Der Retter von Roth - Amalie Howard - E-Book

Der Retter von Roth E-Book

Amalie Howard

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Beschreibung

Der Marquis von Roth besitzt einen berüchtigten Club in London - das Bild eines treusorgenden Ehemannes würde dazu nicht passen. Deshalb bemüht er sich das Bild des Schürzenjägers um jeden Preis aufrechtzuerhalten, was dazu führt, dass er seine Ehefrau weit entfernt auf seinem Landsitz zurücklässt. Es war eh keine Heirat aus Liebe, sondern der Schlüssel zu seinem Erbe. Und er hat keinerlei Interesse an dieser Frau.

Lady Isobel Vance ist es leid auf ihren Ehemann zu warten. Seit Jahren sitzt sie nun auf ihrem Landsitz fest. Aus der einstmals schüchternen Braut ist eine selbstbewusste Frau geworden, die eine anonyme Kolumne in einer der bekanntesten Zeitungen des Landes schreibt. Dann beschließt Isobel, zu ihrem Mann nach London zu reisen, um ihn mit all ihren Verführungskünsten endlich für sich zu gewinnen  …

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Über das Buch

Der Marquess of Roth besitzt einen berüchtigten Club in London und das Bild eines treusorgenden Ehemannes würde dazu nicht passen. Deshalb bemüht er sich das Bild des Schürzenjägers um jeden Preis aufrechtzuerhalten, was dazu führt, dass er seine Ehefrau weit entfernt auf seinem Landsitz zurücklässt. Es war eh keine Heirat aus Liebe, sondern der Schlüssel zu seinem Erbe. Und er hat keinerlei Interesse an dieser Frau.

Lady Isobel Vance ist es leid auf ihren Ehemann zu warten. Seit Jahren sitzt sie nun auf ihrem Landsitz fest. Aus der einstmals schüchternen Braut ist eine selbstbewusste Frau geworden, die eine anonyme Kolumne in einer der bekanntesten Zeitungen des Landes schreibt. Dann beschließt Isobel, zu ihrem Mann nach London zu reisen, um ihn mit all ihren Verführungskünsten endlich für sich zu gewinnen  …

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Über Amalie Howard

Amalie Howard ist USA Today- und Publishers Weekly Bestsellerautorin. Ihre Wurzeln liegen in Westindien und ihre Artikel über multikulturelle Belletristik sind in The Portland Book Review und auf Diversity in YA erschienen. Derzeit lebt sie mit ihrem Mann und ihren drei Kindern in Colorado.

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Amalie Howard

Der Retter von Roth

Übersetzt von Antje Althans aus dem amerikanischen Englisch

Inhaltsübersicht

Informationen zum Buch

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Kapitel Eins

Kapitel Zwei

Kapitel Drei

Kapitel Vier

Kapitel Fünf

Kapitel Sechs

Kapitel Sieben

Kapitel Acht

Kapitel Neun

Kapitel Zehn

Kapitel Elf

Kapitel Zwölf

Kapitel Dreizehn

Kapitel Vierzehn

Kapitel Fünfzehn

Kapitel Sechzehn

Kapitel Siebzehn

Kapitel Achtzehn

Kapitel Neunzehn

Kapitel Zwanzig

Kapitel Einundzwanzig

Kapitel Zweiundzwanzig

Kapitel Dreiundzwanzig

Kapitel Vierundzwanzig

Kapitel Fünfundzwanzig

Kapitel Sechsundzwanzig

Kapitel Siebenundzwanzig

Epilog

Danksagung

Impressum

Dieses Buch ist ein Roman. Alle Namen, Figuren, Schauplätze und Ereignisse sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit wahren Begebenheiten, Orten oder lebenden und toten Personen sind rein zufällig.

Meinen Golden Girls gewidmet

Kapitel Eins

England, 1819

War es nicht eigenartig, dass sie gar nicht das Gefühl hatte, verheiratet zu sein?

Ein Glas mit warmem Champagner in der Hand, den sie ganz vergessen hatte, blickte Lady Isobel Vance, die neue Marquise von Roth, zu dem hochgewachsenen wortkargen Adligen auf, der neben ihr auf der Terrasse stand. Der Marquis von Roth hätte ebenso gut eine Marmorstatue sein können wie ein Mann aus Fleisch und Blut. Bildschön. Unzugänglich. Undurchschaubar.

Ihr Ehemann.

Seine herabgezogenen Mundwinkel verliehen seinem nachdenklichen Gesicht mit den vollen Lippen einen finsteren Eindruck, und seine grauen Augen strahlten weniger Wärme aus als Steinsplitter. Er war alles andere als ein vernarrter Bräutigam. Bis auf das Ehegelübde hatte er nicht mehr als zwei Worte mit ihr gewechselt, seit sie aus der Kapelle getreten waren. Isobel kämpfte gegen ihr wachsendes Unbehagen und den Kloß im Hals an.

Sollte eine Braut an ihrem Hochzeitstag nicht zumindest ein Fünkchen Glück verspüren?

Andererseits war ihre Eheschließung mit Lord Roth recht plötzlich erfolgt. Während der vergangenen Monate, die sie mit ihrer Tante und ihrem Onkel in London verbracht hatte, war der Marquis ihr gegenüber charmant, höflich und zuvorkommend gewesen. Dass er sie nicht ganz unansehnlich fand, wusste sie. So wie sie den meisten Männern gefiel. Ihre Schwester Astrid hatte ihre Schönheit stets als Fluch beklagt, doch Isobel wusste sehr gut, dass Männer sich nach schönen Dingen sehnten. In ihrer Welt war Schönheit begehrt, ähnlich wie adelige Herkunft.

Und der Marquis von Roth war von außergewöhnlicher Herkunft.

Er war nicht nur betucht, gut aussehend und jung, sondern auch der Erbe des Herzogs von Kendrick. In jeder Hinsicht ein guter Fang. Und er war nicht der lüsterne Edmund Cain, Graf von Beaumont, der doppelt so alt war wie sie und schon versucht hatte, ihr den Rock zu lüften, seit sie im heiratsfähigen Alter war, vornehmlich nachdem er ihre eigene Schwester kompromittiert hatte. Die arme Astrid hatte damals London verlassen, bloß um sich seiner Rückkehr als Graf neun Jahre später – und seiner widerwärtigen Jagd auf Isobel – erwehren zu müssen, indem sie sich mit dem gefürchteten Herzog von Beswick vermählte.

Isobel hatte versucht, die Sache selbst in die Hand zu nehmen und sich einen Ehemann zu beschaffen, der nicht der Graf war. Doch der Falle des Grafen vollends zu entgehen, war ihr lediglich mit Beswicks Hilfe gelungen. Astrids vernarbter Herzog hatte nicht nur den Prinzregenten überredet, Roths Werbung um sie zu befürworten, sondern ihnen auch eine besondere Heiratserlaubnis beschafft.

Das Wort Dankbarkeit wurde ihren Gefühlen ihm gegenüber nicht einmal annähernd gerecht.

Sie war Beaumonts Klauen entkommen und hatte sich mit dem Marquis eine beneidenswerte Partie gesichert. Mit einem Mann, der schön und heldenhaft war. Adlig und ehrbar. Der perfekte Gentleman. Auf bestem Wege, sich in ihn zu verlieben, hatte sie mädchenhaft-unschuldig von einer glückseligen Zukunft mit ihm geträumt, voller Lachen und Freude, von einer Familie mit Kindern. Dass sie überglücklich würden.

Trotz der vagen Gerüchte über seine Abneigung gegen die Ehe war ihre Vermählung für sie ein Segen gewesen, und was ihn zu seinem Antrag veranlasst hatte, war für sie nicht von Belang, sondern lediglich, dass er erfolgt war.

Jetzt jedoch runzelte Isobel die Stirn.

Warum hatte er auf einmal beschlossen, sesshaft zu werden?

Auf ihre Mitgift war Roth nicht angewiesen. Soweit sie wusste, würde er ein sehr solventes Herzogtum erben. Sie hatte den Klatsch und Tratsch gehört, dass der Marquis den Ruf eines notorischen Lebemanns hatte, aber welcher junge Adelige war kein Schwerenöter? Ihre Tante hatte stets betont, dass geläuterte Frauenhelden die besten Ehemänner abgäben.

