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Dieses Ebook enthält folgende Romane: (999) Alfred Bekker : Maulwurfjagd Alfred Bekker : Caravaggio verschwindet Alfred Bekker : Stirb, McKee! Alfred Bekker : Der Augenschließer Henry Rohmer: Alain Boulanger und die baskischen Verschwörer Thomas West: Planung ist alles Thomas West: Ein Köder als Maulwurf Der Tod kam lautlos. Und blitzschnell. MPis knatterten los. Die Schussgeräusche dröhnten ohrenbetäubend durch den stillgelegten U-Bahn-Tunnel. Todesschreie gellten. Binnen Sekunden lagen zwei blutüberströmte Leichen neben dem Lagerfeuer. Die Projektile fetzten durch die stockigen Matratzen, auf denen die beiden Obdachlosen gelagert hatten. Blitzartig riss ich die Pistole unter dem abgewetzten Parka hervor, feuerte zweimal und warf mich dann zur Seite. Hart kam ich auf den Boden, rollte mich herum, während die Maskierten einen wahren Bleihagel in meine Richtung prasseln ließen. Projektile peitschten neben den Schienenstrang auf den Boden und streiften die Stahlgleise. Funken sprühten.
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7 Krimi Volltreffer Dezember 2023: Krimi Paket
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Maulwurfjagd
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Caravaggio verschwindet
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Stirb, McKee!
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Alfred Bekker | Der Augenschließer
Der Augenschließer
Alain Boulanger und die baskischen Verschwörer
Planung ist alles
Ein Köder für den Maulwurf
Dieses Ebook enthält folgende Romane:
Alfred Bekker : Maulwurfjagd
Alfred Bekker : Caravaggio verschwindet
Alfred Bekker : Stirb, McKee!
Alfred Bekker : Der Augenschließer
Henry Rohmer: Alain Boulanger und die baskischen Verschwörer
Thomas West: Planung ist alles
Thomas West: Ein Köder als Maulwurf
Der Tod kam lautlos.
Und blitzschnell.
MPis knatterten los. Die Schussgeräusche dröhnten ohrenbetäubend durch den stillgelegten U-Bahn-Tunnel.
Todesschreie gellten.
Binnen Sekunden lagen zwei blutüberströmte Leichen neben dem Lagerfeuer. Die Projektile fetzten durch die stockigen Matratzen, auf denen die beiden Obdachlosen gelagert hatten.
Blitzartig riss ich die Pistole unter dem abgewetzten Parka hervor, feuerte zweimal und warf mich dann zur Seite. Hart kam ich auf den Boden, rollte mich herum, während die Maskierten einen wahren Bleihagel in meine Richtung prasseln ließen.
Projektile peitschten neben den Schienenstrang auf den Boden und streiften die Stahlgleise.
Funken sprühten.
Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von
Alfred Bekker
© Roman by Author
© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen
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Alles rund um Belletristik!
Thriller von Alfred Bekker
Der Tod kam lautlos.
Und blitzschnell.
MPis knatterten los. Die Schussgeräusche dröhnten ohrenbetäubend durch den stillgelegten U-Bahn-Tunnel.
Todesschreie gellten.
Binnen Sekunden lagen zwei blutüberströmte Leichen neben dem Lagerfeuer. Die Projektile fetzten durch die stockigen Matratzen, auf denen die beiden Obdachlosen gelagert hatten.
Blitzartig riss ich die Pistole unter dem abgewetzten Parka hervor, feuerte zweimal und warf mich dann zur Seite. Hart kam ich auf den Boden, rollte mich herum, während die Maskierten einen wahren Bleihagel in meine Richtung prasseln ließen.
Projektile peitschten neben den Schienenstrang auf den Boden und streiften die Stahlgleise.
Funken sprühten.
Ich riss die SIG Sauer P226 empor. Dreimal schoss ich kurz hintereinander in die Dunkelheit hinein. Dann rappelte ich mich auf, sprang über die Gleise und feuerte erneut. Sekunden später hatte ich die Tunnelwand erreicht. In einer Nische fand ich Deckung. Ich presste mich gegen den Beton.
Das Feuer verebbte.
Schritte waren zu hören.
Und knappe Befehle.
Ich steckte in der Falle.
Ich tauchte aus meiner Deckung hervor. Im Schein des Lagerfeuers sah ich einige Maskierte. Es waren mindestens ein Dutzend Mann.Sie trugen Sturmhauben und Nachtsichtgeräte.
Ein Schuss zischte an mir vorbei, ritzte den Beton des Tunnels. Ich feuerte zurück, erwischte einen der Kerle am Arm und hechtete hinter eine ausgediente Schrankwand, die von den Obdachlosen hier hinuntergeschafft worden war. Eine MPi-Salve ließ die Spanplatten zersplittern.
Ich schnellte hoch.
Vor mir lag der lange dunkle Tunnel, zwei, drei Stockwerke unterhalb der Bowery gelegen. Die Dunkelheit machte meinen Verfolgern nichts aus. Sie waren dafür ausgerüstet. Ich nicht - und das hatte einen ganz einfachen Grund. Ich war im Undercover-Einsatz. Die Männer, mit denen ich am Lagerfeuer gesessen hatte, hatten nicht gewusst, dass ich ein Special Agent des FBI war. In dem Fall hätten sie auch kaum ein Wort mit mir geredet.
Wenn ich ein Nachtsichtgerät getragen hätte, wären sie misstrauisch geworden.
Ich hatte auch keinen Dienstausweis dabei. Nur die Dienstpistole vom Typ SIG Sauer P226. Aber die war so verbreitet, dass nicht jeder, der das Ding zu Gesicht bekam, gleich auf einen Cop schloss.
Oder einen G-man, wie mich.
Ich rannte um mein Leben, denn die Killer würden kein Erbarmen kennen.
Und gleichzeitig arbeitete es in meinem Hirn fieberhaft.
Wer hatte diese Mörder ausgesandt?
Ich lief in geduckter Haltung, dann erreichte ich endlich die Abzweigung. Das war meine Rettung. Die Kerle folgten mir.
Ich hörte ihre Schritte und ihre Stimmen.
Sie waren davon überzeugt, mich zur Stecke bringen zu können. Und sie hatten allen Grund für ihre Zuversicht. Sie waren in der Überzahl und hatten die bessere Ausrüstung. Und sie kannten sich hervorragend in dem unterirdischen Labyrinth aus Subway-Tunneln und Abwasserkanälen aus, das man im Verlauf der letzten 140 Jahre in den Boden der Riesenstadt New York City hineingegraben hatte.
Wie die Gänge eines Maulwurfbaus durchzogen diese Katakomben den Erdboden, viele Meter unterhalb von Broadway und den schicken Läden der 5th Avenue.
Und ein großer Teil dieses Maulwurfbaus war mehr oder minder vergessen. Stillgelegte U-Bahnschächte, Abflusskanäle, deren Funktion längst und lange von anderen Leitungen übernommen worden waren. Manche von ihnen wurden zu reißenden Flüssen, wenn es regnete.
'Mole People' - Maulwurfsmenschen - nannte man die Menschen, die in diesen Gewölben zwischen verrußtem Beton, morschen Schwellen von Subway-Gleisen und Ratten ihr Dasein fristeten.
Auf etwa 5000 schätzte die Stadtverwaltung ihre Zahl - was eigentlich nur bedeuten konnte, dass sie weitaus größer sein musste. Ausgestoßene, Obdachlose und Gescheiterte waren hier zu finden. Manchmal auch psychisch Kranke, die die Welt 'da oben' ausgespuckt hatte.
Welche Gründe es im Einzelfall auch immer dafür geben mochte, in diesen unterirdischen Betongewölben zu hausen, nichtsdestotrotz sie waren Menschen.
Und es hatte niemand das Recht, sie einfach über den Haufen zu schießen, so wie es vor wenigen Augenblicken mit Sid und Brett geschehen war - den beiden Männern, mit denen ich am Feuer gesessen hatte.
Ich holte Atem, drehte mich vorsichtig um. Die Luft war feucht. Von irgendwoher war ein kratzender Laut zu hören.
Ratten.
Ich drehte mich kurz herum.
Jeden Augenblick mussten meine Verfolger auftauchen.
Vor mir lag tiefschwarze Dunkelheit, in der man nicht einmal die Hand vor Augen sehen konnte. Ich holte die Taschenlampe aus der Parka-Tasche. Kein Modell, das hier unten irgendjemanden neidisch gemacht hätte.
Das konnte nämlich lebensgefährlich sein.
Ich lief weiter und stolperte über die dicken Schwellen zwischen den Gleisen.
Ich versuchte mich an der Betonwand zu orientieren, denn ich wusste, dass hier irgendwo das zu finden war, wonach ich suchte.
Etwas, das mein Leben retten konnte.
Ich tastete die Wand entlang. Die P226 hatte ich wieder in die Taschen des fleckigen Parkas gesteckt, den ich für meine Underground-Mission trug. Mit der Waffe konnte ich jetzt ohnehin kaum etwas ausrichten.
Und dann hatte ich es gefunden!
In einer Nische befand sich der Zugang zu einem Abflusskanal, der dafür sorgen sollte, dass die Subway nicht unter Wasser stand, wenn es über der Erde schüttete.
Ich rollte den Betondeckel zur Seite, stieg hinunter. Die Röhre, in der ich mich befand, war gerade groß genug für mich. Vorsichtig rutschte ich den Deckel wieder an seinen Ort. Dann stieg ich an den rostigen Sprossen hinab.
Von oben hörte ich die Schritte der Verfolger.
Einer schien zu glauben, mich gesehen zu haben und ballerte im Tunnel herum.
Ich stieg weiter hinab.
Sid und Brett hatten mir diesen Fluchtweg gezeigt. Für sie war ich einer der ihren gewesen und so hatten sie mich und meinen Kollegen Milo Tucker in dieses Geheimnis eingeweiht.
Oft genug durchstreiften Jugendbanden die Katakomben New Yorks. Die waren dann für gewöhnlich einfach nur auf Konfrontation aus und machten Jagd auf die 'Mole People'. Und da konnte so ein Fluchtweg sehr wichtig sein.
Ich hatte keine Ahnung, wo Milo jetzt war.
