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Ein CassiopeiaPress Buch: CASSIOPEIAPRESS, UKSAK E-Books,
Alfred Bekker, Alfred Bekker präsentiert, Casssiopeia-XXX-press,
Alfredbooks, Uksak Sonder-Edition, Cassiopeiapress Extra Edition,
Cassiopeiapress/AlfredBooks und BEKKERpublishing sind Imprints
von
Alfred Bekker
© Roman by Author /
© dieser Ausgabe 2021 by AlfredBekker/CassiopeiaPress,
Lengerich/Westfalen
Die ausgedachten Personen haben nichts mit tatsächlich
lebenden Personen zu tun. Namensgleichheiten sind zufällig und
nicht beabsichtigt.
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Alles rund um Belletristik!
Kommissar Jörgensen und der Anruf des
Ermordeten
von Alfred Bekker
1
Ein kühler Wind strich vom Elbe herüber und bog die Sträucher
in seine Richtung. Doch der Mann im beigen Regenmantel hatte
trotzdem Schweißperlen auf der Stirn. Das schüttere Haar war
zerzaust. Der Pulsschlag ging ihm bis zum Hals. Die Rechte umfasste
den Griff einer Automatik, die Linke hielt ein Handy. Mit dem
Daumen wählte er eine Nummer.
»Spreche ich mit dem Kriminalpolizei?«
»Ja. Was können wir für Sie tun?«
»Die wollen mich umbringen! Kommen Sie schnell! Sonst ist es
zu spät!«
»Hallo, wer sind Sie und wo befinden Sie sich?«
»Mein Name ist Karl Peters. Ich befinde mich hier im Stadtpark
von Harburg, südlich des Denkmals Georg Hölscher … Hilfe!«
Dann folgte ein Schuss.
2
Wir befanden uns gerade auf der 75 und fuhren auf die
Südspitze von Hamburg-Mitte zu. Es war ein klarer, sonniger Tag mit
guter Fernsicht. Wir fuhren gerade am Wilhelmsburger Inselpark
vorbei und konnten einen Teil des Kletterparks sehen.
Der Anruf erreichte uns kurz bevor wir die Elbbrücke
erreichten.
Es war Kriminaldirektor Jonathan D. Bock, unser Chef bei der
Kripo hier in Hamburg. Er leitete die Sonderabteilung, zu der mein
Kollege Kriminalhauptkommissr Roy Müller und ich gehörten.
Und wer bin ich?
Uwe Jörgensen, Kriminalhauptkommissar.
Ich gebe mir alle Mühe, dass Hamburg sicher bleibt.
»Soeben traf ein Notruf per Handy bei uns ein«, erklärte
Kriminaldirektor Bock uns. »Ein gewisser Karl Peters gab an, im
Harburger Stadtpark verfolgt und bedroht zu werden. Danach war ein
Schuss zu hören und das Gespräch brach ab. Sie müssten eigentlich
nicht allzu weit entfernt ein.«
»Wir sind schon so gut wie da«, versprach ich, während Roy die
Scheibe herunterließ und das Blaulicht auf das Dach des Sportwagen
setzte.
»Peters hat übrigens noch ein Foto an uns schicken können, das
er offenbar im letzten Moment mit seinem Handy geschossen hat«,
berichtete Herr Bock.
»Um den Täter zu identifizieren?«
»Möglich. Ich leite es an Sie weiter, Uwe. Aber versprechen
Sie sich nicht zu viel davon. Es ist sehr unscharf und man kann so
gut wie nichts darauf erkennen.«
Wenige Augenblicke später hatten wir das Bild auf dem
TFT-Bildschirm, der zusammen mit einem Computer in die
Mittelkonsole des Sportwagens installiert war. Dessen Auflösung war
natürlich um ein Vielfaches größer als die eines Handy-Displays.
Erkennen konnte man da wirklich nicht viel. Im Hintergrund war
etwas Grünes, das sich in viereckige Pixel auflöste. Offenbar
handelte es sich um Ziersträucher, wie sie in den verschiedenen
Parkanlagen der Stadt zu finden waren. Im Vordergrund war etwas
Dunkles.
Nur ein Schatten?
Oder das Abbild eines Mörders?
Wir konnten nur hoffen, dass die Kollegen vom Labor noch etwas
Licht ins Dunkel brachten.
Mein Kollege Roy Müller hatte die Freisprechanlage auf laut
geschaltet, so dass wir beide mit Herrn Bock sprechen konnten. Ich
trat das Gaspedal voll durch. Die Sirene heulte auf.
Der Harburger Park ist eine Grünanlage mit einer Fläche von
circa neunzig Quadratmetern, die sich im Süden an das
Phoenix-Viertel anschloss.
»Wir haben das zuständige Dienststelle der Polizei alarmiert«,
informierte uns Herr Bock inzwischen. »Der Park soll weiträumig
abgesperrt werden.«
»Wenn schon geschossen wurde, kommen wir wahrscheinlich so
oder zu spät«, gab ich zu bedenken.
»Ja, aber es könnte sein, dass der Täter in den Maschen des
Netzes hängenbleibt, das wir jetzt gerade über die Gegend werfen«,
erwiderte Herr Bock. »Ob der Fall tatsächlich bei uns landet, hängt
von den Tatumständen ab. Falls nicht, betrachten Sie das Ganze als
Amtshilfe für die Polizei.«
»Ja«, sagte Roy.
»Viel Glück!«, wünschte uns unser Chef. Danach unterbrach er
die Verbindung.
Wir nahmen die Abfahrt in den Marmsdorfer Weg, der um den Park
in die südliche Richtung führte. Von dort aus dann den Nymphenweg,
um in die Nähe des Teiches zu kommen.
Wir erreichten die Grenze des Harburger Stadtparks. Auf den
Wegen durfte man hier eigentlich nicht fahren. In diesem Notfall
beschlossen wir, die Verkehrsregeln schlicht zu ignorieren. Für den
Mann, der sich mit der Bitte um Hilfe an das Kriminalpolizei
gewandt hatte, ging es wahrscheinlich um jede Sekunde.
Ich fuhr also einfach weiter und ließ den Sportwagen den
schmalen Weg für Fußgänger und Radfahrer entlangfahren. Dabei
konnte natürlich nur eine Reifenspur auf dem gepflasterten Weg
bleiben, während die Reifen der anderen Seite eine hässliche Spur
in dem nach englischem Vorbild gepflegten und auf Bürstenschnitt
gebrachten Rasen zog.
Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis wir die einhundert
Meter der Grünlange bis zum Teich durchquert hatten.
Es waren kaum Passanten dort. Eine Joggerin blieb stehen und
starrte uns fassungslos an.
Ich hielt den Wagen an. Roy sprang heraus und hielt ihr seinen
Ausweis entgegen.
»Roy Müller, Kriminalpolizei! Warten Sie einen Moment!«
Die Joggerin war Mitte zwanzig, dunkelhaarig und recht
zierlich. Sie trug ein Stirnband mit der Aufschrift SPORTIVE ENERGY
und musterte Roy misstrauisch. Erst als sie den Ausweis genauer
sehen konnte, wurde sie etwas entspannter.
»Ein Mann soll hier bedroht worden ein. Es ist ein Schuss
gefallen. Haben Sie irgendetwas davon bemerkt?«
»Ich habe zwei Schüsse gehört«, berichtete sie. Sie deutete
auf eine Front von etwa zweieinhalb Meter großen Ziersträuchern,
die die Sicht auf eine Stelle des Teichs verdeckten. »Hinter den
Sträuchern verläuft ein schmaler Weg, direkt am Ufer entlang. Dort
muss es passiert sein.«
»Wie ist Ihr Name?«
»Sarah Dorner. Ich wohne im Koboldweg, circa dreihundert Meter
von hier.«
»Wir brauchen Ihre Aussage noch schriftlich. Warten Sie hier!
Die Kollegen treffen jeden Moment ein.«
Wie zur Bestätigung ertönten Martinshörner aus der
Ferne.
Die Kollegen...
Roy kam zurück zum Sportwagen und stieg ein. Ich trat das Gas
durch, fuhr über den Rasen auf die uns gezeigte Stelle zu. Wir
stiegen aus und gingen auf das mit den hohen Sträuchern bewachsene
Ufer zu. Dort fanden wir den schmalen Weg.
Wir griffen nach den Dienstwaffen und sahen uns um.
Es war nirgends etwas zu sehen.
»Der Kerl kann sich nicht in Luft aufgelöst haben«, meinte
ich.
»Vielleicht hat jemand die Leiche in den Teich geworfen«,
vermutete Roy.
Wir gingen den Weg entlang.
Nördlich konnte man einen weiteren kleinen Teich sehen, der
sich an dem anschloss, an dem wir standen. Weiter im Norden blickte
man dann zum größeren Außenmühlenteich. Alle Teiche sind von dem
Parkgelände umschlossen. Eine große gepflegte Kleingartenanlage
befindet sich auf der rechten Seite.
Auf jeden Fall gab es in der Nähe genügend Vegetation, um dort
eine Leiche zumindest vorübergehend zu verstecken.
Wir gingen das Ufer in südliche Richtung entlang, um den
kleinen Teich zu umrunden. Roy informierte inzwischen per Handy die
Kollegen der Polizei darüber, dass wir nichts vorgefunden
hatten.
Polizeiobermeister Dobbert, unter dessen Leitung der Einsatz
stand, sagte zu, dass so schnell wie möglich alle Straßen, die vom
Tatort wegführten, abgeriegelt würden, um Fahrzeug- und
Personenkontrollen durchzuführen.
»Das muss alles verdammt schnell gegangen sein«, meinte ich.
Ich starrte auf den Boden. Der Weg war mit grauen Steinen
gepflastert. In den Fugen wuchs Gras. Mir fiel etwas auf, das in
der Sonne metallisch blinkte. Ich bückte mich und entdeckte eine
Patronenhülse. »Sieh an!«, sagte ich, steckte die Dienstwaffe weg,
holte einen Latex-Handschuh hervor und hob die Patronenhülse
auf.
»Hier scheint tatsächlich jemand geschossen zu haben«, stellte
ich fest.
»Die Frau hat von zwei Schüssen gesprochen«, gab Roy zu
bedenken.
»Was bedeutet, dass es auch eine zweite Patronenhülse geben
müsste.«
»Vielleicht hat der Täter die zweite Hülse aufgesammelt und
die andere einfach in der Eile nicht mehr gefunden.«
Ich tütete die Patronenhülse sorgfältig ein und blickte mich
dann erneut um.
»In der Nähe der Gartenanlagen ist ein Parkplatz«, sagte ich.
