wollmantel, den Kragen hochgeschlagen. Er drehte sich jetzt zu uns um, und ich sah, dass sein Gesicht ziemlich zerfurcht war. Er bedachte uns mit einem abschätzenden Blicken.
»Wer sind Sie? Was machen Sie hier?«, fragte etwas unwirsch.
»FoPoCri«, sagte François. »Dies ist der Kollege Marquanteur, mein Name ist Leroc.«
»FoPoCri?«, fragte der Mann im Wollmantel nachdenklich zurück und atmete tief durch. Seine Augenbrauen zogen sich zu einer Schlangenlinie zusammen.
Ich fragte mich, warum der Kerl so gereizt auf uns reagierte. Ich sah seine Dienstmarke durch den offenen Mantel und das ebenfalls geöffnete Jackett an seinem Gürtel hängen.
Wir zeigten ihm unsere Ausweise, die ihn aber nicht zu interessieren schienen.
»Sind Sie Monsieur Debordes?«, fragte ich.
»Ja«, knurrte er. »Mordkommission. Woher …?«
»Ihr Chef sagte mir, dass Sie den Fall bearbeiten.« Ich hatte schon von Debordes gehört. Vor allem dann, wenn von Beförderungen die Rede war. Er musste gut sein. Jedenfalls war er die Karriereleiter ziemlich schnell hinaufgestolpert.
Debordes kam auf uns zu, reichte erst François und dann mir die Hand. Sein Blick wirkte gezwungen freundlich. Aber meinen Instinkt konnte er damit nicht täuschen. Aus irgendeinem Grund störten wir ihn …
Ich fragte mich, warum.
»Monsieur Marquanteur? Ihr Name bekannt wie der eines bunten Hundes.« Er grinste schief. Dann seufzte er.
»Nennen Sie mich Pierre«, sagte ich, in der Hoffnung, etwas wärmer mit ihm zu werden. Außerdem war anzunehmen, dass wir nicht zum letzten Mal zusammenarbeiteten.
Debordes nickte lediglich, ohne das Angebot zu erwidern.
Dann sagte er: »Der Chef sagte mir schon, dass jemand von der FoPoCri hier früher oder später aufkreuzen würde. Schließlich ist Wladimir Selnikow alles andere als ein gewöhnliches Mordopfer.«
»Das ist wahr!«, gab ich zurück.
»Ich hatte allerdings nicht damit gerechnet, dass Sie so schnell sind.«
»Ach, ja?«
»Wir stehen noch am Anfang unserer Ermittlungen, und es wäre nett, Sie würden uns erst einmal ein bisschen vorankommen lassen, bevor Sie hier für Stress sorgen.«
»Ich mache keinen Stress«, stellte ich klar.
Er verzog das Gesicht zu einem dünnen Lächeln. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er mich aus einem unerfindlichen Grund nicht mochte, und ich fragte mich, ob das etwas Persönliches war oder nur damit zu tun hatte, dass ich mich gerade auf einem Terrain tummelte, das er als sein Privatrevier betrachtete.
Ich ging an Debordes vorbei und warf einen Blick ins Schlafzimmer. Im Bett lag eine vierte Leiche.
Wladimir Selnikow.
Ich kannte ihn von Fotos her. Im Polizei-Computer gab es ein umfangreiches Dossier über ihn, und seine Prozessakten hätten eine mittlere Gemeindebibliothek gefüllt.
Er war Ukrainer, der auf dubiose Weise zu erheblichem Reichtum gekommen war. Man vermutete ihn als Drahtzieher hinter kriminellen Geschäften mit Giftmüll, aber für eine Verhaftung hatten die Beweise nie ausgereicht, oder sie waren aus irgendwelchen Gründen als nicht gerichtsverwertbar abgelehnt worden.
Das Giftmüllgeschäft war zur Zeit eine Domäne der Ukrainer, und sie verteidigten sie mit Klauen und Zähnen. Die Sache war ganz simpel und hatte auch höhere Gewinnspannen als der Rauschgifthandel. Man ließ sich für die Entsorgung von Giftmüll bezahlen, aber anstatt diesen wirklich auf teure Deponien zu bringen, ließ man ihn einfach in einem angemieteten Lagerhaus vor sich hin modern. Wenn der Schlamassel bemerkt wurde, waren die Täter längst über alle Berge und versuchten dieselbe Masche unter neuem Namen in einer anderen Stadt.
Selnikow hatte sich ganz nach oben geboxt, und es war ein offenes Geheimnis, dass er seine Finger inzwischen auch in anderen dubiosen Geschäften gehabt hatte. Jetzt hatte seine Glückssträhne offensichtlich ein Ende gefunden.
»Was haben Ihre Ermittlungen bisher ergeben?«, fragte ich Debordes, der mir ins Schlafzimmer gefolgt und hinter mir stehengeblieben war. Ich drehte mich zu ihm um, und er zuckte die breiten Schultern.
»Ein paar Ratten haben sich gegenseitig ausgelöscht. So sehe ich das.«
»Ich wollte einen Bericht, nicht Ihre Meinung über Monsieur Selnikow.« Ich sah ihn an und fügte hinzu: »Sie scheinen noch etwas mehr über Selnikow zu wissen.«
»Was man so hört.«
»Und – was hört man?«
»Das steht doch alles in Ihren Akten. Er war ein Gangster, der es inzwischen weit genug gebracht hatte, um andere Gangster für sich arbeiten zu lassen. Und sich eine Wohnung wie diese hier zu leisten.«
»Ist übrigens seine Zweitwohnung«, warf François ein.
Debordes hob die Augenbrauen. »Ach.«
»Er wohnt eigentlich in Toulon«, ergänzte François Leroc.
»Schon gut«, knurrte Debordes, dann erklärte er: »Der Security-Mann unten an der Pforte spricht von zwei Heizungsmonteuren, die hier hinauf wollten. Er hat sich telefonisch erkundigt – die beiden wurden tatsächlich erwartet. Merkwürdig war nur, dass eine halbe Stunde später nochmal zwei Monteure auftauchten. Die haben die Sauerei dann entdeckt.«
»Dann waren die beiden ersten also falsch«, stellte ich fest.
»Anzunehmen. Die Mörder sind richtig professionell vorgegangen und haben offenbar auch Schalldämpfer benutzt. Jedenfalls hat niemand Schüsse gehört. Und gute Schützen waren sie auch.«
»Tatzeit?«
»Heute Morgen, so gegen neun Uhr. Bei allem anderen müssen Sie schon auf das Labor warten.«
Ich nickte.
»Gibt es brauchbare Beschreibungen der beiden falschen Monteure?«
»Der Pförtner ist bei uns auf dem Revier, er hilft bei der Erstellung von Phantombildern.«
»Gut.«
»Wer war die Frau?« François meinte die Frauenleiche, die in der Tür zum Badezimmer lag.
»Denise Fillon. Lebte seit drei Monaten in dieser Wohnung.«
»Und die beiden Leibwächter?«
»Keine Ahnung. Sie hatten keine Papiere bei sich.« Debordes grinste schief. »Aber das kriegen wir auch noch raus.«
4
Es war ein lausig kalter Tag, und man hatte das Gefühl, dass einem die Ohren abfroren, sobald man sich im Freien aufhielt.
Aber ich hatte es längst aufgegeben, über das Marseiller Wetter zu schimpfen.
Es gab Schlimmeres.
»Düstere Aussichten«, meinte François, während wir am Seepark entlangschlenderten, bis wir meinen Sportwagen erreicht hatten und einstiegen.
»Irgend jemand versucht da ganz gewaltig aufzuräumen«, sprach François weiter. »Ein Bandenkrieg ist so gut wie unausweichlich.«
»Ich fürchte, da hast du recht.«
François fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Sein Blick wirkte nachdenklich. »Dies ist der dritte Tote in dieser Serie.«
»Vorsicht!«, erwiderte ich. »Wir wissen noch nicht, ob es wirklich derselbe Täter ist«, gab ich zu bedenken.
François zuckte die Achseln.
»Nach den ballistischen Untersuchungen werden wir es wissen. Ich wette mit dir, dass in allen drei Fällen die Kugeln aus denselben Waffen stammen. Und wenn du die Vorgehensweise bedenkst …«
Ich sah meinen Kollegen fragend an. »Drei Morde«, murmelte ich. »Und die Opfer waren jeweils Leute, die in der Unterwelt eine Rolle spielten. Brahmini, der Waffenhändler. Attaf, der Kokain-König. Und jetzt …«
»Selnikow!«, vollendete François. »Außer der Tatsache, dass alle wahrscheinlich Verbrecher waren, haben sie aber nichts gemeinsam. Nicht einmal die Branche.«
»Aber offensichtlich haben sie einen gemeinsamen Feind!«
François nickte.
