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In ihrem neuen Buch erzählt Mary C. Neal, wie sehr der Einblick in Himmelswelten ihr Leben verändert und welche Bedeutung jeder einzelne Lebenstag heute für sie hat. Seit der Nahtoderfahrung lebt sie bewusster, glücklicher und intensiver in ihrer Verbindung zu Gott. Immer wieder jedoch will die Naturwissenschaftlerin in ihr das Erlebte rational verstehen. Aber alle Erklärungen stoßen an Grenzen. Nicht nur der Tod ihres Sohnes, der ihr während ihres Nahtoderlebnisses vorausgesagt wurde, hat sie zu Gott geführt, sondern vor allem die Liebe, die sie im Himmel erfahren hat. Insgesamt sieben Erkenntnisse hat sie von dort mitgebracht: 'Der Tod bedeutet nicht das Ende' ist eine davon. Mit ihrer Erfahrung zeigt sie, wie wir alle Gott im Alltag begegnen und wie wir ein Leben ohne Bedauern, Angst und Sorge gestalten können. Neal beschreibt hier anschaulich, wie sie das Jenseits erlebt hat. Ihr naturwissenschaftlicher Blick auf das Phänomen der Nahtoderfahrung gepaart mit ihrem Glauben an Gott machen den besonderen Reiz des Buches aus.
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Seitenzahl: 385
Das Buch
»Nach ausgiebiger Forschung kam ich zu dem Schluss, dass die meisten meiner Erfahrungen weit über die Grenzen von Medizin und Wissenschaft hinausgingen.« Mary C. Neal
Mary C. Neal erzählt, wie sehr der Einblick in Himmelswelten ihr Leben verändert und welche Bedeutung jeder einzelne Lebenstag heute für sie hat. Seit der Nahtoderfahrung lebt sie bewusster, glücklicher und intensiver in ihrer Verbindung zu Gott. Immer wieder jedoch will die Naturwissenschaftlerin in ihr das Erlebte rational verstehen. Doch alle Erklärungen stoßen an Grenzen. Nicht nur der Tod ihres Sohnes, der ihr während ihres Nahtoderlebnisses vorausgesagt wurde, hat sie zum Glauben geführt, sondern vor allem die Liebe, die sie im Jenseits erfahren hat. Insgesamt sieben Erkenntnisse hat sie von dort mitgebracht, die sie hier überzeugend an uns weitergibt.
Die Autorin
Mary C. Neal leitete viele Jahre in einem Krankenhaus in Südkalifornien die Rückenmarkschirurgie. Mit ihrem Buch über ihre Nahtoderfahrung hat die Medizinerin bereits Millionen von Menschen erreicht. Neal engagiert sich als Kirchenälteste in verschiedenen gemeinnützigen Organisationen und leitet den Willie Neal Environmental Awareness Fund, den sie zu Ehren ihres tödlich verunglückten Sohnes ins Leben gerufen hat.
MARY C. NEAL
7 Botschaften des Himmels
Wie ich nach der Nahtoderfahrung mehr Lebensfreude fand
Aus dem Amerikanischen übersetztvon Gabriel Stein
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Die Originalausgabe erschien 2017unter dem Titel 7 Lessons From Heavenim Verlag Authentic Media Ltd., UK
ISBN 978-3-8437-1722-9
© der deutschen Ausgabe 2018 by Ullstein Buchverlage GmbH, Berlin
© der Originalausgabe 2017 by Mary C. Neal, M.D.
Übersetzung: Gabriel Stein
Lektorat: Ulla Mothes
Umschlaggestaltung: Simone Mellar, zero-media.net, München
E-Book: LVD GmbH, Berlin
Alle Rechte vorbehalten.
Dieses Buch ist dem Gott gewidmet, der uns mehr liebt, als wir es begreifen können.
Soli Deo Gloria
Einleitung
Das ändert alles
Sich in Gott zu verlieben, ist die größte aller Liebesgeschichten;ihn zu suchen, das größte aller Abenteuer; ihn zu finden, die größte menschliche Leistung.
Raphael Simon
Meine Geschichte beginnt auf der Kante eines Wasserfalls in Südamerika, in jenem Bruchteil einer Sekunde, da man alles kommen sieht, zugleich aber weiß, dass es für jede Änderung zu spät ist. Ich saß in meinem Kajak, schaute hinunter und wusste, dass ich in Schwierigkeiten war. Ich wusste, dass der Strudel in der Tiefe mich erfassen würde, ebenso jedoch, dass ich einen Ausweg fände, was mir bisher immer gelungen war.
Dieses Mal war es anders. Ich fand keinen Ausweg. Nachdem ich in die aufgewühlten Wasser gestürzt und gut zwei Meter untergetaucht war, verkeilte sich der Bug meines Boots fest zwischen Felsblöcken am Grund.
Sofort versuchte ich mich freizukämpfen, aber nichts bewegte sich, wie sehr ich mich auch bemühte. Die reißende Strömung und das Gewicht des Wassers drückten mein Gesicht auf das Vorderdeck des Kajaks. Meine mächtigen Anstrengungen, der Situation zu entkommen, schlugen fehl, und mir war klar: Wenn sich jetzt nicht etwas änderte oder unerwartet eintrat, würde ich ertrinken.
Was dann geschah, überraschte sogar mich. Die Zeit verlangsamte sich, und trotz des Wissens um meine Zwangslage, trotz der ungestümen Strudel ringsum fühlte ich mich entspannt, ruhig und seltsam zuversichtlich. In diesem Augenblick betete ich die Worte, die von außerhalb meiner selbst zu kommen schienen: »Gott, dein Wille geschehe. Nicht meiner, sondern deiner.«
Nie werde ich es mit Sicherheit wissen, aber tief in meinem Herzen glaube ich, dass eigentlich schon zu diesem Zeitpunkt meine Reise in den Himmel und zurück begann.
Von vornherein möchte ich betonen, dass ich mich nicht als einen besonderen Menschen betrachte. Damals war ich, genauso wie jetzt, recht normal. Doch was sich ereignete, als das Wasser meine Lungen füllte, war wirklich außergewöhnlich. Ich machte eine bemerkenswerte Nahtoderfahrung (NTE), durch die ich die unbeschreibliche Schönheit des Himmels sah, das überwältigende Mitgefühl von Jesus Christus erlebte, Engeln begegnete und in Gottes reiner Liebe versank.
Ja, das will viel heißen – und sorgfältige Erläuterungen werden folgen –, aber glauben Sie mir, niemanden erstaunen diese Worte mehr als mich.
Als Chirurgin habe ich in etlichen Jahren medizinischer Ausbildung gelernt, skeptisch zu sein gegenüber allem, was außerhalb der wissenschaftlichen Sphäre angesiedelt ist. Wenn etwas nicht zu messen, zu überprüfen, zu röntgen und zu reproduzieren war, konnte ich es rational nicht akzeptieren. Aus diesem Grund suchte ich in den Monaten nach meinem Ertrinken und den anschließenden übernatürlichen Erfahrungen fieberhaft nach einer nicht spirituellen Erklärung für die Geschehnisse.
Doch es gab keine. Nach ausgiebiger Forschung kam ich zu dem unleugbaren Schluss, dass die meisten meiner Erfahrungen weit über die Grenzen von Medizin und Wissenschaft hinausgingen.
