8 Mitreißende Krimis August 2023: Krimi Paket - Alfred Bekker - E-Book

8 Mitreißende Krimis August 2023: Krimi Paket E-Book

Alfred Bekker

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Beschreibung

von Alfred Bekker (699XE) Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre. Dieses Buch enthält folgende Krimis: Kommissar Jörgensen und das Zeichen des Drachen Killerjagd Eis in den Bergen Mörder mit Hut Der rollende Tod Die Bestie Der Kommissar und das Nashorn Commissaire Marquanteur und die toten Mademoiselles Die letzten Tage, die letzten Stunden, die letzten Augenblicke... Die Zeit schien ihm geradezu davon zu rasen, seit er den Tag seines Todes auf sich zukommen sah. Ein Todeskandidat wartet auf den Tag seiner Hinrichtung - und Privatdetektiv Bount Reiniger muss seine Unschuld beweisen.

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Alfred Bekker

8 Mitreißende Krimis August 2023: Krimi Paket

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Inhaltsverzeichnis

8 Mitreißende Krimis August 2023: Krimi Paket

Copyright

Kommissar Jörgensen und das Zeichen des Drachen

Killerjagd

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Eis in den Bergen

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MÖRDER MIT HUT

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DER ROLLENDE TOD

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Die Bestie

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Alfred Bekker

Der Kommissar und das Nashorn

Commissaire Marquanteur und die toten Mademoiselles

8 Mitreißende Krimis August 2023: Krimi Paket

von Alfred Bekker

von Alfred Bekker

Krimis der Sonderklasse - hart, actionreich und überraschend in der Auflösung. Ermittler auf den Spuren skrupelloser Verbrecher. Spannende Romane in einem Buch: Ideal als Urlaubslektüre.

Dieses Buch enthält folgende Krimis:

Kommissar Jörgensen und das Zeichen des Drachen

Killerjagd

Eis in den Bergen

Mörder mit Hut

Der rollende Tod

Die Bestie

Der Kommissar und das Nashorn

Commissaire Marquanteur und die toten Mademoiselles

Die letzten Tage, die letzten Stunden, die letzten Augenblicke... Die Zeit schien ihm geradezu davon zu rasen, seit er den Tag seines Todes auf sich zukommen sah. Ein Todeskandidat wartet auf den Tag seiner Hinrichtung - und Privatdetektiv Bount Reiniger muss seine Unschuld beweisen.

Copyright

Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books, Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press, Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition, Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints von

Alfred Bekker

© Roman by Author

© dieser Ausgabe 2023 by AlfredBekker/CassiopeiaPress, Lengerich/Westfalen

Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und nicht beabsichtigt.

Alle Rechte vorbehalten.

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Kommissar Jörgensen und das Zeichen des Drachen