»Fragt sich nur, wer das ist.«
Ich lachte heiser.
»Und Marseille war gerade dabei, den Ruf zu erringen, eine der sichersten Städte Frankreichs zu sein.«
François verstand, was ich meinte.
Wenn irgendein bislang unbekanntes Syndikat seine Klauen nach Marseille ausstreckte und es zum Gangsterkrieg kam, dann konnte es mit der relativen Ruhe schnell vorbei sein.
Und dann hatte die ganze Stadt darunter zu leiden.
5
Es herrschte dichter Verkehr, und daher waren die gut 50 Kilometer zwischen Marseille-Mitte und Toulon eine wahre Quälerei.
Selnikows Villa war groß und protzig und hatte vermutlich das Doppelte von dem gekostet, was zwei Beamte der FoPoCri in ihrem ganzen Leben verdienten.
Als ich den Sportwagen am Straßenrand parkte und François' Blick sah, mit dem er das Anwesen bedachte, wusste ich, was in ihm vorging.
Er dachte genau dasselbe wie ich.
»Vom finanziellen Standpunkt aus betrachtet, haben wir wohl die falsche Seite gewählt, was?«
Ich hob die Augenbrauen. »Findest du wirklich?«
»Nun …«
»Selnikow hat jetzt nicht mehr viel von all seinem Reichtum. Im Leichenschauhaus sind alle gleich.«
»Das ist allerdings wahr.«
Wir stiegen aus.
Die Villa war von einem schmiedeeisernen Zaun umgeben. Wir traten ans Tor, und uns traf ein unangenehm kalter Wind, der durch die großzügig angelegte Allee fegte, die auf Selnikows Villa zuführte. Eine gute Adresse, eine feine Gegend …
Irgendwo verschluckte der Wind das Knurren eines Hundes.
Ein Mann wie Selnikow musste sein Haus natürlich vor ungebetenen Gästen schützen.
Das Tor war gusseisern und so massiv, dass man einen Panzer bräuchte, um durchzukommen. Ein Blick zwischen den Gitterstäben hindurch zeigte ein paar nervös wirkende Männer in dunklen Anzügen. Walkie-Talkies verbeulten die Jacketttaschen. Es war kein Wunder, dass man nicht versucht hatte, Selnikow hier, in dieser Privatfestung umzubringen.
Ich drückte auf den Knopf neben der Gegensprechanlage.
Eine Männerstimme knurrte ein launiges: »Sie wünschen?«
»FoPoCri.«
»Monsieur Selnikow ist nicht zu Hause.«
»Wir hätten gerne Madame Selnikow gesprochen.«
François und mir war bekannt, dass er mit einer beinahe dreißig Jahre jüngeren Frau verheiratet war.
Am anderen Ende der Gegensprechanlage herrschte einige Augenblicke lang Schweigen.
Dann bekamen wir eine Antwort.
»Einen Moment!«
Es war eine metallisch klingende Männerstimme.
Erstmal geschah gar nichts. Dann registrierte ich, wie einer der Wächter in den gut sitzenden Beerdigungsanzügen zu seinem Funkgerät griff. Kurz darauf kam er in Begleitung eines bulligen Kerls am Tor an. Dieser hielt einen Rottweiler ziemlich kurz an der Leine. Das Tier fletschte die Zähne und wollte nach uns schnappen. Ein mannscharfes Biest, das speziell auf Menschen abgerichtet war.
Der bullige Hundeführer grinste schief und tätschelte dem Tier am Hals herum. »Er tut nichts. Er mag nur keine Polizeibeamte«, knurrte er dabei.
»Was Sie nicht sagen«, erwiderte ich kühl.
Wir zeigten den Wächtern unsere Ausweise. Sie wurden eingehend geprüft und mit einem dumpfen Knurren zurückgegeben.
»Folgen Sie uns!«, kam es dann kleinlaut zwischen den dünnen Lippen des Hundeführers hindurch, während der andere Wächter uns einschüchternd anstierten.
6
Jelena Selnikow empfing uns in einem weiträumigen, lichtdurchfluteten Raum mit hohen Fenstern. Die Einrichtung bestand zum Großteil aus kostbaren, wenn auch etwas zusammengewürfelt wirkenden Antiquitäten.
Das Haus eines Mannes, der seinen Reichtum um jeden Preis zeigen will, ging es mir durch den Kopf.
Jelena war eine aschblonde Schönheit mit feingeschnittenem Gesicht und hohen Wangenknochen. Ihre Augen waren dunkel, und die Art und Weise, in der sie funkelten, warnten jeden, der mit ihr zu tun hatte, vor ihrer Hinterhältigkeit und Gefühlskälte. Ihre Figur hingegen war eine einzige, schwindelerregende Kurve, so dass einem das kalte Glitzern ihrer Augen schon entgehen konnte.
Sie machte den Eindruck, genau zu wissen, was sie tat.
Alles an ihr wirkte kontrolliert.
Sie begrüßte uns mit rauchiger Stimme. Wir zeigten ihr unsere Ausweise, die sie sich eingehend ansah.
»Zwei Polizisten, sieh an«, sagte sie mit falschem Lächeln. »Was führt Sie hierher?«
Ich hasse solche Momente. Aber es kommt immer wieder vor, dass man in unserem Beruf zum Überbringer schlechter Nachrichten wird.
»Ihr Mann … er ist heute morgen erschossen worden.« Ich wollte es so kurz und schmerzlos wie möglich zu machen.
Jelenas Gesicht blieb völlig unbewegt. Eine Maske, die wie erstarrt wirkte. Ein Lächeln, das aussah wie gefroren.
Sie atmete tief durch.
Ihre ausladenden Brüste hoben und senkten sich dabei.
Sie schluckte und sah mich dann an.
»Wo«, fragte sie dann stockend, »ist das passiert?«
»In einem Penthouse am Seepark«, sagte ich und wurde sogleich unterbrochen.
»Ah, ich weiß«, meinte sie, und ihr Tonfall wurde hart. »Das ist wohl die Wohnung, die Wlad für diese Schlampe gemietet hat.«
»Sprechen Sie vielleicht von Denise Fillon?«, hakte François nach.
»Häh?«
»Denise Fillon.«
»Kann sein …«
»Was heißt das nun?«
»… kann auch nicht sein.«
Jelena wandte sich zu meinem Kollegen herum und musterte ihn mit einem schwer zu deutenden Blick. Dann ging sie ein paar Schritte auf ihn zu. Bei jedem ihrer wiegenden Schritte schien sie darauf zu achten, dass die aufregenden Rundungen ihres wohlgeformten Körpers auch richtig zur Geltung kamen.
Sie blieb stehen.
Den linken Arm stemmte sie in die geschwungene Hüfte.
Ihr Parfum hing schwer und aufdringlich in der Luft.
»Möglich, dass sie so hieß«, murmelte sie mit einer Kälte, die einen erschauern lassen konnte.
»Madame Fillon ist ebenfalls umgekommen«, sagte François.
Jelena hob die Augenbrauen.
»Sie erwarten sicher nicht, dass ich darüber besonders traurig bin.« Sie zuckte die Achseln. »Oligarchen-Wlad wusste eben manchmal nicht, was wirklich gut für ihn war. Und seine Menschenkenntnis war auch nicht die Beste – jedenfalls was Frauen anging!« Sie drehte sich zu mir herum. Ihre Augen musterten mich.
Ich hielt ihrem Blick stand.
»Sagen Sie mir, wie es genau geschehen ist!«, forderte sie mit dunklem Timbre.
»So, wie es aussieht, waren es zwei sehr professionell vorgehende Killer«, sagte ich.
»Eine Hinrichtung!« Es war keine Frage, sondern eine Feststellung.
Ich nickte.
»So könnte man es nennen.«
Für den Bruchteil einer Sekunde huschte ein kaltes, böses Lächeln über ihr Gesicht. Den Eindruck einer trauernden Witwe machte sie mir nicht gerade.
»Für uns stellt sich die Frage, welcher seiner zahlreichen Feinde Ihren Mann umgebracht hat!«, erklärte François aus dem Hintergrund.
