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Dieser Band enthält folgende Krimis: Kubinke und die Killer (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und die menschliche Bombe (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und der Mord an dem Reporter (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und die tote Lena (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und der eisenharte Axel (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und der verkrachte Künstler (Alfred Bekker) Kommissar Jörgensen und Tariqs Mörder (Alfred Bekker) Der Mörder feuert. Sein Werkzeug ist eine Pistole mit ausgesetztem Schalldämpfer. Der Killer tritt dann an die Leiche heran. Mit dem Fuß dreht er den leblosen Körper auf den Rücken und richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des bereits toten Kriminalhauptkommissar Denner. Dann drückte er nochmals ab. Das Projektil spaltete den Schädel. Ein furchtbarer Anblick! Doch der Mörder wendet seinen Blick nicht ab. "Sicher ist sicher", murmelte er. Ein neuer Fall für die Berliner Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier …
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7 Knallharte Krimis im Bundle November 2024
Copyright
Kubinke und die Killer: Kriminalroman
Kommissar Jörgensen und die menschliche Bombe
Kommissar Jörgensen und der Mord an dem Reporter
Kommissar Jörgensen und die tote Lena
Kommissar Jörgensen und der eisenharte Axel
Kommissar Jörgensen und der verkrachte Künstler
Kommissar Jörgensen und Tariqs Mörder
Dieser Band enthält folgende Krimis:
Kubinke und die Killer (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und die menschliche Bombe (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und der Mord an dem Reporter (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und die tote Lena (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und der eisenharte Axel (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und der verkrachte Künstler (Alfred Bekker)
Kommissar Jörgensen und Tariqs Mörder (Alfred Bekker)
Der Mörder feuert. Sein Werkzeug ist eine Pistole mit ausgesetztem Schalldämpfer. Der Killer tritt dann an die Leiche heran. Mit dem Fuß dreht er den leblosen Körper auf den Rücken und richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des bereits toten Kriminalhauptkommissar Denner. Dann drückte er nochmals ab. Das Projektil spaltete den Schädel. Ein furchtbarer Anblick! Doch der Mörder wendet seinen Blick nicht ab. „Sicher ist sicher”, murmelte er.
Ein neuer Fall für die Berliner Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier …
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2024 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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Der Umfang dieses Buchs entspricht 113 Taschenbuchseiten.
Der Mörder feuert. Sein Werkzeug ist eine Pistole mit ausgesetztem Schalldämpfer. Der Killer tritt dann an die Leiche heran. Mit dem Fuß dreht er den leblosen Körper auf den Rücken und richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des bereits toten Kriminalhauptkommissar Denner. Dann drückte er nochmals ab. Das Projektil spaltete den Schädel. Ein furchtbarer Anblick! Doch der Mörder wendet seinen Blick nicht ab. „Sicher ist sicher”, murmelte er.
Ein neuer Fall für die Berliner Ermittler Harry Kubinke und Rudi Meier …
Alfred Bekker ist ein bekannter Autor von Fantasy-Romanen, Krimis und Jugendbüchern. Neben seinen großen Bucherfolgen schrieb er zahlreiche Romane für Spannungsserien wie Ren Dhark, Jerry Cotton, Cotton reloaded, Kommissar X, John Sinclair und Jessica Bannister. Er veröffentlichte auch unter den Namen Neal Chadwick, Henry Rohmer, Conny Walden, Sidney Gardner, Jack Raymond, Jonas Herlin, Adrian Leschek, John Devlin, Brian Carisi, Robert Gruber und Janet Farell.
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Ein CassiopeiaPress Buch CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author /COVER STEVE MAYER
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen in Arrangement mit der Edition Bärenklau, herausgegeben von Jörg Martin Munsonius.
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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1
Hannover, Niedersachsen …
„Kommissar Gieselher Denner?”
Denner stand vor seinem Wagen und suchte in der Jackentasche nach dem Schlüssel. Es war schon weit nach Mitternacht und dunkel. Er hatte den Wagen in einer schmalen Seitenstraße geparkt. Die Krawatte hing ihm wie ein Strick um den Hals. Denner sah auf und blinzelte. Die Gestalt, die ihn angesprochen hatte, stand unter Straßenlaterne und hob sich als schwarzer Schatten ab. Vom Gesicht konnte man nichts sehen.
„Woher kennen Sie meinen Namen?”, fragte Denner.
Ein Geräusch, das an den Schlag einer Zeitung erinnerte, folgte. Der Unbekannte hatte eine Pistole mit aufgesetztem Schalldämpfer abgefeuert.
2
Denner brach zusammen und blieb in eigenartig verrenkter Haltung regungslos liegen.
Der Unbekannte trat an die Leiche heran. Mit dem Fuß drehte er den leblosen Körper auf den Rücken. Denner starrte mit weit aufgerissenen Augen ins Nichts.
Der Unbekannte richtete die Schalldämpfer-Waffe geradewegs auf den Kopf des am Boden liegenden Kriminalhauptkommissar Denner.
Dann drückte er ab.
Das Projektil spaltete den Schädel. Der Anblick war furchtbar. Der Unbekannte wandte aber nicht ein einziges Mal den Blick ab.
„Sicher ist sicher”, murmelte der Mann mit der Schalldämpfer-Waffe vor sich hin. Ein grimmiges, fast triumphierend wirkendes Lächeln spielte um seine Lippen. Er atmete tief durch. Ein Gefühl der Befreiung machte sich in ihm breit. Eine große Erleichterung. Aber er wusste, dass dieses Gefühl nicht lange anhalten würde. Es gab noch viel zu tun. Die Angelegenheit war noch nicht bereinigt.
Der Mann schraubte den Schalldämpfer von seiner Waffe ab und steckte beides ein. Dann wandte er sich um und ging in aller Seelenruhe die Straße entlang. Bevor er um die nächste Ecke bog, hört er Schritte und Stimmen.
„Hey, Mann, was ist mit dem Typ?”
„Bestimmt besoffen!”
„Oder mehr Stoff, als er vertragen konnte.”
„Ey, guck mal, der hat gekotzt!”
„Nein, der hat nicht gekotzt. Scheiße, das ist sein Kopf …”
Der Mann mit der Schalldämpfer-Pistole erreichte unterdessen seinen Wagen, stieg ein und fuhr los. Er trat das Gaspedal so sehr durch, dass die Kids, die den Toten gefunden hatten, das später in ihren Aussagen erwähnten.
3
Eine Woche später…
Kriminalhauptkommissar Pascal Barkow hielt mit seinem Wagen auf dem Gelände einer abgelegenen Industriebrache am Rand von Frankfurt. Früher war dies einmal ein florierender Teil des Hafens gewesen. Aber das war lange her. Die Insolvenz einer südkoreanischen Reederei hatte die Import-Export-Gesellschaft, der die Lagerhallen einst gehört hatten, ebenfalls in die Insolvenz gezogen.
Böse Zungen behaupteten allerdings, dass die Eigentümer nicht besonders viel getan hatten, um das zu verhindern. Der Grund lag vielleicht darin, dass diese Firma ohnehin in erster Linie der Geldwäsche gedient hatte und man nun froh war, das Unternehmen auf elegante Weise liquidieren zu können, ohne dabei in den Fokus der Ermittlungsbehörden zu geraten.
Jetzt standen hier ein paar Lagerhallen leer. Kräne rosteten vor sich hin und Ratten machten sich breit. Auf Grund komplizierter Vermögensfragen würde es wohl noch eine ganze Weile dauern, bis dieses Gelände wieder etwas anderes wurde, als ein Treffpunkt für jene, die weder gesehen, noch gehört werden wollten.
Kommissar Barkow stieg aus. Ein kühler Wind wehte vom nahen Fluss herüber, auf dem Nebelbänke standen. Am Tag konnte man normalerweise weit flussabwärts sehen. Aber jetzt verdeckte der Nebel alles.
Barkow zündete sich eine Zigarette an.
Er brauchte drei Versuche, bis sie von allein weiterbrannte. So feucht war die Luft.
Er sah noch einmal auf die Uhr.
Pünktlichkeit war noch nie deine Stärke, Boris Vitali, ging es Barkow ärgerlich durch den Kopf. Boris Vitali war ein Informant. Einer, den Barkow hin und wieder dafür bezahlte, dass er ihn über wichtige Dinge informierte, die sich innerhalb der kriminellen Netzwerke so taten. Manchmal nur Gerüchte und manchmal wollte sich Boris Vitali wohl auch einfach nur wichtig machen.
Zuverlässigkeit war nicht die starke Seite von Boris Vitali. Aber hin und wieder war es Barkow in der Vergangenheit gelungen, den einen oder anderen mittelgroßen Drogendeal mit Vitalis Hilfe hochgehen zu lassen. Und das war ja auch etwas.
Ein zweiter Wagen tauchte auf.
Endlich!, dachte Barkow.
Es war ein Geländewagen mit Kuhfänger. Der Fahrer blendete auf, stellte das Fahrzeug dann ab und stieg ebenfalls aus.
„Hey Mann, Rauchen ist ungesund!”, meinte er.
„Das sagt einer, der nichts dabei findet, sich den Kopf mit allen möglichen Sachen vollzudröhnen”, gab Barkow zurück.
„Stehen Sie mal jede Nacht hinter der Bar eines Clubs, dessen Musik Sie nicht leiden können …”
„… und nebenbei wohl der größte Designer-Drogenumschlagplatz von Frankfurt ist, an dessen Umsatz Sie beteiligt sein dürften. Harter Job, muss ich sagen!”
Boris Vitali kam näher. Er hob sich als dunkler Schatten gegen das Scheinwerferlicht seines Wagens ab.
„Ich mach mir eben Sorgen um Ihre Gesundheit, Barkow! Wer versorgt mich mit ein bisschen Kleingeld, um mir was Gutes für die Nase kaufen zu können, wenn Sie jetzt plötzlich an Lungenkrebs sterben? Und wer gibt mir hin und wieder mal einen Tipp, wenn eine besondere Aktion bevorsteht und man sich als ehrlicher Kleingewerbetreibender, der einem Konflikt mit der Justiz gerne aus dem Weg geht, besser für eine Weile auf dem Markt etwas zurückhalten sollte?” Boris Vitali kicherte.
Barkow hoffte, dass er nicht noch irgendwas genommen hatte, bevor er hier hergefahren war. Dann konnte Boris Vitali nämlich unausstehlich werden. Barkow hatte das mehr als einmal erlebt.
„Sie sollten es nicht übertreiben”, sagte Barkow kühl und zog dann an seine Zigarette. „Hören Sie, es ist kalt und nass. Wenn Sie nur hier sind, um sich wichtig zu machen, sollten wir das Ganze beenden, bevor ich Ihnen das übelnehme.”
„Heh, nicht so feindselig, Barkow!”
„Dann sagen Sie mir, was Sie zu sagen haben. Und ich hoffe in Ihrem Interesse, dass es nicht nur wieder irgend so ein Dünnpfiff ist, der die Steuergelder kaum wert ist, die ich Ihnen in den Rachen schiebe.”