»Von dort kann man von der Winsenerstraße schnell auf die 75
gelangen.«
»Du denkst, der Täter ist mit der Leiche dorthin gelaufen, hat
sie in den Kofferraum eines Wagens gelegt und ist dann auf und
davon, Uwe?«
»Ich habe nur laut gedacht.«
»Klingt für mich sehr unwahrscheinlich. Zumal der Täter immer
in Gefahr gewesen wäre, gesehen zu werden. Hier hätten ihn die
Sträucher geschützt – aber auf dem Parkplatz nicht mehr.«
»Der Weg ist auch zu weit«, meinte ich. »Zumindest mit einer
so schweren Last. Dann muss sich die Leiche hier in der Umgebung
befinden.«
»Oder in einem der Teiche.«
»Ich fürchte, das ist die wahrscheinlichste Variante. Ich bin
dafür, wir fordern schon mal Taucher an.«
3
In den nächsten Minuten trafen unsere Kollegen ein.
Polizeiobermeister Dobbert begrüßte uns.
»Diesmal seid ihr von der Sonderabteilung mal die ersten am
Tatort«, sagte er. »Meistens ist es ja umgekehrt, dass wir euch
hinzuziehen.«
»Zunächst mal suchen wir nach einer Leiche«, sagte ich.
»Entweder, der Täter hat sie in die Büsche gelegt oder in den Fluss
geworfen und ist dann in aller Seelenruhe zum Parkplatz
gegangen.«
»Vielleicht ist er auch mit dem Wagen hier gewesen«, vermutete
POM Dobbert. »Das ist zwar nicht erlaubt, aber wir sind ja
schließlich auch alle hier. Möglich wär’s also.«
Ich schüttelte den Kopf.
»Nein, dann müssten eigentlich Reifenspuren in dem weichen
Rasen zu finden sein. Mein Sportwagen hat jedenfalls eine Menge
davon hinterlassen. Und dieser Weg ist nun mal eindeutig zu schmal
dafür, dass man mit einem Pkw alle Räder auf dem Pflaster halten
kann.«
»Meine Leute sehen sich trotzdem um.« POM Dobbert atmete tief
durch. »So, wie ich das sehe, übernehmen wir dann von hier an -
falls sich nicht noch irgendwelche Hinweise darauf finden, dass es
sich nicht um einen gewöhnlichen Mord handelt.«
»Okay«, sagte ich. »Wenn Sie nichts dagegen haben, warten wir
die ersten Ermittlungsergebnisse aber noch ab. Wer weiß, was sich
ergibt.«
»Natürlich.«
Die Kollegen der Polizei begannen damit, die Umgebung
systematisch abzusuchen. Bis zum Eintreffen des Erkennungsdienstes
dauerte es noch etwas. Da die Labore des zentralen
Erkennungsdienstes aller Hamburger Polizeieinheiten in Winterhude
lagen, mussten die Kollegen erst ganz Hamburg von Nord nach Süd
durchqueren, um zum Harburger Stadtpark zu gelangen, was selbst bei
ruhiger Verkehrslage seine Zeit brauchte.
Die Ankunft der Taucher erfolgte nach einer halben Stunde. Es
handelte sich um Kollegen der Hafenpolizei, die in diesem Fall
Amtshilfe leisteten.
Ein Anruf erreichte mich. Es war Kollege Max Warter, ein
Innendienstler aus unserer Fahndungsabteilung. Er hatte
interessante Neuigkeiten, was die Identität von Karl Peters anging.
Der Name war schließlich nicht gerade selten.
»Es gibt im Großraum Hamburg mehrere Dutzend Träger dieses
Namens, wobei wir alle Abwandlungen der Schreibweise von Peters
mitgezählt haben. Allerdings haben wir anhand der Handy-Nummer
herausgefunden, dass es sich um Karl Marvin Peters handelt, den
Besitzer von Peters Textile & Fashion, einer Bekleidungsfirma
in Hamburg-Mitte.«
»Gibt es irgendwelche Anzeichen für eine Verbindung zum
organisierten Verbrechen?«, fragte ich. Die Bekleidungsbranche in
Hamburg war bekannt dafür, dass sich dort immer wieder mafiöse
Strukturen etablieren konnten. Viele illegale Einwanderer
arbeiteten dort – vor allem aus Asien. Schleuserbanden vermittelten
sie an Betriebe weiter, die dann anschließend hohe Provisionen
zahlen mussten. Wer einmal mitgemacht hatte, war den Gangstern
ausgeliefert, weil sie ständig fürchten mussten, bei den Behörden
deswegen angezeigt zu werden. Daher konnten diese Banden auch
horrende Schutzgelder erpressen, die weit über den Sätzen lagen,
die Banden in St. Pauli und auch anderen Bezirken von
Restaurantbesitzern dafür verlangten, dass ihre Läden nicht
demoliert und die Gäste verprügelt wurden.
»Es gibt dazu keinerlei Erkenntnisse«, erklärte Max.
»Allerdings bleibt dieser Fall ohnehin bei uns.«
»Weshalb?«
»Weil Karl Peters ein Bürger von Hamburg ist und das
Verbrechen auf dem Boden der Hansestadt verübt wurde. Sein Geschäft
hat er hier in der Stadt, aber er wohnt in Elmshorn.«
»Bis jetzt haben wir noch nicht den Beweis, dass überhaupt ein
Verbrechen stattgefunden hat«, erwiderte ich. »Alles, was wir
haben, ist eine Patronenhülse. Eine – obwohl zweimal geschossen
wurde!«
»Das könnte doch ein Fahndungsansatz sein, Uwe«, meinte Max.
»Sehr witzig«, erwiderte ich leicht genervt.
»Mal im Ernst«, fuhr Max fort. »Herr Bock möchte, dass ihr an
der Sache noch etwas dran bleibt. Die rechtliche Handhabe dazu ist
ja gegeben. Du weißt doch, dass wir an einer Bande in der
Fashion-Branche dran sind, gegen die bislang nichts ausgerichtet
werden konnte, weil die ermittelnden Kollegen auf die übliche Mauer
des Schweigens stießen.«
»Okay«, sagte ich. »Dann werden wir in dieser Hinsicht die
Augen offen halten.«
Ich wollte das Gespräch schon beenden, aber Max hatte sich das
Wichtigste zum Schluss aufgehoben.
»Ach übrigens, ehe ich es vergesse: Dieses Handy, mit dem
Peters die Telefonzentrale unserer Dienststelle angerufen hat, muss
noch am Tatort sein.«
»Ach!«
»Und zwar eingeschaltet. Wir haben es angepeilt.«
»Max – ich habe auch noch etwas.«
»Schieß los, Uwe!«
»Wurden bei dem Anruf ein oder zwei Schüsse registriert, bevor
die Verbindung abbrach?«
»Es war ein Schuss«, erklärte Max. »Ganz bestimmt. Das
Gespräch wurde routinemäßig aufgezeichnet, und ich habe mir das
Band mindestens zwei Dutzend Mal angehört.«
»Danke.«
4
Ich informierte POM Dobbert über die neue Sachlage.
Dobbert zuckte die breiten Schultern, denen man den häufigen
Besuch in einem Fitness-Studio durchaus ansehen konnte.
»Wie ihr wollt! Wenn ihr Jungs denkt, dass wir uns um diesen
Fall reißen würden, seid ihr schief gewickelt!«
Ich erwiderte: »Vielleicht bekommt ihr ihn ja doch noch
früher, als euch lieb ist, wenn sich herausstellt, dass …“
»… es gar keinen Fall gibt?«, unterbrach er mich.
»Auch diese Möglichkeit ziehen wir in Betracht.«
»Wir haben zwar eine der Patronenhülsen – aber keinerlei
Blutspuren«, gab Dobbert zu bedenken. »Ich meine, ich will ja nicht
bestreiten, dass es auch Schusswunden gibt, die wenig oder kaum
bluten – je nachdem, wie man trifft – aber andererseits gibt es
hier auch keinen klinisch reinen PVC-Boden, den man einfach
abwischen kann, wenn man was hinterlassen hat, dass nicht in einem
Labor landen soll.«
»Vielleicht finden die Kollegen des Erkennungsdienstes ja mit
ihren Methoden etwas«, sagte ich. Aber Dobbert sprach einen
wichtigen Punkt an. Es war allerdings nur eine der Ungereimtheiten
in diesem Fall.
In einem Gebüsch fand einer der Männer von POM Dobbert ein
Handy. Es gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit Karl Peters. Ich zog
mir Latex-Handschuhe an, um das Menü betätigen zu können, ohne
Spuren zu verwischen. Das verschwommene Bild, das Peters vielleicht
von seinem Mörder geschossen hatte, war noch gespeichert. Die
zuletzt angerufene Nummer kannte ich nur zu gut. Es war die Nummer
unseres Büros.
Die Taucher blieben bei der Suche nach der Leiche erfolglos.
Aber das musste nach ihrer Ansicht nichts heißen. Wenn der Killer
sein Opfer doch wegtransportiert hat, würde er die Leiche auf
schnellstem Weg loswerden wollen. Und bis zur Elbe war es nur ein
Katzensprung.
Da würden wir aber an unsere Grenzen stoßen, denn woher
sollten wir wissen, wo er dort die Leiche entsorgte.
Bei den herrschenden Strömungsverhältnissen der Elbe, so die
Auskunft von Bernhard Nemerow, dem Polizeiobermeister der
Hafenpolizei, der diesen Einsatz leitete, sei es zudem auch nicht
ungewöhnlich, dass bei zurückgehendem Wasser ein menschlicher
Körper leicht in die Nordsee hinausgetragen werden kann.
Schließlich trafen die lang erwarteten Kollegen der
Ermittlungsgruppe des Erkennungsdienstes ein.
Von den Projektilen fanden allerdings auch sie keine Spur
ebenso wie von der zweiten Patronenhülse. Es war durchaus möglich,
dass sich die Kugeln auf dem Grund des Teiches befanden. Bei der
Durchschlagskraft moderner Waffen war es selten, dass eine Kugel im
Körper steckenblieb. Meistens traten die Projektile auf der anderen
Seite wieder aus.
»Wenn man das verwaschene Foto auf dem Handy berücksichtigt,
dann stand Peters mit dem Rücken zum Wasser und der Täter müsste
dann aus dieser Richtung gekommen sein«, erklärte Roy und deutete
in Richtung der Sträucher-Front.
»Das würde Sinn machen«, glaubte POM Dobbert. »Peters bekam
zwei Treffer und kippte die Uferbefestigung hinunter in den
Teich.«
»Und wie kommt dann das Handy in die Büsche?«, legte ich den
Finger auf den wunden Punkt dieser Theorie. »Der Täter hätte es
doch verschwinden lassen können.«
»Peters könnte das Handy bis zu den Büschen geworfen haben«,
gab Roy zu bedenken.
