A Lord for the Lonely - Amalie Howard - E-Book
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A Lord for the Lonely E-Book

Amalie Howard

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Beschreibung

Lady Makenna Maclaren Brodie wird fälschlicherweise für den Tod ihres tyrannischen Ehemannes verantwortlich gemacht. Sie flieht sie mit ihrer Zofe an einen sicheren Ort und damit geradewegs in die Arme des gutaussehenden französischen Lords, den sie vor einem Jahr zufällig getroffen hatte. Doch ein weiterer Mann in ihrem Leben ist das Letzte, was sie jetzt möchte.

Lord Julien Leclerc ist ein Lebemann, der sich ausschließlich auf die Erweiterung seines Imperiums und die Vermehrung seines Reichtums konzentriert. Alles andere, auch Frauen, betrachtet er als reine Ablenkung. Als die verwitwete Makenna unerwartet vor seiner Tür steht, ändert sich alles.

Sie will nichts mit Männern zu tun haben. Er will sich nicht verlieben. Doch als ein Kopfgeld auf Makenna ausgesetzt wird, bleibt Julien nur eine Option: Er muss sich seinen Gefühlen stellen und für Makenna kämpfen ...

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Seitenzahl: 589

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Liebe Leserin, lieber Leser,

Danke, dass Sie sich für einen Titel von »more – Immer mit Liebe« entschieden haben.

Unsere Bücher suchen wir mit sehr viel Liebe, Leidenschaft und Begeisterung aus und hoffen, dass sie Ihnen ein Lächeln ins Gesicht zaubern und Freude im Herzen bringen.

Wir wünschen viel Vergnügen.

Ihr »more – Immer mit Liebe« –Team

Über das Buch

Lady Makenna Maclaren Brodie wird fälschlicherweise für den Tod ihres tyrannischen Ehemannes verantwortlich gemacht. Sie flieht sie mit ihrer Zofe an einen sicheren Ort und damit geradewegs in die Arme des gutaussehenden französischen Lords, den sie vor einem Jahr zufällig getroffen hatte. Doch ein weiterer Mann in ihrem Leben ist das Letzte, was sie jetzt möchte.

Lord Julien Leclerc ist ein Lebemann, der sich ausschließlich auf die Erweiterung seines Imperiums und die Vermehrung seines Reichtums konzentriert. Alles andere, auch Frauen, betrachtet er als reine Ablenkung. Als die verwitwete Makenna unerwartet vor seiner Tür steht, ändert sich alles.

Sie will nichts mit Männern zu tun haben. Er will sich nicht verlieben. Doch als ein Kopfgeld auf Makenna ausgesetzt wird, bleibt Julien nur eine Option: Er muss sich seinen Gefühlen stellen und für Makenna kämpfen ...

Über die Autoren

Amalie Howard ist USA Today- und Publishers Weekly Bestsellerautorin. Ihre Wurzeln liegen in Westindien und ihre Artikel über multikulturelle Belletristik sind in The Portland Book Review und auf Diversity in YA erschienen. Derzeit lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Colorado.

Angie Morgan ist Autorin vieler Kinder- und Jugendbücher und schreibt zudem erfolgreich Liebesromane für Erwachsene. Sie hegt eine große Leidenschaft für Geschichte, historische Dramen und Dokumentationen und liebt es, sich in vergangenen Zeiten zu verlieren. Die Autorin lebt mit ihrem Mann, ihren drei Töchtern und einer Vielzahl von Haustieren in New Hampshire. Neben dem Schreiben genießt sie es, zu lesen, zu laufen, zu kochen und sich um ihre Kinder zu kümmern, – und hin und wieder findet sie sogar Zeit zum Schlafen.

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Amalie Howard, Angie Morgan

A Lord for the Lonely

Aus dem Amerikanischen von Firouzeh Akhavan-Zandjani

Übersicht

Cover

Titel

Inhaltsverzeichnis

Impressum

Inhaltsverzeichnis

Titelinformationen

Grußwort

Informationen zum Buch

Newsletter

Widmung

Kapitel 1 — Schottland, 1829

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Kapitel 19

Kapitel 20

Kapitel 21

Kapitel 22

Kapitel 23

Kapitel 24

Kapitel 25

Epilog — Drei Jahre später

Anmerkungen der Autorinnen und Danksagungen

Impressum

Lust auf more?

Für die tapferen Frauen, die jeden Tag im Verborgenen kämpfen

Kapitel 1

Schottland, 1829

Mörderin.

Makenna Maclaren Brodie starrte die eisernen Gitterstäbe ihrer Zelle an. Das Herz lag ihr wie ein Stein in der Brust. Sie war des Mordes an ihrem Ehemann, dem Laird, angeklagt, den man mit einem Messer zwischen den Rippen tot aufgefunden hatte. Sie vergrub die zitternden Hände in ihren Röcken und versuchte, die Angst zu unterdrücken. Sie hatte es nicht getan; es war aber auch nicht so, dass sie nicht dankbar wäre, dass der widerliche Mistkerl tot war. Er war ein schrecklicher Ehemann gewesen, und sie hoffte, dass er wegen all der Sünden, die er begangen hatte, nie seinen Frieden finden würde. Aber fälschlicherweise angeklagt zu sein, ohne etwas zu ihrer Verteidigung vorbringen zu können – das Messer mit dem Topas am Heft gehörte ihr, ein Geschenk, das ihr ihr Bruder Niall vor mehreren Jahren gemacht hatte –, gebar Furcht in ihrem Herzen.

Sie hatte keine Verbündeten. Es gab niemanden, den sie als Freund hätte bezeichnen können. Ihre Familie war mehrere Tagesritte entfernt, und im ganzen Clan Brodie gab es niemandem, dem sie vertraut hätte; niemandem außer Tildy, ihrer langjährigen Zofe. Makenna sah die Frau an, die mit verhärmtem Gesicht vor ihrer Zelle hockte. Sie hatte Brot und Käse gebracht, und dafür war Makenna ihr dankbar. Sie war nicht nur seit zwei Tagen eingesperrt, sondern lechzte auch nach Essen und Trinken.

»Was sagen die Leute, Tildy?«, fragte sie mit vollem Mund, während ihr Magen laut knurrte.

»Dass Sie ihn umgebracht hätten.« Die Augen der Zofe wirkten groß in dem kleinen Gesicht. Tildy war zwar eine erwachsene Frau, aber obwohl Makenna ihr tatsächliches Alter nicht kannte, erinnerte sie durch ihre zierliche Gestalt an ein Kind. »Dass man ihn nackt vorgefunden hätte, Mylady, in Ihrem Bett.«

»In seinem Bett«, stellte Makenna klar.

Sie hatten seit Jahren nicht mehr die Nächte als Ehepaar verbracht – und zwar, seitdem Graeme herausgefunden hatte, dass sie unfruchtbar war. Nein, er hatte sein Bett mit unzähligen anderen Frauen gefüllt. Es hätte jede von ihnen sein können, von der er umgebracht worden war. Er war keiner gewesen, der mit seinen Spielsachen gut umgegangen wäre. Das war allgemein bekannt. Makenna lief ein Schauer über den Rücken. Sie wusste aus Erfahrung, wie grausam er hatte sein können, und wenn sie die Möglichkeit gehabt hätte zu fliehen, hätte sie ihn selbst umgebracht. Aber sie war eine Ehefrau, und Ehefrauen besaßen keine Rechte. Nicht in Schottland. Nicht in England. Nirgends. Sie war sein Eigentum gewesen, mit dem er hatte tun und lassen können, was er wollte. Und genau das hatte er auch getan.

»Das ist egal, Mylady«, sagte Tildy. »Es war Ihr Messer.«

»Jeder hätte es aus meinem Zimmer entwenden können«, sagte sie. »Es gibt keinen Beweis.«

»Es braucht keinen Beweis. Der neue Laird beharrt darauf, dass Sie angeklagt und verurteilt werden müssen, wenn Sie schuldig sind.«

Makenna verließ aller Mut. Der neue Laird war Graemes Cousin Colin – ein noch schlimmerer Mistkerl, falls es das denn gab. Colin hatte zu Graeme aufgeschaut und ihn gleichzeitig gehasst. Die Beziehung der beiden war seltsam gewesen, und Colin hatte seinen Cousin um alles beneidet, was dieser hatte – auch um seine Ehefrau. Er hatte Makenna mehr als einmal bei seinen Besuchen auf der Burg bedrängt und sie betätschelt. Es war offensichtlich gewesen, dass er nach ihr geiferte, und sie hatte sich nicht anders zu helfen gewusst, als ihm wann immer möglich aus dem Weg zu gehen. Und jetzt war er der Laird. Sie musste einfach fliehen. Wenn sie bliebe, würde er sich ihr zweifellos aufzwingen, und nur der Himmel wusste, was er Entsetzliches im Sinn hatte.

