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Mit der Invasion und Besetzung der Insel Kreta durch die deutschen Truppen, ändert sich für den kleinen Pavlos schlagartig das friedliche Leben in Agios Konstandinos. Ständige Angst und Hunger, dazu die Demütigungen der Besatzungssoldaten, machen schnell aus dem Jungen einen kleinen Widerstandskampfer und Meldeläufer. Dieser Roman basiert auf die Erinnerungen dreier Bewohner des Ortes und ihre Erlebnisse in den Jahren 1941 - 1945
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Seitenzahl: 157
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Pavlo, Georgi und Vangelis
sowie
allen Bewohnern von
Agios Konstandinos
die mir mit ihren Geschichten
geholfen haben, dieses Buch zu
schreiben
Bomben auf Rethimno
Die Deutschen kommen
Ameisen
Fünf Vögel, eine Ohrfeige
Der Sanitäter und der Doktor
Olivenbäume und Zwangsarbeit
Schafglocken
Nisi und der Engländer
Meldegang bei Sturm
Weihnachten
Die Männer von Saitoures
Der General
Rückkehr des Vaters
Verbeulte Karre
Der Rückzug und die Brücke
Ungewohntes Leben danach
Pavlo war sich nicht ganz sicher ob er noch immer schlief und alles nur träumte, oder ob er schon wach war und die Geräusche, die an sein Ohr drangen, wirklich vorhanden waren.
Noch war es dunkel in seiner Kammer und durch das kleine Fenster, das direkt über seinem Bett sich befand, konnte er die unzähligen Sterne sehen, die er stets bewunderte und ihn in seiner Phantasie zu zahlreichen abenteuerlichen Reisen, fern der Erde, einluden. Und wenn Wolken am Himmel waren, dann vermisste er die vielen kleinen Lichtpunkte und als ob es etwas helfen würde, blies er oft lauthals seine Luft aus den Lungen, um diese Störenfriede wegzublasen.
Noch hatte der nicht gekräht, keine Wolke war am Himmel, doch es donnerte, als sei ein Gewitter im Anmarsch. Irgendwie jedoch war dieses Donnern anders, nicht so wie er es kannte. Auch fehlten die Blitze, die den Himmel hell erleuchten ließen.
Als er sich aufsetzte, um aus dem geöffneten Fenster zu blicken, bemerkte er aus den Augenwinkeln heraus, dass das Bett der Mutter, die im gleichen Raum wie er schlief, leer war und leise Gesprächsfetzen drangen von Unten die enge, steile Holzstiege empor. Unwillkürlich kratzte er sich am Kopf, denn noch nie war die Mutter wegen eines Gewitters aus den Federn gesprungen.
Wieder dieses seltsame Donnern, vermischt mit einem Geräusch, einem tiefen Brummen, das er so noch nie gehört und ein Heulen das er nicht kannte, weckte wieder seine Aufmerksamkeit und er lehnte sich auf die Fensterbank und blickte in die Richtung, aus der dieser Töne kamen.
Das Nachbarhaus verwehrte zwar den direkten Blick, doch dort, wo sich die Stadt Rethimno befand, spannte sich ein rötlicher Kegel in den nächtlichen Himmel und ließen die Hügel zu seltsamen Schatten werden.
Von der kindlichen Neugierde getrieben, er war ja gerade erst sieben Jahre alt geworden, tapste Pavlo schließlich die schmale Treppe hinunter. schon alleine weil seine Eltern sich unten befanden in der kleinen Stube.
„Oh heilige Mutter Gottes, verschone uns von dem Übel“, flüsterte die Mutter, die am Tisch saß, die Hände krampfhaft zum Gebet gefaltet und ständig den Kopf schüttelte, als Pavlo die letzte, allerdings knarrende Stufe der hölzernen Treppe erreicht hatte. „Warum muss ein solches Unglück über uns kommen?“
Pavlo setzte sich auf die letzte Stufe der Treppe, blickte zunächst zu seiner Mutter, die sein Kommen noch nicht bemerkt hatte und dann zu seinem Großvater, der in der geöffneten Haustüre stand, hinaus auf die enge Gasse blickte, wo das Haus lag und ungewöhnlich für diese Zeit, ein Glas mit Raki in der rechten Hand hielt.