»Ja – aber vom Ufer aus konnte er das nicht tun, ohne dass der
Täter das genau sehen konnte«, gab ich zu bedenken.
»Worauf willst du hinaus?«, fragte Roy. »Du meinst, dass
jemand ein Verbrechen vorgetäuscht hat?«
»Ich gebe zu, dass ich die Möglichkeit schon in Betracht
gezogen habe«, gab ich zu. »Das würde nämlich auch erklären, wieso
nirgends Blutspuren zu finden waren.«
»Aber es gibt auch eine andere Erklärung dafür, dass der Täter
das Handy nicht mitgenommen hat«, sagte POM Dobbert. »Zum Beispiel
könnte es einfach daran gelegen haben, dass er gestört wurde. Sie
beide waren doch sehr schnell hier.«
»Ja, das ist richtig«, bestätigte ich. »Allerdings wohl doch
nicht schnell genug.«
»Es könnte auch die Joggerin gewesen sein, die den Täter
gestört hat«, glaubte Roy.
»Jedenfalls sollten wir die vielleicht noch mal genauer
befragen«, fand ich.
Schließlich gab es da eine Differenz von einem Schuss zwischen
dem, was die Kollegen aufgezeichnet und dem, was die junge Frau
gehört hatte. Auch dafür gab es allerdings mögliche Erklärungen.
Vielleicht war die Verbindung bereits unterbrochen worden, als der
zweite Schuss fiel.
Wir warteten ungeduldig darauf, dass die Kollegen des
Erkennungsdienstes irgendwelche Spuren fanden. Kleinste
Blutspritzer zum Beispiel, die man mit Hilfe von Luminol noch
sichtbar machen konnte, obwohl kein menschliches Auge in der Lage
gewesen wäre, sie wahrzunehmen.
Das infrage kommende Areal war recht groß. Wir waren zunächst
davon ausgegangen, dass das Verbrechen dort stattgefunden hatte, wo
wir die Patronenhülse entdeckt hatten. Danach richteten sich
letztlich auch die bislang ebenfalls erfolglosen Untersuchungen des
Taucherteams, dessen Leiter Herr Nemerow inzwischen dazu
übergegangen war, mit Hilfe einiger Kollegen das Suchen in den
anderen miteinander verbundenen Teichen zu organisieren.
Mehrere Schlauchboote der Hafenpolizei und der Küstenwache
unterstützten uns bei der Suche nach dem Toten.
Ich ahnte schon, dass sich das länger hinziehen würde. Es
glich der berühmten Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen.
Zur Unterstützung forderten wir noch unsere eigenen
Erkennungsdienstler Frank Folder und Martin Horster an, um weitere
Untersuchungen durchzuführen. Die Kollegen hatten alle Hände voll
zu tun und brauchten Unterstützung. Außerdem kam unser
Chefballistiker Herr Ochmer zum Tatort. Er sollte herauszufinden,
ob es durch die Einwirkung des Geschosses tatsächlich möglich
gewesen war, dass Karl Peters die Uferbefestigung hintergestürzt
wäre. Es ging letztlich um eine Rekonstruktion eines vermuteten
Tathergangs, bei dem bislang noch einiges im Dunkeln geblieben war.
Ich schaute mich nach der jungen Frau um, mit der Roy
gesprochen hatte. Doch sie war längst nach Hause gegangen. Einer
der Kollegen hatte ihre Aussage und auch die genauen Personalien
aufgenommen.
»Ich möchte gerne noch mal mit ihr sprechen«, sagte ich.
»Mit dieser Sarah Dorner?«, fragte Roy. »Ich denke, die hat
uns alles gesagt, was sie wusste und woran sie sich erinnern
konnte. Wenn du mich fragst, dann hatte die in erster Linie eine
Heidenangst, dass ihr selbst etwas passieren könnte.«
»Siehst du hier irgendeinen Jogger, Roy?«
»Ich nehme an, du meinst den Teil des Parks, den die Kollegen
noch nicht mit Flatterband eingegrenzt haben«, gab Roy
zurück.
»Roy, schau dir diese Wege an! Wer will darauf laufen? Drüben
im Park auf der Promenade, laufen ganze Heerscharen von Joggern
daher, aber hier …“
»Sie wollte vielleicht nicht dort laufen, wo alle laufen,
Uwe.«
»Ich würde gerne einfach hören, was sie selbst dazu
sagt.«
Roy seufzte. »Okay«, sagte er.
5
Wir suchten die Adresse im Koboldweg auf, die Sarah Dorner
angegeben hatte.
Sie bewohnte eine Traumetage in einem Haus, das mit seinen
fünfzehn Stockwerken zu den größten Bauten dieser Gegend zählte. Es
gab hier sowohl Büros als auch Apartments.
Sarah Dorner war selbständige Anlageberaterin. So stand es auf
dem Schild an ihrer Tür. Auch das war nicht überraschend. Viele,
die in diesem Teil Hamburgs lebten, hatten etwas mit der Börse oder
den Banken zu tun. Zwar waren Wohnungen hier sündhaft teuer, aber
manche dieser Yuppies arbeiteten fast rund um die Uhr und waren
darauf angewiesen, keine weiten Wege zu ihrem Arbeitsplatz
zurücklegen zu müssen. Einige selbstständig Arbeitende wie Sarah
Dorner hatten ihre Privaträume gleich an das Büro
angegliedert.
Sie empfing uns in einem sehr seriös wirkenden Kostüm –
konservativ genug, um in jeder Vorstandssitzung eines
Bankenkonsortiums eine gute Figur zu machen.
»Guten Tag, was kann ich für Sie tun?«, fragte sie, nachdem
ich ihr meinen Ausweis gezeigt hatte. »Um ehrlich zu sein, wüsste
ich nicht, was ich Ihnen noch zu dem sagen sollte, was ich bereits
Ihrem uniformierten Kollegen von der Polizei zu Protokoll gegeben
habe.«
»Ich hatte eben keine Gelegenheit mich vorzustellen«, sagte
ich. »Ich bin Kommissar Uwe Jörgensen. Mit meinem Kollegen Roy
Müller haben Sie bereits gesprochen. Um ehrlich zu sein, haben die
bisherigen Ermittlungen am Tatort eher mehr Fragen aufgeworfen als
welche beantwortet.«
Sie führte uns zu einer Sitzecke, die aus schlichten
Ledersesseln bestand. Man hatte von hier aus einen Blick über den
Harburger Stadtpark.
»Möchten Sie etwas trinken?«
»Danke, wir sind im Dienst!«, wehrte Roy ab und sprach damit
durchaus auch in meinem Sinn.
Sarah Dorner musterte uns kurz nacheinander. Dann fragte sie:
»Was ist dort geschehen? Ist jemand umgebracht worden? Ich glaube,
wenn sich nur jemand einen Scherz erlaubt und mit seiner Waffe in
der Gegend herum geballert hätte, dann wäre wohl nicht so ein
Aufhebens um die Sache gemacht worden.«
»Ehrlich gesagt – nicht einmal das wissen wir«, sagte
ich.
Sie fixierte mich mit ihrem Blick. Ihr Augenaufschlag war
gekonnt. Aber das kalte Glitzern in diesen Augen warnte mich. Ich
hatte es mit einer sehr berechnenden Frau zu tun. Zumindest in
ihrem Job musste sie das auch sein, aber wenn man nach der
Architektur ihrer Wohnung ging, gab es zwischen Job und Privatleben
überhaupt keine klare Trennlinie.
Immerhin das hatten wir gemeinsam.
»Eigentlich sind wir hier, um Fragen zu stellen und nicht sie
zu beantworteten«, erwiderte ich.
»Oh, verzeihen Sie!«
»Joggen Sie öfter in dem Bereich des Parks?«, fragte
ich.
»Ab und zu.«
»Warum gerade dort? Die Promenade ist nur ein paar Meter
entfernt.«
Sie runzelte die Stirn.
»Was soll das jetzt? Seit wann gibt es im Staat Hamburg
Vorschriften darüber, wo man joggen darf und wo nicht? Zumindest
was öffentliche Parkanlagen betrifft, ist das überall
möglich!«
»Ja, das mag schon sein, Frau Dorner. Es war nur eine
Frage.«
»Die damit ja wohl beantwortet sein dürfte!«, versetzte sie
kühl.
»Ein anderer Punkt, der mich gewundert hat, ist die Zeit.
Genau um 11.47 rief jemand bei uns auf der Dienststelle an, um zu
melden, dass er bedroht würde. Das ist eine ungewöhnliche Zeit zum
Joggen für eine vielbeschäftigte Geschäftsfrau …“
»Das mag für jemanden wie Sie gelten, der an feste
Dienstzeiten gebunden ist«, erwiderte Sarah Dorner schneidend.
»Aber ich bin der glücklichen Lage mir meine Termine selbst legen
zu können. War’s das, was ich für Sie tun konnte?«
»Ich möchte den gesamten Hergang noch einmal in jedem Detail
mit Ihnen durchgehen. Wissen Sie noch, wann genau Sie den Bereich
des Parks erreicht haben?«
»Nein, das weiß ich nicht mehr. Ich kam von der Promenade.
Wissen Sie, ich habe so meine feste Strecke und im Übrigen laufe
ich, um den Kopf frei zu bekommen, nicht um dauernd die Uhr im Auge
zu behalten.«
»Wie auch immer. Was geschah?«
»Ich hörte zwei Schüsse und rannte weg. Das ist auch schon
alles – aber das habe ich sowohl Ihnen, Herr Müller, als auch einem
Ihrer Kollegen bereits gesagt.«
»Wie schnell laufen Sie auf hundert Meter?«, fragte ich.
»Was soll das denn jetzt?«
»Es ist einfach nur eine Frage!«
»Und was hat das bitteschön mit diesem Fall zu tun?«
»Es hat mit Ihrer Aussage zu tun. Zwischen dem ersten der
Schüsse und unserem Eintreffen sind ein paar Minuten vergangen. Sie
hätten längst weg sein müssen – selbst bei gemäßigtem Tempo. Aber
wir trafen Sie nur zweihundert Meter vom vermeintlichen Tatort
entfernt an.«
Sie verzog das Gesicht.
»Ich dachte, Sie versuchen denjenigen zu fangen, der
geschossen hat – stattdessen muss ich mich jetzt dafür
rechtfertigen, nicht schnell genug gelaufen zu sein. Das ist
unglaublich und ich denke, ich werde mich bei Ihrem Vorgesetzten
beschweren.«
»Frau Dorner, wir versuchen einfach den zeitlichen Ablauf
einer Tat zu rekonstruieren, und da bringt uns nun einmal jede noch
so belanglos erscheinende Ungenauigkeit durcheinander.«
Sarah Dorner atmete tief durch.