Dennoch zögerte ich. Nennen Sie es Stolz, berufliche Skepsis oder Flucht vor der Einsicht, was Gott mich zu tun aufforderte. Was auch immer zutrifft – ich brauchte viele Jahre, um meinen eigenen Widerstand zu durchbrechen und meinen Erfahrungen in der Öffentlichkeit Ausdruck zu verleihen. Doch die Wahrheit lautet: Im Himmel war mir eine Aufgabe übertragen worden, der zufolge ich meine Geschichte mit anderen Menschen teilen sollte. Gewöhnlich bezeichne ich diese Aufgabe als Auftrag – eine himmlische Weisung von großer Wichtigkeit. Als ich mich der Aufgabe schließlich stellte, schrieb ich das Buch Einmal Himmel und zurück, worin ich nach besten Kräften erzählte, was vorgefallen war.
Erwartungsgemäß ist es schwierig, himmlische und rein geistige Erfahrungen zu beschreiben. Ich habe andere Personen mit Nahtoderfahrungen wiederholen hören, was auch ich bereits häufig sagte: Es gibt einfach keine irdischen Worte, um himmlische Wunder in Sprache zu übertragen. Noch die transzendentesten Begriffe verfehlen ihr Ziel. Dem ist so, weil die Wahrnehmungen des Himmels zahlreicher und intensiver sind und das Gefühl von Zeit und Dimension sich grundlegend unterscheidet von unserer Erfahrung oder Auffassung hier auf Erden.
Infolgedessen erschienen mir viele Darstellungen in Einmal Himmel und zurück später als unzureichend und lückenhaft. Es beschämt mich, gestehen zu müssen, dass ich das Buch hauptsächlich schrieb, um es von meiner To-do-Liste zu streichen und mich dann anderen Dingen zuwenden zu können.
Doch ich erfuhr, wie so oft, dass Gottes Pläne weitaus größer sind als die meinen. Inzwischen hatte ich die Gelegenheit, meine Geschichte in der ganzen Welt zu verbreiten, und das besondere Privileg, vor Tausenden von Menschen über Leben, Tod, geistige Erfahrungen und Wunder zu sprechen. Meinerseits habe ich Hunderte von Geschichten über Nahtoderfahrungen, Besuche im Traum, göttliche Eingriffe und Wunder vernommen. Mit unzähligen Personen, die den Verlust geliebter Wesen betrauern, habe ich Tränen vergossen. Und als ich meine Geschichte schilderte, wurde mir immer wieder bewusst, dass es noch so viel mehr zu erzählen gibt, was anderen helfen kann.
Wohin ich auch gehe, höre ich die gleichen Fragen: »Können Sie weitere Einzelheiten berichten über das, was Sie gesehen haben? Der Tod eines geliebten Menschen erschüttert mich nach wie vor – was also können Sie mir sagen, um vielleicht Hoffnung und Trost zu spenden? Was haben Sie gehört oder erfahren, während Sie im Himmel waren? Existieren Engel wirklich? Inwieweit ist Ihr Leben heute anders?«
Ich weiß: Jetzt ist die Zeit, diese Fragen zu beantworten – nicht nur um meinen himmlischen Auftrag zu erfüllen, sondern um die Erzählung mit so viel wie möglich Wissenschaft, Glauben und Lebenserfahrung anzureichern. Und vor allem, um zu erklären, warum das für jemand anders wichtig ist. Für Sie zum Beispiel. Daher habe ich dieses Buch geschrieben.
Falls Sie Einmal Himmel und zurück nicht gelesen haben, werde ich Sie auf den folgenden Seiten über die Ereignisse unterrichten. Ich werde nicht jedes Detail wiederholen, aber genug mitteilen, damit Sie sich in der Geschichte nicht verlieren. Wenn Sie sie schon kennen, werden Sie schnell merken, dass dieses neue Buch anders ist.
Das erste Buch konzentrierte sich in erster Linie auf meinen persönlichen Werdegang. Ich begann mit meiner Kindheit, zeichnete meinen Weg zum Glauben nach, dann die Jahre in der höheren Ausbildung und schließlich mein Leben als praktizierende orthopädische Chirurgin in Jackson Hole, Wyoming. Ich erzählte von dem Kajakausflug nach Chile, meinem Ertrinken, meiner Nahtoderfahrung sowie meiner Genesung. Außerdem berichtete ich über den Tod meines Sohnes Willie und darüber, wie es war, diesen schlimmen Verlust kurze Zeit nach meinem Unfall zu erleiden.
Das vorliegende Buch widmet sich insbesondere der Frage: Was nun? Welchen Unterschied hat die Nahtoderfahrung in meinem Leben bewirkt? Wichtiger noch, welchen Unterschied könnte sie in Ihrem Leben bewirken? Wie können meine Erfahrungen Ihnen helfen, mit mehr Freude durchs Leben zu gehen?
Der erste Teil beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung meiner Geschichte, denn auch wenn Sie Einmal Himmel und zurück nicht gelesen haben, sollen Sie sich nicht ausgeschlossen fühlen. Zugleich ergänze ich bislang fehlende Teile der Erzählung über meine Reise in den Himmel, etwa, was ich dort genau gesehen und empfunden habe, vor allem aber zwei sorgfältig wiedergegebene Gespräche mit Jesus. In beiden erfuhr ich Seine bedingungslose Liebe voller Mitgefühl und Güte. Des Weiteren wurde ich eingeweiht in die himmlische Zeit und göttliche Vergebung.
In diese Kapitel sind sieben lebensverändernde Einsichten oder Lektionen gefügt, die ich aus dem Himmel mit zurückbrachte. Ich werde Ihnen zeigen, dass das Leben nicht nur über die Wissenschaft hinausgeht, sondern dass wir als spirituelle Wesen eine von Engeln erfüllte Welt bewohnen, die reich ist an Wundern. Indem ich Gottes Plan für uns erforsche und der Frage nachspüre, wie wir ihn erkennen, werde ich erörtern, wie die Schönheit aus allen Dingen hervortreten kann, und darlegen, dass wir mit Freude leben können, selbst inmitten des Verlusts.
Im zweiten Teil präsentiere ich eine ebenso praktische wie bewährte Methode, eingedenk der herrlichen Wahrheiten des Himmels ein anderes Leben auf Erden zu führen. Ich nenne es Leben mit absolutem Vertrauen. Damit meine ich: Wir sollen nicht bloß weitermachen in der Hoffnung, der allgemeinen Überzeugung oder im Glauben, dass Gottes Versprechen wahr sind. Vielmehr sind wir aufgefordert, uns zu entfalten im absoluten Vertrauen, dass Gott gut ist, Seine Versprechen wahr sind – und dass wir heute und für immer auf Ihn bauen können.
Der Wechsel von der Hoffnung zu absolutem Vertrauen wird radikal verändern, was Sie fühlen, denken und glauben. Überdies werden wir so zu jenem von Freude erfüllten Leben geführt, das die meisten von uns ohnehin ersehnen. Nur versuchen wir meistens dorthin zu gelangen, indem wir Wege beschreiten, die oft im Nirgendwo enden.
Im dritten Teil schließlich werde ich Ihnen begreiflich machen, wie Sie auf das Vertrauen fokussiert bleiben – und warum ein Leben mit absolutem Vertrauen so viele Versprechen auf Freude in Ihrem Dasein bietet.