Jelena lachte auf. »Ach wirklich?«
»Jeder Mord ist ein Mord zu viel«, erklärte François sachlich.
»Und wir versuchen, ihn so gut wir können aufzuklären. Auch bei einem Mann …«
»Den Sie für einen Verbrecher halten! So ist es doch!«, rief Jelena. Sie seufzte. Dabei drehte sie sich nicht zu François um, sondern sah weiterhin in meine Richtung.
Ich nickte.
»Dem, was mein Kollege gesagt hat, kann ich nur zustimmen«, erklärte ich und fuhr dann nach einer kurzen Pause fort: »Seit wann wussten Sie von der Beziehung Ihres Mannes zu Madame Fillon?«
Ihr Blick bekam etwas Katzenhaftes.
Sie näherte sich einen Schritt und verschränkte die Arme vor der ausladenden Brust, die sich deutlich durch ihren sehr engen Pullover abzeichnete.
»Jeder wusste das. Ich natürlich auch, ich bin nämlich weder blind noch taub. Wladimir hat sich nicht einmal die Mühe gemacht, seine Affären mit anderen Frauen vor mir oder irgendjemandem sonst geheimzuhalten.«
»Haben Sie Ihren Mann geliebt?«
Sie sah überrascht aus. »Was soll die Frage?«
»Brauchen Sie länger, um darüber nachzudenken?«
Sie wurde dunkelrot vor Ärger. Ihre Augen funkelten.
»Hören Sie, was soll die Fragerei? Ich dachte, Sie suchen den Mörder meines Mannes! Also tun Sie Ihren Job, wenn Sie es nicht lassen können, aber hören Sie auf, dämliche Fragen zu stellen!«
Sie wirkte wie jemand, der sich in die Enge getrieben fühlte.
»Machen Sie sich keine Gedanken darüber, wer die Mörder beauftragt hat?«
»Glauben Sie …« , sie zögerte, ehe sie weitersprach, »… dass ich …«
»Das haben Sie gesagt!«
»Wegen dieser Denise Fillon? Monsieur Marquanteur, das ist lächerlich!« Ihr Blick ging zur Uhr. »Meine Zeit ist knapp bemessen. Wenn Sie keine weiteren Fragen mehr haben …«
»Da wäre noch etwas!«
»Dann machen Sie es kurz!«
»Sagen Ihnen die Namen Roberto Brahmini und Achmed Attaf etwas?«
»Nie gehört!«
»Wirklich nicht? Könnte es nicht sein, dass Ihr Mann diese Männer gekannt hat?« Ich holte zwei Fotos aus der Innentasche meiner Jacke und hielt sie Jelena hin. Sie beachtete sie kaum, nahm sie nur kurz zwischen die grazilen Finger und gab sie mir dann zurück.
»Allerweltsgesichter«, meinte sie schulterzuckend. »Was ist mit diesen Männern?«
»Sie starben vermutlich durch dieselben Täter wie Ihr Mann, und falls es irgendeine Verbindung zwischen ihm und diesen beiden geben sollte, sagen Sie es uns besser.«
Ihr Augenaufschlag war gekonnt.
»Das werde ich, Monsieur Marquanteur.« Und dabei strich sie mir mit ihren langen Fingernägeln über das Revers der Jacke. »Sobald ich etwas in dieser Richtung erfahre … Wie waren noch die Namen?«
7
Als ich François am nächsten Morgen an der üblichen Ecke abholte und wir gemeinsam zum Dienst fuhren, war es eiskalt.
Zwanzig Minuten später saßen wir im Zimmer von Monsieur Marteau.
Das Büro unseres Chefs im Dienstgebäude der FoPoCri Marseille war einfach und zweckmäßig eingerichtet.
Jean-Claude Marteau lehnte sich mit der Hüfte an seinen Schreibtisch, hatte die Arme verschränkt und machte ein ziemlich ernstes Gesicht. Und dafür hatte er auch allen Grund. Die Fahndung nach den beiden Killern lief zwar, aber die Angaben des Security-Manns erwiesen sich als nicht sehr detailliert. Die Phantombilder waren entsprechend wenig aussagekräftig.
»Es ist fünf Minuten vor zwölf«, erklärte Monsieur Marteau dann. »Wenn es uns nicht gelingt, denjenigen zu stoppen, der zur Zeit seine Killer losschickt, dann fliegen uns bald die Brocken um die Ohren! Außerdem liegen mir dauernd die Kollegen der Presseabteilung in den Ohren. Der dritte Tote in dieser verdammten Serie, und wir haben noch immer nichts in den Händen … Wir brauchen langsam Ergebnisse!«
François und ich saßen in den Ledersesseln der kleinen Sitzgruppe, die Monsieur Marteau für Besprechungen in seinem Büro diente. Uns gegenüber saß mit übereinandergeschlagenen Beinen unser Kollege Stéphane Caron. Sein Partner Boubou Ndonga galt als der bestgekleidete Kollege der Abteilung. Ihn hielt es nicht im Sessel. Er lehnte an der Fensterbank und lockerte sich die exquisite Seidenkrawatte.
Die beiden hatten sich intensiv mit Brahminis und Attafs wirtschaftlichen Verflechtungen beschäftigt, worüber sie einiges an Daten mitgebracht hatten. Die Computerausdrucke lagen auf dem Tisch verstreut, und ich hatte mir das eine oder andere auch etwas genauer angesehen.
»Immerhin haben wir jetzt einen Anhaltspunkt«, meinte Ndonga. »Attaf und Selnikow hatten beide Gelder in einer Import/Export-Firma, von der wir vermuten, dass sie in Wahrheit nur dem Zweck dient, schwarzes Geld weiß zu waschen. Brahmini und und Attaf wiederum hatten ihr Geld in einem Chemie-Unternehmen, das seine Sonderabfälle durch eine inzwischen in Konkurs gegangene Transportfirma entsorgen ließ, von der wir vermuten, dass sie zu Selnikows Imperium gehörte!«
»Ein ziemlich vager Zusammenhang«, meinte Monsieur Marteau. »Ich weiß nicht, ob uns das wirklich weiterbringt. Aber verfolgen Sie die Spur trotzdem weiter.« Monsieur Marteau verlagerte das Gewicht von einem Bein auf das andere und sah mich an. »Was ist mit der Witwe?«
»Ich traue ihr ohne Weiteres zu, ihren Mann umgebracht zu haben. Nicht aus Eifersucht, dazu wirkte sie mir zu kühl … Aber vielleicht, weil sie jetzt über Oligarchen-Wlads Vermögen verfügen kann.«
»Und das soll ja ganz beachtlich sein!«, warf François ein.
Ich fuhr fort: »Aber nachdem wir jetzt den ballistischen Bericht auf dem Tisch haben und feststeht, dass Attaf, Brahmini und Selnikow tatsächlich von denselben Tätern ermordet wurden, glaube ich nicht an die schöne Jelena als Auftraggeberin.«
»Hat das einen bestimmten Grund, Pierre?«, erkundigte sich Monsieur Marteau.
Ich zuckte die Achseln.
»Instinkt.«
Monsieur Marteau seufzte. »In diesem Fall hoffe ich beinahe, dass der Sie mal täuscht … Sonst stehen wir nämlich mit völlig leeren Händen da.«
»Vielleicht kennen wir nur noch nicht den Zusammenhang zwischen den Toten und der schönen Witwe, Pierre!«, gab François zu bedenken.
Mein Blick ruhte auf den Computerausdrucken. Wir hatten es mit einem komplizierten Geflecht aus Firmen, Scheinfirmen, Strohmännern und Leuten zu tun, die schwarzes Geld wie Heu hatten und daraus Weißes machen mussten.
Brahmini, Attaf, Selnikow …
Alles große Bosse, die selbst kaum noch ein Risiko eingingen. Das trugen die kleinen Handlanger, die dann erwischt wurden.
So war das allzu oft.
Jeder von uns hatte nicht selten über diese Tatsache geflucht. Die Kleinen wurden gehängt, die Großen notgedrungen und mit Unterstützung guter Anwälte laufengelassen.
Doch jetzt hatte jemand ausgerechnet diese Großen ins Visier genommen. Unerbittlich. Mann für Mann. Und sehr professionell.
Ich atmete tief durch. Boubou erläuterte noch einiges zu den wirtschaftlichen Verflechtungen der kriminellen Netzwerke, deren Oberhäupter über den Jordan geschickt worden waren. Aber ich hörte kaum zu.