„Keine Ahnung, was mit Ihnen zurzeit los ist, Barkow. Konnten Sie bei Ihrer Kollegin nicht landen? Mann o Mann, es muss doch in Ihrem Zuständigkeitsbereich wenigstens ein Bordell geben, dessen Besitzer Sie schmiert und Sie vielleicht mal umsonst zur Sache kommen lässt, wenn Ihre kargen Bezüge als Kommissar dafür nicht ausreichen. Dann sind Sie vielleicht wieder ein bisschen ausgeglichener.”
„Jetzt reicht es, Vitali! Ich bin nicht hier rausgefahren, um mir diesen Scheiß anhören zu müssen.”
Barkow wandte sich dem Wagen zu. Demonstrativ betätigte er das elektronische Türschloss.
Boris Vitali hob beschwichtigend die Hände.
„Schon gut, Mann! Keine übereilten Kurzschlussreaktionen bitte!”
„Ich werde darüber nachdenken, Sie von der Informantenliste streichen zu lassen”, sagte Barkow.
„Dann verpassen Sie einen der größten Deals der nächsten Zeit.”
„Ach, wirklich?”
„Eine große Ladung Kokain. Kommt hier in Frankfurt an.”
„Wann und wo?”
„Erfahre ich noch und würde ich Ihnen rechtzeitig weitergeben.”
„Okay.”
„Aber es muss diesmal etwas mehr für mich drin sein.”
„Wenn das wirklich ein großer Deal ist und ein paar entscheidende Leute dabei über die Klinge springen, dann kann man darüber reden.”
„Gut, dann reden wir darüber. Morgen Abend, die gleiche Zeit, hier. Dann will ich was Definitives hören.”
„Ein bisschen mehr müssen Sie schon im Vorfeld anbieten, sonst kann ich meine Vorgesetzten kaum überzeugen, da mitzumachen.”
„Sie können davon ausgehen, Diego Romano verhaften zu können. Der steht doch schon lange auf Ihrer Liste. Und das wäre die einmalige Chance, ihn mit mindestens einer halben Tonne Kokain zu erwischen. Und? Jetzt sagen Sie mir nicht, dass gegen Diego Romano nichts vorliegt und Sie gar nicht gegen ihn ermitteln?”
„Ungefähr dreißig Mordaufträge, ein Geldwäsche- und Drogenimperium, das sich über zwanzig Länder spannt.”
„Na, also! Wir verstehen uns also.”
„Ich sage Ihnen morgen Bescheid.”
„Ich will das Zehnfache von dem, was ich sonst kriege. Und danach tauche ich eine Weile ab. Euer bescheuertes Zeugenschutzprogramm oder dergleichen will mich gar nicht. Das ist mir zu unsicher. Aber Sie werden verstehen, dass ich danach erst einmal eine ganze Zeit auf Tauchstation gehen muss.”
Barkow nickte. „Ja, das verstehe ich.”
„Dann bis morgen.”
Boris Vitali ging zu seinem Wagen zurück. Er stieg ein und fuhr los. Die Reifen drehten durch. Boris Vitali hatte seine ganz eigene Art, einen Wagen zu starten. Er brauste mit vollkommen überhöhter Geschwindigkeit davon. Angesichts der kaum vorhandenen Beleuchtung auf dem ehemaligen Firmengelände, kam das einem Blindflug gleich. Aber Boris Vitali war dafür bekannt, dass er gerne Risiken einging. Auch solche, die völlig unnötig waren.
Barkow zündete sich eine zweite Zigarette an. Man konnte kaum noch irgendwo in der Öffentlichkeit rauchen. Hier draußen hinderte ihn niemand daran.
Diese paar Augenblicke gönne ich mir, dachte er.
Sein Vorgesetzter war um diese Zeit ohnehin nicht mehr im Büro. Die Angelegenheit mit Boris Vitali konnte er daher sowieso erst Morgen mit ihm besprechen.
Eine Gestalt schälte sich als dunkler Schattenriss aus der Dunkelheit zwischen den Lagerhäusern. Der Schatten musste dort schon die ganze Zeit gewartet haben.
Ein Zeuge war nun wirklich das Letzte, was Pascal Barkow in Bezug auf ein Treffen mit Boris Vitali gebrauchen konnte.
„Wer ist da?”, fragte er.
„Kommissar Pascal Barkow, Kripo Frankfurt?”, fragte eine Männerstimme.
„Was soll das? Was wollen Sie von mir?”
Barkow hatte keine Chance, seine Dienstwaffe zu erreichen. Ein Mündungsfeuer blitzte in der Dunkelheit blutrot auf. Zweimal kurz hintereinander. Es gab kein Schussgeräusch. Nur einen Laut, der wie ein leichter Schlag mit einer zusammengerollten Zeitung klang.
Es war eine Waffe mit Schalldämpfer.
Die Schüsse trafen Barkow in der Herzgegend. Zwei Einschüsse, sehr dicht nebeneinander. Er fiel um wie ein gefällter Baum und blieb regungslos liegen. Seine Hand griff noch zur Brust. Das Blut sickerte zwischen den Fingern hindurch.
Der Mann mit der Schalldämpfer-Waffe trat in aller Ruhe näher. Er beeilte sich nicht. Was zu erledigen war, war erledigt. Mit dem Fuß drehte er den Körper aus der Seiten- in die Rückenlage. Der Lichtkegel einer Taschenlampe blitzte auf und erfasste den Kopf. Der Killer zielte aus unmittelbarer Nähe auf die Stirn und drückte ab.
„Sicher ist sicher”, murmelte der Mann mit der Schalldämpfer-Waffe vor sich hin.
Aber da war er schon damit beschäftigt, den Schalldämpfer abzuschrauben, um die Waffe besser einstecken zu können.
4
„Der Schädel ist aufgespalten”, sagte Dr. Gerold M. Wildenbacher, der Gerichtsmediziner unseres Ermittlungsteams Erkennungsdienst. Rudi und ich befanden uns in einem der Sektionsräume der Bundesakademie in Quardenburg, Gerold erläuterte uns gerade anhand einer Leiche ein paar Fakten darüber, was zum Tod dieses Mannes geführt hatte.
„Schon mal was von Canoeing gehört?”, fuhr der hemdsärmelige Gerold in seinem unnachahmlichen bayerischen Akzent fort.
„Ich nehme an, das hat nichts mit irgendwelchen Freizeitaktivitäten in der kanadischen Wildnis zu tun”, sagte Rudi.
„In diesem Fall nicht. Wenn man jemandem, der am Boden liegt, einen Kopfschuss verpasst, spaltet das meistens den Schädel auf eine ganz bestimmte Weise. Das zugegebenermaßen etwas unappetitliche Ergebnis sehen Sie hier. Von der Form her erinnert es an ein Kanu. Daher die Bezeichnung Canoeing.”
„Ja, ich denke, wir verstehen, was Sie meinen”, sagte ich.
„Wenn jemand am Boden liegt, ist die Wirkung eines solchen Schusses eine andere, als wenn Sie vor jemandem stehen”, erklärte Gerold. „Letzteren Fall habe ich häufiger hier auf dem Tisch des Hauses. Jemand bekommt eine Kugel aus nächster Nähe in die Stirn. Dann ist die Eintrittswunde nicht sehr groß. Die größere Wunde entsteht dann am Hinterkopf. So etwas dürfte Ihnen ja vertraut sein …”
„Gehört leider zu unserem Job”, sagte Rudi.
„Aber hier liegt der Fall anders. Wenn jemand auf dem Boden liegt, insbesondere auf dem Rücken, und jemand aus der Standhöhe auf die Stirn schießt, wird der Schädel auf diese Weise gespalten. Das hängt damit zusammen, dass der Untergrund in der Regel hart und für das Projektil undurchdringlich ist. Ein Betonboden zum Beispiel. Die Kugel kann nicht einfach aus dem Hinterkopf austreten. Die Kraft muss irgendwohin. Darum dieses erschreckende Ergebnis. Unser Fischkopp kann Ihnen die physikalischen Gesetze, die dazu führen, vielleicht bei Gelegenheit mal in aller Ausführlichkeit darlegen.”
Mit Fischkopp meinte Gerold seinen hamburgisch-stämmigen Kollegen Friedrich G. Förnheim, von uns allen meistens FGF genannt. Der hemdsärmelige Gerold machte sich über den allein schon wegen seines Akzents leicht etwas abgehoben wirkenden Naturwissenschaftler und Ballistiker immer gerne mal etwas lustig. Bezeichnungen wie Fischkopp musste Friedrich da schon mal über sich ergehen lassen. Allerdings wusste der Norddeutsche da auf seine Weise durchaus zu kontern.
„Wir stellen Ihre Untersuchungsergebnisse und die daraus abgeleiteten Hypothesen nicht in Frage, Gerold”, versicherte ich.
„FGF hat mir fast die Ohren abgequatscht, als er mir das erläutert hat”, meinte Gerold. „Eigentlich nicht richtig, dass Sie weniger leiden brauchen als ich.”
„Lassen Sie das FGF nicht hören!”, sagte ich.
„Das kann er ruhig wissen - und ich bin überzeugt davon, das weiß er auch. Aber da ist noch eine Sache, die ich jetzt beinahe vergessen hätte.”
„Und die wäre?”, fragte ich.
„Dieses Canoeing ist typisch für die Vorgehensweise von Einsatzkräften des KSK, etwa wenn die einen Terroristen ausschalten.”
„Also noch mal in den Kopf schießen, damit man sicher ist, dass der Betreffende tot ist”, fasste ich es zusammen.
„Eigentlich ist das eine unerwünschte Vorgehensweise, die sich aber bei den Scharfschützen immer mehr verbreitet hat, genauso wie das Sammeln von Souvenirs und Trophäen bei den Einsätzen.” Gerold deutete auf den Toten. „Ich bin kein liberales Weichei, aber so was ist widerlich. Soweit ich weiß, versucht man das einzudämmen, indem man die Einsätze umfassender per Video dokumentieren lässt.”
„Dann schließen Sie daraus, dass der Täter ein Soldat des KSK war”, stellte ich fest.
„So wie er selbst.”
Der Mann, dessen zerstörten Schädel uns Gerold erläutert hatte, war Klaus Deggemann, ehemaliges Mitglied beim KSK und zuletzt Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma in Nördendorf. Zwei weitere Männer waren auf dieselbe Art und Weise gestorben wie Deggemann. Es handelte sich um zwei Kriminalhauptkommissare: Gieselher Denner aus Hannover und Pascal Barkow aus Frankfurt. Was die drei Fälle letztlich miteinander verband, wussten wir zu diesem Zeitpunkt natürlich noch nicht. Aber es stand auf Grund der ballistischen Untersuchungen an den verwendeten Projektilen fest, dass alle drei Männer mit derselben Waffe und daher mutmaßlich auch von demselben Täter ermordet worden waren. Die Vorgehensweise war jedes Mal dieselbe gewesen.