»Tildy, gibt es irgendjemandem, von dem du glaubst, dass er uns helfen könnte?«

Sie schüttelte den Kopf, und eine Träne lief über ihre blasse Wange. »Sie haben alle viel zu viel Angst vor dem Laird, Mylady.«

»Wein nicht, Liebes«, sagte Makenna, obwohl sie merkte, dass ihre Augen ebenfalls brannten. »Die Wahrheit wird siegen.«

»Sie haben ihn nicht umgebracht.«

»Ich weiß, und daran werden wir uns klammern. Jetzt geh, Tildy, ehe man dich entdeckt und du auch eingesperrt wirst.« Sie schob die Hand durch die Gitterstäbe und drückte Tildys Hand. »Danke, dass du mir Essen gebracht hast.«

»Bitte schön. Ich wünschte, ich könnte mehr tun.«

»Du hast mehr getan, als man sich wünschen könnte.«

Nachdem Tildy sich davongeschlichen hatte, schlug Makenna das restliche Essen in ein Tuch ein und steckte es in eine Tasche ihres Rocks. Wer wusste schon, ob und wann sie befreit wurde oder ob Tildy in der Lage sein würde, ihr noch einmal etwas zuzustecken. Sie traute es Colin durchaus zu, sie hungern zu lassen, um ihren Willen zu brechen. Aber in den letzten neun Jahren hatte sie viel Schlimmeres ertragen müssen, und sie würde sich nicht in die Knie zwingen lassen. Entschlossen, mit ihren Kräften zu haushalten, legte sie sich auf die mit Stroh gefüllte Matratze und sah zur feuchten Decke hoch. Das Kellergewölbe der Burg war modrig und kalt – die Geister jener, die hier unten gestorben waren, hatten sich in den Mauern verewigt. Doch sie jagten ihr keine Angst ein. Das taten nur die Lebenden.

Makenna schlief ein. Ein Geräusch weckte sie. Erst das leise Flüstern einer Frau, dann das Klirren von Schlüsseln im Schloss.

»Schnell, Mylady.«

Das war nicht Tildy. Die Frau hatte eine heisere Stimme und hustete rau. Makenna blinzelte und kam hoch. Ihre Glieder schmerzten vom Liegen auf der engen, nur mit Stroh gepolsterten Pritsche. Die Frau war von Kopf bis Fuß in einen Umhang gehüllt, der auch ihr Gesicht verbarg. Es war offensichtlich, dass sie nicht erkannt werden wollte. Ihre Hände waren schmal und blass. Ein schlichter Ring aus Gold mit einem Topas steckte auf ihrem Mittelfinger. Es war eins der Schmuckstücke, die Niall, ihr Bruder, herstellte. Er war der Besitzer einer Topasmine, die hohe Gewinne abwarf. Sie befand sich auf Tarbendale – Ländereien, die neben Maclaren, dem Familiensitz lagen. Bei der Frau handelte es sich also um keine Bedienstete.

»Kommen Sie. Schnell.«

»Wer sind Sie?«, fragte Makenna, während ihr Herz angesichts der geöffneten Zellentür zu rasen begann.

Die Frau zögerte und hielt den Kopf weiter gesenkt, während sie erneut hustete. War sie krank?

»Eine Freundin. Ich habe draußen zwei Pferde für Sie stehen und einen Stalljungen geschickt, damit er Ihre Zofe holt. Wird sie mitkommen?«

Makenna unterdrückte ein Schluchzen der Erleichterung.

»Sie wird nicht hierbleiben, aber sie soll selbst entscheiden«, antwortete sie. Im Gegensatz zu Tildy hatte Makenna keine Freunde auf Brodie. Das war Graemes Wunsch gewesen. Sie sollte einsam und isoliert sein. Auf einmal zögerte sie, da sie plötzlich argwöhnisch wurde. »Warum tun Sie das?«

»Sie haben es nicht verdient, hier zu sein. Jede von uns hätte ihn gern umgebracht.«

Die Frau brach keuchend ab, als hätte sie bereits zu viel gesagt, und da wurde Makenna alles klar. Ihre Wohltäterin war eine von Graemes Geliebten gewesen. Dadurch wurde die Liste von Personen, die ihr jetzt vielleicht halfen, nicht unbedingt kürzer. Er hatte jede in sein Bett gezogen, die seine Lust erregt hatte: Mägde, Wirtshaushuren, Edeldamen. Er hatte sich mit ihnen vor Makenna gezeigt und gedacht, dass er ihr damit Schmerz zufügen würde, während sie doch nur dankbar gewesen war, nicht diejenige zu sein, die seine Aufmerksamkeit über sich ergehen lassen musste. Als er am Anfang ihrer Ehe zu ihr ins Bett gekommen war, hatte er sich als egoistischer Liebhaber gezeigt, und schon bald danach war ihr völlig klar gewesen, was für eine Art Mensch er war.

Schweigend folgte Makenna der vollständig verhüllten Dame, während sie sich danach sehnte zu erfahren, wem sie ihre Freiheit zu verdanken hatte; gleichzeitig wusste sie jedoch, dass die Frau ihr keinen Namen nennen würde. Auf Brodie lebten zu viele Menschen in Angst. Sie wusste das besser als jeder andere. Selbst jetzt, da sie zu den im Schatten liegenden Stallungen eilten, spürte Makenna, wie die Angst mit unsichtbaren Zähnen an ihr nagte. Noch war die Gefahr nicht gebannt.

Im Schutze eines schmalen Sichelmonds, der die Nacht nur wenig erhellte, erspähte sie eine furchtsam blickende Tildy, die mit zwei hastig gepackten Taschen neben den Pferden stand. Die eine war noch nicht einmal richtig geschlossen. Es sah aus, als hätte sie mehrere von Makennas Kleidern einfach nur hineingestopft, während ein Teil noch oben heraushing. Tildy wirkte, als hätte man sie aus dem Bett gezerrt, schien aber erleichtert, ihre Herrin zu sehen. Makenna sah sie mit einem beruhigenden Lächeln an und beobachtete, wie der Stalljunge die Taschen an den Sätteln befestigte.

»Tildy? Möchtest du mitkommen oder bleiben?«, fragte sie mit leiser Stimme.

Das Mädchen zögerte, und ihr Blick ging zur Burg, in der der Laird schlief. Kurz stieg Sorge in Makenna auf. Das war Tildys Zuhause. Sie konnte sie nicht dazu zwingen mitzukommen, wenn es nicht ihr Wunsch war. Und wenn man sie bei ihrer Flucht erwischte, würde Tildy für den Vertrauensbruch bestraft werden. Unter Umständen musste sie auch mit Schlimmerem rechnen. Makenna wollte ihr schon sagen, dass sie bleiben und an sich selbst denken solle, als der furchtsame Ausdruck auf ihrem Gesicht wilder Entschlossenheit Platz machte. »Aye, das ist besser so.«

»Können Sie irgendwohin?«, fragte die Frau mit leiser Stimme und steckte Makenna ein Päckchen zu. »Nein, sagen Sie nichts. Hier ist noch etwas Essen für Sie. Verzeihen Sie, dass es nicht mehr ist.«

»Sie sind großzügig genug gewesen«, sagte Makenna. »Ich verdanke Ihnen mein Leben.«

Die Frau neigte den Kopf und hustete wieder. »Sie hätten für jede von uns das Gleiche getan. Sie waren ein Fanal der Hoffnung, Mylady, für viele Frauen vom Brodie-Clan – mehr, als Ihnen klar ist.«

Tildy gab einen erstickten Laut von sich. Er klang ungläubig, oder vielleicht wollte sie auch ihren Abscheu damit ausdrücken. Ihre Zofe hatte den meisten Frauen auf Brodie misstraut, und das aus gutem Grund. Sie hatte Makenna vor dem meisten üblen Gerede abgeschirmt, aber manches war trotzdem an ihre Ohren gelangt. Deshalb war Makenna überrascht. Sie hatte immer gedacht, keine Verbündeten zu haben, doch hier war diese Frau, diese Fremde, die ihr sagte, dass sie anderen Hoffnung gegeben hätte. Tränen stiegen ihr in die Augen. »Ich habe nichts getan.«

»Sie haben überlebt.«

»Danke«, sagte Makenna leise. Das Herz tat ihr weh und war doch voll erstaunter Dankbarkeit. »Ich stehe für immer in Ihrer Schuld. Sollten Sie je etwas brauchen und ich in der Lage sein, mich zu revanchieren, zögern Sie nicht, mich aufzuspüren. Ich werde eine Nachricht schicken, wenn wir in Sicherheit sind.«

»Viel Glück, Mylady.«

Makenna und Tildy bestiegen die Pferde und ritten in Richtung Wald. Deckung zu suchen, war jetzt das Wichtigste. Makenna warf noch einen letzten Blick über die Schulter, ehe sie in den Wald hineinritten, doch außer Schatten in der Dunkelheit konnte sie nichts erkennen. Während sie im Stillen erneut ihrer Retterin dankte, ritten sie durch den Wald, doch der Druck, der auf ihrer Brust lastete, wurde nicht weniger, als sie das Dorf hinter sich ließen. Wie lange würde es dauern, bis man merkte, dass sie nicht mehr da war? Ihre Flucht schien immer noch fast zu gut, um wahr zu sein, und sie hatte am eigenen Leib erfahren müssen, dass vieles tatsächlich zu gut war, um wahr zu sein. Konnte es sich um eine Falle handeln? Die Frau hatte vertrauenswürdig gewirkt, aber Makenna hatte sich schon früher schmerzhaft getäuscht. Mit dem Vertrauen war sie auf Brodie sparsam umgegangen, wenn sie es denn überhaupt geschenkt hatte. Sie würde es wohl erst erfahren, wenn und falls sie von Colins Männern an der Grenze abgefangen wurden.

»Wo reiten wir hin, Milady?«

Tildys leise Frage ließ sie zusammenzucken.

