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10. Juni 1942 Der kleine Ort Lidice, unweit von Kladno und Prag gelegen, wird Opfer einer unvorstellbaren Racheaktion der deutschen Besatzungsmacht, nach dem Reinhard Heydrich, der Schlächter von Prag, an den Folgen eines Attentates stirbt. Obwohl nichts mit diesem Attentat zu tun, wurde der Ort wahllos ausgewählt. Alle männlichen Bewohner über 15 Jahre wurden erschossen, die Frauen, nachdem sie von ihren Kindern getrennt, wurden in das Konzentrationslager Ravensbrück geschickt. Einige der Kinder wurden als -eindeutschungsfähig- ausgesondert und von den restlichen 88 Kindern fehlt bislang gegliche Spur. Es wird vermutet, dass sie im Chelmno-Konzentrationslager getötet wurden. Dieser Roman erzählt die tragische Geschichte, grösstenteils aus der Sicht einiger Kinder, die jenes tragische Ereignis überlebten. Neue und erweiterte Ausgabe mit über 300 Abblidungen und geschichtlichem Hintergrund zu dem Roman
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Seitenzahl: 212
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1. Teil des BuchesRoman
2. Teil des BuchesGeschichtlicher Überblick und
Erklärungen
Alle Bewohner von Lidice, die die tragischen Ereignisse um ihr Dorf nicht überlebt haben, sind in dem Buch verzeichnet und abgebildet.
Lediglich Emelie Frjova und Vaclav Hanf, die mir geholfen hatten, dass dieses Buch entstehen konnte, gehörten zu jenen Kindern, die ausgesondert wurden und damit dem Tod entgingen.
Alle nicht extra gekennzeichnete Bilder sind Eigentum der Gedenkstätte Lidice, andere Abbildungen haben den Bezugsnachweis direkt beim Bild
Gewidmet
den Opfern und Überlebenden
von
Lidice, Lezarky, Distomo und Oradour
sowie
Emelie Frejova und Vaclav Hanf
ohne deren Informationen dieses Buch nie enstanden wäre
Die Männer
Die Frauen
Die Schule
Die Täter
Verwirrung
Der Lehrer
Die Kinder von Lidice
Erschossen als Erwachsener
Unruhiger Schlaf
Der neue Morgen
Die Kommission
Das feine Lächeln
Die lange Nacht
Arrogante Männer
Der Schock
Der einsame Mann
Täuschung, Trennung, Schmerz
Das Fenster
Das Dorf gibt es nicht mehr
Die erste Fahrt
Ravensbrück
Chelmno
Anhang
Geschichte von Lidice
Lidice vor der Zerstörung
Zeugenaussagen
Bericht von Emelie Frejova
Marie Schupickova geb. Dolezalova
Hronikova Anna
Bericht Horst Böhme
Reinhard Heydrich
Operation Antropide
Konzentrationslager Ravensbrück
Distomo (GR) 10. Juni 1944
Oradour (F) 10. Juni 1944
Namen
Begriffserklärung
Bücher
Lidice vor der Zerstörung
Still war dieser Morgen des 10. Juni 1942 gewesen, lau die frühsommerliche Luft und es war angenehm awarm. Nicht zu heiß, nicht zu kalt, genau richtig, so dass in vielen der kleinen und gepflegten Häuser, die sich an beiden Seiten des sanften Tales an die Hänge schmiegten, die Fenster weit offen standen und der würzige Duft eindrang wie er in einem kleinem Ort, wie diesem, ganz normal war.
Das gewohnte Zirpen der Grillen, der unverkennbare Gesang einer verliebten und doch so unscheinbar wirkenden Nachtigall, das leise Knarren der sich leicht im Wind biegenden Bäume, dies alles war die begleitende Musik dieser Nacht und der klare Sternenhimmel wölbte sich wie eine sanfte Kuppel über das schlafende Land. Der Mond warf mit seinem silbernen Schein verwegene, mitunter bizarre Schatten auf den Boden und der kleine Bach plätscherte durch sein gewundenes Bett hinein in den See, der sich am Fuße des Tales befand.