„Die kann uns jetzt auch nicht helfen“, sagte der breitschultrige Mann, dem man seinen Beruf des Schmiedes, trotz des Alters, ansehen konnte.
„Vater, versündige dich nicht!“ entgegnete die Mutter leise und schlug dabei mehrmals das Kreuz über der Brust. „Sie wird uns beistehen, wie sie es schon immer getan hat.“
„Jetzt ist keine Zeit für Wunder, sondern Zeit für den Kampf!“ Er stockte, denn sein Blick fiel auf Pavlos, der regungslos noch immer auf der Stufe saß und dem Gespräch aufmerksam lauschte. „Bub, geh wieder ins Bett“, sagte er lediglich, drehte sich wieder zur Straße und nahm einen Schluck aus dem Glas, wobei er sich leicht schüttelte.
„Bei dem Gedonner und Lärm kann ich nicht schlafen,“ entgegnete Pavlo leise, stand auf und ging zu seiner Mutter, die ihm ein kleines Lächeln schenkte, wenngleich noch immer Tränen auf ihrem Gesicht zu sehen waren.
„Mama,was ist denn los?“ fragte Pavlo und setzte sich auf einen der freien Stühle.
„Der Krieg ist jetzt auch bei uns,“ antwortete der Großvater, bevor es die Mutter tun konnte. „Und nicht genug, dass dein Vater irgendwo im Norden von Griechenland in Gefangenschaft ist, jetzt kommen die Hundesöhne auch noch hierher.“
„Vater!“ ermahnte ihn die Tochter. „Nicht solche Worte in Gegenwart, des Jungen.“
„Ist doch wahr,“ raunte der alte Schmied und schenkte sich das Glas wieder voll mit Raki."Früher oder später wird der Junge mitbekommen, das Krieg ist. Warum das mit schönen Worten umschreiben?“
Pavlo hatte dieses Wort in den letzten Tagen und Wochen schon mehrmals gehört, wenn sich die Erwachsenen mit sorgenvollen Minen unterhielten, doch für ihn war es eben nur ein neues Wort, unter dem er sich nichts vorstellen konnte, wie bei vielen Wörtern, die die Großen, aussprachen.
Doch die alten und älteren Männer des Dorfes, der Großvater gehörte dazu, erzählten zwar oft und gerne von den Kriegen gegen die Türken, doch in ihren Geschichten wirkte der Krieg wie ein großes Abenteuer, dass sie zu bestehen hatten und haben, wenn sie in den Kafeneos, an der alten Platane davon sprachen.
Aber gleichzeitig waren da plützlich die Frauen, die in Schwarz gekleidet auf den Gassen zu sehen waren und deren Wehklagen über den Verlust von Mann, Vater oder Bruder im fernen Nordgriechenland durch die engen Gassen drangen. Auch die Mutter klagte, doch trug sie kein Schwarz und erklärte ihm, das der Vater in Kriegsgefangenschaft sei, was immer das auch bedeuten mochte und in der nächsten Zeit nicht nach Hause kommen würde, was Pavlo wiederum nicht verstehen konnte, wusste er doch von den Fähren, die jeden Tag nach Rethimno kamen. Für Pavlo alles, was er noch nicht richtig verstand, selbst wenn er es versuchte.
„Ich geh mal zum Dorfplatz,“ sagte der Großvater, stellte sein halb geleertes Glas auf den Tisch und selbst bei dem geringen Licht, das in der Stube vorhanden war, konnte man seinen besorgten Ausdruck erkennen.