Isobel wusste nicht, ob das bei Roth der Fall wäre, hoffte allerdings, dass seine lasterhaften Tage vorbei waren. Ihr Vater war ihrer Mutter treu gewesen, und auch wenn Isobel wusste, dass sich viele Männer der feinen Gesellschaft Geliebte hielten, behagte ihr die Vorstellung gar nicht. Nicht, dass sie dabei ein Recht auf Mitsprache gehabt hätte. Eine Dame der Gesellschaft hatte ihre Pflicht zu erfüllen und einen Erben zu gebären, und selbst wenn ihr Ehemann sich anderweitig nach sinnlichem Vergnügen umsah, war das nicht von Bedeutung.

Bei seinem attraktiven Gesicht war es nicht schwer, sich den schneidigen Marquis von liebedienernden, einfältig lächelnden Frauen umringt vorzustellen. Sie warf ihm durch ihre Wimpern einen verstohlenen Blick zu und war prompt hingerissen. Im Vergleich zu ihm sah der ehrwürdige Prinzregentenfreund Beau Brummell wie eine hutzelige Kröte aus. Groß, breitschultrig und in hervorragender körperlicher Verfassung war Roth der Traum einer jeden Frau. Ihrer auch, wenn ihr hämmerndes Herz ein Wörtchen mitzureden hätte. Sogar im Profil betrachtet erhitzte seine kantige maskuline Schönheit ihre Wangen. Wohlgeformte Lippen, hohe Wangenknochen, dichtes braunes Haar, das ihm lockig in die hohe Stirn fiel, und funkelnde Augen in der Farbe eines Gletschers in einem Wintersturm. Sein Vorname passte perfekt.

Winter.

Denn momentan verkörperte er die kalte Jahreszeit.

Isobel unterdrückte einen kleinen Seufzer, nippte an ihrem warmen Champagner und zuckte zusammen. Sie hätte alles für ein Glas von dem Whiskey ihrer Schwester gegeben. Oder für französischen Brandy. Etwas mit ein bisschen mehr Schärfe, um ihr nachlassendes Selbstvertrauen zu stärken. Oder um die Kühle dieses Eisbergs von Ehemann abzuwehren. Womöglich hatte er andere Sorgen, vielleicht geschäftliche Probleme?

Entschlossen, das Beste daraus zu machen, holte sie tief Luft.

»Fühlen Sie sich wohl, Mylord?«, erlaubte sie sich, ihn leise zu fragen.

Seine grauen Augen trafen ihre, für einen Moment verwirrt, als wüsste er nicht, wer sie war oder was sie hier tat, als wäre sie irgendeine Kreatur, die er nicht kannte. Doch dann hellte sich sein Blick auf und drückte Wiedererkennen aus. »Ja, natürlich. Und Sie?«

»Ich bin wohlauf, danke.«

»Gut.«

Betretenes Schweigen machte sich zwischen ihnen breit.

So viel zu geistreicher Konversation. Isobel zog den Kopf ein und trank hastig den Rest ihres faden Champagners, während ihr Blick zu dem festlichen Treiben hinter den Terrassentüren huschte. Lady Hammertons Ball war in vollem Gange, und Isobel wusste, dass Astrid dort drinnen wäre. Wenigstens das.

»Wir … wir sollten vielleicht hineingehen«, schlug sie vor.

Der Marquis warf ihr einen schwer zu deutenden Blick zu, auch wenn sich sein Mund mit dem leisesten Anflug von Resignation verzog. »Ja, die Show muss weitergehen, nicht wahr?«

Sie blinzelte verwirrt. »Die Show, Mylord?«

Dann beugte er sich herab, um ihre Wange leicht mit seinen Lippen zu berühren. Es war eine zarte Liebkosung, die im Widerspruch zu seinem ironischen Ton stand und sie überraschte. Er atmete tief ein, als ob er an ihrer Haut röche. Seine Nase glitt an der Rundung ihrer Kieferpartie herab, bis sein Mund über ihrem Mundwinkel schwebte. Isobels Lippen öffneten sich bebend wie von selbst, eine unausgesprochene Einladung, die er nicht annahm.

Küss mich, hätte sie am liebsten gefleht.

Aber sie tat es nicht. Doch um ihm zu zeigen, wonach sie sich sehnte, hob sie ihm das Kinn entgegen, und der Marquis zog den Kopf zurück und starrte sie mit einer seltsamen Mischung aus Verärgerung und Verlangen in seinen Augen an.

Isobel schluckte ihre Enttäuschung herunter. »Habe ich etwas falsch gemacht, Mylord?«

Es erschien ihr wie eine Ewigkeit, bis der kurze Anflug von Begehren nicht mehr zu sehen war. Nicht ein Fünkchen Wärme lag in seinem teilnahmslosen Blick. Jetzt war es keine Verärgerung mehr, wurde ihr klar, sondern erzwungene Gleichgültigkeit. Was aber konnte der Grund dafür sein?

»Nein«, murmelte er. »Das ist nur neu für uns beide.«

»Die Ehe?«

Er verzog verächtlich den Mund. »Bis dass der Tod uns scheidet, Liebste.«

Dieser Gedanke und das Kosewort hätten ihre Ängste zerstreuen sollen, aber durch den Zynismus, mit dem er diese Worte sprach, klangen sie nicht nach der Verbindlichkeit und der ehelichen Vereinigung, für die sie stehen sollten, sondern eher wie ein Fluch. Dann jedoch, erneut wie im Widerspruch zu sich selbst, nahm er ihre Hand und hob sie an seine Lippen. Ganz langsam streifte er mit dem Mund über ihre behandschuhte Hand, bis sie in jeder Fingerspitze das Pochen ihres Herzschlags spürte. Die Behutsamkeit der Berührung machte all ihre Sorgen zunichte.

Wenn er sie so berührte, würde alles gut.

Winter lehnte sich an die Samtpolsterkissen seiner Kutsche und machte es sich für die Fahrt zum Stammsitz seines Vaters in Chelmsford bequem, der zugleich sein Elternhaus und der einzige Ort war, an den er eine Ehefrau bringen konnte.

Verdammt. Nicht eine Ehefrau. Seine Ehefrau.

Großer Gott, wie seine Schwester gekichert hätte, wenn sie den großartigen Winter Vance in Fußschellen erlebt hätte.

Ich werde niemals heiraten!, hatte er als Zwölfjähriger mit stolzgeschwellter Brust verkündet. Mädchen sind lästig, genau wie görenhafte kleine Schwestern.

Prue hatte sein männliches Imponiergehabe nicht beachtet. Dann verfluche ich dich, meinen Lieblingsbruder, den schönsten Engel auf Erden zu heiraten.

Und hier saß er nun.

Verheiratet mit nichts anderem.

Winter zwang sich, sich auf die anstehende Aufgabe zu konzentrieren. Zu seinem privaten Besitz, Rothingham Gable, konnte er sich aus naheliegenden Gründen nicht begeben. Vor allem war dieses besondere Domizil in Anbetracht der einwöchigen Einladung, die gerade dort ausgerichtet worden war, nicht auf eine Lady Roth vorbereitet.

Er selbst war nicht einmal dabei gewesen. Rutland und Petersham und der Rest ihrer bunten Truppe hatten den Laden geschmissen, weil sie dringend etwas ungezügelte Zerstreuung auf dem Land gebraucht hatten, um die tödliche Langeweile der Londoner Ballsaison zu kompensieren. Doch auch wenn er sie manchmal vermisste, waren die Zeiten endloser Zerstreuung für ihn vorbei. Das war seit Prues Tod so. Nicht, dass irgendwer davon gewusst hätte … oder es auch nur jemandem aufgefallen wäre. Die Leute glaubten, was sie glauben wollten.

