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Mein Name tut nichts zur Sache. Außerdem habe ich so viele
davon, dass ich schon gar nicht mehr sicher bin, wie mein
wirklicher Name ist. Am Besten gefällt mir 'Naughty Nick', der
ungehorsame Nick, nicht der Ungezogene. Das will ich mal
klarstellen.
Von Beruf bin ich Hitman. Ich habe andere Sachen ausprobiert,
aber irgendwie liegt mir ein Bürojob nicht und auch dieses
Verkäuferdings ist nicht meins.
Das mit dem Hitman hat sich durch Zufall ergeben. In einer Bar
hat mich jemand angesprochen, ob ich jemanden kenne, der einen
solchen Job macht. Als ob ich jemanden kenne, der für Geld Leute
umbringt. Also bitte.
Naja, und da habe ich mir gedacht, ich mache das selbst. Kann
ja nicht so schwer sein. Ich hatte darin ja auch schon einiges an
Erfahrung. Schließlich spiele ich seit meinem sechsten Lebensjahr
Light-Gun-Shooter und ich bin gut darin. Okay, eigentlich waren das
Spiele für Erwachsene, aber meine Mutter sah das nicht so eng. Wenn
sie ihre Ruhe hatte, konnten mein großer Bruder und ich spielen,
was wir wollten.
Also, selbst ist der Mann. In einem Jobs, in dem man weiter
kommen möchte, ist Eigeninitiative gefragt. Und hier war die
Bezahlung echt gut, wenn man bedenkt, was das für ein Stundenlohn
ist. Mann, da muss eine alte Frau lange für stricken.
Also habe ich den Job klargemacht und den Typen alle. Danach
gab's die Kohle und ich war im Geschäft. Es hat sich rumgesprochen,
dass ich solche Dinge zu hundertprozentiger Zufriedenheit
erledige.
Okay, ich bin manchmal etwas unkonventionell und das mit den
Kollateralschäden passiert einfach. Aber meistens trifft es ohnehin
Typen, die echt fies sind und ihre Lebensberechtigung schon
verwirkt haben.
Da bin ich nicht so kleinlich. Ich nehme das sportlich. Der
Mensch wächst mit seinen Aufgaben.
Natürlich ging es bei meinem ersten Job nicht alles so
einfach, wie ich das in Erinnerung habe. Aber ehrlich, warum war
der Typ auch nicht wohnhaft an der angegebenen Adresse. Um den
Typen, den ich fälschlicherweise erwischt habe, tut es mir schon
ein wenig Leid. Aber wie gesagt, es war mein erster Job. Heute
leiste ich mir solche Sentimentalitäten nicht mehr.
Ich versuche allerdings auch, mich besser vorzubereiten.
Als ich mitbekommen habe, dass der Typ, den ich zuerst
fälschlicherweise umgenietet habe, auch auf der Abschussliste
meines Auftraggebers stand, habe ich die Sache so gedreht, als gäbe
es zwei Leichen zum Preis von einer.
Das kam natürlich super gut an. Wer macht nicht gerne ein
Schnäppchen! Und so hatte ich den Folgeauftrag schon im Sack.
Und da sitze ich nun.
In einer kleinen schmierigen Bar namens Carisi’s Valentine,
irgendwo in der Bronx. Ohne mein Handy hätte ich hier nicht
hergefunden. Es war gar nicht so leicht immer schnell die
Navi-Funktion zu benutzen, ohne das diese ganzen Armen hier mein
Handy sehen. Das ist nämlich nagelneu, dieses Tolle ist es. Ich
komm gleich noch auf den Namen, von den Typen, die auch das MacBook
machen. Das sind so teure Laptops die nichtmal ein Laufwerk
haben.
Ich sitze am Fenster und lasse den Blick unauffällig
schweifen. Lauter harte Kerle hier, Schwarze, Latinos und White
Trash, wie man heute ja wohl politisch korrekt sagt. Da hab ich es
nicht so mit. Also mit politischer Korrektheit, die ganzen
Takkofresser aus dem Süden stören mich nicht. Ich mag mexikanische
Küche sehr gern.
Ein Schwarzer, oder sagt man jetzt Farbiger? Ne, Bunt ist der
ja nicht. Jedenfalls setzt sich so ein Sklavennachfahre mir
gegenüber und fragt:”Wie es wohl dem alten Finnigan geht?”
Das ist eine Anspielung an meinen letzten Auftrag, da musste
einer von den Iren dran glauben. Das ist immer heikel, die
Italiener haben ja die Mafia, aber die Iren die Polizei. Da muss
man höllisch aufpassen bei seinen Spuren. Immerhin lebe ich gerne
in New York. Es ist die schönste Stadt der Welt.
“Der schläft tief und fest”, erwidere ich, wie vereinbart. Da
ich die Codeworte gesagt habe, wird mir ein Umschlag
gereicht.
Er ist dick, da ist Geld drin und mein neuer Auftrag.
So gefällt mir das. Inzwischen gibt es oft mal einen
Vorschuss. Ich bin eben bekannt, also so bekannt wie man als
Auftragskiller sein darf, ohne dass man gleich im Knast
landet.
Ich zwinkere dem Schwarzen verschwörerisch zu und nicke
wissend.
Mir kann man nix vormachen. Der rollt mit den Augen und
geht.
“Erledigen Sie das”, sagt er noch.
“Bis morgen”, erwidere ich großspurig.
Ich drehe mich unauffällig vom Raum weg und sehe in den
Umschlag. Will ja nicht das jeder gleich sieht, was da drin
ist.
Das ist aber mal ein Batzen Geld! Meine Fresse! Jetzt ist nur
noch wichtig, wer dafür dran glauben muss.
Ich ziehe ein Foto raus. Irgend ein Mittvierziger mit Glatze
und echt fiesem Blick. Er hat dünne Augenbrauen, aber nicht so
Satanischen wie bei Mr. Spock. Im Moment sehe ich mal wieder die
Serien meiner Kindheit. Dank Blu-Ray ja alles heute möglich. Ich
drehe das Bild um. Mirko Telafat steht drauf. Dazu eine Adresse
drüben in Jersey. Ich trinke meinen Kaffee auf und lege der netten
brünetten Servierdame das Geld hin. Oder sagt man jetzt eher
Servicekraft?