»Okay, ich bin nicht sofort losgerannt, wenn Sie es genau
wissen wollen.«
»Sondern?«
»Nach den Schüssen war ich wie gelähmt. Ich hätte durch ein
freies Feld ohne Deckung laufen müssen. Haben Sie von dem
Verrückten gehört, der vor ein paar Monaten im Central Park mit
einem Luftgewehr Jagd auf Jogger gemacht hat? Ich dachte, das wäre
vielleicht sowas ähnliches! Jedenfalls bin ich erst mal hinter den
nächstbesten Strauch in Deckung gegangen und habe abgewartet. Es
waren zwei Schüsse zu hören, danach war Schluss. Schließlich habe
ich mich getraut loszulaufen.«
»Aber was die Zahl der Schüsse angeht, sind Sie sicher?«,
hakte Roy nach.
»Absolut. Zwischen beiden Schüssen vergingen etwa fünf
Sekunden. Als ich mich getraut habe loszulaufen, da sind Sie
bereits mit Ihrem Sportwagen über den Rasen gebrettert.«
»Nichts sonst an Beobachtungen?«, hakte ich nach. »Kein
Geräusch? Vielleicht sind Sie zuvor jemandem begegnet.«
»Tut mir leid, dass ich Ihnen da nicht weiterhelfen kann.« Sie
blickte auf die zierliche Uhr, die sie am Handgelenk trug. »Ich
möchte ja nicht unhöflich sein, aber ich habe gleich noch einen
wichtigen Termin. Oder gibt es noch irgendetwas, das wir zu
besprechen hätten?«
»Vielleicht fällt Ihnen ja noch irgendetwas ein«, sagte ich
und schob ihr meine Karte hin.
»Wer weiß …«, murmelte sie und wirkte einen Augenblick lang
sehr nachdenklich.
Wir verließen die Traumetage von Sarah Dorner und befanden uns
wenig später wieder im Freien.
»Wir können von Glück sagen, dass wir im Moment so trockenes
Wetter haben«, meinte ich. »Ein Regen würde jedenfalls alles, was
in diesem Fall noch an Spuren existiert, einfach hinweg spülen«,
sagte ich.
»Warum bist du sie so hart angegangen?«, fragte Roy.
»Hart?«, echote ich. »Ich habe lediglich ein paar klare
Antworten auf ein paar ebenso klare Fragen erwartet, das war
alles.«
»Und? Hat sie die etwa nicht gegeben?«
»Ich weiß noch nicht, Roy ...« Ich schüttelte energisch den
Kopf und kratzte mich im Nacken, während wir zum Sportwagen
zurückgingen. »Aber ist dir aufgefallen, dass Sarah Dorner sich
überhaupt nicht dafür interessiert hat, wer da ganz in Ihrer Nähe
vielleicht ums Leben gebracht worden ist?«
Roy sah mich an.
»Manchmal siehst du Gespenster, Uwe!«
»Ich fand das Verhalten von Sarah Dorner einfach etwas
sonderbar, das war alles«, verteidigte ich mich.
6
Die Dämmerung hatte bereits eingesetzt, als wir uns auf den
Weg nach Elmshorn machten, um mit der Familie des angeblichen
Opfers zu sprechen.
Die Erkenntnislage hatte sich in der Zwischenzeit nicht
verändert. Wir tappten immer noch im Dunkeln.
»Ich weiß nicht, ob es wirklich eine gute Idee war, dass wir
diesen Fall behalten«, meinte Roy unterwegs.
»So sind aber nun mal die Vorschriften«, gab ich zu
Bedenken.
Mehr als eine Stunde brauchten wir aufgrund der
Verkehrsverhältnisse bis nach Elmshorn. Wir befuhren die A7, später
wechselten wir auf die A23.
In einem weiteren Wagen folgten uns die Kollegen Frank Folder
und Martin Horster. Die beiden Erkennungsdienstler sollten uns bei
der Durchsuchung von Karl Peters‘ Privaträumen helfen.
Karl Peters bewohnte eine Villa am Rande von Elmshorn, die von
einer hohen Betonmauer umgeben wurde, die von elektrisch geladenem
Stacheldraht gekrönt wurde. Das gesamte Anwesen war hell
erleuchtet.
»Hier geht aber jemand auf Nummer sicher«, meinte Roy.
Wir fuhren an die Sprechanlage vor dem Eingangstor heran. Ich
ließ die Seitenscheibe herunter.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei«, meldete ich mich.
Wir wurden schon erwartet. Bereits am Nachmittag hatte ein
Polizeimeister der örtlichen Polizei Frau Rose Peters aufgesucht,
um ihr zu berichten, was mit ihrem Mann geschehen war. Unser Besuch
war Frau Peters bei dieser Gelegenheit angekündigt worden.
Allerdings waren wir auf Grund der komplizierten Spurenlage am
Tatort gut zweieinhalb Stunden später dran, als ursprünglich
geplant.
Das große gusseiserne Tor öffnete sich. Wir fuhren zum
Haupthaus des Anwesens, das aus insgesamt drei großen Gebäuden
bestand. Der Opel aus den Beständen unserer Fahrbereitschaft, mit
dem Martin und Frank uns gefolgt waren, hielt sich dicht hinter
uns.
Ich sah zwei Personenschützer, die mit mannscharfen
Schäferhunden in den Gartenanlagen herumstreiften.
Wir hielten vor dem Hauptportal und stiegen aus.
Ein Mann im dunkelgrauen Anzug kam die Treppe herunter.
Offenbar war er ebenfalls ein Leibwächter, denn auf der linken
Seite drückte sich ein Schulterholster unter dem Jackett
durch.
Wir zeigten unsere Ausweise.
»Folgen Sie mir bitte!«, forderte er uns auf.
Wir wurden alle vier in einen salonartigen Raum geführt. Er
war vollkommen in blau gehalten.
Eine zierliche Frau von Mitte vierzig trat uns entgegen.
Außerdem befand sich ein grauhaariger Mann im doppelreihigen blauen
Blazer im Raum.
»Uwe Jörgensen, Kriminalpolizei. Sind Sie Frau Rose
Peters?«
»Die bin ich«, bestätigte die Frau.
Ich zeigte ihr meinen Ausweis und stellte der Reihe nach die
Kollegen vor.
»Warum sind Sie in Mannschaftsstärke hier?«, fragte Frau
Peters. »Das sieht fast so aus, als wollten Sie eine Verhaftung
vornehmen.«
»Nein, keine Verhaftung, aber eine Hausdurchsuchung«, erklärte
ich.
»Heißt das, Sie wollen in unseren Privaträumen
herumschnüffeln?«
»Das heißt, dass wir angesichts der Lage gesetzlich dazu
verpflichtet sind, die von Ihrem Mann genutzten Räume zu
durchsuchen und gegebenenfalls auch Spuren zu sichern. Deswegen
begleiten uns mit Kommissar Folder und Kommissar Horster zwei
Spezialisten auf diesem Gebiet.«
»Das ist …“ Frau Peters sprach nicht weiter. Sie wandte sich
Hilfe suchend an den Mann im blauen Blazer. »Sag du doch etwas,
Michael!«
Der Mann trat näher.
»Ich bin Michael Mohnwald – Anwalt und Freund der
Familie.«
»Dann können Sie Frau Peters sicher bestätigen, dass unser
Vorgehen der Routineprozedur entspricht.« Ich wandte mich wieder an
Frau Peters. »Es tut mir leid. Ein Kollege der Elmshorner Polizei
hat Ihnen heute Nachmittag die traurige Mitteilung machen müssen,
dass Ihr Mann höchstwahrscheinlich einem Verbrechen zum Opfer
gefallen ist und nicht mehr lebt.«
»Ja«, sagte Rose Peters mit belegter Stimme. Sie unterdrückte
ein Schluchzen und wischte sich kurz über die Augen.
»Frau Peters, ich würde Ihnen gerne ein paar Fragen stellen,
aber wenn Sie im Moment …“
»Es geht schon!«, unterbrach sie mich und hob das Kinn. Sie
blickte mir direkt in die Augen. »Erzählen Sie mir, was geschehen
ist!«
Ich fasste ihr in knappen Worten zusammen, was sich unseren
bisherigen Erkenntnissen nach im Harburger Park ereignet
hatte.
»Das bedeutet, Sie haben bis jetzt weder eine Leiche noch
einen anderen klaren Beweis dafür gefunden, dass Herr Peters
tatsächlich ermordet wurde«, stellte Michael Mohnwald fest. »Unter
diesen Umständen ist Ihr Durchsuchungsbeschluss möglicherweise
anfechtbar.«
»Dem Richter, der ihn ausgestellt hat, reichte die Aussage von
Herr Peters persönlich«, erwiderte ich kühl. »Die haben wir nämlich
auf Band.«
Mohnwald wandte sich an Rose Peters.
»Wenn du willst, fechte ich das für dich durch.«
»Lass nur!«, sagte sie jedoch. »Sollen Sie sich ruhig alles
ansehen, was Sie wollen. Steffen!« Der Leibwächter, der uns
empfangen hatte und sich in der Zwischenzeit in der Nähe der Tür
aufhielt, reagierte auf die Nennung seines Namens.
»Ja, Frau Peters?«
»Hätten Sie die Güte, den Männer vom Kriminalpolizei alles zu
zeigen, was Sie sehen wollen?«
»Wie Sie wünschen, Frau Peters!«
Frank und Martin folgten dem Leibwächter namens Steffen,
während Roy und ich das Gespräch mit Rose Peters fortsetzen
wollten.
Sie sagte: »Nehmen Sie doch Platz! Ich bin eine furchtbar
schlechte Gastgeberin. Aber wissen Sie, diese Nachricht von heute
Nachmittag … Das war furchtbar. Ich hatte das Gefühl, jemand zieht
mir den Boden unter den Füßen weg, wenn Sie verstehen, was ich
meine, Herr Jörgensen.«
»Sie haben mein volles Mitgefühl, Frau Peters.«
»Danke. Aber meinen Mann bringt mir das auch nicht zurück!
Sagen Sie, ist wirklich jeder Zweifel daran ausgeschlossen, dass
mein Mann einem Mordanschlag zum Opfer fiel – oder gibt es noch
Hoffnung?«
»Ich will keine falschen Hoffnungen wecken. Aber ich kann
Ihnen versprechen, dass wir alles tun werden, um die Wahrheit
herauszufinden. Und ich denke, das ist auch in Ihrem Sinn.«
»Natürlich.« Sie schluckte, wirkte aber insgesamt jetzt
wesentlich gefasster als zuvor.
»Unsere erste Frage wäre, wann Sie Ihren Mann zum letzten Mal
gesehen haben?«, mischte sich jetzt Roy in das Gespräch ein.
»Vor genau fünf Tagen«, erklärte sie. »Er verließ das Haus.