Zusammen mit Crazy Joe, einem anderen Bewohner dieser Untergrund-Stadt, war er aufgebrochen, um einen Mann zu finden, den hier alle den Tunnel King nannten und der uns möglicherweise wichtige Informationen liefern konnte.
Ich hoffte nur, dass Milo und Crazy Joe der Killer-Bande nicht geradewegs in die Arme gelaufen waren...
Ich erreichte das Ende des röhrenförmigen Abflusses. Er mündeten in einen großen Kanal. Ich stand bis zu den Knien im schlammigem Wasser. Aus der Dunkelheit heraus kam ein heimtückischer Schlag. Ich sah ihn erst im letzten Moment, versuchte noch auszuweichen, aber es war zu spät.
Ein Gewehrkolben erwischte mich in der Seite. Hart kam ich gegen die Betonwand. Während der Lichtkegel meiner Taschenlampe herumwirbelte, sah ich schlaglichtartig ein halbes Dutzend Waffenmündungen, die direkt auf mich zeigten.
Und die maskierten Gesichter...
Mit den Nachtsichtgeräten wirkten sie wie Aliens.
Ritsch! Ratsch!
Jemand hatte eine Pumpgun durchgeladen und rammte mir die Mündung in den Bauch.
"Wenn du auch nur zu atmen wagst, du Bastard, bist du nur noch 'n blutiger Fleck an der Wand!" zischte mir einer entgegen. Seine Stimme war leise und sehr heiser. Er kicherte und fuhr fort: "DEN Fluchtweg kannten wir auch..."
"Worauf wartest du?", meinte ein anderer. "Mach das Schwein alle..."
Einige Wochen waren Milo und ich schon im Undercover-Einsatz bei den 'Mole-People'. Es dauerte eine Weile, bis man das Vertrauen der scheuen Bewohner dieses städtischen Höhlensystems erringen konnte.
Sobald einer von ihnen auch nur ahnte, dass wir Special Agents des FBI waren, hätten wir keinen von ihnen je wiedergesehen.
Sie misstrauten jedem, auch denen, die ihnen helfen wollten. Und ihre Erfahrungen mit Cops und Behörden waren nicht gerade so, dass sie jedem Polizisten oder Streetworker gleich ihr Herz ausschütteten. Das Problem der Tunnelmenschen, wie man sie auch nannte, war erst in letzter etwas stärker ins Bewusstsein der Behörden gerückt.
Wir vom FBI kümmerten uns um die 'Mole People', seit eine mysteriöse Mordserie unter diesen Menschen die Homicide Squads mehrerer New Yorker Polizeireviere zum Rotieren gebracht hatte.
Das Leben in den Katakomben war außerordentlich hart. Neben der Kälte im Winter, sowie unbehandelten und daher meist tödlichen Infektionskrankheiten forderten auch immer wieder gewaltsame Auseinandersetzungen ihre Opfer.
Aber das, womit wir uns hier auseinanderzusetzen hatten, ging weit über alles hinaus, was bisher bekanntgeworden war.
Dutzende von Tunnelmenschen waren im Verlauf von Monaten zunächst verschwunden und später tot aufgefunden worden.
Das Besondere war, dass irgendjemand ihnen alle lebenswichtigen Organe entnommen hatte. Den meisten fehlten die Nieren, die Leber, das Herz... Bei manchen auch die Hornhaut der Augen. Die Obduktionen hatten ergeben, dass die Toten nach allen Regeln der Kunst anästhesiert und operiert worden waren.
Aus ihrer Betäubung hatte es für die Opfer kein Erwachen mehr gegeben.
Todesursache: Das Fehlen lebenswichtiger Organe.
Andere waren mit Genickschüssen getötet worden, bevor man ihren Leichen einige Organe entnommen hatte.
Die Umstände dieser Morde ließen eigentlich nur einen einzigen Schluss zu.
Wer immer auch hier unten auf Menschenjagd ging - die Killer hatten es auf die Organe abgesehen. Und die Vorgehensweise richtete sich offenbar jeweils danach, welches Organ benötigt wurde und ob es möglich war, die Transplantation auch noch einige Zeit nach dem Ableben durchzuführen oder nicht.
Es war grauenvoll, was diese Unbekannten mit den Mole People taten. Die Mörder schienen zu glauben, dass der Tod eines dieser Tunnelmenschen an der Oberfläche niemanden interessierte. Auch die Cops nicht.
Aber da hatten sie ihre Rechnung ohne uns G-men gemacht!
Illegaler Handel mit menschlichen Organen zur Transplantation war längst ein eigenständiger Zweig des organisierten Verbrechens, genauso profitabel wie der Drogenhandel oder die Schutzgelderpressung. Manche dieser Organe stammten von chinesischen Todeskandidaten, deren Hinrichtungstermine in eigenartigem Zusammenhang mit den Operationstagen gewisser Privatkliniken standen. Anderes 'Material', wie die Händler das nannten, wurde Verzweifelten in der Dritten Welt für ein paar Dollar abgekauft. Und es schien offenbar in diesem dreckigen Gewerbe auch Leute zu geben, die in den 'Mole People' nichts weiter als ein menschliches Ersatzteillager sahen...
Gerüchte über diese grausamen Jäger kursierten in den Katakomben. Aber keiner, der ihnen begegnet war, hatte das überlebt.
Wochenlang hatten wir uns auf die Lauer gelegt.
Wir waren dabei auf uns allein gestellt gewesen. Eine groß angelegte Aktion hätte nichts bewirkt. Die Täter hätten sich einfach zurückgezogen - und die möglichen Opfer auch.
Ein risikoreicher Einsatz.
Selbst das Handy funktionierte in weiten Teilen der unterirdischen Labyrinthe nicht, weil die vielen Meter Beton und Erde den Kontakt zum Funknetz unterbrachen.
Und jetzt stand ich einigen Männern gegenüber, die mit hoher Wahrscheinlichkeit an diesen bestialischen Menschenjagden beteiligt waren...
Und wie es schien, würde es mir nicht sehr viel besser ergehen, als all denen, die zuvor schon ihre Wege gekreuzt hatten.
Ich überlegte fieberhaft.
Sinnlos, jetzt die Pistole aus dem Parka herauszureißen.
Mit Glück hätte ich einen oder zwei der Maskierten ausschalten können. Spätestens dann wäre ich von einer Bleigarbe so durchsiebt worden, dass es den Kollegen der Gerichtsmedizin später schwergefallen wäre, mich zu identifizieren.
Sie packten mich, drückten mich gegen Beton.
Ihre Hände wanderten durch meine Taschen. Sie nahmen die P226, meine Taschenlampe und was ich sonst noch so an Kleinigkeiten in den Taschen hatte.
"Hey, ist er nun ein G-man oder nicht?", krächzte der Heisere.
Diese Stimme...
Ich schwor mir, sie nicht zu vergessen.
Jemand versetzte mir einen furchtbaren Fausthieb, der mich ächzen ließ. Ich bekam einen Augenblick keine Luft mehr.
Einer der Kerle packte mich. Ich wurde zu Boden geschleudert und fiel in die stinkende Brühe.
"Hey, immer vorsichtig", zischte der Heisere. "Wenn wir ihn töten, dann machen wir das auf die saubere Weise. So dass nichts beschädigt wird, was man noch verwenden kann..."
"Er hat nichts bei sich", meldete sich der andere.
"Keinen Ausweis, kein Führerschein..."
"Genau wie die beiden, die wir an dem Lagerfeuer erledigt haben..."
"Könnte sein, dass uns da jemand zum Narren halten wollte..."
"Die Pistole ist jedenfalls eine Cop-Waffe!"
"Die kann jeder im Laden kaufen!"
Der Heisere trat auf mich zu.
Er leuchtete mir mit meiner eigenen Taschenlampe direkt ins Gesicht, so dass ich völlig geblendet war.
"Wer bist du?", zischte er.
"Ich heiße Billy", log ich.
"Wie lange lebst du schon hier unten bei den Ratten."
"Ein halbes Jahr."
Der Schlag kam ohne Vorwarnung und traf mich mitten im Gesicht. Das Blut schoss mir aus der Nase, während ich zu Boden ging.
"Du bist ein gottverdammter Lügner", knurrte es mir entgegen. Ich erhob mich wieder. Mein Parka war tropfnass von dem schlammigen Abwasser.
"Was wollt ihr von mir?", fragte ich.
Wieder strahlte mich eine Lampe an. "Er ist der Richtige", stellte der Heisere dann fest. "Special Agent Trevellian. Der Drei-Tage-Bart täuscht etwas..."
Diese Männer waren von Anfang an davon ausgegangen, einen G-man zu fangen, und ich zermarterte mir das Hirn darüber, wie sie überhaupt auf diesen Gedanken kommen konnten. Milo und ich waren bei dieser Undercover-Mission extrem vorsichtig gewesen.
Die Tatsache, dass sie sogar meinen Namen wussten, machte mich völlig perplex.
In was für eine verdammte Todesfalle war ich hier nur hineingeraten?
Und wer hatte sie aufgestellt?
Einer der Kerle setzte mir den Lauf einer MPi an den Kopf.
"Wo ist dein Partner, du Ratte?"
"Ich habe keine Ahnung, wovon du sprichst..."
"Ich dachte, du wärst vernünftig, G-man!"
"Ihr werdet mich doch so oder so umbringen. Ganz gleich, was ich sage..."
"Man kann auf sehr unterschiedliche Weise sterben..."
Milo hielt die P226 in beiden Händen, während er durch das kniehohe Wasser watete. Es stank erbärmlich. Die Abwasserkanäle New Yorks waren nichts für Menschen mit empfindlichen Sinnen.
Milo Tucker hörte die Stimmen in dem dunkle Betongewölbe widerhallen. Im Schein einer Taschenlampe sah er für den Bruchteil eines Augenblicks das Gesicht seines Kollegen Jesse Trevellian!
Vorsichtig schlich Milo voran.
Seine eigene Lampe musste er ausgeschaltet lassen, um nicht sofort eine Zielscheibe abzugeben. Das bedeutete, dass er fast wie ein Blinder agierte.
Milo hatte die Schüsse gehört. Die waren durch das unterirdische Tunnelsystem unter dem Big Apple buchstäblich meilenweit zu hören. Natürlich kannte er den Fluchtweg in die Kanäle und inzwischen wusste er auch gut genug hier unten Bescheid, um über Schleichwege möglichst schnell dorthin zu gelangen, wo er mich höchstwahrscheinlich treffen würde...