»Der, der diese Killer geschickt hat, muss sehr viel Geld haben «, sagte ich dann irgendwann. »Denn wer immer Leute wie Selnikow umbringt, weiß, dass er sich danach zur Ruhe setzen muss und nie wieder in Aktion treten kann … Zumindest nicht in Frankreich.«
Monsieur Marteau sah mich interessiert an. »Worauf wollen Sie hinaus?«
»Ich frage mich, ob die schöne Jelena Geld genug dafür zur Verfügung hatte – ich meine, bevor sie Oligarchen-Wlads Erbin wurde!«
»Der voraussichtlichen Erbin von Oligarchen-Wlad hätte doch jeder Kredit gegeben!«, erwiderte Boubou skeptisch.
»Auch ein Lohnkiller? Normalerweise wird da im Voraus gezahlt. Und im Fall des Scheiterns hätten die Mörder dieses Geld auch dringend gebraucht, um sich vor Selnikows Leuten in Sicherheit zu bringen. Vermutlich wäre es ihnen trotzdem nicht gelungen.«
Jetzt meldete sich Stéphane Caron zu Wort. »Diese Jelena soll übrigens in Selnikows Reich durchaus nicht nur die Rolle einer anschmiegsamen Mafia-Braut gespielt, sondern auch in den Geschäften mitgemischt haben. Jedenfalls gibt es dahingehende Gerüchte.«
»Tatsache ist aber, dass sie nicht einmal ein eigenes Girokonto besessen hat!«
Ich grinste. »Anschmiegsam war diese Katze nun wirklich nicht.«
Monsieur Marteau musterte uns einer nach dem anderen mit einer Miene, die Entschlossenheit signalisierte. »Ich denke, der einzige Weg, der Erfolg verspricht, ist ein Trampelpfad durch diesen Dschungel da!« Und bei diesen Worten deutete er auf die Computerausdrucke, auf denen das komplizierte Geflecht aus Firmen und Scheinfirmen dargestellt wurde. »Irgendwo dort liegt der Schlüssel – oder es greift ein Hai nach dieser Stadt, der groß genug ist, diese gefräßigen Piranhas allesamt zu schlucken!«
In diesem Moment öffnete sich die Tür.
»Wenigstens ein Lichtblick!«, meinte Stéphane Caron mit Blick auf das Tablett mit den Kaffeebechern, das Melanie, die fürsorgliche Sekretärin des Chefs, hereintrug.
Sie setzte das Tablett auf den schlichten Tisch zwischen den Ledersesseln.
»Bitte bedienen Sie sich!«, forderte sie uns auf. Und da Melanie den besten Kaffee weit und breit macht, brauchte sie das keinem von uns zweimal zu sagen.
8
»Guten Tag, meine Herren«, sagte Jelena Selnikow und bedachte die Anwesenden mit einem herausfordernden Blick. Sie hatte am Ende der langen Tafel Platz genommen, während das halbe Dutzend zumeist dunkel und sehr vornehm gekleideter Männer aufmerksam in ihre Richtung starrte. Einige von ihnen grinsten frech.
Aber das sollte ihnen noch vergehen.
Hinter Jelena hatten sich zwei baumlange Wachposten aufgestellt, beide in maßgeschneiderten grauen Sakkos und einer Uzi lässig in der Rechten.
Jelenas Blick war kühl.
Sie musterte einen nach dem anderen, und langsam erstarb das Gemurmel unter den Anwesenden.
»Ich habe Sie alle hierher, zu dieser Besprechung gebeten, um mit Ihnen über die Zukunft unserer Organisation zu reden!«, erklärte sie dann auf eine Art und Weise, die derart selbstbewusst und sicher klang, als hätte sie in ihrem Leben nichts anderes getan.
Ihnen soll sofort klar werden, dass hier nicht die anschmiegsame Mafia-Braut sitzt, die sie vielleicht aus früheren Tagen in Erinnerung haben!, hatte sie sich vorgenommen.
Sie atmete tief durch.
Einer der Männer runzelte die Stirn. Er hatte gelocktes Haar und einen dichten Schnurrbart. »Was wollen Sie damit sagen? Was soll dieser ganze Affenzirkus hier überhaupt! Oligarchen-Wlad ist tot und …«
»… und ich werde seine Geschäfte so weiterführen, als würde er noch unter uns weilen!«, fuhr Jelena ihm kalt über den Mund.
Die Blicke, die sie dafür erntete, waren voller Unglauben.
Der Lockenkopf grinste schief.
»Sollen wir das ernst nehmen?«
»Besser Sie tun es. Keiner von euch hätte es gewagt, sich mit Oligarchen-Wlad anzulegen.«
Der Lockenkopf lehnte sich zurück.
»Ich schätze, diese Schuhe sind ein bisschen zu groß für Sie!«, meinte er abschätzig.
Die beiden Wächter mit den Uzi-Maschinenpistolen luden auf ein kaum merkliches Zeichen ihrer Chefin hin ihre Waffe durch, und alles im Raum erstarrte. Für einige Sekunden sagte keiner im Raum ein Wort.
»Die Spielregeln haben sich nicht geändert!«, erklärte sie. »Und wenn jemand aussteigen möchte, soll er es gleich sagen. Für die Konsequenzen ist er dann allerdings selbst verantwortlich.«
Eine unbehagliche Stille hing über dem Raum. Einige der Anwesenden drehten die Köpfe und sahen sich an. Aber niemand sagte etwas.
»Ich sehe, es gibt keine Einwände«, stellte Jelena befriedigt fest und erhob sich. »Meine Zeit ist kostbar, und die Ihre sicherlich auch. Ich werde Sie in den nächsten Tagen erneut zusammenrufen, um Einzelheiten mit Ihnen zu besprechen.«
»Ich schlage vor, wir sollten in nächster Zeit erst einmal etwas vorsichtiger vorgehen«, meinte der Lockenkopf und erntete von Jelena dafür einen Blick tiefster Missbilligung.
Sie hob die Augenbrauen und stemmte dabei den Arm in die geschwungene Hüfte.
»Ach, ja?«
»Die FoPoCri versucht in der Sache herumzubohren! Habe ich jedenfalls gehört!«
»Ihr Problem sind nicht die Ohren, sondern der Mund!«, versetzte Jelena ätzend.
»Und dann ist da noch eine andere Sache.«
»Und was, Monsieur Netaschwili?«
Der Lockenkopf sah sie scharf an. »Wir alle fragen uns, wer Oligarchen-Wlad auf dem Gewissen hat!«
»So?« Jelenas volllippiger Mund verzog sich zu einem spöttischen Lächeln. »Von euch war es niemand?«
»Höre Sie auf! Dasselbe könnten wir Sie fragen!«
»Ich würde es Ihnen nicht raten!«
Eisige Entschlusskraft schwang in ihrem rauchigen Timbre mit. Dies war eine Frau, die alles auf eine Karte setzen wollte. Alles, um ganz nach oben zu kommen. Sie wusste genau, was die Hunde vor diesem Treffen vorgehabt hatten. Sie hatten sie billig auszahlen wollen, um sie aus dem Weg zu haben.
Sie hatte genug Spione in der Nähe dieser ehrenwerten Herren, die sich allesamt Geschäftsleute nannten, aber in Wahrheit nichts als Gangster waren, um genau über deren Ziele informiert zu sein.
Das hast du mir beigebracht, Wlad! Immer gut informiert zu sein! Das garantiert das Überleben und entscheidet über Sieg oder Niederlage!
Der lockenköpfige Netaschwili ging auf Jelena zu, und die beiden Wächter hoben automatisch die kurzen Läufe ihrer Uzis. Netaschwili hob beschwichtigend die Hände. »Schon gut«, murmelte er. Und bei sich dachte er wohl, dass er nie den Bau dieser Löwin hätte betreten sollen. Er fuhr beinahe stotternd fort: »Es gibt da so ein Gerücht …«
»Was Sie nicht sagen.«
»Ein Gerücht von einer fremden Gruppe, die ihre Finger nach Marseille ausstreckt.« Er schluckte. »Ich nehme an, alle hier lesen ab und zu mal Zeitung!«
»Wovon sprechen Sie eigentlich?«, fragte Jelena abweisend.
»Von den Morden an Brahmini und Attaf!«
»Nicht unsere Branche, Netaschwili. Wozu sich also aufregen?«
Netaschwili hob den Zeigefinger wie eine Waffe.
