8 DAYS - Tanja Wagner - E-Book

8 DAYS E-Book

Tanja Wagner

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Beschreibung

Emiliana Brooks arbeitet seit geraumer Zeit in einer kleinen Floristeria mitten im Zentrum von Manhattan. Sie will nichts mehr, als ihr Leben nach einem Reinfall mit einem reichen Unternehmer, für den sie sogar ihr Studium abgebrochen hatte, wieder in den Griff zu bekommen. Als die Stammkundin Mrs. Fletcher ihr ein Angebot unterbreitet, welches sie nicht ausschlagen kann, sieht es sogar danach aus, als könne es wieder aufwärts gehen. Was Emiliana nicht weiß, ist, dass Jeremy Adams, bester Re-po Man von Marshall-Enterprises, ausgerechnet an diesem Tag darauf angesetzt wird, ihrer Großmutter eine letzte Frist zu setzen, das Haus, welches die Brooks schon seit vielen Jahren bewohnen, binnen vier Wochen zu räumen. Als Emiliana davon erfährt ist sie verzweifelt, doch schnell sieht sie eine Chance, wie sie sich und ihre über alles geliebte Granny aus dieser misslichen Lage retten kann. Nie hätte sie gedacht, dass sie jemals soweit gehen könnte, doch das Leben zwingt einen manchmal dazu seine Prioritäten über Bord zu werfen. Vieles können wir planen, anderes fügt sich wie von selbst. Emiliana bleiben nur mehr 8 Tage um über ihre Grenzen hinauszugehen und Jeremy in seinem Job zu brechen - oder bricht sie in ihm auch den Mann? Spannend - Atemraubend - Erotisch!

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Mit harten Kerlen spielt man nicht!

Außer sie sind gefesselt …

Inhaltsverzeichnis

New York City /Manhattan: Mai 2019

DAY 1: Staten Island

DAY 2: Staten Island

DAY 3: Staten Island

DAY 4: Staten Island

DAY 5: Staten Island

DAY 6: Staten Island

DAY 7: Staten Island

DAY 8: Staten Island

New York City /Manhattan Mai 2019

Über Manhattan fiel der Abend an diesem Tag unheimlich schnell herein. Zahlreiche Wolken bedeckten den zuvor makellos blauen Himmel und es sah nach Regen aus.

Als sich die Tür in die kleine Floristeria öffnete, konnte Emiliana die warme Luft, die eine Kundin mit in den Laden brachte, deutlich auf ihrer Haut spüren.

Sie setzte ihr gewohnt freundliches Lächeln auf, dass viele Kunden an der jungen Frau sehr schätzten.

„Guten Abend, Mrs. Fletcher. Schön, dass Sie es doch noch geschafft haben. Ich hatte schon die Befürchtung, dass Sie diese Woche gar nicht vorbeischauen werden.“

Mrs. Fletcher, die ein weißes enges Kleid mit einem passenden Hut dazu trug, seufzte: „Mein Liebe, ich weiß diese Woche einfach nicht mehr, wo mir der Kopf steht.

Erst musste ich zum Friseur, dann hatte mein Mann mehrere Arzttermine, wegen seines Rückenleidens, zwischenzeitlich hatten wir Handwerker im Haus, nächste Woche sollen wir zu meinem Schwager nach Chelsea kommen und ich muss auch gleich noch einen dringenden Termin in der Bank wahrnehmen.“

Emiliana musste schmunzeln, denn so kannte sie die gute Mrs. Fletcher.

Ihren Job hatte sie seit einem guten Jahr und die ältere Dame kommt schon seit vielen Jahren jede Woche in das Geschäft, um sich selbst einen schönen Strauß Blumen auszusuchen.

Darauf bestand angeblich ihr Mann, denn er möchte, dass sie so glücklich wie am ersten Tag an seiner Seite ist.

Klingt alles in allem furchtbar kitschig und doch scheint in dieser Gewohnheit etwas vertrautes und vor allem ganz viel Liebe zu stecken.

Mit einer eleganten Bewegung sah Mrs. Fletcher nun zu den Blumensorten des Tages.

Emiliana kam um den Tresen herum und deutete auf einen Topf, indem sich viele weiße, oder teilweise blau bis violette Blüten, wie ein Stern öffneten.

„Das sind unsere Frühlingssterne. Sie lieben die Sonne und harmonieren gut mit Krokussen oder Narzissen.

Wenn Sie möchten, dann stelle ich einen Strauß zusammen.“

Voller Begeisterung ging Mrs. Fletchers Griff an eine der Blumen und sofort schnupperte ihre spitze Nase daran.

„Mhm …, ein äußerst markanter und süßlicher Duft. Ich nehme sie.“

Nickend begann Emiliana damit, die entsprechenden Blumen aus den Töpfen zu nehmen, um sie anschließend binden zu können.

Mrs. Fletcher sah ihr eine ganze Weile schweigend zu, dann begann sie die Lippen fest zusammenzupressen.