Winter warf seiner frischgebackenen Ehefrau einen Seitenblick zu, die versonnen durch das kleine Fenster nach draußen blickte, wo irgendetwas ihre Aufmerksamkeit erregt hatte. Ihr Profil war exquisit, perfekt in seiner Symmetrie, von der klassischen Stirn bis hin zu ihrer zierlichen Nase und dem rosa Rosenknospenschmollmund. Isobel war noch jung, soeben mit der Schule fertig, aber ihre außergewöhnliche Schönheit ließ sich nicht leugnen … genauso wenig wie seine Irritation darüber, dass er sich zu ihr hingezogen fühlte, was ihm gar nicht gelegen kam.

Großer Gott, diesen Mund hatte er schon auf der Terrasse korrumpieren wollen – ihn von jungfräulichem Rosa zu leidenschaftlichem Rot werden lassen. Dieses Verlangen hatte ihn überrascht. Der Geißblattduft ihrer samtigen Haut hatte ihn erregt. Als er ihren Mundwinkel gestreift und ihr unverhohlenes Begehren gesehen hatte, hatte ihn ein Blitz des Verlangens, der sich durch ihn gebohrt hatte, fast in die Knie gezwungen.

Genau wie jetzt.

Er riss seinen Blick von ihren verführerischen Lippen los und ließ ihn über die elegante Linie ihres Halses schweifen. Er stellte sich vor, die Haut dort zu schmecken, mit den Lippen über ihren flatternden Puls zu streichen und mehr von ihrem süßen Blütenduft einzuatmen. Winter verkniff sich ein Stöhnen. Später würde er zweifellos beides kosten … wenn von ihm erwartet wurde, seine ehelichen Pflichten zu erfüllen. Verflucht. Er würde sich unter Kontrolle halten müssen. Es routinemäßig erledigen. Und vor allem schnell. Der Akt war eine unumgängliche Pflicht, nichts weiter, denn er hatte so eine Ahnung, dass diese Frau sein Verderben sein könnte.

»Haben Sie sich über das Wiedersehen mit Ihrer Schwester gefreut?«, fragte er mit rauer Stimme. Nach ihrer Abreise hatten sie in Beswick Park haltgemacht. Lady Hammertons rauschendes Fest hatte bis in die frühen Morgenstunden gedauert.

Seine Frau fuhr zusammen und richtete ihre Aufmerksamkeit auf ihn. »Ja, natürlich, Mylord. Danke, dass Sie den Besuch arrangiert haben.«

»Nenn mich Winter«, sagte er.

Sie errötete. »Winter.«

Nun richtete seine Frau die volle Strahlkraft ihrer eisblauen Augen auf ihn, und einen Moment lang kam es ihm vor, als sei seine Haut von einem Blitz versengt worden. Doch aus diesem Blick strahlte auch ein nicht geringes Maß an Verliebtheit. Es brauchte nicht viel, um die schüchternen Blicke und ihr zartes Erröten zu deuten, wenn sie glaubte, er würde nicht hinschauen.

Und deshalb könnte es niemals funktionieren.

Er wollte Geschlechtsverkehr und einen warmen Körper; sie wollte Sonette und seine Seele.

Die nackte Wahrheit lautete, dass er heiraten musste. Eine Zweckehe war die Antwort sowohl auf Winters als auch auf ihre Probleme – und er hatte die Gelegenheit beim Schopfe gepackt. Der jüngste Testamentsnachtrag seines Vaters setzte fest, dass er, wenn er an seinem einundzwanzigsten Geburtstag nicht verheiratet wäre, den Rest seines Erbes erst in die Finger bekäme, wenn er dreißig wurde. Das war noch über ein Jahrzehnt hin! Der Club, den er mit seinem besten Freund, dem Herzog von Westmore, mithilfe des ersten Teils seines Erbes eröffnet hatte, steckte noch in der Anfangsphase. Da konnte alles Mögliche passieren.

Weshalb eine Ehe das geringere Übel wäre – es zahlte sich immer aus, vorbereitet zu sein.

Und Winter musste nicht einmal um eine Frau werben, Abende bei Almack’s ertragen oder sich um kuppelnde Mütter, Mitgiftjägerinnen und dergleichen sorgen. Isobel Everleigh war als stille, pflichtbewusste Braut die perfekte Wahl. Er hatte nicht vor, ein weiteres Opfer des Schicksals, der Liebe oder schöner Frauen zu werden. Er hatte zur Genüge erlebt, was die Ehe und finanzielle Abhängigkeit mit seiner eigenen Mutter und seiner Schwester gemacht hatten, um dieses tödliche Joch jemals für sich selbst zu wollen. Die Liebe machte Menschen schwach und töricht und trieb sie in den Wahnsinn oder noch schlimmer.

Und Isobel – wie perfekt sie als Braut auch sein mochte – stellte da keine Ausnahme dar.

Belustigung überkam ihn. O ja. Seine Schwester hätte sich totgelacht über das Dilemma, in das er sich selbst gebracht hatte, indem er sich mit einer faden, von ihm hingerissenen Debütantin mit romantischen Flausen im Kopf vermählt hatte.

Sie ist genau das, was du verdient hast, Win, hätte sie ihn aufgezogen. Der engelhafte Gegenpart zu deinem teuflischen Ich.

Momentan hätte der Teufel in ihm seine engelsgleiche Frau am liebsten nackt ausgezogen. Sie dazu gebracht, sich stöhnend zu winden. Sie mit Sünde korrumpiert.

»Wie ist Ihr Zuhause?«, unterbrach Isobel seine verdorbenen Gedanken mit sanfter Stimme. Er hätte sie viel lieber vor Lust schreien hören, während sie mit glasigen Augen den Kopf zurückwarf und ihre goldblonden Locken ihr über den Rücken fielen …

Verdammt. Hör auf damit.

Winter räusperte sich. »Kendrick Abbey ist ganz wie Beswick Park, denke ich. Hügellandschaft, Herrenhaus, Zierteiche, ein See, Pächter, das Übliche.« In dem Glauben, dass sie vielleicht das Faible ihrer Schwester für Pferde teilte, machte er eine ausladende Geste. »Sie können hier nach Herzenslust reiten.«

»Ich mache mir nichts aus Pferden.«

Er runzelte die Stirn. »Nein?«

»Ich bin als Kind einmal abgeworfen worden«, erklärte sie mit bezaubernder Schamesröte. »Meine Schwester bestand darauf, dass ich gleich wieder aufsteige, aber ich war viel zu ängstlich. Pferde machen mir Angst. Um ehrlich zu sein, wenn ich ein so riesengroßes, kraftvolles Tier besteige, rast mein Puls.«

Winter starrte sie an. Sein Stirnrunzeln verstärkte sich, während sein Puls einen Zahn zulegte. Mokierte sie sich etwa über ihn? Als er sie prüfend ansah, biss sich seine Frau auf die Unterlippe, und als sie sie wieder losließ, schweifte sein Blick zu jener befeuchteten prallen Stelle. Verdammt sei er, wenn er sie nicht schmecken wollte. Winter riss den Blick von ihrem Mund los und konzentrierte sich auf die grazile Form ihrer Nase. Ja, schon viel besser.

Wann war es in der Kutsche so heiß geworden? Es war verdammt nochmal wie im Backofen.

Er zerrte an seinem Kragen. »Was macht Ihnen denn dann Freude?«

»Ich mag Bälle«, antwortete sie schüchtern, und die ballförmigen Exemplare in seiner Hose pochten beifällig, obwohl sie nichts mit dem fraglichen Ereignis zu tun hatten. »Bei Lady Hammerton mit Ihnen zu tanzen, hat mir sehr gefallen.«

»Wirklich?« Seine Stimme klang selbst in seinen eigenen Ohren erstickt.

Isobel nickte. Ihre Zunge schoss heraus, um ihre Lippen zu benetzen, und Winter krallte sich an seiner Sitzbank fest. Alles, was sie tat und sagte, war so arglos und dabei so zutiefst erotisch, dass er es bis in die Knochen spürte. Herrgott nochmal, er musste sich zusammenreißen! Sie, die sich seiner sich verschlechternden Contenance gar nicht bewusst war, erwärmte sich nun dafür, das Schweigen zwischen ihnen mit Konversation zu füllen, während er in stummer Qual versank.