Ich fahre mit der U-Bahn nach New Jersey. Ich habe meine
Pistole dabei. Das verdeckte Waffen tragen ist in New York Gottlob
noch erlaubt. In einigen Bundesstaaten will ich gar keine Aufträge
bekommen. Da ist es echt schwer überhaupt ‘ne Waffe tragen zu
dürfen. Oder Virginia. Da ist das andere Extrem. Da muss ich eher
Angst haben, dass mein Ziel ein Sturmgewehr oder anderen
Militärbedarf hat.
Jersey City liegt drüben, von New York aus gesehen. Direkt
neben der Upper New York Bay, nur rüber über den Hudson
River.
Ich sehe mir das Bild von Mirko an und präge mir sein Gesicht
ein. Dann suche ich seine Adresse mit Hilfe von meinem Handy. Ohne
Routenplaner wäre so ein Auftragsmord echt verdammt schwer. Ich
weiß noch wie man mir das erste Mal versucht hat so ein Ding
aufzuschwatzen. Für die Arbeit ist es echt prima. Aber all dieses
Geschreibe mit ‘Freunden’. Da mache ich nicht mit. Ich habe eine
Handvoll Freunde und denen sehe ich lieber in die Augen als
Unmengen an Text zu produzieren.
Meiner Erfahrung nach, verstecken sich manche Menschen gerne
hinter vielen, vielen Worten.
Dann merkt man nicht, dass man eigentlich niemanden zum reden
hat. Verschwiegenheit ist aber auch wichtig in meinem Beruf. Ich
hab da so von einigen mitbekommen, wie sie mal geprahlt haben.
Einer auch bei einem ersten Date. Stellen sie sich das mal vor! Ach
übrigens, ich töte Menschen. Nee, du musst den Wahnsinn in einer
viel kleineren Dosis zeigen.
Die U-Bahn kommt zum stehen und ich steige aus. Durch den
alten, vollplakatierten Bahnhof geht es hinauf auf die George-Lane
und ich sehe mich kurz um, um mich zu orientieren.
Mirko Telafat. Das Netz findet nichts zu ihm. Aber das ist
auch nicht mein Spezialgebiet, wenigstens gibt es die Adresse, die
sie drauf geschrieben haben.
Ich folge der Straße und biege irgendwann in eine Seitengasse
ein. Zwischen ein paar alten Brownstonehäusern führt mein Weg mich
hindurch. Das hier ist ein Randbereich, die Mehrfamilienhäuser
weichen kleinen niedrigen Reihenhäusern. Das muss es sein, wovon
die Leute ein paar hundert Meter vorher träumen: eine Handvoll
eigener Quadratmeter, nicht mehr einen Nachbarn über und unter dir.
Nur noch neben dir.
Naja und es gibt einen eigenen Garten. So ein grünes Viereck
ist manchen leuten ja auch sehr viel wert.
Ich kontrolliere meine Position auf dem Handy und stecke es
dann weg.
In meinem Schulterholster habe ich eine Pistole, extra für
diesen Auftrag. Später werfe ich sie in den Hudson. Da kommt die
nie mehr raus und wenn, dann ohne Fingerabdrücke.
Ich gehe zum Haus und sehe mir an, was auf dem Türschild
steht.
Mila Novakova, steht dort. Dann ist Mirko wohl bei einem
Liebchen untergetaucht. Ich zucke die Schultern. Vielleicht auch
seine Schwester oder die liebe Verwandtschaft. Mir solls gleich
sein. Es ist Abend und im oberen Stock brennt Licht. Ich sehe mich
um. Niemand ist auf der Straße, der mich beachtet. Also gehe ich
durch das Gartentörchen, nach hinten zum Haus. Bei der Küche ist
das Fenster nur angelehnt, ich habe Glück. Ich streife mir meine
dünnen Lederhandschuhe über und öffne das Fenster mit einem
behänden Tritt. Das geht ziemlich leise, wenn man weiß wie. Ist
natürlich jetzt irreparabel beschädigt, aber das wird Mirko auch
sein, wenn ich mit ihm fertig bin.
Für mich ist sowas ja nie persönlich. Ich will gar nicht
wissen, warum jemand sterben soll. Irgendjemand anders will es und
ist bereit eine echt große Stange Geld dafür hinzulegen.
Irgendeinen Grund wird es schon geben, dass jemand so angepisst von
Mirko ist. Ich ziehe meine Pistole und schleiche durchs Haus. Oben
ist die Dusche an. Ich kontrolliere einen Raum nach dem anderen.
Niemand ist im Erdgeschoss. Also geht es weiter nach oben. Unten
gab es nur Küche und Wohnzimmer, dazu kein winziges Bad. Oben ist
es ebenfalls nur ein Raum, der eine Mischung aus Büro und
Gästezimmer darstellt. Bleibt also noch ein Zimmer. Ich wappne
mich. Hoffentlich ist Mirko da. Ich möchte ungerne die Frau
erschießen, die hier auch mitwohnt. Nicht dass ich sentimental bin,
aber ich bin ja kein Psychopath. Eher ein Soldat im Inland, ja so
kann man das sagen.
Ich öffne die Tür zum verbleibenden Raum einen Spalt
breit.
Das Geräusch aus der Dusche hat aufgehört. Durch den Spalt
sehe ich wie eine junge Frau mit einem umgebundenen Handtuch aus
einem Badezimmer tritt und zum Bett geht. Dort liegt Kleidung
zurechtgelegt. Sie hat einen dieser komischen Handtuchturban
Dinger, die Frauen oft haben. Hab ich nie verstanden, aber mit
meinem Haar ist es auch nicht so weit her. Ich gehöre eher zu der
Fraktion Mann, die sich mit einem Waschlappen kämmen kann und die
Frisur sitzt.