»Hier will jemand groß aufräumen!«
»Wer sollte das sein?«
»Vielleicht jemand, der groß genug ist, sich in ganz unterschiedlichen Branchen zu tummeln … Und ich finde, darüber sollten wir mal nachdenken!«
9
Der Anruf erreichte mich kurz nach der Mittagspause. Die Stimme war zweifellos männlich, klang aber sehr undeutlich.
Ich hatte den Eindruck, dass das Absicht war.
»Spreche ich mit Monsieur Marquanteur?«
»Ja. Wer sind Sie?«
»Ich habe gehört, dass Sie den Mörder von Oligarchen-Wlad suchen.«
Manche Dinge schienen sich schneller herumzusprechen, als mir lieb sein konnte. In dieser Hinsicht war die Millionen-Metropole Marseille ein Dorf.
Ich schaltete den Lautsprecher des Telefons ein, so dass François mithören konnte.
»Was wollen Sie?«, fragte ich.
Ich hörte, wie mein Gesprächspartner heftig atmete.
»Ein Treffen, Monsieur Marquanteur.«
»Nun …«
»Im Antiquariat in der Innenstadt … Der dürfte Ihnen ja wohl bekannt sein. In fünfzehn Minuten. Seien Sie pünktlich. Kommen Sie weder zu spät noch zu früh … Fragen Sie nach der französischen Erstausgabe von Tarzan.«
»Und wie erkenne ich Sie?«
Es machte knack.
Der Anrufer hatte aufgelegt.
»Das bedeutet wohl, dass er dich erkennt«, meinte François.
»Ich frage mich, was ich davon halten soll!«, brummte ich nachdenklich und überprüfte dabei den Sitz der Waffe an meinem Gürtel. Dann stand ich auf und zog mir Jacke und Mantel an.
François folgte meinem Beispiel.
»Warum ruft der Kerl dich an? Woher kennt er deinen Namen? Und woher weiß er, dass du an dem Fall dran bist?«
»Keine Ahnung, François.«
»Vielleicht kommt er aus dem Dunstkreis dieser Jelena.«
Ich grinste.
»Lassen wir uns überraschen!«
Wenig später saßen wir in meinem Sportwagen und quälten uns durch den mittäglichen Verkehr. Das Antiquariat in der Innenstadt war das größte in Marseille. Ein Paradies zum Stöbern. Aber auch ein Ort, der durch seine Unübersichtlichkeit wie geschaffen für ein derartiges Treffen war.
Vielleicht gab es ja wirklich jemanden aus dem Umkreis der schönen Witwe, der auspacken wollte. Aus welchem Grund auch immer.
Ich hatte allerdings ein ungutes Gefühl bei der Sache.
Mein Instinkt sagte mir, dass etwas faul an der Sache war.
Mein Blick ging zur Uhr am Handgelenk.
»Wir sind etwas zu früh für unseren Freund«, erriet François meine Gedanken.
»Hat nicht irgendwer gesagt: Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben?«
»Aber unser Freund will uns auf die Minute genau an einem bestimmten Punkt haben!«
»Siehst du, und das gefällt mir nicht, François!«
»Glaubst du vielleicht, mir?«
Ich parkte den Sportwagen in einer Seitenstraße, hundert Meter von jener Ecke entfernt. Wir stiegen aus und meldeten unsere Position noch kurz in der FoPoCri-Funkzentrale. Für alle Fälle …
François folgte mir in einiger Entfernung. Wir wussten nicht, ob das Antiquariat möglicherweise beobachtet wurde. Mein Freund war gewissermaßen eine Art Lebensversicherung für mich, falls dieses eigenartige Treffen einen Verlauf nehmen sollte, der mich in eine brenzlige Lage brachte.
Nachdem ich die Fußgängerampel passiert hatte, standen bereits die ersten Ständer mit verbilligten Taschenbüchern vor mir, in denen die Kundschaft interessiert herumwühlte.
Ich ließ den Blick schweifen und fragte mich, welcher der Kunden sich vielleicht weniger für Bücher interessierte, als er vorgab.
Ein Blondschopf mit Vollbart fiel mir auf. Er war ziemlich groß und fast schlaksig. Er blickte dauernd auf und wirkte sehr nervös. In seinem Gesicht zuckte ein unruhiger Muskel, und die Tatsache, dass er sich einen Liebesroman für Frauen aus dem Wühltisch herausgefischt hatte, sprach eher dafür, dass ihm das Buch nur als eine Art Feigenblatt diente.
Seine wässrig-blauen Augen sahen mich einen Augenblick lang an, dann blickte er in eine andere Richtung.
Ich beschloss, den Kerl im Auge zu behalten.
Dann betrat ich den Laden.
Ich wusste François hinter mir, machte aber nicht den Fehler, mich nach ihm umzudrehen. Eine der Angestellten lief mir über den Weg. Sie war groß und blond. Das lange Haar trug sie offen. Es reichte ihr fast bis zur Hüfte.
»Ich suche nach der französischen Erstausgabe von Tarzan«, erklärte ich.
Die junge Blonde lächelte charmant. Ihr schlanker Arm deutete zu einem Regal auf der anderen Seite des Raumes.
»Wenn wir sie haben, dann dort hinten!«
»Ich danke Ihnen.«
Es dauerte eine Weile, bis ich mich durch den völlig überfüllten Verkaufsraum hindurchgedrängelt hatte. Die Wühltische mit den Büchern standen so eng, dass man schon etwas Geduld haben musste. Ein Paradies für Taschendiebe und konspirative Treffen.
Schließlich hatte ich es geschafft.
Alle Ausgaben auf diesem Tisch waren sorgfältig in Folie verschweißt. Ich nahm mir eines der Hefte und sah mir die Titelbildillustration an. Ein halbnacktes Mädchen mit großen Brüsten im Angesicht eines Riesengorillas. Gleichzeitig bemerkte ich aus den Augenwinkeln heraus den Blonden.
Er war mir also gefolgt.
Von der anderen Seite näherte sich ein Mann mit schwarz-gelocktem Haar. Er war viel kleiner und stämmiger als der Blonde.
Aber seinem Interesse an den alten Heften fehlte irgendwie der rechte Enthusiasmus, der den echten Fan auszeichnet.
Einen Augenblick später hatte er sich neben mich gedrängelt und heuchelte immer noch Interesse an den eingeschweißten Heften.
Jetzt wurde es ernst …
»Nicht umdrehen, Kollege!«, wisperte der Lockenkopf. »Mein Leben kann davon abhängen, dass dieses Treffen kein Aufsehen erregt.«
Ich erkannte die Stimme vom Telefon wieder.
»Hört sich dramatisch an. Wer sind Sie?«, fragte ich in gedämpftem Tonfall zurück.
»Jemand, der aussteigen will.«
»Am Telefon sagten Sie etwas von Oligarchen-Wlad Selnikows Mördern.«
Er atmete tief durch.
»Hören Sie, Monsieur Marquanteur, ich brauche ein Angebot. Ich bin bereit auszusagen, aber ich brauche Sicherheit, sonst lebe ich keine zwei Stunden mehr!«
Seine Angst schien mir echt zu sein. Aber ich musste mehr wissen. Und ich hatte keine Lust, meine Zeit nur mit vagen Andeutungen zu vertun. Er wollte aussteigen, so sagte er. Das bedeutete, dass er irgendwie zum Dunstkreis um Selnikow gehörte. Einer seiner sogenannten Geschäftspartner.
Vielleicht besorgte er die Grundstücke, auf denen die Giftmüllmafia ihren Schrott sehr unfachmännisch entsorgte oder besaß eine Transportfirma, die in Selnikows Netz verstrickt war. Allerdings sagte mir mein Instinkt, dass dieser Mann vermutlich eine Etage höher anzusiedeln war. Bei den Mittelsmännern vielleicht oder in der Geldwäsche.
»Ist der blonde Riese zu meiner Linken Ihr Mann?«, fragte ich.
»Ja.«
»Wie beruhigend!«
Er atmete tief durch. »Wie gesagt, ich bin bereit auszusagen. Über Selnikows üble Geschäfte mit gefährlichem Giftmüll, über Strohmänner …«
»Selnikow ist tot«, stellte ich fest. »Wer will Oligarchen-Wlad noch vor den Richter stellen?«
»Hören Sie …«
»Im Moment habe ich den Eindruck, mit Ihnen meine Zeit zu verschwenden, Monsieur Namenlos.«
»Sie wollen Selnikows Mörder … Oder besser: Den, der die Killeraufträge geben hat und vielleicht einen Bandenkrieg ungeahnten Ausmaßes auslöst … Da will jemand gewaltig aufräumen! Brahmini, Attaf … und jetzt Oligarchen-Wlad!«
»Und dieser Jemand ist zufällig auch Ihnen auf den Fersen?«
Seine Stimme vibrierte leicht.