„Papus,“ kam es unwillkürlich aus dem Mund von Pavlo und sein fragender Blick sagte alles.
„Ja, komm mit! Leicht drückte er seiner Tochter einen Kuss auf die Stirn, die etwas entgegnen wollte. „Ob der Junge jetzt weis was los ist, oder erst in ein paar Stunden, ist doch egal. Und so lange es Dunkel ist, brauchen wir auch keine große Angst haben, vor den Fliegern.“ Er wendete sich um, ging, gefolgt von Pavlo zur Tür, blieb aber nochmals kurz stehen, blickte die Tochter an. „Und bitte mach kein Licht an.“
Sie nickte nur, blickte dem alten Mann, der der Vater ihres Mannes war und dem Sohn nach und wieder begannen die Tränen zu fließen, selbst wenn sie es eigentlich nicht mehr wollte, denn in den letzten Wochen hatte sie mehr als genug geweint, wie sie sich sagte. Doch für sie war alles zu viel und selbst im Gebet, im Gottesdienst am Sonntag fand sie keinen rechten Trost.
Mit schnellen, kleinen Schritten, barfüßig, wie er um diese Jahreszeit gerne war, es war schon Mai, ohne die lästigen, drückenden Schuhe an den Füßen, folgte Pavlo seinem Großvater, der mit weit ausholenden Schritten zum nahe gelegenen Dorfplatz ging.
Doch sie waren nicht die Einzigen, wie Pavlo erstaunt feststellen musste. Schon einige Männer standen auf dem freien Platz und blickten in Richtung Norden, dort wo Rethimno lag. Zwar lag das Dorf Agios Konstandinos auf einer Anhöhe, doch zwischen ihrem Dorf und der Stadt lag ein lang gezogener Hügel, so dass man nicht direkt hinunter blicken konnte. Doch das was sich ihren Augen bot, genügte um sich vorstellen zu können was sich gerade dort abspielte.
Links von der Anhöhe, wenn man geradeaus blickte, konnte man bei Tageslicht das Meer sehen. Und nun, bei der beginnenden Dämmerung ließen sich viele kleine schwarze Punkte am Himmel ausmachen, die Kurs auf die Stadt nahmen. Irgendwo von unten schossen plötzlich Lichterketten in deren Richtung nach oben, gefolgt von dem Rattern der Flugabwehrgeschütze. Dazwischen gesellten sich die Blitze von Bombeneinschlägen und jener seltsame Donner, der Pavlo aus dem Schlaf gerissen hatte.
Noch nie hatte der Junge ein solches Schauspiel gesehen und wären da nicht die anderen Dorfbewohner und der eigene Großvater mit finsteren Minen gestanden und redeten in leisen Tönen miteinander. bei manchen der Lichtspiele hätte Pavlo vor Entzücken aufgeschrien. Gleichzeitig aber sagte etwas in ihm, dass nichts von dem, was er gerade sah, sehr gut für die Bewohner der fernen Stadt war.
Eng drückte er sich an seinen Großvater, der liebevoll die Hand auf seine Schulter legte. Ein gutes Gefühl in diesem Moment, denn in der Zwischenzeit war in ihm eine gewisse Angst hochgekommen, die er nicht verstand und verunsicherte.
„Die sollen nur kommen!“ sagte plötzlich eine Stimme im Hintergrund. „Wir haben die Türen vertrieben und werden denen da, auch ordentlich den Arsch versohlen.“
Der Großvater drehte sich langsam um und seine dunkle, laute Stimme halte über den Platz. „Rede keinen Unsinn du Trottel. Wenn die Deutschen wirklich kommen, dann haben wir es mit ganz anderen Soldaten zu tun, als es damals die Türken waren!“
„Und die Briten, vor allem aber die Australier und Neuseeländer sind auch noch da!" mischte sich ein Anderer ein.
„Da vertraue ich doch lieber auf meine eigene Waffe,“ kam es als Antwort von Jenem, der das Gespräch begonnen hatte.