Die wunderbare Nachricht ist die, dass das Leben in absolutem Vertrauen nicht nur Menschen vorbehalten ist, die den Himmel besucht haben, sondern einem jeden. Ich bin fest überzeugt, Gott möchte unser Leben tatsächlich auf sehr praktische Weise ändern – im Hinblick darauf, wie wir Erfolg willkommen heißen, mit Herausforderungen zurechtkommen, den Tod eines geliebten Wesens verarbeiten, an die tägliche Arbeit herangehen, unsere Kinder großziehen, mit Leuten ringsum interagieren und unsere Träume verfolgen. So werde ich Ihnen vor Augen führen, wie Sie diesen Wandlungsprozess durchlaufen und zunehmend besser bewältigen.
Tauchen auf diesem Weg Hindernisse auf? Natürlich, und ich werde offen darüber sprechen. Doch während wir all diese Aspekte von einer Buchseite zur nächsten näher untersuchen, besteht mein tiefster Wunsch darin, dass Sie zu der Einsicht gelangen, die ich inzwischen gewonnen habe: Jeden Augenblick leben wir in Gottes Umarmung. Ja, das weiß ich jetzt. Wir sind niemals allein. Wir werden nie weniger als vollkommen und für immer geliebt.
Jetzt, da Sie diese Worte lesen, lade ich Sie ein, Ihr Herz zu öffnen für die Möglichkeit, dass Gott meine Geschichte verwenden möchte, um Seine unbedingte Liebe noch in die dunkelsten Winkel Ihrer Seele scheinen zu lassen und Ihnen zu zeigen, wie Sie ein Leben mit mehr Frieden, tieferem Sinn und größerer Freude annehmen, als Sie es je erfahren haben.
Wenn meine Reise vom Grund eines Flusses zu den Höhen des Himmels mir etwas offenbart hat, dann dies, dass Gott nicht nur wirklich und in unserer Welt gegenwärtig ist, sondern dass Er jeden von uns mit Namen kennt, jeden von uns liebt, als wäre er der einzige Mensch auf Erden, und für jeden von uns einen Plan hat, der bedeutsamer und lohnender ist als alles, was wir uns aus eigener Anschauung vorzustellen wagen.
Ich hoffe inständig, Sie schlagen ein neues Kapitel auf.
ERSTER TEIL
1
Fluss des Todes, Fluss des Lebens
Der Tod ist nicht das Ende des Lebens,sondern der Beginn einer ewigen Reise.
Debasish Mridha
Gute Freunde, Sonnenschein und die freie Natur – dieser Januarmorgen des Jahres 1999 begann mit der gleichen Aufregung und Vorfreude, wie ich sie bei unzähligen früheren Kajaktouren empfunden und mit meinem Mann Bill geteilt hatte. Es war unser letzter Tag vor der Rückreise in die Vereinigten Staaten – und zudem Bills Geburtstag. Wir wollten ihn feiern, indem wir in einem abgelegenen Teil Chiles auf einer selten befahrenen Strecke des oberen Fuy River paddelten, bekannt für seine vielen Wasserfälle. Als erfahrene Wildwasserkanuten wussten wir beide, dass die etwa drei bis fünf Meter hohen Katarakte eine Herausforderung darstellten, aber aufgrund unserer Fähigkeiten sehr wohl gemeistert werden konnten.
Wir würden mit Tom unterwegs sein, einem professionellen Floß- und Kajakführer, der seit mehr als zwanzig Jahren entsprechende Exkursionen in Chile geleitet hatte, seinen zwei erwachsenen Söhnen Chad und Kenneth, dessen Frau Anne sowie mehreren anderen Kunden.
Dieser Abschnitt des Fuy erfordert Konzentration und vollen Einsatz – nicht nur wegen der Abgeschiedenheit des Ortes, sondern auch weil der Fluss auf beiden Ufern oft von Steilhängen eingeschlossen wird, die dichte Bambuswälder unpassierbar machen. Infolge der Beschaffenheit des Geländes ist es schwierig, wenn nicht unmöglich, das Wildwasser vor der bezeichneten Anlegestelle weiter flussabwärts zu verlassen. Sobald man auf der Strömung dahingleitet, gibt es kein Zurück mehr.
Als Bill an jenem Morgen ausnahmsweise mit starken Rückenschmerzen aufwachte, traf er die unangenehme und enttäuschende Entscheidung, nicht mit uns Kajak zu fahren. Stattdessen setzte er uns am Fluss ab, gab mir seine leuchtend rote Kajakjacke, die ich unter meiner ebenfalls leuchtend roten Schwimmweste tragen sollte, küsste mich zum Abschied und wünschte mir alles Gute. Er hatte vor, ein sonniges Plätzchen zu finden, den Tag mit Lesen zu verbringen und uns dann am späten Nachmittag bei der Anlegestelle abzuholen. Ohne ihn aufzubrechen, erschien mir seltsam, aber ich konnte es nicht erwarten, endlich zu starten.
Unsere Gruppe stieß ab, ich entfernte mich aus dem Kehrwasser und steuerte meinen Kajak zuversichtlich in den reißenden Fluss. Niemand ahnte, dass in wenigen Minuten das Unglück geschehen würde.
Vor uns lagen zwei Wasserfälle. Ich bewegte mich in Richtung des schmaleren, der unserer Ansicht nach die sicherste Abfahrt in die Tiefe bot. Doch als ich ihm näher kam, fiel mir auf, dass an dessen Seite ein Kajak feststeckte, während die mächtige Strömung mich direkt dorthinzog. Ich musste schnell reagieren.
Mir blieb keine andere Wahl, als den Kurs zu wechseln, wodurch ich zu dem breiteren Wasserfall getrieben wurde. Ich würde das Beste daraus machen müssen. Als ich über die Kante geschleudert wurde, sah ich unten die heftigen Wirbel. Blitzartig stellte ich mir vor, was kommen würde.
In der Tiefe würde ich mit dem Kopf nach unten gedreht und wegen der Turbulenzen nicht imstande sein, mich wieder aufzurichten. Also würde ich die Spritzdecke aus Neopren, die mich vor Nässe geschützt hatte, abnehmen müssen, um mich dann mit den Beinen aus dem Boot zu stoßen. Durch das Wildwasser hin und her geworfen, würde ich mich an die Oberfläche kämpfen und dabei flussabwärts treiben. Anschließend würde ich, nach Luft schnappend, zum Ufer schwimmen und kleinlaut meine Habseligkeiten einsammeln. Was soll ich sagen – die meisten Wildwasserkanuten haben so eine Situation zumindest einmal schon durchgestanden. Ich bereitete mich auf das Unvermeidliche vor.
Doch was ich vermutete, trat nicht ein.
Rasch stürzte ich hinab in die tosende Flut und tauchte, wie vorherzusehen war, tief ein. Aber als sich das vordere Ende meines Kajaks in der Unterwasserwelt plötzlich verkeilte, kam ich abrupt zum schrecklichen Stillstand. Ich blieb aufrecht in meinem Boot, statt kopfübergedreht zu werden, und statt sofort wieder an die Oberfläche hochzusteigen, saß ich in etwa zweieinhalb Meter Tiefe fest, während die Wassermassen sich über mir schlossen.
Vergeblich bemühte ich mich, den Kajak durch eine Schaukelbewegung aus dem Hindernis zu lösen. Sodann versuchte ich mich daraus zu befreien. Doch das schiere Gewicht des Wassers und die Kraft der Strömung bogen meinen Oberkörper nach vorn und pressten sogar meine Arme auf das Vorderdeck. Ich hatte keine Luftblase – und keine Zeit zu verlieren. Wie sehr ich mich auch anstrengte, meine Unternehmungen, der Not zu entkommen, waren lächerlich. Allmählich dämmerte mir, was tatsächlich geschehen würde.