Unglücklicherweise kannten sich die Maskierten hier unten mindestens ebenso gut aus.
Milo hörte die Stimmen der Unbekannten.
Die Lichtkegel mehrerer Taschenlampen waren zu sehen.
Ganz ohne Licht funktionierten auch Nachtsichtgeräte nicht.
Und hier unten herrschte ansonsten das, was man als absolute Finsternis bezeichnen konnte.
Milo arbeitete sich vorsichtig weiter voran.
Er konnte im Augenblick nichts tun, das war ihm klar. Es wäre reiner Selbstmord gewesen, jetzt einzugreifen.
Er musste auf seine Chance warten...
Vorsichtig pirschte er sich näher.
Ein dumpfes Geräusch drang herüber.
Und ein unterdrücktes Stöhnen.
"Lassen wir das Theater", knurrte einer der Männer. "Machen wir den Kerl kalt, ob er nun ein G-man ist oder nicht!"
"Genickschuss?"
"Ja, aber halt die Waffe gerade, sonst gibt es wieder 'ne Sauerei, und wir bekommen nichts mehr für die Netzhäute seiner Augen..."
Milo packte die P226 mit beiden Händen.
Er war zu allem entschlossen.
Sekunden blieben ihm...
Und dann hallte seine heisere Stimme durch das Kanalgewölbe.
"Hier spricht das FBI! Sie sind umstellt! Waffen fallenlassen!"
Durch den Halleffekt klang Milos Stimme sehr verfremdet. Ich erkannte sie dennoch sofort wieder.
Milo klang so gewaltig, als hätte er durch ein Megafon gesprochen.
Die Lichtkegel der Maskierten wanderten suchend an den Betonwänden entlang. Einen Augenblick lang herrschte komplette Verwirrung. Und zweifellos war das Milos Absicht gewesen.
Zwei Kerle hielten mich an den Armen.
Ich befreite den linken Arm mit einem Ruck und ließ die Faust zur Seite schnellen. Sie landete einen Sekundenbruchteil später mitten in einem Gesicht. Ich hörte den schmerzerfüllten Aufschrei, während ich gleichzeitig mit dem zweiten Bewacher niederstürzte. Ich versetzte ihm dabei einen schnellen Hieb.
Wir fielen zusammen in die schlammige, stinkende Brühe.
Über uns hinweg pfiffen die Kugeln durch die Dunkelheit.
Immer wieder blitzte es auf. Die Maskierten waren von Panik erfüllt. Sie schossen wild umher. Irgendwo in der Ferne, von der anderen Seite des Kanals her, blitzte eine einzelne Waffe mehrfach auf. Eine schwache Antwort auf die gebündelte Feuerkraft der Maskierten. Aber immerhin reichte es, um sie durcheinanderzubringen. Und außerdem wurden sie so dazu gezwungen, sich in Deckung zu begeben.
Mein Gegner und ich stürzten in die schlammige Brühe und wälzten uns darin. Ich versuchte, ihm die Waffe zu entreißen, eine kurzläufige Maschinenpistole. Er trug sie an einem Riemen um die Schulter. Seine Rechte hielt den Griff umklammert.
Er war stark. Er packte mich am Hals, hielt mich unter Wasser, bis ich glaubte, nicht mehr Atmen zu können. Dann gelang es mir, mich aus seiner Umklammerung zu befreien.
Ich drückte ihn zur Seite, schnellte empor und vollführte einen Hechtsprung, der mich wieder im Wasser landen ließ.
Mein Bewacher riss die Waffe hoch, richtete sie dorthin, wo ich im dunklen Wasser untergetaucht war.
Er drückte ab.
Eigentlich hätte im nächsten Moment eine ganze Bleisalve in das Wasser über mir einschlagen müssen... Aber das geschah nicht. Die MPi blockierte. Vielleicht, weil zuviel Wasser eingedrungen war. Dann erwischte es den Kerl an der Schulter. Er schrie auf, taumelte zurück.
Ich blieb unter Wasser, bewegte mich kriechend vorwärts.
Das Wasser wurde jetzt tiefer. Für mich bedeutete das zusätzlichen Schutz. Kurz tauchte ich an die Oberfläche. Die Schüsse blitzten noch immer durch den Kanaltunnel. Die Situation war verworren. An mehreren Stellen zuckten die Mündungsfeuer blutrot aus den Läufen heraus. Ich tauchte erneut und als ich dann wieder an die Oberfläche kam, war es stockdunkel. Selbst die Hand vor Augen war nicht zu sehen.
Kein Lichtkegel irgendeiner Lampe mehr. Nicht einmal die Kontrollleuchte einer Digitaluhr.
Ich lauschte.
Das Wasser plätscherte.
Aber ansonsten war sekundenlang nichts zu hören. Kein Schritt, kein Laut, kein Atmen.
Ich bewegte mich vorsichtig weiter. Wenn die Maskierten sich noch hier im Tunnel befanden, dann waren sie genau so blind wie ich. Denn ihre Nachtsichtgeräte funktionierten wie die Augen einer Katze. Das Restlicht wird gebündelt. Aber hier gab es kein Restlicht.
Wie blind ging ich weiter. Irgendwann würde ich die Betonwand erreichen und an der konnte ich mich dann orientieren. Das Wasser reichte mir nur noch bis zu den Knien. Das bedeutete, dass es bald soweit war. Die Vertiefung in der Mitte des Kanals hatte ich hinter mir.
Ich erreichte die Wand. Meine Hände glitten über den kalten, glitschigen Beton.
Ein Geräusch ließ mich erstarren.
Ratsch!
Ein Laut, so als ob jemand ein Magazin in eine Waffe hineinschob.
Ich hielt den Atem an.
In absoluter Dunkelheit kann man selbst auf eine Distanz von wenigen Metern seine Orientierung verlieren, wenn man nicht als Blinder daran gewöhnt ist, nichts zu sehen. Ich hatte geglaubt, mich von den Maskierten wegbewegt zu haben.
Dorthin, wo ich Milo vermutete.
Aber es war auch möglich, dass ich mich irrte...
Ich hielt inne, rührte mich nicht.
Meine Taschenlampe funktionierte vermutlich nicht mehr, weil sie zu feucht geworden war. Und selbst wenn doch, dann hätten mich vermutlich eine Sekunde, nach dem Aufleuchten ihres Lichtkegels ein Dutzend Projektile zersiebt.
Ich wusste nicht, ob Milo überhaupt noch lebte.
Und es gab auch keine Möglichkeit, das zu erfahren.
Keine Möglichkeit, ohne ihn dabei in Gefahr zu bringen.
Denn wenn ich einfach seinen Namen rief, konnte das bedeuten, dass die Jagd auf ihn eröffnet wurde. Und nebenbei hatten die Maskierten dann auch einen akustischen Anhaltspunkt, wo ich mich befand.
Toter Mann spielen, durchfuhr es mich. Das war im Moment alles, was ich tun konnte.
Milo schien das genauso zu sehen.
Und unsere Gegner ebenso.
Wer sich als erster bewegte, einen Laut von sich gab oder für Licht sorgte, war geliefert.
Jemand bewegte sich auf mich zu... Ich hörte ganz leise die Bewegungen. Der andere orientierte sich genau wie ich an der Betonwand. Sehr vorsichtig schritt er durch das knietiefe Wasser. Ich spürte die kleinen Wellen, die das verursachte.
Der andere hatte sich bis auf wenige Meter genähert...
In meinem Hirn arbeitete es fieberhaft.
Die meisten Menschen sind Rechtshänder. Also nahm ich das auch von meinem Gegenüber an. Wenn der Kerl mich erreicht, musste ich seinen Waffenarm zu fassen kriegen - und zwar sehr schnell. Sonst war es vorbei. Ich verhielt mich absolut ruhig. Die Wellen, die gegen meine Knie schlugen wurden heftiger.
Ich hörte ein Atmen.
Und dann schnellte ich vor.
Ich spürte eine menschliche Gestalt, etwa ebenso groß wie ich selbst. Ich drückte mein Gegenüber gegen die Wand und bekam tatsächlich den rechten Arm zu fassen. Ich bog ihn zur Seite. Grell blitzte es auf, als sich ein Schuss löste.
Eine Sekunde später brach die Hölle los.
Aus mindestens einem Dutzend Rohren wurde geschossen.
Mündungsfeuer zuckten gelbrot aus den Mündungen heraus. Der Mann, mit dem ich gerungen hatte, duckte sich genau wie ich selbst. Und mir war plötzlich klar, wen ich vor mir hatte.
"Runter, Jesse!", brüllte Milo.
Er feuerte nicht.
Stattdessen schob er mich vor sich her, die glitschige Wand entlang.
Unsere Gegner ballerten einfach drauflos, in der Hoffnung, dass irgendeine ihrer zahlreichen Kugeln uns schon erwischen würde. Sie waren zwar in der Überzahl und hatten eine überlegene Ausrüstung. Trotzdem hatten sie Angst. Sie wussten nicht, mit wie vielen Gegnern sie es zu tun hatten. Und diese Ungewissheit war unser Verbündeter.
Milo hatte die Maskierten erfolgreich geblufft.
Blieb nur die Frage, wann ihnen das auffiel...
Wir pressten uns in eine Nische hinein. Auf der anderen Seite wurde das Feuer eingestellt. Hier und da waren Stimmen zu hören. Ärgerliche Stimmen. Taschenlampen wurden eingeschaltet. Die Lichtkegel suchten die Kanalwände systematisch ab. Wir verhielten uns ruhig, atmeten kaum.
"Noch ein paar Meter, Jesse", flüsterte Milo. "Da muss ein Aufgang sein..."
Die Stimmen der Maskierten wurden lauter.
Ihre Angst war gewichen.
Wir bewegten uns vorsichtig weiter.
Ein Lichtkegel erfasste uns. Für den Bruchteil einer Sekunde waren wir deutlich zu sehen. Eine Maschinenpistole knatterte los, eine zweite folgte kurz darauf. Die Kugeln schlugen rechts und links von uns in den Beton, rissen kleine Löcher hinein und brachen hier und da ein ganzes Stück aus dem Mauerwerk.