»Nach Maclaren?«

»Nein, das ist zu weit weg, und Colin wird seine Leute als Erstes in die Richtung schicken.«

»Wohin dann?«

Makenna holte tief Luft. Es gab nur einen Ort, zu dem sie konnte. Ein Ort, an den Colin niemals denken würde. Duncraigh Castle war nicht mehr als einen halben Tagesritt entfernt, wenn sie sich recht entsann. Mit ein bisschen Glück würden nur ein paar Bedienstete da sein, und sie könnte bleiben und sich einen Plan überlegen – ein Plan, der sie und Tildy in Sicherheit bringen würde. Der gegenwärtige Besitzer der Burg würde nicht in Schottland sein.

Lord Julien Leclerc würde sich zu Hause in Paris aufhalten, wo er den größten Teil des letzten Jahres verbracht hatte. Der Gedanke an ihn berührte eine Saite in ihr, doch Makenna ignorierte das Gefühl. Lord Leclerc war mit dem Kontinent verbunden. Er war ein Wüstling, der unverfroren flirtete, und war in Schottland so fehl am Platz gewesen wie ein Schaf im Ballsaal. Aber er war auch der einzige Mann gewesen, der sie seit Urzeiten zum Lächeln gebracht hatte. Im Verlaufe des letzten Jahres hatte sie häufig an den Franzosen gedacht – allerdings nicht immer freundlich. Er hatte sie über die Maßen gereizt und einige Bemerkungen zu den schlimmsten Monaten ihres Lebens mit Graeme abgegeben. Aber das warf sie ihm nicht vor. Sie selbst war für ihr Tun verantwortlich.

Und letztendlich hatte er recht gehabt – sie hatte sich irgendwann aufgegeben, und teilweise hatte sie es ihm zu verdanken, dass sie wieder zu sich gefunden hatte. Tief im Innern würde sie deshalb immer mit großer Dankbarkeit an ihn denken.

»Ich habe da einen Ort im Sinn«, sagte sie zu Tildy, während sie durch den dunklen Wald ritten. Mit ein bisschen Glück würde Julien nie erfahren, dass sie dort gewesen waren.

»Mon dieu, was hast du denn alles mitgebracht, Maman?«

Lord Julien Leclerc sah seine Mutter fassungslos an und rieb sich die Stirn. Das Getöse, das an eine Herde durchgehender Elefanten erinnerte, ließ ihn zusammenzucken. Als er seine Mutter aus Paris mitgenommen hatte, war er nicht davon ausgegangen, dass ein ganzes Gefolge von Dienstboten dabei sein würde sowie genug Möbel, um zwölf Burgen auszustatten.

»Du hattest gesagt, die Burg wäre leer, chéri«, sagte sie. »Man möchte es doch schließlich bequem haben.«

»Dürfte ich bitte wissen, wofür ich eine Tafel brauche, an der dreißig Personen Platz finden … ganz abgesehen von ebenso viel Geschirr? Es ist eine langweilige schottische Burg, und wir haben keine nennenswerten Nachbarn. Außer du beabsichtigst, den König der Piraten zum Dinner einzuladen mit seiner lustigen Bande von Halsabschneidern.«

»Sei still, Jules, Maxim ist ein wundervoller Mensch.«

Sein langjähriger Geschäftspartner hatte eine Schwäche für seine Mutter. Sie waren ungefähr im gleichen Alter, und er war einer von Juliens Freunden, der zufälligerweise ein Anwesen besaß, gerade mal einen halben Tagesritt entfernt. Das bedeutete jedoch nicht, dass er dem Mann traute. Julien traute niemandem. Maxim war ein Soldat, der erst Freibeuter, dann ein ehrlicher Handelsschiffer und schließlich ein Graf geworden war, wobei man den Begriff ehrlich nicht ganz so genau nehmen durfte. Aber Juliens Mutter hatte beschlossen, den Nichtsnutz unter ihre Fittiche zu nehmen, nachdem er ihren Sohn in Paris vor einer Bande von Halsabschneidern gerettet hatte. Da war Julien noch ein Kind gewesen.

»Du würdest ihn sogar dann lieben, wenn er ein Landstreicher wäre.«

»Natürlich würde ich das. Er hat dir das Leben gerettet, mein Schatz, und dafür werde ich ihn immer in Ehren halten.«

Julien hatte schon seit Langem den Verdacht, dass seine Mutter Maxim auch noch aus anderen Gründen anbetete, aber es war nicht an ihm, darüber Spekulationen anzustellen – oder es zu bewerten. Seine Mutter war eine erwachsene Frau mit eigenem Kopf. Warum sollte er es ihr verwehren, wenn ihr der Sinn nach Gesellschaft stand? Solange Maxim ihr nicht wehtat, würde Julien so tun, als wüsste er nichts von ihrer nicht sonderlich heimlichen Freundschaft.

Lady Haverille warf ihm ein freundliches Lächeln zu, das Julien das Herz erwärmte. Himmel, er hatte dieses Lächeln vermisst. Während der Reise war sie aufgeblüht. Die frische Seeluft hatte Wunder in Bezug auf ihre Blässe und ihren Gesundheitszustand bewirkt, und sobald sie an der Küste Schottlands gelandet waren, hatte sich ihr Zustand weiter verbessert. Es war richtig gewesen, sie aus dem übervölkerten Paris herauszuholen, wo sie die letzten achtzehn Monate ständig gekränkelt hatte. Nein, die saubere Landluft war genau das, was sie brauchte, und Duncraigh Castle der richtige Ort für sie, um sich zu erholen.

Ein weiterer Knall aus dem Salon ließ ihn zusammenzucken.

Allmächtiger, wollten die Diener etwa das ganze Gebäude in Schutt und Asche legen?

Er unterdrückte den außerordentlich starken Wunsch, mit einer Flasche Maclaren-Whisky in seinem Zimmer zu verschwinden. Es war ein Einweihungsgeschenk von Aisla Maclaren, seiner besten Freundin und früheren Verlobten, die vor fast einem Jahr die Liebe ihres Lebens geheiratet hatte. Julien hätte in Frankreich bleiben sollen, statt in die Highlands zurückzukehren, doch die Gegend hatte es ihm angetan, obwohl sein französischer Stolz es ihm verbot, das irgendjemand gegenüber zuzugeben. Die saftigen grünen Wiesen und die Weite, unterbrochen von sanften Hügeln und glitzernden Seen, hatten ihn völlig verzaubert.

Er war natürlich kein Bauer. Aber ein Anfang war gemacht, und er hatte sich die Hände schon früher schmutzig gemacht. Wie schwierig sollte es schon sein? Er kniff sich mit Daumen und Zeigefinger in die Nasenwurzel und beobachtete, wie seine Mutter die Dienstboten wie ein erfahrener General herumkommandierte. Es würde also zumindest von innen wie ein französisches Schloss aussehen. Und sie wäre glücklich. Das war das Einzige, was zählte. Wenn er allerdings geahnt hätte, wie heruntergekommen alles war, hätte er vom Herzog wohl noch eine Draufgabe verlangt.

Als malerisch charmant hatte seine Mutter die Burg bezeichnet, als sie angekommen war. Julien hätte am liebsten gelacht, war es doch das Gegenteil von dem, was ihm beim Anblick durch den Kopf gegangen und mit ein paar saftigen Flüchen gewürzt gewesen war, weil der Herzog von Craigh ihn offensichtlich über den Tisch gezogen hatte. Er nahm es mit schwarzem Humor; denn eine völlige Bruchbude war das Gebäude nicht. Und davon abgesehen hatten er und seine Mutter schon Schlimmeres erlebt. Unter anderem hatten sie in einem einzigen Raum auf Montmartre gewohnt – in einem Gebäude, das mehr Ratten als Menschen beherbergt hatte. Doch Elend und Armut gehörten der Vergangenheit an, und er war fest entschlossen, dass es auch so blieb.

Julien betrat sein Arbeitszimmer und ging zum Fenster. Er betrachtete die Landschaft, die sich bis zum Meer erstreckte, das in der Ferne glitzerte. Das Anwesen lag im Westen Schottlands, alles war überwuchert, und die Mauern der Burg mussten teilweise repariert werden. Doch die natürliche Schönheit des Orts war deutlich zu erkennen.

Ein Rohdiamant.

Das war eine von Juliens seltenen Gaben – zu erkennen, was man aus einer Sache machen konnte. Einen großen Teil seines Vermögens hatte er erwirtschaftet, indem er solche Risiken eingegangen war, sein Geld in Projekte gesteckt hatte, vor denen andere zurückgeschreckt waren, und dann hohe Gewinne eingefahren hatte. Seine Freunde in Paris behaupteten mit nicht wenig Neid, dass er ein glückliches Händchen für lukrative Investitionen hätte. Julien sah das nicht so. Er hatte nur ein gutes Auge, um Risiken und Gewinnchancen abzuwägen, und außerdem ließ er sich nicht von seinen Zielen abbringen.

Keine Ehefrau, die ihn ablenkte. Keine Kinder, die ihn belasteten.

Er benutzte Frauen, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, und ließ sich auch dafür benutzen. Heirat war dabei nie Thema, sondern es ging nur darum, sich im gegenseitigen Einverständnis Lust zu schenken. Das Bild einer Frau mit flammendem Haar und strahlend blauen Augen kam ihm in den Sinn. Sie war ihm davongekommen. Allerdings könnte man auch sagen, dass er sie eigentlich nie gehabt hatte. Sie hatte einem anderen gehört. Julien verdrängte die Bilder aus seinem Kopf. Makenna Maclaren war ebenfalls nur ein Teil seiner Vergangenheit.