Steffen hat ihn zum Flughafen gefahren. Er wollte für ein paar Tage
nach München.«
»Was hatte er dort vor?«, hakte ich nach.
»Es war eine Geschäftsreise. Und Sie mögen darüber denken, was
Sie wollen, aber mit dem Geschäft hatte ich nie etwas zu tun.
Peters Textile & Fashion – vielleicht sagt Ihnen der Name
etwas. Deswegen kann ich Ihnen auch nichts Genaueres darüber
berichten, mit wem er sich zum Beispiel in München treffen
wollte.«
»Welchen Flughafen hat Ihr Mann benutzt, um nach München zu
gelangen?«, fragte Roy.
»Der Flug ging ab Hamburg. Uhrzeit kann ich Ihnen nicht genau
sagen. Aber die Daten müssten im Büro unserer Firma in Hamburg
sein. Schließlich hat Karls Sekretärin alles gebucht. Waren Sie
schon dort?«
»Nein, aber das werden wir noch nachholen«, versprach ich. Roy
ging ein Stück zur Seite, nahm sein Handy und setzte sich per
Kurzwahl mit unseren Kollegen in Verbindung. Wenn wir Glück hatten,
war Max Warter noch in seinem Büro und konnte für uns herausfinden,
ob Karl Peters tatsächlich vor fünf Tagen einen Flug von Hamburg
nach München genommen hatte. Die genauen Daten brauchten wir dazu
gar nicht.
»Wir müssten uns dann gleich auch noch mal mit Ihrem
Leibwächter, diesem Steffen unterhalten«, eröffnete ich an Frau
Peters gewandt, während Roy mit Max Warter sprach.
»Natürlich«, sagte sie.
»Haben Sie irgendeine Ahnung, wer Ihrem Mann vielleicht
schaden wollte? Geschäftliche Konkurrenten oder …“
»Das Textil-Business ist sehr hart, Herr Jörgensen. Ich
verstehe nichts davon, und Karl hat mich nicht einmal einen
Kontoauszug sehen lassen – aber ich bekomme natürlich mit, wie da
die Ellbogen eingesetzt werden. Seit billige Import-Ware aus China
den Markt in Europa und den USA förmlich überschwemmt, ist die
Situation für Firmen wie Peters Textile & Fashion natürlich
schwierig geworden. Aber dazu befragen Sie besser Herr Conrad
Rogowski, unseren Geschäftsführer.«
»Danke für den Hinweis. Aber ich hätte noch eine andere
Frage.«
»Bitte!«
»Sie lassen Ihr Anwesen durch bewaffnete Bodyguards bewachen.
Ihr Heim ist umgeben von einer hohen Mauer mit Stacheldraht.
Außerdem liegt Ihr Wohnsitz ziemlich weit vom Sitz Ihrer Firma in
Hamburg entfernt.«
»Wir waren das Leben in Hamburg leid. Deshalb haben wir den
Entschluss gefasst, uns hier draußen etwas zu suchen.«
»Fühlten Sie sich von jemandem bedroht?«
»Nein.«
»Aber, wenn ich diese Festung sehe, in der Sie leben, dann
…“
»Ich denke, Frau Peters hat die Frage beantwortet!«,
unterbrach mich Michael Mohnwald ziemlich barsch.
»Lass nur, Michael! Ich werde Herrn Jörgensen das gerne
genauer erläutern.« Sie wandte sich wieder an mich und ich fragte
mich die ganze Zeit über, weshalb Mohnwald so überaus nervös auf
meine Fragen reagierte. »Sehen Sie, dass die Welt voller
Kriminalität ist, brauche ich Ihnen ja wohl nicht zu sagen. Das
wissen Sie besser als ich. Wenn man für vermögend gehalten wird,
dann wird man leicht zum Opfer. In Hamburg hatten wir ständig Angst
davor, ausgeraubt zu werden. Hier leben wir zurückgezogener und
fühlen uns wohl. Außerdem wollte Karl aus gesundheitlichen Gründen
etwas kürzer treten. Er fährt jetzt zwei oder dreimal die Woche
nach Hamburg-Mitte und erledigt alles, was erledigt werden muss.
Ansonsten haben wir für das Tagesgeschäft einen sehr kompetenten
Geschäftsführer.« Sie stockte plötzlich. Dann barg sie ihr Gesicht
mit den Händen. »Mein Gott, ich rede von Karl noch immer so, als
würde er jeden Moment zur Tür hereinkommen …“
Einige Augenblicke des Schweigens folgten.
Ich wechselte mit Roy einen kurzen Blick.
Michael Mohnwald legt einen Arm um Rose Peters‘ schmale
Schultern.
»Ich denke, wir sollten die Sache hier und jetzt beenden«,
fand der Anwalt.
»Nicht nötig«, sagte Rose Peters, ehe ich etwas dazu hatte
sagen können. »Meine Gefühlsausbrüche müssen Sie schon
entschuldigen, Herr Jörgensen. Aber manchmal überkommt es mich
einfach. Wahrscheinlich habe ich noch gar nicht wirklich begriffen,
was geschehen ist …“
»Hatten Sie seit der Abreise Ihres Mannes Kontakt mit ihm?«,
fragte jetzt Roy.
Sie drehte sich zu ihm herum, sah ihn einen Moment lang leicht
erstaunt an und nickte dann heftig.
»Natürlich! Wir haben täglich mindestens zweimal miteinander
telefoniert!«
»Über sein Handy?«
»Ja.«
7
Später sprach ich noch mit Steffen Hauser, einem der
Leibwächter, die Peters angestellt hatte. Während Roy bei der Witwe
und Mohnwald blieb, bestand ich darauf, um mit dem Bodyguard ein
Vier-Augen-Gespräch zu führen und dafür einen anderen Raum zur
Verfügung gestellt zu bekommen. Frau Peters hatte keine
Einwände.
»Ich werde daran teilnehmen«, verlangte Mohnwald.
»Nein«, lehnte ich ab.
»Aber Herr Hauser hat das Recht auf einen Anwalt. Sie können
ihm das nicht verwehren!«
»Herr Hauser wird nicht als Beschuldigter, sondern als Zeuge
vernommen!«
»Da gilt dasselbe! Wenn Herr Hauser einen Anwalt will, müssen
Sie dessen Anwesenheit dulden.« Mohnwald wandte sich Steffen
Hauser. »Steffen, sagen Sie einen Ton dazu und …“
Steffen war ein breitschultriger, körperlich gewiss sehr
kräftiger und durchtrainierter Kerl, der wahrscheinlich mit dem
kleinen Finger einen Gegner kampfunfähig machen konnte. Aber jetzt
wirkte er ziemlich verschüchtert und in sich zusammengesunken. Mir
war klar, dass Hausers Aussage nur die Hälfte wert war, wenn sie
unter Mohnwalds Kontrolle stattfand.
»Sie irren sich, Herr Mohnwald!«, erklärte ich. »Herr Hauser
hat zwar das Recht auf einen Anwalt und wenn er das wünscht, kann
er jederzeit einen Rechtsbeistand seiner Wahl herbeirufen.«
»Na also!«
»Aber Sie können das nicht sein, Herr Mohnwald. Schließlich
vertreten Sie die Interessen von Frau Peters, wenn ich das richtig
verstanden habe. Interessenkonflikte sind da nicht auszuschließen.
Sollte ich Sie jedoch falsch verstanden haben und Sie in Zukunft
auf die Vertretung von Frau Peters verzichten, dann wäre der Fall
natürlich anders gelagert.«
Mohnwald lief rot an. Es ärgerte ihn, dass ich ihn auf seinem
Terrain geschlagen hatte.
»Kommen Sie, Herr Hauser!«, sagte ich. »Sie kennen sich ja
hier aus und werden mir schon einen Raum zeigen, wo wir uns
unterhalten können.«
»Gehen Sie in die Bibliothek!«, sagte Frau. Peters.
»In Ordnung«, murmelte Steffen.
Ich nickte Roy kurz zu, bevor wir den Raum verließen.
Wenig später hatten wir die Bibliothek erreicht. Ich schloss
die Tür. Die Wände waren über und über mit Büchern bedeckt. Es gab
einige freie Stellen, an denen wohl einmal Gemälde gehangen hatten.
Jedenfalls deuteten rechteckige Abdrücke an der Tapete darauf
ebenso hin wie Nagellöcher an entsprechender Stelle.
Steffen Hauser ließ sich in einem der Sessel nieder.
Ich zog es vor zu stehen.
»Erzählen Sie mir alles darüber, wie Sie Herr Peters zum
Hamburger Flughafen gebracht haben«, verlangte ich.
Er zuckte die Schultern.
»Wenn’s weiter nichts ist. Ich habe Herr Peters zum Flughafen
gebracht und ihn dort bis vor den Schaltern von Lufthansa
begleitet. Dann hat er gesagt, dass ich wieder gehen könnte. Sie
wissen ja, wieviel Wert heute in den Flughäfen auf Sicherheit
gelegt wird, da fand er es wohl überflüssig, dass ich ihn wie einen
Schatten begleite.«
»Vor wem hatte Herr Peters Angst?«, brachte ich die Sache auf
den Punkt.
»Keine Ahnung. Ich denke, die größte Angst war die, dass ihm
jemand seine Reichtümer stiehlt oder entführt, um Lösegeld zu
erpressen. Ja, genau! Von dieser Idee war er richtig
besessen.«
»Und sonst noch?«
»Ich weiß nicht …“
»Ihr Arbeitgeber ist vermutlich tot, Herr Hauser. Sie können
ihm nicht mehr schaden, wenn Sie die Wahrheit über ihn aussagen –
aber vielleicht helfen uns auch wenig schmeichelhafte Details,
seinen Mörder zu fassen.«
Steffen Hauser atmete tief durch. Er wich meinem Blick aus.
»Na ja, in der Textilbranche - soweit es sie überhaupt noch in
Deutschland gibt! - herrschen raue Sitten, das ist für Sie ja
vielleicht auch nichts Neues.«
»Wurde Herr Peters von irgendwelchen Banden bedroht?«
»Ich weiß nicht, was für Typen es waren, aber sie konnten sehr
lästig werden. Ich denke, es war gut, dass er Begleitung hatte.
Mehr weiß ich wirklich nicht. Diese Kerle haben Herr Peters nichts
getan – und alles andere ist Spekulation.«
»Haben Sie ihn danach gefragt?«, wunderte ich mich.
Steffen lachte auf.