Während sie mit beiden Händen diesen Turban auflöst und ihre
Haare damit abtrocknet, rutscht ihr Handtuch herunter. Kurz sinkt
meine Hand, mit der ich die Pistole festhalte. Meine Güte, ich
wusste nicht, dass die Rückseite einer Frau derart gut aussehen
kann. Ich meine jetzt ungeschminkt, nicht im Film halt. Also bei
einer Frau in echt, ohne Tricks.
Dann fasse ich mich und atme einmal tief durch. Konzentrier
dich Nick, das hier ist Arbeit, du bist nicht im Striplokal!
Andererseits, für Geld habe ich sowas Schönes auch noch nie…. Ich
schüttle den Kopf und öffnete die Zimmertür.
“Keine Bewegung und keinen Mucks, klar!”, sage ich. Sie
kreischt kurz und hält sich dann die Hand vor den Mund. Dann
versucht sie das Handtuch vom Boden aufzuheben, hält aber inne,
weil sie merkt, dass sie sich nicht bewegen soll. Sie wirkt
unentschlossen und versucht ihre Scham mit den Händen zu verdecken.
Ich seufze leise. Super Nick, du hättest ihr wirklich noch zwei
Minuten geben können, um sich anzuziehen.
“Los, ziehen Sie sich was an”, sage ich, auch wenn nur ein
Teil von mir das will. “Ich will Ihnen nichts tun.
Versprochen.”
Sie sieht skeptisch aus. Da ist ein Feuer in ihren Augen, sie
gewinnt ihre Fassung zurück.
Ihre schulterlangen schwarzen Haare sind noch ein wenig nass.
Als sie mich ansieht, bemerke ich, dass sie haselnussbraune Augen
hat. Richtig kräftig, fast so wie bei einem Toffee. Dann sitzt sie
in Jeans und einem T-Shirt vor mir auf dem Bett, die Arme
verschränkt.
“Mila Novakova, richtig?”, sage ich. Sie nickt. Ihre hohen
Wangenknochen verbergen nicht wie ihre Kiefer mahlen. Sie schiebt
das Kinn ein wenig trotzig hervor. Ganz ruhig Nick, du hast die
Pistole in der Hand. Genaugenommen ist es ein Revolver. Das hat den
Vorteil, dass man keine Patronenhülsen aufsammeln muss. Die bleiben
ja in der Trommel. Man will ja als Profi keine Spuren
hinterlassen.
“Gut, also das hier muss nicht schlimm enden.” Ich stehe auf
und sehe ins Badezimmer. Es hat kein Fenster, nur einen
Abzugsschacht.
“Wo ist Ihr Handy?”
Sie sieht mich wütend an, bewegt sich aber nicht. Ich sehe
mich ein wenig im Raum um und entdecke, dass es an einer Steckdose
hängt. Ich schenke ihr ein freundliches Lächeln.
“Gut, dann bitte wieder ins Bad. Ich werde Ihnen nichts tun,
kann Sie aber grad nicht gebrauchen. Also los.”
Sie steht widerwillig auf und geht ins Badezimmer. Ich
schließe mit dem Schlüssel von außen zu und klemme zur Sicherheit
einen Stuhl vor die Tür. Das ganze wirkt robust. Bald ist es sechs
Uhr. Ich denke, Mirko wird bald nach Hause kommen. Also gehe ich
hinunter ins Wohnzimmer, wo man einen vortrefflichen Blick hat in
den Flur. Wer auch immer reinkommt, ich habe ein freies
Schussfeld.
Die Zeit vergeht und ich blicke immer wieder auf meine
Armbanduhr. Hin und wiede höre ich, wie Mila oben versucht die
Badezimmertür zu öffnen. Erfolglos, wie man hören kann. Sie gibt
irgendwann ihre Versuche auf.
Schließlich sehe ich auf meine Uhr und merke, ich warte hier
seit geschlagenen drei Stunden. Ich seufze und gehe nach
oben.
Dann öffne ich die Badezimmertür.
“Keine Panik, ich öffne die Tür und Sie kommen raus. Ich tue
Ihnen nichts.”
Ich lasse die Tür aufschwingen und sehe Mila einige Schritte
von mir entfernt. Sie hat sich mit einem Eisenrohr bewaffnet, das
glaube ich von der Dusche stammt.
Nicht schlecht, aber ehrlich? Gegen meinen Revolver ist das
doch sehr gewagt.
“Wo ist Mirko”, frage ich nun. Ich habe Hunger und will diesen
Job zu Ende bringen.
“Wer?”
“Tun Sie nicht so. Ich weiß, dass er in der Stower-Lane 23
wohnt. Das weiß ich aus sicherer Quelle.”
“Das ist ja toll für Sie”, sagt sie langsam und blickt mich
herablassend an. “Aber das hier ist die Stower-Lane 21.”
“Was? Unmöglich. Ich habe…”
“Mich von meinem Routenplaner herführen lassen? Glauben Sie
einem großen Unternehmen geht nicht mal ein Fehler durch? Einige
meiner Freunde sind auch schon beim falschen Haus gelandet, wegen
diesem Fehler. Ich habe sogar mal eine Email an den Support
geschickt. Bisher keine Rückmeldung”, stellt sie fest.
Meine Schultern sacken herab.
“Wirklich?”, sage ich und merke dass ich wütend werde. Nicht
auf Mila, nein auf mich selbst. Gott, das ist echt peinlich
Nick!
“Okay, hören Sie. Ich gehe einfach und Sie rufen nicht die
Cops, okay?”, sage ich hoffnungsfroh. Ich will sie nicht erschießen
müssen. Aber sie ist andererseits auch ein Sicherheitsrisiko.
“Okay”, sagt sie. Man merkt, dass sie eine Chance wittert hier
lebend rauszukommen.
Ich geh zu ihrem Handy, klappe es auf und nehme den Akku
raus.
“So, den können Sie nachkaufen und ich muss keine Sorge haben,
dass Sie einen Anruf machen”
Mit diesen Worten reiße ich ihr Telefon aus der Wand und trete
einmal beherzt drauf. Somit ist sie vorerst von der Welt
abgeschnitten.
“Tut mir echt leid für die Unannehmlichkeiten”, stelle ich
fest und lege ihr ein paar Geldscheine aufs Bett. “Lassen wirs gut
sein, okay?”