Geduckt und halb im Schlammwasser kriechend schnellten wir voran. Milo schoss ein paar Mal in Richtung der Lichter. Dann erreichte ich eine rostige Metallsprosse und umfasste sie.
Darüber waren weitere Sprossen, an denen Mann hinaufsteigen konnte.
"Hier ist es!", rief ich heiser.
"Los, rauf, Jesse!", erwiderte Milo und feuerte.
Ich zählte in Gedanken immer mit...
Sein Magazin musste bald leer sein...
Ich kletterte hinauf, Milo folgte mir und schoss dabei. Um Haaresbreite verfehlten uns die Kugeln. Immer höher ging es hinauf, bis wir in einen röhrenartigen Aufgang gelangt, der von dem großen Kanal, den wir gerade verlassen hatten, senkrecht nach oben abzweigte. Das rostige Metall schnitt in die Hände. Die Luft war stickig.
Ich blickte hinauf und sah...
...Licht!
Nur ein paar kleine Punkte. Ich zögerte.
"Weiter!", drängte Milo.
"Hast du eine Ahnung, wo wir da rauskommen?"
"Ich weiß, wo wir herkommen", erwiderte Milo.
Augenblicke später hob ich einen schweren Gullideckel aus Beton zur Seite, in dem sich kleine Abflusslöcher befanden.
Wir kletterten an die Oberfläche und befanden uns an einem unterirdischen Subway-Bahnhof an der 23. Straße, wie die Anzeigen verrieten. Hunderte von Passanten drängte sich auf dem Bahnsteig, zwängten sich in die Triebwagen oder strebten aus den Zügen heraus.
Nachdem Milo auch herausgestiegen war, schloss ich den Gulli wieder.
"Ich kann dir gar nicht sagen, wie sehr ich mich über diesen Anblick freue", meinte Milo.
"Das da unten war ganz schön knapp", sagte ich. "Die wollten mich umbringen. Du hast mir in letzter Sekunde das Leben gerettet. Sid und Brett hatten leider nicht so viel Glück..."
"Was ist mit ihnen?"
"Die Maskierten haben sie einfach über den Haufen geschossen."
"Verdammt..." Milo ballte unwillkürlich die Hände zu Fäusten. "Die beiden waren vielleicht - gemessen an der großen Masse der New Yorker - so etwas wie abgedrehte Freaks, aber sie waren auch nette Kerle. Ich will, das wir diejenigen zur Rechenschaft ziehen, die so etwas tun. Die in den Menschen da unten nichts anderes als Tiere sehen. Ein Ersatzteillager für menschliche Organe bestenfalls."
Ich nickte. "Das werden wir", sagte ich. Wir sahen uns kurz an. Wir wussten beide, dass das nicht einfach so dahingesagt war. Es war ein Versprechen.
"Heh, verschwindet hier!", fuhr uns ein breitschultriger Beamter der City Police an, der zusammen mit einem Kollegen gerade hier unten auf Streife war. "Wollt ihr die Fahrgäste erschrecken?"
Milo und ich sahen wirklich nicht besonders gut aus. Unsere Sachen waren ohnehin abgetragen. Jetzt troffen sie von stinkendem Abwasser. Meine Haare klebten mir im Kopf, und ich starrte vor Dreck.
"Ich bin FBI Special Agent Jesse Trevellian, dies ist mein Kollege Agent Tucker", sagte ich meinen Spruch auf und wollte schon reflexartig unter meinen Parker greifen, als mir einfiel, dass ich meinen Dienstausweis ja ausnahmsweise mal nicht dabei hatte.
Die beiden Cops waren sehr nervös.
Sie griffen zu den Dienstpistolen.
Nur eine Sekunde später blickten Milo und ich in die blanken Mündungen ihrer SIGs.
"Schön ruhig ihr beiden, ja?", meinte der Breitschultrige.
Sein Kollege war etwas schmächtiger und mindestens zehn Jahre jünger. Er musste noch ziemlich neu beim NYPD sein.
Jedenfalls wirkte er sehr nervös.
"Hören Sie, das ist ein Missverständnis", sagte ich. "Bitte benachrichtigen Sie umgehend das Hauptquartier des FBI Districts New York. Eine Etage unter uns befindet sich eine Meute gefährlicher und schwerbewaffneter Killer... Das Gebiet muss weiträumig abgeriegelt werden und..."
"Zeigen Sie erstmal Ihren Ausweis!", zischte der Dürre.
"Haben wir im Moment nicht dabei", erwiderte ich kleinlaut.
Die folgende Prozedur konnte ich mir gut genug ausmalen, um zu wissen, wie zeitraubend das Ganze werden würde. Bis dahin waren die Maskierten längst verschwunden. Es blieb ein schwacher Trost, dass sie uns bis hier her nicht verfolgen konnten, geschweige denn an einem belebten U-Bahnhof über den Haufen schießen. Die Polizeibewachung, die wir jetzt genossen, trug dazu natürlich ein übriges bei.
"An die Wand stellen, Beine auseinander..."
"Sprechen Sie mit Mister McKee, dem District-Chef", meinte ich. "Sie gefährden eine Undercover-Mission..."
"Ja, und der letzte Freak, der hier den Bahnhof unsicher machte, war Napoleon oder Jesus Christus."
Es war nichts zu machen.
Milo und ich waren so überzeugend in unseren Undercover-Rollen, dass die beiden Cops uns für Mole People hielten. Und als einer der beiden wenig später noch die SIG Sauer P226 aus Milos Kleidern herausholte, war die Sache sowieso gelaufen.
Es war später Nachmittag, als Milo und ich im Büro unseres Chefs saßen. Natürlich hatten wir uns in der Zwischenzeit geduscht und umgezogen. Mister Jonathan D. McKee, Chef des FBI-Districts New York im Rang eines Special Agent in Charge setzte sich uns gegenüber. Auf dem Tisch dampfte der vorzügliche Kaffee seiner Sekretärin Mandy. Ein Kaffee, der im gesamten FBI-Headquarter an der Federal Plaza 26 berühmt war und einfach seinesgleichen suchte.
Während wir hier saßen, befanden sich unsere Kollegen Caravaggio und Medina mit mehreren Dutzend weiterer Beamten von FBI, City Police und Scientitific Research Division unten in den Tunneln und Kanälen, denen Milo und ich mit knapper Not entronnen waren.
Natürlich fahndeten sie nach den Maskierten - ohne dass wir uns in der Hinsicht viel Hoffnung machten.
Aber sie suchten auch dort nach Spuren, wo diese Unbekannten Sid und Brett einfach niedergeschossen hatten.
Die beiden hatten schließlich das Recht darauf, dass man ihren Mord genauso akribisch untersuchte wie den eines Wall Street Managers. Auch wenn Sid und Brett davon jetzt nicht mehr allzuviel hatten.
Wir hatten am Tatort nichts zu suchen.
Schließlich gab es da immer noch die Legende, die wir uns aufgebaut hatten. Es gab da unten in der Tiefe Leute, die uns einigermaßen vertrauten, weil sie uns eben nicht für FBI-Agenten hielten. Und das durften wir nicht aufs Spiel setzen. Also mussten andere jetzt da unten an die Arbeit...
Obwohl sich die Frage stellte, wie löchrig unsere Legende war.
Trotz all der Vorsichtsmaßnahmen, die wir getroffen hatten.
Mister McKee hörte sich unseren Bericht an. Seine Stirn zog sich in Falten.
"Diese Leute wussten, dass Sie ein G-man sind, Jesse?"
"Sie vermuteten es. Da ich keinen Ausweis bei mir hatte, waren sie sich nicht hundertprozentig sicher. Aber wenn ich zwei und zwei zusammenzähle, dann war es der Sinn ihrer Aktion, Milo und mich auszuschalten."
"Woher hätten Sie wissen können, dass das FBI unter den Mole People mit verdeckten Ermittlern arbeitet?"
"Eine gute Frage, Mister McKee. Tatsache ist aber, dass sie es gewusst haben."
Mister McKee fragte: "Ist es möglich, dass die Leute, mit denen Sie beide Kontakt hatten, vielleicht doch etwas herausgefunden haben?"
Ich schüttelte den Kopf.
"Halte ich für ausgeschlossen..."
"Jesse, diese Mole People sind sehr misstrauisch. Die dürften eine Art sechsten Sinn entwickelt haben, um offizielle Vertreter der Oberwelt zu erkennen... Vielleicht auf Grund der Fragen, die Sie und Milo gestellt haben."
Ich zuckte die Achseln, lehnte mich im Sessel zurück.
"Wir sind wirklich verdammt vorsichtig gewesen", murmelte ich.
"Es macht Ihnen auch niemand einen Vorwurf, Jesse."
"Ich mache mir selbst einen", erklärte ich. "Sid und Brett sind tot. Sie starben, weil die Killer es auf Milo und mich abgesehen hatten. So sehe ich das. Dass die beiden Obdachlosen ums Leben kamen, das war für diese Leute einfach nur eine Begleiterscheinung. Nicht der Rede wert... So denken die!"
Mister McKee nickte mit ernstem Gesicht.
"Trotzdem. Denken Sie an die Möglichkeit, dass die beiden Sie verraten haben. Vielleicht haben sie auch nur einen Verdacht geäußert. Jesse, Sie haben mir selbst gesagt, wie schnell Neuigkeiten da unten die Runde machen."
"Ich denke die ganze Zeit über nichts anderes nach, als wie das passieren konnte", sagte ich. "Und natürlich auch darüber, wo wir uns vielleicht eine Blöße gegeben haben aber ich finde nichts!"
"Glauben Sie, dass es wirklich Sinn hat, wenn Sie nochmal da hinunter gehen - zu den Tunnelmenschen?"
"Natürlich! Unsere Mission war noch nicht beendet!"
Und Milo ergänzte: "Ich glaube, dass wir kurz vor einem Erfolg gestanden haben..."
Mister McKee hob die Augenbrauen. "Sie sprechen von diesem Tunnel King?"
Milo nickte.
"Ja."
"Haben Sie eine Ahnung, um wen es sich da handelt?"
"Nein, aber Crazy Joe meint, dass diese Killer dort unten niemals operieren könnten, ohne dass der Tunnel King davon zumindest weiß. Crazy Joe meint sogar, dass er mit den Mördern zusammenarbeitet..."