Ich würde ertrinken.
Weggleiten
Ich hatte mir immer vorgestellt, der Tod durch Ertrinken müsse furchterregend und grauenvoll sein, aber zu meinem Erstaunen fühlte ich eigentlich keinen Schrecken, sondern eine Art inneren Frieden. Ich hatte keine Luftnot, keine Panik, keine Angst. Und ich fing an, in Ruhe zu beten. Seltsamerweise bat ich Gott nicht, mich zu retten. Stattdessen flüsterte ich nur in Gedanken: »Dein Wille geschehe.«
Es ging nicht darum, aufzugeben, sondern eher darum, sich gezielt Gott zuzuwenden. Deshalb sage ich oft: Gott hat meine Zukunft nicht an sich genommen – ich habe sie Ihm bereitwillig überlassen.
In dem Moment, da ich meine Zukunft Gottes Willen anvertraute, überkam mich die physische Empfindung, von Jesus gehalten und getröstet zu werden. Das meine ich nicht in abstrakter Weise, in der Art einer Grußbotschaft. Nein, ich fühlte seine Umarmung genauso deutlich wie das Plastik des Bootes um meine Beine und das Gewicht des Wassers, das auf meinen Oberkörper drückte.
Wie ich in Einmal Himmel und zurück schrieb, versicherte mir Jesus, alles sei »gut«, meinem Mann ginge es »gut«, desgleichen meinen kleinen Kindern, ungeachtet dessen, ob ich lebe oder sterbe. Es war, als würde Jesus Seine grenzenlose Liebe, Güte, Anteilnahme und Gnade in meine Seele einströmen lassen.
Die Zeit schien stillzustehen. Ich spürte, wie mein Geist sich ausdehnte und zu einem Teil der Umgebung wurde. Mit allem fühlte ich mich nun verbunden. Im Nu hätte die Zeit enden können, und ich wäre mehr als zufrieden gewesen. Aber Jesus war bei mir. Während dieser Spanne führte Er mir liebevoll die Geschichte meines Lebens vor Augen und erinnerte mich an die große Schönheit, die jedes Ereignis ausstrahlt. (An späterer Stelle werde ich solche Lebensrückblicke genauer behandeln.)
Gerade als ich mich in Jesu unergründlicher Güte und Anteilnahme immer wohler fühlte, hatten meine Gefährten draußen begriffen, dass ich unter dem Wasserfall eingeklemmt war. Mit wachsender Verzweiflung versuchten sie, an mich heranzukommen, aber nichts half.
Der Prozess des Sterbens schien sehr lange zu dauern, und obwohl ich von den Bemühungen der Gefährten nichts mitbekam, konnte ich doch wahrnehmen, wie die heftige Strömung meinen Körper aus dem Boot und über das Vorderdeck zog. Schließlich riss sie mir den Helm vom Kopf und die Schwimmweste vom Leib. Meine Knie wurden gezwungen, sich nach vorn zu beugen, wobei Knochen gebrochen und Bänder durchtrennt wurden, aber ich empfand keinen Schmerz.
Im Verlassen des Bootes bemerkte ich noch etwas anderes – Jesus befreite mich, und mein Geist löste sich langsam vom Körper. Das geschah mit einem leisen Plopp. Diese Loslösung war schmerzlos, sanft und wunderbar. Nie war ich im einen Moment bei Bewusstsein, im nächsten bewusstlos; ich war völlig wach und dann noch wacher. Meine Wahrnehmung war klarer und intensiver, und ich fühlte mich lebendiger denn je.
Schließlich war mein ganzer Körper frei und wurde flussabwärts gezerrt, schrammte manchmal über den Grund des Flusses oder überschlug sich in der Strömung. Aber an all das erinnere ich mich nicht. Ich weiß nur, wie ich anmutig aus den Fluten emporstieg, mich ungebunden und leicht fühlte, während das Wasser von meinen ausgestreckten Armen abfiel und der glänzende Sonnenschein mich nach oben zu ziehen schien … bis ich auf die gesamte Szene hinabschauen konnte.
Ich hatte keine Angst. Da Gottes vollkommene Liebe derart den Raum ausfüllte, war kein Platz mehr für Angst.
Als ich über den Fluss schwebte, wurde ich von mehreren »Wesen« willkommen geheißen. Vielleicht sollte ich sie Geister, Engel oder Seelengefährten nennen. Doch diese Worte haben für jeden eine andere Bedeutung, und so bin ich unschlüssig, wie ich sie bezeichnen soll. Ich kann nur sagen: Ich war mir absolut sicher, dass diese Wesen mich zeit meines Lebens gekannt und geliebt hatten und dass auch ich sie immer schon gekannt und geliebt hatte. Wenn ich die Teilnehmer des Empfangskomitees näher betrachtet hätte, wäre mir wahrscheinlich jeder Einzelne vertraut gewesen als jemand, der in meinem Leben eine wichtige Rolle gespielt hatte, ob ich ihm auf der Erde begegnet war oder nicht. Einer zum Beispiel mochte mein Urgroßvater gewesen sein, der lange vor meiner Geburt gestorben war.
Unter ihren Eigenschaften stach besonders diese hervor: Sie glänzten, strahlten und strömten über vor Gottes Liebe. In diesem Augenblick wusste ich ohne den Hauch eines Zweifels, dass sie von Gott gesandt worden waren, um mich zu trösten, zu führen und zu schützen. In ihrer Gegenwart fühlte ich mich von Gott vollkommen und bedingungslos geliebt – in einer Weise, die auf Erden schwer fassbar, wenn nicht unmöglich ist. Ich war von unsagbarem Frieden und Frohsinn erfüllt, denen gegenüber das diesseitige Leben blass und eintönig wirkte.
Mir schien, als sei ich endlich heimgekehrt.
In Richtung Himmel
Doch ich hatte die Erde noch nicht verlassen. Mir fiel auf, dass ich meine neue Existenz genoss, aber weiterhin beobachtete, was unten auf dem Fluss geschah. Ja, in jener Welt, die ich betreten hatte, herrschte ein anderes Bewusstsein für Zeit und Dimension. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft schienen zu einer einzigen Wirklichkeit zu verschmelzen. Außerdem befand ich mich offenbar in einer anderen räumlichen Dimension. Zugleich aber war ich imstande, aus der Höhe auf die Szene hinabzublicken.
Inzwischen war ich fast dreißig Minuten lang unter Wasser gewesen.
Flussabwärts trieb meine leuchtend rote Schwimmweste an die Oberfläche und erregte die Aufmerksamkeit von Toms achtzehnjährigem Sohn Chad, der sofort ins Wasser sprang, um sie zu bergen. Als er zum Ufer zurückschwamm, spürte er etwas gegen sein Bein stoßen. Es war mein Körper. Gelassen schaute ich zu, wie er mich am Handgelenk packte und meinen leblosen Körper aus dem Fluss zog.