Irgendetwas schien die ältere Frau zu beschäftigen, deshalb wagte es Emiliana zu fragen: „Geht es Ihnen gut?“

„Ja, danke. Mir geht es bestens. Ich mache mir nur schreckliche Sorgen um meine arme kleine Cynthia.“

„Cynthia? Ist das ihre Enkelin?“

„Nein, wo denken Sie hin, meine Liebe. Mein einziger Sohn hat doch gar keine Kinder. Wie auch, schließlich hat er noch nicht einmal eine Frau.“

„Entschuldigung, Mrs. Fletcher, das wusste ich nicht.“

Mrs. Fletcher lachte auf und mit einer abwinkenden Handbewegung setzte sie nach: „Nicht der Rede wert. Aber Cynthia ist wirklich ein großes Problem für mich, wenn wir eine ganze Woche nicht zu Hause sind. Sie wird sich furchtbar einsam fühlen oder gar fürchten in dem großen Haus. Mein Mann meint zwar, dass es ausreichend wäre, wenn die Nachbarin zweimal am Tag ihr das Futter bereitstellt, doch ich sage, dass ich das meinem armen Schätzchen einfach nicht antun kann. Mitnehmen kann ich sie leider auch nicht und …“ Emiliana hatte das Gefühl an dieser Stelle unterbrechen zu müssen: „Verstehe ich das richtig, dass Cynthia eine Hündin ist?“

Mit weit aufgerissenen Augen hielt Mrs. Fletcher in ihrem Redefluss inne.

Kurz darauf lachte sie wieder auf. „Sehen Sie, ich spreche von meinem Schätzchen meist, wie von einem Menschen. Aber nein, meine Liebe. Cynthia ist eine Katzendame. Sie ist schwarz, mit einem kleinen weißen Punkt auf der Stirn. Eine seltene und sehr edle Rasse.“

„Oh, verstehe. Das ist toll“, antwortete Emiliana, die nun auch schon das letzte von fünf Bändern in den Strauß einbinden konnte. Fehlte nur noch die schützende durchsichtige Folie.

Während des Abreißens vernahm sie Mrs. Fletchers Stimme. „Sagen Sie, was verdienen Sie so in der Woche in diesem Laden?“

Da das eine ziemlich direkte Frage war, überlegte Emiliana fieberhaft, was sie wohl am besten darauf antworten könnte. Ein alter Spruch ihrer Granny kam ihr in den Sinn und hierfür sogar mehr als gelegen.

Sie wendete sich um: „Zum Leben zu wenig, zum Sterben zu viel.“

Mrs. Fletcher griff über den Tresen nach dem wunderschön arrangierten Strauß. „Ich biete Ihnen ein volles Monatsgehalt bar auf die Hand, wenn Sie sich kurzfristig freinehmen und die gesamte nächste Woche in unserem Haus auf Staten Island verbringen. Cynthia weiß ich somit gut aufgehoben, denn Sie haben ehrliche Augen.“

Die Szene kam Emiliana gerade sehr unwirklich vor.

„Das macht, bei der üblichen Stiellänge von circa vierzig Zentimetern, 47,38 Dollar. Und was die Katze, ich meine die liebe Cynthia angeht, also ich …“ „Zwei Monatsgehälter!“, bot Mrs. Fletcher mit herausforderndem Blick.

Emiliana biss sich auf die Unterlippe. Macht diese Frau Scherze oder meint sie es womöglich ernst?

Dass es Menschen gab, die mehr Geld besaßen, als dass sie ausgeben konnten, das wusste Emiliana nur zu gut von ihrem Exfreund.

Diesem hat sie auch heute den Job in dem Laden quasi zu verdanken, denn sie war vor zwei Jahren leider so naiv gewesen, um ihm zu glauben, dass sie die einzig wahre Frau für ihn sei und er sie mit nach Puerto Rico auf seine Villa und von dort aus in die ganze weite Welt mitnehmen würde.

Emiliana erinnerte sich häufig und sehr schmerzhaft an den Tag, an dem sie vergeblich auf ihren Lover am Flughafen von Manhattan gewartet hatte, doch er kam nicht. Nie wieder!

Selbst der Name, den er ihr nannte, stellte sich im Nachhinein als Fake heraus.

Für so einen Arsch hatte sie also ihr damaliges Studium, dass ihre Granny monatlich von Ersparnissen aus dem Nachlass ihres Grandpa’s finanzierte, abgebrochen.

Je höher der Flug, desto härter der Fall.

Emiliana wusste, sie war verdammt hart wieder in der Realität gelandet.

Die gefasste Stimme von Mrs. Fletcher holte sie aus ihren Gedanken zurück. „Drei volle Monatsgehälter! Letztes Angebot. Mir liegt wirklich sehr viel an der kleinen Cynthia.“

Draußen fielen nun dicke Tropfen auf den Asphalt.

Der Wind blies die Schirme der dichtgedrängten Menschen teilweise gegeneinander.

Angespannt, doch in Gedanken bei der Summe des Angebotes, hörte Emiliana sich selbst sagen: „Ja, in Ordnung. Wann soll ich wo sein?“

„Wunderbar!“ Mrs. Fletchers Gesicht erhellte sich und ihr strahlend weißes Lächeln reicht ihr beinahe bis zu beiden Ohren.

Sie kramte in ihrer Handtasche nach ihrem Portemonnaie und zog daraus eine Visitenkarte hervor. „Das ist unsere Adresse, Telefonnummer, und eine Wegbeschreibung.

Melden Sie sich, sobald Sie von der Fähre steigen.“ Emiliana strich sich eine Strähne ihres langen dunklen Haares nach hinten. „Prima. Wann soll ich da sein?“

Kurzzeitig schien Mrs. Fletcher zu überlegen.