»Natürlich. Aber Herr Peters war in dieser Hinsicht nicht sehr
gesprächig. ‚Machen Sie Ihren Job!’, hat er dann normalerweise
geantwortet. Und das habe ich getan.«
»Sie haben ihn doch auch sonst durch die Gegend kutschiert,
oder?«
»Ja. Überall hin, wo er wollte.«
»Haben Sie irgendeine Ahnung, was er im Harburger Stadtpark
gesucht haben könnte?«
»Ist das südlich vom Phoenix-Viertel, wo so ein Denkmal von
einem bekannten Gärtner … Wie hieß der noch?«
»Georg Hölscher«, half ich ihm.
Er schnipste mit den Fingern. »Ja, genau!«, stieß er hervor.
»Der war’s!«
Ich nickte. »Sie waren schon mal dort mit ihm?«
»Ja. Ich sollte im Wagen warten, und dann ist er hinter der
nächsten Ecke verschwunden.«
In meinem Hirn schrillten sämtliche Alarmglocken. Ich dachte
an Sarah Dorner und daran, dass die Joggerin in der ganzen
Angelegenheit wohl doch vielleicht eine größere Rolle spielte, als
wir ursprünglich gedacht hatten. Mein Instinkt hatte mich also
nicht getrogen.
»Und weiter?«, fragte ich.
Steffen Hauser hob die Schultern und machte ein etwas ratloses
Gesicht.
»Nichts und weiter«, sagte er. »Diskretion gehört zu meinem
Job. Ich habe etwa eine halbe Stunde gewartet, genau wie er mir
zuvor gesagt hatte. Dann kam er zurück, stieg ein und sagte mir, wo
er als Nächstes hin will.«
»Wie lange ist das her?«
»Das erste Mal war das vor drei oder vier Monaten. Und dann
regelmäßig so alle drei bis vier Wochen.«
»Ich danke Ihnen, Herr Hauser. Sie haben uns sehr geholfen.«
Ich gab ihm meine Karte. »Sollte Ihnen noch irgendetwas einfallen,
dann lassen Sie es mich bitte wissen.«
8
Die Durchsuchung von Karl Peters‘ Privatsachen war wenig
ergiebig. Unterlagen, die das Geschäft betrafen, bewahrte er
überhaupt nicht in seinem Haus auf. Es gab keinen PC, sondern
lediglich eine einfache Telefonanlage und ein Faxgerät, das längst
nicht mehr dem technischen Standard entsprach. Außerdem gab es ein
herkömmliches Telefonregister, das unsere Kollegen beschlagnahmten.
Aber es wurde nichts gefunden, das uns in irgendeiner Weise
geholfen hätte herauszufinden, was mit Karl Peters geschehen
war.
Während der Rückfahrt von Elmshorn herrschte überwiegend
Schweigen in unserem Sportwagen. Ein langer Tag lag hinter uns, und
wir waren beide ziemlich müde.
»Dieser Mohnwald ist ein eigenartiger Typ«, meinte Roy
schließlich, als wir schon die Stadtgrenze von Hamburg
überschritten hatten und uns dem nördlichen Teil der St. Pauli
näherten.
»Wirkte wie auf Wachhund dressiert«, meinte ich. Ich erzählte
Roy von meinem Gespräch mit Steffen Hauser und fuhr dann fort:
»Diese Sarah Dorner sollten wir uns noch vorknöpfen!«
»Was hast du gegen diese Frau, Uwe? Sie hat dir nichts
getan!«
»Sie hat uns angelogen und musste ihre Story hinterher
korrigieren«, gab ich zu bedenken. »Erinnere dich doch bitte
daran!«
»Sie war etwas verwirrt – aber sie hat nicht gelogen, Uwe, das
ist doch an den Haaren herbeigezogen!«
»Zweifelst du an Steffen Hausers Aussage? Karl Peters war
regelmäßig im Harburger Park, das wissen wir nun, und dort hat
Sarah Dorner ihre Wohnung und ihr Büro.«
»Vielleicht war sie seine Anlageberaterin. Na und? Es kann
auch sein, dass Peters bei jemand anderem war.«
»Das werden wir dann ja spätestens herausfinden, sobald wir an
die Geschäftsunterlagen herankommen.«
Von unterwegs aus erstatteten wir Kriminaldirektor Bock kurz
Bericht. Aber wir fuhren nicht noch einmal zum Büro. Die wenigen
Stunden, die von der Nacht noch blieben, wollten wir im Bett
verbringen. Ich setzte Roy an der bekannten Ecke ab und fuhr dann
auch nach Hause.
Martin und Frank hatten keine andere Wahl, als das
sichergestellte Beweismaterial zunächst bei der Dienststelle
vorbeizubringen. Selbst wenn es sich nur um wenige Unterlagen wie
das Telefonregister handelte, so war es einfach gegen die
Vorschriften, Beweismittel zu Hause aufzubewahren. Vor Gericht
konnte einem daraus leicht ein Strick gedreht werden. Also achteten
Frank und Martin peinlich genau darauf, die Vorschriften bei der
Beweissicherung- und –aufbewahrung zu beachten.
9
Am nächsten Morgen trafen wir uns zur aktuellen
Lagebesprechung im Büro von Herrn Bock.
Außer Roy und mir waren auch noch die Kollegen Tobias Kronburg
und Ludger Mathies anwesend, die uns in Zukunft bei den
Ermittlungen unterstützen sollten, wie Herr Bock uns mitteilte.
Außerdem befanden sich noch Herr Bocks Stellvertreter Stefan
Czerwinski und sein Dienstpartner Ollie Medina im Raum. Etwas
später trafen Frank Folder und David Ochmer ein. Max Warter brachte
einen Stapel mit vorbereiteten Dossiers und begann damit, sie zu
verteilen, während MAndi, die Sekretärin unseres Chefs, ihren
vorzüglichen Kaffee servierte. Jeder von uns bekam ein recht
umfangreiches Dossier, in dem es wohl vor allem um die Firma Peters
Textile & Fashion ging. Ich blätterte es kurz durch und
überflog die wichtigsten Punkte. Als letzter Teilnehmer an der
Besprechung traf Kollege Norbert Nahr ein, der bei uns im Büro der
Fachmann für Betriebswirtschaft ist.
In den letzten Jahren ist das Aufspüren von verdeckten
Geldströmen beim Kampf gegen das organisierte Verbrechen immer
wichtiger geworden. Genau das war Norberts Metier, so dass wir
schon manchen Fall erst auf Grund seiner Vorermittlungen lösen
konnten.
Offenbar war irgendetwas geschehen, dass diesem Mord – von dem
wir noch immer nicht mit Sicherheit sagen konnten, ob er einer war
- eine wesentlich höhere Prioritätsstufe gab.
Anders war dieser Massenauflauf in Herr Bocks
Besprechungszimmer nicht zu erklären.
Ich nippte an meinem Kaffee.
»Wir haben im Fall Peters zwar noch immer keine Leiche und
kein Projektil, aber inzwischen eine Reihe von Hinweisen, die das
Ganze in einem anderen Licht erscheinen lassen. Einem Licht, das
unsere Zuständigkeit im Übrigen untermauert. Aber vielleicht gehen
wir der Reihe nach vor. Frank, wie ist die Situation am Tatort und
was gibt es aus den Labors zu berichten?«
»Leider ist die Spurenlage mehr als mau«, berichtete Sam. »Die
Kollegen der Ermittlungsgruppe Erkennungsdienst und wir haben
intensiv das gesamte, unserer Einschätzung nach als Tatort, infrage
kommende Gelände abgesucht. Unsere einzige Ausbeute ist das Handy
von Herr Peters. Der Anruf hier stammte von diesem Gerät, das sich
zu diesem Zeitpunkt im Übrigen auch in einen Funkmast eingewählt
hatte, der in unmittelbarer Nähe ist. Die Suche der Taucher-Einheit
blieb ergebnislos. Genauso wie die Suche nach der zweiten
Patronenhülse und den beiden Projektilen, die verschossen worden
sein sollen.«
»Verschossen worden sein sollen?«, echote Herr Bock.
»Ja – der zweite Schuss wird nur durch die Aussage von Frau
Sarah Dorner bestätigt. Er kann nur abgegeben worden sein, nachdem
die Handy-Verbindung unterbrochen wurde.«
»Konnten Sie denn den Hergang der Tat einigermaßen
rekonstruieren?«
»Genau dabei gibt es Probleme«, gab Frank zu. »Dazu wird David
gleich noch etwas aus der Sicht des Ballistikers sagen.« Mit Hilfe
eines Beamers projizierte er einen Plan des Harburger Stadtparks an
die Wand. Frank markierte anschließend mit einem Laserpointer einen
bestimmten Punkt.
»An dieser Stelle hat Uwe die Patronenhülse gefunden. Karl
Peters muss sich ein paar Meter entfernt am Ufer des Teiches
befunden haben. Die Projektile sind deshalb wohl in den Teich
gegangen. Der erste Schuss ist entweder daneben geschossen worden –
was auf die von uns angenommene geringe Entfernung sehr
unwahrscheinlich ist – oder hat Peters nur leicht getroffen.
Zumindest muss er noch in der Lage gewesen sein, das Handy zwanzig
Meter weit zu schleudern. Es wurde hier aufgefunden.« Frank
markierte mit Laserpointer den betroffenen Punkt auf den Plan.
»Vollkommen unerklärlich ist uns, weshalb der Täter nicht dafür
gesorgt hat, dass das Handy verschwand. Eine Hypothese wäre, dass
er gestört wurde. Die einzige Person, die dafür infrage käme, ist
Sarah Dorner – aber die behauptet in ihrer Aussage gegenüber der
Polizei, sie sei sofort weggerannt.«
»Diese Aussage hat sie mir gegenüber bereits mehr oder weniger
zurückgezogen, nachdem ich sie darauf aufmerksam machte, dass sie
dann bei unserem Eintreffen nicht mehr am Tatort hätte sein können
– es sei denn, sie hätte lediglich ein Schneckentempo draufgehabt«,
mischte ich mich ein.
»Hat Frau Dorner dazu irgendeine Erklärung abgegeben?«, fragte
Herr Bock.
»Ja. Sie behauptet jetzt, erst hinter einem der Büsche in
Deckung gegangen und kurz vor unserem Eintreffen losgerannt zu
sein. Ich kaufe ihr das allerdings nicht ab und schlage vor, der
jungen Frau nochmal etwas auf den Zahn zu fühlen. Sie ist
selbständige Anlageberaterin und es wäre durchaus möglich, dass sie
Peters kannte. Von Peters Leibwächter Steffen Hauser habe ich eine
Aussage, wonach Peters in den Monaten vor dem Mord –
beziehungsweise seinem Verschwinden – regelmäßig zu diesem Park
gefahren wurde.«
»Wissen Sie warum?«, fragte Herr Bock.