Kurz darauf beobachtete ich, wie meine Freunde mit der Herz-Lungen-Wiederbelebung begannen, und kam zu der Erkenntnis, dass ich tot sein musste. Überraschenderweise rief das in mir weder Sorge noch Trauer hervor – ich nahm einfach nur Notiz davon. Am Ufer versuchte eine der anderen Kajakfahrerinnen meine Freunde davon zu überzeugen, die Wiederbelebungsmaßnahmen einzustellen. Zu viel Zeit sei seit meinem Ertrinken vergangen, meinte sie – und warnte davor, dass ich, ins Leben zurückgeholt, nur noch ein »geistiger Krüppel« wäre. Ein anderer wollte alles mit der Videokamera festhalten. Und ein weiteres Mitglied der Gruppe geriet in Panik, stieg rasch den Hang hinauf und verschwand.
Unten waren meine Freunde fieberhaft mit mir beschäftigt, aber ich fühlte mich ruhig. Ich dachte daran, was für ein entzückendes, wunderbar reiches Leben ich in meinem Körper geführt hatte. Ein Leben voller Möglichkeiten, Abenteuer, Entwicklungsprozesse. Ich hatte einen liebevollen Ehemann und vier kostbare kleine Kinder, die mein Herz höherschlagen ließen, als ich es mir je hätte vorstellen können, liebenswerte Familienmitglieder und Freunde sowie einen erfüllenden Beruf. Ich hatte tief geliebt und war dafür tief geliebt worden. Doch als ich die Geschehnisse auf dem Ufer verfolgte, bestand für mich keinerlei Zweifel, dass ich nun zu Hause und mein Leben in diesem Körper vorbei war.
Ehrlich gesagt: Ich wollte nicht zurück. Heute macht es mich ein wenig verlegen, meine mangelnde Sehnsucht nach Rückkehr einzugestehen, zumal in Anbetracht des Kummers, den meine Familie erlitten hätte. Aber vielleicht werden Sie mich verstehen, wenn Sie bedenken, was ich in jenen Momenten erlebte. Ich bekam einen Vorgeschmack auf unser wahres Zuhause in Gottes Liebe.
Hineingezogen in diese Liebe würdigte ich voller Dankbarkeit das Leben, das meines gewesen war, nahm dann im Stillen Abschied und wandte mich vom Ufer ab, um in Richtung Himmel aufzubrechen.
In Begleitung meiner Führer bewegte ich mich einen Pfad hinauf zum Eingang eines prächtigen Kuppelbaus, von dem aus es kein Zurück mehr geben würde, wie ich wohl wusste. Während unserer friedlichen Reise kommunizierten wir ohne Worte und kamen voran, ohne zu gehen. Beim Sprechen benutzten wir nicht den Mund, um die Worte zu formen, dennoch war die Verständigung rein und klar. Ich hörte die Dialoge in Englisch, meiner Muttersprache, aber es war, als würden die Worte in ihrer ursprünglichen Gestalt von einer Person an die andere übermittelt – eine Übertragung von Energie und Sinn.
Wir bewegten uns nicht blitzschnell fort, sondern würdevoll und mühelos. Ich weiß nicht, ob ich wirklich Füße hatte, und dachte nicht einmal daran, nach ihnen zu schauen. Der Weg glich einer physischen, durchaus soliden Oberfläche, verlief jedoch in der Mitte des Nichts. Seine undeutlichen Ränder wie auch der Raum darüber und darunter dehnten sich aus ins All. Ohne Anfang und Ende war dieser Weg unerklärlich schön.
Die Farben der Natur und die herrlichen Düfte der Blumen, der Bäume haben mich immer schon tief berührt, und wenig überraschend begegnete ich nun genau diesen Erscheinungen. Als ich näher hinschaute, schien unser Weg aus sämtlichen Farben des Regenbogens zusammengesetzt zu sein – wie sogar einigen anderen, die ich nie zuvor gesehen hatte. Eine offenbar unendliche Vielfalt von Blumen spross zu beiden Seiten, und mein ganzes Wesen wurde durchströmt von ihren betörenden Düften. Die Anordnung und Lebendigkeit der Farben, die Feinheiten der Blumen und die Verlockung der Düfte waren weitaus intensiver als alles, was ich bislang auf der Erde erfahren hatte. Ich sah und roch diese Dinge nicht nur, sondern hörte, schmeckte und spürte sie auch. Meine Sinne weiteten sich, sodass ich jeden Gegenstand erleben und zugleich verstehen konnte.
Natürlich bin ich mir bewusst, dass diese Beschreibung schwer nachzuvollziehen ist, aber ich hatte das Gefühl, Teil der Schönheit zu sein, wie sie Teil meiner selbst war. All dies war umhüllt und durchdrungen von Gottes spürbarer, vollkommener, unerschütterlicher und umfassender Liebe. Es war eine größere Liebe, als ich sie je empfunden und begriffen hatte. Sogar jetzt lässt sich das Gefühl nicht in Worte übertragen. Ich wollte diesen Ort niemals verlassen.
Auf der Schwelle
Auch wenn ich nicht von dort wegwollte, taten Tom, Kenneth und Chad auf dem Ufer tief unter mir alles, was in ihrer Macht stand, um meine Absichten zu durchkreuzen. Während Tom und seine Söhne Wiederbelebungsversuche durchführten, konnte ich hören, wie Chad mich anflehte, zurückzukommen und »Atem zu holen«. Seinen dringenden Appell im Ohr blickte ich flüchtig zurück und war betroffen von dem bestürzten Gesichtsausdruck des jungen Mannes. Überwältigt von Mitgefühl nahm ich den Pfad in umgekehrter Richtung zu meinem Körper, legte mich in ihn und machte einen Atemzug. Dann stand ich auf, um mich wieder meinen himmlischen Begleitern anzuschließen und den Weg mit ihnen fortzusetzen.
Doch kurz darauf vernahm ich erneut Chads inständige Bitte: »Komm schon! Ich weiß, dass du immer noch hier bist. Atme! Nur einen weiteren Atemzug!« Abermals fühlte ich mich gezwungen, in meinen Körper zurückzukehren und noch einmal Luft zu holen. Diese Rückkehr, um einen Atemzug zu machen – denn so deutete ich buchstäblich seine Bitte –, fand mehrfach statt, während wir langsam nach oben stiegen. Wieder und wieder wurde unser Vorankommen verzögert, weil ich für einen weiteren Atemzug zurückkehren musste, um Chads Wunsch zu erfüllen.
Die Seelen neben mir wiesen mich wegen dieser Unterbrechungen nie zurecht noch trieben sie mich zur Eile oder brachten etwas anderes als reine Liebe und Verständnis zum Ausdruck.
Schließlich erreichten wir die gewölbte Schwelle des domartigen Bauwerks. Es war so groß, dass ich seine Begrenzungen ebenso wenig erkennen konnte wie die des Weges, den wir passiert hatten. Sie verflossen mit der Umgebung, wohingegen das Gebäude selbst stabil schien, obwohl ich es nie wirklich berührte oder mich dagegenlehnte.
Unter dem gewölbten Einlass stehend, schaute ich mich um. Der Bogengang war hoch, aber nicht sehr breit, und vielleicht etwa drei Meter tief. Ich konnte dort mit einer Person in meiner Gruppe ausharren, während die anderen sich um uns versammelten. Es schien, als wäre der Bogengang aus wuchtigen Steinblöcken erbaut, zusammengehalten durch die Fasern von Gottes Liebe. Wie alles andere sandte auch diese Konstruktion strahlenden Glanz aus, ohne zu blenden oder Schatten zu werfen. Ich fragte mich, ob es sich dabei um die altbekannte Himmelspforte handelte. Obwohl sie offenbar nicht wirklich aus Perlen bestand, konnte ich mir vorstellen, dass man diese damit in Verbindung brachte, um das Spiel des irisierenden Lichts zu beschreiben, das aus dem Innersten jedes einzelnen Quaders hervorströmte.