»Ich spiele auch gern auf dem Pianoforte, obwohl ich leider nicht sehr versiert darin bin. Meine Schwester wirft mir bisweilen vor, dass ich zu fest auf die Tasten einhämmere.«

Verflucht, sie konnte doch unmöglich nicht wissen, was sie ihm mit diesen aufreizenden Worten – besteigen, Bälle, hämmern – antat, aber ihr hübsches Gesicht blieb ernst und aufrichtig, kein Fünkchen Verschlagenheit darin.

Dann lag es nur an ihm; er war verloren im Morast der Unzüchtigkeit.

Roth, beherrsche dich, um Himmels willen.

»Noch etwas?«, presste er unter Anstrengung höflich hervor.

Sein Interesse ermutigte sie. »Ich sticke gern. Es ist ein wunderbarer, damenhafter Zeitvertreib. Auch wenn ich mich nur ungern von der langen, spitzen Nadel stechen lasse.«

Winter stieß einen erstickten Laut aus. Es nützte nichts. Sie würde ihn noch umbringen.

Die Kutschfahrt war eine ausgemachte Katastrophe gewesen. Ein komplettes Desaster. Trotz Isobels erneuter Bemühungen, mit ihrem Ehemann ein gesetztes Gespräch unter Erwachsenen zu führen, war sie grandios gescheitert. Der Marquis hatte sie finster angesehen, als sei er unentschlossen, ob er sie hochkant aus der Kutsche werfen oder sie mit seinen Blicken versengen und sie anstarren sollte, als wäre sie seine nächste Mahlzeit.

Aufgrund Letzteren war ihr unangenehm heiß geworden.

Würde so ihre Hochzeitsnacht ablaufen? Eine unangenehme Angelegenheit, in der sie ganz verschwitzt war, da sie nicht wusste, was sie erwartete? Obwohl sie in keiner Weise erfahren war, hatten diese begehrlichen Blicke Gefühle in ihr erweckt, von deren Existenz sie nicht einmal gewusst hatte – Atemnot, überhitzte Haut, Blut, das sich wie zähflüssiger Honig anfühlte, und das unerhörte Verlangen, sich quer durch die Kutsche zu werfen und seinen Körper zu erkunden.

Splitterfasernackt.

Gott sei Dank waren Gedanken Privatsache, obwohl sie sich sicher war, dass ihr einige davon vielleicht ins Gesicht geschrieben standen, weil er die Stirn runzelte und auf der Sitzbank ihr gegenüber unruhig hin und her rutschte. Zweimal hatte sie aus den Augenwinkeln wahrgenommen, wie sein Handballen in seinen Schoß drückte, doch sie hatte es nicht gewagt, den Blick weiter als bis unter sein Kinn zu senken. Es gehörte sich einfach nicht. Zumindest ihr Verhalten war untadelhaft, auch wenn es ihre Gedanken nicht waren.

Denn die waren über alle Maßen schamlos.

Als sie am frühen Abend endlich in Kendrick Abbey ankamen, grenzte es an ein Wunder, dass es Isobel gelungen war, ihre Contenance zu wahren.

»Geht es Ihnen gut, Mylady?«, fragte Winter, nachdem der Diener ihr auf dem gepflegten Vorplatz beim Aussteigen geholfen hatte. »Sie kommen mir … erhitzt vor.«

»In der Kutsche war es ganz schön warm«, antwortete sie, dankbar für die frische Luft. »Und ich bin nervös, Seine Gnaden kennenzulernen.«

»Das brauchen Sie nicht. Kendrick ist nicht hier. Er ist in Bath. Den Großteil seiner Zeit verbringt er auf seinem dortigen Anwesen und unterzieht sich einer Kur. Mit etwas Glück wird nur der ahnungslose Oliver anwesend sein.« Auf ihren fragenden Blick hin zuckte er mit den Schultern. »Mein Bruder.«

»Ach so«, sagte sie. Isobel hatte nichts von einem Bruder gewusst, doch es gab vieles, was sie über ihren frisch gebackenen Ehemann nicht wusste. Allerdings hatte sie noch jahrelang Zeit, um alles über ihn zu erfahren. Sie ergriff seine behandschuhte Hand und lächelte zu ihm auf. Er bedachte ihre vereinten Hände mit einem fragenden Blick, zog seine aber nicht weg. Isobel nahm das als gutes Omen, während sie ihr neues Zuhause und seine Bewohner begutachtete.

Die Dienstboten standen in Reih und Glied, um ihre neue Herrin zu begrüßen, und sie begrüßte jeden einzelnen von ihnen mit aufrichtiger Herzlichkeit, vom Butler über die Haushälterin bis hin zu den Dienern.

Später würde sie sie alle näher kennenlernen.

Einstweilen jedoch folgte Isobel ihrem Ehemann hinauf in ihre Zimmerflucht und nahm auf dem Weg so viel wie möglich vom imposanten Interieur der Abtei in sich auf, von den Gewölbedecken bis hin zu dem sorgfältig polierten Meublement. Isobel war Vermögen nicht fremd, doch dies hob ihre Wertschätzung für Wohlstand auf eine neue Ebene. In den Gemächern ihres Ehemannes gab es ein verschwenderisch ausgestattetes Schlafzimmer mit Verbindungstür. Die Ausstattung hier war genauso aufwendig wie im Rest des Hauses.

»Sind Sie hungrig?«, fragte Winter. »Ich habe Mrs Butterfield gebeten, Ihnen ein Tablett für ein frühes Abendessen heraufzuschicken. Ich habe auch nach der Kammerzofe geklingelt, damit sie Ihnen ein Bad einlässt.« Mit unergründlichem Blick hielt er auf der Türschwelle inne. »Derweil muss ich meinen Bruder ausfindig machen und ihn ins Gebet nehmen, weil er nicht hier war, um uns ordnungsgemäß zu empfangen. Ich bin bald wieder zurück.«

Isobel lächelte ihm sanft zu. Sie war ihm für seine Zuvorkommenheit dankbar und gleichermaßen froh, dass er nicht darauf bestand, dass sie ihn begleitete. Sie war sowieso schon ein Nervenbündel, da sie wusste, dass ihre Hochzeitsnacht unmittelbar bevorstand. Ein Bad und eine Mahlzeit wären da sehr hilfreich.

Stunden später war sie mit beidem fertig, doch obwohl sie das köstliche Mahl allein eingenommen hatte – Winter war noch nicht zurück –, konnte Isobel sich nicht entspannen. Sie war zum ersten Mal an einem fremden Ort, was es ihr unmöglich machte. Nachdem sie in ihr Nachthemd geschlüpft war, war sie in das riesige Bett gestiegen. Hätte Winter sie lieber unter der Decke? Oder darauf? Überhaupt im Bett? Um sich abzulenken, versuchte sie in einem Buch zu lesen, dass sie mitgebracht hatte, konnte sich aber nicht konzentrieren. Sie war viel zu nervös.

Wo war ihr Ehemann? Würde er zu ihr kommen?

Ruhelos glitt sie aus dem Bett und trat ans Fenster, wo der Vollmond sein silbriges Licht über den Park warf, der von ihrem Zimmer aus zu sehen war. Astrid und sie hatten als Kinder immer so getan, als seien sie Elfen, die unter dem Mond tanzten. Wie damals überkam sie nun der Drang, barfuß nach draußen zu rennen, das Gras unter ihren Zehen zu spüren und sich so lange im Kreis zu drehen, bis ihr so schwindelig war, dass sie hinfiel. Bei dieser drolligen Erinnerung musste sie unwillkürlich lächeln.

Die Haut in ihrem Nacken kribbelte. Sie unterdrückte einen Schrei und fuhr herum.

Der Marquis von Roth stand an der Verbindungstür und beobachtete sie.

Isobel errötete, weil ihr bewusst wurde, dass das Mondlicht, das durch die Fensterscheiben fiel, ihr hauchdünnes Nachtgewand fast durchsichtig machte. Sie wollte schützend die Arme vor sich verschränken, hielt jedoch inne, als Winter mit rauer Stimme sagte: »Nicht!«

Folgsam ließ Isobel die Arme sinken. Ihre Nervosität kehrte mit voller Macht zurück, als er sich ihr näherte und erst stehen blieb, als er noch eine Armeslänge von ihr entfernt war – dunkel, groß und Unheil verkündend. Das Mondlicht erfasste nun auch sein Gesicht, goss seine kantigen Gesichtszüge in silbrige Schatten. Er war leger gekleidet, stellte sie atemlos fest, während ihr Blick über seinen kräftigen Hals über dem geöffneten Kragen schweifte. Sein Hemd war aus seiner Hose gezogen, seine Füße skandalös nackt.