Das kleine Ruderboot schaukelte auf den Wellen, schlug manchmal sanft gegen den Steg, von dem aus die Kinder mit lautem Geschrei sich am Nachmittag zuvor noch in das kühle Wasser stürzten. Von Zeit zu Zeit erscholl hier das klagende Gemuhe einer der wenigen in den Ställen befindlichen Kühe, die schon gemolken werden wollten oder eine der wenigen aber wohlgenährten Ziegen meckerte lauthals und ohne einen ersichtlichen Grund. Irgendwo, ganz in der Nähe der alten, stattlichen, hochaufragenden Kirche, gerieten sich mal wieder zwei rivalisierende liebestolle Kater aneinander, doch ansonsten war die friedliche Stille überall.
Gute Stube in einem Haus von Lidice
All dies waren eben jene Töne die keinen der hier schlafenden Menschen aus dessen tiefen Schlummer reißen konnte. Sie gehörten einfach hierher, waren von einer natürlicher Art und mancherorts beruhigten sie sogar den Einen oder Anderen wieder etwas und liesen ihn fast schon wieder daran glauben, das nicht wirklich alles in dieser aufgewühlten Welt gänzlich aus den sprichwörtlichen Fugen geraten war. Und doch war diese Welt wirklich aus seinen Fugen geraten.
Überall war das Entsetzen des Krieges zu spüren und es verging kaum eine Nacht in der nicht Menschen in der näheren Umgebung dieses Ortes ohne ersichtlichen Grund aus den Betten geholt wurden und dann für immer verschwanden. Doch hier, über diesen Ort, in dieser Nacht lag der unendliche Frieden, wie ihn sich die Menschen wünschten. Doch dann kam er über sie, der blanke, schier unvorstellbare und entsetzliche Schrecken, dieses noch nie gekannte Entsetzen, in dieser Juninacht, so unvermittelt, so unerwartet und so schnell, wie der grelle Einschlag eines aus dem Nichts kommenden Blitzes und die friedfertigen Menschen dieses kleinen und ländlichen Ortes, nur wenige Kilometer von Kladno und Prag entfernt, zu denen dieses unbeschreibliche Entsetzen kam, sie lagen nichtsahnend und friedlich in ihren Betten. Sie waren von rachsüchtigen Menschen einfach ausgesucht worden, ohne einen wirklich ersichtlichen Grund und ausgewählt ohne eigenes Verschulden an etwas oder gar jemanden anderem gegenüber.
Christi Himmelfahrtsprozession 1941
Irgendwann, der junge Tag schickte sich an zu erwachen, keiner hatte deswegen auf die Uhr gesehen, warum denn auch, denn es gab keinen wirklichen Grund dafür, begannen die wachsamen Hunde die sich in jenen Anwesen befanden die an der lang gezogenen, hügelansteigenden Straße lagen, die nach Kladno führte zuerst vereinzelt zu bellen. Nichts Beunruhigendes eigentlich, denn oft genug fing einer von diesen zotteligen Zeitgenossen ohne ersichtlichen Grund mit seinem Gebelle an, in das kurze Zeit später auch dann andere einfielen. Als aber auch jene, vom anderen Ende des Ortes anschlugen und die Nacht mit ihrem fast schon hysterischen Lauten durchschnitten, wachten mehr und mehr der Leute auf, lugten teils verärgert, teils schlaftrunken aus den Fenstern, riefen ihren Hunden aber dann doch, weil sie nichtaufhören wollten, harsche Befehle zu, die diese aber zu ignorieren schienen.
Dann, neben den nun doch störend wirkenden Tönen der Hunde, mischten sich plötzlich diese seltsamen brummenden Geräusche von herannahenden Fahrzeugen ein, die dann unvermittelnd und mit großen Staubwolken zum stehen kamen. Laut wurden Fahrzeugtüren aufgerissen und wieder zugeschlagen, dann wieder schlugen hölzernen Bretter gegen die Seitenwände von Lastwagen und Befehle, in der Sprache der allseits verhassten deutschen Besatzer gesprochen, gerufen, geschrien, gefolgt von dem Getrampel unzähliger gestiefelter Füße, die über die sandige Straße sich bewegten. All dies riss nun endgültig auch den letzten noch sehr tief schlafenden Menschen aus dem Reich der Träume.