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Kommissar Jörgensen und das Zeichen des Drachen
von Alfred Bekker
1
Gut, dass ich mir nie ein Tattoo habe stechen lassen.
Aus mehreren Gründen. Einer davon ist, dass ich dann wohl niemals das geworden wäre, was ich jetzt bin: Kriminalhauptkommissar.
Mein Name ist Uwe Jörgensen und zusammen mit meinem Kollegen Roy Müller bin ich in der sogenannten ‘Kriminalpolizeilichen Ermittlungsgruppe des Bundes’, die hier in Hamburg angesiedelt ist und sich mit den sogenannten großen Fischen befasst.
Mit Fällen zum Beispiel, die etwas mit organisiertem Verbrechen zu tun haben oder auch einfach nur Fälle, mit denen die anderen Abteilungen nicht so richtig klarkommen.
Aber zurück zu der Sache mit den Tattoos.
Die waren früher ein Ausschlusskriterium, wenn man sich bei der Polizei beworben hat.
Inzwischen sind die Bestimmungen da wohl etwas liberaler geworden.
Aber früher war man wohl der Ansicht, dass nur Kriminelle und Seeleute sich tätowieren.
Aber eben keine Polizisten.
Wie auch immer: Ich bleibe lieber im wahrsten Sinn des Wortes ein unbeschriebenes Blatt.
Nicht so wie die Marie aus dem Club 666 auf St. Pauli.
Die steht mit ihrem tiefen Ausschnitt an der Bar und jeder kann lesen was da steht: ‘Ich gehöre Vladi’.
Vladi war ihr Ex.
Auch bekannt als ‘der grobe Vladi’.
Dieser Vladi ist vor einem halben Jahr bei einer Schießerei unter Rockern ums Leben gekommen, aber da war die Marie schon lange nicht mehr mit ihm zusammen.
Manche Sachen enden bisweilen eben schnell und plötzlich.
Eine Liebe.
Oder ein Leben.
Nur ein Tattoo hält auf jeden Fall bis zum Lebensende.
Oder sogar darüber hinaus.
Und manchmal hilft es, Morde aufzuklären.
Aber der Reihe nach!
2
»Was ist das denn hier? Die rote Welle?«, knurrte Jakob Namokel, einer der beiden Wachleute in dem gepanzerten Geldtransporter der Firma Telso Security GmbH, als sein Kollege Dietmar Weller an der Kreuzung Heidestraße/ Jarrstraße auf die Bremse trat.
Die Ampel war soeben auf rot gesprungen. Jakob Namokel blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk.
»Meinst du, wir schaffen es noch, unsere Tour bis zur Fußball-Übertragung zu Ende zu bringen, Dietmar?«
In diesem Augenblick gingen bei dem vor ihnen wartenden Van die Türen auf und mehrere Maskierte sprangen heraus. Sie trugen Kampfanzüge der Armee. Die Gesichter waren mit Sturmhauben bedeckt, die nur die Augen freiließen.
Auch aus einer auf der rechten Spur positionierten Limousine sprangen jetzt vier Männer heraus und gingen in Stellung. Ein Dutzend Mündungen waren auf den Telso-Transporter gerichtet.
»Ich glaube, wir werden es nicht mehr schaffen, Jakob«, murmelte Dietmar Weller grimmig zwischen den Zähnen hindurch.
Per Knopfdruck betätigte er ein Alarmsignal, das über Funk an das nächste Revier der Hamburger Polizei übermittelt wurde.
Einer der Gangster bedeutete den Insassen des Telso-Transporters mit einer eindeutigen Geste, dass sie den Wagen zu verlassen hätten.
»Diese Idioten! Darauf können die solange warten, bis die Polizei kommt!«, knurrte Jakob Namokel, während sein Kollege mit einem Polizisten sprach.
Ein paar Minuten maximal. Dann würde die Polizei in Mannschaftsstärke hier auftauchen, eventuell sogar unterstützt durch Spezialeinheiten. Weller gab durch, um wie viele Täter es sich handelte und wie sie bewaffnet waren.
Hundertmal hatten sie das geübt – und jetzt war der Ernstfall.
»Der Wagen ist gepanzert«, berichtete Namokel außerdem.
»Dann brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen, dass Sie unter allen Umständen im Transporter bleiben sollten«, wies der Polizist sie an. Sein Name war David Kranz. Er versprach, dass sämtliche in Reichweite befindliche Kräfte sich sofort zum Tatort begeben würden - inklusive eines Polizei-Helikopters.
»Ich hatte es heute Morgen schon im Gefühl, dass irgendetwas schiefgehen würde«, meinte Jakob Namokel. Der Klang seiner Stimme vibrierte leicht und verriet damit, wie es in ihm aussah.
Namokel und Weller waren mit kurzläufigen Revolvern ausgerüstet. Namokel zog seinen 38er aus dem Holster und überprüfte die Ladung. Er hatte in den fünf Jahren, die er nun schon als Wachmann für Telso Security arbeitete, die Waffe noch nie benutzt – und diesmal sprach eigentlich auch nichts dafür, dass es dazu kommen würde. Der Transporter war gepanzert. Auch wenn die Bande einfach das Feuer eröffnete und einen wahren Kugelhagel auf die Frontseite mit der Fahrerkabine eröffnete, blieben die Insassen unversehrt. Das Panzerglas der Frontscheibe war so beschaffen, dass es auch großkalibrige Projektile sicher auffing.
Sechs Überfälle hatte man in letzter Zeit auf die Wagen von Telso Security unternommen. Den Wachmännern war dabei nur in zwei Fällen etwas passiert. Diese Überfälle waren begangen worden, als der Wagen be- oder entladen wurde und die Kollegen dementsprechend schutzlos gewesen waren.
Aber solange sie in der Kabine blieben, waren sie sicher.
Zumindest sagte sich das Jakob Namokel immer wieder. Er hatte eine Frau und zwei kleine Kinder - Zwillinge. Die beiden waren erst vor wenigen Monaten geboren worden und Jakob war heilfroh gewesen, endlich den Job bei Telso bekommen zu haben.
Gut bezahlt wurden die Security-Leute dort zwar nicht, und es war sicher auch ein gewisses Risiko dabei. Aber für Jakob Namokel war es die erste feste Anstellung seit längerer Zeit und so war er froh gewesen, überhaupt etwas gefunden zu haben, was ihm einigermaßen krisensicher erschien.
Die Gedanken rasten nur so durch seinen Kopf. Er dachte an seine Frau und seine Kinder und das Fußballspiel, das er jetzt wohl mit Sicherheit versäumte, gleichgültig, was noch geschehen würde. Das alles vermischte sich in diesen Sekunden zu einem Strudel aus unzusammenhängenden Eindrücken – bis ein Schock diesen Zustand abrupt beendete.
Jakob Namokel erbleichte, als er in die Mündung der Bazooka blickte, die einer der Maskierten in Stellung gebracht und auf die Frontscheibe ausgerichtet hatte.
Gegen so ein Geschoss gab es keine Panzerung.
Einen kurzen Moment lang fragte sich Jakob Namokel, wieso die Täter nicht einfach eine Sprengladung an der Hintertür des Transporters angebracht hatten. Mehrere der letzten Überfälle waren so verlaufen. Die Wachmänner hatten unterdessen in ihrer Kabine ausgeharrt, während es hinter ihnen geknallt hatte.
Davon, dass die Hintertüren der Telso Security-Transporter jetzt gegen Sprengstoff besonders geschützt werden, konnten die Gangster eigentlich nichts wissen.
Eigentlich …
Wieder erfolgte eine eindeutige Geste.
Jakob Namokel und Dietmar Weller hatten überhaupt keine andere Wahl – wollten sie nicht riskieren, von der abgefeuerten Bazooka in Stücke gerissen zu werden.
Panzerglas schützte in diesem Fall nicht.
Zögernd öffnete Dietmar Weller die Tür.
Einer der Bewaffneten zog ihn aus der Kabine. Dann war Namokel an der Reihe. Auch er wurde grob ins Freie gezerrt und sofort entwaffnet.
Aber mit einem 38er Special war man, was die Feuerkraft anging, ohnehin der moderneren Bewaffnung dieser fast militärisch organisierten Bande hoffnungslos unterlegen.
»Aufmachen!«, rief einer an Namokel gewandt.
»Mach schon, Jakob, wir haben keine andere Wahl«, raunte Weller ihm zu.
In der Ferne heulten die Polizeisirenen.
Jakob Namokel spürte eine Pistole an der Schläfe. Der Kerl atmete schwer und schien ziemlich nervös zu sein.
»Aufmachen!«, zischte er.
Jakob Namokel ließ sich das nicht zweimal sagen. Der Maskierte schob ihn mit der Waffe im Anschlag vor sich her. Ein anderer Gangster führte Weller mit sich und stieß ihn voran.
Namokel nahm seinen Schlüsselbund vom Gürtel und öffnete die besonders gesicherte Hecktür des Transporters. Zwei Maskierte sprangen ins Innere des Wagens. Eine kleine Sprengladung öffnete ein weiteres, weniger stabiles Schloss.
Der Kerl, der Jakob Namokel die Waffe an die Schläfe gesetzt hatte, hielt seine Automatik die ganze Zeit über auf den Wachmann gerichtet. Die Arme waren dabei ausgestreckt. Der Ärmel der Armee-Jacke im Tarnfarben-Look waren dabei ein paar Zentimeter hochgerutscht.
Eine Tätowierung wurde am Unterarm sichtbar. Es handelte sich um einen zweiköpfigen Drachen.
Das Maskierte bemerkte Jakob Namokels stieren Blick. Namokel schluckte. Der Maskierte drückte plötzlich ab. Getroffen sank Namokel zu Boden. Regungslos blieb er liegen.
»Hey, bist du verrückt!«, schrie einer der anderen Maskierten.
In heller Panik versuchte sich Weller im selben Moment loszureißen. Der Maskierte, der schon Namokel erschossen hatte, streckte auch ihn mit einem gezielten Schuss nieder.
Ein Maskierter mit einer Uzi im Anschlag ging auf den Mörder zu und stieß ihn grob an.
»Was soll das, du Idiot?«
»Der Kerl hatte mich erkannt!«
»Wie denn? Du tickst doch nicht mehr richtig!« Er deutete auf den offen stehenden Transporter. »Alles, was wir an Geldbomben-Kassetten und so weiter greifen können, wird mitgenommen und dann nichts wie weg!«
3
Roy und ich waren unterwegs, um einen Zeugen zu vernehmen, der sich bei uns gemeldet hatte, um in einem Drogenfall auszusagen. Er hieß Manfred Jessen, war selbstständiger Finanzberater und konnte uns wichtige Hinweise zu den dunklen Kanälen gegeben, auf dem einige Drogensyndikate ihr Schwarzgeld blütenweiß machten.
Manfred Jessen wohnte in einem der Apartments am Stadtpark. Aber Jessen versetzte uns.
Er hatte es vorgezogen, für drei Wochen zu verreisen, wie wir vom Sicherheitsdienst des Apartmenthauses erfuhren. Dort hatte er sich nämlich für diese Zeit abgemeldet. Am frühen Morgen hatte er sein Apartment verlassen. Wie wir telefonisch ermittelten, war er zum Hamburger Flughafen gefahren und hatte dort einen Flug auf die Cayman-Islands genommen. Vielleicht hatte ihm jemand sehr nachdrücklich geraten, Hamburg zu verlassen und auf seine Aussage zu verzichten. Uns waren die Hände gebunden. Es war immer dasselbe. Das Gesetz des Schweigens sorgte dafür, dass das organisierte Verbrechen gedeihen konnte. Nur wenn es gebrochen wurde, hatten wir von der Kriminalpolizei eine Chance.