„Mein lieber Manoli,“ unterbrach der alte Schmied schnell den Redefluss des Anderen, „Mit dem alten Ding, das du Waffe nennst, triffst du noch nicht einmal eine festgebundene Ziege aus zehn Meter Entfernung! Deine Erfolge bei der Jagd sind im Orte schon fast legendär!“
Zum ersten Male hallte ein verhaltenes Lachen über den Platz des Dorfes, denn ein jeder hier kannte das Jagdgewehr, dass schon dem Urgroßvater von Manoli gehörte und mehr ein Museumsstück war, als ein Gewehr für den Gebrauch, schon gar nicht um damit in einen Kampf zu ziehen.
Mehr und mehr Leute versammelten sich auf dem Platz, der fast wie ein Dreieck angelegt war und dessen lange Seite sich nach Norden öffnete, somit den Blick frei gab zum Meer und der übrigen grünen Landschaft dieser Gegend.
Unvermittelt stand plötzlich Georgi, der zwar etwas ältere, aber beste Freund von Pavlos neben ihm, stupste ihn zur Begrüßung mit dem Ellbogen leicht in die Seite und setzte ein freches Lächeln auf, das Pavlo nur leicht erwiderte, denn die Worte und Minen der anwesenden Erwachsenen waren doch befremdend, wenn nicht sogar bedrückend.
„Was ist denn los?“ fragte der Freund und Pavlo zuckte lediglich mit den Schultern, denn noch immer hatte er noch nicht so recht verstanden, warum die Menschen um ihn herum so aufgeregt waren und sich die hinzugekommenen Frauen um den Pfarrer des Ortes scharten und leise in Gebete versanken.
„Leute, es wird hell!“ unterbrach der Bürgermeister des Dorfes die Gespräche. „Wir sollten hier nicht herumstehen, wie auf dem Präsentierteller. Es kann gut sein, dass eines der verfluchten Flugzeuge in unsere Richtung fliegt. Nicht auszudenken was dem dann in den Sinn kommt.“
Zustimmung sah bestimmt anders aus. Nur widerwillig löste sich die Versammlung auf und Pavlo folgte seinem Großvater, der langsam und mit gesenktem Kopf den Weg zum Haus einschlug. Noch nie hatte er den noch immer bärenstarken Großvater so gesehen und das machte dem Jungen wiederum etwas Angst, denn wenn sein Großvater in einer solchen Stimmung war, konnte das nur bedeuten, dass alles viel schlimmer war, als er es sich in seiner kindlichen Phantasie vorstellen konnte.
Und oben, in seinem Bett, wohin ihn die Mutter geschickt hatte, war natürlich nicht mehr an Schlaf zu denken. Nicht wegen den noch immer herrschenden Geräuschen aus Richtung Rethimno, sondern wegen den Sorgenfalten im Gesicht seiner Verwandten.
In der Zwischenzeit waren auch die anderen Großeltern, die im gleichen Haus lebten, in der Stube eingetroffen und die Großmutter stand alle paar Minuten auf, um zu der an der Wand hängenden Ikone zu gehen, mehrmals das Kreuz schlagend und lautlose Gebete vor sich hersagte.
Auf dem großen Tisch stand der tönerne Krug mit Raki und Glas um Glas leerten die Männer, ohne viel dabei zu sagen. Schweigend reicht die Mutter Brot, etwas Käse und Oliven. Seltsames Frühstück dachte sich Pavlo, bevor er nach oben verschwand.
Gerade als er im Begriff war, wieder einzuschlafen, wurde er von dem ohrenbetäubenden Geräusch tief fliegender Maschinen aufgeschreckt und wie der geölte Blitz sprang er aus dem Bett und die steile Treppe hinunter. Aus irgend einem unerfindlichen Instinkt heraus sprang er unter den großen Tisch, ganz zur Überraschung aller Anwesenden im Raum, die ihn fassungslos anstarrten.