Alle drei Opfer hatten am Boden liegend und zu einem Zeitpunkt, da sie sehr wahrscheinlich nicht mehr gelebt hatten, noch einen weiteren Schuss aus nächster Nähe bekommen. Eine Schuss, der ihnen den Schädel gespalten hatte.
An einen Zufall glaubte da niemand von uns.
Seit ein paar Tagen hatten wir nun diesen Fall auf dem Tisch. Und irgendwie schien daran nichts zusammenzupassen. Drei Männer waren auf die gleiche Art und Weise umgebracht worden. Darunter zwei Kommissare aus völlig unterschiedlichen Städten. Rudi und ich hatten schon die Hoffnung gehabt, hier einen Ansatzpunkt in diesem Fall zu finden. Aber dann kam Opfer Nummer drei, ein ehemaliger Soldat des KSK, der zuletzt in einen Job in der privaten Sicherheitsbranche gehabt hatte und mit den Opfern Nummer eins und zwei überhaupt nichts zu tun zu haben schien.
Irgendeinen Zusammenhang musste es natürlich geben. Wir kannten ihn nur noch nicht.
Etwas später erläuterte uns Dr. Dr. Friedrich G. Förnheim noch den ballistischen Bericht.
„Soll ich Ihnen die Wirkungsweise eines Projektils beim sogenannten Canoeing anhand eines Simulationsprogramms demonstrieren, das mir Lin-Tai entwickelt hat?”, erkundigte sich der Norddeutsche, als wir uns in seinem Labor unterhielten. Lin-Tai Gansenbrink war die IT-Spezialistin und Mathematikerin des Teams.
„Interessante Sichtweise”, sagte ich.
Er hob die Augenbrauen.
„Inwiefern?”
„Dass Lin-Tai Ihnen bei der Entwicklung des Programms geholfen hat und nicht umgekehrt.”
„Vielleicht unterschätzen Sie einfach meine Fähigkeiten auf Gebieten, die zwar nicht zu meinem Fachbereich gehören, aber daran eng angrenzen. Und Informatik gehört genauso dazu wie Mathematik und die Fähigkeit, irgendetwas mit Programmcodes anzufangen.”
„Das hat uns Gerold bereits ausreichend erklärt”, sagte ich.
Friedrich hob die Augenbrauen.
„Kann es sein, dass ich bei Ihnen eine geradezu besorgniserregende Geringschätzung des wissenschaftlichen Details konstatieren muss?”, sagte er.
„Ganz gewiss nicht. Es ist nur so, dass wir vorrangig darauf fokussiert sind, einen Mörder daran zu hindern, weiter sein Unwesen zu treiben.”
„Wer sagt, dass das eine das andere ausschließen muss?”, gab Friedrich zurück. „Sie haben den vollständigen Bericht wahrscheinlich schon in Ihren Mailfächern gefunden. Die Waffe, die der Täter benutzt hat, ist eine ganz gewöhnliche Automatik. Er verwendet außerdem einen Schalldämpfer, der sich auch anhand der Spuren auf dem Projektil identifizieren ließe - vorausgesetzt das Teil würde in unsere Hände fallen. Leider war der Datenabgleich negativ.”
„Das heißt, die Waffe ist bisher noch nicht benutzt worden”, stellte ich fest.
Friedrich nickte und verschränkte dabei die Arme vor der Brust.
„Es sind die drei Fälle für diese Waffe aktenkundig, mit denen Sie sich zur Zeit beschäftigen, meine Herren.”
„Scheint ein Neuling zu sein”, meinte Rudi.
„Oder ein alter Hase, der sich eine neue Waffe besorgt hat”, hielt Friedrich ihm entgegen. „Das kann man nun wirklich nicht sagen. Zumindest nicht mit den Methoden, die mir zur Verfügung stehen. Allerdings lassen sich ein paar Aussagen schon treffen.”
„Wir sind ganz Ohr”, sagte ich.
„Zunächst mal muss der Täter ungefähr 1,80 m groß gewesen sein. Er hat aus dem Stand auf den Kopf gezielt, als die Opfer am Boden lagen. Da Sie Einzelheiten und Details nicht so zu schätzen wissen, wie ich mir das als Wissenschaftler wünschen würde, schlage ich vor, dass ich Ihnen die Details erspare, beziehungsweise Sie diese in meinem Bericht nachlesen, falls Sie aus irgendeinem Grund doch daran interessiert sein mögen - und sei es nur, dass Sie beabsichtigen, die Grundlagen meiner Berechnungen in Zweifel zu ziehen.”
„Daran dachten wir wohl kaum”, sagte Rudi.
„Eine Körpergröße von 1,80 m schließt eine Frau als Täterin leider noch nicht völlig aus”, sagte ich.
„Aber es ist unwahrscheinlich, dass es sich bei dem Täter um eine Frau handelte”, sagte Friedrich. „Und die Körpergröße ist dazu durchaus das Hauptargument. Ich habe Ihnen eine durchschnittliche statistische Verteilung im Bericht mitgeliefert. Sie haben Recht, ausschließen kann man eine Frau zwar nicht, aber statistisch gesehen wäre dieser Fall dann wohl doch eher unwahrscheinlich.”
„Was ist mit den Fähigkeiten des Schützen?”, fragte ich. „Ich meine, wenn es sich bei diesem sogenannten Canoeing um eine Vorgehensweise handelt, die bei den Sondereinsatzkräften des KSK verbreitet ist, dann liegt ja der Schluss nahe, dass der Täter ein ehemaliges Mitglied des KSK war.”
„Und Sie wollen jetzt wissen, ob weitere Indizien dafür sprechen, dass der Täter eine militärische Ausbildung genossen hat?”, fragte Friedrich.
„Wäre doch naheliegend”, meinte Rudi.
„Leider kann man da aus den bisherigen Untersuchungsergebnissen nichts ableiten. Fest steht, dass der Täter über ganz gute Fertigkeiten als Pistolenschütze verfügt haben muss. Denn die tödlichen Schüsse wurden ja aus einer gewissen Entfernung abgegeben, die jeweils im Bericht genau angeben wird. Die Fähigkeiten des Schützen würde ich dabei als professionell, aber nicht herausragend einschätzen. Sie könnten ebenso gut Resultat einer militärischen Ausbildung sein, als auch an einem ganz gewöhnlichen Schießstand durch regelmäßiges Training erworben sein.”
5
Etwas später trafen wir uns mit Dr. Lin-Tai Gansenbrink. Die Mathematikerin und IT-Expertin des Ermittlungsteams Erkennungsdienst empfing uns in ihrem Arbeitsraum, in dem es von hochmodernen Computer-Equipment nur so wimmelte. Der Raum war regelrecht davon vollgestellt.
„Freut mich, Sie beide zu sehen”, sagte Lin-Tai, ohne dabei den konzentriert wirkenden Blick von dem Display zu nehmen, auf das sie gerade schaute. Die Finger ihrer rechten Hand kreisten über den Touchpad. Womit auch immer sie gerade beschäftigt war, es schien zumindest drei Viertel ihrer Konzentration im Moment zu beanspruchen.
„Ich hoffe, wir stören nicht”, sagte Rudi.
„Warten Sie einen Moment, ich muss eben diesen Vorgang abschließen.”
„Kein Problem”, sagte Rudi.
Auf einem der Großbildschirme, die sich in Lin-Tais Arbeitsraum befanden, erschienen jetzt Kolonnen von Zahlen und beeindruckende, kompliziert wirkende Säulendiagramme, die für nicht Eingeweihte wohl kaum mehr als magische Zeichen darstellten. Also auch für uns.
„Ich erkläre es Ihnen sofort”, deutete Lin-Tai meinen ratlosen Blick richtig. „Wobei das, was Sie da sehen, eigentlich mehr damit zu tun hat, wie ich an die Informationen herangekommen bin, die für Sie wichtig sind.”
„Welche Informationen?”, fragte ich.
„Wir hatten bisher keinen Zusammenhang zwischen den Opfern.”
„Abgesehen davon, dass zwei von ihnen Kommissare sind.”
„Ja, Harry, aber in völlig unterschiedlichen Präsidien. Und es hatte auch oberflächlich den Anschein, als hätten sie niemals zusammengearbeitet. Das trifft aber offenbar nicht zu.”
„Erzählen Sie!”
„Ich bin darauf gekommen, als ich die internen Personaldaten der beiden durchstöbert habe. Da gibt es einen zeitlich bei beiden Kommissare übereinstimmenden Bereich von fast anderthalb Jahren, in denen die Daten offensichtlich falsch sind. Ich konnte durch die Filterung des Datenbestandes nach verschiedenen Kriterien, die ich Ihnen jetzt nicht im Einzelnen erläutern will, herausfinden, dass zum Beispiel die angeblich zu dieser Zeit besetzten Dienstposten in Wahrheit von anderen besetzt waren und sie zwar beide offiziell irgendwelchen Abteilungen angehörten, dort aber laut den Dienstplänen nie für irgendwelche Einsätze eingeplant gewesen sind. Und so weiter und so fort. Na, ergibt sich für Sie jetzt ein Bild?”
„Eine Geheimoperation”, stellte ich fest. „Darauf läuft es doch hinaus!”
„Richtig”, nickte Lin-Tai. „Und zwar eine, die so geheim war, dass man bislang nicht einmal Kriminaldirektor Hoch darüber informiert hat, denn ich kann mir nicht denken, dass er dieses Wissen nicht sofort an Sie weitergegeben hätte, als er Ihnen den Auftrag gab, sich mit diesem Fall zu befassen.”
„Diese Geheimoperation muss ziemlich heikel gewesen sein”, glaubte Rudi. „Irgendetwas, was die Überschrift nationale Sicherheit trägt, wie ich annehme.”
„Ja, das ist eine Möglichkeit”, sagte Lin-Tai. „Die andere ist, dass die beteiligten Kommissare selbst geschützt werden müssen. Etwa vor Erpressungen, Anwerbeversuchen fremder Geheimdienste oder Racheakten aller Art. Die dritte Möglichkeit ist: Eine Kombination aus beidem. Und genau das liegt hier vor.”
„Sie haben herausgefunden, was das für eine Geheimoperation war?”, fragte ich.
Ein sehr flüchtiges und sehr kurzes Lächeln spielte jetzt um Lin-Tais Lippen. Normalerweise war ihre Mimik eher gleichförmig. Eine für Lin-Tais Verhältnisse derart exzessive mimische Betätigung ihrer Gesichtsmuskulatur wäre bei jemand anderem wahrscheinlich das Pendant zu einem lauten Triumphgeheul gewesen.
„Ich habe es rausgekriegt”, sagte sie in einem fast feierlichen Tonfall.
„Das ist vermutlich illegal”, sagte Rudi. „Und wir werden dann nicht viel damit anfangen können. Zumindest nicht offiziell.”