Brejcha Karel
Čermák Františe
Čermák Václav
Černý František
Doležal Josef
Hart knallten die gleichen, nagelbesohlten schwarzen Stiefel gegen die manchmal wunderschön gearbeiteten Tore der kleinen bäuerlichen Anwesen und schmucken Häuser der Bergarbeiter, sprengten diese mancherorts sogar aus ihren Angeln. Die noch immer angeketteten Hunde bellten nun noch lauter aggressiver, versuchten sich von den, haltenden Ketten loszureißen oder zogen sich total verängstigt und mit eingezogener Rute in die kleinen Hundehütten zurück. Ängstlich aus diesen dann hervor lugend, beobachteten sie winselnd was um sie herum geschah. Die Hühner in ihrem Freilaufgehege, nun vollkommen aufgeschreckt durch die ungewöhnliche und laute Unterbrechung der nächtlichen Ruhe, rannten gackernd durch die Gegend und die Tauben flohen von ihren Schlafplätzen um diesem Getöse zu entgehen, die Kühe und Ziegen untermalten mit ihren Lauten das ganze Geschehen und liesen alles zu einer unwirklichen Szene werden, die sich niemand erklären konnte.
Dvořák Arnošt
Farský František
Fořtík Josef
Freja Václav
Frühauf František
Dies waren aber auch jene Momente, wo der Herr des Hauses entsetzt an das Fenster sprang, ungläubig hinaussah, innerlich wütend und wissen wollend, wer so rigoros in seine bis dahin so friedliche Welt hereinplatzte. Hinter ihrem Mann stehend, über dessen Schulter ebenso hinaus blickend, fast nichts außer dunkle Schatten sehend und am ganzen Körper zitternd stand die Frau mit dem gleichen ungläubigen Bick wie ihr Mann dem Ganzen zusehend Die kleinen Kinder, jene die noch immer im Zimmer der Eltern schlafen durften oder mussten, sie umklammerten nun ängstlich das Bein der Mutter, wohl spürend das hier etwas ungeheuerliches geschah, was die Eltern beunruhigte. Die anderen Kinder des Hauses, verschreckt in ihren Kammern zogen schnell die Bettdecke über den Kopf, wollten sich einfach nur verstecken, zitterten vor purer Angst oder begannen angsterfüllt nach der Mutter zu rufen.
Generalov Vasil
Hanf František
Hanžl Karel
Hanzlík Josef
Hanzlík Václav
Dunkel und unheimlich zugleich waren die Schatten jener, die mit schnellen Schritten auf das Haus zukamen und dann mit dem schweren Kolben ihrer todbringenden Gewehre hart gegen die einfachen Türen schlugen. Manchmal wiederum so heftig das einige von ihnen, wie schon die Hoftore zuvor, aus deren Angeln gerissen wurden. Mit Schrecken geweiteten Augen sahen sich die Bewohner des Hauses nun an, nicht wissend wie ihnen in diesen Momenten geschah. Mancher der aufbrausenden Jugendlichen griff, wie es seinem Temperament einfach entsprach unwillkürlich nach einem handlichen Gegenstand, mit dem er sich gegen die Eindringlinge verteidigen wollte. Doch rasch liesen sie diese vermeintliche Waffe wieder aus ihren Händen gleiten, bei dem Erscheinen der fremden Gestalten mit ihren Uniformen, mit dem gefürchteten Abzeichen auf den Kragenspiegeln, dem Totenkopf. An eine Gegenwehr war dann nicht mehr zu denken, ganz im Gegenteil, wenn man in die entschlossenen und harten Gesichter der Uniformierten blickte und eine Waffe auf sich gerichtet sah.