»Ich habe gewartet«, murmelte sie, als er nichts sagte.

»Ich hoffe, alles war zu deiner Zufriedenheit?«

Isobel nickte und war plötzlich schüchtern. »Ja. Danke, Mylord.«

»Winter.«

Unfähig, ihn in einem so intimen Rahmen beim Vornamen zu nennen, biss sie sich auf die Unterlippe. Er starrte sie eine gefühlte Ewigkeit an, bevor er näher zu ihr trat, und als sich seine Hände um ihre Taille schlossen, schnappte sie nach Luft. Seine große Handfläche glitt nach unten, um ihre Hüfte zu streicheln. Empfindungen durchströmten ihren unerfahrenen Körper; ihre Brustwarzen richten sich unter dem Spitzennachthemd auf. Um dem ordinären Stöhnen, das in ihr aufstieg, nicht nachzugeben, biss sie fest die Zähne zusammen.

»Weißt du, was auf dich zukommt?«, fragte er. »Hat deine Schwester oder deine Mutter dich über die Hochzeitsnacht in Kenntnis gesetzt?«

»Ja, meine Tante hat es mir erklärt«, flüsterte Isobel. Sie wollte auf keinen Fall zugeben, dass die Unterweisung, die sie von ihrer Tante Mildred erhalten hatte, bestenfalls dürftig gewesen war, auch wenn sie eine allgemeine Vorstellung vom Geschlechtsakt hatte und was er mit sich brachte. Er würde sie ausziehen. In sie eindringen. Sie mit seinem Samen füllen. Der Vorgang klang schon in der Theorie furchtbar. Sie schluckte heftig, während sich ihre inneren Muskeln verkrampften.

»Hab keine Angst«, beschied er sie.

Damit löste er die Bänder an ihrem Hals und ihren Handgelenken, und das hauchdünne Gewand glitt zu Boden. Isobel hielt den Atem an und kämpfte gegen ihre Scham an, während er ihren nackten Körper auf sich wirken ließ. Sein Gesicht war so hart wie aus Stein gehauen. In seinem steifen Kiefer zuckte ein Muskel.

»Beim ersten Mal kann es wehtun«, sagte er. »Aber ich versuche, es so schmerzlos wie möglich zu machen.«

Mühelos hob der Marquis sie hoch und trug sie zum Bett; sie rutschte ein Stück zurück, bevor er sich seiner eigenen Kleidung entledigte und sich auf sie legte. Es war nicht genug Platz, um einen guten Blick auf irgendetwas zu erhaschen, aber Grundgütiger, sie konnte sein heißes Glied an ihrem Schenkel spüren. Doch statt Angst löste es Verlangen in ihr aus.

Sollte ihre Atmung so flach sein? Ihr Herzschlag so schnell? Die Heftigkeit ihrer Gefühle machte sie ganz benommen. Erneut zogen sich ihre inneren Muskeln zusammen, nur dass der Grund diesmal nicht Furcht, sondern Erregung war. Isobel blieb keine Zeit, um irgendetwas davon zu verarbeiten, ehe er sich zu ihr beugte und seine leicht geöffneten Lippen auf ihren Hals drückte. Ihre Nervosität war vergessen, als ihre Haut bei der sinnlichen Berührung brannte, während seine Zunge über ihre Haut strich.

Das langsame, sinnliche Lecken war ganz anders als der keusche, flüchtige Kuss, den er ihr in der Kapelle gegeben hatte, oder als der Beinahe-Kuss auf der Terrasse, aber sie beklagte sich nicht. Er biss sie ins Ohrläppchen, sog es in seinen Mund, und ihr ganzer Körper erschauderte. Du lieber Gott, das war nicht einmal Küssen, das war … das war … ein Verschlingen. Bei dem Gedanken, dass sein Mund auf ähnliche Art und Weise über ihren Körper wandern würde, verdrehte sie fast vor Lust die Augen.

Würde er das tun?

Als hätte sie den Wunsch laut geäußert, setzte er seinen Weg unterhalb ihres Kinns fort, bis Isobel aufstöhnte und die Hände nach oben nahm, um in die Haare ihres Ehemannes zu greifen, während sie seinem Geschick erlag. Herrjemine, sie hatte sich noch nie so lebendig gefühlt, noch nie so unruhig. Jeder Muskel ihres Körpers spannte sich an und zitterte, als Winter mit feuchten, warmen Lippen die Vertiefung zwischen ihren Brüsten erreichte. Ihr war ganz schwach von der Lust, die sich in ihrem Bauch wand, ihr Hirn benebelt. Konnte man an einem solchen Gefühl sterben? Das war bestimmt möglich.

Wenn er sie bloß noch einmal leckte, noch einmal sündhaft gefährlich biss, wäre sie erledigt.

Ihr entfuhr ein Wimmern. »Winter.«

Kühle Luft wehte auf die feuchte Haut ihres Körpers, als er sich von ihr löste. Ein hitziger Blick bohrte sich in ihren. Wollte er etwa aufhören? Sich zurückziehen? So grausam wäre er doch wohl nicht? Er hatte ihr schließlich gesagt, sie sollte ihn beim Vornamen nennen!

Aber mit einem gequälten Knurren senkte sich sein Mund auf die Stelle, wo er aufgehört hatte, bewegte sich küssend an ihrem Körper herab und verweilte dabei über ihren Brüsten, bis sie sich sicher war, verrückt zu werden. Er schob sich über sie, und jetzt konnte sie nicht mehr klar denken. Sie bestand nur noch aus Verlangen und nackter Begierde. Als sein Körper endlich in sie glitt, zwackte es, doch seine sorgsame Vorbereitung hatte ihm den Weg geebnet.

»Halt still«, krächzte er. Seine Stimme war vor Anspannung ganz heiser, während er heftig atmete. »Gewöhn dich an mich.«

Es lag nicht so sehr an seinen Worten als vielmehr an seiner Rücksichtnahme, dass sie dahinschmolz. Nachdem sie sich ihm angepasst und ihn in sich aufgenommen hatte, schnappte Isobel nach Luft, als er sich in ihr zu bewegen begann, sich fast ganz zurückzog, bevor er langsam wieder hineinglitt.

»Ist das zu viel?«, fragte er.

»Nein, Winter, du bist genau richtig.«

Er hielt inne, doch ihr blieb keine Zeit, von dem Geständnis, mit dem sie herausgeplatzt war, peinlich berührt zu sein, ehe er die Bewegung wiederholte und sie nach Luft rang. Mit jedem Mal fühlte es sich besser an. Mit jedem einzelnen Stoß steigerte sich das Gefühl in ihr, bis er zwischen sie griff, um eine Stelle zu liebkosen, die bewirkte, dass sie Sterne sah, und sie schrie auf, als die Lust sie übermannte.

Wenige kurze Stöße später stöhnte Winter etwas, was wie ihr Name klang, obwohl sie sich nicht sicher sein konnte. Sein massiger Körper zog sich gänzlich von ihr zurück und versteifte sich, als er, wie sie vermutete, seinen eigenen Höhepunkt erreichte. Schwer atmend sackte er nach vorn und bedeckte sie ganz. Es war ein auf merkwürdige Art schöner, wenn auch nur kurzer Augenblick.

Ihr Ehemann erhob sich von ihr. Einen Moment lang trafen sich ihre Blicke; in seinem war ein Aufflackern von Erschütterung erkennbar, bevor er sich von ihr wegrollte. Isobel empfand es nicht als Herabwürdigung, als er aufstand und nach seiner Hose griff. Sie dachte lediglich an die Zartheit seiner Berührungen und an die Zärtlichkeit, die er im Umgang mit ihrem unerfahrenen Körper an den Tag gelegt hatte. Ihr Ehemann musste sie gernhaben, wenn er so behutsam und rücksichtsvoll mit ihr umging.