Mila sieht mich völlig verdattert an. Dann nickt sie. “Okay”,
flüstert sie.
Ich stehe einen Moment herum und weiß nicht so recht, was ich
tun soll. Kurz setze ich an, um noch etwas zu sagen, dann schüttele
ich den Kopf und gehe einfach so schnell wie möglich.
Gott ist mir das peinlich! Puh, hoffentlich schlägt das keine
großen Wellen.
Diesmal sehe ich mir die Hausnummer genauer an. Verdammt, sie
hat recht! Es ist die falsche. Warum ist die auch so klein hier?
Ich gehe rüber zum richtigen Haus.
Licht brennt und ich spähe durchs Fenster rein. Das Wohnzimmer
ist funktional eingerichtet. Mirko sitzt auf einem Sofa und schaut
fern. Er sieht in die falsche Richtung, von hier kann er mich nicht
entdecken.
Ich schleiche ums Haus herum. Es ist baugleich, die ganze
Reihe scheint aus einem Grundplan zu bestehen. Das immer gleiche
Haus reiht sich hier an das immer gleiche Haus.
Ich zermartere mir das Hirn nach einem guten Plan und
entscheide mich dann für die schnellste Lösung. Dreimal betätige
ich den Klingelknopf. Dann öffnet Mirko Telafat.
“Ja, was kann ich für Sie tun?”, fragt er und ich ziehe meine
Waffe.
Ich schieße zweimal in die Brust. Mirko zuckt und versucht
sich an der Tür festzuhalten. Dann liegt er auf dem Rücken. Ich
ziele und schieße noch einmal, diesmal in den Kopf.
Jetzt noch ein Foto für den Auftraggeber und das wars.
Ich drehe mich um und renne los.
Ich verlasse mich auf meinen Orientierungssinn, meinem Handy
vertraue ich erstmal nicht.
Schließlich bin ich zurück an der U-Bahnstation und nehme die
nächste Bahn in Richtung Hafen.
Dort werde ich die Pistole los, indem ich sie in den Hudson
werfe. Den Handy-Akku hinterher.
Sicher, das ist nicht gut für die Umwelt, aber besser für
meine Karriere.
Von dort aus fahre ich direkt in meine Stammbar. Ich muss bis
morgen warten, um den Rest des Geldes zu bekommen.
2
Am nächsten Abend sitze ich am vereinbarten Platz und warte.
Ich spiele erst etwas mit meinem neuen Handy herum und zieh dann
aus meiner Jackentasche das Buch, das ich im Moment lese.
Ich habe mit dem Lesen auch erst angefangen, kurz nachdem ich
als Auftragskiller zu arbeiten begonnen habe. Denkt man so gar
nicht, aber als Auftragskiller hat man oft was zu lesen dabei.
Nicht, dass mein Job langweilig wäre, nein im Gegenteil. Es ist
eher so, das man oft lange warten muss. Das ist wie bei einem
Schauspieler, Der sitzt auch lange rum, bis er seinen Auftritt hat.
Da sitzen sie dann vor der Wohnung der Zielperson und der will und
will einfach nicht ins Bett gehen und das Licht ausmachen. Oder sie
sitzen an einem Ort, weil sie die tägliche Route des Opfers kennen.
Jemand, der immer Joggen geht. Natürlich muss man rechtzeitig
vorher da sein und irgendwie muss man die Zeit ja rumbekommen.
Lesen ist da eine gute Möglichkeit. Ich kann ja schlecht häkeln, zu
auffällig. Obwohl, dran gedacht habe ich schon. Nein, natürlich
nicht. Was denken Sie denn!
“Das ist nicht Ihr Ernst, oder?”
Ich sehe von meinem Buch auf. Der Schwarze von gestern ist
wieder da. In Gedanken nenne ich ihn Simson. So hat er sich mir mal
vorgestellt. Ob er so heißt? Pah, das kann man in diesem Gewerbe
nie genau wissen. Simson hat so ein fieses Lächeln. Er ist mein
Kontakt, bringt mir immer wieder mal neue Aufträge und bezahlt
mich.
“Was?”, frage ich. “Was ist nicht mein Ernst?”
Ich sah ihn mit hochgezogenen Augenbrauen an.
“Das Buch?”
Er musterte mich skeptisch.
“Ja, wieso nicht?”, frage ich ehrlich verblüfft. Ich lege das
Taschenbuch beiseite. In roten Buchstaben steht “Murder Inc. - Die
ganze Geschichte!” darauf.
“Ist ein Sachbuch, von einem Journalisten”, erkläre ich ruhig.
“Die Murder Inc. war mal eine Verbrecherorganisation in New York.
Den Namen hat sie von der Presse. Da waren Iren, Mafiosi und auch
Kosher Nostra Leute drin”
“Kosher Nostra?” Der Schwarze sieht mich skeptisch an. Er
winkt die Bedienung ran und lässt sich einen Kaffee geben.
“Ja, das waren Juden, die eine eigene Mafia aufgemacht haben.
Die Italienermafia nennt man ja Cosa Nostra, deswegen nannte man
die der Juden Kosher Nostra”, doziere ich und bin froh gleich mal
mit dem Wissen aus dem Buch punkten zu können.
Er schaut mich ungläubig an.
“Wissen sie”, fahre ich fort.. “Auch unser Gewerbe hat eine
Geschichte”
“Ahha”, sagt Simson und nimmt der Bedienung den Kaffee
ab.
“Besser ist es aber wenn man keine hat. Dann kann man sich zur
Ruhe setzen und friedlich leben”, sagt er dann.
Da hat er natürlich auch wieder recht. Ich nicke.
Er trinkt einen Schluck von seinem Kaffee, verzieht zufrieden
das Gesicht und greift dann in seine Jackentasche. Er gibt mir
einen Umschlag. Ich spüre das Gewicht der Geldscheine.
“Ein weiterer Auftrag?”, frage ich. Simson schüttelt den
Kopf.
“Nein Mann. Warte ein paar Tage. Das war gute Arbeit, aber
jetzt müssen wir erstmal abwarten. Der Boss will, dass wir ein
wenig warten.”