„Wenn Kriminaldirektor Hoch danach fragt, wird man ihm vermutlich alles, was ich herausgefunden habe, auch offiziell herausgeben. Nur hat er bisher ja nicht fragen können, weil er nichts davon wusste. Aber am Ende wird Kriminaldirektor Hoch die Informationen ganz legal erhalten, sodass ich da kein Problem sehe.”
„Um was für eine Operation geht es?”, fragte ich.
„Beide ermordeten Kommissare sind für anderthalb Jahre Zielfahnder einer Abteilung gewesen, die sich mit der Beobachtung von terroristischen Gefährdern befasst hat, die sich innerhalb Deutschlands aufhielten.”
„Können Sie präzisieren, mit welcher Facette des Terrorismus sich diese Abteilung befasste?”, hakte ich nach.
„Es ging um radikale Islamisten und ihre Netzwerke. Einzelheiten wird vielleicht Ihr Vorgesetzter erfahren - vorausgesetzt, er stellt die richtigen Fragen.”
6
Es regnete in Strömen, als wir später auf dem Autobahn Richtung Berlin unterwegs waren. Wir hatten schon mit Herr Hoch telefoniert. Selbstverständlich hegten wir die Hoffnung, dass Lin-Tais Vermutung zutreffend war und unser Chef die Informationen über die Tätigkeit der beiden Kommissare zumindest so detailliert bekommen konnte, dass wir letztendlich etwas damit anfangen konnten.
Geheimhaltung ist in vielen Fällen gut und richtig. Manchmal rettet sie Menschenleben, und das gilt insbesondere für Zielfahnder und verdeckte Ermittler. Dass Hacker selbst in interne Netzwerke des BKA einzudringen vermochten, war ebenfalls eine besorgniserregende Realität, der wir uns stellen mussten. Insofern hatte ich einerseits durchaus Verständnis für all diese Maßnahmen, die man da getroffen hatte. Andererseits kann man aber auch beobachten, dass übertriebene Geheimhaltung manchmal unsere Arbeit extrem lähmen kann.
Rudi hatte sein Laptop auf den Knien. Wir versuchten noch immer, irgendeinen gemeinsamen Nenner zu finden, den die drei Morde vielleicht hatten. Aber das schien schwierig.
Die neuen Erkenntnisse, die wir durch Lin-Tai gewonnen hatten, änderten daran wenig.
„Ich habe mal versucht zu checken, ob dieser Ex-Soldat des KSK namens Klaus Deggemann vielleicht irgendwie in etwas verwickelt war, was eine Verbindung zu den beiden Kommissare herstellen könnte.”
„Wenn er nicht gerade zum Islam konvertiert ist und sich einer Terrorzelle angeschlossen hat …”
„Danach sieht es nicht aus”, sagte Rudi. „Er betreibt eine private Sicherheitsfirma, ist verheiratet, sieht auf der Homepage seiner Firma wie die Biederkeit in Person aus und betätigt sich offenbar auch als aktives Gemeindemitglied der evangelischen Kirche von Nördendorf. Im letzten Jahr hat er dort eine Spendenaktion initiiert. Dabei wurde Geld für das marode Dach des Kirchengebäudes gesammelt.”
„Wir brauchen letztlich die Namen derer, die die Zielfahnder-Abteilung der Gieselher Denner und Pascal Barkow angehörten, beobachtet haben”, sagte ich.
„Und du denkst, da kommt etwas heraus?”
Ich zuckte die Schultern.
„Warum nicht? Das ist so vielversprechend wie jeder andere Ansatzpunkt, den wir im Moment haben.”
„Auch wieder wahr” musste Rudi zugeben.
„Was hat Klaus Deggemann eigentlich in der Zeit gemacht, als Denner und Barkow dieser Sonderabteilung angehörten?”
„Nur reine Neugier oder hast du irgendwas im Hinterkopf, wo das hinführen soll, Harry?”
„Es fängt immer mit reiner Neugier an, Rudi, das weißt du doch.”
„Also, man braucht noch nicht einmal irgendeine interne Quelle anzuzapfen, Harry. Hier auf der Homepage von Klaus Deggemanns Firma gibt es einen ausführlichen Lebenslauf, der natürlich all die Stationen betont, die ihn im Sicherheitsbereich als kompetent und erfahren erscheinen lassen.”
„Ich nehme an, da gehört die Zeit beim KSK dann wohl dazu, oder?”
„Richtig, Harry. Und zu der Zeit, als Denner und Barkow in dieser geheimen Sonderabteilung waren, war Klaus Deggemann noch im aktiven Dienst beim KSK.”
„Steht etwas dabei, über die Einsätze an denen er teilgenommen hat?”
„Nein. Es gibt nur eine Auflistung all der Länder, in denen er im Einsatz war. Es ist die volle Palette, die man bei ihm so erwartet: Afghanistan, Maili und einige weitere, über die er aus Sicherheitsgründen nicht sprechen dürfte.”
„Einige der Seals, die Osama bin Laden getötet haben, später Bücher darüber geschrieben”, gab ich zurück.
„Von KSK-Soldaten ist mur sowas nicht bekannt.“
„Hm.“
„Anscheinend ist Klaus Deggemann ein Mann, dem die Sicherheit seines Landes und seiner Mitbürger sehr am Herzen liegt, Harry …”
„Ah, ja.”
„Das soll er jedenfalls in seiner Selbstdarstellung rüberbringen und ich muss sagen, es gelingt ihm auch recht überzeugend.”
Wir nutzten die weitere Fahrt bis Berlin noch zu ein paar Telefonaten. Wir sprachen unter anderem mit dem Leiter des Polizeipräsidiums in Hannover. Dort war Björn Galland der sogenannte Dienststellenleiter. Wir hatten ihn im Gegensatz zu seinem Amtskollegen aus Frankfurt bisher nicht erreichen können.
Galland hatte eine sehr positive Meinung über die Zeit, die Kommissar Denner dort seinen Dienst versehen hatte.
„Er war einer meiner besten Kommissare”, sagte Galland. „Und ehrlich gesagt, kann sich hier immer noch niemand erklären, warum es zu seinem Tod gekommen ist.”
„Gute Kommissare machen sich meistens nicht nur Freunde”, sagte ich. „Es wird doch sicherlich genug Leute gegeben haben, denen er als Kommissar in Hannover durch seine Ermittlungen irgendwie auf die Füße getreten ist.”
„Die Liste ist lang, Herr Kubinke”, erklärte Galland mir.
„Ich brauche sie trotzdem”, erwiderte ich.
„Wenn das nicht mehr unbedingt heute Abend sein muss ... Ich sorge dafür, dass Ihnen alles zusammengestellt wird, was Sie brauchen.”
„In Ordnung”, sagte ich.
Nachdem das Gespräch, das wir im Übrigen über unsere Freisprechanlage geführt hatten, beendet worden war, schwiegen Rudi und ich eine Weile. In der Ferne tauchte schon die Silhouette von Berlin auf. Ein Lichtermeer in der Dämmerung.
„Wir sollten in Nördendorf anfangen zu graben”, sagte ich schließlich.
„Wegen Klaus Deggemann?”
„Er ist das letzte Opfer gewesen. Und er unterscheidet sich in einem Punkt von den anderen.”
„Weil er kein Kommissar ist. Jemand, der eine Sicherheitsfirma leitet, kommt unter Umständen ebenfalls mit den Dingen in Kontakt, die unser tägliches Brot sind.”
„Du meinst Terrorismus?”
„Oder organisiertes Verbrechen, Harry. Ich meine, kann ja sein, dass Barkow und Denner mal eine Weile in einer Sonderabteilung zur Terrorismusbekämpfung tätig gewesen sind, aber das muss nichts mit dem Fall zu tun haben. Umgekehrt agieren kriminelle Organisationen nicht nur lokal begrenzt. Und es könnte durchaus sein, dass da irgendeine Sache läuft, die alle drei verbindet.”
„Klingt plausibel”, gab ich zu.
Rudi blickte auf sein Laptop.
„Dienststellenleiter Gieselher hat mir gerade die Unterlagen über Barkows letzte Einsätze zugeschickt.”
Wir hatten mit dem Leiter des Polizeipräsidiums Frankfurt ja bereits vorher telefoniert und unter anderem erörtert, ob es irgendeinen Zusammenhang zwischen Barkows letzten Fällen und seiner Ermordung gab.
„Und?”, hakte ich nach.
„Der Ort, wo ihn unser bislang unbekannter Killer mit einer Vorliebe für gespaltene Schädel umgebracht hat, ist ja ein brachliegendes Firmengelände in Hafennähe.”
„Ja, ich habe die Tatortfotos auch gesehen.”
„Barkow wollte sich offenbar mit einem Informanten aus der Drogenszene treffen.”
„Steht da auch mit wem?”
„Boris Vitali. Hat Barkow offenbar schon seit Jahren mit Informationen versorgt. Er arbeitet in einem Club, der als Umschlagplatz für Designerdrogen und alles Mögliche andere gilt. Da bekommt er wohl eine Menge mit. Jedenfalls hat die Mitarbeit von Boris Vitali in der Vergangenheit dazu geführt, dass ein paar spektakuläre Drogendeals zu Verhaftungen führten.”
„Ist dieser Boris Vitali einer, der das für Geld macht - oder verfolgt er eigene Interessen?”
„Keine Ahnung. Wäre vielleicht interessant zu erfahren. Aus den Unterlagen geht das jedenfalls nicht hervor.”
„Und wieso erfahren wir erst jetzt davon, weswegen Barkow mitten in der Nacht auf einem verlassenen Firmengelände war?”
„Weil Barkow das wohl nicht an die große Glocke gehängt hat. Mit Boris Vitali hat er sich immer nur allein getroffen. Eingeweiht war nur sein Dienstpartner. Und der hat die Informationen darüber wohl erst mit einer gewissen Verzögerung weitergeleitet.”
„Ganz meine Meinung”, stimmte mir Rudi zu.
„Und davon abgesehen müssen wir ganz dringend mit Boris Vitali reden.”
„Dienststellenleiter Gieselher hat schon alles in die Wege geleitet. Er meldet sich.”
„Was heißt das, er meldet sich?”
„Ich nehme an, dass Frankfurt in dieser Angelegenheit nicht allzu rabiat vorgehen will.”
„Weil sie ihren Informanten schützen wollen?”
„Harry, du weißt doch auch, wie das läuft. Wenn da jemand ist, der dafür sorgt, dass in schöner Regelmäßigkeit immer ein paar Drogendeals irgendwo in der Stadt platzen, hat niemand ein Interesse, daran etwas zu ändern.”
„Erfolge hat jeder gern.”
„So ist es! Und wenn jemand vielleicht daran denkt, die Karriereleiter noch ein Stück nach oben fallen, dann braucht er solche Erfolge auch.”
„Du sprichst doch jetzt nicht von Dienststellenleiter Gieselher, oder?”