Enger drängten sich nun die total erschrockenen Bewohner des Hauses zusammen, sich gegenseitig Mut machend, einfach dadurch dass sie sich an den schweißnassen, zitternden Händen hielten. Nicht nur verschreckt, sondern verängstigt war der unstete Blick, der von den Hausbewohnern ausging und die kleinen Kinder, noch niemals mit einen solchem Auftreten von vermeintlichen Menschen konfrontiert, sie liesen ihren Tränen nun freien Lauf. Fürsorglich hob die Mutter oder der Vater, die große Schwester, der große Bruder das Kind endlich hoch, drückte es ganz fest an sich, versuchte es damit zu beruhigen, selbst wenn der eigene Körper ebenfalls von dem gleichen Zittern befallen war und die Ängste nicht minder gering waren. Aber was in diesem Momenten nur zählte war diese Wärme, dass Gefühl nicht alleine auf dieser schrecklichen Welt zu sein, wie sie sich gerade aufgetan hatte.
Kirche von Lidice
Lediglich eine unscheinbare Liste in der einen Hand haltend, herrisch, teilweise in einer solchen Arroganz dastehend das man sich nur wundern konnte, ohne die geringste Regung in dem Gesicht zu zeigen, dann holprig, einzelne Namen laut davon ablesend, ungeduldig darauf wartend das die Aufgerufenen endlich zu ihm traten, so stand der Vorlesende, geschützt von anderen Soldaten und nun wahrlich unerwünschte Eindringling in der kleinen, gemütlichen Stube, für die er keinen einzigen wohlwollenden Blick übrig hatte.
“Herkommen,” raunte er lediglich und kaum waren der verstörte Vater, der Sohn, der gebrechliche Großvater, alles geliebte Menschen, zu den Bewaffneten getreten, wurden diese ohne ein weiteres Wort zu verlieren sogleich aus dem Hause geführt und das Entsetzen der Zurückgelassenen, es wurde noch um einiges größer, als er ohnehin schon war. Das kleine Kind, es versteckte sich nun endgültig hinter der Mutter. Nur von Zeit zu Zeit, wenn die kindliche Neugierde wieder einmal die Überhand gewonnen hatte, spitzelte es kurz hervor, um dann gleich wieder sich hinter den schützenden Körper der Mutter zu verbergen.
Hanzlík Václav
Hejma František
Hejma František
Hejma Karel
Heřman Ladislav
Kein Wort wurde mehr gesprochen, nicht einmal ein leises Flüstern kam über die Lippen, seit die Männer aus dem Haus geführt wurden, nur das aufgeregte und hektische Atmen der zurückgelassenen und entsetzten Menschen erfüllte den Raum, denn das Sprechen war ihnen verboten worden und der einzelne schweigende Soldat, der zurückgelassen wurde, er stellte sich neben die noch immer offen stehende Tür, ständig die grässliche Waffe auf die zitternden Frauen und Kinder gerichtet. Und in seinen Augen konnte jeder erkennen dass dieser jederzeit dazu bereit war, bei der geringsten unbedachten Bewegung den Abzug zu drücken. Unentwegt heftete sich der Blick der Geschockten gebannt auf das dunkle, schwarze Loch, aus dem die tödliche Kugel kommen konnte. Die Anspannung auf beiden Seiten war greifbar, so unmittelbar spürbar und doch war bei den Frauen ein vollkommenes Unverständnis aufgekommen, ein nicht mehr Verstehen wollen was sich gerade hier abspielte. Nichts von alldem, was um sie herum geschehen war, wollte für sie einen logischen Sinn ergeben, wollten sie begreifen, oder konnten es sich erklären. Und doch marterten sie sich ihr Gehirn, dachten nach und versuchten herauszufinden was die Eindringlinge dazu bewogen hatte so in ihre Welt einzudringen.