“Was immer der Kunde will”, sage ich. Simson nickt. Er trinkt
den Kaffee aus und verlässt das Carisis Valentine.
Ich sitze noch eine Weile da und lese in meinem Buch. Dann
zahle ich und gehe nach Hause. Die Bar ist in der Bronx, nicht weit
von meinem zu Hause.
Es ist ein kleines Brownstone Haus in einer Nebengasse. Es
sind nur zwei kleine Zimmer, aber es sind meine Beiden. Außerdem
kann es immer mal sein, dass ich schnell untertauchen muss. Für den
Fall habe ich eh nicht viel in den Räumen.
3
Zu Hause angekommen stelle ich überrascht fest, dass ich Post
habe.
Nicht, dass ich mich nicht über Post freue, das macht jeder
denke ich. Es ist nur so, dass ich berufsbedingt eben niemanden
habe, der mir schreibt. Hin und wieder kommen Rechnungen,
natürlich. Aber das hier ist ein dicker kartonierter Umschlag.
Neugierig nehme ich ihn in meine kleine zwei Quadratmeter Küche und
schneide ihn auf.
Drinnen sind ein paar Fotos und ein Brief. Er ist mit
ausgeschnittenen Buchstaben geschrieben. Erst finde ich das
ziemlich lustig, dann beginne ich aber zu lesen und das Lächeln
gefriert auf meinem Gesicht.
Sehr geehrter Herr Auftragskiller.
Ihr altes Handy war auf Nick eingestellt. Ich weiß natürlich
nicht, ob sie so heißen. Was ich aber weiß, ist dass Sie ein Mörder
sind. Ich weiß auch wo sie wohnen. Sie fragen sich, woher?
Sie erinnern sich vielleicht an Ihr altes Handy. Das haben Sie
zum Recycling gegeben, Eigentlich ist das ziemlich löblich, Sie
haben aber Ihr Handy nicht anständig gelöscht. Wussten Sie, dass
die Chips da drauf teuer sind? Die Speicherchips werden oft nochmal
für USB-Sticks verwendet. Raten Sie mal, was da alles noch drauf
war. Ich habe Fotos von Tatorten und SMS von Verbrechern darauf
gefunden. Ich bin nicht dumm, ich konnte mir zusammenreimen, was
Sie tun. Weil Sie ganz gerne auch mal Kartendienste nutzen, um nach
Hause zu finden, weiß ich auch, wo Sie wohnen. Natürlich können Sie
jetzt versuchen, unterzutauchen, aber das will ich gar nicht. Ich
werde Ihnen alles aushändigen, wenn Sie etwas für mich tun.
Ich habe Ihnen vier Bilder beigelegt. Hinten steht drauf, wer
das ist und was Sie mit ihm tun sollen. Wenn sie mich auf der
nachfolgenden Nummer anrufen, sobald alles erledigt ist, werde ich
Ihnen anschließend den USB Stick zukommen lassen.
Mit freundlichen Grüßen
Ich lege den Brief weg und versuche meine Gedanken zu ordnen.
Er ist leider nicht unterschrieben, wäre ja noch schöner gewesen.
Ich fluche laut und kräftig. Danach geht es mir aber immer noch
nicht besser.
Das kann ja wohl nicht wahr sein! Ich will schreien, ach was
ich will etwas oder jemandem verdreschen! Frustriert pfeffere ich
den Brief weg.
Jetzt geht es etwas besser.
Ich atme tief ein und aus. In diesem Beruf kommt es auf Ruhe
an. Man muss abwarten können. Erstmal die Gedanken sortieren, bevor
man reagiert.
Also gut: Was weiß ich?
Der Erpresser, oder vielleicht auch die Erpresserin, wird mich
nicht verpfeifen. Ich soll tun, was mir befohlen wird und dann bin
ich frei. Soweit die Theorie.
Ich sehe mir die Personen an. Es sind vier Fotos, vier
Personen, um die ich mich kümmern soll.
In mir reift eine Idee: Was verbindet diese Drecksäcke? Sie
müssen immerhin alle demselben ans Bein gepinkelt haben.
Ich schnappe mir einen Block und schreibe mir die Fakten der
Typen auf. Es muss doch eine Verbindung geben!
Ich male ein wenig herum, aber nach einer halben Stunde
intensiven Nachdenkens muss ich mich geschlagen geben. Ich sehe
keine richtige Verbindung!
Ich nehme das Bild mit der Eins drauf. Jemand hat mit
Kugelschreiber eine Eins draufgemalt und auf die Rückseite ein paar
Dinge geschrieben waren. Es ist in Druckschrift geschrieben, keine
Ahnung, ob die Schrift zu einem Mann oder einer Frau gehört.
Nummer eins ist ein Punk. Die Haare sind in blau und rot
gefärbt, mit Nietenjacke und echt viel Altmetall im Gesicht. Ich
zähle nach. Sechzehn Piercings, in der Nase, dem linken Ohr und
über dem rechten Auge. Sieht nicht gut aus, der wird wohl als
Jungfrau sterben. Wie das wohl ist, wenn er Schnupfen hat, kann er
die dann alle aus der Nase nehmen?
Sein Name steht auf der Rückseite. Johnny King. Er wohnt in
der Philips Road in New Rochelle. Ich kratze mich am Kopf. New
Rochelle, das ist im Norden von New York, glaube ich. Mit meinem
Handy überprüfe ich das. Die Stadt liegt nördlich von New York
City, im gleichen Bundesstaat.
4
Kurzentschlossen will ich mir das nächste Opfer mal ansehen.
Ich brauche eine U-Bahn, eine Bahn und eine Busfahrt bis
schlussendlich ein Taxi mich an seiner Adresse rauslässt. Der
Loftblock 56 ist ein großer grauer Kasten abseits der Hauptstraße.
Irgendjemand hat Feuerleitern drangehängt, aber am Ende sieht es
doch so aus, wie ich mir den Sozialismus vorstelle: Ein Bauklotz,
in die Landschaft geworfen.
Ich sehe mir noch einmal das Foto an. Auf der Rückseite steht
neben Johnny Kings Namen nur: “Verprügeln, nicht töten. Sag ihm das
ist für Larissa”.