„Wieso nicht? Hat er auf dich bisher den Eindruck von jemandem gemacht, der mit seiner Karriereplanung schon abgeschlossen hat?”
„Vielleicht unterschätze ich ihn einfach.”
„Schon möglich, Harry.”
7
Wir fuhren noch zum Hauptpräsidium, obwohl unsere Arbeitszeit natürlich längst vorbei war. Aber Kriminaldirektor Hoch war auch um diese Zeit noch in seinem Büro. Erstens wollten wir ihm einen vorläufigen Bericht erstatten und zweitens hatte auch unser Chef inzwischen Neuigkeiten für uns.
„Ich habe die Zeit genutzt und etwas herumtelefoniert”, sagte Kriminaldirektor Hoch, während er hinter seinem Schreibtisch stand und seine Hände in den weiten Taschen seiner Flanellhose verschwinden ließ. Uns hatte er einen Platz angeboten. Ihn selbst hielt es aber offenbar nicht auf dem Bürostuhl.
„Und - wie stehen die Aktien?”, fragte ich.
Ein sehr verhaltenes Lächeln spielte für den Bruchteil eines Augenblicks um Kriminaldirektor Hochs Lippen. „Ich bekomme alles, was wir wollen.”
„Sämtliche Details zu den Einsätzen der beiden Kollegen während ihrer Zeit in dieser Sondereinheit?”
„Sämtliche. Anscheinend ist man sich in den Etagen über mir sehr wohl der Tragweite bewusst, die dieser Fall bekommen könnte und will restlos alles aufdecken.”
„Das freut mich zu hören.”
„Ich bekomme die Daten morgen im Verlauf des Vormittags, wie man mir versichert hat”, erklärte Kriminaldirektor Hoch. „Und von da an können Sie dann auch damit arbeiten.”
„Sehr gut”, sagte Rudi.
„Ich vermute mal, die Bundeswehr wird nicht so bereitwillig sämtliche Details der Sondereinheit offenlegen, in der Deggemann gedient hat”, sagte ich.
Kriminaldirektor Hoch sah mich überrascht an.
„Gehen Sie davon aus, dass die Ereignisse während der Dienstzeit irgendetwas mit seinem Tod und dem Tod unserer Kollegen zu tun haben.”
„Bis jetzt nicht. Aber ausschließen kann man nichts.”
„Ich sage Ihnen gleich, das ist noch einmal eine ganz andere Nummer, Harry.”
„Ich weiß.”
„Eine Nummer, die viel schwieriger zu händeln ist.”
Offenbar hatte Kriminaldirektor Hoch darüber zumindest schon einmal nachgedacht. Sonst hätte er sich so nicht geäußert. „Die Schwierigkeit läge in so einem Fall darin, dass die Entscheidungen, wie viele Informationen wir bekommen, auf politischer Ebene getroffen werden müssten.”
„Ich verstehe”, murmelte ich.
„Nicht jeder Einsatz der Kommando Spezialeinheit soll groß in der Öffentlichkeit verhandelt werden, wie ich vermute”, meinte Rudi.
„Mit gutem Grund”, sagte Kriminaldirektor Hoch. „Schließlich könnten sich jede Menge diplomatische Verwicklungen bis hin zu handfesten Krisen daraus entwickeln. Für uns macht das den Job natürlich nicht unbedingt leichter.”
8
Zwei Männer saßen in einem Restaurant in Berlin.
Ludger Wanger wog fast 200 Kilogramm. Er hatte ein gewaltiges Doppelkinn. Sein Kopf war nahezu haarlos. Die dunklen, mandelförmigen Augen waren sehr schmal. Der Blick wirkte aufmerksam und durchdringend.
Der Mann, der ihm gegenüber saß, war von seiner äußeren Erscheinung her in vielen Punkten das genaue Gegenteil. Ein kleiner, schmächtiger Mann mit runden Augen und dichtem, aschblondem Haar. Er hieß Erich Sternberg und wirkte sichtlich angespannt.
„Möchten Sie einen Tee, Erich?”, fragte Ludger Wanger.
„Herr Wanger, ich bin hier, weil in Nördendorf wirklich etwas passieren muss! Wenn Sie nicht eingreifen, gehen ein paar Leute hoch, die für uns alle wichtige Geschäftspartner sind. Dann bricht unsere Organisation dort zusammen und Sie wissen genau, was das bedeutet.”
„Sie erlauben, dass ich mir einen Tee genehmige”, sagte Erich. „Er ist hier wirklich exzellent. Es gibt nur wenige Lokale, in denen man weiß, wie Tee zubereitet werden sollte. Und wenn ich zwischendurch mal nach Berlin komme, dann versäume ich es nach Möglichkeit nie, hierher zu kommen, um mir diesen Genuss zu gönnen.”
„Herr Wanger, haben Sie ...” Erich Sternberg brach ab. Er sprach nicht weiter, und wahrscheinlich lag es am durchdringenden Blick seines Gegenübers.
„Ja, ich habe sehr wohl verstanden, was Sie mir gesagt haben. Sie sollten sich etwas mehr Ruhe und Gelassenheit angewöhnen, Erich. Das Geschäft ist nicht alles. Und manche Dinge fügen sich ganz von selbst so, wie Sie sollen.”
„Herr Wanger, man sagt, Sie hätten gute Beziehungen zum Polizeichef von Nördendorf.”
„So, sagt man das?”
„Jörn Narbach! Sagen mir nicht, dass Ihnen dieser Name völlig unbekannt ist, Herr Wanger.”
„Und was soll ich jetzt Ihrer Meinung nach tun?”
„Sagen Sie Narbach, dass die Lawine, die im Augenblick auf uns zurollt, etwas abbremsen soll. Mehr erwarten wir nicht. Wir brauchen Zeit. Dann können wir das Gewitter überstehen. Na ja, und ein paar Typen, die wir ohnehin loswerden wollten …”
„… könnten Sie dem Polizeichef von Nördendorf in den Rachen werfen, damit der auch ein paar Erfolge vorzuweisen hat und man außerdem keinen Verdacht schöpft.”
„Ich sehe, Sie verstehen mich, Herr Wanger. Ich habe gewusst, dass Sie mich verstehen.”
Der Tee wurde gebracht. Das Gespräch verstummte daraufhin augenblicklich.
Für einige Minuten widmete sich Ludger Wanger vollkommen dem vor ihm stehenden Gedeck. Seinem Gesicht war nicht anzumerken, was er in diesem Moment dachte.
Sehr langsam führte Ludger Wanger schließlich die Tasse zum Mund. Er wirkte dabei wie ein in sich ruhender Buddha, den nichts aus der Ruhe zu bringen vermochte.
„Ich kann Ihnen nichts versprechen”, sagte er schließlich. „Aber ich werde tun, was ich kann.”
„Ich danke Ihnen.
„Ihnen ist klar, dass ich dafür eine Gegenleistung erwarte.”
„Sicher.”
„Ich werde Sie zu gegebener Zeit wissen lassen, was Sie für mich tun können.”
„Ja, Herr Wanger.”
„Im Übrigen regele ich solche Dinge auf meine Weise.”
„Ich verstehe, Herr Wanger.”
„Das will ich hoffen. Das will ich wirklich hoffen … Und nun sehen Sie zu, ob Sie nicht doch noch irgendetwas auf der Karte finden, was Ihnen zusagt. Alles andere wäre unhöflich, und ich möchte ungern in diesem Restaurant den Ruf bekommen, mich mit unhöflichen Gästen zu verabreden. Verstehen Sie das, Sternberg?”
„Vollkommen, Herr Wanger.”
Anderthalb Stunden später verließ Erich Sternberg das Lokal.
Ludger Wanger griff derweil zu seinem Handy. Nicht zu seinem regulären Geschäftshandy, sondern zu einem preiswerten Prepaid-Gerät ohne Vertragsbindung.
Er nahm das Gerät an sein Ohr, als die Verbindung hergestellt worden war.
„Hallo? Sie wissen, wer hier spricht. Es gibt da eine Angelegenheit in Nördendorf, die umgehend geregelt werden muss … Nein, das kann man nicht noch länger hinausschieben. Es muss gehandelt werden, ehe die Sache aus dem Ruder läuft. Und zwar jetzt!”
9
Jörn Narbach, der Chef der Nördendorfer Polizei, kam an diesem Tag noch später nach Hause als sonst üblich. Seine Position war ein Fulltime Job. So kam es ihm zumindest manchmal vor.
Narbach bewohnte einen Bungalow am Rand der Stadt. Dass er dort inzwischen allein wohnte, daran musste er sich erst noch gewöhnen.
Seine Frau hatte ihn vor ein paar Monaten verlassen. Manchmal neigte er dazu, es sich leicht zu machen und all das nur auf den Job zu schieben. Seit er Chef der Polizei im Ort geworden war, hatte er tatsächlich viel mehr zu tun als früher. Aber in Wahrheit hatten wohl auch noch ein paar andere Probleme zu ihrer Trennung beigetragen. Probleme, die Jörn Narbach lange nicht hatte wahrhaben wollen.
Sie hatten sich noch während der Zeit kennengelernt, als Jörn Narbach noch aktives Mitglied beim KSK gewesen war. Sie hatten von einem gemeinsamen Leben und Kindern geträumt. Aber die Dinge hatten sich nicht ganz so entwickelt, wie es diesem Traum entsprochen hätte. Und nun war er wohl endgültig ausgeträumt.
Narbach schloss die Tür auf, kickte sie mit einem Fußtritt zu, so dass sie ins Schloss fiel. Ein Bewegungsmelder im Flur sorgte dafür, dass das Licht anging. Narbach lockerte die Krawatte und ging ins Wohnzimmer. Er gähnte. Es war ein harter Tag gewesen.
Er machte im Wohnzimmer Licht und starrte dann den Mann an, der in einem seiner Sessel Platz genommen hatte.
„Was zum Teu…”
Weiter kam er nicht, denn aus der mit einem Schalldämpfer verlängerten Waffe löste sich ein Schuss. Dann ein zweiter. Es machte ‘plop!’. Narbach brach in sich zusammen. Auf seinem Gesicht stand ein fragender Ausdruck, den der Tod gefror. Er lag ausgestreckt auf dem Boden. Das Blut sickerte aus den Schusswunden. Der Mann mit der Schalldämpfer-Waffe erhob sich aus dem Sessel, stellte sich in Schulterhöhe neben den Toten und zielte auf den Kopf.
„Sicher ist sicher”, murmelte er.
10
„Auf die Frage, ob er für eine Kandidatur für die Wahlen seines Bundeslandes zur Verfügung stehe, antwortete MdB Johannes Karwenbrinck, dass er dies ernsthaft erwäge. Eine Entscheidung sei aber noch nicht gefallen und werde zu gegebener Zeit der Öffentlichkeit mitgeteilt werden. Mehrere prominente Parteifreunde Karwenbrincks hatten sich für eine Kandidatur Karwenbrincks ausgesprochen, dem aber auch Ambitionen in Berlin nachgesagt werden. Und nun zum Wetter ...”