Erneut ließ er den Blick über seine Ländereien gleiten. Sie waren nicht unbewohnbar. Einheimische Dienstboten hatten sich um alles gekümmert, seit Duncraigh vor fast zwei Jahren in seinen Besitz übergegangen war, und sie hatten offensichtlich alle überlebt. Und mit ihnen mehrere hundert Schafe, Rinder, Pferde und andere Vierbeiner, die durch die grüne Hügellandschaft streiften.

»Mylord«, erklang die Stimme seines Sekretärs.

»Hier, Mr Jobson.«

Der Mann arbeitete jetzt seit etwas mehr als elf Jahren für ihn und wirkte ständig so, als würde er gleich einen Hirnschlag erleiden. Aber er besaß ein fast schon unheimliches Geschick fürs Organisieren und sorgte dafür, dass alle, die mit Juliens geschäftlichen Angelegenheiten befasst waren, mit fast militärischer Präzision arbeiteten. Angesichts all der Anwesen, Geschäfte und Beteiligungen, in denen Juliens Geld steckte, war der Mann ein wahres Geschenk Gottes.

»Ich habe hier die Zahlen der neusten Schiffsladungen aus dem Osten, und Mr Bonny hat ebenfalls Berichte zu den amerikanischen Handelszahlen geschickt.«

»Danke.« Julien seufzte vor Erleichterung. Geschäftsbücher waren eine willkommene Ablenkung. Er kam immer zur Ruhe, wenn er sich bis über die Ohren in Zahlen vertiefen konnte. Und er brauchte gerade wahrlich eine ganze Wagenladung Ruhe. »Was ist mit dem Verkauf des Palazzo in Venedig?«

Er hatte ihn dem vorherigen Besitzer, einem italienischen Grafen, spottbillig abgekauft, dessen Ausgaben seine Einnahmen bei Weitem überstiegen und das Gebäude nicht hatte erhalten können. Jetzt verkaufte er den Palazzo mit einem hübschen Gewinn an einen englischen Viscount. Julien war ein harter, aber fairer Geschäftsmann. Er hatte ein Angebot unterbreitet, das dem Zustand des Gebäudes angemessen gewesen war, und es war akzeptiert worden. Dann hatte er alles in die Wege geleitet, um den Palazzo weit über Marktwert zu verkaufen. Der italienische Graf war verärgert gewesen, als er erfahren hatte, wie teuer er weiterverkauft worden war, und hatte sich bei jedem, der es hören wollte, beschwert und behauptet, Julien hätte ihn betrogen. Doch er hatte sich schnell wieder von diesen unsinnigen Aussagen distanziert, als Juliens Männer ihm einen Besuch abgestattet hatten. Julien war nicht darüber erhaben, Maxims Methoden anzuwenden, um seinen Standpunkt deutlich zu machen.

»Fast erledigt, Mylord.«

»Hervorragend.« Er schenkte sich einen Whisky ein. »Möchten Sie auch ein Glas? Er mundet wirklich vorzüglich.«

»Nein danke, Mylord«, sagte Mr Jobson. »Ich werde mit dem Schiff zurückfahren, um mich um die letzten Punkte der Transaktion zu kümmern, und werde mich dafür auch mit Ihrem englischen Anwalt in Verbindung setzen.« Er reichte ihm einen weiteren Stapel Papiere. »Das sind die Unterlagen zu Duncraigh Castle sowie alle wichtigen Informationen zu den finanziellen Belangen – Ländereien, Pächter, Vieh, Ernteerträge und so weiter. Abgesehen vom äußeren Erscheinungsbild scheint hier alles zu laufen, Mylord. Es könnte zwar etwas dauern, bis sich ein Gewinn erwirtschaften lässt, aber der Grundstock ist da.«

»Danke.«

Nachdem sein Anwalt gegangen war, setzte Julien sich auf seinen Schreibtischstuhl und schaute nachdenklich in die goldene Flüssigkeit in seinem Glas.

Dieu! Ländereien, Pächter, Vieh … er war jetzt tatsächlich ein verdammter Bauer.

Eigentlich könnte er sich gleich von seinen maßgeschneiderten Westen und seiner Mitgliedschaft bei White’s verabschieden. Vor zwei Jahren hatte er keine Verwendung für eine alte Burg in einem hinterletzten Winkel von Schottland gehabt, doch er hatte dem Herzog von Craig erlaubt, die Burg bei einer Partie vingt-et-un zu setzen. Himmel, wurde er etwa weich? Der Herzog hatte ihm auf jeden Fall leidgetan. Julien lächelte. Vielleicht war er aber auch einfach von dem gerissenen alten Bock überlistet worden, der eins seiner unwirtschaftlichen Güter hatte loswerden wollen.

Ein Rohdiamant, rief er sich in Erinnerung.

Julien nippte am Whisky und genoss das würzige Brennen auf seiner Zunge. Er hatte erst letztes Jahr Geschmack an Whisky gefunden, als Aisla ihn hergeschleift hatte, um eine Scheidung zu erwirken, sich am Ende aber doch wieder mit ihrem Highlander-Ehemann versöhnt hatte. Ihr Bruder, Ronan, brannte einen der besten Whiskys, die Julien je gekostet hatte. Ganz abgesehen davon, dass es ein atemberaubender Rotschopf gewesen war, der ihn an Whisky herangeführt hatte, und er jetzt immer, wenn er ihn trank, an sie denken musste.

An Makenna.

Scharf, rauchig und mit Körper.

Wütend verzog er das Gesicht, stürzte den Rest hinunter und wandte sich den sauber geordneten Unterlagen von Duncraigh Castle zu, die Jobson ihm dagelassen hatte. Die Ländereien waren groß und fruchtbar, und die Zahlen schienen alle zu stimmen. Er hatte nicht viele Pächter, und von denen lagen auch nicht viele Beschwerden zu ihrer Arbeit und den Löhnen vor. Aber Himmel noch mal, er hätte nie gedacht, dass er einmal so viele Schafe besitzen würde … und Rinder … und Pferde. Mit denen kannte er sich allerdings ein bisschen besser aus. Aber der Reihe nach. Er musste seine Angestellten befragen und einen tüchtigen Verwalter einstellen.

Noch mehr Geräusche drangen von unten durch die offenstehende Tür – noch mehr Getöse, der melodische Klang einer Frauenstimme, die grüßte, und dann wieder Gebrüll. Die letzten beiden Wochen hatten nur aus Lärm und Chaos bestanden, und er hatte die Nase voll. Verdammt nochmal, er würde alles geben, um ein Casino in Paris aufsuchen zu können, oder sogar ein Bordell. Er stand auf und ging die Treppe hinunter, um dem ganzen Trubel ein für alle Mal ein Ende zu bereiten. Doch dann blieb er abrupt stehen, und er hatte das Gefühl, alle Luft würde seiner Lunge entweichen. Mit der Frau, die hochgewachsen und außergewöhnlich schön in der Halle stand, hätte er nie gerechnet.

Er hatte das Gefühl, als wären seine Erinnerungen zum Leben erweckt worden.

Julien hatte Makenna seit einem Jahr nicht mehr gesehen, doch sein Herz schlug ihm bei ihrem Anblick sofort bis zum Hals. Alles andere – der Lärm, die Dienstboten, die Wände – traten in den Hintergrund. Er konnte sich kaum an der Frau sattsehen, die in der Tür stand, während sein Körper sich schmerzhaft deutlich daran erinnerte, wie gut es sich angefühlt hatte, vor zwölf Monaten mit ihr auf Aislas Hochzeit zu tanzen. Diese ganz und gar keusche Erinnerung war nicht verblasst, wie sehr er sich das auch gewünscht haben mochte, und hatte sich in seinen Träumen zu etwas weit Ungehörigerem entwickelt.

Das rote Haar war geflochten und fest um den Kopf gelegt. Ihr Blick wirkte müde und trüb. Er nahm auch alle anderen Einzelheiten an ihr wahr, wie die Schatten unter den Augen, die Schmutzflecken auf ihrer Haut und die dreckige, zerknitterte Kleidung. Er runzelte die Stirn. Ihre Erscheinung war weit von der Frau entfernt, die er auf Maclaren kennengelernt hatte. Sie sah aus, als hätte sie sich auf einem Heuboden herumgewälzt.

Oder wäre von einem Heuboden heruntergeworfen worden.

Julien erinnerte sich, dass sie die gewalttätigen Tendenzen ihres Ehemanns, Laird Brodie, erwähnt hatte, und merkte, wie er die Hände zu Fäusten ballte. Wenn der ihr das angetan hatte, würde er den Mann zu Klump hauen. Sein Blick ging zu der winzigen Frau, einem grauen Mäuschen, das sich förmlich hinter ihr versteckte, und sein Gesichtsausdruck wurde noch finsterer.

Er fand seine Stimme wieder. »Lady Makenna? Geht es Ihnen nicht gut?«

Ein Schluchzen ließ ihre Schultern beben, während sie versuchte, Haltung zu bewahren. Doch es gelang ihr nicht. Ihre riesigen blauen Augen füllten sich mit Tränen, und sie warf sich an seine Brust. Seine Arme schlossen sich um sie, und er zog sie fest an sich. Sofort fiel ihm auf, wie gut sie sich immer noch in seinen Armen anfühlte. Doch Vorsicht ließ ihn eine starre Haltung einnehmen und zurücktreten. Sie war eine verheiratete Frau und als solche tabu, egal, wie groß sein Wunsch war, sie sich über die Schulter zu werfen und in seine Höhle zu tragen.

Und sie weinte. Die Makenna, an die er sich erinnerte, weinte nicht.