Ich seufze. Dann hellt sich aber meine Laune auf. Für Larissa?
Das ist doch eine Spur! Irgendwer wird das ja wohl sein. Jeder ist
schließlich irgendjemand. Ich klappe den Kragen meiner Jacke hoch
und greife mir unauffällig unter den Arm um den Sitz meiner Pistole
zu kontrollieren.
Der kleine 38. Revolver sitzt an seinem Platz. Ich soll ihn
nicht töten, aber vielleicht muss ich ihm ziemlich Angst machen,
damit er fröhlich singt.
Ich gehe zur Tür und suche den richtigen Klingelknopf.
Ich drücke eine Weile Sturm bis aus der Gegensprechanlage
knirschend eine Männerstimme zu hören ist.
“Wer stört? Willst du das ich taub werde?”
“Entschuldigen Sie bitte”, sage ich so freundlich wie möglich.
“Pizza für Loft 56.”
“Ich hab nix bestellt.”
“Scheiße, aber auf meinem Zettel steht Ihre Adresse”, sage
ich.
“Pech”, höre ich und der Kerl legt auf. Ich drücke den
Klingelknopf erneut.
“Was?”, blafft es mich aus der Gegensprechanlage an.
“Ich bin den ganzen Weg hergefahren, mir ist egal, wer hier
‘ne falsche Adresse angegeben hat. Wollen Sie die Pizza? Ich geb
sie Ihnen zum halben Preis.”
“Was ist es denn?”
Das ist jetzt kniffelig. Was wird der wohl mögen? Ich probiere
es mit einem Klassiker.
“Salami.”
Kurze Stille. Ist er vielleicht einer dieser Typen, die nur
essen, was von selbst umkam? Ich finde es ja zynisch zu sagen, man
soll nur essen was glücklich war. Also bitte! Ein unglückliches
Tier, das erlöst man doch. Oder diese Glutenunverträglichkeit, die
sich die Leute einbilden. Mehr als tausend Jahre menschliche
Evolution und plötzlich ist jeder gegen irgendwas allergisch!
“Okay, kommen Sie rauf.”
Ich muss mir das Grinsen verkneifen. Die Tür surrt und ich
eile die Treppenstufen hinauf. Ich entdecke den Kerl an seiner Tür
stehen, er mustert mich neugierig.
“Ey, wo ist denn die Pizza?”, schafft er noch zu sagen, da
ramme ich ihm meinen Pistolengriff auf die Nase. Er taumelt nach
hinten in seine Wohnung und bleibt der Länge nach auf dem Flurboden
liegen.
Ich schließe die Tür hinter mir wieder und greife mir eine
Mütze von der Kommode neben der Tür. Die stopfe ich ihm in den
Mund.
“Nimm sie raus und ich töte dich”, sage ich. “Ist noch wer in
der Wohnung?”
Es gibt nur einen winzigen Flur und ein Schlaf-Wohn-Esszimmer,
mit Klo. Trotzdem frage ich. Er sagt etwas, das ich nicht
verstehe.
“Schüttel den Kopf oder nicke”, sage ich. Er schüttelt den
Kopf. Zufrieden sehe ich trotzdem im Bad nach und schleife den
Kleinen dann ins einzige andere Zimmer. Dort werfe ich ihn aufs
Bett. Seine Nase blutet stark und er wimmert.
“Tut ziemlich weh, was?”, sage ich und reiche ihm eine Rolle
Küchenpapier. Dankbar nimmt er ein paar Blätter und versucht das
Blut aufzufangen.
“Nimm die Mütze raus. Wenn du schreist...”, sage ich und lasse
den Satz unvollendet. Stattdessen halte ich nur die Waffe hoch. Ich
denke, er sieht jetzt ziemlich mitgenommen aus, mein mysteriöser
Auftraggeber sollte zufrieden sein.
“Okay, es gibt jetzt ‘ne harte und ‘ne leichte Tour”, sage
ich. Er beginnt zu weinen. Laut schluchzt er.
“Bitte”, wimmert er. “Bringen Sie mich nicht um.”
“Was?”
“Bitte!”
“Nein, die harte Tour ist doch nicht umbringen! Entweder ich
werde dich mehr oder weniger verdreschen, aber du musst nicht
sterben”, sage ich und will ihn etwas beruhigen. Ich muss sagen,
das mag ich sonst an meinem Beruf: Man hat keinen Kontakt mit
anderen Menschen.
Das hier ist nichts für mich. Ich warte bis Johnny sich etwas
beruhigt hat.
“Okay”, sage ich und lasse die Waffe etwas sinken. Er hat
endlich aufgehört zu heulen, ich werde also ein paar Antworten aus
ihm herausbekommen. “Nun, Johnny King. Hast du eine Ahnung, wieso
ich hier bin?” Ich mustere die Piercings, die er in der Nase und
dem linken Ohr hat. Die über dem rechten Auge hat er nicht drin, da
waren auf dem Foto mehr. Deswegen sind es jetzt weniger als
Sechzehn. Ist mir trotzdem zu viel Altmetall.
“Ich… nein”, stammelt er. Der Rotz läuft ihm über die
Oberlippe. Das ist ja nicht zum ansehen!
“Sagt dir Larissa was?”
“Larissa?”, fragt er dümmlich. Ich hebe die 38. er und drücke
ihm den Lauf vor die Stirn. “Ich soll dir ausrichten, das ist für
Larissa.”
Er beginnt erneut zu jaulen und jammert in einem fort.
“Ich..., es tut mir leid! Ehrlich! Ich war damals auf Drogen,
ich fass die aber nicht mehr an, oder wollen Sie welche? Ich kann
Sie in Koks bezahlen. Hören Sie, es tut mir leid, bitte Sie müssen
das nicht”, ruft er.
“Ich bring dich nicht um!”, brülle ich ihn an und er wird
still. Endlich, denke ich. Also, die Anweisung bei dem hier war
einschüchtern und sagen, dass es für Larissa war. Nun beginnt mein
persönlicher Auftrag.