„Gut gemacht Junge,“ sagte der Schmied nach einigen Sekunden. „Genau so musst du es machen, wenn du draußen auf dem Feld oder der Straße bist und du ein Flugzeug kommen hörst." Er reichte Pavlo die Hand und zog ihn hervor, wartete bis sein Enkel dann auf den Beinen vor ihm stand. „Nur wenn du dich ganz klein machst, können sie dich nicht sehen!“ „Ich bin aber doch schon groß,“ antwortete Pavlo, der es nicht mochte, wenn irgendjemand in Kleiner nannte.
„Das weis ich doch!“ Der Großvater lächelte, strich ihm sanft über die Wange mit der rauen Hand, die aus Eisen die schönsten Sachen fertigen konnten. „Es ist nur so, dass wenn du draußen bei den Schafen oder auf dem Acker bist und du machst dich ganz klein, kann niemand auf dich schießen.“
„Mach doch dem Jungen keine Angst,“ mischte sich schnell die Mutter ein bevor Pavlo etwas darauf antworten konnte. „Er ist doch jetzt schon vollkommen durcheinander.“
„Aber er hat genau das Richtige gemacht, als er das Flugzeug hörte. Und das muss ihm auch gesagt werden, damit er nicht eines Tages auf die Idee kommt und will dem Piloten zuwinken.“
Der Ernst in der Stimme des Großvaters machte Pavlo schnell bewusst, dass er sich dessen Worte gut merken sollte. Unwillkürlich nickte er mit dem Kopf. Dann setzte er sich ebenfalls an den Tisch, denn aus den Augenwinkeln heraus hatte er gesehen, dass seine Mutter einen Becher mit frischer Schafmilch eingegossen hatte und das dieser wohl für ihn bestimmt war und als Zeichen für das Frühstück war und er nicht mehr ins Bett gehen musste.
Schweigend saßen sie alle am Tisch, die Erwachsenen in ihren Gedanken und Pavlo Schluck um Schluck Milch genießend. Durch den geöffneten oberen Teil der Haustüre drang noch immer die seltsamen Töne und Gedonner an das Ohr und von Zeit zu Zeit war kurz einer der Dorfbewohner zu erkennen, die mit eiligen Schritten die sandige Straße entlang huschten.
„So,“ der alte Schmied schlug sich mit beiden Händen auf die Oberschenkel und stand auf. „Ich werde jetzt mit Vangelis und dessen Vater die Schafe in Richtung Moudros treiben, denn unten auf dem Feld an der Straße sind sie eine schnelle Beute für die Deutschen, falls sie wirklich hierher kommen sollten, was ich nicht hoffe!“
„Kann ich mitkommen?“ Pavlo war bei diesen Worten bereits aufgesprungen und blickte den Großvater mit hoffnungsvollen Augen an.
„Heute nicht, denn wir müssen uns beeilen und durch die Olivenhaine uns bewegen, damit wir nicht gesehen werden.“ Er trat zu Pavlo, legte ihm beide Hände auf die Schultern. „Und es muss ja ein Mann im Hause bleiben, denn dein anderer Großvater will bestimmt mitkommen und dann habe ich hier jemanden, der auf die Frauen aufpasst und sie beschützt.“
Hatte der Großvater gerade Mann gesagt? Pavlo machte große Augen und sofort war der Wunsch, mitzukommen, verflogen. Mit freudigen Augen blickte er zum Großvater und nickte, während hinter seinem Rücken die Mutter ein breites Lächeln im Gesicht hatte. Ihr war der Schreck in die Glieder gefahren, als ihr Sohn die Frage gestellt hatte und nun konnte sie beruhigt sein, denn er blieb im Hause.
„Macht euch bitte keine Sorgen, wenn wir erst Morgen oder Übermorgen zurückkommen, doch wir müssen sicherlich einige der Zäune ausbessern, bevor wir die Tiere dort lassen können.“
„Willst du die Ziegen auch mitnehmen,“ fragte die Mutter.