Durch den Bogengang fiel mein Blick auf den zentralen Teil des Doms, wo ich ein reges Treiben wahrnahm – eine unüberschaubare Vielzahl von Wesen, die hin und her eilten. Sie bewegten sich in verschiedenen Richtungen, betraten oder verließen andere Bauten im Innern. Sah ich etwa das himmlische Jerusalem, von dem in der Bibel die Rede ist? Vielleicht. Jene Gebäude waren hoch und ebenso ätherisch wie der Dom selbst. Auch sie schienen aus ihrem Kern vollkommene Liebe auszustrahlen.
Ich hatte den Eindruck, dass die meisten dieser Wesen Menschen waren, wiewohl manche Engeln glichen. Mir ist nicht ganz klar, warum ich das annahm, und ich kann auch nicht den genauen Unterschied zwischen ihnen benennen, aber diejenigen, die ich für Engel hielt, wirkten größer und prächtiger, falls eine derartige Steigerung überhaupt möglich war. Ich hatte keine Ahnung, womit jeder sich so eifrig beschäftigte. Handelte es sich etwa um jene »vielen tausend Engel« (Hebräer 12,22) in freudiger Versammlung? Denn ich erinnere mich, dass ihre reine Wonne ein wunderbares melodisches Summen hervorrief. Wie jene, die mich begrüßt und geführt hatten, ergriffen mich diese »Menschen« durch ihre Alterslosigkeit und Gesundheit, ihre Lebendigkeit und Stärke. In solch großartigen Anblick vertieft, war ich erfüllt von Staunen und Ehrfurcht.
Stunden vergingen, zumindest schien es mir so, und während dieser Zeit empfand ich ein tiefes Gefühl universellen Verstehens. Letztlich ergab alles einen Sinn. Ich brauchte nur an eine Frage oder ein Thema zu denken, egal wie kompliziert, schon wusste ich die Antwort. Ich verstand nicht nur sie, sondern auch deren Voraussetzungen. Ich konnte die Vielschichtigkeit des Universums beobachten und zugleich seine Wahrheit erkennen.
Obwohl ich mich weder an die meisten Fragen, die ich stellte, erinnere noch an ihre Antworten, und nicht mit einer neuen Einsicht in die Quantenphysik zurückkehrte, bleibt mir doch im Gedächtnis, wie deutlich ich erfassen konnte, dass alles logisch, miteinander verbunden und göttlich geordnet ist. Tatsächlich sind wir alle verbunden und bilden zusammen einen Körper. Darüber hinaus behielt ich ein tiefes Verständnis von der Wahrheit vieler Versprechen Gottes, die uns allesamt zur Freude führen.
Doch etwas trieb mich zur Erde zurück.
Bleiben oder gehen
Am Ende waren es weder Chads inständige Bitten noch irgendjemandes Bemühungen, die mich zurückholten. Ich glaube, es war Gottes Wille. Trotz meiner Freude, »zu Hause« zu sein, erklärten die Seelen an meiner Seite, meine Zeit sei noch nicht gekommen. Sie meinten, ich hätte weitere Arbeit zu tun auf der Erde und müsse zu meinem Körper zurückkehren. Darauf versicherte ich ihnen, wie Jesus mir versichert hatte, dass alles gut sei, wenn ich bliebe, aber sie waren unnachgiebig. Um mich zu überzeugen, vertrauten sie mir auf sanfte Weise einige der Aufgaben an, die ich auf der Erde noch zu erledigen hätte.
Eine ihrer erschütterndsten Mitteilungen betraf den bevorstehenden Tod meines ältesten Sohnes. Mir wurde gesagt, dass Willie, damals erst neun Jahre alt, »bald« sterben werde, und dass ich meine eigene Nahtoderfahrung benutzen solle, anderen dabei zu helfen, die Schönheit seines Lebens und seines Todes zu erkennen.
Das überraschte mich nicht, weil mein Sohn mir schon einige Jahre vorher eröffnet hatte, dass er jung sterben werde. Heute glaube ich, seine Botschaft war ein Geschenk, um mich vorzubereiten, denn so konnte ich zuhören, ohne in Panik zu geraten, als die Seelen mir im Himmel darüber berichteten.
»Aber warum?«, fragte ich mit gebrochenem Herz. »Warum mein Sohn? Und warum so früh?«
Unversehens wurde ich wieder mit dem Lebensrückblick konfrontiert und daran erinnert, was Jesus mir versprochen hatte: Immer könne ich auf Gottes Liebe bauen und darauf vertrauen, dass Sein Plan für jeden Menschen wie für die Welt voller Hoffnung sei.
In diesem Augenblick führten sie mich über den Weg zurück zu meinem leblosen Körper, der auf dem nassen und steinigen Flussufer lag.
2
Wie ich mein Leben von jenseits der Zeit sah
Die Stunden sind für den Menschen da und nicht der Mensch für die Stunden.
François Rabelais
Seit meiner Geburt habe ich die Zeit als linearen Fluss von der Vergangenheit in die Gegenwart und weiter in die Zukunft erfahren. Wie die meisten Leute in der westlichen Welt bin ich ein geradliniger, zeitplangesteuerter Mensch, der auf Uhren vertraut, um sein geschäftiges Leben zu organisieren. Die Zeit auf diese Weise aufzufassen, gab mir stets ein Gefühl von Kontrolle – und damit die Möglichkeit, einen Weg in die gewünschte Zukunft zu entwerfen.
Zeit war ein Rohstoff, der genutzt, verbraucht, eingeplant und gespart werden konnte. Manchmal war mir, als hätte ich einen Timer im Kopf. Natürlich nicht im wörtlichen Sinn, aber unaufhörlich verstreichen Sekunden, ebenso wie nach dem Start eines Rennens. Bisweilen ist das hilfreich, etwa wenn ich einen genau vorbereiteten chirurgischen Eingriff beginne, bei dem Effizienz wichtig und Timing entscheidend ist, doch in anderen Fällen beeinträchtigt es die Erfahrung des Augenblicks.
Eins … zwei … drei … Das ist eine fast physische Empfindung.
Wenn Sie so sind wie ich, haben Sie den Ablauf meiner Geschichte wohl schon getimt und überprüfen insgeheim das Messergebnis an jeder ihrer Wendungen.
»Wie viele Minuten war sie also im Kajak, bevor sie ertrank?«
»Wie lange haben dann die Gespräche mit den himmlischen Wesen gedauert?«
»Schauen wir doch mal, ob die Rechnung wirklich aufgeht …«
Aber der Himmel »funktioniert« nicht in dieser Weise. Die Reise zum Himmel und zurück hat mein Zeitverständnis völlig auf den Kopf gestellt. Die Zeit, wie ich sie immer gekannt hatte, endete in dem Moment, da ich von meinem irdischen Leben in das Leben nach dem Tod überwechselte. Was vorher in Sekunden oder Minuten, Tagen oder Jahren gezählt worden war – stets auf einer geraden Linie von der Vergangenheit in die Zukunft –, verwandelte sich in etwas anderes.