"Dieser Crazy Joe sollte sie doch mit dem Tunnel King zusammenbringen", sagte Mister McKee.
Milo zuckte die Achseln und nahm einen Schluck Kaffee. "Der Tunnel King hat uns leider versetzt. Auf dem Rückweg zum Lager hörte ich dann die Schüsse..."
"Wo war dieser Crazy Joe, als Sie versucht haben, Jesses Leben zu retten?"
"Plötzlich verschwunden..."
"Könnte er der Verräter sein, Milo?"
Milo wirkte sehr nachdenklich. Dann schüttelte er energisch den Kopf. "Ich traue diesem Kerl alles Mögliche zu - nur wüsste ich einfach nicht, wie er an diese Information gelangt sein sollte!"
Mister McKees Blick wanderte zwischen mir und Milo hin und her.
"Sie wissen, dass es lebensgefährlich ist, wenn Sie noch einmal dort hinuntergehen..."
"Wir passen schon auf uns auf", versprach ich.
"Ich gebe nur sehr ungern meine Zustimmung dazu. Schließlich bin ich dafür verantwortlich, das meine Agenten nur den Risiken ausgesetzt werden, die nicht zu umgehen sind. Andererseits..."
"...ist dieser Tunnel King eine der wenigen Spuren, die es in dem Fall gibt", vollendete ich.
"Ja."
"Also haben wir Ihr Okay!"
Mister McKee nickte. "Das haben Sie."
Wir erhoben uns, tranken unsere Kaffeebecher leer und wandten uns in Richtung Tür. Wir hatte die schlichte Sitzecke gerade hinter uns gelassen, da fiel mein Blick auf Mister McKees Schreibtisch. Mehrere Telefone gab es dort. Aber mein Blick wurde durch etwas anderes gefesselt. Ein Blatt Papier, das mit Buchstaben vollgeklebt war, die jemand aus einer Zeitschrift herausgeschnitten hatte.
Mister McKee bemerkte meinen Blick.
Er ging zum Schreibtisch und drehte das Blatt zu mir herum.
"Dann brauchen Sie nicht auf dem Kopf zu lesen, Jesse..."
JONATHAN MCKEE, DU RATTE!, stand dort. BALD BIST DU TOT!
"Wissen Sie, wer dahintersteckt?", fragte Milo besorgt.
Mister McKee machte eine wegwerfende Handbewegung.
"Wir wissen nur, dass es sich um einen Leser des NEW YORKER handelt. Daraus sind nämlich die Buchstaben, wie unsere Innendienstler meinen. Fingerabdrücke gibt leider nicht. Und es ist leider nicht der erste Brief dieser Art, den ich erhalte."
Ich hob die Augenbrauen. "Scheint, als hätte ich in letzter Zeit einiges nicht mitgekriegt..."
"Sie waren selten hier, Jesse." Mister McKees Lächeln wirkte etwas gezwungen. Er versuchte, die Sache mit dem Brief an sich abprallen zu lassen, aber das gelang ihm nicht völlig.
Ich kannte ihn einfach zu gut, als dass er mir etwas vormachen konnte. Mister McKee nahm die Sache sehr ernst. Und wenn Mister McKee sich über etwas Sorgen machte, dann war das nicht die Lappalie, als die er es darzustellen versuchte. "Kein Grund sich aufzuregen", meinte der Special Agent in Charge leichthin. "Sie kennen das doch! Jeder von uns, der mehr als drei Dienstjahre hat, hat doch schon mal derartige Verehrer-Post von Leuten bekommen, denen man irgendwann mal auf die Füße getreten ist..."
Milo und ich saßen wenig später in unserem Dienstzimmer, das wir uns seit ewigen Zeiten teilten. Der Computerschirm flimmerte, und wir stöberten etwas in den Datenbänken herum, die uns über EDV-Verbund zur Verfügung standen.
"Wir müssen diesen Tunnel King sprechen", meinte Milo plötzlich, "es führt kein Weg daran vorbei..."
"Warum hat er dich versetzt, Milo?"
"Er muss auf seine Weise ziemlich eingebildet sein, Jesse."
"Du meinst, er empfindet sich als eine Art Herr der New Yorker Unterwelt... Trotzdem... Crazy Joe hat versprochen, dich zu ihm zu führen."
"Vielleicht wollte Crazy Joe sich einfach nur wichtig machen", meinte Milo.
"Wir knöpfen ihn uns morgen vor", schlug ich vor. Inzwischen kannten wir uns gut genug dort unten aus, um ihn auftreiben zu können. Wir wussten, wen man fragen musste und wo Crazy Joe für gewöhnlich unterkroch. Kein Mensch konnte allein und auf sich gestellt da unten, in den Kanälen überleben. Das hatten wir schnell gelernt. Man war auf andere angewiesen. Und wer niemanden hatte, für den war es schnell zu Ende.
Max Carter, einer unserer Innendienstler schneite herein.
"Gibt es schon was von den Ärzten und Krankenhäusern?", fragte ich. Schließlich war ich mir sicher, dass einer der Gangster eine Schusswunde abbekommen hatte. Und selbst, wenn es nur ein Streifschuss war, so musste sie ärztlich behandelt werden.
"Alle medizinischen Einrichtungen und Privat-Praxen der Stadt sind unterrichtet und gewarnt", sagte Carter.
"Allerdings würde ich mir in dieser Hinsicht kaum Hoffnungen machen, Jesse. Wenn es sich wirklich um Leute handelt, die mit illegalen Organhändlern in irgendeiner Weise zusammenarbeiten, könnte ich mir denken, dass die genügend medizinische Kapazitäten haben, um eine Schusswunde behandeln zu lassen..."
"Ja, das steht leider zu befürchten", gab ich zu.
"Unsere Ermittlungen, was Krankenhäuser und Arzt-Praxen angeht, die vielleicht dafür in Frage kommen könnten, in den Fall verwickelt zu sein, laufen natürlich weiter. Aber wir stehen da vor einem riesigen Datenberg. Transplantationen waren mal was besonderes. Heute sind sie in manchen Bereichen schon so sehr Routine, wie vor dreißig Jahren eine Blinddarmoperation."
"Mal was anderes, Walt", unterbrach ich Carter. "Der Chef bekommt eigenartige Briefe..."
"Ja, ja..." Carter nickte. "Das geht schon eine ganze Weile so. Täglich kommt etwas für ihn..."
"Schon irgendwelche Anhaltspunkte?"
"Wir arbeiten dran. Und das Labor auch." Carter zuckte die Achseln. "Der Chef hat schon Schlimmeres durchgemacht. Ich persönlich denke, es spricht einiges dafür, dass sich da nur jemand sehr wichtig machen will..."
"Hoffentlich hast du recht", sagte ich.
Der bärtige Mann mit den wachen blauen Augen saß am Feuer und rieb sich die Hände. Sein Lager befand sich im toten Ende eines stillgelegten Subway-Bahnhofs, irgendwo unter den tristen Straßen von Harlem.
Die Betonwände waren mit Graffitis übersäet. Aber inzwischen interessierten sich nicht einmal mehr die Sprayer für diesen Ort. Hier hielt kein Zug mehr. Sie brausten einfach vorbei und hielten einen halben Kilometer weiter.
Manche der Fahrgäste erblickten dann für Sekunden den Bärtigen, der in sich gekauert dasaß und leicht zitterte.
Er hatte Angst.
Jeder Laut ließ ihn zusammenfahren.
Der Bärtige hatte ein paar fette Ratten aufgespießt und drehte sie über dem Feuer. Ratten waren sehr nahrhaft und vor allem gab es hier unten genug davon. Und der Bärtige wusste, wie man sie fing.
Jede Viertelstunde raste ein Triebwagen der Subway am Lager des Bärtigen vorbei. Der Luftzug, der dann entstand, ließ das Feuer hoch auflodern.
Der Bärtige hörte Schritte. Er schreckte auf.
Seine Augen suchten nervös die Umgebung ab.
"Hey, Mann! Hier hast du dich also verkrochen, Crazy Joe!", sagte eine sonore Stimme. Drei Gestalten traten aus dem Dunkel heraus. Crazy Joe fragte sich, wo sie plötzlich herkamen. Vermutlich hatten sie ihn schon länger beobachtet.
Die drei trugen Strickmützen, die bis zum Kinn hinuntergezogen hatten. Für die Augen waren kleine Löcher hineingeschnitten worden. Der Rest ihrer Sachen bestand aus abgetragener Straßenkleidung.
Der Mittlere der drei trug einen abgeschabten Wollmantel.
In den Händen hielt er eine Pump-Gun. Mit einem harten Geräusch lud er das Gewehr durch.
Crazy Joe erbleichte.
"Du hast dich ziemlich rar gemacht, Joe!", sagte der Kerl im Mantel. "Der Tunnel King ist ziemlich beunruhigt..."
"Hört mal, Leute, ich..."
Crazy Joe brach ab. Er wusste, dass jedes weitere Wort verschwendet war.
"Du wirst zum Risiko, Crazy Joe..."
"Was soll das heißen?"
"Nimm's nicht persönlich. Aber wir haben vom Tunnel King einen klaren Auftrag..."
Der Mann mit dem Mantel hob die Pumpgun.
Joe wich ein Stück zurück. Er hatte beinahe die Gleise erreicht, die etwa einen halben Meter tiefer lagen als der ehemalige Bahnsteig.
Joes Hand riss etwas aus der Tasche seiner fleckigen Jacke heraus. Es geschah blitzschnell. Etwas wirbelte durch die Luft.
Ein Messer.
Der Kerl im Mantel ließ die Pumpgun loskrachen. Einen Sekundenbruchteil später griff er sich an den Hals. Er taumelte zurück, ließ die Pumpgun sinken. Eine Hand umfasste den Messergriff, der aus seinem Hals herausragte. Blut schoss unter der Strickmütze hervor. Der Mann im Mantel schlug der Länge nach hin.
Die beiden anderen standen für einen Moment wie erstarrt da.
Damit hatten sie nicht gerechnet.
Crazy Joe machte einen Satz hinunter zu den Gleisen. Er rannte.
Er rannte in den dunklen Tunnel hinein.
Einer der beiden Maskierten griff zur Pumpgun, hob sie auf und lud sie durch.