Der Sicherheitsdienst der Apartments – eine Firma namens Telso Security, wie man an der kleinen, in Brusthöhe angebrachten Aufschrift auf den Uniformen sehen konnte, war so freundlich, uns mit einem Generalschlüssel in Manfred Jessens Wohnung zu lassen.
Einen Durchsuchungsbefehl hätten wir dafür niemals bekommen. Schließlich lag gegen Jessen nichts vor und allein die Tatsache, dass er uns vage ein paar Hinweise auf dubiose Finanzgeschäfte von ein paar altbekannten Drogenbaronen offeriert hatte, die wir schon seit langem gerne hinter Gitter gesehen hätten, reichte dazu einfach nicht aus.
Unsere Begründung dafür, die Wohnung in Augenschein nehmen zu können, war der Verdacht, dass Manfred Jessen vielleicht einem Verbrechen zum Opfer gefallen sein konnte. Wenn es schließlich zutraf, was er uns so vollmundig am Telefon angeboten hatte und er tatsächlich über die Geldwäschekanäle der Drogensyndikate ein paar relevante Aussagen machen konnte, stand er mit Sicherheit auf der Abschussliste irgendeines Lohnkillers.
»Ein Verbrechen?«, echote Jens Tanner, der Chef der Tagesschicht bei den Telso Security-Leuten, die im Gebäude ihren Dienst versahen. »Er hat das Haus verlassen und sich bei meinem Kollegen persönlich abgemeldet. Jessen wollte, dass jemand gefunden wird, der für die Fische in seinem Aquarium sorgt. Er selbst könnte jetzt auf die Schnelle niemanden mehr damit beauftragen.«
»Sagen Sie bloß, so etwas machen Sie auch«, staunte ich.
Jens Tanner zuckte die Schultern.
»Man tut, was man kann. Wir sind zuvorkommend und leisten gute Arbeit. Die Bewohner dieses Hauses sollen sich bei uns so sicher wie in Abrahams Schoß fühlen!«
»Hat jemand wirklich gesehen, wie Jessen das Gebäude verlassen hat oder nehmen Sie das nur an, weil er sich bei Ihnen abmeldete?«, fragte mein Kollege Roy Müller.
Jens Tanner verdrehte genervt die Augen.
»So kann man natürlich sich auch etwas zusammen konstruieren …« Er seufzte hörbar und setzte dann hinzu: »Wir haben natürlich Videoaufzeichnungen in den Fluren. Wenn Sie sich die Mühe machen wollen, sich die alle anzusehen …«
»Das machen wir!«, kündigte ich an. »Aber viel einfacher ist es, Sie lassen uns in der Wohnung nachsehen.«
Er rang einen Augenblick mit sich, dann führte er uns zu Jessens Apartment.
»Wenn ich deswegen meinen Job verliere, dann …«
»Weil Sie uns geholfen haben, Herr Tanner?«, schnitt ich ihm das Wort ab. »Wohl kaum.«
»Ich verdiene hier einen Hungerlohn – und das obwohl ich Schichtleiter bin. Aber verdammt noch mal, ich bin auf das Geld angewiesen.«
»Das macht Ihnen auch niemand streitig.«
Tanner wirkte ziemlich gereizt. Ich fragte mich, warum eigentlich.
Endlich öffnete er uns Jessens Wohnung. Wir traten ein. Die Quadratmeterzahl musste sich irgendwo um die hundert bewegen – was bedeutete, dass Jessens Wohnung erheblich größere Ausmaße hatte als es in Hamburg durchschnittlich der Fall war. Seine Geschäfte schienen gut genug zu gehen, um ihm diesen Luxus zu erlauben.
An den Wänden hingen ein paar moderne Gemälde.
»Ich frage mich, hat Jessen die als Wertanlage gekauft oder sich wirklich für Kunst interessiert«, sagte Roy.
»Kunst eignet sich hervorragend zur Geldwäsche«, gab ich zu bedenken.
Die Wohnung wirkte wie abgeleckt. Jemand schien alles glänzend gewienert zu haben. Die Möbel in der Küche glänzten ebenfalls so, dass man sich darin spiegeln konnte.
Im Schlafzimmer fanden wir das mit Folie eingeschlagene Bündel. Ein starres Gesicht mit aufgerissenen Augen starrte uns durch die milchig-trübe Plastikplane entgegen. In der Schläfengegend befand sich ein Einschussloch.
»Manfred Jessen!«, stieß ich hervor.
Roy hatte bereits das Handy aus der Innentasche seines Jacketts hervorgeholt und war im Begriff per Kurzwahl eine Verbindung zu unserem Büro am Bruno-Georges-Platz herzustellen.
Jens Tanner wandte den Kopf ab. Der Telso Security-Wachmann war bleich wie die Wand geworden. So etwas war er nicht offenbar nicht gewöhnt.
4
Nach und nach trafen unsere Kollegen ein. Zuerst waren die Kollegen der zuständigen Dienststelle am Ort des Geschehens. Etwas später trafen die Kollegen unserer Abteilung ein. Federführend in der Geldwäsche-Sache war unser Kollege Stefan Czerwinski. Er war der stellvertretende Chef unserer Dienststelle. Er kam in Begleitung von unseren Kollegen Oliver 'Ollie' Medina und Fred Rochow in Manfred Jessens Wohnung und begrüßte uns freundlich.
Dr. Bernd Claus, ein Gerichtsmediziner im Auftrag des Gerichtsmedizin, traf mit einer halbstündigen Verspätung ein, da der Verkehr rund um den Stadtpark ihn aufgehalten hatte. Auf der Höhe der Brücke über den Goldbekkanal gab es eine Baustelle, die es zu einer wahren Qual machte, am Stadtpark entlang Richtung Norden wie auch Süden zu fahren. Leider waren sämtliche Ausweichstraßen wohl ebenfalls hoch frequentiert, so dass man im Moment einfach eine halbe Stunde mehr einplanen musste, als normalerweise üblich.
So dauerte es geschlagene anderthalb Stunden, ehe endlich die Spurensicherer der Ermittlungsgruppe des Erkennungsdienstes den Tatort untersuchen konnten. Dieser zentrale Erkennungsdienst war ebenfalls in Winterhude angesiedelt und wurde von sämtlichen Hamburger Polizeieinheiten für ihre Ermittlungen genutzt.
Zwischendurch rief ich noch einmal in unserem Büro an.
Ich ließ mich mit Kollege Max Warter verbinden, einem Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung. Max hatte in der Zwischenzeit noch einmal Kontakt mit dem Flughafen aufgenommen. Ein Mann namens Manfred Jessen stand dort tatsächlich auf der Passagierliste eines Flugzeugs, das fahrplangemäß zu den Cayman-Islands gestartet war.
»Niemand kann an zwei Orten zugleich sein«, stellte ich fest. »Und Herr Jessen ist definitiv hier! Also hat sich jemand für Jessen ausgegeben, um den Anschein zu erwecken, dass dieser für Wochen oder Monate nicht im Lande und damit für uns unerreichbar ist.«
»Du bringst es auf den Punkt, Uwe!«, glaubte Max. »Wir haben ein paar Kollegen zum Flughafen geschickt und sehen zu, was wir darüber herausfinden können.«
»Okay, Max. Dann bin ich gespannt darauf, wieder von dir zu hören, falls sich etwas Neues ergibt!«
Max Warter unterbrach die Verbindung, und ich ließ mein Handy wieder in der Jackettinnentasche verschwinden.
Wir sprachen mit Manuel Ganz, dem Security-Mann, bei dem Jessen sich abgemeldet hatte. Er empfing uns in der Video-Überwachungszentrale des Hauses. Auf mehreren Dutzend Bildschirmen waren die weiteren Korridore und die Eingangshalle zu sehen. Machten die diensthabenden Security-Leute eine Beobachtung, die ihnen in irgendeiner Form verdächtig vorkam, so konnten sie sofort Alarm schlagen und ihre Kollegen an den Ort des Geschehens schicken.
Während Jens Tanner dafür sorgte, dass sämtliche relevanten Videodateien auf Datenträger kopiert wurden, so dass wir sie unseren Laborkollegen zur Verfügung stellen konnten, sprachen wir mit Manuel Ganz.
»Manfred Jessen hat also angekündigt, dass er für drei Wochen verreisen wolle und Sie gebeten, jemanden zu suchen, der seine Fische füttert«, fasste ich die Aussage des Wachmanns zusammen.
»Und – haben Sie den zweiten Teil Ihres Auftrags bereits erfüllt, Herr Ganz?«, fragte ich.
»Nein, dazu ist es noch nicht gekommen«, erklärte Ganz. »Ich hätte aber bestimmt noch rechtzeitig jemanden gefunden, der das mit den Fischen übernimmt. Schließlich war das ja nicht die erste Reise, die Herr Jessen unternahm, seit er bei uns im Haus lebt.«
Mitten in der Vernehmung klingelte plötzlich mein Handy. Es war Herr Bock, der Chef des Kriminalpolizei Hamburg persönlich.
»Uwe, wir brauchen Sie und Roy im Moment an der Kreuzung Heidestraße/Jarrstraße!«, erklärte er in einem Tonfall knapper Befehle und Anweisungen. »Wir erhielten einen Notruf. Es hat ein Überfall auf einen Geldtransporter stattgefunden.«
Während mich Herr Bock noch mit weiteren Informationen über die Begleitumstände versorgte, waren Roy und ich bereits auf dem Weg ins unterirdische Parkhaus des Apartmentgebäudes, wo wir den Sportwagen geparkt hatten, den uns die Fahrbereitschaft des Kriminalpolizei zur Verfügung stellte.
5
Die Vernehmung von Herr Ganz musste von einem der anderen Kollegen übernommen werden, die sich am Tatort befanden. Angesichts des akuten Überfalls war klar, dass alle Kräfte, die sich in der Nähe des Tatorts befanden und irgendwie entbehrlich waren, sofort abgezogen wurden.
Und auf Roy und mich traf das zu.
Der Fall Manfred Jessen gehörte ja ohnehin zu einem Komplex, den Stefan und Ollie bearbeiteten.
Vom Tatort an einer Ampel in der Heidestraße waren wir nur wenige Straßen entfernt. Wir fuhren mit Rotlicht auf dem Dach den Stadtpark entlang. Eine Eigentumswohnung in einem der Häuser hier konnte gut und gerne schon mal ein paar Millionen Euro kosten.
Ich trat das Gaspedal voll durch und musste doch wenig später wieder in die Eisen gehen. Die Gangster hatten sich genau den richtigen Zeitpunkt ausgesucht, um dafür zu sorgen, dass wir den Tatort nicht schnell erreichen konnten. Die Hauptverkehrszeit am späten Nachmittag setzte ein und wir quälten uns im Schneckentempo in Richtung der Straßenecke, wo der Überfall stattgefunden hatte.
Erst in einer der Seitenstraßen zwischen Park und Heidestraße wurde es etwas besser. Mit Sirenen und Rotlicht fuhr ich drauflos. Weitere Sirenen heulten hinter den Häuserzeilen auf. Wir waren nicht die einzigen, die gerufen worden waren.
Rings um die besagte Kreuzung stand der Verkehr. Ein Hupkonzert erfüllte die Luft. Es gab kein Weiterkommen mehr.
Das vollkommene Chaos war ausgebrochen. Wir stiegen aus dem Wagen und ließen den Sportwagen kurzerhand stehen, um die letzten zweihundert Meter, die uns noch vom Tatort trennten, im Dauerlauf hinter uns zu bringen. Zahllose Passanten standen uns im Weg.
Wir zogen unsere Ausweise und hielten sie hoch.