Himl Antonín
Himl Karel
Hocek Jaroslav
Horák Josef
Horák Stanislav
Haus um Haus, Hof um Hof durchlief so diesen nicht begreiflichen Alptraum und in die Geräusche der aufbrechenden Türen und der geschrienen Befehle mischten sich kurze Zeit später die Schritte jener unseligen Männer die bereits aus den eigenen Häusern getrieben wurden. Die schwitzenden Hände auf dem ebenso nassen Nacken verschränkt, den Blick eingeschüchtert auf die sandige Straße gerichtet, so liefen sie durch den kleinen, einstmals so friedlichen Ort, der ihre Heimat, ihre kleine, überschaubare Welt war. Schlurfend und schwer, fast schon puppenhaft waren diese Schritte, wirbelten leicht den die Straße bedeckenden feinen Staub auf, der sich dann auf die Schuhe der Männer legte. Doch darauf achtete keiner. In ihren Köpfen gingen tausend Gedanken umher, wie sie in eine solche Situation haben kommen können. Doch eine Antwort fanden sie nicht, wie denn auch, denn sie waren sich keiner Schuld bewusst.
Horák Štěpán
Horák Štěpán
Horák Václav
Hroník Václav
Hroník Václav
Vorbei ging der Marsch der Unglückseligen an der alles überragenden barocken Kirche, die einst von einer italienischen Adeligen dem Ort gestiftet wurde, mit ihrem schönen wohlgestaltetem Äußeren und dem schon von weitem sichtbaren mächtigen Glockenturmaufsatz auf dem Dach, der nun im diesem fahlen Licht des anbrechenden Tages, wie ein Schattenschnitt seine ganze Schönheit zeigte. Der schweigende Gang der Männer ging den sanften Hügel abwärts, vorbei an der Schule, dann über die kleine hölzerne Brücke, auf der die schlurfenden Schritte der verängstigten Männer unangenehm deutlich zu vernehmen waren.
Doch für die Schönheit des gerade herannahenden Tages, die schönen Töne der erwachten Vögel, für sie hatten diese Männer nun keine Augen und Ohren mehr übrig. Ihre Gedanken waren bei der geliebten Familie, der zurückgelassenen Frau, den Kindern, die nicht verstehen wollten was sich vor ihren Augen abspielte, ohne ein richtiges Wort des Abschieds. Aus dem eigenen Haus, dem Haus der liebenden Eltern, dort, wo man geboren wurde, viele schöne Dinge erleben durfte, mit wenigen, nichts erklärenden Worten getrieben, lenkte nun der traurige Zug, dem sich mehr und mehr der beklagenswerten Männer anschließen mussten, seine Schritte zu dem großen Anwesen der Horaks.
Weit stand das Tor dieses ansehnlichen Hofes auf und ein Spalier von anderen, ebenso bis an die Zähne bewaffnete Männer, in den angsteinflößenden dunklen Uniformen, lies die eintreffenden Gruppen nur in eine einzige Richtung, zu einem der zum Anwesen gehörenden Gebäude lenken. Schweigend, wieder ohne auch nur einen einzigen Ton von sich zu geben, öffnete einer der finster drein blickenden Gestalten die Tür zu dem dort befindlichen Keller.
Eingang zum Hof der Familie Horak
Dunkel, nur spärlich von einer an der weiß getünchten Decke herunter hängenden einzelnen Lampe erleuchtet, tasteten sie sich mehr blind als sehend die ausgetretenen, unebenen, steinigen Stufen hinunter. Durch die zwei kleinen Fenster, am hinteren Ende des düsteren Raumes, drang spärlich das fahle Licht des herannahenden Morgens, in das sonst so finster, abweisende Dunkel des Gewölbes herein. Doch sie waren nicht die Ersten, aber auch nicht die Letzten, die diesen seltsamen Weg gehen mussten. Auf den wenigen Kisten, die an den Wänden gestapelt waren, saßen Gestalten mit dem gleichen Ausdruck in ihren Gesichtern, wie jene, die nun eintraten.
Aber auch ihre brennenden Fragen, die sich jeder innerlich stellte, sie waren die Gleichen und wie schon bei den Anderen der hier Anwesenden, so fanden auch sie keine Antwort, die ihnen die aufgekommene Angst von den verschreckten Seelen nehmen konnte. Ganz im Gegenteil, denn je mehr von ihnen in diesen dunklen Raum getrieben, zusammengepfercht wurden, je enger, je stickiger, heißer und unangenehmer die Luft hier wurde und je mehr hektisches Schnaufen zu vernehmen war, um so mehr breitete sich die zuvor noch im Hintergrund befindliche Angst intensiver, spürbarer in ihren Körpern aus.