Es fühlte sich eher an wie ein riesiges Netz, worin Zeit und Raum miteinander verknüpft waren. Die Zeit zu messen, machte keinen Sinn mehr. Alles Frühere, Heutige und Künftige schien im Hier und Jetzt zu geschehen. Lassen Sie mich versuchen, das zu erklären.
Teil der Ewigkeit
Gefangen unter Wasser war ich mir der linearen Zeit immer noch ziemlich bewusst, nahm ihr Vergehen wahr und erkannte, dass ich wahrscheinlich sterben würde. Zugleich aber stellte sich das Gefühl ein, dass ich ein Teil der Vergangenheit und der Zukunft war. Ich empfand mich als Teil der Ewigkeit.
Die Ewigkeit ist eine sehr lange Zeit, weshalb manche Leute sich ernsthaft sorgen, der Himmel werde schrecklich eintönig sein. Wird uns nicht langweilig, nachdem wir ein paar Jahrhunderte die Wunder des Himmels erforscht haben? Nach allgemeiner Vorstellung – die oft weit in die Irre geht – ist der Himmel gleichbedeutend mit einem endlosen Gottesdienst, bei dem wir Orgelmusik lauschen und ad infinitum Klagelieder singen. Oder, schlimmer noch, wir werden den ganzen Tag auf Wolken sitzen und Harfe spielen. Einige mögen das für einen perfekten endlosen Zeitvertreib halten, aber sie sind gewiss in der Minderheit. Kein Wunder also, dass vielen Menschen das Nachdenken über die Ewigkeit Unbehagen bereitet.
Mir wurde bewusst, dass die himmlische Zeit – die wir als »Ewigkeit« bezeichnen – eher einem Ort gleicht, den man bewohnt, als einer Linie, an der man sich entlangbewegt. Sie vergeht nicht, sondern erblüht immerzu. Sie wird unmittelbar erlebt, nicht einfach nur verbracht oder verbraucht. (Können Sie mir noch folgen?)
Demnach ist die Ewigkeit nicht eine unendliche Zahl aneinandergereihter Jahre, die ineinanderübergehen wie ein Jahrhundert oder ein Kapitel des Geschichtsbuchs ins nächste. Die ganze Zeit – Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft – ist direkt hier, genau jetzt.
In meiner Wahrnehmung enthielt jeder Augenblick seine Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, während er sich in die Ewigkeit dehnte. So erlebte ich in jedem einzelnen Augenblick die gesamte Ewigkeit. Blitzartig fühlte ich mich als Teil von allem und nichts.
Ich entdeckte, dass die Zeit allein in diesem Moment voll ausgekostet wird. Deshalb gibt es im Himmel keine Gedanken darüber, was morgen oder nächstes Jahr oder im kommenden Jahrhundert geschehen mag. Der gegenwärtige Moment ist so reich und befriedigend, wie wir es uns nur vorstellen können.
Für mich endete die Zeit, als ich unter Wasser war. Man könnte sagen, ich erfuhr am eigenen Leib, was Einstein geistig erkannte – dass die Zeit relativ ist und als vierte Dimension betrachtet werden sollte. Ein biblischer Autor hat es folgendermaßen ausgedrückt: »… ein Tag vor dem Herrn ist wie tausend Jahre und tausend Jahre wie ein Tag.« (2. Petrus 3,8)
Wenn Ihre innere Uhr funktioniert, haben Sie sich, als ich Ihnen meine Geschichte erzählte, bereits einige Sorgen gemacht über die vergehende Zeit. Unten auf dem Ufer verstrichen die Sekunden in einem fort, während sich zugleich meine Erfahrung im Himmel in völliger Gelassenheit und mit geringem Einfluss auf die Geschehnisse um meinen Körper zu vollziehen schien.
Die unterschiedlichen Zeitwahrnehmungen traten nie deutlicher zutage als bei meinem sogenannten »Lebensrückblick«, der stattfand, als ich unter Wasser über die Schwelle zwischen Leben und Tod glitt.
Zurückspulen und Rückschau halten
Jeder weiß, was mit dem Jüngsten Tag gemeint ist. Die meisten von uns vermuten, dass dann die guten Taten belohnt und die schlechten bestraft werden. Eine solche Vorstellung erfüllt viele bisweilen mit Schrecken. Wir malen uns aus, Gott sitze auf einem riesigen, mit Edelsteinen besetzten goldenen Thron und fälle die Urteile über eine endlose Reihe kauernder Geschöpfe, die so lange warten, bis der eine oder die andere vortreten muss. Diese Angst, gepaart mit Enttäuschung, spiegelt sich wider in Walt Whitmans Aussage: »Gott ist ein gemeiner, streitsüchtiger Tyrann, der auf Rache sinnt an seinen Kindern, weil sie seinen unerreichbaren Maßstäben nicht gerecht werden können.«
Wie die meisten Leute hätte ich mir, bevor ich damit konfrontiert wurde, den eigenen Lebensrückblick als bloßes Vorspiel zu jenem endgültigen Urteil Gottes vorgestellt. Ungeachtet meiner Bemühungen und Absichten, ein moralisch und ethisch »gutes« Leben zu führen, hätte ich befürchtet, mein Lebensrückblick wäre hauptsächlich angefüllt mit Reue, Enttäuschung, Schuldgefühl. Entgegen der hoffnungsfrohen Botschaft, die George Baileys Lebensrückblick in dem Film Ist das Leben nicht schön? kennzeichnet, haben viele – auch Christen – das Gefühl, keinerlei Gnade zu verdienen.
Doch mir wurde klar, dass ein Lebensrückblick von ganz anderer Art ist, und diejenigen, die eine Nahtoderfahrung durchgemacht haben, berichten das Gleiche. Tatsächlich handelt es sich oft um das erhellendste Schauspiel, dem man überhaupt beiwohnen kann. Normalerweise präsentiert ein »Lichtwesen«, das häufig als Christus, Gott, »Quelle« oder »reine Liebe« bezeichnet wird, der sterbenden Person einen Rückblick auf ihr ganzes Leben. Ob er als Panorama, Film oder in kleinen Abschnitten erscheint – stets durchdringen ihn Verständnis und Mitgefühl. Nicht selten ist damit auch ein äußerst wertvoller Lernprozess verbunden.
Einigen wird zum Beispiel die Gelegenheit geboten, bestimmte Erfahrungen aus verschiedenen Perspektiven noch einmal zu durchleben. Dadurch gewinnt die sterbende Person wichtige Einsichten über sich und andere, beginnt zu verstehen, warum sie oder jemand anders genau so ist, und erkennt die Motive aller Beteiligten. Wie im Falle der Filmfigur George Bailey zeigt sich, welch großen Einfluss die sterbende Person durch Wort und Tat auf andere ausübt, was wiederum dazu führt, dass sie ihren Daseinszweck deutlicher wahrnimmt. Nach einem solchen Rückblick hegt sie gewöhnlich das intensive Gefühl, mit den Nächsten, ja sämtlichen Geschöpfen und dem Universum selbst unauflöslich verknüpft zu sein, und hält an der unerschütterlichen Überzeugung fest, dass im Leben ein Aspekt entscheidend ist: die Liebe.