Als wir den Transporter erreichten, war bereits ein gutes Dutzend Beamten der Polizei dort.
Die Türen des Transporters standen offen. Von mehreren Fahrzeugen war der Wagen zugestellt worden.
Wir zeigten einem der Uniformierten unsere Ausweise und steckten sie dann ein.
»Die beiden Wachmänner, die den Wagen gefahren haben, hat es erwischt«, berichtete uns der Polizist, dem wir die Ausweise gezeigt hatten.
Er hieß Jan Thomes.
Wir umrundeten den Transporter.
Mir fiel der Firmenaufdruck auf: Telso Security Service Inc. konnte man dort lesen. Außerdem gab es eine Telefonnummer und einen Verweis auf die Internetseite dieses Sicherheitsdienstes.
»Kommt dir auch irgendwie bekannt vor, was?«, meinte Roy.
»Manchmal gibt es Zufälle …«
Erst viel später sollten wir begreifen, dass das alles mit vielem zu tun hatte – nur nicht mit Zufällen.
Wir erreichten die Rückfront und drängten uns zwischen Uniformierten hindurch.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Roy Müller«, stellte ich uns vor.
Zwei Männer lagen auf dem Boden. Einer war unzweifelhaft tot. Aber der Zweite lebte noch. Zwei Polizisten hatten Erste Hilfe bei ihm geleistet. Er blutete schrecklich. Offenbar hatte er schwere Schussverletzungen.
Der Einsatzleiter, ein gewisser Polizeiobermeister Görnemann, wandte sich an uns.
»Übernimmt das Kriminalpolizei den Fall?«, fragte er.
»Das fällt in unser Gebiet - zumal die Firma, der der Transporter gehört, ihren Hauptsitz in Hamburg-Hamm hat«, sagte ich. »Aber definitiv kann ich dazu nichts sagen. Im Moment sind wir zu Ihrer Unterstützung hier.«
»Verzeihen Sie, aber der Rettungsdienst wäre uns im Augenblick lieber gewesen, Herr Jörgensen!«, erwiderte POM Görnemann.
»Wissen Sie schon, was passiert ist?«, hakte Roy nach.
»Ich habe alles gesehen!«, mischte sich ein Taxifahrer ein, der mit seinem Wagen jetzt feststeckte. Ich wandte mich dem untersetzten Mann mit schütterem Haar zu. Meiner Schätzung nach war er in den 50ern. Er trug ein Sweatshirt mit der Aufschrift I AM THE GREATEST. Die Fortsetzung war auf der Rückseite zu lesen, wie ich später sah: ASSHOLE IN TOWN.
»Die haben die Wachleute zum Aussteigen gezwungen! Mit einer Bazooka.«
»Wo sind die Täter jetzt?«, hakte ich nach.
»Zur U-Bahnstation. Sie haben alles aus dem Wagen geholt und sind dann auf und davon.« Er steckte die Hand aus. Die nächste U-Bahnstation war keine dreihundert Meter entfernt.
Roy nahm das Handy, um sich mit der Bahnpolizei in Verbindung zu setzen.
»Die waren wie Soldaten gekleidet«, berichtete der Taxifahrer weiter. »Sturmhauben, Tarnanzüge, kugelsichere Westen und so weiter! Erst habe ich gedacht, dass hier vielleicht eine Polizeioperation oder so etwas läuft. Ein Spezialteam, das einen gekaperten Geldtransporter stellt oder was weiß ich. Aber Beamte eines Spezialteams hätten wohl kaum jemanden kaltblütig erschossen.«
»Sie sind in die Linie Richtung Hamburg-Mitte eingestiegen«, meldete Roy unterdessen. »Am nächsten Bahnhof erwartet sie ein großes Polizei-Aufgebot.«
»Würde mich wundern, wenn die nicht noch irgendetwas anderes in petto hätten!«, meinte ich daraufhin und wandte mich wieder dem Taxifahrer zu. »Wie kam es zu den Schüssen?«, fragte ich.
Er zuckte die Schultern.
»Keine Ahnung«, bekannte er. »Plötzlich hat einer der Typen einfach losgeballert und einen der beiden Wachmänner abgeknallt.«
»Wo befanden Sie sich, Herr …«
»Stratton. Peter Stratton. Ich war hinter dem Steuer meines Wagens und habe mich weitgehend in Deckung gehalten, um nichts abzubekommen. Über Funk habe ich den Überfall gemeldet, als mir klar war, dass das nicht die Operation eines Spezialteams ist.«
»Wir brauchen noch Ihre Personalien«, mischte sich Roy ein. »Außerdem bekommen Sie unsere Karte. Es könnte ja schließlich sein, dass wir noch Fragen an Sie haben oder Ihnen noch irgendetwas Wichtiges einfällt.«
In diesem Moment kam der Notarzt des Rettungsdienst mit seinem Team. Der Einsatzwagen war im Verkehrschaos steckengeblieben, so dass die Männer die letzten hundert Meter zu Fuß hinter sich bringen mussten.
Sie nahmen sich sofort des Schwerverletzten an und transportierten ihn ab. Eine unübersehbare Blutlache blieb auf dem Asphalt.
6
Das Verkehrschaos rund um den Tatort löste sich in den nächsten Stunden nur zögernd auf. Wir blieben am Ort, um die Ermittlungen zu leiten. Anstelle der Erkennungsdienstler der Ermittlungsgruppe des Erkennungsdienstes griffen wir in diesem Fall auf unsere eigenen Spurensicherer zurück, die es schließlich ebenso wie der Gerichtsmediziner schafften, zu uns vorzudringen. Dass die Fahrzeuge, mit denen die Täter den Überfall begangen und die sie dann am Tatort zurückgelassen hatten, vor wenigen Tagen als gestohlen gemeldet worden waren, ließ sich durch eine einfache Abfrage der Kennzeichen herausfinden, die wir telefonisch vornahmen.
Unsere Kollegen Tobias Kronburg und Ludger Mathies trafen am Tatort ein, um uns zu unterstützen - ebenso wie zusätzliche Einsatzkräfte der Polizei. Es mussten schließlich Dutzende von Zeugenaussagen aufgenommen werden. Jetzt, unter dem Eindruck des Geschehenen waren viele Zeugen bereit, auch eine Aussage zu machen. In einem späteren Stadium der Ermittlungen noch glaubwürdige Zeugen zu finden, war dagegen ungleich schwieriger.
Unsere Erkennungsdienstler Frank Folder und Martin Horster nahmen sich neben dem Blut und anderen Spuren, die sich auf dem Asphalt fanden, auch den Transporter vor.
»Das waren absolute Profis«, lautete Martin Horsters Ansicht. »Offenbar wussten sie auch sehr gut über die in diesem Wagen vorhandenen Sicherheitsmerkmale Bescheid. Sie müssen gewusst haben, dass die Hecktür nicht mit einer einfachen Sprengladung zu öffnen war.«
»Wieso nicht?«, hakte ich nach.
Martin deutete auf die Innenseiten der Hecktüren.
»Hier wurde vor kurzem eine erhebliche Verstärkung angebracht.«
»Die hätten mit ihrer Bazooka draufhalten können!«
»Wohl kaum«, meinte Martin. »Die dabei im Innenraum entstehenden Temperaturen hätten das Bargeld selbst in einem Safe zum Verglühen gebracht. Aus ihrer Sicht gesehen haben sie es genau richtig gemacht. Und was ihre Flucht angeht, so wären Sie mit den Wagen hier in Hamburg auch nicht weit gekommen. Die U-Bahn war da schon eine vernünftige Alternative.«
Wenig später erhielten wir die Nachricht, dass unsere Kollegen an der nächsten U-Bahnstation vergeblich auf den Zug mit den Gangstern gewartet hatten. Die hatten mitten auf der Strecke die Notbremse gezogen und waren mitsamt ihrer Beute ausgestiegen. Es war so gut wie unmöglich, die Täter dort zu finden. Und jeder Gullydeckel konnte ein potentieller Ausstieg sein.
»Die haben genau gewusst, was sie taten«, kommentierte Roy diese Nachricht.
Bis zum Abend wurden noch Dutzende von Zeugenaussage aufgenommen. Es würde Tage dauern, bis unsere Innendienstler daraus die Spreu vom Weizen getrennt hatten.
Aber es gab ein paar elektronische Zeugen, deren Erinnerungsvermögen unbestechlicher war. Da waren auf der einen Seite die Aufzeichnungen der Video-Kameras in der U-Bahnstation. Die entsprechenden Aufnahmen würden zusammen mit den Tatfahrzeugen und dem Transporter ins Labor wandern und genauestens untersucht werden.
Zwar waren die Täter vermummt und uniformiert gewesen, aber möglicherweise gab es dennoch irgendwelche Merkmale, die uns Hinweise auf die Täter gaben.
Ein Glücksfall für unsere Ermittlungen war jedoch die Überwachungsanlage eines Juweliergeschäfts an der Ecke Heidestraße/Jarrstraße.
Roy und ich sahen uns im Geschäft die Aufzeichnungen des Nachmittags an.
Wie die Täter es geschafft hatten, die Insassen des Transporters zum Aussteigen zu bewegen, war auf der Aufnahme auf Grund des Kamerawinkels nicht zu sehen. Dafür war alles aufgenommen worden, was sich im Heckbereich des Transporters abgespielt hatte.
Die Aufnahme zeigte, wie die Gangster die beiden Wachmänner dazu zwangen, die Hecktür zu öffnen. Von innen war eine kleinere Explosion zu hören. Dann geschah der Mord an dem ersten Wachmann, dessen Name Jakob Namokel war, wie wir inzwischen wussten.
»Es ist überhaupt kein Grund dafür zu erkennen, weshalb der Typ mit der Automatik plötzlich ausrastet und Namokel umbringt«, kommentierte Roy die schrecklichen Bilder.
Ich musste ihm recht geben.
Der Wachmann hatte sich weder unvorsichtig bewegt, noch sich zu wehren versucht.
Ich atmete tief durch und wandte mich Alex Ditrich zu, dem Besitzer des Juwelierladens, dessen Überwachungselektronik wir diese Bilder verdankten. »Wir werden die Aufnahmen ins Labor mitnehmen müssen«, eröffnete ich ihm.
»Kein Problem«, meinte Ditrich. »Ich brenne Ihnen eine DVD davon, dann können Ihre Leute im Labor damit anstellen, was sie wollen. Dauert aber ein paar Minuten.«
»In Ordnung. Haben Sie ansonsten noch irgendwelche Beobachtungen gemacht, die vielleicht sachdienlich sein könnten?«
Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe nur schnell zugesehen, dass ich meine Ladentür abgeschlossen habe. Schließlich wusste ich ja nicht, ob den Typen vielleicht noch einfällt, ein paar Sachen aus meinen Auslagen mitzunehmen.«
»Da hatten sie offenbar kein Interesse dran.«
»Wissen Sie, ich vertraue diesen Sicherheitsdiensten nicht.«
»Wieso nicht?«, fragte ich.
»Diese Geldtransporter fahren ihre Tour durch die Stadt, nehmen bei jedem Supermarkt, Juwelier oder was sie ansonsten noch für Geschäfte unter Vertrag haben, die Tageseinnahmen mit und bringen sie zur Bank. Meiner Meinung nach ist das doch eine regelrechte Einladung für Gangster, sich so einen Transport mal vorzunehmen.«
»Diese Wagen sind sehr gut sichert«, gab ich zu bedenken. »Die Wachleute tragen Waffen und die Transporter sind so gepanzert, dass man sie normalerweise auch durch Schusswaffengebrauch nicht so einfach stoppen kann.«
»Sie haben es ja gleich auf einer DVD, wie leicht das geht. Nein, ich bringe meine Einnahmen lieber selbst zur Bank. Das ist sicherer. Das mache ich nun schon seit fünfzehn Jahren so und werde auch in Zukunft nichts an dieser Praxis ändern.«