Auf das Wetter in den Radionachrichten hatten Rudi und ich eigentlich gewartet, während wir am nächsten Tag mit meinem Dienst-Porsche nach Nördendorf fuhren. Sofern sich das mit meinen dienstlichen Belangen in irgendeiner Weise vereinbaren ließ, nutzte ich den Dienst-Porsche nur zu gerne.
Es regnete auch heute Bindfäden. Die Scheibenwischer kamen kaum damit nach, die Sicht frei zu machen. Und so hatten Rudi und ich schweigend und ausnahmsweise mit erhöhter Aufmerksamkeit den Radionachrichten gelauscht und mit größten Hoffnungen auf den Wetterbericht gewartet. Das Ergebnis war eine Enttäuschung.
Ich stellte das Radio ab, als die Musik einsetzte.
„Ein schöner Tag wird das wohl nicht mehr”, seufzte ich.
Ein Telefonanruf von Anne Plattner, der Leiterin der Polizei in Nördendorf erreichte uns, den wir über die Freisprechanlage entgegennahmen.
„Ich habe für Sie einen Termin mit Frau Deggemann arrangiert, so dass Sie sie befragen können, genau wie Sie gewünscht haben”, sagte Anne Plattner.
„Wir sind bereits auf dem Weg nach Nördendorf”, sagte ich.
„Die Befragung kann zu Hause mit Frau Deggemann stattfinden”, fuhr Dienststellenleiterin Plattner fort. „Wir haben den ballistischen Bericht nochmal überprüfen lassen und alle Daten an Ihren Ballistiker Dr. Förnheim nach Quardenburg geschickt - den Ballistiker Ihres Herzens, wenn ich so sagen darf.”
„Dass Dr. Förnheim die Daten bekommt und seinerseits nochmal überprüft, soll keinesfalls ein Misstrauensvotum gegen die Ballistiker Ihres Büros sein”, entgegnete ich. Offenbar hatten Rudi und ich mit unseren Wünschen bei Dienststellenleiterin Plattner irgendwie einen empfindlichen Nerv getroffen. Das kam immer wieder vor und hing einfach mit der Funktion eines BKA Kriminalinspektors zusammen. Soweit das irgendmöglich war, versuchten wir solche Animositäten immer auszuräumen. Zu hundert Prozent war das leider nicht möglich.
„Und meine Bemerkung sollte auch keine Kritik an Ihrem Vorgehen sein”, erklärte Dienststellenleiterin Plattner. „Wie auch immer, dieser Mord gehört zu Ihrer Serie, das steht fest. Und insofern ist es wahrscheinlich in der Tat sinnvoll, dass sich Ihr Mann in Quardenburg die Ergebnisse im Zusammenhang vornehmen kann.”
„Es freut mich, dass Sie das auch so sehen”, sagte ich.
„Die Durchsuchung der Privaträume von Klaus Deggemann hat bis jetzt noch nichts ergeben, was irgendwie mit seiner Ermordung in Zusammenhang steht. Aber die Auswertung läuft natürlich noch. Ich habe zusätzliche personelle Kapazitäten unserer Dienststelle damit beschäftigt.”
„Das weiß ich zu schätzen.”
„Ich hoffe nur, dass das deswegen nicht zu viel anderes liegen bleibt, was auch dringend erledigt werden müsste, Herr Kubinke.”
„Ich denke, Sie werden da schon das richtige Augenmaß haben, Frau Plattner.”
„Eine Sache hat sich noch als schwierig erwiesen. Da beißen wir bislang bei der hinterbliebenen Frau Deggemann mehr oder weniger auf Granit.”
„Nämlich?”
„Die Kundendaten seiner Sicherheitsfirma.”
„Zu diesem Zweck gibt es gerichtliche Verfügungen.”
„Ja, nur wird sich das Ganze dann möglicherweise etwas hinziehen, wenn sich Frau Deggemann weiter querstellt. Vielleicht kann Ihr Charme die gute Frau ja erweichen. Meine Mitarbeiter waren da leider etwas weniger erfolgreich.”
„Ich danke Ihnen für Ihre Bemühungen.”
„Ansonsten ist alles in die Wege geleitet, um einen Zugriff auf die Daten notfalls zu erzwingen.”
Wir beendeten das Gespräch.
„Ich kann Frau Deggemann durchaus verstehen”, meinte Rudi. „Zumindest bis zu einem gewissen Grad.”
„Du meinst, was die Kundendaten der Sicherheitsfirma angeht?”
„Wenn ich dort irgendwelche Aufträge vergeben hätte, würde ich auch nicht wollen, dass Dritte darauf Zugriff haben.”
„Kommt immer ganz darauf an, welche Art von Aufträgen das waren.”
11
Das Haus der Deggemanns lag auf einem Grundstück mit dem Gebäude der Sicherheitsfirma, die Klaus Deggemann nach seinem Ausscheiden beim KSK gegründet hatte. Deggemann Security hieß sie. Der Homepage war zu entnehmen, dass man hier Sicherheitsaufgaben aller Art buchen konnte. Vom zeitweiligen Einsatz eines Kaufhausdetektivs bis zum Objektschutz mit bewaffneten Kräften, von der Observation potenziell untreuer Ehepartner oder vermeintlich krank gemeldeter Angestellter bis zum konventionellen Personenschutz für Menschen, die aus irgendeinem Grund im Fokus der Öffentlichkeit standen. Die Werbetexte eröffneten dem Interessierten ein weites Portfolio zur Verbesserung seiner persönlichen Sicherheit. Dazu gehörten auch Kurse zum Umgang und der Handhabung von Schusswaffen. Insgesamt dreißig feste Angestellte arbeiteten für das Unternehmen. Und bei Bedarf wurden wohl auch noch zusätzliche Kräfte auf Freelancer Basis verpflichtet. Zumindest gab es entsprechende Hinweise im Webauftritt der Firma, dass sich Interessenten, die über die entsprechenden Kenntnisse und Fähigkeiten verfügten, bewerben sollten.
Ich parkte den Dienst-Porsche zwischen den Fahrzeugen, die zu dem imposanten Fuhrpark von Deggemann Security gehörten. Vom SUV bis zum getarnten Pizza-Wagen war eine breite Palette für den Einsatz von Deggemanns Sicherheitskräften zu finden.
Frau Deggemann empfing uns wie abgemacht in ihrem Haus. Sie war eine kühl wirkende, dunkelhaarige Frau von zierlicher Gestalt. Ihr Blick wirkte falkenhaft. Den Tod ihres Mannes schien sie sehr gefasst aufgenommen zu haben. Aber vielleicht war sie einfach auch nur eine Frau, die wenig nach außen dringen ließ.
„Kriminalinspektor Harry Kubinke, BKA. Dies ist mein Kollege Kriminalinspektor Rudi Meier.”
„Ja, Sie wurden mir schon angekündigt”, sagte Frau Deggemann, nachdem sie uns beide einer kurzen, kritischen Musterung unterzogen hatte. Sie warf auch einen kurzen Blick auf unsere Ausweise. Ihr Gesicht zeigte dabei keine erkennbare Regung. Botox-Missbrauch oder Selbstbeherrschung, das war hier die Frage. Da sie mir für Ersteres letztlich doch etwas zu jung erschien, nahm ich Letzteres an.
„Kommen Sie herein”, sagte sie. „Ich hoffe, Sie wollen hier nicht wieder irgendwelche Durchsuchungen durchführen, wie Ihre wenig sensiblen Kollegen.”
„Die Durchsuchung der persönlichen Dinge eines Mordopfers gehört zur Routine und ist gesetzlich verankert”, sagte ich. „Wenn Ihnen dadurch Unannehmlichkeiten entstanden sind, tut es mir leid, aber ich kann daran nichts ändern.”
„Ich nenne so etwas Schnüffelei. Aber in diesem Punkt werden wir wohl kaum auf einen gemeinsamen Nenner kommen, Herr Kubinke.”
Sie führte uns ins Wohnzimmer und bot uns an, uns zu setzen. Rudi und ich nahmen in tiefen Ledersesseln Platz. Frau Deggemann blieb zunächst stehen, verschränkte die Arme vor der Brust und schien einen Augenblick lang in ihre eigene Gedankenwelt zu versinken. Vielleicht hatte sie der Tod ihres Mannes doch sehr viel tiefer getroffen, als sie das nach außen hin zu zeigen bereit war.
Schließlich setzte sie sich auf die Couch. Sie schlug ihre Beine übereinander. Ihre Körperhaltung war sehr aufrecht und wirkte steif.
„Was kann ich für Sie tun?”, fragte sie. „Ehrlich gesagt, wundert es mich ein bisschen, dass dem BKA der Tod meines Mannes so wichtig ist, dass dafür sogar Kriminalinspektoren aus Berlin anreisen.”
„Wir tun alles, um herauszufinden, wer Ihrem Mann das angetan hat”, sagte ich.
„Aber eine normale Morduntersuchung ist das nicht. Das sehe ich doch schon richtig, oder?”
„Ja, das sehen Sie richtig”, bestätigte ich. „Derselbe Täter, der Ihren Mann umgebracht hat, hat noch zwei andere Morde begangen. Die Waffe ist dieselbe, die Tatumstände gleichen sich. Da die Taten in unterschiedlichen Bundesländern begangen wurden, ist das BKA in Berlin tätig geworden.”
„Ich verstehe. Wer waren die beiden anderen Opfer?”
„Zwei Kommissare”, sagte Rudi.
Ich hatte es bisher vermieden, dies zu erwähnen. Schon deshalb, um den Anschein zu vermeiden, dass nur deswegen ein so großer Aufwand in diesem Fall betrieben wurde, weil unsere Kollegen betroffen waren.
„Jetzt suchen wir natürlich nach Verbindungen und Gemeinsamkeiten”, sagte ich. „Möglicherweise sind Ihnen die Opfer schon mal begegnet, weil sie mit Ihrem Mann bekannt waren. Es kann auch sein, dass sie irgendwann mal dienstlich mit ihm zu tun hatten, denn die Aufgabengebiete privater Sicherheitsdienste und der Polizei überschneiden sich ja auch hin und wieder.”
Ich beugte mich vor und zeigte ihr auf dem Smartphone ein Bild von Gieselher Denner. „Der Name steht darunter”, sagte ich.
„Ich habe diesen Mann noch nie gesehen”, war sie sich sicher.
„Und den Namen? Haben Sie den irgendwann mal gehört? Gieselher Denner?”
„Nein.”
Sie sagte es sehr schnell. Aber ob sie etwas verbergen und mich abwimmeln wollte oder sich einfach nur sehr sicher war, konnte man ihr beim besten Willen nicht ansehen. Zu unbewegt waren ihre Gesichtszüge.
„Und Pascal Barkow?”
Ich zeigte ihr auch dessen Foto.