»Ich denke schon!«, wisperte er. »Ich liefere Ihnen die Witwe des großen Wladimir Selnikow ans Messer.«
»Jelena?«
»Sie hat Oligarchen-Wlads Geschäfte übernommen und hat große Pläne … Sehr große Pläne!«
Von hinten spürte ich eine Bewegung und wandte halb den Kopf.
Aus den Augenwinkeln heraus sah ich einen Arm.
Er ragte zwischen den dichtgedrängten Körpern der Kunden hervor. Und die Hand hielt eine Pistole umklammert …
Der Lauf war sehr langgezogen.
Eine Waffe mit Schalldämpfer!
Grell züngelte das Mündungsfeuer aus dem Rohr.
Zweimal hintereinander machte es Plopp, und ein Ruck durchfuhr den Körper meines Gesprächspartners.
Sein Blick gefror zu einer Maske.
Einer Maske des Todes. Seine Augen waren weit aufgerissen und stierten mich verständnislos an. In der nächsten Sekunde sah ich das Blut … Es sickerte aus dem Mund heraus und tropfte auf den Jackenkragen.
Der Lockenkopf sackte tot in sich zusammen. Die in der Nähe stehenden Kunden stürzten schreiend auseinander.
Blut spritzte auf die Wühltische mit den Taschenbüchern, während das Chaos ausbrach.
10
Die Schreie waren geradezu ohrenbetäubend.
Ich wirbelte herum und hatte in der nächsten Sekunde meine Waffe in der Rechten. Aus den Augenwinkeln heraus sah ich, dass der blonde Leibwächter des Lockenkopfs ebenfalls nach seiner Waffe gegriffen hatte.
Er hatte das Eisen – eine große, schwergewichtige Magnum noch nicht einmal ganz unter dem Jackett hervorgezogen, da ruckte sein Kopf auf unnatürliche Weise in den Nacken.
Wie von einem Hammerschlag getroffen.
Auf seiner Stirn bildete sich ein roter Punkt, der rasch größer wurde. Er taumelte getroffen zurück, krallte sich an einem Regal fest und riss dessen Inhalt mit sich zu Boden.
Ein dumpfes Ächzen entrang sich seiner Kehle, eher auf dem Boden krachte und reglos liegenblieb.
Heillose Panik erfüllte das Antiquariat.
Die Kunden stoben in alle Richtungen auseinander. Manche suchten Deckung hinter den Verkaufstischen.
Ein Mann wühlte sich brutal durch die Menge. Von seinem Gesicht konnte ich so gut wie nichts sehen. Er trug eine tief heruntergezogene Strickmütze und eine Brille mit Spiegelgläsern.
»Polizei! Stehenbleiben!«, rief ich.
Eine Warnung, die beinahe im Kreischen der Kunden unterging.
Dennoch bekam ich umgehend eine bleierne Antwort.
Das ploppende Geräusch war in dem allgemeinen Lärm nicht zu hören.
Lautlos löste sich der Schuss aus der Waffe des Spiegelbrillenträgers, dessen Backenbart wie angeklebt wirkte. Ich sah es an der Mündung der auf mich gerichteten Waffe aufblitzen und duckte mich schnell.
Der Schuss meines Gegners war schnell und nicht gut gezielt gewesen. Das Projektil zischte dicht über mich hinweg. Um Haaresbreite hätte mir das großkalibrige Ding einen Teil der Schädeldecke von der Hirnmasse herunter rasiert.
Krachend drang es hinter mir in erst in das Regal dann in die Wand ein und zerfetzte Holz und die wertvollen Buchausgaben gleichermaßen, ehe es im Beton der Wand steckenblieb.
Mein Finger verstärkte den Druck auf den Abzug der Waffe.
Wut stieg in mir auf.
Ich konnte die Waffe in diesem Moment nicht benutzen, das war mir klar. Einen Mörder zu fassen war eine Sache und was meine eigene Person anging, scheute ich dabei kein Risiko, das sich noch einigermaßen vertreten ließ.
Aber in dieser dichtgedrängten Menschenmenge auf einen flüchtenden Killer zu schießen wäre unverantwortlich gewesen.
Auch für einen guten Schützen.
Und ich bin einer!
Denn selbst, wenn ich den Kerl traf, konnte die Kugel aus dem Körper wieder austreten und noch einen anderen Menschen verletzen – oder sogar umbringen.
Der Killer rannte davon, kam dabei hart gegen einen der Verkaufstische, der mit einem hässlichen, schabenden Geräusch einen halben Meter über den Boden rutschte.
Ich packte die Waffe und sah zu, dass ich hinter ihm herkam.
Vor mir bildete sich eine Gasse. Die Kunden, die noch nicht in heller Panik auseinandergelaufen waren, hatten zumeist hinter den Wühltischen und Buchständern notdürftig Deckung gesucht.
Der Kerl feuerte noch einmal auf mich. Der Schuss ging daneben und kratzte irgendwo hinter mir an der Decke. Etwas fiel herunter. Ich konnte nicht sehen, was es war. Ein Teil der Deckendekoration mit den Hinweisschildern auf verbilligte Ware oder eine Lampe vielleicht.
Seitlich von mir, auf der anderen Seite des Verkaufsraums, entdeckte ich François, der versuchte, dem Killer den Weg zum Hauptausgang abzuschneiden.
Der Killer rannte einen dicken Mann brutal über den Haufen.
Mit einem stöhnenden Laut auf den Lippen sank der Mann zu Boden, als der Ellbogen des Mörders sich in seinen Bauch drückte.
François hatte indessen den Ausgang erreicht und richtete seine Waffe auf den Killer.
»FoPoCri! Sie sind verhaftet!«
Blitzschnell wirbelte der Killer herum, duckte sich und packte dann eine junge Frau an den langen, gelockten Haaren.
Sie schrie auf. Er zog sie mit einer brutalen, ruckartigen Bewegung in die Höhe und hielt ihr das Eisen an die Schläfe.
Ihre Augen waren vor Schrecken weit aufgerissen. Ihre Brust hob und senkte sich in einem schnellen Rhythmus, den die Angst vorgab.
Eine Kinderstimme rief: »Mama!«
Ein kleiner Junge hockte ganz in der Nähe, halb verborgen hinter einem der Tische. Er wagte nicht, sich zu bewegen.
Niemand im Raum wagte das in dieser Sekunde.
Auch François und ich nicht.
Für die nächsten Sekunden hätte man eine Stecknadel fallen hören können.
Der Killer sagte kein Wort.
Das war auch nicht nötig. Seine Taten sprachen für sich und der kalte Lauf des Schalldämpfers am Kopf der jungen Frau. Zweifellos war er skrupellos genug, sie bedenkenlos umzubringen.
Ein Profi, der über Leichen ging und dem es auf einen Toten mehr oder weniger nicht ankam.
Eine menschliche Waffe, ausgeschickt von irgendjemandem, dem es offenbar nicht gepasst hatte, dass der tote Lockenkopf, der nun in seinem Blut neben den Regalen lag, sich mit einem Kollegen zusammen alte Bücher ansah …
Ich blickte zu François hinüber.
Keiner der Kunden verstellte mehr die Sicht. Die kauerten angstvoll in Deckung.
Mein Freund nickte kurz und senkte die Waffe.
Ich tat dasselbe, obwohl es mir in der Seele wehtat, diesen Kerl ziehen lassen zu müssen. Aber es gab keinen anderen Weg.
Vorsichtig ging der Killer mit seiner Geisel in Richtung Ausgang. Die Spiegelgläser gaben seinem Gesicht etwas Kaltes, Insektenhaftes. Zweifellos beobachtete er jede unserer Handlungen ganz genau. Nicht eine Nuance würde ihm entgehen, und es war in dieser Situation das Beste, überhaupt nichts zu tun.
Schließlich ging es um das Leben der Geisel.
»Mama!«, rief der Junge noch einmal.
»Bleib, wo du bist, Christian!«, rief die junge Frau. »Steh nicht auf!«
»Maul halten!«, knurrte der Killer.