Ich machte ihn darauf aufmerksam, dass statistisch gesehen, Geldtransporte relativ selten überfallen wurden – und die Täter dabei aufgrund diverser Sicherheitsmerkmale der Fahrzeuge noch seltener erfolgreich waren. Aber der Juwelier ließ sich davon nicht überzeugen.
Roy stieß mir in die Seite und raunte: »Ich glaube, es ist heute ein schlechter Tag, um Werbung für private Sicherheitsfirmen zu machen.«
Wahrscheinlich hatte er recht.
7
Der Mann hatte einen Lotussitz eingenommen und die Augen geschlossen. Aber selbst die ausgefeilteste asiatische Entspannungstechnik hätte ihn jetzt nicht entkrampfen können. Es juckte ihn am Arm, knapp oberhalb des doppelköpfigen Drachens, den er sich dort hatte stechen lassen.
Er atmete tief durch.
Der aufdringliche Klingelton seines Handys machte dem Versuch, sich innerlich zu versenken, ein jähes Ende. Er griff nach dem Apparat.
»Ja?«
»Bist du eigentlich verrückt geworden?«
»Major!«
»Ich habe gehört, du willst abtauchen.«
»Ist wohl das Beste, oder?«
»Vielleicht ...«
»Du hilfst mir doch, oder?«
»Sicher. Aber du musst dich noch etwas gedulden.«
»Aber …«
»Und verfall nicht in Panik, klar! Kämpfe ein paar Sandsäcke nieder, wenn dir das gut tut! Aber behalte verdammt noch mal die Nerven!«
»Ja.«
»Ich melde mich morgen wieder.«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Schweißperlen glänzten auf der Stirn des Mannes mit den doppelköpfigen Drachen.
8
Am nächsten Morgen trafen wir uns im Büro von Kriminaldirektor Jonathan D. Bock, unserem Chef, zur Besprechung.
Unser Chef machte ein sehr ernstes Gesicht, hatte die Ärmel seines Hemdes hochgekrempelt, die Krawatte gelockert und die Hände in den weiten Taschen seiner Flanellhose vergraben.
Es kam oft vor, dass Herr Bock morgens der Erste war, der im Büro an seinem Platz und es abends als Letzter verließ. Seit seine Familie einem Verbrechen zum Opfer gefallen war, hatte er sein Leben ganz dem Kampf für das Recht verschrieben und erfüllte seinen Beruf mit besonderer Hingabe, die weit über das normaler Maß hinausging.
Diesmal hatte ich allerdings den Eindruck, dass er das Büro überhaupt nicht verlassen, sondern einfach durchgearbeitet hatte. Dunkle Ringe hatten sich unter seinen Augen gebildet.
Als seine Sekretärin Mandy uns ihren hervorragenden Kaffee servierte, nahm er sich sofort einen Becher und nippte daran. Dann wischte er sich mit einer fahrigen Geste über das Gesicht und blickte anschließend auf die Uhr.
»Ich frage mich, wo Frank bleibt«, knurrte er. »Dann werden wir wohl ohne ihn anfangen müssen.«
Mit ‚Frank’ war unser Erkennungsdienstler Frank Folder gemeint. Abgesehen von Roy und mir waren noch die Kollegen Ludger Mathies und Tobias Kronburg anwesend, die beiden Kollegen, die uns am Tatort an der Heidestraße unterstützt hatten. Außerdem noch unser Innendienstler Max Warter sowie der Chefballistiker David Ochmer.
»Der Überfall auf den Geldtransporter, der sich an der Kreuzung Heidestraße/Jarrstraße ereignet hat, ist Teil einer Serie ähnlicher Überfälle, die sich im gesamten Großraum Hamburg sowie in Bremen, Hannover und Lübeck ereignet haben. Alles, was es an Akten dazu gibt, ist bereits in ihren E-Mail-Postfächern. Max war so freundlich, darüber hinaus noch ein aussagekräftiges Dossier zusammenzustellen, dass zunächst einmal eine Grundlage für den Beginn Ihrer Arbeit sein könnte.«
»Wie viele Überfälle gehören denn bereits zu dieser so genannten Serie?«, fragte ich.
»Insgesamt sechs«, gab Herr Bock Auskunft. »Aber ich gehe davon aus, dass dieses Blutbad an der Kreuzung der letzte war, denn von nun an übernehmen wir den Fall.«
»Wieso ist das nicht schon längst bei uns gelandet?«, fragte Roy.
Herr Bock hob die Augenbrauen.
»Bislang waren die jeweiligen Polizeidienststellen hier federführend. Aber erstens sind die derzeit mit anderen Fällen überlastet und zweitens hat dieser Fall eine immer stärkere Hamburger Schlagseite bekommen, wenn Sie verstehen, was ich meine. Die letzten drei Überfälle, die wir bislang zu dieser Serie zählen, sind auf dem Gebiet von Hamburg begangen worden und die in allen Fällen betroffene Deutsche Liquiditätsbank hat hier auch ihren Hauptsitz. Das betroffene Sicherheitsunternehmen ist in Hamburg-Hamm angesiedelt. Wie auch immer, Sie werden sich beide Adressen gründlich vornehmen müssen. Bei einer von beiden muss mindestens der Wurm drin sein, wenn Sie mich nach meiner spontanen Einschätzung fragen. Am besten Sie fangen mit der Bank an. Vor ein paar Monaten erhielt die Liquiditätsbank erstmals Drohungen, dass kein Geldtransporter mehr ihre Filialen erreichen würde und sich bald alle Geschäftsleute aus Hamburg und Umgebung eine andere Bank suchen würden. Leider hat die Liquiditätsbank diese Drohungen unter der Decke gehalten und ist erst jetzt damit herausgekommen.« Herr Bock seufzte hörbar. »Das kommt davon, wenn man sich von solchen Erpressern einschüchtern lässt.«
Max Warter ergriff nun das Wort.
»Auffällig ist jedenfalls, diese Taten ausschließlich Geldtransporte betreffen, die für die Deutsche Liquiditätsbank und ihre Filialen bestimmt waren und die Täter jedes Mal außerordentlich gut informiert waren. Sie wussten genau über die Route Bescheid und kannten offenbar auch die täglich wechselnde Reihenfolge, in der einzelne Stationen der Route angefahren wurden.«
»Das bedeutet, die Bande hat Helfer«, stellte Herr Bock fest.
»Es könnte jemand in der Bank sein - oder aber bei dem beauftragten Sicherheitsdienst«, vermutete ich. »Beim letzten Überfall an der Kreuzung war dies Telso Security. Wie war das bei den anderen?«
»Telso ist eine der größten privaten Sicherheitsfirmen hier«, erläuterte Herr Bock. »Natürlich ist es möglich, dass dort ein Mitarbeiter falsch spielt – aber dann ist nicht erklärlich, warum nicht auch andere Auftraggeber, für die Telso Security-Transporte organisiert, von der Serie betroffen sind.«
»Aber ausschließen können wir diese Spur nicht«, meinte ich.
Herr Bock stimmte zu. »Da haben Sie natürlich recht, Uwe.«
Ich wandte mich an Max, unseren Innendienstler.
»Siehst du irgendwelche Zusammenhänge zu dem Mordfall Manfred Jessen?«, erkundigte ich mich.
Max Warter verengte die Augen und kratzte sich am Kinn.
»Du meinst diesen Zeugen in der Geldwäsche-Angelegenheit, der sich gemeldet hatte und angeblich ein paar Mafia-Riesen in den Abgrund reißen wollte.«
»Genau den!«
»Mir ist jetzt keine Parallele bewusst, Uwe«, gestand Max. »Aber wahrscheinlich ist es das Beste, du sprichst den Fall mal mit Stefan und Ollie durch. Die sind schließlich an der Sache dran.«
»Wie kommen Sie darauf, dass da ein Zusammenhang bestehen könnte, Uwe?«, fragte Herr Bock.
Ich zuckte die Schultern.
»Das war nur so ein Gedanke, weil auch das Gebäude, in dem Manfred Jessen wohnte, von Telso Security bewacht wird.«
»Ihr Spürsinn in allen Ehren, Uwe – aber ich glaube, da sind Sie in einer Sackgasse«, erklärte Herr Bock im Brustton der Überzeugung und dem ganzen Gewicht seiner jahrzehntelangen Erfahrung.
Ich nippte an meinem Kaffee.
Jetzt kam David Ochmer, unser Chefballistiker, zu Wort. Er erläuterte uns, welche Erkenntnisse es, seinem vorläufigen ballistischen Bericht nach, gab.
»Jakob Namokel und Dietmar Weller wurden mit einer Automatik vom Kaliber 45 niedergeschossen«, berichtete David. »Die Waffe ist registriert. Es wurde vor fünf Jahren damit eine Straftat begangen. Beim Überfall auf ein Lebensmittelgeschäft in der Elizabethstraße machte der Besitzer den Fehler, seinen Besitz verteidigen zu wollen und wurde mit genau der Automatik erschossen, die auch in diesem Fall zum Einsatz kam.«
»Wir brauchen sämtliche Akten zu dem Fall!«, forderte Herr Bock.
»Alles, was nicht über unser Datenverbundsystem zu bekommen war, habe ich angefordert.«
»Gut.«
»Es wäre ja gut möglich, dass sich da jemand quasi hochgearbeitet hat«, meinte Roy. »Vom Ladendieb bis zu jemandem, der Banken ausnimmt.«
»Bevor Sie an die Arbeit gehen, darf ich Ihnen noch sagen, dass Medien und Bevölkerung außerordentlich großen Anteil an dem Fall nehmen«, erklärte Herr Bock zum Abschluss der Besprechung. »Wir stehen also unter erheblichem Erfolgsdruck. Heute Morgen äußerte sich ein Sprecher der hiesigen Geschäftsleute, dass das Business zum Erliegen käme, wenn es nicht mehr möglich wäre, sein Geld unbehelligt zur Bank schaffen zu lassen, und die Aktien der Bank sind im freien Fall!«
9
Später, als Roy und ich uns in unserem gemeinsamen Dienstzimmer befanden, sah ich mir immer wieder die Videoaufzeichnung an, die mit der Kamera des Juweliergeschäfts in der Heidestraße aufgenommen worden war.
Die Szene, in der Jakob Namokel erschossen worden war, interessierte ich.
Die Schüsse auf Weller schienen mir eher eine Folge des Chaos zu sein, dass durch den Mord an Namokel entstanden war.
Ich deutete auf den Computerbildschirm, auf dem ich die DVD immer wieder ablaufen ließ und mir verschiedene Standbilder herauspickte, um sie genauer unter die Lupe zu nehmen. Roy schüttelte nur den Kopf darüber.
»Was suchst du auf diesen Bildern?«, fragte er.
»Den Grund für Namokels Tod!«, erklärte ich. »Die Gangster hatten die Situation vollkommen unter Kontrolle. Es bestand überhaupt kein Grund für den Kerl, seine Waffe abzudrücken!«
Roy runzelte die Stirn und sah mir über die Schultern.
Zum x-ten Mal ließ ich die Szene ablaufen. Ich hatte das Gefühl, irgendetwas Entscheidendes übersehen zu haben, konnte aber nicht sagen, was es war.
»Wie ein Unfall, bei dem die Waffe aus Versehen losgegangen ist, sieht mir das auch nicht aus«, meinte Roy.
»Ich denke, diese Möglichkeit können wir getrost ausschließen.«
»Sehe ich auch so.«
Roy deutete auf eine Mappe mit Computerausdrucken, die er in der Hand hielt.
»Das habe ich mir gerade aus Max' Fahndungsabteilung abgeholt.«
»Was ist das, Roy?«