Huřík Oldřich
Huřík Vojtěch
Hušák František
Jedlička Václav
Jelínek Václav
Der sonst so quirlige junge Mann, der mit den schon sprichwörtlichen Hummeln im Hintern geboren schien, er saß, überraschend für alle, schweigend, fast schon apathisch in einer der dunklen Ecken, trübe den Blick in das scheinbare Nichts gerichtet und jener, der Schweigsame, den man eigentlich jedes einzelne Wort regelrecht aus der Nase ziehen musste, er verfiel in einen unaufhörlichen Redefluss, der schier kein Ende nehmen wollte.
Reinhard Heydrich
“Was werden diese verfluchten Schweinehunde von Deutschen mit uns jetzt machen?” frage eine der Gestalten, dessen Gesicht lediglich als ein schwarzer Umriss zu erkennen war.
“Die werden uns sicherlich alle als Zwangsarbeiter nach Deutschland schicken", kam es aus einer der Ecken als Antwort. “Wir werden wohl die Arbeit machen müssen, von denen, die als Soldaten an der Front sich befinden und hoffentlich bald dort verrecken.“
“Das ganze Dorf?” war nun die Frage einer dritten Stimme. “Mach dich doch nicht lächerlich. Und wer zum Teufel soll dann die Arbeit hier auf unseren Feldern oder in den Kohleminen, in den Fabriken für die verdammten Nazis machen? Kannst du mir das mal erklären?”
“Hatte das die Deutschen eigentlich jemals schon interessiert? Die machen doch immer was sie wollen und wir haben dann wieder einmal, wie immer in den letzten Jahren, seit sie in unser Land eingedrungen sind, das Nachsehen.” Dunkel, aber auch wohltönend war die Stimme und jeder im Raume wusste, dass diese zu dem alten Totengräber gehörte.
“Vielleicht hat das Ganze aber auch mit dem Tod von dem Schweinehund von Heydrich zu tun?” Wieder war es die erste Stimme, die diese Frage stellte.
“Was zum Teufel haben wir mit dem Schlächter von Prag zu tun? Prag ist weit entfernt von uns und wir sind ein kleiner, unscheinbarer und kaum auf einer Landkarte zu erkennender Ort, zu unbedeutend, für den sich doch wohl kein Arsch interessiert.”
Štemberka Josef
Kovařovský Emanuel
Horák Bohumil
“Mäßige deinen Ton", raunte eine neue Stimme durch den finsteren Raum. “Oder willst du vielleicht den Deutschen doch noch etwas in die Hände geben, das sie gegen uns verwenden könnten? Ihr jungen Leute seid doch alle gleich. Erst das große Maul weit aufreißen und dann erst das Gehirn einschalten.”
“Horak, mein Freund, lass es gut sein", mischte sich wieder der Totengräber ein, der die angespannte Stimmung zwischen den Beiden sofort spürte, ohne die Gesichter sehen zu müssen. Ein langes Leben lag hinter ihm, ein Leben in dem er gelernt hatte auf den feinen Ton, auf die Melodie der Stimme zu reagieren.
“Na, du musst gerade reden, vielleicht ist es gerade dein eigener Sohn, der uns diesen verdammten Schlamassel hier eingebrockt hat?” rumorte die jugendliche Stimme erneut und nun in einem sehr bissigerem Ton los.
Josef Horák
Josef Stříbrný
“Was willst du jetzt damit schon wieder andeuten?” fragte der alte Horak und war dabei sehr energisch von seinem Platz aufgesprungen, wütend in jene Richtung blickend, aus der diese, in seinen Augen unverschämte Andeutung kam.