Dann feuerte er.
Die Kugel erwischte Crazy Joe mitten zwischen den Schulterblättern.
Er sank zu Boden und lag dann mitten über den Gleisen.
"Wenn der Zug kommt, wird nicht viel von ihm übrigbleiben", stellte einer der beiden Männer fest.
Am nächsten Morgen saßen wir bei Mister McKee im Büro. Außer Milo und mir waren noch die Agenten Clive Caravaggio und Orry Medina anwesend. Max Carter, ein Innendienstler aus der Fahndungsabteilung kam etwas später, zusammen mit einem gewissen Clovis Ortega, den die Scientific Research Division geschickt hatte. Die SRD war der zentrale Erkennungsdienst aller New Yorker Polizeieinheiten, und auch wir vom FBI nahmen seine Hilfe gerne in Anspruch.
Die Untersuchungen am Tatort in den Tunneln unter der Bowery hatten einige interessante Neuigkeiten erbracht.
Die Kollegen der SDR hatten reichlich Projektile eingesammelt, mit denen die unbekannten Killer ja sehr verschwenderisch gewesen waren.
Außerdem gab es dann ja auch noch die Kugeln, die Sid und Brett getötet hatten.
"Eine der benutzten Waffen ist schon einmal aktenkundig geworden", erläuterte Clovis Ortega. "Unsere ballistischen Tests sind da ganz eindeutig."
"Benutzt?", hakte Mister McKee nach. "Wann und wo?"
"Bei einer Schießerei in der South Bronx vor zwei Jahren, als dort ein Drogenkrieg zwischen den Puertoricanern aus East Harlem und den Jamaikanern tobte", erklärte Ortega. "Vor dem Kaufhaus BIG DEAL in der 166. Straße haben sich die Killer-Armeen beider Seiten eine regelrechte Schlacht geliefert... Wem die Waffe gehörte, konnte nie genauer bestimmt werden. Aber da die betreffenden Kugeln in den Körpern einiger Männer steckten, von denen wir wissen, dass zu zum Syndikat der Jamaikaner gehörten, muss es sich um jemanden gehandelt haben, der für die Puertoricaner gemordet hat."
"Da dürfte die Auswahl reichlich sein", kommentierte unser Kollege Medina etwas gallig und lockerte dabei seine Seidenkrawatte ein Stück.
"Es gab damals Dutzende von Verhaftungen", sagte Max Carter. "Ich habe all diejenigen in einem Dossier zusammengestellt, die in irgendeiner Weise mit der Schießerei in Zusammenhang gebracht werden. Viele mussten wieder auf freien Fuß gesetzt werden, einige sitzen noch auf Riker's Island."
"Soweit ich ich das in Erinnerung habe, wurden damals beide Syndikate zerschlagen", sagte Mister McKee.
Carter zuckte die Schultern.
"Wäre ein Wunder, wenn sich die Überreste nicht inzwischen neu gruppiert hätten und irgendwie wieder aktiv geworden wären..."
"Glauben Sie an eine Verbindung zwischen der Todesserie in den Tunneln und dem Drogenmilieu?", fragte ich an Carter gewandt.
Carter schüttelte den Kopf.
"Nein, das eigentlich nicht. Obwohl man es auf der anderen Seite natürlich nicht ausschließen kann, schließlich sind die Drogenbarone immer bestrebt, ihr schmutziges Geld in anderen Branchen anzulegen."
"Aber das sind doch üblicherweise möglichst legale Branchen, damit aus dem Schmutzgeld blütenweiße Dollars werden", wandte Orry ein.
"Andererseits ist das Betreiben einer Transplantationsklinik eine Branche, die sich ebenso für die Geldwäsche eignet wie zum Beispiel das Glücksspiel", wandte Milo Tucker ein.
"Wie auch immer", ergriff Max Carter wieder das Wort.
"Ich glaube eher an eine andere Möglichkeit. Und die besteht einfach darin, dass die Killer von damals sich einen neuen Arbeitgeber gesucht haben, sofern sie durch die Maschen der Justiz schlüpfen konnten." Carter legte sein Dossier auf den Tisch. Er wandte sich an unseren Chef. "Ich schlage vor, dass wir uns jeden einzelnen dieser Leute noch einmal vorknöpfen, gleichgültig, ob sie nun auf Riker's Island sitzen oder sonstwo zu finden sind. Vielleicht bekommen wir so entscheidende Hinweise auf die Drahtzieher im Hintergrund..."
"Oder der Tunnel King sagt uns, was er weiß...", meinte ich.
"Vorausgesetzt, er will mit Ihnen sprechen, Jesse", gab Mister McKee zu bedenken.
"Wer da unten über längere Zeit lebt, ist wohl zwangsläufig nicht sehr kommunikativ", erwiderte ich.
"Ach Jesse", wandte sich jetzt Carter in meine Richtung. "Ich habe vielleicht etwas über den Mann, der sich dir gegenüber Crazy Joe nannte."
Ich hob die Augenbrauen.
Carter holte aus einem Aktenkoffer eine Mappe hervor, die mit Computerausdrucken gefüllt war. Er öffnete sie. Ich blickte auf ein Foto, das ein bärtiges Gesicht zeigte.
"Ist er das, Jesse?"
Ich nickte. "Ja."
"Er heißt Joseph Kelvin Mendrovsky, wurde in Wichtita, Texas geboren und mit Mitte dreißig in eine geschlossene Psychiatrie eingewiesen. Er litt unter Verfolgungswahn. Vor fünf Jahren brach er aus dem St. George Sanatorium in Dorset, Kentucky aus. Seitdem fehlt jede Spur von ihm..."
Ich nahm das Dossier an mich, warf einen Blick hinein.
"Ich will dir damit nur sagen, dass dieser Tunnel King vielleicht nur die Fantasie eines seelisch Kranken ist...", fuhr Carter indessen fort.
Ich mochte an diese Möglichkeit einfach nicht glauben.
Schließlich war Crazy Joe nicht der einzige, der vom Tunnel King erzählt hatte. Andererseits konnte es natürlich gut sein, dass auch diese Berichte nur auf dem basierten, was Joe in den Jahren, die er bereits bei den Mole People lebte, an Geschichten ausgestreut hatte. Geschichten, die sich längst verselbständigt hatten...
Ich hatte keine Gelegenheit, länger darüber nachzudenken.
In diesem Augenblick kam Mandy, die Sekretärin unseres Chefs in den Raum. Auf dem Tablett standen dampfende Kaffeebecher und einige geöffnete Kuverts.
Die Post für Mister McKee. Zweifellos hatte sich erst unsere Sicherheitsabteilung damit beschäftigt, um zu verhindern, dass Mister McKee zusammen mit einem dieser Hassbriefe eines Tages auch eine Ladung Sprengstoff auf den Schreibtisch bekam.
"Diesmal war nichts dabei, Mister McKee", sagte Mandy mit sichtlicher Erleichterung. Sie brauchte das nicht näher zu erläutern. Jedem im Raum war klar, wovon sie sprach.
Mister McKee war das Schweigen, das sich plötzlich im Raum ausgebreitet hatte offenbar unangenehm.
"Was ist los?", fragte er. "Unsere Aufgabe ist es, die Schwachen zu schützen - und dabei machen wir uns eben nicht nur Freunde!"
Es war Nachmittag, als wir in die unterirdische Welt, tief unter dem Big Apple zurückkehrten. Eine Welt, die bis zu zehn übereinandergeschichtete Etagen hatte. Ein Labyrinth, in dem man sich unter Umständen Jahre verstecken konnte, selbst wenn man auf irgendeiner Fahndungsliste stand.
Crazy Joe konnten wir nirgends finden. An keinem der Orte, von dem wir wussten, dass der sympathische Sonderling sich dort ab und zu aufhielt.
Er schien wie vom Erdboden verschluckt zu sein.
Wir suchten den sogenannten Professor auf, einen Bücherwurm und ehemaligen Bibliothekar, der nach dem tragischen Krebstod seiner Frau mehr oder weniger durchgedreht war. Er wohnte in einer Rangiernische, hatte dort sein Feuer und sogar elektrisches Licht. Einer seiner Freunde hatte eine Leitung abgezweigt und hierher verlegt. Es war relativ trocken hier, trotzdem hatte er seine mindestens 3000 Bücher sorgfältig einzeln in Plastik verpackt.
Der Professor hieß eigentlich Simon McDonald.
Er gehörte zu denjenigen Tunnelmenschen, die ihre Flucht in den Bauch der Erde als eine Art Lebensphilosophie ansahen und die nichts auf der Welt dazu hätte bringen können, sich wieder an ein Leben oberhalb zu gewöhnen.
Hier unten in dem Tunnel war der Professor eine bekannte Persönlichkeit. Wir kannten ihn durch eine Sozialarbeiterin.
Und über McDonald hatte wir Crazy Joe kennengelernt.
"Toll", murrte Milo, als wir die Rangiernische erreichten.
"Wir sind wieder am Ausgangspunkt, Jesse."
"Meinst du, mir gefällt das?"
"Was mir noch weniger gefällt ist mein Gefühl in Bezug auf Joe..."
"Was meinst du damit?"
"Dass wir ihn vielleicht vergeblich suchen, Jesse."
"Und wenn er sich versteckt hält?"
"Warum sollte er das tun? Niemand würde versuchen, ihn hier unten aufzustöbern, um ihn wieder in eine Anstalt zu bringen."
"Es muss ja nicht alles vernünftig sein, was er tut", erinnerte ich ihn.
Der Professor sah uns kommen. Wir gingen den Schienenstrang entlang und mussten dabei auf der Hut sein, um nicht von einer vorbeirasenden Subway erfasst zu werden. Immer wieder kamen Mole People durch Züge um.
McDonald blickte uns misstrauisch an.
"Was wollt ihr hier?", fragte er. "Mir meine Konserven leeressen?"
"Wir suchen Crazy Joe", sagte Milo. "Hast du eine Ahnung, wo er sein könnte?"
"Bin ich ein Hellseher?"
Wir setzten uns zu ihm ans Feuer. Er hatte ein paar alte, ziemlich stockige Matratzen ausgebreitet. Eine davon war aufgerissen und Flocken aus gelbem Schaumstoff lösten sich.
"Was ist los, Professor?", fragte ich.