»Vermutlich um sich mit jemandem zu treffen. Frau Dorner hat
in der Nähe ihre Wohnung und ihr Büro.«
»Verfolgen Sie die Rolle von Frau Dorner in diesem Fall
weiter, Uwe!« Er wandte sich an Frank. »Ihren Bemerkungen entnehme
ich, dass Sie es für möglich halten, dass gar kein Mordanschlag
stattgefunden hat.«
»Angesichts der zahlreichen Ungereimtheiten halte ich das
ebenfalls für denkbar«, sagte Frank Folder. »Das völlige Fehlen
irgendwelcher Blutspuren könnte zum Beispiel für diese Variante
sprechen. Aber dazu könnte uns David vielleicht noch ein paar
Angaben machen.«
Herr Bock erteilte daraufhin unserem Chefballistiker Davis
Ochmer das Wort.
»Ich habe verschiedene Tests durchgeführt. Die zu Grunde
liegende Theorie lautete, dass Herr Peters durch die Wucht der
Geschosse über die Uferböschung geschleudert wurde und in den Teich
fiel, wo er dann unterging. Trotzdem glaube ich nicht, dass es so
gewesen sein kann. Wenn Peters getroffen wurde, sind es
höchstwahrscheinlich Durchschüsse gewesen. Dabei entsteht so gut
wie gar keine kinetische Energie, die den Getroffenen irgendwo
hinfliegen lässt, wie man das in Spielfilmen immer sieht. Er sackt
einfach zu Boden. Ich habe das mit einem Dummy getestet. Bei keinem
dieser Tests fiel der Dummy ins Wasser, sondern er blieb auf der
Uferböschung liegen. Ich habe daraufhin Tests mit einem Dummy
durchgeführt, der eine kugelsichere Weste trug. Die kinetische
Energie des Projektilaufpralls wird auf eine größere Fläche
verteilt, die Kugel bleibt im Gewebe hängen und gibt dem
Betreffenden damit einen stärkeren Schub. Unser Dummy landete
tatsächlich im Wasser.«
»Sie wollen sagen, dass Peters eine Kevlar-Weste trug?«,
vergewisserte sich Herr Bock mit gerunzelter Stirn.
»Wenn wir davon ausgehen, dass er im Wasser landete - ja. Aber
die Wucht des Projektileinschlags wäre so groß gewesen, dass er
nach dem ersten Schuss von den Beinen geholt und ins Wasser
geschleudert worden wäre. Er hätte unmöglich sein Handy an die
Position werfen können, an der es aufgefunden wurde. Wenn Sie mich
fragen, dann kann der Mord niemals dort stattgefunden haben.«
»In diesem Zusammenhang ist vielleicht interessant etwas über
Peters Firma zu erfahren«, mischte sich Kollege Norbert Nahr ein.
»Denn so, wie sich mir die Lage darstellt, hätte Karl Peters ein
sehr gutes Motiv, um seinen Tod vorzutäuschen.«
»Berichten Sie, Norbert!«, forderte Herr Bock ihn auf.
»Teilweise finden Sie meine Angaben in dem Dossier, das Max
zusammengestellt hat. Peters Textile & Fashion steht vor dem
Ruin. Es läuft außerdem ein Verfahren wegen Steuerhinterziehung in
Millionenhöhe. Die Kollegen der Steuerfahndung ermitteln schon seit
längerem.«
»Gibt es Verbindungen zum organisierten Verbrechen?«, fragte
Herr Bock. »Musste die Firma Schutzgelder zahlen oder ist sie Teil
eines Geldwäscherrings?«
Oft genug war es so, dass Auffälligkeiten bei der Steuer nur
der Gipfel eines Eisbergs waren.
Norbert zuckte die Schultern.
»Es gibt Indizien für beides. Aber die waren nicht so
überzeugend, dass die Kollegen der Steuerfahndung den Fall bisher
an uns gemeldet hätten. Vor drei Monaten fand ein Abgleich zwischen
der Steuerfahndung und unserer Abteilung statt, inwiefern es
Geschäftsverbindungen zwischen Peters Textile & Fashion und
Firmen gibt, die verdächtigt werden, Teil von Syndikats-Netzwerken
zu sein.«
»Mit welchem Ergebnis wurde diese Überprüfung
abgeschlossen?«
»Sie war negativ. Es konnten keine Verbindungen nachgewiesen
werden. Was nicht heißt, dass sie nicht existieren. Schließlich
konnten wir nur auf offiziell zugängliche Unterlagen
zurückgreifen.«
»Vielleicht finden Sie bei der Durchsuchung der Firmenräume
mehr«, war unser Chef zuversichtlich.
»Der Beamte von der Steuerfahndung, mit dem ich bei dem
Abgleich zusammengearbeitet habe, hieß Markus Landmeer. Ich würde
vorschlagen, dass er bei der Durchsuchung anwesend ist, da er uns
vielleicht entscheidende Hinweise geben könnte. Schließlich kennt
er diese Firma seit Jahren und hat auch schon mal eine
Betriebsprüfung durchgeführt.«
»Ich habe nichts gegen diese Kooperation einzuwenden«,
erklärte Herr Bock. »Rufen Sie Herrn Landmeer an und falls es sein
Terminkalender erlaubt, ist er dabei.«
10
Wir tauchten in Mannschaftsstärke bei den Gebäuden von Peters
Textile & Fashion auf. Die Firma war in einem ehemaligen
Lagerhaus untergebracht. Es gab zahlreiche Ateliers, außerdem
kleinere Produktionsanlagen und die Büros.
»Wo ist denn eigentlich unser Freund von der Steuerfahndung?«,
fragte ich Norbert auf dem Weg zum Bürotrakt.
»Markus Landmeer hat ein paar Tage Urlaub genommen. Der
befindet sich jetzt in einer einsamen Blockhütte in den bayerischen
Alpen – und sein Handy hat er offensichtlich abgeschaltet.«
»Wahrscheinlich mit gutem Grund«, meinte ich.
»Markus muss eine Spitzennummer in der Steuerfahndung sein.
Aber das hat leider den Nachteil, dass man auch in seiner Freizeit
mit einem Anruf des Chefs rechnen muss, weil ohne einen angeblich
alles zusammenbricht.«
»Vielleicht sollen wir unsere Handys auch einfach mal
abschalten«, kommentierte Roy unseren Wortwechsel.
Zusammen mit Norbert, Stefan und Ollie platzten wir in den
Bürotrakt. Ollie hielt der Sekretärin, die uns zuerst abzuwimmeln
versuchte, den Durchsuchungsbeschluss unter die Nase.
»Wie ist Ihr Name?«, fragte Stefan.
»Britta Horn. Ich leite das Sekretariat.«
»Wo ist das Büro des Geschäftsführers?«
»Ich bringe Sie hin.«
Wenig später betraten wir das Büro von Conrad Rogowski, dem
Geschäftsführer. Er war ein hoch gewachsener Mann in den
Dreißigern. Er war nicht allein. Michael Mohnwald, der Anwalt der
Peters‘ befand sich im Raum.
»Guten Tag, Herr Mohnwald. Ich nehme an, Sie haben Herrn
Rogowski bereits über alles Wesentliche informiert«, wandte ich
mich an den Anwalt.
»Ich hielt das in der Tat für angemessen«, erklärte
Mohnwald.
Conrad Rogowski musterte uns der Reihe nach.
»Unser Firmenchef ist ermordet worden und ich habe Verständnis
dafür, dass Sie nach jedem Strohhalm suchen müssen, um den Täter zu
finden. Aber haben Sie auch Verständnis dafür, dass hier der
Betrieb möglichst ungestört weitergehen muss.«
»Keine Sorge, Herr Rogowski. Wir haben kein Interesse daran,
die Firma zu ruinieren«, erklärte Stefan Czerwinski. »Beantworten
Sie uns einfach unsere Fragen so gut Sie können und weisen Sie Ihre
Mitarbeiter an, unseren Kollegen zu allem Zugang zu verschaffen,
was sie sehen wollen!«
»Ich nehme an, dieser Wunsch bezieht sich nur auf den
Bürotrakt«, sagte Rogowski.
»Hätten Sie denn ein Problem damit, wenn wir die Personalien
Ihrer Näherinnen kontrollieren würden?«, gab Stefan zurück.
Rogowskis fast hilfesuchender Blick ging daraufhin an Michael
Mohnwald, aber der Anwalt wusste natürlich nur zu gut, dass er
dagegen rein gar nichts unternehmen konnte.
»Herr Rogowski ist bereit, Ihre Fragen zu beantworten, bittet
Sie aber einfach inständig darum, die Abläufe hier im Betrieb nicht
unnötig zu stören. Und ich denke, darauf könnten Sie sich durchaus
einlassen«, sagte er.
»Wir arbeiten in einer sehr sensiblen Branche«, sagte
Rogowski. »Ich weiß nicht, ob Sie eine Vorstellung davon haben, was
wir hier herstellen. Wir sind im Fashion-Bereich tätig, aber mit
den Haute Couture-Schauen in Paris, wo Models mit Gurken im Haar
über den Laufsteg stolzieren, hat unser Geschäft nichts zu tun. Wir
entwickeln Produktlinien für Konfektionsware. Sportswear,
Outdoor-Kleidung aus Hightech-Fasern in trendigem Design und so
weiter. Unsere Sachen werden nur in geringen Stückzahlen von
Vorführteilen hergestellt. Später kommen dann Kaufhäuser, große
Mode-Discounter und so weiter, die unsere Sache in großen
Stückzahlen haben wollen.«
»Aber die produzieren Sie nicht hier«, stellte ich fest.
»Nein. Die Konkurrenz aus China ist enorm. Inzwischen
produzieren wir große Stückzahlen selbst dort. Viele – gerade
Gewerkschaftsfunktionäre – beklagen sich darüber, dass in unserer
Branche selbst die Mindestlöhne noch unterlaufen. Das mag sein.
Aber wissen Sie, wieviel eine chinesische Näherin bekommt? Oder
eine in Bangla Desh? Und ich sage Ihnen, die nähen zu einem
Bruchteil des hier üblichen Lohns mindestens so gut wie jemand, den
Sie in Hamburg anstellen können!«
»Die Lage der Firma ist ziemlich dramatisch«, stellte jetzt
Norbert Nahr fest. »Es läuft ein Ermittlungsverfahren wegen
Steuerhinterziehung und …“
Rogowski wurde dunkelrot.
»Der Verdrängungswettbewerb ist gnadenlos. Früher gab es nur
die Konkurrenz bei den Massenproduktionen. Aber inzwischen gibt es
in China bereits Labels, die sehr gute Kreativarbeit vorlegen und
uns selbst auf diesem Gebiet Konkurrenz machen. Europa hat
Einfuhrbeschränkungen für chinesische Kleidung eingeführt und ich
finde, es wird Zeit, dass unsere Regierung in dieser Hinsicht auch
etwas mehr unternimmt! Sonst fressen die uns die Haare vom
Kopf!«
»Ich brauche Zugang zu allen Geschäftsunterlagen«, erklärte
Norbert Nahr. »Außerdem eine Liste sämtlicher Firmen, die derzeit
mit Peters Textile & Fashion in geschäftlichem Kontakt stehen
sowie eine Übersicht über die Konten.«
»Darf ich fragen, was das mit der Lösung eines Mordfalls zu
tun hat?«, fragte jetzt Mohnwald mit der ihm eigenen Schärfe im
Tonfall.