„Auch nicht.” Sie atmete tief durch. Barkow hatte sie nur eines sehr kurzen Blickes gewürdigt. „Wissen Sie, es kommt nicht oft vor, dass wir etwas mit dem BKA zu tun haben. Wir schützen Objekte und Personen. Das macht neunzig Prozent unserer Arbeit aus. Und manchmal stellen wir auch Nachforschungen an, beispielsweise, wenn es in den Lagerbeständen eines Unternehmens zum Verschwinden von Handelsware kommt oder aus tausend anderen denkbaren Gründen.”
„Bitte denken Sie genau darüber nach”, bat ich sie noch einmal. „Derselbe Mörder hat nacheinander drei Männer auf dieselbe Weise umgebracht. Es muss eine Gemeinsamkeit zwischen ihnen geben.”
„Es tut mir leid, Ihnen da nicht weiterhelfen zu können.”
„Möglicherweise haben die Kollegen Denner und Barkow mal einen Ihrer Schießkurse besucht”, meinte Rudi. „Sie bieten doch so etwas an. Inklusive Verhalten beim Häuserkampf und ähnliches, wobei ich mich ehrlich gesagt frage, wer so etwas bucht.”
„Die Nachfrage besteht”, sagte Frau Deggemann. „Andernfalls sähe die Bilanz unserer Firma nicht so blendend aus. Es gibt eben Leute, die befürchten, dass jederzeit in Deutschland ein Bürgerkrieg ausbrechen könnte und dass es deswegen gut ist, wenn man sich darauf entsprechend vorbereitet. Aber ich weiß sehr wohl, worauf Sie eigentlich hinauswollen.”
„Ach, ja?”, fragte Rudi.
„Auf die Firmendaten. Die Namen der Kursteilnehmer bekommen Sie genau wie alle anderen Kundendaten von Deggemann Security nur, wenn ein Richter das anordnet. Und auch dann werde ich alles juristisch Machbare tun, um das zu verhindern.”
„Wir dachten eigentlich, dass Sie daran interessiert wären, uns bei der Aufklärung des Mordes an Ihrem Mann zu helfen”, wandte ich ein.
„Ja, das bin ich auch”, sagte sie nun, wobei ihre Stimme ungewohnt emotional klang. Wir waren offenbar an einem Punkt angelangt, der sie wirklich im Innersten aufregte, so sehr sie auch versuchte, dies zu verbergen. „Aber wissen Sie, was mir noch mehr am Herzen liegt? Dass die Firma meines Mannes weiter existiert, damit unsere Söhne ihr Elite-Hochschule besuchen können und die dreißig Mann in unserer Firma - nicht gerechnet all die Hilfskräfte, die wir nur zeitweilig beschäftigen - auch in Zukunft weiter existiert. Und unser wichtigstes Kapital ist nun mal das Vertrauen unserer Kunden. Die Kunden müssen damit rechnen können, dass alles, was sie uns anvertrauen oder was hier bei unseren Ermittlungen herausbekommen, absolut top secret ist und die Räumlichkeiten von Deggemann Security nicht verlässt.”
„Das verstehe ich.”
„Dann verstehen Sie ja vielleicht auch, weshalb ich etwas dagegen habe, wenn in diesem hochsensiblen Datenbestand von Unbefugten herumgesucht wird. Und jetzt kommen Sie mir nicht mit dem Argument, dass Kunden, die gegen kein Gesetz verstoßen haben, auch nichts befürchten müssten.”
„Wir werden diese Daten bekommen, Frau Deggemann. So oder so”, kündigte ich an. „Die entsprechenden Schritte sind bereits eingeleitet. Möglicherweise können Sie das alles etwas verzögern, aber Sie werden es nicht behindern können.”
„Das werden wir sehen.”
„Dann nehmen Sie in Kauf, dass sich die Ermittlungen verzögern. Und das wiederum nützt letztlich nur dem Täter.”
„Alles, was es dazu zu sagen gab, habe ich Ihnen gesagt”, erklärte sie und hob dabei das Kinn. Ihr Gesicht wirkte wie eine Maske. Aber ihr Blick drückte Entschlossenheit aus. Ich hatte das Gefühl, dass wir in diesem Punkt bei ihr wohl auf Granit bissen.
„Überlegen Sie sich bitte gut, ob Sie in dieser Sache nicht doch über Ihren Schatten springen können”, versuchte es Rudi noch einmal. Aber er hatte ebenso wenig Erfolg wie ich. Der Zug war wohl abgefahren.
„Wenn ich Ihnen auf irgendeine andere Weise helfen kann, den Tod meines Mannes aufzuklären, werde ich das gerne tun”, sagte sie. „Aber nicht, indem ich das Lebenswerk meines Mannes zerstöre - und das ist diese Firma.”
„Okay, dann beantworten Sie uns vielleicht einfach noch ein paar Fragen”, sagte ich. „Und falls Ihnen später noch irgendetwas einfallen sollte, können Sie sich jederzeit melden.” Ich legte eine der Karten auf den Tisch, die das BKA für uns drucken lässt.
Sie warf nur einen kurzen Blick darauf, bewegte sich dabei aber so gut wie gar nicht.
„Fragen Sie!”, forderte sie mich auf.
„Zunächst mal: Ihre Sicherheitsfirma wird mit einem ziemlich großen Aufwand betrieben. Ich habe den Fuhrpark da draußen gesehen. Das Gebäude, die Angestellten. Dreißig Mann, sagten Sie - und zusätzlich noch ...”
„Worauf wollen Sie hinaus?”, unterbrach mich Frau Deggemann kühl. „Und vor allem: Was hat das mit dem Tod meines Mannes zu tun?”
„Das weiß ich noch nicht, aber wir müssen irgendwo anfangen. Und das bedeutet zunächst mal, dass wir uns über die Opfer ein genaues Bild machen müssen.”
„Und wie wäre dann Ihre Frage?”
„Ich nehme an, so eine Firma gründet man nicht einfach so aus dem Nichts. Das braucht eine Menge Anfangskapital. Und selbst wenn man erfolgreich arbeitet, dürften die ersten Schritte nicht einfach sein.”
„Das Anfangskapital hat mein Mann selbst aufgebracht. Soweit ich weiß, stammte aus einer Abfindung, die er für seine Zeit beim KSK bekommen hat.”
„Hatte Ihr Mann noch Kontakt zu anderen Ehemaligen noch aktiven Personen des KSK, mit denen er damals zusammen gedient hat?”
„Kaum.”
„Was heißt kaum?”
„Da war eine, sein Name war Norbert. Norbert Vendros. Mein Mann musste ihm bei mehreren Gelegenheiten aus der Klemme helfen.”
„Was darf ich darunter verstehen?”
„Das weiß ich nicht genau. Aber im Wesentlichen ging es wohl darum, dass er Schwierigkeiten mit dem Gesetz und dem Geld hatte. Mein Mann hat ihm zwischenzeitlich sogar einen Job in der Firma gegeben. Aber dazu war er nicht der richtige Mann.”
„Inwiefern?”
„Zu impulsiv. Wir brauchen keine Rambos bei uns, sondern Leute, die eine Situation sicher und ruhig abschätzen und entsprechend reagieren können.”
„Verstehe.”
„Ich will nicht in die Einzelheiten gehen, aber es lief darauf hinaus, dass Vendros jemandem die Nase gebrochen hat. Da war er nicht mehr tragbar.”
„Wissen Sie, was er jetzt macht?”
„Er sitzt im Gefängnis, soweit ich weiß. Aus irgendeinem Grund hat Klaus allerdings auch dann noch den Kontakt zu ihm gehalten. Aber ich verstehe nicht, wieso das so wichtig ist? Seine Zeit beim KSK liegt lange zurück. Ich habe ihn auch erst danach kennengelernt.”
„Ihr Mann wurde erschossen und bekam noch einen Kopfschuss, als er schon am Boden lag. Das Canoeing ist unter anderem bei Kommando-Unternehmen des KSK eine verbreitete, wenn auch nicht gern gesehene Praxis.”
Ihr Gesicht blieb auch jetzt noch vollkommen unbewegt. Diese Einzelheiten über den Mord an ihren Mann hatte ihr niemand mitgeteilt. Wenn Sie schockiert war, konnte sie es gut verbergen. Jedenfalls zog sie sofort den richtigen Schluss.
„Sie glauben, dass der Täter ein Soldat des KSK war?”
„Ob nun ein aktiver oder ein ehemaliger - ja!”, bestätigte ich.
„Jetzt ergibt Ihre Fragerei auch einen Sinn”, sagte sie. „Aber wieso sollte ein ehemaliger Soldat des KSK meinen Mann umbringen?”
„Ihren Mann und zwei Kommissare”, ergänzte ich. „Genau darüber zerbrechen wir uns den Kopf. Wir glauben da nicht an einen Zufall.”
„Ich auch nicht”, sagte sie. „Das heißt allerdings nicht, dass ich Ihnen da in irgendeiner Weise weiterhelfen könnte.”
„Sie könnten uns so viel über Klaus Deggemanns Zeit beim KSK erzählen, wie Sie wissen.”
„Da kommt nicht viel zusammen, fürchte ich. Er hat kaum jemals darüber gesprochen. Und wie ich Ihnen schon sagte, hatte er auch so gut wie keine Kontakte zu ehemaligen Mitgliedern seiner Einheit oder so. Dieser Norbert Vendros war eine absolute Ausnahme, und ich erinnere mich noch genau daran, dass er nicht sehr glücklich darüber war, dass Vendros hier auftauchte.”
„Haben Sie schon Vorbereitungen für die Beerdigung getroffen?”, fragte Rudi.
„Der Leichnam ist noch nicht freigegeben.“
„Aber Sie werden sich doch sicher überlegt haben, wen Sie einladen”, beharrte Rudi.
„Es werden ungefähr zweihundert Gäste sein. Klaus war hier ein bekannter und geachteter Bürger, der viele Kontakte hatte.”
„Kein ehemaliger Soldat des KSK darunter? Jemand aus seiner Einheit?”
„Nein. Ich wüsste auch nicht einmal, wen ich da anschreiben sollte, weil es da keine Kontakte gab, wie ich Ihnen auch schon gesagt habe.”
„Hatte Ihr Mann vielleicht irgendwelche Erinnerungsstücke?”, fragte jetzt ich. „Fotos zum Beispiel, die ihn mit seiner Einheit zeigen oder so?”
„Ihre Kollegen haben seine Sachen bereits gründlich durchsucht und alles mitgenommen, wovon sie glauben, dass es irgendeine Bedeutung haben könnte.” In ihren Tonfall mischte sich jetzt eine unüberhörbare Portion Gereiztheit. Die glatte Lackoberfläche ihrer Coolness schien ein paar unübersehbare Kratzer bekommen zu haben. Ich fragte mich warum. Und warum gerade bei diesem Punkt. „Sie können gerne auch nochmal alles durchwühlen, wenn Sie wollen”, bot sie uns an. „Aufgeräumt habe ich noch nicht. Offenbar eine gute Entscheidung. Und wer weiß, vielleicht kommen Sie auch noch ein drittes Mal!”