Irgendetwas hatte sich verändert.
Das spürte ich ganz genau.
"Man erzählt sich seltsame Geschichten über euch beide..."
In McDonalds Gesicht zuckte ein Muskel. Er kratzte sich an dem dicken Eitergeschwür links am Hals, etwas unterhalb des Adamsapfels.
"Was denn für Geschichten?", hakte ich nach.
"Ihr gehört nicht hier her..."
Milo und ich wechselten einen kurzen Blick.
"Was soll das?", fragte ich.
"Ich meine es so, wie ich es sage. Jedes Wort. Es gibt einige fiese Gerüchte über euch. Die einen sagen, ihr seid Cops, die anderen meinen, ihr habt irgendetwas mit den maskierten Mördern zu tun, die sich hier unten ihre Opfer holen. Und wieder andere sagen, ihr wärt wahrscheinlich Perverse, die hier unten ihre niederen Instinkte ausleben, weil sie wissen, dass ein Mord hier unten selten aufgeklärt wird..."
"Professor, das ist alles Quatsch!", erwiderte ich.
Innerlich fluchte ich. Das Vertrauen, das Milo und ich uns hier unten mühsam aufgebaut hatten, war weg. Das lag auf der Hand.
McDonalds Nasenflügel zitterten.
Ich sah, dass seine Hand in die Taschen seines fleckigen Mantels aus Wildleder gewandert waren, dessen Originalfarbe kaum noch zu erkennen war.
Ich sah, wie sich seine Muskeln anspannten.
Irgendetwas umklammerte seine Hand.
Eine Waffe. Ein Messer vielleicht, oder ein Revolver.
"Jedenfalls ist Sid und Brett die Bekanntschaft mit euch nicht gut bekommen", stellte er fest.
"Du glaubst, dass wir etwas mit ihrem Tod zu tun haben?", fragte ich.
"Ist das so abwegig?"
"Hör zu, Sid und Brett waren unsere Freunde!"
"Und jetzt sind sie tot. Wie Crazy Joe..."
"Was?"
"Ist auch nur so ein Gerücht... Aber es würde ins Bild passen."
Ich machte eine etwas zu heftige Bewegung.
Der Professor zog etwas Metallisches aus dem Mantel heraus. Eine einschüssige, selbst zusammengelötete Waffe. Lebensgefährlich auch für den Schützen. "Seid schön vorsichtig", zischte er. "Ich weiß nicht, wer ihr seid, aber das ist mir auch ziemlich gleichgültig. Ich schlage vor, ihr verschwindet jetzt und lasst euch nicht mehr blicken..."
" Professor, wir suchen die Kerle, die Sid und Brett auf dem Gewissen haben", versuchte ich ihn zu überzeugen. "Die hätten uns beinahe auch umgebracht..."
"Geht jetzt!"
"Es waren diese maskierten Killer, die hier unten ihr Unwesen treiben... Ist es dir gleichgültig, wie viele Opfer sie noch fordern?"
"Das Leben hier unten fordert jeden Tag Opfer. Was soll dein Gerede also? Solange ich am Leben bleibe, ist mir alles andere egal..."
Ich deutete auf Milo.
"Crazy Joe wollte meinen Freund hier mit dem Tunnel King zusammenbringen."
"Ach, wirklich?"
Er senkte seine Waffe. Ich nahm das mit Erleichterung zur Kenntnis. Diese selbstgebastelten Dinger konnten sehr leicht von allein losgehen. Und selbst, wenn sich kein Schuss löste, sondern die Waffe explodierte, hätten Milo und ich auf die Distanz noch etwas abbekommen.
"Der Tunnel King weiß, wer hinter diesen Killern steckt", behauptete ich.
"Der Tunnel King weiß alles, was hier unten vor sich geht", erwiderte McDonald. "Und ihr werdet ihn kaum finden." McDonald lachte und setzte dann hinzu: " Er wird euch finden!"
In der Ferne tauchten Lichter auf, die immer greller wurden. Ein Zug kam heran. Das Geräusch wurde geradezu ohrenbetäubend. Die Subway raste an uns vorbei.
Dann quietschte es so schrill, dass es einem fast das Trommelfell zerriss.
Einer der Fahrgäste hatte offenbar die Notbremse betätigt.
Die hell erleuchteten Triebwagen kamen endlich zum Stehen.
Eine der Türen ging auf.
Nacheinander stiegen fast ein Dutzend Männer um die zwanzig aus. Sie trugen schwarze Ledermonturen mit der Aufschrift SILVER DRAGONS.
Eine Gang.
In den Gesichtern stand ein gemeines Grinsen. Mir war sofort klar, was sich hier anbahnte. Diese Typen wollten ihren Spaß - und dazu brauchten sie Opfer. Mole People waren ihnen gerade recht. Der Fahrer des Zuges schaute kurz aus dem Fenster, ließ sein Gefährt dann sofort wieder anfahren. Er dachte gar nicht daran, die Gang dafür zur Rechenschaft zu ziehen, dass die STAR DRAGONS für diesen kleinen Zwischenhalt gesorgt hatten. Wenn wir Glück hatten, meldete er den Vorfall an die Polizei. Der Zug verschwand im Tunnel.
Die Ledergekleideten schwangen die Butterfly-Messer und Schlagstöcke in den Händen.
"Hey, wer sagt's denn! Gleich drei! Ich dachte, hier gibt's nur den alten Mann!", greinte einer. Er griff in die Jackentasche und nahm einen Schluck aus dem Flachmann, den er dort verstaut hatte.
Die Kerle näherten sich.
"Hört mal, wir geben euch Drecksäcke eine faire Chance!", rief einer der Männer. "Ihr kriegt fünf Minuten Vorsprung. Schließlich wollen wir auch unsern Spaß haben..."
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo.
Dann raunte ich dem Professor zu: "Benutzen Sie auf keinen Fall ihr selbstgebautes Eisen..."
"Es ist ungeladen", erwiderte er.
"Weshalb?"
"Weil mir mein Pulver nass geworden ist..."
Die STAR DRAGONS bildeten einen Halbkreis. Einige von ihnen ließen die Butterfly-Messer herumwirbeln. Sie kicherten.
Ein großer, leicht übergewichtiger STAR DRAGON hantierte mit einer Stahlschleuder herum. Hier und da blitzten Morgensterne, Schlagringe und Kleinkaliberwaffen auf.
"Hey, wollt ihr euch gar nicht auf die Socken machen?", rief einer und seine Gang-Brüder brüllten vor Lachen.
"Laufen wir um unser Leben", raunte der Professor.
"Kommt nicht in Frage", erwiderte ich. "Dann wären wir geliefert."
Ich wechselte einen kurzen Blick mit Milo.
Die Kerle kreisten uns weiter ein.
Die Gangs waren ein großes Problem für die Tunnelmenschen.
Oft genug machten sie sich einfach einen Spaß daraus, die Tunnelmenschen zu jagen oder zu schikanieren. Sie rechneten einfach damit, dass keines der Opfer sich an die Behörden wenden würde. Und leider hatten sie oft genug recht damit.
Gleichzeitig rissen Milo und ich unsere SIGs aus den Taschen. Ein Ruck ging durch die STAR DRAGONS.
"Keine Bewegung!", rief ich. "Wir sind Special Agents des FBI. Lasst eure Waffen fallen und nehmt die Hände hoch. Diesmal seit ihr an die Falschen geraten..."
Sie waren unschlüssig darüber, was sie tun sollten.
Wenn sie alle im selben Moment angriffen, hatten wir keine Chance gegen sie. Ich hoffte, dass die STAR DRAGONS nicht zu der Sorte Gang gehörten, bei denen so etwas als Mutprobe galt.
Ich wirbelte ein Stück herum, feuerte die P226 zweimal ab.
Die Kugeln brannten sich vor die Füße eines der Gang-Mitglieder. Der Mann hatte versucht, seine 22er aus dem breiten Gürtel herauszureißen, den er unter seiner Lederjacke trug. Er stand wie erstarrt da, hob dann langsam die Hand.
Die Waffe blieb stecken.
"Sie haben das Recht zu schweigen", zitierte ich den Spruch, den wir bei Verhaftungen immer aufsagen müssen. "Wenn Sie auf dieses Recht verzichten kann alles, was Sie von nun an sagen, vor Gericht gegen Sie verwendet werden..."
Der Kerl mit der Schleuder trat einen Schritt vor.
Er starrte mich ungläubig an.
"Hey, Bruder, was haben wir denn gemacht? Gibt's 'nen Paragraphen dagegen, sich hier unten aufzuhalten? Dann müsstet ihr den alten Sack da vorne auch festnehmen!"
"Ihr wolltet hier eine Jagd veranstalten..."
"Hey, Mann, das hast du missverstanden!"
"Und dann wäre da noch Gefährdung des Schienenverkehrs. Schließlich habt ihr den Zug ohne Grund gestoppt..."
Langsam wurde den STAR DRAGONS klar, dass sie sich diesmal wirklich verrechnet hatten. Panik zeichnete ihre Gesichter.
Und dann warf einer plötzlich einen eiförmigen Gegenstand in unsere Richtung.
Eine Gasgranate.
Milo warf sich nach links, ich packte den Professor und riss ihn mit mir. Gemeinsam fielen wir zu Boden, während Schüsse in unsere Richtung krachten. Dann explodierte das eiförmige Ding.
Ein beißender, grauer Nebel quoll heraus und erfüllte innerhalb von Sekunden die Luft.
Ich presste mich an den Boden, feuerte einmal in Richtung der STAR DRAGONS und versuchte, nicht allzu viel von dem Reizgas einzuatmen.
Meine Augen tränten bereits.
Eine zweite Gasgranate wurde gezündet.
Die STAR DRAGONS waren indessen auf der Flucht.
Sie schossen wild in der Gegend herum und hetzten dann in den dunklen Tunnel hinein, in Richtung der nächsten Subway-Station.
Ich stand auf.
Durch den Reizgas-Nebel sah ich Milo dahertaumeln. Er hustete schrecklich.
"Alles in Ordnung?", keuchte er.
"Wir müssen sehen, dass wir hier wegkommen!"
Ich beugte mich über McDonald, der noch immer am Boden lag. Er stöhnte. Ich drehte ihn herum. Sein Mantel war blutbesudelt.