»Warum sind Sie hier?«, fragte er sanft.

»Sie hatten mir von dieser Burg erzählt, und das war der einzige sichere Ort, der mir eingefallen ist, wo ich Unterschlupf finden könnte.« Ihr schottischer Akzent war so weich und gedehnt, wie er ihn in Erinnerung hatte – wie honigsüßer Rauch, der seine Sinne umschmeichelte. Selbst rau vom Weinen konnte er sich der Wirkung nicht entziehen. »Ich wusste nicht, dass Sie hier sein würden. Es tut mir leid, dass ich hier einfach aufgetaucht bin und zur Last falle.«

»Sie fallen nicht zur Last«, erwiderte er. »Sind Sie allein? Wo ist Ihr Ehemann?«

Ihr Blick umwölkte sich. »Mein Ehemann ist tot.«

Kapitel 2

Zwar lag ein undurchdringlicher Ausdruck auf Juliens Gesicht, aber es war trotzdem vielsagend, weil er nicht sein übliches Lächeln zeigte. Ein Muskel zuckte an seiner Wange, und er sah sie forschend an. Makenna wartete und kannte die Frage schon, die gleich kommen würde.

»Wie ist er gestorben?«, fragte er.

Sie hatte darüber nachgedacht, was sie wohl den Bediensteten sagen würde, die sie gehofft hatte, hier anzutreffen, aber jetzt wollte ihr angesichts des Herrn von Duncraigh Castle partout keine Erklärung mehr einfallen. Zu ihrer Rechtfertigung musste gesagt werden, dass sie eigentlich nicht damit hatte herausplatzen wollen, dass der Brodie Laird tot war, und jetzt steckte sie in der Patsche, die sie sich selbst eingebrockt hatte.

Nachdem sie einen Moment Gelegenheit gehabt hatte, sich von der Überraschung, Julien gegenüberzustehen, zu erholen, kehrten auch Vernunft und gesunder Menschenverstand zurück. Zu gestehen, dass sie auf der Flucht vor ihrem eigenen Clan war, weil man sie des Mordes angeklagt hatte, wäre nicht der beste Weg, sich Hilfe oder ein Dach über dem Kopf zu verschaffen. Julien Leclerc schuldete ihr nichts, und sie konnte es sich nicht leisten, jemandem zu vertrauen – nicht einmal ihm.

»Er ist in seinem Bett gestorben.« Sie hielt inne und schluckte, um dann deutlicher zu werden. »Ich war nicht bei ihm.«

Sie gab keine weitere Erklärung ab, obwohl sein Blick vor Neugier dunkler wurde. Er würde natürlich wissen, warum sie nicht im Bett ihres Mannes gelegen hatte. In einem Moment der Schwäche hatte sie ihm auf Maclaren gestanden, dass ihre Ehe nur auf dem Papier bestand und sie mehr als ein halbes Jahrzehnt nicht mehr das Bett mit ihrem Mann geteilt hatte. Julien hatte sie damals im Gewächshaus auf Maclaren überrascht, nachdem sie gerade von Graeme eine Aufforderung erhalten hatte, nach Hause zu kommen, und sie war so wütend gewesen, dass ihr Tränen in die Augen gestiegen waren. Ihr Mann wollte ihr alle Lebensfreude nehmen – so auch einen Aufenthalt bei ihrer Familie, um ihren kränkelnden Vater zu sehen. Es hatte ihr gutgetan, Zeit auf Maclaren zu verbringen, und sie hatte wieder ein wenig zu sich selbst gefunden, so dass es eine düstere Aussicht gewesen war, zu ihrem Leben mit Graeme zurückzukehren.

Julien hatte sie in einem ihrer schlimmsten Momente erwischt. Als sie sich an die damalige Unterhaltung erinnerte, biss sie sich auf die Unterlippe.

»Heißt es denn nicht, mal soll wegen vergossener Milch keine Tränen vergießen?«, hatte der ewig lächelnde Lord Leclerc, der in der offenen Tür stand, gesagt. Der herablassende Ausdruck in seinem Gesicht hatte sie rot sehen lassen, und trotz der Tränen war sie wütend geworden. Sie hatte ihn mit schmalen Augen fixiert.

»Schon mal gehört, dass man sich um seine eigenen Angelegenheiten kümmern sollte?«

»Was es auch ist, kann es doch bestimmt nicht wert sein, so viele Tränen zu vergießen.«

Wütend hatte sie bei ihrer Antwort keine Vorsicht walten lassen. »Mein Herr und Gebieter verlangt, dass ich wieder nach Hause komme.«

»Dann sagt man halt Nein«, erwiderte er, ohne mit der Wimper zu zucken.

»Sagt ein Mann, der nie das Pech hatte, als Besitz betrachtet zu werden«, fuhr sie ihn unbedacht an. »Mein Ehemann verlangt es nur aus dem Grunde, um mich zu kontrollieren. Wenn es nach ihm ginge, würde ich jede Stunde jeden Tages bis ans Ende meines Lebens nur noch knien.«

Julien hatte sie mit wissendem Blick von oben bis unten gemustert, und in seinen Augen war eine leichte Geringschätzung zu sehen gewesen. Sie hatte einen Hauch von Selbstverachtung gespürt. Die nächsten Worte des Franzosen hatten es nur noch schlimmer gemacht. »Irgendwie kann ich mir nicht vorstellen, dass Sie – so eine wilde, unerschrockene schottische Streitaxt – dazu gezwungen werden können, etwas gegen ihren Willen zu tun.« Er hatte eine goldene Augenbraue hochgezogen, und sein Grinsen war noch breiter geworden. »Oder vor irgendjemandem das Knie beugt.«

Trotz des Funkens, der angesichts seines anzüglichen Tons durch ihren Körper geschossen war, hatte sie den Rest von dem, was er sagte, ignoriert, denn seine ernsten Worte hatten ihr einen Stich versetzt. So hatte sie sich früher auch mal gesehen. Sie hatte sich für wild, unerschrocken und furchtlos gehalten. Doch stattdessen war sie jetzt das Gegenteil davon. Bezwungen und unterlegen weinte sie wegen eines Briefs von einem anmaßenden Mann, der ihr jeden Schritt vorschrieb. Wie so viele andere Frauen hatte sie zugelassen, dass sie ein Opfer von Zeiten und Umständen geworden war. Und wie sehr sie das hasste. Wie sehr sie sich selbst hasste.

»Selbst eine Axt kann brechen, wenn man … genug Kraft aufbietet«, hatte sie geflüstert und die Tränen zurückgedrängt. »Wir haben uns entfremdet. Ich bin nur ein bewegliches Gut von ihm, mit dem er machen kann, was er will.«

Makenna hatte gesehen, wie sich etwas wie Entsetzen und Wut in Juliens Blick gezeigt hatte, aber dann hatte sie ihn stehen lassen, ehe sie noch mehr gestand, was sie später bereuen würde.

Doch Juliens Worte hatten etwas in ihr geweckt. Schon verloren gedachter Stolz war wieder erwacht … Wut war in ihr hochgekommen. Sie war eine Maclaren! Nicht irgendein hilfloser Niemand. Nein, stattdessen hatte sie verlangt, dass er sie wie eine Dame seines Clans behandelte und mit dem Poussieren aufhörte, wollte er auch nur einen Cent vom verbleibenden Teil ihrer Mitgift sehen, die nach Gutdünken ihres Vaters an ihn übergehen würde, wenn sie in drei Jahren dreißig wurde. Es hatte sich außerordentlich gut angefühlt, dem Mann die Stirn zu bieten, der sie ständig herabgesetzt und drangsaliert hatte – Makenna war wieder von einem so beglückenden Gefühl der Stärke erfüllt gewesen … bis er sie so brutal geschlagen hatte, dass sie zwei Tage lang bewusstlos gewesen war. Und der Preis, den sie für ihr Aufbegehren hatte zahlen müssen, war weiter hoch gewesen – gebrochene Knochen, die Monate gebraucht hatten, um wieder zusammenzuwachsen, und unendlich einsame Stunden, Tage, Wochen in der Burg. Und da war niemand gewesen, der auch nur einen Finger zu ihrer Verteidigung gerührt hätte.

Sie dachte an die Frau, die ihr geholfen hatte, und deren Behauptung, dass es auf Brodie Menschen gäbe, die zu ihr halten würden. Vielleicht hatten diese Leute nichts von ihren Qualen gewusst oder waren einfach zu ängstlich gewesen, weil sie um ihr eigenes Leben fürchteten.

Makenna hatte monatelang mit der Sinnlosigkeit ihrer Lage gehadert und von dem Tag geträumt, an dem sie Graemes Brust mit einem Schwert durchbohren und sich von seinen Grausamkeiten befreien würde. Schließlich war sie sehr geschickt mit dem Schwert, nachdem sie schon mit fünf Jahren angefangen hatte, mit ihren Brüdern zusammen zu trainieren. Natürlich waren das Träume geblieben. Die Hand gegen den Laird zu erheben, wäre ihr Todesurteil gewesen. Sie hatte es einmal unter Schmerzen und Tränen gegenüber Tildy erwähnt, aber ihre Zofe hatte nur genickt, während ein bekümmerter Ausdruck über ihr Gesicht gehuscht war.

Jetzt, da sie in Juliens Eingangshalle stand, kamen wieder die gleichen Gefühle der Unzulänglichkeit und Verwirrung in ihr hoch. Aber nicht wegen Graeme, sondern weil sie sich in der Gegenwart dieses Mannes nicht wiedererkannte. Julien Leclerc machte sie nervös, und sie fühlte sich unwohl in ihrer eigenen Haut, als könnte er direkt in ihr Innerstes schauen, wo sich die Frau versteckte.