Isobel kuschelte sich zufrieden ein und lächelte vor sich hin.

Eines Tages, vielleicht schon bald, würde sie ihm ihre Liebe gestehen.

Kapitel Zwei

CHELMSFORD, ENGLAND

DREI JAHRE SPÄTER

Ach, wie sie diesen verdammten, niederträchtigen Laffen hasste!

Der frische Morgenwind löste die Nadeln aus Isobels Frisur. Ihre goldblonden Locken peitschten ihr ins Gesicht, während sie mit halsbrecherischer Geschwindigkeit leicht verschwitzt durch die Moore galoppierte. Sie trieb ihre Stute Hellion zu noch schnellerem Tempo an. Irgendwo hinter sich nahm sie eine Stimme wahr, die nach ihr rief, doch sie konnte jetzt nicht mehr umkehren. Ihr erhitztes Gemüt ließ sich durch nichts als einen erschöpfenden Ritt abkühlen.

Laut der Nachrichtenblätter, die sie an jenem Morgen gelesen hatte, ging ihr Ehemann in London wieder seinen anrüchigen Eskapaden nach, während sie, das arme, bedauernswerte – samt unzähliger anderer wenig schmeichelhafter Adjektive – Landei von Ehefrau in frommem, treu ergebenem Schweigen zu Hause blieb.

Von wegen treu ergeben.

Dieser Schuft hatte sie hier sitzen lassen.

Nach der Hochzeit hatte Isobel angenommen, dass sie und Winter gemeinsam in Chelmsford leben würden. Immerhin war es die herzogliche Residenz seines Vaters und sein Familiensitz. Die alte Bitterkeit, die sie tief in sich vergraben hatte, stieg wieder in ihr auf. Wie töricht und gänzlich naiv sie doch gewesen war! Ihr fürsorglicher frischgebackener Gemahl hatte sie beschlafen und dann verlassen.

Noch. In. Derselben. Nacht.

Daraus hatte sie gefolgert – wenn auch erst nach vielen vergossenen Tränen und dem Zerschellen ihrer rosaroten Brille –, dass ihr Göttergatte vielleicht doch nicht eine so große Zuneigung für sie empfunden hatte wie sie für ihn. Dass das, was für sie so besonders gewesen war, ihm rein gar nichts bedeutet hatte, weil er sich unmittelbar nach getaner Pflicht davongestohlen hatte wie ein Dieb in der Nacht.

Isobel fluchte wütend, während die Hufe ihrer Stute auf die Erde einschlugen und die dringend benötigte Distanz zwischen ihr und diesen verflixten Nachrichtenblättern im Herrenhaus herstellten. Es war ein wunderschöner Tag mit wolkenlosem Himmel, aber Isobel nahm davon kaum Notiz, so konzentriert war sie darauf, ihrem Zorn davonzujagen.

Anfangs hatte sie noch geglaubt, Winter bliebe nur einen Tag oder auch zwei fern. Sie hatte wochenlang wie eine liebestrunkene Närrin auf ihn gewartet, bis Mrs Butterfield sich ihrer erbarmt und ihr erklärt hatte, dass der Marquis mit seinen Geschäften in London sehr beschäftigt sei und nur sehr selten nach Kendrick Abbey käme. Und wenn er doch aufs Land käme, hätte er in Chelmsford sein eigenes Anwesen – Rothingham Gable.

Selbst dann noch war sie so unerträglich naiv gewesen, dass sie sich gefragt hatte, warum ein Ehemann seine neue Gemahlin lieber auf dem herzoglichen Sitz seines Vaters zurückließ als auf seinem eigenen.

Vielleicht nahm er Restaurierungen vor.

Vielleicht wollte er sie überraschen.

Vielleicht, vielleicht, vielleicht.

Wenige Monate später hatte sie von einem geschwätzigen Dienstmädchen die unangenehme Wahrheit erfahren: Ihr heldenhafter, ehrenwerter, großmütiger Ehemann war offenbar wohlbekannt dafür, dass er auf Rothingham Gable wilde mehrtägige Einladungen ausrichtete. Zechgelage, hatte das Dienstmädchen ihr mit ersticktem Kichern anvertraut. Natürlich war all das lange vor ihrer Hochzeit gewesen, hatte das Dienstmädchen ihr hastig versichert.

»Natürlich«, hatte Isobel es ihr tief betrübt nachgeplappert.

Jetzt, drei Jahre und fünf Monate später, in denen der Marquis per Brief lediglich über das Allernötigste mit ihr kommuniziert hatte, hatte sie aus den Londoner Klatschblättern mehr über ihren vagabundierenden Gatten erfahren als von dem Mann selbst. Isobel hatte genug. Diesmal hatte er sich angeblich im Morgengrauen duelliert. Ausgerechnet wegen einer Opernsängerin.

Mit finsterem Gesicht ritt sie langsamer und stieg ab, damit Hellion sich abkühlen und grasen konnte.

Wie konnte er es wagen, sie derart zu missachten?

Als Marquise von Roth hatte sie sich nicht unterkriegen lassen und so getan, als sei ihr liebloser Ehemann gar kein so Riesenesel. Sie hatte sich in Geduld geübt. Sich an ihr Ehegelübde gehalten. Seine Wünsche respektiert. Seine Eskapaden als jugendliche Torheiten abgetan. Den Schmerz verborgen, den er ihr durch sein kaltherziges, böswilliges Verhalten zugefügt hatte. Sich eingeredet, dass er schlussendlich, wie alle hochgeborenen Männer von Stand, zur Besinnung kommen und einen Erben benötigen würde. Dann hätte sie eine Familie, auch wenn ihr Lebemann von Gemahl nicht darin eingebunden sein wollte.

Irgendwann einmal.

Irgendwann einmal war nie eingetroffen. Isobel schluckte ihre Verbitterung herunter und lief ruhelos hin und her. Der satte Geruch von Gras und Erde trug wenig zu ihrer Beruhigung bei. Selbst das fröhliche Lachen der Kinder der Hofpächter am Fuße der Anhöhe entlockte ihr kein Lächeln.

Während Jahr um Jahr verging, hatte sie sich eingeredet, nicht jeden Monat kreuzunglücklich zu sein, den sie eingepfercht verbrachte wie eine vergessene Stute, die man auf die Weide gestellt hatte, nur mit ihrem Pianoforte und ihren unnützen Fähigkeiten zur Beschäftigung. Isobel erinnerte sich mit großer Scham daran, was sie vor Jahren affektiert zu ihrer Schwester gesagt hatte: Eine junge Dame sollte versiert in den weiblichen Künsten sein. Musik, Tanz und Ähnliches.

Tja, nun musste sie die bittere Pille schlucken. Als sie noch jünger und grün hinter den Ohren war, hatte ihr nie jemand erklärt, was Ähnliches zu bedeuten hatte. Wenn es hieß, mit einem Ehemann zurechtzukommen, der seine Frau in Chelmsford hatte sitzen lassen, um in London herumzuscharwenzeln und den ewigen Junggesellen zu geben, dann wäre sie in dieser Angelegenheit Expertin.

»Er wird diese Phase hinter sich lassen, Liebes«, hatte Mrs Butterfield sie beruhigt. »Alle Männer stoßen sich die Hörner ab.«

Also hatte sie ihn sich die Hörner abstoßen lassen. Aber jetzt reichte es.

Ein verdammtes Duell. Wegen eines Weibsstücks, das nicht seine Frau war.

Isobel ballte die Hände zu Fäusten und starrte blind über die Dächer der Pächterhäuschen zur Turmspitze der Dorfkirche in der Ferne. Clarissa, ihre liebste Freundin und Gesellschafterin, hatte angedeutet, dass einige der Berichte über Glücksspiel und wüste Gelage unwahr sein könnten – schlüpfrige Geschichten brachten schließlich hohe Auflagen. Doch an einigen der Geschichten musste ein Quäntchen Wahrheit sein. Isobel hatte geglaubt, gegen die Eskapaden ihres Mannes unempfindlich geworden zu sein, aber so war es eindeutig nicht.