»Alles, was es noch über den Überfall in der Elizabethstraße vor fünf Jahren zu wissen gibt. Die Tat konnte nie aufgeklärt werden. Es gab drei verdächtige Jugendliche zwischen sechzehn und neunzehn Jahre, die damals vorübergehend festgenommen wurden: Jost Gemma, David Wehler und Hartwig Kroner. Aber das Trio hatte ein Alibi, und man konnte weder die Tatwaffe noch die Beute bei ihnen finden.«
»Dann hätten wir doch schon mal drei Leute, denen wir mal einen Besuch abstatten könnten, Roy.«
»Jost Gemma starb zwei Jahre später bei einer anderen Schießerei. David Wehler war vor einem halben Jahr in eine Schlägerei in eine Diskothek verwickelt und stach einen Mann mit einem Springmesser nieder. Er sitzt wegen schwerer Körperverletzung im Gefängnis.«
»Das klingt ja alles andere als viel versprechend!«
»Einer bleibt uns noch, Uwe! Und das ist Hartwig Kroner. Er war damals mit sechzehn der Jüngste in dem Trio, das verdächtigt wurde, den Laden überfallen zu haben. Allerdings ist er auch der einzige, von dem man strafrechtlich gesehen später nichts gehört hat.«
»Entweder er war clever genug, sich nicht erwischen zu lassen oder er hat wirklich sein Leben geändert«, kommentierte ich Roys Worte.
»Jedenfalls wissen wir nicht, wo er zurzeit steckt. Das Letzte, was wir von ihm wissen, ist, dass er sich mit achtzehn bei der Bundeswehr gemeldet hat, aber den Eignungstest nicht bestand.«
»Das bedeutet, wir haben immerhin seine Fingerabdrücke.«
Roy seufzte hörbar.
»Damit die uns etwas nützen könnten, müssten wir irgendwelche Vergleichsspuren am Tatort oder in den gestohlenen Fahrzeugen haben. Der Fingerprint-Abgleich der Fahrzeuge kann noch ein bisschen dauern, da natürlich auch die Abdrücke aller Personen ausgeschlossen werden müssen, denen die Fahrzeuge gehörten oder die rechtmäßig damit gefahren sind. Aber wenn Kroners Abdrücke dabei gewesen wären, hätte der Computer jetzt schon Alarm geschlagen.«
Roy hatte recht.
Da die Kollegen aus dem Labor vor dem Ausschluss der nicht relevanten Abdrücke in den gestohlenen Fahrzeugen alle Spuren einer Überprüfung unterzogen, um zu sehen, ob irgendein Treffer dabei war, konnten wir schon zum jetzigen Zeitpunkt sicher sein, dass Kroner dort keine Spur hinterlassen hatte.
Ich blickte auf die Uhr.
Herr Bock hatte für uns einen Termin mit Vertretern der Deutschen Liquiditätsbank arrangiert und so wie es aussah, machten wir uns jetzt besser auf den Weg, um pünktlich zu erscheinen.
Unsere Kollegen Ludger Mathies und Tobias Kronburg kümmerten sich zur gleichen Zeit um den Telso Security Service und waren schon gleich nach der Besprechung bei Herrn Bock nach Hamburg-Hamm zur Firmenzentrale aufgebrochen.
»Wir müssen los, Roy! Vielleicht können uns die Banker ja noch ein paar Details liefern.«
10
Die Zentrale der Deutsche Liquiditätsbank ist ein modernes graues Gebäude mit mehreren Blöcken in der Willy-Brandt-Straße in der Hamburger Altstadt. Mit seinen acht Stockwerken und dem Baustil unterscheidet es sich doch sehr von den anderen Gebäuden in der Straße.
Schon am Haupteingang waren Security-Leute der Firma Telso Security Service GmbH postiert, wie an den Uniformen unschwer zu erkennen war.
Ich wandte mich an einen der Posten und zeigte ihm meinen Ausweis.
»Wir werden hier von Direktor Kevin Deggert erwartet«, erklärte ich.
Der Security-Angestellte nahm über Funk Kontakt mit seinen Vorgesetzten auf. Dann sagte er: »Warten Sie hier einen Moment! Sie werden gleich abgeholt.«
Wenig später trat eine junge, attraktive Frau mit dunklen, zu einem strengen Knoten zusammengefassten Haaren und einem konservativ wirkenden Kostüm auf uns zu und begrüßte uns.
»Guten Tag, mein Name ist Kati Lambert.«
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Dies ist mein Kollege Roy Müller.«
»Angenehm. Ich werde Sie dann zu Herrn Direktor Deggert bringen.«
»Danke.«
Wir folgten ihr zu den Aufzügen. Es ging ganz nach oben.
Direktor Deggert war ein großer, korpulenter Mann, der allein durch seine körperliche Erscheinung schon respekteinflößend wirkte. Sein dunkles Haar war bereits mit grau durchwirkt. Der dunkelgraue, dreiteilige Anzug war eine edle Maßanfertigung. Am Handgelenk blitzte eine Rolex und das Wappen auf seiner Krawattennadel legte nahe, dass er Mitglied im Harmonie-Club war.
Kati Lambert stellte uns auf gleichermaßen charmante und geschäftsmäßig-freundliche Art und Weise einander vor.
Direktor Deggert führte uns zu einer Sitzecke. An der Wand hing ein modernes Gemälde. Auf einem Hinweisschild war zu sehen, dass es sich um einen Basquiat handelte. Ich nahm an, dass die Bank das Gemälde als Wertanlage gekauft hatte.
Wir setzen uns und bekamen Kaffee angeboten, was wir dankend ablehnten.
»Frau Lambert ist meine rechte Hand«, sagte Deggert und ein versonnenes Lächeln spielte plötzlich um die Lippen des knallharten Bankers. »Sie ist zwar noch nicht lange hier in der Zentrale, hat sich aber in meinem Büro schon vollkommen unentbehrlich gemacht.« Deggert seufzte. »Gute Mitarbeiter sind rar, müssen Sie wissen.«
»Wo waren Sie vorher?«, fragte ich an Kati Lambert gewandt, die gerade ihre Beine sehr grazil übereinander geschlagen hatte.
»Bis vor sechs Wochen war ich noch im Büro der Filialleitung unserer Niederlassung in Berlin«, sagte sie.
»Ja, der Job verlangt von guten Leuten heute, dass sie mobil sind«, meinte Deggert. »Das ist der Preis des Erfolgs …«
»Herr Deggert, seit kurzem ist die Kriminalpolizei Hamburg federführend bei den Ermittlungen in Bezug auf die Serie von Überfällen auf Geldtransporter, von denen Ihre Bank in letzter Zeit heimgesucht wird. Die bisherigen Ermittlungen der Kollegen haben nach wie vor keinen zwingenden Ermittlungsansatz gefunden. Und abgesehen davon, dass alle Taten von sehr gut über die Sicherheitsmaßnahmen informierten Tätern auf ähnliche Weise begangen wurden, liegt für uns den Schluss nahe, dass entweder bei Ihnen oder in der beauftragten Transportfirma jemand sitzt, der mit den Gangstern zusammenarbeitet«, sagte Roy sachlich.
Deggert runzelte die Stirn. Eine tiefe Furche erschien mitten auf seiner Stirn und sein Gesicht bekam einen dunkelroten Farbton.
»Glauben Sie, darüber hätten wir nicht auch schon nachgedacht?«
»Bevor diese Serie begann, haben Sie Drohungen erhalten …«, gab Roy ein weiteres Stichwort.
Deggert nickte.
»Ja, das ist richtig und Ihre Kollegen haben uns oft genug vor Augen gehalten, wie dumm es von uns gewesen ist, die Sache unter der Decke zu halten. Aber Sie müssen auch unsere Seite verstehen!«
»Dafür sind wir hier«, sagte ich.
Deggert atmete tief durch und beruhigte sich wieder etwas. Ich fragte mich, weshalb sich so viel Dampf in diesem Kessel angestaut hatte … War das wirklich nur der Druck, den ihm wahrscheinlich der Vorstand auf Grund der Serie von Überfällen machte? Schwierigkeiten mit Kunden, die vielleicht der Bank schon ihr Vertrauen entzogen hatten? Oder steckte noch etwas anderes dahinter?
Ich beobachtete Deggert genau.
Er griff in die Seitentasche seines Jacketts und holte ein silbernes Pillendöschen hervor, nahm daraus ein Dragee und steckte es sich in den Mund. Ohne Wasser schluckte er es hinunter. Wenig später schien es ihm schon wieder besser zu gehen.
»Wir stehen hier alle ziemlich unter Druck, Herr Jörgensen«, entschuldigte er sich.
»Ich denke, angesichts dessen, was geschehen ist, wundert das niemanden«, sagte ich.
»Glauben Sie mir, wir haben unser Personal durchforstet und nach Zusammenhängen gesucht. Wir haben alle überprüft, die möglicherweise die Gelegenheit hatten, Informationen an die Täter weiterzuleiten. Trotzdem hat es weitere Überfälle gegeben.«
»Was ist mit Telso Security?«, fragte ich. »Haben Sie mal darüber nachgedacht, den Security Service zu wechseln?«
»Ja, natürlich. Das Problem ist, dass Telso gegenwärtig Marktführer in und um Hamburg in diesem Bereich ist. Wir brauchen einen Security-Partner, der in der Lage ist, sämtliche Transporte und Sicherungsaufgaben in den Filialen zu übernehmen. Wenn ein Sicherheitskonzept nicht aus einem Guss ist, dann weiß sehr schnell die eine Hand nicht, was die andere tut.«
»Jetzt sagen Sie mir bloß nicht, dass es keine andere Security-Firma gibt, die in der Lage wäre, diese Aufgabe zu übernehmen.«
»Wir sind durch langfristige Verträge gebunden. Außerdem scheint das Problem, wie ich leider zugeben muss, eher bei uns zu liegen. Schließlich gibt es auch andere Banken, deren Sicherheit von Telso Security gewährleistet wird und deren Transporte nicht überfallen werden.«
»Im Übrigen gibt es im Moment tatsächlich einen Engpass auf dem Geldtransporter-Markt«, mischte sich nun Kati Lambert ein. »Ich weiß nicht, ob Sie von dem Berliner Bankenskandal gehört haben ...«
Das hatten wir natürlich. Die Sache war groß durch die Medien gegangen. Die Bank nutzte ihre Rücklagen für ihr verlustreiches Kreditgeschäft und insbesondere zum Ausbau des katastrophalen Immobiliendienstleistungsgeschäfts. Immobilienfonds wurden, um trotz der schlechten Lage ein Wachstum zu erzielen, mit sehr günstigen Konditionen ausgestattet. So wurde die wahre Lage der Bank über diese Fonds verschleiert. Kritische Immobilien wurden von Kreditnehmern gekauft und in die Fonds verschoben. Diese Fonds wurden dann als sichere Anlage an Privatanleger verkauft. Doch dann erschienen in den Medien die ersten Berichte über Scheingeschäfte, Tricks in der Bilanzierung sowie über finanzielle Schwierigkeiten. Der versuchte Verkauf einer Immobilientochter an eine Scheinfirma auf den Caiman Inseln, die durch Kredite der Gesellschaft der betroffenen Bank finanziert werden sollte, gab den Anstoß. Daraufhin schaltete sich die Staatsanwaltschaft ein und ermittelte.
Um ihre Geschäfte fortführen zu können, hätte die Bank 2 Milliarden Euro benötigt.
Kurz hintereinander wurde in dieser Zeit in mehreren Gebäuden der Bank eingebrochen, jedoch stellten die Ermittlungsbehörden keine Zusammenhänge fest.
Es rollten zwar ein paar Köpfe, doch das nutzte den Geschädigten natürlich kaum etwas.
»Ich habe davon gehört«, sagte ich.