Dann sagte sie: „Am besten Sie kommen Sonntagabend mit der letzten Fähre. Wir werden nach dem Mittagessen aufbrechen. Ich rufe dann einfach aus Chelsea an, ob Sie denn auch alles gut erreicht haben. Moment …“ Wieder kramte Mrs. Fletcher in ihrer Handtasche. „Hier habe ich sogar einen Ersatzschlüssel. Den Code für die Alarmanlage schreibe ich auch noch schnell hinten auf die Karte. Verlieren Sie diesen bloß nicht, sonst steht innerhalb kürzester Zeit nach Betreten des Hauses der Security-Service auf der Matte. Die Jungs sind zuverlässig, aber blinder Alarm bringt auch meist unnötigen Papierkram mit sich.“

„Alles klar“, gab Emiliana zu verstehen, doch ihr kam das noch immer alles sehr unwirklich vor.

Mrs. Fletcher griff nach dem Strauß. „Werden Sie das denn auch sicher hinbekommen? Ich meine mit der Arbeit hier oder wichtigen Terminen?“

„Das bekomme ich hin. Es gibt eigentlich nichts, dass sich nicht verschieben ließe und wie schnell wird man bei diesem Wetter auch schon mal krank?“

Da Mrs. Fletcher auf Anhieb Emilianas Andeutung verstand, lächelte sie ehe sie sich in Richtung der Tür begab. „Sie wissen gar nicht, welch große Last Sie mir gerade abgenommen haben. Ich danke Ihnen.“

Emiliana erhob zögerlich die Hand zum Abschied.

Die Tür fiel ins Schloss und erst jetzt bemerkte sie, mit Blick auf die Anzeige der Kasse, dass Mrs. Fletcher den Blumenstrauß nicht bezahlt hatte.

Mit einem tiefen Seufzer nahm Emiliana ihr eigenes Portemonnaie zur Hand und glich den Betrag auf den Cent genau aus.

In drei Monatsgehältern war dieser Betrag schließlich locker wieder eingeholt.

Mit einem leichten Schubs schloss sie die Kasse und der Blick auf die Uhr verriet ihr, dass es nur noch eine Stunde bis zum Feierabend zu überstehen galt.

Zur selben Zeit verließ Jeremy Adams den gigantischen Bürokomplex von Marshall-Enterprises.

Sein Tag war lang, hektisch, und randvoll mit Terminen gespickt gewesen.

Dass es jetzt regnete und er keinen Schirm zur Hand hatte, machte sich auch umgehend in seiner Laune bemerkbar.

Laut vor sich hin fluchend versuchte er zu seinem Wagen zu gelangen, an dem er schon von Weitem an der Frontscheibe einen weißen Zettel haften sah.

Mit einem gezielten Handgriff riss er das Knöllchen ab, öffnete den Wagen per Fernbedienung am Schlüsselbund und zog die Fahrertür ruckartig auf.

Die Aktentasche warf er auf den Beifahrersitz und als er endlich hinter dem Steuer saß, fuhr er sich mit den Händen über das Gesicht und durch den Ansatz seiner nassen Haare.

Was für ein beschissener Tag! Ab nach Hause, unter die Dusche, und dann … Der Klingelton seines Smartphones ließ ihn aufhorchen.

Jeremy griff in seine Hosentasche und schon beim Blick auf das Display redete er laut vor sich hin.

„Verdammt! Was will der denn jetzt noch?“

Annahme.

„Hey Joel, was gibt´s?“

„Jeremy, mein Bester! Du bist doch noch im Büro, oder?“

Mit Blick auf den fließenden Verkehr antwortete Jeremy: „Logisch und draußen regnet es Geldscheine!“

„Ach Fuck! Tut mir leid! Aber ich hätte da noch eine wichtige Sache für dich.“

Jeremy startete den Wagen. „Joel, was ist so wichtig, dass es nicht auch bis morgen warten kann?“

„Nun, wie du weißt, haben wir doch im Grunde immer irgendwas zu tun. Dieser Fall bringt uns zusätzlich einen Haufen Kohle ein, denn die neuen Käufer des zu pfändenden Hauses scharren schon mit den Füßen und können es kaum erwarten dort einziehen zu dürfen.

Eigentlich müsste dir der Fall bekannt sein. Es handelt sich um das Haus von Mr. Brooks, der letzten Winter verstorben ist. Seine Frau ist die einzige, die noch darin lebt. Die Bank hatte dich via E-Mail darüber informiert, dass wir eine Räumungsfrist setzen sollen.“

Jeremy setzte den Blinker und runzelte die Stirn. „Toll!

Ganz großartig, Joel! Allein heute hatte ich vierzehn Fälle von Fristsetzungen, und wenn du mich jetzt spontan fragen, oder gar an den Pranger stellen würdest, ich könnte dir höchstens drei Namen der Leute aufzählen.“

Joel atmete laut hörbar am anderen Ende der Leitung aus.

„Schon gut, nur bitte tu mir den Gefallen und fahr dort vorbei, damit die Frist schneller abläuft und wir uns somit die Prämie der Bank nicht durch die Lappen gehenlassen.

Ich will dann natürlich auch nicht so sein und gebe dir dafür 50%, statt der üblichen 35%. Was hältst du davon, mein bester Repo-Man?“

Jeremy musste auflachen. „Joel, du glaubst, dass du alles und jeden kaufen kannst, was?“

„Hab ich dich denn?“

„Schick die Adresse.“

„Yes! Ich wusste, ich kann auf dich zählen!“

Nach dem Auflegen sah Jeremy den Regentropfen dabei zu, wie sie immer dichter und stärker auf die Windschutzscheibe trommelten.

An der nächsten Ampel las er die Adresse im Display seines Smartphones ab und gab diese in das Navi ein.

Sicherlich wird eine ältere Dame nicht amüsiert darüber sein, dass um die Abendzeit noch jemand vorbeikommt, nur um ihr mitzuteilen, dass sie in vier Wochen ihr über die Jahre hinweg mehr als nur vertraut gewordenes Heim, quasi unter dem Hintern weggepfändet wird.