Zorn und Schmerz wallten in ihr auf.

»Verdammt nochmal, Weib!«, keuchte Clarissa, als sie ihr schweißbedecktes Pferd zügelte und dort zum Stehen brachte, wo Isobel am Rande der Anhöhe mit Blick auf den See stand. »Ich hätte dir nie das Reiten beibringen sollen.«

Ihre beste Freundin stieg verschwitzt ab. Ihre zerzausten dunklen Locken standen in alle Himmelsrichtungen, und ihre grünen wissenden Augen waren voller Mitgefühl und Zorn. Als Isobel sie begrüßte, waren ihre Augen trocken. Sie hatte schon genug Tränen für diesen feigen Hallodri von Ehemann vergossen. Er verdiente keine Träne mehr von ihr, keine einzige.

»Ich nehme an, du liest die Nachrichtenblätter«, sagte Isobel. Um den heißen Brei herumzureden, war nicht nötig. Es gab lediglich einen Grund, warum ihre Freundin sie auf ihrer wilden Jagd vom Haus verfolgt hatte.

Clarissa nickte und schwieg. Nach drei Jahren geteilter Geheimnisse, insbesondere den niederträchtigen Roth betreffend, wusste sie nur allzu gut, wann sie es Isobel zugestehen musste, Dampf abzulassen. Sie hatte sich ihre eigene Meinung über Isobels Schuft von Ehemann gebildet, doch zu solchen Gelegenheiten war sie die besonnenere von ihnen beiden.

»Sie bauschen alles auf«, sprach Clarissa beruhigend auf sie ein. »Das weißt du selbst. Diese abscheulichen Lügner schreiben, was sie wollen.«

»Aber wenn es so wäre, warum widerruft Roth es dann nicht?«

»Vielleicht amüsiert es ihn? Männer machen sich um solche Dinge keine Gedanken.«

»Solche Dinge?«, wiederholte Isobel. »Er hat sich duelliert, Clarissa. Ausgerechnet wegen Contessa James.«

Clarissa verzog das Gesicht. »Vielleicht lebt er sich aus«, deutete sie milde an.

»Er ist ein erwachsener Mann. Wie viel muss er sich denn noch ausleben?«

»Männer reifen anders als Frauen«, antwortete ihre Freundin mit Engelsgeduld, die sonst oft erst sprach und dann nachdachte. »Und er hat sich nie vom Tod seiner Schwester und seiner Mutter erholt – das weißt du so gut wie ich. Alle wissen, dass ihn das furchtbar mitgenommen hat. Aus dem Grund verstehen er und der Herzog sich auch nicht.«

»Trauer sollte einen Mann nicht zu einem absoluten Kotzbrocken machen.«

In Clarissas Blick funkelte widerstrebende Anerkennung, und ihre Mundwinkel zuckten vor Belustigung über die originelle Beleidigung. »Das Fluchen hätte ich dir auch nicht beibringen sollen.«

»Du hättest mir vieles nicht beibringen sollen.«

Clarissa war die Tochter von Mr Bell, dem Privatanwalt des Herzogs von Kendrick, und die jüngste von sechs Geschwistern, das einzige Mädchen. Seit sie und Isobel einander vor fast dreieinhalb Jahren vorgestellt worden waren, waren sie unzertrennlich, und alles, was Clarissa von ihren wilden Brüdern lernte, hatte sie Isobel beigebracht.

Und das hieß wirklich alles.

Isobel war so behütet aufgewachsen, dass sie, als das unverbesserliche, ungestüme und viel zu freche Mädchen sie mit einem anzüglichen Grinsen gefragt hatte, ob sie schon in anderen Umständen wäre, große Augen gemacht hatte und ihr der Mund offen stehen geblieben war. »Dafür reicht ein Mal aus«, hatte ihre neue Freundin wissend gesagt. »Um geschwängert zu werden.«

»Nein«, hatte Isobel entrüstet entgegnet. »Ich glaube nicht.«

»Wie waren die Küsse?« Sie hatte sie neugierig angesehen. »Hast du ihm die Zunge in den Mund gesteckt?«

»Nein!«

Seit der ersten wichtigen Lektion – wie Kinder gezeugt wurden – errötete Isobel nicht mehr. Das war gelinde gesagt aufschlussreich gewesen. Dabei hatte Isobel eine durchaus sinnliche Einführung in die ehelichen Beziehungen mit ihrem Schuft von Ehemann gehabt, wenn auch eine Vereinigung, die keine Frucht getragen hatte. Mit voller Absicht, wie sie in Erfahrung gebracht hatte, da der Marquis sich zurückgezogen und sich stattdessen auf die Laken ergossen hatte. Doch vielleicht war auch das Glück im Unglück gewesen.

Aber Glück im Unglück oder nicht, Isobel konnte nicht leugnen, dass sie tief in ihrem Inneren den Wunsch nach eigenen Kindern und nach einer eigenen Familie verspürte, um die sie sich eines Tages kümmern könnte.

Zum Glück hatte sie Clarissa, den einzigen Lichtblick in einem Leben, das einsam und trostlos zu werden versprach. Von dem Zeitpunkt an hatte ihre selbstberufene beste Freundin sie ermutigt, sie alles zu fragen, wirklich alles. Und da es viel zu beschämend war, gewisse Fragen laut auszusprechen, entschied sich Isobel dafür, geheime Briefe zu verfassen, auf die Clarissa heiter Antworten mit anstößigen und anschaulichen Details lieferte.

Nach ihrem ersten Brief mit der Frage, wie man einen Mann richtig küsste, hatte die lausbübische Clarissa mit einem skandalösen Meisterwerk geantwortet, das ausschließlich den Tücken des Küssens gewidmet war – Zungen, Spucke und fischartig gespitzte Lippen inklusive –, woraufhin die zwei Mädchen sich vor Lachen ausgeschüttet hatten.

Schlussendlich hatte sich das, was als ein ungehöriger, aber lehrreicher Briefwechsel begonnen hatte, als überraschender Glücksfall erwiesen. Isobels Schwester Astrid, die selbst Schriftstellerin war, hatte einen Blick auf den Stapel aus skandalösen, freimütigen Briefen geworfen, war in Gelächter ausgebrochen und hatte sie ihrem Verleger geschickt. Obwohl Astrid selbst mit der unverbrüchlichen Unterstützung ihres Ehemannes zumeist Essays über Frauenrechte veröffentlichte, hatte ihr visionärer Herausgeber in den Liebste Freundin-Briefen eine Gelegenheit erkannt. Das war der Beginn von Die verwegene Lady Darcy gewesen.

Natürlich vollkommen anonym.

Besagter Verleger wollte dafür nicht ins Gefängnis wandern.

Lady Darcys sofortiger Erfolg hatte sie alle überrascht. Wie sich herausstellte, war sündhafter Rat an Damen der besseren Gesellschaft ein schockierendes Novum gewesen, und die kleine, unbedeutende Publikation war sofort zu trauriger Berühmtheit gelangt. Von Rezepten über Gobelinstickerei und körperliche und seelische Intimität bis hin zu skandalösen erotischen Ratschlägen blieb nichts unkommentiert, kein Thema unberührt. Die freimütigen Beiträge pfiffen auf Sitte und Anstand, doch die Leser gierten nach mehr.

»Ich sollte Lady Darcy einen Brief über das Ausweiden nichtsahnender Ehemänner schreiben lassen«, sagte Isobel und fügte grinsend hinzu: »Und wie man eine Leiche versteckt, ohne ertappt zu werden.«

Clarissa kicherte. Ihre Augen funkelten fröhlich. »Dafür müsste ich ein paar Nachforschungen anstellen, aber warum nicht? Ich wette, unsere Leser wären begeistert. Was hältst du von Ein Gattenmord-Leitfaden für Damen?«

Während Isobel mit ihrer Freundin lachte, ließ ihre Wut langsam nach. Sie konnte immer darauf zählen, dass Clarissa sie zum Lachen brachte.

Das Donnern von Hufen unterbrach ihre Belustigung.

»Ihre Ladyschaft!« Ein keuchender Stallbursche kam auf sie zugeritten.