“Setz dich mein lieber Horak. Dieses Milchbübchen, kaum trocken hinter den Ohren weis doch nicht was er da über sein ungewaschenes Mundwerk kommenlässt.” versuchte ein Anderer den aufgebrachten Mann wieder zu beruhigen.“Und ob ich genau weis, was ich da sage! Mag sein, dass ich in deinen Augen noch sehr jung bin, doch deswegen bin ich noch lange nicht auf den Kopf gefallen. Noch bin ich dazu fähig, Eins und Eins zusammenzählen. Dein Sohn und das ist nun mal die unverrückbare Tatsache ist doch in England, oder etwa nicht? Und sind wir nicht in deinem Anwesen?”
“Ja, das schon! Aber", Horak wusste nicht so recht was er mit der an ihn gerichteten Frage anfangen sollte. So kam seine Antwort auch nur sehr halbherzig.
“Nichts, aber", mischte sich eine andere Stimme nun in diese heftige Diskussion ein. “Den Heydrich haben schließlich Leute von uns umgebracht und die kamen doch wohl aus England, oder will das hier jemand bestreiten?” “Genau das ist das, was uns die Deutschen sagen.” Scharf unterbrach wieder die dunkle Stimme des Totengräbers den erregten Disput und augenblicklich war fast schon eine Totenstille wie auf dem Friedhof in dem dunklen Raum. “Und wenn du denen auch noch Glauben schenken willst, Bübchen, dann haben sie wohl genau das erreicht, was die damit bezwecken wollen, nämlich einen tiefen Keil zwischen uns zu treiben.
Jirků Josef
Jirků Josef
Jirků Josef
Kadlec Josef
Kadlec Josef
Spalten, uns gegenseitig Vorwürfe machen, das wollen sie doch. Seid ihr blind oder wollt ihr das nicht sehen? Nur so glauben sie, uns in die Knie zwingen zu können. Und im Zwietracht sähen sind die wahrlich meisterhaft, dass muss man ihnen wirklich lassen.” Laut schnaufte der alte Mann aus. “So und jetzt seid endlich einmal still. Niemanden ist damit geholfen, wenn wir uns gegenseitig an die Wäsche gehen.“ Der Totengräber hielt kurz inne, denn er wollte die nächsten Worte in eine gewisse Stille werfen, damit sie auch von jedem gehört werden konnte.
„ Der Josef Stříbrný ist auch in England und da er ja dein Freund ist, höre ich von dir keinen Einwand, was schon merkwürdig ist. Also lass deine Anschuldigungen sein, denn das hilft hier keinem weiter. Vielmehr sollte jeder dem anderen einen gewissen Halt geben. Wie heißt es doch so schön, nur gemeinsam sind wir stark.” Augenblicklich kehrte wirklich ein bedrückendes Schweigen ein, in dem nur wieder das leise Schnaufen der vielen Männer zu hören war. Mancher von ihnen blickte verlegen auf den kaum vor ihm erkennbaren Boden, sich selbst hadernd, ebenso wie dieser junge Mann solche Gedanken gehabt zu haben. Dann blickten alle wieder erschrocken auf, sahen zu der niedrigen Tür, die energisch aufgestoßen wurde und helles Licht hereinfallen lies, bis dieses von den Schatten der Männer unterbrochen wurde, die auch den Weg in diesen düsteren Keller gehen mussten. Wieder wurden leise Fragen gestellt, die Gleichen, die schon über die Lippen der Anderen gewandert waren und auch hier fanden sie wieder keine befriedigenden Antworten, wie schon zuvor.
Langsam verstummten die Fragen und machten wieder einem erdrückenden Schweigen Platz, das nur von Zeit zu Zeit von der aufgehenden Tür unterbrochen wurde und weitere Menschen zu dem Keller brachte.