»Das dürfen Sie«, erklärte Stefan Czerwinski. »Die Erklärung
ist einfach. Es besteht der Verdacht, dass dieser Mordanschlag nur
vorgetäuscht wurde.«
»Das ist völlig absurd«, behauptete Rogowski.
»Das Verfahren, dass die Steuerfahndung gegen Herr Peters
anstrengt, hätte zu einer Verurteilung von bis zu zehn Jahren
führen können. Und falls sich die Indizien auf Beteiligung auf
Geldwäsche erhärten sollten …“
»Hören Sie auf! Sie haben keine Beweise für das, was Sie sagen
und Sie werden hier auch keine finden!«, fauchte Rogowski.
Er riss eine Schublade auf, knallte eine Mappe mit
Kontoauszügen auf den Tisch, dann eine zweite und fuhr sich
anschließend mit einer fahrigen Bewegung durch das Haar. »Denken
Sie doch was Sie wollen! Bitte! Sehen Sie sich alles an! Sie werden
nur eine Firma sehen, die ums Überleben kämpft und für ein paar
hundert Menschen Arbeitsplätze bietet. Zum Teil Menschen, die kaum
ein Wort deutsch sprechen und die sonst niemand nehmen
würde.«
»Herr Rogowski, hatte Ihr Boss Schwierigkeiten mit
Schutzgelderpressern oder dergleichen?«, fragte ich in einem betont
sachlichen Tonfall.
Rogowski drehte sich zu mir herum und starrte mich an wie ein
exotisches Tier, während sich Norbert Nahr bereits an die Arbeit
machte und die Mappen mit den Kontoauszügen durchblätterte.
»Was erzählen Sie da?«, fragte Rogowski.
»Sein Leibwächter berichtet von Auseinandersetzungen mit ein
paar unangenehmen Typen«, sagte ich ruhig. »Und ich glaube auch -
ehrlich gesagt - nicht, dass sich Herr Peters vor ein paar Jahren
nur aus Angst vor Einbrechern nach Elmshorn in eine Art Festung
zurückgezogen hat! Vor wem hatte er wirklich Angst?«
Rogowski wandte sich erneut an Mohnwald. Dieser schüttelte den
Kopf.
»Denken Sie doch, was Sie wollen, Herr …“
»Jörgensen. Uwe Jörgensen«, sagte ich.
»Sie haben Ihre vorgefasste Meinung. Und davon werde ich Sie
wohl auch nicht abbringen können - gleichgültig, was ich sage. Also
schnüffeln Sie hier ruhig herum, stellen Sie alles auf den Kopf und
reimen Sie sich Ihre eigene Geschichte zusammen!«
»Es wäre schön, wenn Sie uns helfen würden, Herr Rogowski«,
ergriff jetzt Stefan das Wort. Der flachsblonde Kommissar versuchte
wieder etwas Ruhe und Sachlichkeit in das Gespräch hineinzubringen,
nachdem Rogowskis Nerven jetzt aus irgendeinem Grund ziemlich blank
lagen.
Ich wandte mich an Britta Horn, die Sekretärin .
»Vielleicht könnten wir uns draußen einen Augenblick
unterhalten«, sagte ich.
»Gut, aber …“
Sie blickte jetzt ebenfalls etwas irritiert zu Michael
Mohnwald, der offenbar auch in der Firma eine zentrale Position
einzunehmen schien. Seine genaue Rolle würde ich noch unter die
Lupe nehmen, nahm ich mir vor.
Ich führte sie hinaus. Von Mohnwald konnte sie in diesem
Augenblick keinen Beistand erwarten – und auch keine Anweisungen
darüber, was sie zu sagen hatte und was nicht.
»Kommen Sie, es ist besser, wenn meine Kollegen das Gespräch
mit Herr Rogowski fortsetzen. Auf mich scheint er etwas allergisch
zu reagieren.«
Wir verließen das Büro des Geschäftsführers.
»Was wollen Sie?«, fragte Britta Horn.
»Sagt Ihnen der Name Sarah Dorner etwas?«
»Nein. Warum sollte er?«
»Waren Sie auch für den Terminplan von Herrn Peters
zuständig?«
»Ja, das war ich.«
»Zeigen Sie mir diesen Plan bitte!«
»Aber …“
»Wollen Sie nicht auch wissen, was mit Ihrem Chef wirklich
geschehen ist?«
»Natürlich!«
»Also los!«
Sie führte mich zu ihrem Schreibtisch. Darauf stand ein
Computer. Für die Terminplanung benutzte sie allerdings ganz
konventionelle Ringbücher. Ich nahm eins davon.
»Das ist der Terminplaner für Herrn Rogowski. Das mit dem
roten Umschlag enthält die Termine für Herr Peters.«
»Den Terminplaner für Herrn Rogowski brauche ich auch«,
erklärte ich. »Ich erkläre Ihnen hiermit die Beschlagnahme!«
Ich nahm das rote Buch und blätterte darin herum. Ich fand
aber nicht das, was ich suchte.
Die meisten Eintragungen bestanden aus Abkürzungen und der
jeweiligen Uhrzeit. Um das Buch lesen zu können, würde ich wohl auf
die Mithilfe von Britta Horn angewiesen bleiben.
»Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
»Ja. Herr Peters hat sich regelmäßig zum Harburger Stadtpark
fahren lassen. Wissen Sie etwas davon?«
»Nein. Es kann sich daher nicht um einen geschäftlichen Termin
gehandelt haben, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
Ich sah sie etwas erstaunt an.
»Nein, um ehrlich zu sein, weiß ich das nicht.«
»Diese Termine haben doch etwas mit dieser Sarah Dorner zu
tun, die Sie soeben erwähnten.«
»Ja.«
»Nun, es ist ein offenes Geheimnis, dass die erotische
Anziehungskraft zwischen Herr Peters und seiner Frau im Laufe der
Jahre stark nachgelassen hat. Es würde mich nicht wundern, wenn er
sich ab und zu mit einem Call-Girl verabredet hätte.«
»Sarah Dorner ist Anlageberaterin«, wandte ich ein.
»Das würde ich an Stelle dieser Frau auch behaupten.«
11
Die junge Frau schlug die Bettdecke zur Seite. Das lange,
dunkle Haar fiel ihr weit über die nackten Schultern. Sie stand
auf. Durch die Schlitze der heruntergelassenen Rollläden drang nur
wenig Licht, das ein Streifenmuster auf ihre Haut zauberte.
Karl Peters sah ihr zu, wie sie ihre auf dem Boden verstreuten
Kleidungstücke aufsammelte und damit begann, sich anzuziehen.
»Morgens habe ich selten was zu tun«, sagte sie. »Meine Nummer
hast du ja. Wenn du mal wieder Lust hast …“
»Verschwinde jetzt!«, sagte Peters.
»Ist ja gut!«
»Los, beeil dich! Ich habe was vor!«
»War die Nummer so schlecht, dass du so grantig sein musst?
Das kann ja wohl nicht dein Ernst sein! Ich hatte das Gefühl
…“
»Ich gebe fünfzig Euro extra, wenn du aufhörst zu quatschen«,
schnitt ihr Peters das Wort ab.
Sie verzog das Gesicht und knöpfte sich die Bluse zu.
Peters zog sich ebenfalls an.
Dann klingelte plötzlich das Telefon. Peters war wie
erstarrt.
»Na, was ist los?«, fragte die junge Frau. »Warum nimmst du
nicht ab? Noch jemand wohnt doch in diesem Zimmer nicht,
oder?«
Peters wurde blass. Er machte Licht. Es klingelte erneut.
Einen Augenblick zögerte er noch, dann nahm er das Gespräch
entgegen.
»Ja?«
»Haben Sie geglaubt, mir entkommen zu können?«, kam es aus dem
Hörer heraus. Es war eine unangenehm hohe Fistelstimme – aber
dennoch ohne Zweifel die Stimme eines Mannes. Er kicherte.
Peters wandte sich an die junge Frau, die sich fertig
angezogen hatte, aber immer noch an der Tür wartete.
»Worauf wartest du noch! Verschwinde!«, zischte Peters.
»Du wolltest noch 50 Euro drauflegen!«
»Hau ab!«
Sie verzog das Gesicht, zeigte Peters den Stinkefinger.
»Blöder Wichser!«, rief sie und zog ab. Die Tür kickte sie mit
dem Absatz ins Schloss.
»Nette Gesellschaft haben Sie, Herr Peters«, sagte der
Sprecher mit der Fistelstimme und kicherte erneut. »Ein bisschen
unter Ihrem Niveau, würde ich sagen. Da muss die Not aber ziemlich
groß gewesen sein …“
»Was wollen Sie, verdammt noch mal?«, fauchte Peters.
»Wahren Sie wenigstens ein bisschen die Form! Kennen Sie die
Abfahrt von der B5 auf die 447?«
»Natürlich.«
»Kurz vor der Abfahrt zum Stadion Hoheluft ist ein Parkplatz.
Sie können von der Pension, in der Sie sich gerade befinden, in
einer Viertelstunde dort sein. Seien Sie pünktlich!«
Die Verbindung wurde unterbrochen.
Karl Peters ging zu dem Stuhl, über dem noch sein Jackett und
ein Mantel hingen. Darunter lag seine Waffe, eine Automatik. Er
nahm sie hervor und überprüfte die Ladung. Sechzehn Schuss hatte
die Waffe. Zwei Patronen fehlten im Magazin.
Er steckte Waffe hinter den Hosenbund.
12
Unsere Ermittlungen in den Firmenräumen von Peters Textile
& Fashion zeigten recht schnell erste Ergebnisse. Die Firma
stand tatsächlich kurz vor dem Ruin. Norbert stellte fest, dass es
immer wieder unerklärliche Barabhebungen auf den Firmenkonten gab,
die von Peters persönlich durchgeführt worden waren. Außerdem gab
eine Reihe von Überweisungen an eine Firma in Liechtenstein. Sie
hieß Berringer & Friends Consulting.
»Sie steht nicht auf der Liste der Firmen, die wir als
Scheinfirmen der Textilmafia kennen«, sagte Norbert. »Aber
möglicherweise handelt es sich nur um eine Zwischenstation, um
Gelder zu parken, die in Wahrheit ganz woanders hingehen.«