»Dann verstehen Sie sicher, dass man den Security Service nicht leichtfertig wechselt, zumal wenn man jahrelang ohne Beanstandung gut zusammengearbeitet hat«, fuhr Kati Lambert fort. »Das ist auch eine Frage des Vertrauens. Diese Überfälle mögen schlimm sein, zumal sie jetzt erstmalig ein Menschenleben gefordert haben. Aber für unsere Bank wäre der Fall, wenn Geschäftsleute und Firmen uns den Rücken kehren, weitaus schlimmer. Und Sie können mir glauben, dass sich gerade in dieser Branche einige schwarze Schafe tummeln. Unternehmen, die Leute mit zweifelhafter Vergangenheit einstellen, weil sie das Personal nicht richtig überprüfen und dergleichen ...«
»Ich verstehe«, sagte ich.
»Sehen Sie, Herr Jörgensen, wir machen unseren Kunden ein ungewöhnlich günstiges Komplett-Angebot. Wenn Sie Geschäftsmann wären und einen Laden hätten, dessen Einnahmen Sie täglich zur Bank bringen wollten, damit sie sicher aufgehoben sind, dann übernehmen wir alles für Sie. Unser Transporter kommt bei Ihnen vorbei, nimmt das Geld mit. Sie gehen keinerlei Risiko ein, weil die Bank beziehungsweise die Versicherung dafür einsteht. Im Endeffekt ist das alles viel billiger, als wenn Sie selbst einen Geldtransporter mieten. Und mit Ihrer Geldplombe privat zur Bank zu gehen, kann ich Ihnen angesichts der Kriminalität heutzutage auch nicht empfehlen. Aber da brauche ich Ihnen ja wohl nichts erzählen ...«
»Davon abgesehen wird die Frage, ob wir den Security-Partner wechseln sollen, auf der nächsten Vorstandssitzung erörtert werden«, erklärte Deggert. »Ich persönlich habe meine Meinung dazu, aber es steht durchaus zur Disposition, dass wir uns trotz all der damit verbundenen Schwierigkeiten mittelfristig einen anderen Partner im Sicherheitsbereich suchen.«
Mir fiel das überraschte Gesicht von Kati Lambert bei dieser Bemerkung auf. Anscheinend war sie über diese Entwicklung der Dinge noch nicht in Kenntnis gesetzt worden. Allerdings hatte sie ihre Gesichtszüge lediglich für wenige Augenblicke nicht vollständig unter Kontrolle. Danach umspielte wieder das gewohnte geschäftsmäßig freundliche Lächeln um ihren volllippigen Mund.
»Wir brauchen eine aktuelle Liste ihrer Mitarbeiter«, erklärte ich.
»Die müssten Ihre Kollegen bereits haben!«, sagte Deggert. »Wird so etwas dann bei Ihnen nicht weitergeleitet?«
»Doch, aber die Listen, die uns vorliegen, sind bereits mehr als zwei Monate alt. Wir brauchen aktuelle Daten.«
»Natürlich. Frau Lambert wird das für Sie übernehmen.«
»Reicht es, wenn ich Ihnen das Datenmaterial im Laufe des Tages per E-Mail zuschicke?«, fragte Kati Lambert.
Ich nickte und gab ihr meine Karte.
»Das reicht. Kennzeichnen Sie bitte alle Personen, die Zugang zu den sicherheitsrelevanten Daten hatten. Von denen brauchen wir sämtliche gespeicherten Personaldaten, Bewerbungsunterlagen und was Ihnen sonst noch vorliegt.«
»Natürlich.«
Roy mischte sich jetzt in das Gespräch ein.
»Wer legt eigentlich die Routen fest, die die Transporter nehmen?«
»Diese Routen wechseln ständig«, erklärte Deggert. »Dafür ist Herr Ronny Mattus von Telso Security zuständig. Er achtet sehr darauf, dass keine Route zweimal hintereinander gefahren wird.«
»Haben Sie Zugang zu diesen Daten?«
»Ja, schließlich gibt es ja nicht nur Transporte, die Geld zu uns bringen, sondern auch solche, die Bargeld von unseren Hauptniederlassungen zu den einzelnen Zweigstellen bringen. Das muss alles koordiniert werden. Daher gibt es eine ständige Online-Verbindung, deren Sicherheit regelmäßig überprüft wird. Das letzte Mal übrigens von Ihren Kollegen aus Bremen.«
»Wer ist in Ihrem Haus für die Koordination der Transporte und die Absprachen mit Telso Security verantwortlich?«, hakte ich nach.
»Für die Hamburger Filialen ist das Herr Rainer Bircher, aber …«
»Dann müssten wir dringend mit Herrn Bircher sprechen.«
»Er ist leider seit drei Tagen schwer erkrankt«, gab Deggert Auskunft.
»Ich nehme an, er wird vertreten«, schloss Roy.
Deggert nickte.
»Frau Lambert war so freundlich, das zu übernehmen. Ich sagte ja, dass sie inzwischen ziemlich unentbehrlich geworden ist.«
»Dann schlage ich vor, setzen wir beide die Unterhaltung im Büro von Herrn Rainer Bircher fort«, sagte ich, an Kati Lambert gerichtet. »Während mein Kollege sich noch etwas mit Direktor Deggert unterhält, könnten Sie mir ein Bild davon vermitteln, wie die Koordination mit Telso Security im Einzelnen so abläuft.«
Irgendwie hatte ich den Eindruck, dass Kati Lambert die Aussicht auf ein Gespräch unter vier Augen mit mir nicht gefiel. Über den Grund dafür dachte ich intensiv nach, fand allerdings keine Lösung. Ihr Lächeln wirkte sehr kontrolliert und berechnend.
»Dann folgen Sie mir bitte, Herr Jörgensen.«
11
»Sie können mich ruhig Uwe nennen«, sagte ich, als wir das Büro von Rainer Bircher betraten.
»Das hört sich so an, als gingen Sie davon aus, dass wir in Zukunft öfter miteinander zu tun haben?«
»So ist es.«
»Hören Sie, ich glaube Ihnen gerne, dass die Aufklärung einer Serie von Überfällen, wie die von der unser Bankhaus heimgesucht wird, etwas knifflig ist – nur glaube ich nicht, dass dieses Büro dafür der richtige Ansatzpunkt wäre.«
»Das überlassen Sie getrost mir.«
»Das klingt selbstbewusst, Herr Jörgensen …«
»Uwe!«
»Um ehrlich zu sein, wäre es mir lieber, wir würden unseren Kontakt auf einer geschäftsmäßigen Ebene halten.«
Ich zuckte die Schultern.
»Ganz wie Sie wünschen«, sagte ich nach dieser überraschend kalten Dusche. Ich fragte mich, aus welchem Grund ich ihr offensichtlich unsympathisch war. War ihr meine Anwesenheit vielleicht deswegen unangenehm, weil sie glaubte, dass ich bei unseren Ermittlungen irgendetwas über sie herausfand, dass aus ihrer Sicht besser unentdeckt blieb? Oder konnte sie einfach meine Nase nicht leiden?
Sie zeigte mir Rainer Birchers Arbeitsplatz und aktivierte den Online-Zugang zu den Daten über die aktuellen und geplanten Geldtransporte.
»Die Daten befinden sich auf einem auswärtigen Server, zu dem sowohl Telso Security als auch die Deutsche Liquiditätsbank Zugriff haben müssen«, erläuterte Kati Lambert. »Ich telefoniere außerdem mehrmals täglich mit Herrn Ronny Mattus von Telso, um alles optimal abzustimmen.«
Ich betrachtete den Bildschirm, sah mir die Liste der Transporte an und war beeindruckt. Die Routen mussten einerseits unter Sicherheitsgesichtspunkten ständig – am besten täglich – verändert werden, damit potentielle Täter nicht durch genaue Beobachtung herausfinden konnten, wohin der jeweilige Transporter an einem bestimmten Tag als Nächstes fahren und wie viel Geld er voraussichtlich aufnahm. Schließlich war es ein kleiner Unterschied, ob die Tageseinnahmen eines Kaufhauses eingeladen wurden oder stattdessen der Umsatz eines Blumenladens an der Ecke.
»Telso vertritt die Ansicht, dass es am abschreckendsten auf potentielle Täter wirkt, wenn die Aussicht einen großen Gewinn zu machen, von vorn herein schon zweifelhaft ist«, meinte Kati Lambert.
»Das heißt, niemand soll wissen, wie viel Geld jeweils in den Wagen ist.«
»Ja. Das können im Extremfall mal nur 5000 Euro für einen Geldautomaten in der Elizabethstraße sein, dessen Bargeldbestand außer der Reihe ausgegangen ist und schnell nachgefüllt werden muss, um die Kunden nicht zu verärgern oder …«
»… gut eine Million Euro wie bei dem letzten Überfall an der Heidestraße«, vollendete ich ihren Satz.
Sie sah mich mit ihren großen dunklen Augen an. Irgendein Gedanke schien ihr durch den Kopf zu gehen und sie für einen kurzen Moment von unserem Gespräch abzulenken. Dann ging ein Ruck durch ihren grazilen, wohlproportionierten Körper. Sie strich sich eine verirrte Strähne aus dem Gesicht und war wieder ganz im Hier und Jetzt.
»Ja, genau, Herr Jörgensen«, murmelte sie.
»Wie in der Lotterie – Niete oder Jackpot. Nur, dass diese Bande schon sechsmal hintereinander den Jackpot geholt hat.«
»Und jetzt denken Sie, dass jemand wie ich dazu prädestiniert wäre, mit den Tätern zusammenzuarbeiten.«
»Wenn ich an deren Stelle wäre, würde ich mich an Sie wenden. Oder an Ronny Mattus bei Telso.«
»Was mich angeht, so können Sie mich gerne auf Herz und Nieren durchleuchten, Herr Jörgensen. Aber das werden Sie ja ohnehin tun, nicht wahr?«
»Ich tue nur meine Pflicht, Frau Lambert.«
»Bevor Sie mir dann aber Handschellen anlegen, sollten Sie mal über eine Kleinigkeit nachdenken!«
»Und die wäre?«
»Ich vertrete Herrn Bircher seit drei Tagen. Ob diese drei Tage ausreichen, um so ein Verbrechen vorzubereiten, müssen Sie beurteilen. Es wäre also tatsächlich theoretisch möglich, dass ich vertrauliche Informationen weitergeleitet habe. Aber was ist mit den anderen fünf Überfällen? Die lagen überhaupt nicht im Zuständigkeitsbereich unserer Hamburger Zentrale, sondern wurden von den jeweils anderen Filialen aus koordiniert, weswegen es ja wohl auch sehr sinnvoll war, dass sich Ihre Kollegen dort vor Ort zunächst um die Fälle gekümmert haben.«
Ich versuchte einigermaßen entspannt zu lächeln und etwas die Schärfe aus unserem Dialog zu nehmen.
»Eins zu null für Sie«, sagte ich. »Nehmen Sie das nicht persönlich, aber ich muss einfach an jede Möglichkeit denken.«
»Dafür habe ich Verständnis.«
»Woran ist übrigens Herr Bircher erkrankt?«
»Er hat irgendetwas mit dem Magen und liegt derzeit im Krankenhaus. Was genau mit ihm los ist, konnten die Ärzte noch nicht sagen, jedenfalls fällt er für eine Weile aus.«
»Ich verstehe.« Mit dem ausgestreckten Arm deutete ich auf den Computer. »Wir haben ein paar Spezialisten in unserer Zentrale, die in den nächsten Tagen das gesamte Computersystem Ihrer Bank mal unter die Lupe nehmen werden.«
»Vertrauen Sie den Ermittlungsergebnissen Ihrer Kollegen denn nicht? Das Computernetzwerk war sauber.«
»Hacker sind schon unbemerkt in die Zentralrechner des BKA hineingekommen, warum nicht auch in Ihr System? Eine zweite Überprüfung kann nicht schaden.«
»Dann sprechen Sie mit Herrn Direktor Deggert.«