“Wer ist Larissa und in welcher Beziehung stehen Sie zu ihr?”,
frage ich und fühle mich dabei wie ein FBI Agent. Bin ich ja auch,
so in der Art jedenfalls.
“Larissa… Larissa Smith. Eine Andere kenne ich nicht”,
stammelt er überrascht. Das ist immerhin ein Anfang, auch wenn der
Name jetzt wirklich ein Witz ist.
“Okay, woher kennst du Larissa?”
“Wir…. wir haben zusammen gewohnt.”
“Daher kennst du sie?”
“Nein, Unsinn. Also ich gehe gerne in diesen Club, der heißt
EDEN. Dort gibt es…. naja guten Stoff gibt es da. Die Musik ist
auch in Ordnung. Dort arbeitete sie als Kellnerin und hatte einen
kleinen Nebenerwerb”
Er druckst etwas herum.
“Ey Alter, sehe ich aus wie ein Bulle?”, frage ich. “Die ganze
Geschichte will ich hören - jetzt!”
“Naja, sie findet da manchmal wen zum anschaffen. Sie ist von
zu Hause weggelaufen, vor Jahren schon. Wohnte irgendwo in unten in
der Bronx vorher, glaube ich. Weiß ich nicht so genau, jedenfalls
lebt sie nun hier und schafft manchmal an. Daher kennen wir uns.
Ich war erst ein Kunde, aber sie konnte hier umsonst wohnen, wir
haben uns da geeinigt.”
“Aha”, brumme ich. “Weiter. Wieso sollte sie sauer auf dich
sein?”
“Na… ich weiß auch nicht!”
“Wo ist sie jetzt?”, frage ich und blicke in die
Wohnung.
“Ich hab sie rausgeworfen.”
“Ach?”, sage ich mit vor Sarkasmus triefender Stimme. “Was du
nicht sagst, meinst du, das nimmt sie dir übel?”
“Ey, was kann ich dafür! Da war so eine, die sagte, sie sei
ihre Schwester. Larissa war nicht da und als ich ihr sagte, dass
ihre Schwester da war, ist sie voll ausgetickt. Sie sagte, sie
würde mit ihr reden und dann würde sie uns in Ruhe lassen, aber als
sie wiederkam...”, erklärte Johnny King, als wäre es die größte
Beleidigung, die er sich vorstellen konnte. “Also, kommt die
Schlampe wieder und sagt, dass sie ihr Leben umstellen wollte. Kein
Anschaffen mehr! Da hab ich gesagt, keine Miete, keine Wohnung. Sie
ist ausfallend geworden, da habe ich…. na ich hab mal halt auf den
Tisch gehauen. wissen Sie?”
Ich denke eher, er hat Larissa gehauen, aber das behalte ich
für mich.
“Na und dann ist sie abgehauen. Vielleicht zu ihrer Schwester?
Ich hab keine Ahnung, Mann!”
Ich mustere den Punk, schüttle den Kopf und wende mich zur
Haustür.
Kurz halte ich inne.
“Wenn du die Bullen rufst, verteile ich deine Gedärme auf der
ganzen Hauptstraße, klar?”
Er nickte, seine Unterlippe zittert schon wieder.
5
Sobald ich aus der Wohnung raus bin, kaufe ich mir am Kiosk
einen kleinen Block. In der U-Bahn sitzend beginne ich mir alles
aufzuschreiben, damit ich nichts vergesse. Meine beste Verdächtige
ist Larissas Schwester. Aber bei dem Namen? Da kann ich ja ewig
suchen. Larissa Smith….. das könnte auch ein
Prostituierten-Pseudonym sein. Obwohl, dann hieße sie vielleicht ja
eher Candy oder Lilly… ach keine Ahnung! Wütend klappe ich den
Notizblock zu. Das bringt mich erstmal nicht weiter!
Als ich an der Grand Central umsteigen will, sehe ich in
haselnussbraune Augen, die mich wiedererkennen. Ich erkenne sie
auch wieder, wie könnte ich die vergessen?
“Scheiße”, fluche ich. Da, nur einen Meter von mir entfernt,
steht Mila Novakova. Diesmal hat sie natürlich mehr an, aber ich
erkenne die dunklen schwarzen Haare ebenso wie die braunen Augen
wieder. Sie hat mich auch gesehen und ist stehengeblieben. Kurz
blinzelt sie mich an, dann macht sie auf dem Absatz kehrt. Ich bin
unentschlossen. Soll ich ihr hinterherlaufen? Wie hoch ist die
Wahrscheinlichkeit, dass wir uns in einer Millionenstadt wie New
York über den Weg laufen? Wird sie die Polizei rufen? Ich denke zu
lange nach, da ist sie bereits in der Menschenmenge
verschwunden.
Ich seufze. Irgendwie bin ich froh, dass sie weg ist.
Andererseits, hätte ich gerne noch mit ihr… ich halte inne. Was
hätte ich? Geredet, über meinen Arbeitstag? Ich schüttle den Kopf
und mache mich auf den Weg nach Hause. Was für ein Unsinn, ich bin
wohl mehr mitgenommen von der Erpressung als ich dachte! Ich fahre
nach Hause und mache mir eine Portion Spaghetti mit Bolognese.
Während der dampfende Teller vor mir auf dem Küchentisch steht,
schaue ich mir die anderen Fotos an. Eines fällt mir besonders auf.
Larissa kam aus der Bronx, das hat Johnny King gesagt. Ich
schaue es kurz in meinen Aufzeichnungen nach. Einer der anderen,
wohnt in der Bronx. Okay, er ist ein Latino, oder Hispanic?
Jedenfalls hat er einen spanischen Namen, also ist die Bronx jetzt
durchaus ein Ort, wo ich ihn vermuten würde. Aber es ist ein dünner
Faden. Trotzdem, besser als gar nichts.
Ich gehe zeitig ins Bett, um Morgen in aller Frühe
loszuziehen. Juan sieht nicht wie einer aus, der einer ehrlichen
Arbeit nachgeht. Natürlich kann das ein Vorurteil sein, aber er hat
diese Tätowierungen unter den Augen. Sie sehen aus wie Tränen. Es
gibt eine Gang in New York , die an der halben Ostküste aktiv ist.