Joel meinte in seinen Mitarbeiter Schulungen immer, dass die Menschen selbst schuld an ihrer Lage seien, wenn sie nicht das notwendige Geld erarbeiten oder für das Alter beiseite sparen wollten. Ob es manche nicht können, oder gar das Leben ungeplante Veränderungen für sie bereithielt, davon wollte er nichts wissen. Er ist der felsenfesten Überzeugung, dass jeder seines eigenen Glückes Schmied ist und so wie man sich bettet, so liegt man auch.

Außerdem sollte man es auch mal von einem ganz anderen Blickwinkel betrachten, nämlich davon, dass gerade bei älteren und alleinstehenden Menschen, die Männer und Frauen von Marshall-Enterprises, die Retter in der Not seien. Schließlich könnten sich die Menschen an anderen Orten oder in Altenheimen eine ruhige und gleichzeitig gesellige Art zu leben einrichten. Ein Neubeginn sozusagen nach all den finanziellen Strapazen.

Dass es in Wahrheit nicht so einfach ist, wie Joel es gerne darstellt, zeigen die Reaktionen und vor allen Dingen die Reaktionen der Menschen.

Sie weinen, betteln, leiden.

Wenn Jeremy eines in den acht Jahren, die er nun bei Marshall-Enterprises arbeitet, gelernt hat, dann, dass man sich ein dickes Fell zulegen und die Arbeit nicht in den privaten Bereich oder gar bis in seine eigene Gefühlswelt vordringen lassen darf.

Die meisten Menschen begegnen ihm daher mit Abscheu und Verachtung, doch was spielt das für eine Rolle?

Schließlich sind sie am Ende diejenigen, die nicht wissen, wie es weitergehen soll.

Er schon, denn sein eigenes Haus ist durch seine Arbeit und die Tätigkeit seiner Frau komplett abgesichert.

Sara Adams arbeitet nämlich seit geraumer Zeit als Financial-Beraterin in einer der größten Banken von Manhattan.

Binnen zwanzig Minuten war Jeremy am Zielort angekommen. Beim Aussteigen spürte er leichte Anzeichen von aufkommenden Kopfschmerzen und dieser Abend kam ihm ungewöhnlich kühl für diese Jahreszeit vor. Vielleicht lag es aber auch nur an der Tatsache, dass dieser Tag alles von ihm abverlangte.

An der Haustür angekommen, holte Jeremy noch einmal tief Luft und hielt sich mit dem Gedanken wach, auch diesen Fall bald zu den übrigen Akten des Monats abheften zu können.

Die Klingel ertönte melodisch.

Aufsperrgeräusche von Innen. Kurz darauf tauchte eine mittelgroße, grauhaarige Dame mit misstrauischem Blick in der Tür auf.

Sie machte nicht den Eindruck, dass sie den Wunsch habe, den Mann im Anzug vor ihrem Haus zu sich hereinzubitten.

Im Gegenteil! Ihre Augen hafteten auf der Aktentasche und allein dieses Utensil schien ihr eine Art von unheilvoll verheißende Gefahr zu vermitteln.

Jeremy setzte ein Lächeln auf. „Guten Abend, Mrs. Brooks.

Mein Name ist Jeremy Adams und ich komme im Auftrag von Marshall-Enterprises. Kann ich bitte reinkommen und mich mit Ihnen unterhalten?“

„Worum geht es?“, fragte Mrs. Brooks streng.

„Das sollten wir lieber im Haus besprechen.“

Unschlüssig ob sie den Mann reinlassen sollte, zog Mrs. Brooks die Tür ganz nach innen auf.

Jeremy trat ein und wartete darauf, dass Mrs. Brooks ihn an den Esstisch oder in den Wohnbereich geleitete, damit er ihr die Unterlagen unterbreiten konnte.

Dem war nicht so, denn Mrs. Brooks stoppte mitten in dem großen Flur und funkelte ihn böse an. „Mr. Adams! Sie sind gekommen, um mich an meine Raten für das Haus zu erinnern. Ich sagte der Bank bereits, dass ich gewiss nächsten Monat das Geld aufbringen kann.“

Jeremy kramte in seiner Aktentasche, die er auf dem langen Sideboard abgestellt hatte. Er wurde sogar schneller als gedacht fündig. „Mrs. Brooks, das mag sein, allerdings sind die Gläubiger seit heute Morgen nicht mehr gewillt auf den Eingang von Raten zu warten. Zu viele Zahlungstermine wurden nicht eingehalten und deshalb bin ich heute hier, um Ihnen mitzuteilen, dass dieses Haus sowie das dazugehörige Grundstück in vier Wochen an die Bank übergeht.“

Voller Entsetzen über diese Worte fasste sich Mrs. Brooks an die Brust. „Ich muss ausziehen?“

„Es tut mir schrecklich leid.“

Dass dieser Mann vor ihr kein Mitleid empfand, konnte die alte Mrs. Brooks deutlich an seinen Gesichtszügen ablesen. All das war sein täglich Brot und während sie ganze Erinnerungen in diesem Augenblick verlor, verlor er lediglich ein paar mickrige Minuten seines Abends.

Da Jeremy das aufgewühlte Verhalten und die schnelle Atmung der älteren Dame nicht entging, deutete er in das Esszimmer. „Wir sollten uns kurz setzen.“

Es dauerte tatsächlich nur eine weitere Viertelstunde, ehe Jeremy sich auch schon wieder erhob und Mrs. Brooks die Hand reichte.