„Nein! Die zwei, die jetzt im Garten sind, bleiben hier, sonst haben wir keine frische Milch und der Käse würde uns auch bald ausgehen.“ Die Mutter nickte nur und schon war der Großvater aus dem Haus.
Die Schule war geschlossen und über dem Ort lag eine seltsame Stimmung, die zwischen Wut und Bedrücktheit hin und her wanderte und eigentlich jedes Haus erfasst hatte. Die beiden Großväter und die anderen Männer waren nach zwei Tagen zurückgekehrt und hinter dem Hügel, dort wo Rethimno lag, hing eine schwere, dicke und schwarze Rauchwolke. Noch immer flogen deutsche Flugzeuge Angriffe auf die Stadt und am Tag zuvor erschreckten die Bewohner bis ins Mark, als eine Anzahl von diesen Flugzeugen über den Ort hinweg flogen.
Am gleichen Tag verwirrte der Motorenlärm von vielen großen Flugzeugen die Bewohner und von ihrer Anhöhe konnten sie gut erkennen, wie schwarze kleine Punkte sich von diesen Flugzeugen lösten, um dann an Fallschirmen hängend, zur Erde schwebten. Überall war Kampflärm zu hören, der unaufhörlich näher kam.
Das Leben im Dorf kam fast zum Erliegen, keiner getraute sich wirklich aus dem Haus und nur die notwendigsten Gänge wurden erledigt, denn jeder fürchtete sich vor dem, was sich am Himmel zeigte. Für die Kinder bedeutete das sich ständig im Haus aufhalten zu müssen, was für sie wie eine Strafe wirkte, selbst wenn sie wussten, dass es zu ihrer eigenen Sicherheit war. Doch kindliche Energie und Bewegungsdrang sind schwer unter Kontrolle zu bringen.
Dann kamen plötzlich Kolonnen von britischen Soldaten, durchzogen den Ort auf ihrem Weg in den Süden der Insel und die Bewohner von Agios Konstandinos konnten, oder wollten nicht verstehen, warum diese Soldaten sich nicht zum Kampf stellten, um die Deutschen aufzuhalten und ihre Insel den Feinden überlassen wollten. Doch keiner der durchziehenden Soldaten verließ hungrig das Dorf.
Unermüdlich kochten und backten die Frauen, reichten Wasser, Wein, Käse, Brot und was sich sonst noch in den Vorratskammern finden lies. Verwundungen wurden gereinigt und verbunden und mit großen Augen blickten die Kinder auf die seltsamen Hüte der Australier und Neuseeländer, die so weit entfernt von ihrer Heimat waren.
Auf dem Balkon des Eckhauses am Dorfplatz, dort wo sich einst der prachtvolle Palast der venezianischen Familie der Barrozis befunden hatte, wechselten sich einige der Männer ab, um mit dem Fernglas nach deutschen Soldaten Ausschau zu halten.
Die Frau des Schusters war nun ständig im Haus des Schmiedes, was Pavlo etwas nervte, denn die ständige Sorge der Frau um ihren Mann, der sich nach Chania aufgemacht hatte, legte sich wie ein Schleier über die Gespräche der Anwesenden. Und selbst der sonst so gut gelaunte Schmied, den fast nichts aus der Ruhe bringen konnte, verdrehte manchmal die Augen und verließ wortlos die Stube um sich in die Schmiede zurück zu ziehen.
Ein Spielchen, ein Herumtollen auf den Gassen war nicht möglich und Pavlo hätte sich am liebsten in irgendeine Ecke verzogen um allem zu entgehen. Doch leider ging das nicht, denn ständig wurde er von der Mutter oder den Großvätern herum geschickt. Nur wenn der Schmied sich in der Schmiede befand, war die Welt für den Jungen wieder einigermaßen im Lot.