Makenna nahm ihren ganzen Mut zusammen und hob das Kinn. »Ich brauche einen Ort, an dem ich ein paar Tage bleiben kann. Ich kann nicht nach Hause zurück. Seit dem Tod des Laird bin ich dort nicht mehr willkommen.«

»Warum nicht?«, fragte Julien.

»Weil ich keine Brodie bin, und ich fürchte, dass ich mich in eine noch größere Gefahr begebe, wenn ich dortbliebe.«

»Wie ist er gestorben?«

Ihr stockte der Atem. »Spielt das eine Rolle? Er ist tot.«

»Nein«, knurrte er, und der Ton, den er plötzlich anschlug, verblüffte sie. »Ich habe keinen Grund, das Ende von so einem Rohling zu bedauern.« Sie sackte in sich zusammen – natürlich erinnerte er sich an ihre damaligen Worte. »Aber Sie sind jetzt hier, wirken nicht gerade wie eine trauernde Witwe und sind nicht nach Maclaren zu Ihrer Familie zurückgekehrt. Ich will die Wahrheit hören. Warum sind Sie nach Duncraigh Castle gekommen?«

»Ich habe es Ihnen bereits gesagt«, erwiderte sie und presste die Hände fest zusammen, damit sie nicht zitterten. »Der Laird ist tot. Sein Clan hat mich nie akzeptiert. Ich dachte, ich könnte hier vielleicht unterkommen – zumindest bis ich mir etwas anderes überlegt habe.«

Sie sahen einander schweigend an. Makenna bekam kaum noch Luft, während er betont ruhig weiteratmete. Sie war bewusst nicht auf seine Bemerkung bezüglich ihrer Entscheidung eingegangen, hierher zu kommen, statt nach Maclaren zurückzukehren, und je mehr Zeit er sich mit seiner Antwort ließ, desto mutloser wurde sie. Es war ihm bestimmt nicht entgangen, dass sie seine Frage nicht beantwortet hatte, und es gab auch keinen Grund für ihn, ihr zu helfen. Zwischen ihnen gab es keine Bindung und noch nicht einmal Freundschaft, wenn sie ehrlich war. Sie hatte ihn auf Maclaren kennengelernt. Sie hatten sich miteinander unterhalten, meist angenehme Ausritte zusammen unternommen, und auf der Hochzeit ihres Bruders hatten sie miteinander getanzt. Meistens hatte sie ihn als grob, arrogant und ärgerlich empfunden, doch sie hatte sich zugegebenermaßen durch die Aufmerksamkeit, die er ihr geschenkt hatte, geschmeichelt gefühlt, obwohl ihr bewusst war, dass der Mann ein Schwerenöter war. Außerdem hatte er sie zum Lachen gebracht. Und das hatte sie schon seit Jahren nicht mehr getan.

Makenna blinzelte verwirrt und fragte sich plötzlich, ob sie auf die vielen Annährungsversuche des Franzosen eingegangen wäre, hätte sie keinen Ehemann gehabt. Aber im Gegensatz zu ihrem ehebrecherischen Gatten hatte sie sich noch nicht einmal mit so einem Gedanken getragen, denn sie hätte nie das Gelübde gebrochen, das sie vor Gott abgegeben hatte. Vielleicht aber war ihre frömmelnde Einstellung falsch gewesen. Julien hatte kein Geheimnis aus seinem Interesse an ihr gemacht, und sie nahm an, dass ein Mann, dem laut ihrer Schwägerin Aisla auf vielen Kontinenten Frauen hinterherschmachteten, ein ziemlich beachtlicher Liebhaber sein musste. Ihr Blick huschte kurz über seine stattliche Gestalt. Wahrscheinlich war er es immer noch.

Himmel, sie hatte ihre Gedanken eindeutig nicht im Griff!

Da war sie dabei, um ihr Leben zu rennen, und ihr dummes Hirn hatte nichts Besseres zu tun, als sich mit ungehörigen Fantasien zu beschäftigen. Sie war ein amadan. Makenna errötete und fuhr sich mit der Zunge über die Lippen. Seine Pupillen weiteten sich, als hätte er ihre Gedanken gelesen. Auf einmal nahm sie ihn sehr bewusst wahr. Julien Leclerc war ein Mann – ein Mann, der sich früher zu ihr hingezogen gefühlt hatte. Sie zögerte und erwog ihre Möglichkeiten. Vielleicht war ihr Hirn doch gar nicht so dumm. Gab es diese Anziehungskraft immer noch? Könnte sie ihn irgendwie dazu bringen, ihr zu helfen? Indem sie ihre weiblichen Reize einsetzte?

Bei dem Gedanken, wie eine der vielen Frauen zu werden, die sich Graeme an den Hals geworfen hatten, um seine Gunst zu erlangen, schreckte sie zurück. Doch dann nahm sie die Schultern zurück. Sie und Tildy mussten schließlich irgendwo bleiben. Sie waren stundenlang unterwegs gewesen, und Colins Männer würden schon bald die Wälder durchkämmen und die Straßen absuchen, über die man die Ländereien der Brodies verlassen konnte. Bei dem Gedanken, dass man sie finden könnte, wurde ihr ganz schlecht, und ihre Hände wurden kalt. Sie würde tun, was getan werden musste. Verführung war das einzige Mittel, das ihr noch zur Verfügung stand. Doch ehe sie die Kraft zu einem sinnlichen Lächeln aufbrachte, ertönte in diesem spannungsgeladenen Moment eine melodische Stimme, und es waren leichte Schritte zu hören.

»Jules, chéri, was um Himmels willen hält dich so lange auf?«

O Gott, hatte er etwa geheiratet?

Makenna blinzelte überrascht angesichts der unbestreitbar weiblichen und kultivierten Stimme. Doch als Julien sich umdrehte und den Blick auf die schlanke, ältere Frau freigab, die auf sie zukam, ging ihre Überraschung in Erleichterung über. Aber warum das so war, wollte sie eigentlich nicht wissen. Die Ähnlichkeit zwischen den beiden war deutlich zu erkennen. Makenna nahm an, dass es seine Mutter war. Sie hatte das gleiche blonde Haar wie er, jedoch von einzelnen grauen Strähnen durchzogen. Außerdem wiesen ihre Augen den gleichen hellen Grünton auf wie die ihres Sohns. Sie strahlte Freundlichkeit und Selbstvertrauen aus, wenngleich Makenna erkennen konnte, dass es ihr nicht sonderlich gut ging. Durch ihre blasse, wächserne Haut wirkte sie kränklich, und dieser Eindruck wurde durch ihren etwas glanzlosen Blick noch verstärkt.

»Oh«, sagte sie. »Wir haben Besuch.«

»Maman, darf ich dir Lady Makenna Brod…« Julien stockte, räusperte sich und schenkte der zierlichen Frau ein liebevolles Lächeln, »… Maclaren vorstellen.«

Die Augen der Frau wurden groß. »Maclaren?«

»Oui, Aislas Schwägerin.« Er drehte sich wieder zu ihr um. »Lady Makenna, das ist meine Mutter, Lady Haverille.«

Makenna ließ einen schnellen Blick über ihre zerknitterte, schmutzige Kleidung gleiten, aber da ließ sich jetzt nichts machen. Sie war völlig verdreckt, und nur ein Bad und frische Kleidung würden das ändern. Sie machte einen Knicks. »Lady Haverille, es ist mir ein Vergnügen. Bitte verzeihen Sie meine Erscheinung. Wir sind gerade mehrere Stunden in aller Eile gereist.«

Lady Haverille bedachte ihren Sohn mit einem strengen Blick, bei dem sie eine Augenbraue hochzog und die Lippen kräuselte, so dass die Ähnlichkeit mit Julien noch stärker hervortrat. »Würdest du mir bitte erklären, warum die junge Dame und ihre Zofe noch hier in der Eingangshalle stehen, Julien? Du möchtest doch bestimmt deine Gastfreundschaft anbieten. Ich bin mir sicher, dass Lady Makenna nichts gegen eine Tasse Tee, eine warme Mahlzeit und ein heißes Bad einzuwenden hätte.«

Makenna wäre bei dem Gedanken, sich den Dreck vom Körper zu schrubben, beinahe ohnmächtig geworden. Sie würde nicht eine Sekunde zögern, sich dem Mann zu Füßen zu werfen und ihn auf Knien anzuflehen, wenn sie dafür ein Bad bekäme.

Juliens Blick hing zwar liebevoll an seiner Mutter, hatte aber auch etwas leicht Spöttisches. »Natürlich, Maman. Das wollte ich auch gerade tun, als du dazugekommen bist.«

Ach ja? Makenna musste ihre ganze Willenskraft aufbieten, um die Augenbrauen nicht skeptisch hochzuziehen. Dann hatte er sie also nicht mit seinem bedeutungsvollen Schweigen auf die Folter gespannt, während ihr das Herz bis zum Hals geschlagen hatte? Sie war so fest davon überzeugt gewesen, dass er sie abweisen wollte, dass sie kurz davorgestanden hatte, ein überaus schockierendes Verhalten an den Tag zu legen. Julien bedachte sie mit einem hinterhältig verschmitzten Blick, als könnte er ihre Gedanken lesen. Der Mann hatte sich kein bisschen geändert. Er löste immer noch das Gefühl in ihr aus, ihm einen Tritt versetzen zu wollen.