Diese machte keinerlei Anstalten, die Geste der Höflichkeit zu erwidern.

Stattdessen starrte sie noch immer ungläubig auf das soeben unterzeichnete Stück Papier, das vor ihr lag.

Jeremy schloss die Aktentasche.

Das Klicken klang in Mrs. Brooks Ohren wie eine endgültige Absolution. Darin war sie zwar ihre Schulden endgültig los, hatte jedoch gleichzeitig alles verloren, was sie in ihrem Leben ein Zuhause nannte.

„Gut, wenn Sie noch irgendwelche Fragen haben, dann melden Sie sich einfach. Die Nummer vom Büro steht auf dem Briefkopf.“

„Danke“, wehrte Mrs. Brooks mit Tränen in den Augen ab.

„Sie finden sicherlich allein raus.“

Jeremy verstand.

Als sich die Tür hinter ihm schloss, konnte Mrs. Brooks ihre gefasst wirkende Haltung endlich aufgeben und ihr Gesicht zwischen die Hände sinken lassen.

Mit tränenerstickter Stimme murmelte sie: „Was soll ich denn jetzt nur tun?“

DAY 1 Staten Island

Der Ausblick auf Lower Manhattan war an diesem Sonntagabend wirklich atemberaubend schön.

Emiliana zog ihre dünne Jacke etwas fester vor ihrem Körper zusammen, während sie an der Reling der Staten Island Ferry die fünfundzwanzigminütige Überfahrt genoss.

Sie sah auf den Hafen von New York City, die Brooklyn Bridge, Ellis Island und auf die gigantischen Hochhäuser der Wall Street. Die Perspektive, die sich ihr dabei bot, wechselte dabei mit nahezu jedem Meter.

Das Beste an dieser Fahrt war jedoch, dass sie komplett kostenlos ist, und das in einer der teuersten Metropolen der Welt.

Ihre Geschichte reicht dabei bis in das frühe 18.

Jahrhundert zurück, denn schon zu dieser Zeit verband die Fähre Manhattan und Staten Island.

Vor allem für Touristen ist diese Fahrt interessant, denn es geht sozusagen direkt an der Freiheitsstatue vorbei.

Auch wenn Emiliana noch nie zuvor mit dieser Fähre gefahren ist, konnte sie nach ihrer Ankunft mit der Subway 1 den Terminal am Battery Park in Lower Manhattan nicht verfehlen, denn egal zu welcher Tageszeit stehen hier dutzende Passagiere in einer Schlange, um sich die besten Plätze an Bord zu sichern.

Emiliana spürte den Wind in ihren Haaren und ihre Gedanken kreisten um die bevorstehende Woche.

Die Tatsache, dass sie nach dieser Zeit, um drei volle Monatsgehälter reicher sein würde, machte es ihr leichter sich damit zu arrangieren auf eine verwöhnte Katze, namens Cynthia, aufpassen zu müssen.

Vielleicht konnte sie damit auch ein wenig die Schulden ihrer Granny auffangen, wenn auch nicht ganz ausgleichen. Die Bank würde einen größeren Betrag, nach all den unbezahlten Monaten, eventuell als zahlungswillig anerkennen und somit die Pfändung zurückziehen.

Diese hauchdünne Chance war das Einzige, das Emiliana blieb, seit sie vor zwei Tagen von dem Schreiben erfahren hatte und in ihrer Verzweiflung klammerte sie sich daran.

Offiziell wusste sie überhaupt nichts davon, denn ihre Granny war schon immer viel zu stolz, als dass sie sich beschweren oder gar bei jemand anderem die Augen ausweinen würde. Sie nahm Schicksalsschläge und andere Gemeinheiten des Lebens hin und versuchte diese meist sogar mit einem Lächeln auf dem Gesicht wegzustecken. Wie es jedoch tief im Inneren dieser alten Frau aussehen mochte, dass konnte Emiliana nur erahnen, denn alles was geschieht hinterlässt bei einem Menschen Spuren – sichtbar und unsichtbar.

Das unheilvolle Schreiben, welches Emiliana per Zufall beim Kochen in der Küchenschublade fand, hatte sie an sich genommen. Wer weiß, wozu ihr das noch nützlich sein konnte.

Sobald sie im Haus der Fletchers angekommen war, nahm sie sich außerdem vor, ihre Granny anzurufen, damit diese sich keine allzu großen Sorgen machen musste.

Zusätzlich würde zu Emilianas Glück ab morgen eine liebe Nachbarin einmal am Tag bei Mrs. Brooks nach dem Rechten sehen.

Beim Verlassen der Fähre schaute Emiliana auf das Display ihres Smartphones – 8.05 p.m.

Die piepsende Stimme einer Frau ließ sie aufblicken: „Miss Brooks?“

„Ja, das bin ich.“

„Sehr gut. Ich warte hier schon über eine halbe Stunde auf Sie, weil ich nicht mehr genau wusste, mit welcher Fähre Sie ankommen werden. Nun ja, jetzt sind Sie ja da, deshalb herzlich willkommen auf Staten Island.“

„Vielen lieben Dank“, antwortete Emiliana, musste dabei aber fragend und ein wenig verdutzt gewirkt haben.

Die Frau begann breit zu Lächeln. „Mrs. Fletcher bat mich, diese Wagenschlüssel und die zugehörigen Papiere auszuhändigen. Sie meinte, dass es notwendig wäre, dass Sie zu jederzeit mobil sind, Sie aber ansonsten über alles weitere schon selbst Bescheid wüssten.“

Emiliana war jetzt also um das Wissen reicher, dass sie weder ein Taxi rufen, noch meilenweit laufen musste, um ihren Zielort erreichen zu können.