Das erste Mal, dass wir einen Laut von ihm hörten, der über das tödliche Ploppen seiner Schalldämpferwaffe hinausging.
Seine Stimme klang wie ein tiefes Wispern. Ein Laut, der zu einer Schlange gepasst hätte.
Der Killer näherte sich dem Ausgang.
François wich zurück.
Ein hochgewachsener Kunde, der gerade hereinkommen wollte, blieb wie erstarrt stehen und lief dann davon.
Die kalten Spiegelaugen des Killers warfen einen letzten Blick auf uns.
Dann schleuderte er die Frau in unsere Richtung. Sie stolperte nach vorn und stöhnte auf, als sie hart auf den Boden kam. Im selben Moment ballerte der Kerl noch zweimal drauflos und rannte dann hinaus zur Straße.
Wir zögerten keine Sekunde.
Beinahe im selben Moment setzten François und ich uns in Bewegung und rannten ebenfalls zum Ausgang. François war schneller dort als ich.
Einen Augenblick später sahen wir den Kerl mit der Spiegelbrille gerade noch in einen blauen Wagen einsteigen, der offenbar mit laufendem Motor am Straßenrand gewartet hatte.
Aus einem heruntergelassenen Fenster ragten ein paar Hände hervor, die sich um eine Maschinenpistole klammerten. In dem Moment, in dem sich der Wagen mit quietschenden Reifen in Bewegung setzte, ballerte der Wahnsinnige los, dessen Gesicht hinter den getönten Scheiben verborgen lag.
Zwei Feuerstöße mit jeweils etwa zwanzig Schuss in der Sekunde knatterten los, und es blieb uns nichts anderes, als uns zu Boden zu hechten.
Die Garbe aus Blei fraß sich in die benachbarten Hausfassaden und ließ den Putz von der Wand springen.
Irgendwo schrie jemand auf.
Ich lag auf dem Pflaster des Bürgersteigs, rollte mich herum und spürte, wie dicht neben mir ein Projektil die Pflastersteine berührte und als tückischer Querschläger weiter auf eine ungewisse Reise geschickt wurde.
Ich zielte auf einen der Hinterreifen des Wagens und drückte ab.
Der Reifen zerplatzte.
Aber der Fahrer trat unbarmherzig das Gas. Es gab ein hässliches Geräusch, als der zerstörte Reifenmantel über den Asphalt gedreht wurde und die Felgen auf dem Boden entlang ratschten. Funken sprühten dabei und es roch nach verbranntem Gummi.
Beinahe wäre der Wagen ausgebrochen.
Jemand, der von der entgegengesetzten Fahrbahn daherfuhr, hupte.
Der Fahrer des Wagens riss das Lenkrad herum, rasierte sich den Außenspiegel an einer Straßenlaterne ab und bog dann in eine Seitenstraße ein.
Ich rappelte mich wieder auf.
Ein schneller Blick seitwärts, sagte mir, das François nichts geschehen war. Aber einen Passanten hatte es an der Schulter erwischt.
François hatte bereits das Walkie-Talkie in der Hand und verständigte die Funkzentrale der FoPoCri. Offenbar hatte bereits jemand im Antiquariat die Polizei verständigt, denn schon dröhnte eine Sirene aus irgendeiner der Nachbarstraßen.
Ich bekam gerade noch mit, wie François einen Krankenwagen für den verletzten Passanten verlangte.
»Hast du noch die Nummer des Wagens in Erinnerung?«, fragte er mich zwischendurch.
Ich nickte und nannte sie ihm.
»Aber lohnt kaum, das Ding in die Fahndung zu geben«, erwiderte ich.
»Warum nicht? Etwa wegen des Reifens?« Er schüttelte den Kopf. »Pierre, ich glaube nicht, dass den Kerlen Felgen und Achse im Moment sonderlich wichtig sind. Die werden losbrettern, bis es glüht!«
Ich schüttelte den Kopf.
Dann deutete ich auf das Sackgassenschild vor jener Einfahrt, die der Wagen mit dem geplatzten Reifen genommen hatte. Es war kaum zu sehen, weil irgendein Witzbold eine Plastiktüte darüber gestülpt hatte.
Die Jagd ging weiter.
11
Die Seitenstraße war eng und namenlos. Eigentlich nicht mehr als eine etwas breitere Einfahrt, die in einem Hinterhof mündete. Ehedem war hier das Gelände einer Transportfirma gewesen, die wohl in Konkurs gegangen war. Einige Schilder wiesen noch darauf hin. Jetzt verfiel hier alles. Ratten krochen ungeniert zwischen überquellenden Mülleimern herum und suchten sich ihr Teil.
Als François und ich den Innenhof erreichten, sahen wir noch einige Lastwagen, die vor sich hin rosteten. Man hatte sie ausgeweidet wie eine Weihnachtsgans. Kein brauchbares Stück war noch an ihnen dran. Die Reifen fehlten, die Sitze, die Motoren …
Jede brauchbare Schraube schien herausgedreht worden zu sein.
Und dann sahen wir auch den Wagen.
Drei Türen standen offen.
Also drei Kerle!, schoss es mir durch den Kopf. Hier war ihre Höllenfahrt zu Ende gewesen. Der Innenhof wurde umgeben von einem mehrstöckigen Gebäude, dessen Fassaden herabbröckelten. Die ehemaligen Garagen der Lastwagen standen offen. Sie waren kahl und leer. In den oberen Etagen, in denen sich vielleicht mal die Büros befunden hatten, waren zum Teil die Fenster eingeschlagen. Zollformulare wurden durch den Wind über den Hof getrieben.
Ein verlassener Ort, wie geschaffen, um sich zu verstecken.
Ein Labyrinth, in dem man sich hervorragend auf die Lauer legen konnte …
Wir nahmen hinter dem ersten Lastwagen Deckung.
»Die sind über alle Berge, Pierre!«, meinte François, der wie ich die Waffe in der Faust trug. »Aber die Spurensicherer sollten das ganze Gelände mal abchecken. Vielleicht haben unsere Freunde irgendetwas verloren.«
Jede Kleinigkeit konnte uns vielleicht weiterbringen.
Und wenn es nur ein vollgerotztes Papiertaschentuch war, aus dem sich vielleicht ein genetischer Fingerabdruck gewinnen ließ …
»Ich weiß nicht«, meinte ich. »Ich habe ein schlechtes Gefühl.«
François gab per Funkgerät durch, welches Gebiet abgeriegelt werden musste. Aber es war die Frage, ob die Verstärkung der Polizei schnell genug sein würde.
»Achtung!«, zischte ich.
Aus den Augenwinkeln heraus bemerkte ich bei einem der zerschlagenen Fenster eine Bewegung. Ich wirbelte herum, aber schon in der nächsten Sekunde knatterte eine Maschinenpistole los.
Die Projektile zerfetzten den Kasten des Lastwagens, hinter dem wir uns verschanzt hatten, dann schlugen sie dicht vor unseren Füßen in den Asphalt, und wir mussten einen Satz zurück machen. Wir kauerten hinter der Fahrerkabine des Lastwagens, und ich feuerte dreimal kurz hintereinander zurück, woraufhin das Feuer auf der anderen Seite eingestellt wurde.
Vorerst.
»Die haben auf uns gewartet«, meinte François.
Ich lud derweil meine Waffe nach und hatte die Waffe einen Augenblick später schon wieder schussbereit.
»Immerhin sind sie noch nicht über alle Berge!«
»Im Moment sitzen wir in der Falle – und nicht sie!«, stellte François fest.
»Gib mir Feuerschutz!«, forderte ich.
»Was hast du vor?«
»Mich etwas voran zu arbeiten! Am besten bis zum Eingang, um irgendwie ins Haus zu gelangen. Oder hast du vielleicht Lust, hier länger als Zielscheibe dieser Verrückten zu dienen?«
»Kein Gedanke … Aber willst du nicht besser auf die Verstärkung warten?«
»Wie es im Diensthandbuch steht? Dann sind die Kerle weg.«
»Auch wahr!«
»Also los!«
»Du gibst das Signal!«
»Okay!«
François atmete tief durch, und wir wechselten einen kurzen Blick. In Situationen wie diesen konnten wir uns hundertprozentig aufeinander verlassen. Das wusste jeder vom anderen.
Eine Maschinenpistolengarbe krachte in diesem Moment wieder in unsere Richtung. Ich hatte das Gefühl, dass die Killer nicht so genau wussten, wo wir uns befanden. Oder sie trauten sich nicht genau hinzusehen, weil sie Angst hatten, selbst eine Bleiladung abzubekommen.