Sie nennen sich Marabunta und wer dazugehören will, muss einen Mord
begehen. Dafür darf er sich dann die erste Träne tätowieren lassen.
Ich habe nie einen von denen getroffen und halte das für eine tolle
Geschichte. Vielleicht tätowieren die sich die auch alle nur, damit
sie wie harte Jungs aussehen und erzählen die Geschichte, wer weiß?
Bis man vor einem Richter sitzt, rundet man die Zahl seiner Opfer
ja gerne auf. Danach werden viele sehr bescheiden, habe ich schon
oft gesehen bei Kollegen.
6
Am nächsten Morgen mache ich mich auf den Weg in die Bronx.
Die Adresse führt mich zu einer kleinen Straße, in der ich umgeben
bin von sechs stöckigen braunen Gebäuden. Feuerleitern sind außen
angebracht. Hier und dort sitzen Jugendliche in den Hauseingängen.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass die schon länger nicht in der
Schule waren.
Ich sehe noch mal auf das Foto. Juan Esteban Baptiste
Gonzales. Er hat eine Glatze und mehrere großflächige Tätowierungen
am Hals. Für mich wäre das ja nichts. Nicht nur, dass es einem den
Beruf unnötig schwer macht, was bitte soll ich mir in die Haut
stechen lassen? Wenn man schon etwas für immer in die Haut sticht,
sollte es bedeutend sein, nicht irgendeine Banalität. So ein, Nutze
deinen Tag, Kram ist jetzt nicht so ungewöhnlich, dass ich ihn
vergesse, wenn er mir nicht auf dem Oberarm steht. Dazu kommt, was
machst du wenn du deine Meinung änderst? Da stichst du dir den
Elefanten der Republikaner auf die Brust und erlebst eines Tages,
dass du dann doch lieber Demokraten wählen willst. Oder deine
Lieblingsband bringt nur noch Scheißalben heraus. Dann stehst du
da, mit deren Schriftzug auf der Stirn.
Ich gehe zu dem Haus, in dem Esteban wohnen soll. Im Eingang
sitzen drei Jugendliche mit dunkler Hautfarbe. Also keine richtigen
Schwarzen, eher so Latinos. Sagt man das noch? Oder ist das wie mit
dem N-Wort? Sagt man das nur, wenn man selbst so ein afrikanischer
Amerikaner ist?
Die Jungs sitzen auf den Treppenstufen des Hauses und
versperren jedem den Weg, der durch will. Ich setze mich auf eine
Bank ein Stück die Straße herunter und nehme mir mein Handy. Ich
scrolle wahllos über eine Nachrichtenseite und warte. Man kann
nicht einfach zu so einem Kerl gehen und schauen, ob er da ist.
Nicht dass ich ihn nicht wie den Punk einfach abknallen kann, aber
was nützt mir das? Ich weiß einfach noch zu wenig. Da ist meine
Arbeit vielleicht gar nicht so anders als die eines Polizisten. Es
kommt auf gute Recherche an.
Ich warte also, wann Esteban geht und wann er nach Hause
kommt.
Die Zeit vergeht und ich beginne zu bereuen, dass ich mir
keinen Kaffee mitgenommen habe. Andererseits, dann müsste ich jetzt
irgendwann pinkeln. Auch blöd dafür die Observation zu
unterbrechen. Ein Straßenkehrer kommt vorbei und fährt durch die
Straße. Er hält nicht, obwohl hier offensichtlich mal sauber
gemacht werden müsste. Aber das ist wohl so eine dieser Straßen, wo
die Einwohner zwar jammern, dass hier nie geputzt wird, aber
unschuldig sind sie nicht daran. Wäre keine Arbeit für mich, bei
der Straßenreinigung. Wirklich gut bin ich eher darin jemanden zu
töten. Es geht schnell und du wirst erstaunlich gut bezahlt. Hat
sich einfach so ergeben. So wie andere echt gut darin sind einen
Football zu werfen oder einen Golfball zu schlagen. Endlich
verlässt Esteban seine Wohnung. Ich erkenne ihn sofort, wie er aus
dem Haus heraus kommt und die Kinder davor aufspringen. Meine Güte
sind die auf einmal mobil.
Er geht die Straße herunter, steigt in einen Wagen und fährt
weg. Ich betätige die Stoppuhrfunktion meines Handys. Ich denke,
ich habe mindestens eine halbe Stunde, bevor er zurück kommt, denn
hier ist auch eine U-bahn Station. Wenn er das Auto nimmt, will er
weiter weg.
Die dunkelhäutigen Jungen sitzen jetzt wieder auf dem
Treppenabsatz von Estebans Wohnhaus und damit mir im Weg. Ich
bleibe stehen und musterte sie.
“Lasst mich durch”, sagte ich. Ich trage bequeme Halbstiefel,
ich kann mir meinen Weg schon dadurch bahnen.
Einer der drei springt auf die Beine und baut sich vor mir
auf. Seine sackförmige Hose rutscht etwas herunter, sodass er sie
mit einer Hand festhalten muss. Seine Kumpels springen auch auf die
Beine, sind aber deutlich langsamer als er. Seine freie linke Hand
nutzt der Kurze, um mir seinen Finger ins Gesicht zu halten.
“Ey, so redet man nicht mit mir. Wenn du in mein Haus willst,
zahlst du mir was dafür.”
“Ich bezweifle, dass dir das Haus gehört, Junge”, sage ich
ruhig. “Jetzt mach, dass du wegkommst. Ich bin eine Nummer zu groß
für dich.”
Es blitzt in seinen Augen. Die Hände habe ich in den
Jackentaschen. Ich ziehe die Jacke etwas zurecht, sodass sich mein
Schulterholster abzeichnet.
Der Junge ist nicht dumm. Seine Augen weiten sich und er
nickt. Dann dreht er sich von mir weg und macht ein Zeichen mit der
Hand, dass ihm seine Spießgesellen folgen sollen.
Die schauen etwas doof aus der Wäsche, sind aber ganz gut
abgerichtet und folgen ihm wortlos.