Als sie sich bei der netten jungen Dame bedankte und diese auch schnell wieder in einer Menschentraube verschwand, wurde klar, dass jene ihr zwar alles notwendige ausgehändigt, jedoch weder Automarke noch Farbe genannt hatte.

Langsam ging Emiliana nun an einer Reihe parkender Wagen entlang. Wieder und wieder betätigte sie den Knopf auf dem Schlüssel.

Laut der Prägung musste es sich um einen Mercedes handeln und aus den Papieren konnte sie die Bezeichnung SLK sowie die Farbe herauslesen.

Wo zum Teufel hat sie dich bloß geparkt?

Ein weiterer Klick auf den Schlüssel und man konnte deutlich ein doppelten Signalton hören.

Emiliana fuhr herum. Da bist du also!

Am Haus der Fletchers angekommen, parkte Emiliana den Wagen unweit der Einfahrt. Auf keinen Fall wollte sie mit dem Rangieren in die offenstehende Garage riskieren eine Delle abzubekommen oder versehentlich den Lack an einer der herumstehenden Skulpturen abzuschrammen.

Nachdem sie sich zehn Minuten lang umgesehen hatte, kam sie zu dem Schluss, dass man es ziemlich weit im Leben gebracht haben musste, um in solch einem luxuriösen Haus wohnen zu können.

Der stilvolle Eingangsbereich glänzte mit den Laternen der Straßenbeleuchtung beinahe um die Wette.

Noch wusste Emiliana nicht genau, was sie alles im Innern erwarten würde, doch sie war fest entschlossen es herauszufinden.

Mit ihrer kleinen Reisetasche um die Schulter, steuerte sie direkt auf die Eingangstür des Hauses zu und schon beim Aufsperren konnte sie die Laute einer Katze wahrnehmen.

Das zarte Miauen glich dabei einem kläglichen Wimmern.

Als die Tür offenstand, konnte Emiliana die schwarze Katze mit dem weißen Punkt auf der Stirn gerade noch mit den Händen davon abhalten an ihr vorbei ins Freie huschen zu können.

„Cynthia, wirst du wohl hierbleiben! Schließlich bin ich nur wegen dir gekommen, da kannst du mich doch nicht nach einer kurzen Begrüßung schon wieder allein lassen.“

Als sich die Tür schloss, stolzierte die kleine Katze einmal um Emilianas Beine herum und verschwand in einem der angrenzenden Räume.

Der Flurbereich war einladend und äußerst stilvoll eingerichtet. Viele Bilder hingen an den Wänden, die von einem gewissen Hang zu abstrakter Kunst zeugten.

Mehrere breite Ledersessel luden dazu ein, sich zu setzen und einen näheren Blick darauf werfen zu können.

Nachdem Emiliana jeden Raum des Hauses abgegangen war, blieb sie im oberen Stockwerk vor einer kleinen Kammer stehen.

Auf der schmalen Tür stand auf einem handgeschriebenen Zettel in Druckbuchstaben ihr Name – EMILIANA.

Sie öffnete das Zimmer und stellte sofort fest, dass diesen Raum wohl schon lange Zeit niemand mehr bewohnt hatte.

Zwar gab es keinen Staub oder gar Spinnweben, denn dafür hatten die Fletchers sicherlich einen Putzdienst, doch es roch ziemlich stark nach abgestandener Luft.

Ein klappbares Gästebett mit einer Wolldecke, sowie dicken Kissen, die nebeneinander darauf drapiert worden waren, fiel einem außerdem sofort ins Auge.

Darin soll ich schlafen? Nicht deren verdammter Ernst!

Einmal mehr kam Emiliana zu der Erkenntnis, dass reiche Menschen sich nahezu alles erlauben können. Zumindest denken sie, dass sie es können.

Noch immer mit der Reisetasche um die Schulter lief sie zwei Zimmer zurück in das große lichtdurchflutete Schlafzimmer.

Emiliana ließ die Tasche vor dem Doppelbett fallen und warf sich mit dem Rücken auf die seidige Tagesdecke.

Ihr schoss der Gedanke durch den Kopf, dass sie es sich durchaus erlauben sollte, die Nächte in diesem Raum zu verbringen. Wer sollte mich schließlich daran hindern?

Am liebsten wäre sie auf der Stelle eingeschlafen, doch Emiliana wusste, dass sie noch auf den Anruf von Mrs.

Fletcher warten und danach ihre Granny anrufen musste.

Nebenbei die Katze füttern und mit ausreichend Wasser versorgen und dann … Emiliana riss die Augen weit auf!

… werde ich MEINEN GAST in Empfang nehmen!

Als Jeremy an diesem Abend aus der Dusche trat, konnte er unmöglich wissen, was diese Nacht noch alles mit sich bringen würde.

Zusammen mit Sara hatte er reichlich gegessen und einen ziemlich teuren Wein getrunken. Seine Hoffnung ging sogar kurzzeitig in die Richtung, dass er eventuell seiner Frau zur Abwechslung mal wieder nahe sein könnte.

Sein Denken darüber wurde allerdings im Keim erstickt, als Sara ihm so trocken wie der Wein es war, mitteilte, dass sie mit einer Kollegin noch in eine Spätvorstellung des neueröffneten Cinemax gehen wird.

Dafür hatte sie sich wenige Augenblicke später auch schon zurechtgemacht als würde sie nicht ins Kino, sondern in eine Oper mit der Uraufführung von Hamlet gehen.