Jedenfalls mussten wir uns einige schreckliche Sekunden lang ganz klein machen. Möglichst unsichtbar. Dieser geballten Feuerkraft hatten wir nichts entgegenzusetzen. Nichts, was dem hätte Paroli bieten können. Was die Bewaffnung anging, waren diese Killer uns überlegen.
Die Schusskraft einer Maschinenpistole ließ unsere Dienstwaffe beinahe wie Spielzeuge von rührender Harmlosigkeit erscheinen.
Ich glaubte schon, dass die Ballerei fürs erste wieder vorbei war, da ging es erneut los. Die Kugeln schlugen Löcher in die Beifahrertür des Lastwagens. Die Heckscheibe der Fahrerkabine war bis dahin das einzig heile Stück Glas am Wagen. Jetzt ging es zu Bruch. Ein Regen aus scharfkantigen Scherben regnete auf François und mich hernieder.
Dann war erst einmal wieder Stille.
Eine tödliche, drohende Stille.
Wir beide wussten es.
Ich packte die Waffe so fest, dass sich meine Knöchel weiß färbten.
Dann nickte ich François zu.
»Jetzt!«
Ich rannte in geduckter Haltung voran, während François auf das Fenster feuerte, aus dem zuvor auf uns geschossen worden war.
Eine zaghafte Erwiderung krachte los, aber François schien ziemlich genau zu zielen. Und der Killer dort oben ging lieber auf Nummer Sicher.
Rechts und links neben mir kratzten die Kugeln am grauen Asphalt. Dann hechtete ich mich hinter einen Mercedes-Lieferwagen von uraltem Baujahr. Er war mindestens so ausgeschlachtet wie die Lastwagen.
Immerhin …
Ich hatte einige Meter gewonnen. Und der Eingang war jetzt in einer Entfernung, die vielleicht erreichbar war, wenn der Kerl am Fenster mal nicht so hundertprozentig auf dem Posten war.
Ich feuerte ein paar Mal hinauf zu ihm und kauerte mich dann zum Nachladen hinter den Lieferwagen.
François machte mir ein Zeichen.
Alles in Ordnung.
Wieder herrschte einige Augenblicke lang diese eigenartige Ruhe vor dem Sturm. Jeder Muskel und jede Sehne meines Körpers waren angespannt.
Ich atmete tief durch und ließ den Blick die Fassaden auf der anderen Seite entlanggleiten.
Als ob ich es geahnt hätte …
An einem der Fenster bemerkte ich eine Bewegung.
Einer der Killer hatte sich offenbar auf die andere Seite begeben, um uns in aller Ruhe abschießen zu können. Ich ballerte zweimal in seine Richtung. Für den Moment schien er sich nicht aus seiner Deckung herauszutrauen.
Dafür war der Kerl mit der MP um so aktiver. Er feuerte wild drauflos.
Ein unheimliches, zischendes Geräusch folgte, anschließend eine mörderische Hitzewelle.
Ich musste zur Seite hechten, als die Kugeln den Tank durchsiebten, der offenbar noch genug Kraftstoff enthalten hatte, um eine Explosion auszulösen.
Die Flammen schlugen hoch aus dem Lieferwagen heraus, während ich mich am Boden herumrollte und die Augen zusammenkniff. Die Hitze war furchtbar. Ich hatte das Gefühl, buchstäblich bei lebendigem Leibe geröstet zu werden.
Wieder schoss eine Flamme aus dem Lieferwagen heraus. Die wenigen Scheiben, die noch ganz waren, zerbarsten mit einem Klirren.
Der MP-Schütze ballerte von oben in meine Richtung. Die Kugeln schlugen links und rechts von mir ein.
Es war die Hölle.
Mit einer heftigen Bewegung riss ich die Waffe hoch und feuerte zurück. Dann rappelte ich mich hoch, feuerte dabei ein weiteres Mal und hastete in Richtung des Eingangs. Ich schoss wild drauflos. Ein paar Dutzend Schritte nur trennten mich von der bröckelnden Hausfassade …
Ich setzte alles auf eine Karte. Und etwas anderes blieb mir auch gar nicht. Ich musste so schnell wie möglich aus dem Schussfeld kommen.
Ich keuchte.
Den letzten Schuss feuerte ich aus der Waffe, und dann hatte ich es geschafft. Ich presste mich an die Fassade.
Der herausrieselnde graue Staub setzte sich in meinem Mantel fest. Ich atmete auf. Für den MP-Schützen war ich jetzt unsichtbar. Der Winkel war zu spitz. Er konnte mich von oben weder sehen noch gezielt beschießen.
Bis zum Eingang hätte ich mich noch einige Meter an der Wand entlangdrücken müssen.
Aber dafür blieb keine Zeit, denn jetzt wurde von der anderen Seite geschossen.
Das war der Kerl mit der Schalldämpferwaffe und der Spiegelbrille. Jener Mann, der meinen Informanten getötet hatte. Jedenfalls schloss ich das aus der Tatsache, dass ich kein Schussgeräusch hörte. Ohne Vorwarnung drang die Kugel dicht neben mir in das poröse Mauerwerk und ließ noch mehr Putz herunterrieseln.
Meine Waffe war leergeschossen. Ich konnte nicht zurückfeuern.
Als der nächste Schuss dicht über meinen Kopf strich, stand mein Entschluss fest. Ich hechtete in das nächste Fenster hinein. Die Scheiben waren zerschlagen, aber es ragten noch scharfe Splitterstücke in die Fensteröffnung hinein. Wie Messer.
Und ich wusste nicht, was mich auf der anderen Seite, im Halbdunkel dieser verfallenen Ruine, erwartete. Hart kam ich auf den Boden und rollte mich auf die Weise ab, die man mir im Nahkampftraining beigebracht hatte.
Meine Schulter schmerzte höllisch, aber ich biss die Zähne zusammen. Ich lud die Waffe in Windeseile nach. Dann sah ich das Blut an meinem Arm.
Das Glas war wie ein Messer durch meinen Mantel gefahren.
Hoffte ich.
Ich glaubte einfach nicht, dass es eine Kugel war.
Innerlich fluchte ich.
Aber ich war nicht bereit, jetzt auf diese Verletzung Rücksicht zu nehmen. Ich packte die Waffe fester und durchquerte den halbdunklen Raum.
Wenig später hatte ich die Tür erreicht und arbeitete mich durch den Flur vor. Eine Treppe führte hinauf. Der Aufzug war nur noch ein Schrotthaufen, und ich hatte keine Lust, ihn auf seine Funktionstüchtigkeit hin zu testen. Außerdem gab es vermutlich auch keinen Strom.
Vorsichtig ging ich die ersten Stufen hinauf. Das Geländer war schadhaft, der Handlauf teilweise abgebrochen.
Eine Bewegung ließ mich herumfahren, und ich sah eine riesige Ratte von einer Tür zur anderen huschen.
Nur den Bruchteil einer Sekunde später sah ich über mir etwas aufblitzen.
Das Mündungsfeuer einer MP.
12
Der Killer stand auf einer der oberen Treppenabsätze und ballerte in die Tiefe – auf mich.
Ich ließ mich seitwärts fallen, während die Geschosse den ohnehin morschen hölzernen Handlauf zerfrästen. Ich drückte mich an die Wand. Draußen, im Innenhof waren jetzt Polizeisirenen zu hören.
Über mir hörte ich schnelle Schritte, und so wagte ich es, die Treppe hinaufzurennen. Ich nahm zwei bis drei Stufen mit einem Schritt, bis ich den fünften Stock erreichte, von wo aus der Killer mich beschossen hatte. Immer wenn ich einen Absatz erreichte, erwartete ich, von einem Bleihagel begrüßt zu werden.
Aber von dem Killer war nichts zu sehen.
Von draußen krächzte jetzt ein Megafon und forderte die Killer zum Aufgeben auf.
François schien die Polizeibeamten eingewiesen zu haben.
Fieberhaft durchsuchte ich den fünften Stock. Zimmer für Zimmer. Die meisten Räume waren kahl wie ein Rohbau. Man hatte alles mitgenommen. Hin und wieder standen da noch ein paar Büromöbel und Kisten mit halb verschimmelten Papieren, aus denen sich die Ratten ihre Nester bauten.
Vielfach fehlten selbst die Türen.