Seine nächsten spöttischen Worte verstärkten diesen Drang. »Ich wollte nur feststellen, ob ich Lady Makenna dazu bringen könnte, den wahren Grund zu nennen, warum sie mich hier auf meiner Burg aufsucht: Und zwar, weil sie meine einzigartige Gesellschaft vermisst hat.«

Makenna sperrte den Mund auf. Deutete er etwa an, dass sie seinetwegen wie eine liebeskranke … Ohne zu überlegen, machte sie einen Schritt nach vorn und erstarrte. Was hatte sie vor? Ihm den selbstgefälligen Ausdruck aus dem Gesicht zu schlagen? Das wäre wohl ein Ding der Unmöglichkeit, weil dieser wahrscheinlich mit jeder Pore verwachsen war.

»Hör auf, sie zu necken, chéri.«

Obwohl Lady Haverille so zerbrechlich wirkte, übernahm sie jetzt das Kommando, und mit ihrer melodischen Stimme gab sie schnelle Befehle, so dass man sich Tildys und all ihrer Habseligkeiten annahm, während Makenna in ein Schlafzimmer im oberen Stockwerk geführt wurde. Sie warf noch einen Blick über das Geländer nach unten und sah, dass Julien nach wie vor in der Halle stand und mit verschlossener Miene zu ihr nach oben schaute. Sein Blick begegnete ihrem, und der war so durchdringend, dass sie ein Keuchen unterdrücken musste. Schon damals hatte er sie mit seinen grünen Augen aus der Ruhe bringen können, und gerade jetzt wirkte sein Blick ganz besonders scharf. Sie kam sich vor wie ein Kaninchen, das von einem Fuchs erblickt worden war. Doch in ihr erwachte nicht die Furcht, die auf Brodie allgegenwärtig gewesen war. Von Juliens Blick fühlte sie sich weder besudelt, noch kam Angst in ihr hoch, wie es ihr bei Colin immer ergangen war.

Nein, sein Blick ließ Stellen ihres Körpers brennen, von denen sie gar nicht mehr gewusst hatte, dass es sie gab.

Sündige Stellen, wenn sie ehrlich war, und Makenna beschlich nur deshalb eine leise Angst, weil sie ihrem verräterischen Körper nicht traute, wenn es um Julien Leclerc ging. Das war eindeutig erkennbar gewesen, als sie noch in der Halle gestanden hatten und sie schamlos über seine Fähigkeiten als Liebhaber nachgedacht hatte. Er löste Gefühle und Wünsche in ihr aus, die äußerst unpassend waren – vor allem jetzt.

Warum musste er aber auch in Schottland sein?

Ein nervöses Kribbeln ging durch ihren Körper. Angesichts des Fuchses, der hier hauste, und angesichts ihrer Schwäche gegenüber besagtem Fuchs, würde sie nicht länger bleiben als notwendig. Vielleicht kannte Lady Haverille Leute in Frankreich, denen sie Makenna empfehlen würde. Sie war sehr geschickt mit Nadel und Faden, konnte außerordentlich gut mit Zahlen umgehen und war auch ansonsten nicht auf den Kopf gefallen. Sie könnte als Buchhalterin arbeiten, als Gouvernante oder, wenn es hart auf hart kam, auch als Zofe. Sie musste ein hysterisches Lachen unterdrücken. Die arme Tildy. Sie wurde von ihrer eigenen Herrin verdrängt.

»Vielen herzlichen Dank, Lady Haverille«, sagte sie, sobald sie das bezaubernd eingerichtete Schlafzimmer betreten hatten. Die kleine Frau befehligte die Dienstmädchen mit der konzentrierten Umsicht eines kampferprobten Generals.

»Wir haben bereits Frühstück gegessen, aber ich werde dafür sorgen, dass der Koch etwas Warmes für Sie zubereitet, das Sie zu sich nehmen können, sobald Sie sich frisch gemacht haben.« Lady Haverille lächelte und legte den Kopf schräg, während sie Makennas Haar und Gesicht mit bewunderndem Blick betrachtete. »Was für ein strahlendes Rot, meine Liebe. Wie eine voll erblühte Rose im Gewächshaus.«

Makenna errötete und schüttelte den Kopf. »Ich fühle mich gerade wie Brombeergestrüpp, durch das man stapft, aber danke, dass Sie« – sie ließ die Hand über ihr dreckiges Kleid gleiten – »über das hier hinwegsehen.«

»Keine Sorge. Sie werden sich bald wieder wie Sie selbst fühlen.«

Den Worten haftete etwas seltsam Prophetisches an, und Makenna wollte sie bewahren. Sie kämpfte gegen die aufsteigenden Tränen und bedankte sich noch einmal bei Juliens Mutter. Lady Haverille winkte ab und schwebte aus dem Raum. Diener hatten bereits damit begonnen, die Kupferwanne mit heißem Wasser zu füllen, und innerhalb kürzester Zeit war alles bereit, so dass Makenna keine Zeit verschwendete und in die Wanne stieg. Tildy war auch wieder da. Sie hatte sich frisch gemacht, den Dreck vom Saum ihres Kleids gebürstet und schien auch ansonsten wieder guten Mutes zu sein.

»Ach, ist das himmlisch.« Makenna seufzte vor Wohlgefühl, als sie sich in das heiße Wasser sinken ließ. Einen Augenblick lang genoss sie den reinen Luxus des Bads und verbannte alle Gedanken an Colin, ehe sie nach der Seife und einem Lappen griff, um sich den Dreck vom Körper zu schrubben. Als ihre Haut schließlich rosig glänzte, half Tildy ihrer Herrin, gründlich die Haare zu waschen. Makenna hoffte inständig, dass sich während ihres Aufenthalts im Verlies kein Ungeziefer bei ihr eingenistet hatte. Es fühlte sich so gut an, den ganzen Dreck abzuwaschen – sowohl buchstäblich als auch im übertragenen Sinn. Sie wollte alles von sich abschrubben und neu beginnen.

»Hast du etwas zu essen bekommen, Tildy?«, fragte Makenna, als die Zofe ihr die Haare mit einem Tuch getrocknet, ausgekämmt und hochgesteckt hatte.

»Aye, in der Küche«, antwortete sie flüsternd, als hätte sie Angst, belauscht zu werden. »Sind wir hier sicher, Mylady?«

»Im Moment? Ja, ich denke schon.« Duncraigh war eine Festung, und sie waren als Gäste willkommen. Aber für wie lange? Makenna vertraute darauf, dass sie zumindest für eine Weile vor einer Entdeckung sicher wären.

»Bleiben wir hier?«, fragte Tildy.

»Nein.« Makenna schüttelte den Kopf. »Ich halte es für zu gefährlich, so nah bei Brodie zu sein.«

»Es ist doch eigentlich weit genug weg«, flüsterte die Zofe. »Kein Mensch kommt zu dieser Burg. Die Dorfbewohner glauben, dass es hier spukt. Ich habe Angst, Mylady. Wird der Herr, Ihr Freund, Ihnen helfen?«

Makenna öffnete schon den Mund, um die Behauptung von sich zu weisen, dass Julien ein Freund von ihr wäre, doch dann schloss sie ihn wieder. In rascher Folge gingen ihr mehrere Gedanken durch den Kopf. Tildy hatte einen guten Hinweis genannt. Sie hatte zwar nichts davon gehört, dass es hier spuken sollte, aber Duncraigh Castle war abgelegen und heruntergekommen genug, um nicht bemerkt zu werden – und es war keine schottische Festung. Die Burg hatte erst einem englischen Lord gehört und war dann in die Hände eines französischen Lords übergegangen. Vielleicht würde Colin ein paar Kundschafter aussenden – allein bei dem Gedanken stieg Furcht in ihr auf –, aber der Steinhaufen würde nicht weiter von ihm beachtet werden. Für die Kundschafter gab es keinen Grund herzukommen, und deshalb würde Colin sie auch nicht hier vermuten. Nein, vielleicht hatte Tildy recht.

»Würdest du lieber hierbleiben, Tildy?«

Die Zofe zuckte die Achseln. »Es könnte klug sein – für eine Weile zumindest.«

Makenna kaute auf ihrer Unterlippe. Aye, für den Moment klang das vernünftig. Sie könnten auf Duncraigh bleiben, bis sich die Aufregung ein bisschen gelegt hatte – bis Colin entweder davon ausging, dass sie tot war, oder er woanders nach ihr suchte. Dann würden sie die Burg verlassen. Jetzt musste sie Lord Leclerc nur noch dazu bringen, dass sie so lange unter seinem Dach bleiben durften.

Nachdem sie gebadet und eins von den Kleidern angezogen hatte, die Tildy vorausschauend eingepackt hatte, fühlte Makenna sich fast wieder normal – wie vor ihrem Gefängnisaufenthalt. Diese zwei Tage waren entsetzlich gewesen. Sie hatte kaum geschlafen, weil sie sicher gewesen war, Colin könnte jeden Moment die Zelle betreten. Vor Erschöpfung konnte sie kaum noch die Augen offenhalten, nachdem Tildy ihr die Haare so gut es ging getrocknet und hochgesteckt hatte. Sie begegnete dem Blick ihrer Zofe im Spiegel. Obwohl ihre Wangen jetzt wieder ein bisschen Farbe hatten, wirkte ihr dunkler Blick immer noch verängstigt. Makenna konnte ihr Unbehagen nachvollziehen. Sie spürte es auch, obwohl sie vorhatte, sich zumindest eine Weile auf Duncraigh zu verstecken. Angst ließ sich nicht so leicht abstreifen.