12
Wir nahmen Frau Deggemanns Angebot an und sahen uns tatsächlich noch einmal in seinen Sachen um. Fotos über seine Zeit beim KSK gab es da tatsächlich nicht. Ich rief Dienststellenleiterin Plattner an, um nachzufragen, ob irgendetwas in der Art sichergestellt worden war. Das war nicht der Fall, wie ich nach ihrem Rückruf eine Viertelstunde später erfuhr.
Als wir wieder ins Freie gingen, hatte der Regen leicht nachgelassen. Aber bis wir wieder im Dienst-Porsche saßen, klebte uns trotzdem das Haar feucht am Kopf.
Nördendorf glich einer Waschküche.
„Rudi, das kann nicht wahr sein”, meinte ich, als ich wieder hinter dem Steuer des Dienst-Porsche saß.
„Was meinst du jetzt, Harry?”
„Ich meine das, was uns Frau Deggemann gerade erzählt hat. Ein Soldat der Spezialkräfte, der nicht einmal ein Bild seiner Einheit aufbewahrt hat.”
„Ist aber offensichtlich so.”
„Also das ist eine Elite-Einheit. Die kommt ohne einen besonderen Zusammenhalt nicht aus. Der Corps-Geist ist was Heiliges und sehr häufig dauern Freundschaften zwischen den Männern aus dieser Zeit länger als so manche Ehe.”
„Ja, du hast ja recht …”
„Kennst du einen Veteranen, ohne irgendeinen Heiligenschrein mit Fotos von der Einheit und solchen Dingen? Orden, Auszeichnungen …” Ich schüttelte den Kopf. „Deggemann hat nichts aus dieser Zeit aufbewahrt.”
„Mal vorausgesetzt, dass es nicht nach seinem Tod jemand verschwinden ließ?”
„Die Ehefrau?”
„Harry, wir sind dabei zu spekulieren. Eine Grundlage für das, was wir hier reden, gibt es nicht. Das weißt du so gut wie ich.”
Wir schwiegen eine Weile.
Eins war klar: das Gespräch mit Frau Deggemann würde mich gedanklich noch eine ganze Weile beschäftigen.
„Ich hätte erwartet, dass Deggemann in Uniform, mit einer Fahne auf dem Sarg und dem Salut seiner Kameraden beerdigt wird. Offenbar ist aber nichts in diese Richtung geplant. Denk mal darüber nach, Rudi! Kannst du dir darauf einen Reim machen?”
„Es könnte sein, dass Klaus Deggemann aus irgendeinem Grund mit seiner Vergangenheit beim KSK gebrochen hat”, sagte Rudi.
„Okay, dann bin ich immerhin nicht der einzige, der diesen Gedanken hat! Was könnte das sein? Ist da damals irgendetwas vorgefallen?”
„Die Frage ist, ob es etwas mit unserem Fall zu tun hat, Harry!”
„Bei drei Toten mit gespaltenen Schädeln würde ich das mal vermuten, Rudi!”
„Drei”, echote Rudi. „Genau das ist nämlich der Punkt. Es sind drei Ermordete. Und zwei davon hatten mit dem KSK nie etwas zu tun. Deswegen weiß ich nicht, ob wir da nicht auf dem Holzweg sind, Harry.”
„Vielleicht kann uns dieser Norbert Vendros dazu etwas mehr sagen.”
„Glaubst du wirklich?”
„Er war anscheinend der einzige der Kameraden von damals, mit dem Klaus Deggemann noch Kontakt hielt.”
„Was versprichst du dir davon, Harry? Das ist ein Holzweg.”
„Vendros könnte uns vielleicht die Dinge sagen, die Frau Deggemann entweder nicht wusste oder uns nicht sagen wollte. So hundertprozentig sicher bin ich mir da nämlich nicht.”
Rudi seufzte.
„Müsste ja wohl möglich sein, einen Besuchstermin bei Herr Vendros zu bekommen.”
„Jedenfalls läuft er uns nicht weg.”
Wir bekamen einen Anruf. Es war noch einmal Dienststellenleiterin Plattner.
„Es gibt schlechte Nachrichten”, sagte sie. „Ihre Serie hat ein viertes Opfer.”
„Wer ist es?”, fragte ich.
„Jörn Narbach, der Polizeichef von Nördendorf. Ich kann es ehrlich gesagt noch immer kaum fassen. Jörn und ich haben jahrelang sehr gut und intensiv zusammengearbeitet.”
13
Zwanzig Minuten später trafen wir beim Tatort ein. Es war das Haus von Jörn Narbach, dem Chef der Nördendorfer Polizei.
Immerhin hatte der Regen etwas nachgelassen.
Ich stellte den Dienst-Porsche zu den Einsatzfahrzeugen, die sich in der eigentlich breiten Straße drängten. Wir stiegen aus. Ein Stück weiter erkannte ich die Kollegin Plattner, die sich bemühte, nicht allzu nass zu werden und möglichst schnell zur Haustür zu gelangen.
Dass die Leiterin der hiesigen Polizei sich persönlich zum Tatort bemühte, war ausgesprochen ungewöhnlich. Aber es zeigte, welchen Stellenwert sie diesem Fall zumaß.
Dass der Polizeichef einer mittelgroßen Stadt wie Nördendorf umgebracht wurde, geschah schließlich nicht alle Tage. Und davon abgesehen glaubte ich Frau Plattner gerne, dass sie in der Vergangenheit eng mit Narbach zusammengearbeitet hatte.
Wir trafen kurz nach Plattner an der Haustür ein.
Ein Beamter der Polizei sichtete kurz unsere Dienstausweise.
„Gehen Sie rein”, sagte er. „Der Gerichtsmediziner ist noch nicht eingetroffen. Der muss durch die halbe Stadt und das dauert im Moment etwas, weil wir eine üble Baustelle in der Stadt haben.”
Wenig später befanden wir uns im Wohnzimmer.
Dienststellenleiterin Plattner nickte uns zu. Dann stellte sie uns dem ermittelnden Kommissar vor. Sein Name war Brökings.
Auf dem Boden lag das Opfer. So, wie der Mörder es hinterlassen hatte. Der Kopf sah furchtbar aus. So einen Anblick vergisst man nicht.
Ich bemerkte, dass Frau Plattner - äußerlich eher ein mütterlich wirkender Typ - schlucken musste. Davon abgesehen, dass sie als Leiterin der hiesigen Polizei vermutlich schon seit Jahren keine Arbeit am Tatort mehr geleitet hatte, machte sich nun wohl auch bemerkbar, dass sie mit Narbach jemanden verloren hatte, der ihr abgesehen von der guten Zusammenarbeit wohl auch menschlich nahegestanden hatte.
„Was haben Sie bisher ermitteln können, Herr Brökings?”, fragte Frau Plattner. Ihre Stimme war belegt.
„Jörn Narbach ist wahrscheinlich schon in der letzten Nacht umgekommen. Wir wissen, wann er sein Büro verließ, wir wissen, wann er ungefähr angekommen sein muss. Wir haben zwar noch kein Statement vom Gerichtsmediziner und keinen ballistischen Bericht, aber die anderen Spuren sprechen für sich.”
„Was ist genau passiert?”, wollte ich wissen.
„Narbach kam nach Hause und der Täter hat hier auf ihn gewartet. Dann gab es zwei Schüsse, die Narbach töteten.”
„Und einen dritten, der seinen Schädel spaltete”, schloss ich.
Brökings nickte.
„Abgegeben aus unmittelbarer Nähe von oben. Deswegen gehört der Fall sehr wahrscheinlich in Ihre Serie, denn so viele Killer, die das machen, laufen nicht frei herum.”
„Warum wurde der Mord erst jetzt bemerkt?”, fragte ich.
„Jörn Narbach ist heute nicht zum Dienst erschienen. Zuerst dachten seine Leute, dass er sich vielleicht einfach ein paar Stunden Ausgleich nimmt, weil er schließlich am Tag zuvor sich die halbe Nacht um die Ohren geschlagen hat. Aber dann musste etwas verwaltungstechnisches geregelt werden, wozu die Unterschrift des Chefs gebraucht wurde. Man hat versucht, Narbach telefonisch zu erreichen. Es hat niemand abgenommen. Ein Kollege wurde hergeschickt und hat ihn gefunden.”
„Lebte Narbach allein?”, fragte ich.
„Seine Frau hat sich von ihm getrennt”, sagte Brökings.
„Und wie ist der Täter ins Haus gekommen?”
Brökings deutete auf die Balkontür.
„Auf die ganz einfache, rustikale Art. Was Einbruch betrifft, war das auf jeden Fall kein Profi, das steht fest.”
Ich sah erst jetzt das Loch in der Scheibe.
„Er hat hier auf sein Opfer gewartet”, schloss Rudi. „Offenbar wusste er gut über Narbach Bescheid. Zum Beispiel, dass er nicht befürchten musste, auf eine Ehefrau zu treffen.”
„Ach ja, das dürfte Sie interessieren”, sagte Herr Brökings. „Jörn Narbach und seine Polizeibehörde waren im Augenblick mit einer groß angelegten Operation gegen einen Drogenhändlerring beschäftigt. Dieser Ring gehörte mutmaßlich zu einer Organisation, als deren Kopf ein gewisser Ludger Wanger aus Frankfurt angesehen wird.”
„Sie meinen, da besteht ein Zusammenhang?”, fragte ich.
Brökings zuckte mit den Schultern.
„Was soll ich dazu sagen?”
„Unsere Dienststelle war an dieser Operation auch beteiligt”, sagte Frau Plattner. „Allerdings haben sich die Ermittlungen in letzter Zeit etwas verzögert, aber im Prinzip standen wir kurz vor dem Durchbruch.”
„Ich bin überzeugt davon, dass der ballistische Bericht ergeben wird, dass wir es mit demselben Täter zu tun haben, der Denner, Barkow und Deggemann umgebracht hat”, meinte Rudi.
„Ja”, murmelte ich. „Und jetzt geht es darum, einen gemeinsamen Nenner zu finden.” Ich atmete tief durch. „Einen gemeinsamen Nenner zwischen zwei Kommissaren, einem ehemaligen Elitesoldat des KSK und dem Polizeichef von Nördendorf.”
„Narbach ist ebenfalls ein Ex-Mitglied des KSK”, erklärte Frau Plattner.
Ich sah sie überrascht an.
„Woher wissen Sie das? Hat er Ihnen gegenüber darüber gesprochen?”
„Nein, nie. Aber als er sich hier in der Stadt für den Posten des Polizeichefs beworben hat, wurde unser Präsidium durch den Bürgermeister gebeten, eine Sicherheitsüberprüfung der Kandidaten durchzuführen. Ich kenne daher den Lebenslauf von Polizeichef Narbach. Und dieser Punkt ist mir in Erinnerung geblieben.”
„Dann will ich wissen, in welcher Einheit er gedient hat”, sagte ich.