»Ich bin überzeugt davon, dass mein Kollege Müller genau das im Moment mit ihm erörtert.«
Es entstand eine Pause. Kati Lambert rieb die Innenflächen ihrer Hände aneinander und ich hatte den Eindruck, dass sie mir noch irgendetwas sagen wollte. Schließlich brachte sie heraus: »Sie haben vorhin Direktor Deggert danach gefragt, warum bis jetzt nicht der Security Service gewechselt wurde.«
»Ja, und um ehrlich zu sein, hatte mich seine Argumentation nicht wirklich überzeugt.«
»Sie haben recht. Selbst wenn man niemanden findet, der in der Lage wäre, den kompletten Sicherheitsbereich bei der Bank zu übernehmen, so spräche doch eigentlich nichts dagegen, wenigstens bei den Geldtransporten einen Wechsel vorzunehmen.«
»Und warum tut die Liquiditätsbank das nicht?«
»Ganz einfach. Wenn wir die Verträge vorzeitig kündigen, zahlen wir eine Konventionalstrafe. Schließlich hat Telso im Hinblick auf eine langfristige Zusammenarbeit mit uns erhebliche Investitionen getätigt. Das geht von der Anschaffung zusätzlicher Wagen bis hin zur Harmonisierung der Organisationssoftware.«
»Ihre Bank müsste also zahlen. Aber die Überfälle …«
»Sind versichert. Zumindest, bis die Versicherung unser Institut vor die Tür setzt. Mit der Liquiditätsbank macht man das nicht so einfach, irgendwann ist aber auch beim Versicherer die Hutschnur erreicht und wir sind draußen.«
Ich atmete tief durch, warf zwischendurch einen Blick aus dem Fenster. Von Rainer Birchers Büro hatte man einen guten Blick auf die belebte Geschäftsstraße.
»Sie identifizieren sich stark mit Ihrer Bank«, sagte ich.
»War das eine Frage oder Feststellung, Herr Jörgensen?«
»Sie sprechen immer von wir, wenn Sie Ihr Unternehmen meinen.«
»Aber Sie trauen mir trotzdem zu, dass ich uns berauben wollte.«
Ich lächelte.
»Schlagfertig sind Sie, dass muss der Neid Ihnen lassen, Kati.«
Ihr Lächeln wirkte kühl. In ihren Augen glitzerte es auf eine eigenartige Weise.
»Tun Sie mir einen Gefallen und nennen Sie mich nicht so!«
12
Nachdem wir das Bankgebäude verlassen hatten, kauften wir in einer Imbissbude an der Straße einen Hot Dog.
»Irgendetwas stimmt mit dieser Kati Lambert nicht«, meinte ich, nachdem ich Roy von dem Gespräch berichtet hatte. Mein Kollege grinste breit.
»Nur weil die Dame dich nicht leiden kann? Vielleicht hätte ich besser den Part übernommen, mit ihr im Büro zu verschwinden.«
»Ganz im Ernst, Roy. Die Frau machte mir einen sehr eigenartigen Eindruck, so als würde sie dauernd fürchten, dass ich etwas entdecken könnte, was …«
»Ja, und?«
»Roy, sie saß an der Quelle! Sie hatte alle Daten zur Verfügung.«
»Warten wir einfach mal ab, was der Personenabgleich erbringt!«
»Sicher.«
»Außerdem sollen wir in der Zentrale anrufen. Vielleicht hat Max inzwischen herausgefunden, wie wir die Spur von Ronny Kroner aufnehmen können. Wenn du mich fragst, die Pistole ist im Augenblick die heißeste Spur, die wir haben. Alles andere ist nichts weiter als Kaffeesatzleserei!«
Ich starrte nachdenklich aus dem Fenster. Draußen auf der Bundesstraße staute sich mal wieder der Verkehr, weil einen Kilometer weiter nördlich eine Baustelle war. Irgendein undichtes Gasrohr versetzte alle in Aufregung. Die Sache machte schon seit Tagen in lokalen Medien Hamburgs Schlagzeilen, weil man befürchtete, dass dies nicht die einzige Gasleitung war, bei der die Renovierung viel zu lange auf sich warten ließ.
»Hey, bist du noch auf dieser Welt, Uwe?«, drang Roys Stimme in meine Gedanken.
»Mir geht die Szene nicht aus dem Kopf, wie Jakob Namokel ermordet wurde.«
»Versuch das aus dem Kopf zu bekommen, Uwe, sonst bist du schneller ein Fall für den Psychiater, als du denkst.«
»Red keinen Unsinn!«
»Es ist erwiesen, dass man auch durch das Anschauen von Bildern – etwa in den Nachrichtensendungen des Fernsehens – traumatisiert werden kann. Sekundärtrauma heißt das.«
»Roy, red keinen Unsinn! Die Szene war schrecklich, aber das ist ja nicht der Punkt, auf den ich hinaus will!«
»Sondern?«
»Ich versuche die ganze Zeit schon, einen Sinn in das zu bekommen, was ich gesehen. Verstehst du? Und ich habe das Gefühl, dass mir noch irgendeine wesentliche Information fehlt, um zu begreifen, was da geschah. Wie bei einem Standbild, an dem ein paar Buchstaben fehlen und man dann herauszufinden versucht, was da mal gestanden hat.«
Roy atmete tief durch.
»Ich glaube, wir kommen in dieser Sache am weitesten mit ganz normaler, penibler Polizeiarbeit. Abgleich der Personaldaten der Deutschen Liquiditätsbank und von Telso Security anhand eines Rasters, das alle wichtigen Merkmale enthält. Zum Beispiel ob jemand Zugang zu den Daten hatte, ob derjenige wusste, wie viel Geld im Wagen sein würde und so weiter.«
Aber ich ließ mich nicht von meiner Idee abbringen, dass diese Mordszene der Schlüssel zu allem war.
»Roy, die Gangster haben zuvor nie jemanden umgebracht. Bei keinem der vorangegangenen Überfälle ist es dazu gekommen. Aber diesmal hat einer der Täter durchgedreht. Dafür muss es einen Grund geben und dieser Grund liegt in dem, was da passiert ist.«
»Was du sagst wäre logisch, wenn wir annehmen könnten, dass Jakob Namokel sich gewehrt hätte …«
»Hat er aber nicht!«
»… oder einen der Täter erkannte!«
»Das konnte er auf Grund der Maskierung wohl kaum. Die trugen alle Militärsachen. Keiner hat irgendetwas getragen, das sich als individuelles Kennzeichen geeignet hätte. Jedenfalls nicht, soweit es mir auf der Aufnahme aufgefallen ist.«
»Na, wenn dir eine vernünftige Lösung einfällt, dann lass es mich wissen!«
»Roy, ich möchte, dass wir Namokels Angehörigen einen Besuch abstatten. Das müsste zwischendurch irgendwie drin sein.«
Roy nahm den letzten Happen seines Hot Dogs und meinte dann mit vollem Mund: »Eigentlich reicht es doch, wenn ein Kollege der Polizei sein Beileid ausgedrückt hat.«
»Natürlich. Aber ich möchte mehr über Namokel wissen.«
»Und was genau?«
»Keine Ahnung. Alles, was uns helfen könnte zu erklären, wieso plötzlich einer der Täter ihn ausgewählt und erschossen hat.«
»Okay, Uwe. Wie du meinst. Aber ich hätte eine ganz einfache Erklärung für dich, die du am besten erst mal akzeptieren solltest, bis du wirklich schwerwiegende Argumente dafür findest, dass es auch anders gewesen sein könnte.«
»Und was für eine Erklärung wäre das?«
»Der Täter ist einfach durchgedreht. Die nervliche Belastung war zu groß. Im Hintergrund hörte er schon die Sirenen der Polizei. Er weiß genau, dass alles auf die Sekunde geplant ist und jede Verzögerung das Aus bedeuten kann. Vielleicht hat Namokel auch noch eine dumme Bemerkung gemacht, und da hat der Kerl einfach abgedrückt. Der berühmte Tropfen, der das Fass ...«
»Namokel hat seine Lippen nicht bewegt«, stellte ich fest. »An die Möglichkeit irgendeines unbedachten Kommentars habe ich nämlich auch schon gedacht.«
»Uwe, leg das gedanklich zu den Akten! Konzentriere dich auf die nächsten Schritte, die vor uns liegen!«
13
Wir gingen zurück zum Sportwagen, den wir in einer Seitenstraße abgestellt hatten. Circa fünf Minuten mussten wir bis dahin laufen.
Auf dem Weg hatten wir telefonischen Kontakt zum Büro. Max Warter und seiner Fahndungsabteilung war es gelungen, die Adresse von Hartwig Kroners Mutter ausfindig zu machen. Sie wohnte jetzt anderswo, hatte geheiratet und hieß jetzt nicht mit mehr Kroner sondern Blochmann.
»Die Adresse von Namokels Angehörigen liegt dann doch fast auf dem Weg«, meinte ich.
»Wo wohnen die denn?«, hakte Roy nach.
»Etwas außerhalb.«
Roy seufzte.
»Du hast dir das vorher gut überlegt, was?«
»Sicher.«
Wir fuhren also über die Elbbrücke hinüber nach Hamburg-Mitte. Roy drängte darauf, zuerst der Kroner/Blochmann-Spur nachzugehen.
Alexandra Blochmann – wie sich Kroners Mutter jetzt nannte, lebte in einer schmucklosen Straße von mehrgeschossigen Häusern am Rande von anschließenden Autowerkstätten. Hier wohnten die Leute, denen Wohnungen in Hamburg einfach zu teuer war.
Wir parkten den Sportwagen vor dem Eingang.
Es gab keinerlei Sicherheitselektronik. Die Haustür stand offen. Ein paar junge Männer mit Baseballkappen und weiten, tief hängenden Cargo-Hosen lungerten an einer Ecke herum und beobachteten uns misstrauisch. Der Flur des Hauses war mit Graffiti besprüht.
Wir gingen zum Lift, mussten allerdings feststellen, dass er defekt war. Das entsprechende Schild hatte schon Staub angesetzt und es sah nicht so aus, als würde jemand in nächster Zeit auch nur daran denken, diesen Schaden zu beheben. Also machten wir uns zu Fuß in den sechsten Stock auf, wo Alexandra Blochmann lebte.
Ein Hüne von einem Mann öffnete uns. Er war mindestens zwei Meter zehn groß, war Mitte fünfzig und wirkte für sein Alter recht durchtrainiert.
»Wer stört?«, knurrte er uns an, als wir gerade zum dritten Mal die Klingel betätigten.
»Jörgensen, Kriminalpolizei. Wir müssen mit Frau Alexandra Blochmann sprechen.«
»Was wollen Sie von meiner Frau?«
»Das müssen wir schon selbst mit ihr besprechen.«
Herr Blochmann trat etwas vor. Die Arme waren verschränkt. Er trug einen farbigen Jogginganzug und ein eng anliegendes T-Shirt, das seinen kugelrunden Bauch genauso betonte, wie die beeindruckenden Bizeps an den Oberarmen.
»Ausweis!«, brummte er.
Wir hielten ihm unsere Ausweise unter die Nase. Von da an wurde er etwas kooperativer. Ich fragte mich, ob er schon mal Ärger mit der Polizei gehabt hatte. Der Schluss lag nahe. Andernfalls hätte er uns wahrscheinlich etwas freundlicher empfangen.
Wir folgten ihm ins Wohnzimmer.
»Frau Alexandra Blochmann?«, fragte ich.
Eine etwa fünfzigjährige Frau mit braunen Haaren und einem ziemlich erstaunten Gesicht starrte uns ungläubig an.
»Die bin ich. Was wollen Sie von mir?« Wir zeigten auch ihr unsere Ausweise. Sie warf einen skeptischen Blick darauf. »Ich nehme nicht an, dass Sie gekommen sind, um irgendeine übertretene Geschwindigkeitsbegrenzung zu ahnden.«
»Wir sind überhaupt nicht Ihretwegen hier, Frau Blochmann.«
Sie hob die Augenbrauen.
»Ach, nein?«