Als Makenna nach unten ins Esszimmer ging, waren mehrere Diener noch dabei, Wandbehänge und Porträts anzubringen. Die kunstvoll bestickten Möbel waren äußerst zierlich und eindeutig in Frankreich gefertigt. Verlegen trat Makenna zur Seite, als fleißige Diener mit Tabletts für Tee und mehreren abgedeckten Tellern hereineilten. Ihr Magen knurrte. Sie und Tildy hatten sich die kleine Ration geteilt, die ihre Retterin ihr zugesteckt hatte, so dass der Anblick des dampfenden Tees und der köstliche Duft der abgedeckten Speisen kaum zu ertragen war.

Makenna schaute sich um. Soll ich etwa allein essen?

Kaum war ihr diese Frage durch den Kopf gegangen, sprang die Doppeltür auf, so dass ihr fast das Herz aus der Brust hüpfte, und Lord Leclerc trat ein. »Meine Mutter hat sich mit einer Migräne zurückgezogen. Es scheint, dass sie sich heute Morgen überanstrengt hat. Sie lässt ihr Bedauern ausrichten.«

»Oh.«

»Sie hat darauf bestanden, dass ich Ihnen Gesellschaft leiste.«

»Das ist nicht notwendig«, erklärte sie.

»Das habe ich ihr auch gesagt«, erwiderte er mit einem Grinsen. »Dass Sie nie Hilfe annehmen würden.«

Makenna sah ihn verwirrt an. »Ich nehme Hilfe an.«

Julien ging zur Anrichte und füllte zwei Teller, von denen er ihr einen reichte. Er nahm an der langen, eleganten Tafel Platz und bedeutete ihr, sich auf einen der leeren Stühle zu setzen. Sie nahm ohne Widerspruch Platz. »Essen Sie, und dann erzählen Sie mir, wann Sie das letzte Mal tatsächlich um Hilfe gebeten oder welche angenommen haben.«

»Ich habe Sie vor kaum einer Stunde um Hilfe gebeten und gefragt, ob ich hierbleiben darf.«

Himmel, man könnte meinen, der Mann wäre dumm, hätte sie nicht längst gewusst, was für eine Auffassungsgabe er besaß.

»Und davor?«

»Ich erinnere mich nicht.«

Makenna knirschte mit den Zähnen. Sie erinnerte sich nicht, weil dieser Schuft natürlich recht hatte. Um Hilfe zu bitten bedeutete für sie immer, mit einer Situation nicht selbst fertig werden zu können, und hatte den Beigeschmack, dass sie nicht stark genug wäre. Das war der einzige Grund, weshalb sie wegen der Sache mit Graeme nicht zu ihren Eltern gegangen war. Sie hatte ihr Schicksal getragen wie eine echte Maclaren, und letztendlich hatte sich herausgestellt, dass sie sich wie eine Närrin aufgeführt hatte.

Sie holte tief Luft, um Haltung zu bewahren, und schluckte dann herunter, was von ihrem Stolz noch übrig war. »Bezüglich meines Aufenthalts hier bin ich bereit, für meine Unterbringung und mein Essen zu arbeiten.«

»Ach ja?«, fragte Julien, und sein sinnlicher Mund verzog sich zu einem Lächeln.

Sie riss den Blick von seinen verruchten Lippen los. »Auf dem Land.«

Jetzt trat ein anderer Ausdruck in sein Gesicht, während er seinen Blick auf sie heftete. Er musterte sie so nachdenklich, als würde ihm eine Idee durch den Kopf gehen. »Kennen Sie sich mit Schafen aus?«

»Aye, Brodie betreibt Handel mit Schafwolle.«

»Sind Ihnen die Aufgaben eines Verwalters vertraut?«

»Stechen Bienen?«, entgegnete sie.

Er grinste. »Nur wenn man sie reizt.«

»Vielleicht sollten Sie sich dann vorsehen.«

Julien lachte, aber sein erleichterter Gesichtsausdruck war fast schon komisch. »Gut. Sie sind eingestellt, wenn Sie die Arbeit machen möchten.«

Sie wollte ihm nicht zeigen, wie sehr sie es wollte, und so schaute sie ihn nur ausdruckslos an. »Warum sind Sie eigentlich hier? Sollten Sie nicht in Paris in irgendeinem Ballsaal den Debütantinnen den Boden unter den Füßen wegreißen? Warum will sich ein so begehrter Lord wie Sie bis zum Hals in Mist und Jauche vergraben?«

»Weil ich Jauche und Mist vielleicht mag.« Er zuckte die Achseln, als sie ihn fassungslos anschaute. »Oder vielleicht auch, weil die frische Landluft besser für meine Mutter ist.« Julien hob seine Tasse und toastete ihr zu. »Auf unsere Zukunft.«

Sie runzelte die Stirn. »Das ist nur ein vorübergehendes Arrangement.«

»Natürlich«, stimmte er ihr mit leicht übertriebener Betonung zu.

Sie erstarrte. Sie kannte diesen Ton. Er bedeutete, dass Lord Julien Leclerc seinen Willen durchsetzen wollte. Das sanfte Lächeln, das er dann auch noch aufsetzte, gab ihr das Gefühl, am liebsten die Röcke zu raffen und aus dem Raum stürmen zu wollen. Aber das war etwas, das die alte Makenna getan hätte. Das kleine Mäuschen, das bei der leisesten Provokation die Flucht ergriff. Die neue Makenna war härter. Sie war bereits auf der Flucht. Sie war eine des Mordes angeklagte Flüchtige, der ein rachsüchtiger Clan und ein sadistischer Laird auf den Fersen waren.

Colin hatte bestimmt längst die Suche nach ihr in die Wege geleitet und würde nicht eher ruhen, als bis er sie gefunden hatte. Wenn sie Duncraigh jetzt verließe, wäre die Wahrscheinlichkeit hoch, dass man sie aufspürte, egal, in welche Richtung sie sich wandte. Wenn sie jetzt nach Brodie zurückgeschleift wurde … Makenna hatte schon früher Angst vor Colin gehabt. Aber nachdem sie ihn verärgert und gedemütigt hatte, würde seine Bestrafung noch viel schlimmer ausfallen.

Zweifellos hatte sie das größere Übel hinter sich gelassen und war nicht mit dem Mann vergleichbar, der sie jetzt mit täuschend ruhiger Miene musterte.

Sie würde doch wohl mit einem arroganten Franzosen fertig werden, oder nicht?

Kapitel 3

Irgendwann im Laufe der zweiten Tageshälfte hatte eine riesige Standuhr ihren Weg ins Speisezimmer gefunden. Beim Frühstück war sie noch nicht da gewesen, als Julien mit Makenna die Rahmenbedingungen ihrer Stellung als Verwalterin besprochen hatte. Doch jetzt hallte das dumpfe Ticken im geschnitzten Mahagonigehäuse durch den ansonsten stillen Raum, während er und seine Mutter das Abendessen zu sich nahmen – gebratenes Lammfleisch mit Mintchutney, Kartoffeln, Rüben und Whiskysauce.

Bei der Uhr handelte es sich wohl um eins der Teile, die seine Mutter aus ihrem Zuhause in Paris mitgebracht hatte, obwohl Julien es nicht kannte. Es war kein Erbstück. Da war er sich sicher, denn davon gab es fast keine. Als er klein war, hatte seine Mutter alles verkauft, was sie aus ihrem früheren Leben als wohlbehütete, glückliche Tochter eines Grafen hatte mitnehmen können. Schmuck und Silber, Kleider und Ziergegenstände waren Stück für Stück in Francs umgetauscht worden, um nicht in echte Armut abzurutschen … zumindest für eine Weile.

Das Erbe von Juliens Vater war so schnell geschwunden wie ein Stein, den man ins Wasser wirft. Leichtsinn war zwar nicht der Grund gewesen, aber gesunder Menschenverstand hatte auch keine Rolle gespielt. Künstler waren einfach so – für sie standen Kunst, Inspiration und Gefühle an erster Stelle. Wenn Julien nur daran dachte, wie sein verstorbener Vater mit seiner Krankheit umgegangen war – wenn er sich denn überhaupt darum gekümmert hatte –, musste er schon mit den Zähnen knirschen. Der Muskel, der dafür zuständig war, zog sich doch tatsächlich im gleichen Rhythmus zusammen wie das Ticken der Uhr.

»Muss diese Uhr so unausstehlich sein?«, brummte er, während er die Kartoffeln und Rübchen auf seinem Teller hin und her schob.

Er war schon froh darüber, dass seine Mutter sich jetzt die Anschaffung lächerlich lauter, geschnitzter Standuhren leisten konnte. Himmel, wenn sie eine in jedem Raum von Duncraigh Castle aufstellen wollte, würde er nichts dagegen haben und sie lassen. Doch heute Abend stand es mit seiner Geduld nicht zum Besten. Und das lag nur an der geheimnisvollen und eigensinnigen Frau, die das Abendessen gerade in ihrem Zimmer zu sich nahm.

»Mir war gar nicht klar, dass ein mechanisches Gerät unangenehme menschliche Züge annehmen kann«, erwiderte seine Mutter vom anderen Ende der Tafel. Man hatte sie zwar verkürzt, damit die beiden nicht brüllen mussten, wenn sie sich unterhalten wollten, aber der Tisch wirkte immer noch zu lang und leer.