Jeremy wickelte sich ein Handtuch um die Hüften, schüttelte sein nasses Haar und wollte gerade nach seinem Deo greifen, als er sein Smartphone im Schlafzimmer klingeln hörte.

Er zog es aus der Hose seines Anzugs, den er zuvor fein säuberlich über einen Herrendiener gehängt hatte.

Unbekannt!

Die Uhrzeit im Display verriet ihm, dass es schon ziemlich spät für geschäftliche Unterredungen war, deshalb drückte er den Anruf einfach weg.

Das Telefon warf er aufs Bett, dann ging er pfeifend zurück in Richtung Badezimmer.

Es klingelte erneut.

Mit rollenden Augen machte Jeremy auf dem Absatz kehrt, und dieses Mal beschloss er herauszufinden, wer ihn unbedingt zu erreichen versuchte.

„Adams.“

Es gab eine lange Pause.

„Mr. Adams? Jeremy Adams?“

„Ja, der bin ich. Und mit wem spreche ich, wenn ich fragen darf?“

„Ach Verzeihung, wo sind nur meine Manieren. Ich bin Mrs. Fletcher, … eine Kollegin ihrer Frau Sara.“

Jeremy konnte sein eigenes Gesicht im Spiegelschrank dabei beobachten, wie es immer verdutzter dreinblickte.

Mit der Hand fasste er sich nachdenklich an die Stirn.

„Mrs. Fletcher, sollten Sie nicht eigentlich mit Sara im Kino sein. Die Vorstellung hat sicherlich schon begonnen und …“ „Mr. Adams“, unterbrach die Stimme auf der anderen Leitung. „Es ist mir ein klein wenig unangenehm, aber Sara und ich hatten uns kurzfristig umentschieden.“

„Umentschieden?“, fragte Jeremy irritiert.

„Ja. Also, ähm …, wir nahmen ein paar Drinks auf der Roof-Top-Bar zu uns und dann beschlossen wir, statt in den Film zu gehen, lieber noch ein wenig Zeit bei mir zu Hause zu verbringen.“

„Okay, verstehe. Und worin liegt dann der Grund ihres Anrufs?“

Kurze Stille.

„Hallo? Sind Sie noch dran?“

„Ja, ich …, wissen Sie, ihrer Frau geht es nicht so gut und es wäre wohl das Beste, wenn Sie vorbeikommen könnten, um sie abzuholen. Ich würde sie auch fahren, doch die Drinks …“

Jeremy musste auflachen, denn er hielt das Ganze zunächst für einen schlechten Witz. „Entschuldigen Sie, Mrs. Fletcher, aber wollen Sie mir damit etwa sagen, dass meine Frau nicht mehr in der Lage ist allein nach Hause zu kommen? Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Sara neigt normalerweise nicht dazu, sich die Kante zu geben.“

„Schon in Ordnung, dann wende ich mich am besten an den Rettungsdienst, denn so kann ich Sara unmöglich …“ „Woah, langsam …“, unterbrach Jeremy hektisch. „Ich sagte, dass sie nicht dazu neigt und nicht, dass ich Ihnen nicht glauben würde. Hören Sie …, sagen Sie mir doch einfach, wo ich hinfahren soll, dann kommt das alles ganz schnell wieder in Ordnung.“

Jeremy beschlich das dumpfe Gefühl, dass die Frau aufgelegt hatte und seine Worte durch das Telefon ins Leere gingen. „Mrs. Fletcher?“

Wieder begegnete ihm nur Schweigen, doch er war sich sicher, dass er ihren Atem hören konnte.

Endlich vernahm sein Ohr wieder ihre Stimme. „Mr. Adams, ich schicke Ihnen die Adresse auf ihr Handy.“

„Ähm …, okay, aber das hier ist mein Firmenhandy und ich frage mich gerade, warum Sie nicht meine private Nummer angerufen haben. Könnte ich bitte mal kurz mit Sara sprechen?“

„Oh,“ ein Hicksen folgte. „Verzeihung, aber ich habe leider auch ein paar Drinks zu viel gehabt, da habe ich wohl die falsche Nummer aus Saras Telefon abgetippt. Sie hat nur noch zwei Prozent Akku und ich bin trotzdem froh, dass ich Sie erreicht habe.“ „Alles im grünen Bereich“, rief Jeremy dazwischen, denn ihm wurde bewusst, dass er es hier mit einer angetrunkenen Frau zu tun hatte und er stellte Fragen, als wäre sie eine Zeugin vor Gericht.

Außerdem wollte sie noch nicht einmal etwas von ihm persönlich, oder gar von seiner Arbeit, nein, sie möchte lediglich, dass Sara von ihrem Mann abgeholt wird, da jene sich nicht sonderlich gut fühlt.

Reiß dich also gefälligst zusammen, Mann!

„Mrs. Fletcher, bitte senden Sie mir die Adresse. Ich bleibe so lange in der Leitung, damit es auch wirklich ankommt.

Oder haben sie mir bereits eine Nachricht geschickt?“

„Noch nicht. Kleinen Augenblick …“ Raschelnde Geräusche in der Leitung. „Erledigt!“

Jeremy nahm das Telefon vom Ohr und sah auf das Display. Eine unbekannte Nummer sendete:

Fletcher / 29 Annfield Ct, Staten Island 10304 NY

Jeremy betätigte den Lautsprecher und legte das Smartphone beiseite, um sich des Handtuchs zu entledigen.