Eine Kugel hatte ein großes Loch hineingerissen.
"Verdammt!" keuchte er und biss die Zähne zusammen.
"Sie müssen in ärztliche Behandlung", sagte ich mit Bestimmtheit.
"Wenn es nicht so weh täte, würde ich jetzt lachen", gab McDonald heiser zurück.
"Wir sorgen dafür, dass sich die Ambulanz um Sie kümmert!"
"Was redest du für einen Mist! Keiner, der hier lebt, hat so etwas wie 'ne Krankenversicherung, geschweige denn genügend Bargeld, um einen Arzt zu bezahlen!"
"Das wird sich regeln lassen", sagte ich zuversichtlich.
"Jedenfalls bist du ziemlich schnell tot, wenn diese Wunde nicht behandelt wird."
McDonald seufzte. Er warf einen Blick zu Milo, dann sah er wieder mich an.
"Seid ihr zwei wirklich G-men?", fragte er dann.
Ich nickte.
"Ja, wir sind Special Agents des FBI. Und wir suchen die maskierten Killer und ihre Hintermänner. Die Leute, die euch Tunnelmenschen als Ersatzteillager für Transplantionsorgane betrachten."
"Das klingt zu schön, um wahr zu sein", meinte McDonald.
"Es ist wahr."
"Na, dann wünsche ich euch viel Erfolg", meinte er mit zynischem Unterton.
"Du bist uns was schuldig, Professor", mischte sich jetzt Milo ein.
McDonald hob die Augenbrauen.
"Ach, ja?"
"Wir haben dein Leben gerettet. Was glaubst du wohl, was die mit dir gemacht hätten..."
"Ich hätte es überstanden."
"Das ist eine Lüge und du weißt es."
McDonald atmete tief durch.
"Was wollt ihr?", fragte er.
"Den Tunnel King", erwiderte Milo.
Wir sorgten dafür, dass sich die Emergency Ambulance um McDonald kümmerte. Sein Zimmer im St. Joseph's Hospital wurde von einem Polizisten bewacht, obwohl der Professor darauf eigentlich keinen Wert legte. "Ihr wollt nur verhindern, dass ich einfach davonlaufe, ohne meine Rechnung zu bezahlen", witzelte er.
"Glaub mir, es ist besser so, Professor", sagte ich.
"Die STAR DRAGONS dürften nicht allzu gut auf dich zu sprechen sein..."
"Denen werde ich wiederbegegnen, wenn ich wieder da unten bin. Du kannst mich nicht schützen..."
"Wo finden wir den Tunnel King?", fragte ich.
"Wenn ich euch das verrate, bin ich ein toter Mann..."
"Soll das Morden immer weitergehen?", fragte ich.
"Die Welt ist schlecht. Wusstest du das nicht?"
"Ich denke nicht, dass man es hinnehmen sollte", erwiderte ich.
"Wer sagt dir, dass der Tunnel King etwas mit den maskierten Mördern zu tun hat? Du hast nichts weiter als ein paar Gerüchte und das Gerede von Crazy Joe, diesem Narren!"
"Crazy Joe wusste, dass der Tunnel King in irgendeiner Weise mit diesen Killern zusammenarbeitete. Und deswegen müssen wir den King sprechen..."
Jetzt betrat einer der Ärzte das Zimmer.
Wir hatten bereits mit ihm gesprochen. Er hieß Lawson.
"Sie können diesen Mann jetzt nicht länger vernehmen", erklärte er. "Er ist schwer verletzt. Der OP ist vorbereitet... Wenn Sie uns jetzt bitte unseren Job machen lassen würden, Mister Trevellian!"
Ich sah McDonald beschwörend an.
"Bitte, Professor!"
"Kennst du die Subway-Station Canal Street/Seventh Avenue?"
"Sicher."
"Du musst von dort aus ein Stück den Schienenstrang entlanggehen, Richtung Avenue of the Americas. Irgendwann triffst du links auf eine stillgelegte Abzweigung. Von dort gibt es einen Zugang zu den Kanälen sowie zu tiefergelegenen Tunneln. Dort ist das Gebiet des Tunnel King..."
"Wie finden wir ihn dort?"
"Er wird euch finden. Und dann Gnade euch Gott..."
Weißgekleidete Pfleger und Schwestern kamen in den Raum.
McDonald sah mich die ganze Zeit über an, während er rausgefahren wurde.
"Geht nicht dort unten hin!", rief McDonald noch. "Hört ihr? Crazy Joe ist tot, weil er mit euch geredet hat! Und wenn ihr dort auftaucht, seid ihr geliefert!"
Ich sah ihm nach.
Im Hauptquartier erwartete uns die Nachricht, dass eine Leiche als Crazy Joe identifiziert worden war. Der Mann war erschossen worden. Hinterher hatte ein Zug den Körper erfasst und sehr entstellt.
"Crazy Joe hat es gewusst", stellte Milo fest.
Wir saßen in Mister McKees Büro. Es ging darum den Einsatz in den Tunneln unterhalb der Kreuzung Canal Street/ Seventh Avenue zu planen. Denn unser Chef war alles andere als begeistert von dem Gedanken, dass Milo und ich uns allein dorthin begeben würden.
"Ich möchte, dass Ihnen unsere Leute folgen, Jesse."
"Wissen Sie was passieren wird? Der Tunnel King wird sich einfach zurückziehen. Er kennt sich dort unten aus, wir sind auf Pläne angewiesen, von denen ein Großteil nicht stimmt."
"Dann werden wir wenigstens das Gebiet großräumig absperren und alle Eingänge zum Tunnelsystem im Umkreis mehrerer Meilen bewachen", meinte Mister McKee. "Und Sie beide werden sich mit Abhörmikrophonen ausstatten lassen..."
"Der Empfang könnte da unten zeitweilig abbrechen."
"Und wenn die Leute des Tunnel King das herausfinden?", fragte Milo.
"Dann sind Ihre Kollegen rechtzeitig bei Ihnen", erklärte Mister McKee. Nach kurzer Pause setzte er hinzu: "Zumindest bemühen sie sich darum. Riskant wird es auf jeden Fall..."
Wir ließen uns von unserem Kollegen Agent Fred LaRocca zur Subway-Station an der Kreuzung Canal Street/ Seventh Avenue bringen. In der Umgebung hatten sich Dutzenden von FBI-Agenten auf den U-Bahnhöfen in der Umgebung postiert. Sie mischten sich unauffällig unter die Passanten, aber im Ernstfall konnten sie schnell eingreifen, wenn ein Verdächtiger versuchte, das Tunnelsystem auf diese Weise zu verlassen. Natürlich gab es noch unzählige weitere Ausgänge, vor allem über die Kanalisation. Die wichtigsten wurden von unseren Leuten bewacht, aber es war uns natürlich klar, dass eine flächendeckende Überwachung unmöglich war.
Wir gingen an den Schienensträngen entlang, die in Richtung der Avenue of the Americas führten, fanden dann die Abzweigung, von der McDonald gesprochen hatte.
Von dort aus gelangten wir über die Kanalisation in tiefergelegene Tunnel.
McDonalds Angaben nach befand sich hier das Revier des Tunnel King.
Die Taschenlampen, die Milo und dabei hatten, erlaubten eine notdürftige Orientierung in dem dunklen Labyrinth.
Es war totenstill hier unten.
Selbst die Mole People schienen diesen Bereich zu meiden, obwohl er an und für sich relativ geeignet war, um zu lagern.
Schließlich war es hier recht trocken.
"Ich frage mich, ob die Angaben des Professors vielleicht schon etwas veraltet waren", raunte Milo mir zu.
"Diese Ruhe hier unten gefällt mir jedenfalls nicht", stellte ich fest.
Wir stießen auf einen Zugang zur Kanalisation, der uns noch weiter hinabführte. Über eine enge Betonröhre, an deren Wand sich Metallsprossen befanden, gelangten wir in einen Hauptkanal, der an mehreren Stellen nicht mehr in Ordnung war. Der Beton war aufgesprungen, der Kanal verlor Wasser.
Der Wasserstand war daher extrem niedrig. Es stank entsprechend bestialisch.
"Ich frage mich, wer ein Motiv hatte, jemanden wie Crazy Joe umzubringen", hörte ich Milo sagen. Seine Stimme hallte an den gerundeten Kanalwänden wider.
"Vielleicht war er doch nicht der Narr, als den ihn alle sahen", erwiderte ich. "Aber vermutlich sind wir schlauer, wenn der ballistische Bericht vorliegt!"
Aus mehreren Nischen sprangen in diesem Moment Vermummte hervor. Sie trugen Strickmützen, die sie über das Gesicht gezogen hatten. Für die Augen waren kleine Löcher herausgeschnitten worden.
Die Kerle waren bewaffnet.
Ratsch!
Eine Pumpgun wurde mit einer energischen Bewegung durchgeladen. Ich wirbelte herum. Meine Hand hatte bereits den Griff der P226 umfasst. Ich war bereit, die Waffe herauszureißen, aber die Übermacht war zu erdrückend.
Fast ein Dutzend Bewaffnete standen Milo und mir gegenüber.
Außer einigen Pumpguns sah ich Revolver, Pistolen und sogar ein Schnellfeuergewehr, das aus Army-Beständen zu stammen schien.
"Stehenbleiben, ihr Ratten!", knurrte einer der Vermummten.
Wir waren eingekreist. Fast hatte ich den Eindruck, als ob diese Leute uns erwartet hatten. Jedenfalls waren sie hervorragend postiert gewesen und hatten uns in aller Ruhe in die Falle gehen lassen.
Einige von ihnen kamen näher.
Die Läufe ihrer Waffen waren die ganze Zeit über auf uns gerichtet. Sie entrissen uns die Dienstpistolen. Einer heulte triumphierend auf. Zwei Pistolen vom Typ SIG Sauer P226 - das war eine Beute ganz nach ihrem Geschmack.
Die Vermummten musterten uns.
Milo und ich tauschten einen schnellen Blick.
Jetzt konnten wir nur hoffen, dass wirklich alles so klappte, wie Mister McKee es vorgesehen hatte.
Ich hatte da so meine Zweifel...
"Los, mitkommen", knurrte ein Mann mit einem 38er Special in der Linken, mit deren kurzen Lauf er aufgeregt herumschwenkte.