Es spielt keine Rolle, wie jung der oder die Gläubige ist, wie lange und aufrichtig er oder sie sich bemüht hat, Gott zu folgen. Wir alle leiden unter dem Vergleich mit irgendeinem Ideal. Wenn wir andere betrachten, wird uns bewusst, dass wir nicht genug beten, freiwillig helfen, geben, lieben … Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen. Wir meinen, ungeachtet der unternommenen Anstrengungen seien unsere Beiträge auf dieser Erde dürftig – gemessen an denen vieler anderer, die so viel mehr geschafft haben. Dabei vergessen wir, dass jeder von uns tagtäglich kleine und große Beiträge für das Ganze leistet. Außerdem entfällt uns leicht, was wir in den Augenblicken tiefster Hingabe an Gott vielleicht erfahren haben. Jedenfalls ist es eine allzu menschliche Sorge, dass wir angesichts unseres vor Gott ausgebreiteten Lebens mit all seinen Fehlern, Schwächen und dunkelsten Geheimnissen Seiner Vergebung und Belohnung nicht würdig seien.
Aber lassen Sie mich Ihnen erzählen, wie es mir in dieser Lage erging.
Behutsam lehnte ich an Jesus, und seine Gegenwart umfing und tröstete mich. Vor uns wurden Szenen meines Lebens sichtbar, projiziert gleichsam auf eine große, dreidimensionale und multisensorische Leinwand. Was sonst uns umgeben haben mochte, verblasste zur Bedeutungslosigkeit. Statt Sorge oder Angst empfand ich nichts als Liebe. In Seinem Gesicht nahm ich nur unerschöpfliche Liebenswürdigkeit wahr. In seinen Armen kam ich mir vor wie ein neugeborenes Kind, in das Er all seine Hoffnung, Rücksicht und Liebe, ja Sein ganzes Wesen einströmen ließ. Seine Umarmung war sanft, vollkommen und vertraut. Während mein Leben ablief, fühlte ich mich tief geliebt und wusste irgendwie, dass Seine Liebe nicht nur mir galt, sondern allen Menschen.
Die Szenen zogen schnell vorbei, von rechts nach links in fortlaufender Reihenfolge. Es war etwa so, als würde man auf einem Smartphone alle gespeicherten Fotos durchgehen. Diese Bewegung verlangsamte sich manchmal, wenn Jesus die Hand ausstreckte, um eine Szene aus meinem Leben herauszugreifen. Statt sie nur zu sehen, erlebte ich das Geschehen sofort noch einmal aus jedem Blickwinkel und mit absolutem Verständnis.
Wenn Ihnen das unmöglich erscheint, dann erinnern Sie sich an den Paradigmenwechsel, den ich weiter oben dargestellt habe. Die Zeit war erloschen, ich lebte in der ewigen Gegenwart. Und alles existierte in und dank der Liebe Gottes. Mit anderen Worten: Ich bekam einen Vorgeschmack von der ewigen Güte und Gnade, die uns alle erwartet.
Als ich jeden Aspekt eines Ereignisses betrachtete, konnte ich im Nu die Lebensgeschichte der beteiligten Personen erkennen. Ich begriff vollkommen ihre Gemütszustände, Motivationen und Stimmungen. Ich erfasste ihren Standpunkt, was sie zur Situation beitrugen und wie dadurch ein jeder von uns verändert wurde.
Dann nahmen die Dinge konkretere Gestalt an. Wut und Verwirrung, die ich angesichts körperlicher Gewalt als Kind empfunden hatte, wurden ersetzt durch Mitgefühl, während ich mit ansah, wie die betreffenden Personen infolge ihrer Verletzungen, Erwartungen und Hoffnungen zu einer solchen Tat getrieben worden waren. Die persönliche Entwicklung beeinflusste ihre Verhaltensweisen und Reaktionen, und mir wurde klar, wie gerade jene Situation ihre Zukunft tiefgreifend veränderte. Der jahrzehntealte Groll gegen einen Nachbarsjungen, der mich als junges Mädchen belästigt hatte, löste sich auf in einer von Einfühlsamkeit und Versöhnlichkeit geprägten Haltung. Wieder und wieder verwandelte die Einsicht in die Vorgeschichte eines Menschen – seine Erfahrungen, Lebensumstände, Kümmernisse – meine Auffassung von ihm, worauf ich nun mit unbedingtem Wohlwollen reagierte.
Der Lebensrückblick erneuerte von Grund auf mein Verständnis der Gnade, und ich glaube, dergleichen kann er auch bei Ihnen bewirken.
Gnade wird oft herablassend als ein ebenso hohles wie unerreichbares Klischee erachtet. Wenn wir den Lügen in unserer gebrochenen Vergangenheit lauschen, nehmen wir an, die Gnade sei lediglich anderen Menschen vorbehalten. Aber die im Neuen Testament bekundete Gnade Gottes ist auf ein Gegenüber gerichtet und daher Ausdruck Seiner jedem von uns versprochenen Liebe. Er durchschaut unsere Fehler und Mängel und akzeptiert uns genauso, wie wir sind. Wo wir bloß Gebrochenheit sehen, erkennt Er Wiederherstellung und Heilung.
Gottes Gnade ist Seine ins Werk gesetzte Liebe – fortwährende Vergebung, Ermutigung, Barmherzigkeit, Anteilnahme und Güte, die beweisen, dass solche Liebe nicht unverdient ist.
Das erfuhr ich über die Gnade, die Gott uns offeriert. Und sie endet nicht bei uns selbst. Die Gnade, die wir empfangen, können wir dann anderen Menschen zuteilwerden lassen, ungeachtet der jeweiligen Begleitumstände.
Die erste Lektion,die der Himmel offenbart
Verhältnisse ergeben Sinn, wenn sie durch die Linse des Himmels betrachtet werden. Die überaus reiche Gnade, die wir von Gott empfangen, ist die gleiche Gnade, die wir freigiebig anderen schenken können.
Wie Sie sich vorstellen können, wird man durch eine solche Erfahrung von Grund auf verändert. Ich bin nicht mehr die Gleiche wie vorher. Ich empfinde ein viel höheres Maß an Gnade gegenüber anderen, selbst in geringfügigen Angelegenheiten. Wenn ich mich hintergangen oder ausgenutzt fühle, ja sogar wenn ein unberechenbarer Fahrer mir im Verkehr den Weg abschneidet, kann ich dem Missetäter mit einer Sanftmut begegnen, die mir vorher unbekannt war. Wenn jemand mich grob oder respektlos behandelt, vergegenwärtige ich mir, dass diese Person in dem Moment die Summe all ihrer Bürden und Freuden, Erfolge und Fehlschläge verkörpert. Gewiss sind weiterhin sämtliche Gefühle in mir, aber jetzt kann ich besser entscheiden, wie ich jeweils reagiere.
Das zeigt sich in großen wie in kleinen Dingen.
Einmal verließ ich kurzerhand die Trauung des Sohnes einer Freundin, als seine Eltern gerade den Mittelgang der Kirche entlangschritten. Einige Tage später überhörte ich jemandes barsche Bemerkung über mein unhöfliches Verhalten. Der Zusammenhang war folgender: Ich hatte es für wichtig erachtet, der Hochzeit beizuwohnen, weil der Bräutigam ein Klassenkamerad und Freund meines Sohnes Willie gewesen war. Ein wirklich freudiger Anlass, und jeder strahlte. Aber es handelte sich um die erste Eheschließung, an der ich seit dem Tod meines Sohnes teilnahm, und als ich die lächelnden Eltern des Bräutigams sah, überkam mich plötzlich ein tiefes Gefühl von Verlust, ein solches Ereignis niemals mit Willie erleben zu können. Ich ging schnell davon, um die anderen nicht mit meinen Tränen zu verletzen.
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