Nachdem er sich eine Shorts aus der Schublade gegriffen hatte, sprach er: „Habe ich bekommen, doch ich frage mich, ob ich mich eventuell verlesen habe.“

„Bitte? Ich verstehe das nicht“, bekam er als verdutzte Antwort. Wieder musste Jeremy auflachen. „Da steht Staten Island.“

„Richtig, ich wohne hier.“

„Ähm …, und wie …“ Weiter kam er nicht, da lachte die Frau ungeniert in den Hörer. „Verstehe! Das klingt natürlich alles etwas merkwürdig, aber wie ich schon sagte, sind wir Ladys nach ein paar Drinks einfach auf die Fähre gestiegen, um zu mir zu kommen. Keine Ahnung, wie wir darauf kamen. Ich glaube aber, Sara wollte unbedingt meine Katze kennenlernen.“ Jeremy sog tief Luft ein, während er den Gürtel seiner Jeans schloss.

Auch das weiße Hemd, dass er eigentlich erst morgen anziehen wollte, musste jetzt für die Fahrt herhalten.

„Gut, Mrs. Fletcher. Ich beeile mich und hoffe, dass die Brücke um diese Uhrzeit frei ist.“

„Vielen Dank, Mr. Adams.“

Wenige Sekunden nachdem Emiliana aufgelegt hatte, hätte sie ihr Smartphone liebend gerne durch das Zimmer geworfen und nur darauf gewartet, dass es an irgendeiner Wand oder gar einem Objekt in seine Einzelteile zerbrach.

Überwältigt von tiefer Wut, über die Tatsache, dass sie nicht vorher daran gedacht hatte, dass sie die Adresse der Fletchers nicht auswendig kannte, presste sie fest die Lippen zusammen.

Sie musste folglich erst die Visitenkarte zur Hand nehmen und zur Krönung auch noch eine SMS tippen.

Eigentlich wollte sie ihm die Adresse mündlich mitteilen, doch das wäre im heutigen Zeitalter der nahezu unbegrenzten Kommunikationsmöglichkeiten sehr auffällig gekommen.

Was, wenn er versucht mich zurückzurufen?

Besser, er probierte es dann auf ihre richtige Nummer, als dass er sich bei Sara meldete.

Ziemlich hoch gepokert, Mädchen!

Emiliana blieb jetzt nur die Hoffnung, dass ihr kleines Schauspiel ausreichend genug gewesen ist und dieses Scheusal von einem Mann ihren ausgeworfenen Köder gefressen hatte.

Die Fahrt nach Staten Island stellte für Jeremy um diese späte Uhrzeit keinerlei Probleme dar.

Er entschied sich den Lincoln Tunnel zu nehmen und anschließend der I 278 E bis Ausfahrt 8 zu folgen. Das allein kostete ihn eine halbe Stunde Fahrzeit.

Ab jetzt zeigte das Navi nur noch neun Minuten von der Forest Rd bis zur Richmond Hill Rd an.

Die monotone Stimme einer Frau schrillte plötzlich durch den Wagen. „Sie haben Ihr Ziel erreicht!“

Nach dem Parken sah Jeremy noch einmal auf sein Telefon, denn er hatte die ganze Fahrt mit sich gerungen, ob er es nicht doch bei Sara versuchen sollte.

Als ihm jedoch der leere Akku in den Sinn kam und dass es seiner Frau aufgrund des Alkohols nicht sonderlich gutging, wurde ihm klar, dass er sich diesen Anruf auch sparen konnte. Außerdem war er jetzt vor Ort und wird sicherlich gleich über alles aufgeklärt werden.

Hoffentlich hat Sara sich im Badezimmer ausreichend …, ähm, lassen wir das …, schoss es ihm durch den Kopf, denn sein nagelneuer Wagen, den er erst vorletzte Woche aus dem Autohaus geliefert bekommen hatte, war ihm nun mal heilig.

Als Jeremy ausstieg und sich umsah, stufte er die Gegend sofort als Luxuriös ein.

Beim Betätigen der Klingel erwartete er so etwas wie einen bellenden Hund, der einen Eindringling direkt davor warnt, auch nur ansatzweise auf dumme Gedanken zu kommen. Doch es herrschte Stille.

Noch einmal fiel sein Blick auf das Namensschild. FLETCHER.

Er war zumindest schon mal am richtigen Haus angekommen.

Emiliana schlug das Herz bis zum Hals, doch sie entschied sich nach einer gefühlten Ewigkeit die Klinke herunterzudrücken und die Haustür zu öffnen.

Es dauerte einen kurzen Moment ehe Jeremy in der Lage war, sein Schweigen zu überwinden, denn mit solch einer Frau, wie sie nun vor ihm stand, hatte er eher wenig bis gar nicht gerechnet.

Sie hatte langes glattes Haar, trug ein schwarzes hautenges Minikleid, hohe Pumps und der Ausschnitt war durchaus etwas gewagt. „Mrs. Fletcher?“

„Mr. Adams, richtig?“

Emiliana hoffte, dass sie ein einigermaßen überzeugendes Outfit aus Mrs. Fletchers Garderobe, die sage und schreibe vier begehbare Schränke umfasste, gewählt hatte.

Da das Dekolleté nicht richtig passte, kaschierte sie es ein wenig mit ihren langen Haaren.

Sollte es doch zu stark auffallen, ist an dieser Tatsache auch einzig und allein der Alkohol schuld. Da können diverse Kleidungsstücke durchaus schon mal um einige Zentimeter verrutschen.

Mit einer einladenden Geste forderte Emiliana ihren Gast dazu auf einzutreten. „Ich werde gleich mal nach Sara sehen. Sie ist oben. Bitte setzen Sie sich doch so lange.“