“Pater caelestis, respice Ecclesiam tuam servo vestri tradite eos tutaretur. O Domine, ad adjuvandum nos festina.“, erklang die Stimme von Pfarrer Stemberka, der als einer der Letzten in den Raum gebracht wurde. Andächtig lauschten die Männer der Stimme des betagten Mannes, der seit vielen Jahren schon ihr Pfarrer war. „Posuit animam nostram in manibus habemus, quia et spes nostra innititur. Custodi animam meam, salvum fac servum tuam! Amen“
(Himmlischer Vater blicke auf deine Gemeinde und halte deine schützende Hand über sie. Oh Herr, eile uns zu Hilfe. In deine Hände legen wir unsere Seele, denn du bist unser Halt und die Hoffnung. Bewahre meine Seele und errette deine Knechte. Amen)“
“Amen!” kam es vielstimmig von allen Seiten des Raumes. Auch wenn sie nicht wirklich verstanden hatten, was der Pfarrer in lateinischer Sprache sagte, so wussten sie doch, an der Art wie sie ausgesprochen, dass es sich um ein Gebet der Hoffnung handeln musste.
Kadlec Josef
Kadlec Václav
Kafka Josef
Kaiml Václav
Kárník Václav
“Hat man ihnen wenigstens etwas gesagt, Herr Pfarrer, was hier eigentlich los ist?” fragte jemand aus der Tiefe des Raumes.
“Nein, aber wahrlich unsanft und unchristlich aus dem warmen Bett geholt hat man mich, in einer Art und Weise wie ich es mir in meinen kühnsten Träumen nicht hätte vorstellen können. Das war vielleicht ein ungehobeltes Gepolter und Geschrei in meinem Hause, das mir fast das alte Herz stehengeblieben ist. Wenigstens anklopfen hätten diese Barbaren können, wie es sich gehört. Ich stehe nun auch nicht sehr gerne mit dem Nachthemd vor einem ungebetenen Besuch.” Ein leises Lachen sprang über die Lippen des Pfarrers. “Immerhin ist das ein Pfarrhaus gewesen, in das sie eingedrungen waren. Aber davor haben die auch noch nie Respekt gezeigt. Richtige Trampel kann man da einfach nur sagen.”
Einige der Männer lächelten leicht, bewunderten sogar die Art und Weise wie der alte Pfarrer Stemberka mit der Situation umging und sogar versuchte einen gewissen aufmunternden Humor aufkommen zu lassen. Aber gerade solche Kleinigkeiten waren es, was den Pfarrer in seiner Gemeinde so beliebt machte, das es selten eine Situation gab, die diesen alten underfahrenen Priester aus der Ruhe hätte bringen können. Das ihm natürlich auch das Herz in die Hose gerutscht war, bei dem, was sich in seinem Haus abgespielt hatte, das verschwieg der Pfarrer natürlich.
Klíma Josef
Kohlíček Jaroslav
Kohlíček Václav
Kopáček Václav
Korecký Jaroslav
“Haben sie gesehen, was mit unseren Frauen und Kindern geschehen ist", fragte jemand, mit leiser Stimme.
“Nein! Doch ich denke sie werden noch immer in den Häusern sein. Nur uns, die Männer haben sie heraus geholt“
“Ist das jetzt eine gute, oder eine schlechte Nachricht?” Kam es nun von der anderen Seite des Raumes.
“Nur der Herr kennt die Antwort, mein Sohn. Doch glaube fest daran, er wird uns schon den rechten Weg und die richtige Antwort weisen.”
“Der sollte das mal lieber den Deutschen zeigen, ich meine den rechten Weg,” sagte einer jener Männer, die Pfarrer Stemberka nur an Weihnachten, Ostern oder bei einer Beerdigung in seiner Kirche zu Gesicht bekam und ansonsten das Haus des Herrn mieden, wie der Teufel das Weihwasser, dachte sich der alte Pfarrer im Stillen, obwohl ihm gerade ein passender Kommentar auf den Lippen lag.
“Zweifle nicht an dem Herrn, so wendet er sein Angesicht nicht von dir", konterte der Pfarrer.
“Amen", sagte der Zweifler im bissigen Ton. “Ich vertraue da schon lieber ganz anderen Dingen.”
“Die dir im Augenblick auch nicht sehr viel helfen, sonst wärst du nicht mit uns hier in diesem Raum. Also schweig Still und kehre in dich.”