Isobel setzte eine ernste Miene auf. »Was gibt es, Randolph?«

»Seine Gnaden ist eingetroffen!«

Herrje, die Ankunft ihres Schwiegervaters war ihr vollkommen entfallen!

Eigenartigerweise hatte Isobel über die Jahre eine Schwäche für den Herzog entwickelt. Da sie ihre Eltern durch einen furchtbaren Kutschenunfall verloren hatte, hatte sie sich zu dem stoischen Mann hingezogen gefühlt. Neben ihrer Schwester, die ihr eigenes Leben führte, war Kendrick ihr einziger Angehöriger. Im Laufe der Zeit war aufgrund ihrer gemeinsamen Liebe zur Musik eine Bindung zwischen ihnen entstanden, ebenso wie aufgrund einer schmerzlichen Beziehung, die ihnen beiden zu schaffen machte – zu seinem ihm entfremdeten Sohn und ihrem ihr gleichermaßen entfremdeten Ehegatten.

Isobel trat zu Hellion, die auf der Wiese graste, und sah Clarissa wütend an. »Du hättest mich daran erinnern können«, warf sie ihr ohne viel Nachdruck vor.

»Wie hätte ich das tun sollen, wo ich es doch selbst vergessen habe.«

»Ein schöne Freundin bist du. Komm mit.«

Clarissa schüttelte den Kopf. »Keine Chance. Gib dich mal schön allein mit dem höhnischen Herzog ab. Er hasst mich regelrecht. Außerdem muss ich mein Pferd und meinen wunden Hintern abkühlen, nachdem ich in der letzten halben Stunde deinem Schatten nachgejagt bin.«

»Er hasst dich nicht.«

Clarissas Augenbrauen schossen nach oben. »Er hat mich einen geistlosen Quälgeist genannt, Izzy.« Sie riss die Augen auf, während sie sich theatralisch ans Herz fasste. »Geistlos. Ich? Wissen nicht alle, dass ich die unerklärte Göttin der Geistreichen bin? So eine Schande!«

Isobel schnaubte verächtlich. »Du nimmst den Mund ganz schön voll.«

»Na, du weißt ja, was man über mehr als einen Mund voll sagt.«

»Nein, meine Liebe«, sagte Isobel mit belustigt zuckenden Mundwinkeln. »Was sagt man denn?«

Clarissa tippte sich mit dem Finger an die Lippen. »Etwas, was ich für unseren nächsten Stoß Briefe in Betracht ziehen muss. Apropos, ich sollte gleich damit anfangen. Mehr als einen Mund voll ist doch ein einprägsamer Titel, nicht wahr? Oder vielleicht Bananen verschlingende Damen.«

»Clarissa!« Hitze flutete Isobels Wangen. Manchmal trieb es ihre beste Freundin zu weit.

»Was ist? Das ist ganz natürlich, jedenfalls verkünden das meine Brüder unter dem Siegel der Verschwiegenheit. Ich wette, es gefällt allen Männern.« Sie rümpfte die Nase. »Sogar dem Herzog. Vielleicht sollten wir ihm eine Ausgabe zusenden und sehen, ob wir ihn zum Lächeln bringen können?«

»Das würdest du nicht tun!«

Isobel biss sich auf die Unterlippe. Wenn der Herzog eine Ahnung von ihrem geheimen Leben als Lady Darcy hätte, würde er zusammenbrechen. So gern er sie auch mochte, Lady Darcys Machenschaften gehörten sich nicht für eine Dame der besseren Gesellschaft. Der Herzog war ein pingeliger Mann, der es mit Anstandsregeln äußerst genau nahm.

Ehrlich gesagt schätzten nicht viele Menschen ihren Schwiegervater. Doch unter der unnahbaren, grüblerischen Zurückhaltung hatte er ein Herz, das heftig für seine Söhne schlug, auch wenn sein Erstgeborener davon überzeugt zu sein schien, dass der Herzog der Teufel in Person war. Nach dem, was Isobel sich aus den Aussagen des zugeknöpften höhergestellten Dienstpersonals zusammenreimen konnte, waren sie schon seit Winters Kindheit schlecht aufeinander zu sprechen … eine Kluft, die in den letzten Jahren nur noch tiefer geworden war.

Isobel seufzte und bestieg ihr Pferd. Sie wusste nicht so recht, ob sie Lust auf Gesellschaft hatte, aber sie drehte Hellion herum und streichelte sanft ihre Mähne. Hellion war das Fohlen der wertvollen Vollblüter ihrer Schwester, Brutus und Temperance, und ein verspätetes Hochzeitsgeschenk vom Herzog und der Herzogin von Beswick gewesen. Zuerst hatte Isobel sich vor dem Pferd geängstigt, doch die Wahrheit lautete, dass sie so einsam gewesen war, dass sie das Reiten aus reiner Notwendigkeit erlernt hatte.

Wenigstens die Stute war bei ihr geblieben.

Denn anders als ein gewisser wankelmütiger, rückgratloser Marquis war Hellion treu.

Als sie wenig später in den Stallungen ankam, glitt sie mit einem beruhigenden Wort und einer Liebkosung vom Pferd und warf die Zügel einem wartenden Stallburschen zu, bevor sie in Richtung der Küche rannte. Mit etwas Glück blieben ihr noch ein paar Minuten, um sich frisch zu machen und sich umzukleiden, ehe sie den Herzog begrüßte.

»Du liebe Güte, pass doch auf!«, rief eine Stimme, als sie zur Treppe eilte.

Isobel verlangsamte ihr Tempo und entging nur knapp einem Zusammenstoß mit einer der Fairfax-Zwillingsschwestern. Violet und Molly waren vor sechs Monaten mit einer Nachricht vom Anwalt ihres verstorbenen Vaters aufgetaucht, in der der Herzog als ihr Vormund angegeben wurde. Kendrick hatte das Schriftstück gelesen, ohne eine Miene zu verziehen, und Mrs Butterfield befohlen, sich darum zu kümmern. Seitdem hatte er seine Mündel ignoriert, obwohl er ihnen, ohne mit der Wimper zu zucken, erlaubt hatte, auf seinem Landsitz zu bleiben. Mit zweiundzwanzig waren sie nur zwei Jahre älter als sie, was Isobel zu der Vermutung veranlasste, dass er es ihr zuliebe getan hatte. Abgesehen von Clarissa war weibliche Gesellschaft Mangelware.

»Verzeihung!« Isobel verschnaufte, bevor sie in gemächlicherem Tempo die Treppe hinaufstieg. »Ich habe vergessen, dass der Herzog heute zurückkommt, und nach der ganzen Aufregung heute Morgen bin ich durch den Wind.«

Violet verzog das Gesicht und hob den Saum ihres schwarzen Trauerkleids aus Bombasin an, um Isobel zu folgen. Molly, die nie weit von ihr entfernt war, tauchte neben ihnen auf. »Er macht keinen glücklichen Eindruck. Das macht er nie. Vielleicht hat er die schrecklichen Skandalblätter auch gesehen.«

Eine Faust krampfte sich um Isobels Herz, während die Demütigung durch sie hindurchpeitschte. Sie konnte nicht noch mehr Mitleid ertragen, nicht einmal von dem einzigen Menschen, der sie vielleicht verstand. Sie und der Herzog hatten einander im Laufe der Jahre viel anvertraut, aber das war schmerzhaftes Neuland für sie.

»Ehrlich, du darfst kein Wort davon glauben, Izzy, Liebes«, beteuerte Violet, als sie den Treppenabsatz erreichten. »Nach zwei erfolglosen Londoner Ballsaisons haben die Zeitungen berichtet, dass ich eine unscheinbare, unansehnliche alte Jungfer sei, während unsere Molly hier als die Rose der Stunde gepriesen wurde, obwohl wir genau gleich aussehen. Wieso bin ich dann nicht auch eine Rose? Nein, nein, ich bin irgendein namenloses, hässliches Unkraut.« Sie seufzte verärgert. »Dabei heiße ich auch noch Violet, Herrgott nochmal. Ich als Veilchen bin hier die Blume.«

Molly verdrehte die Augen und zuckte so heftig mit den Schultern, dass ihre braunen Locken hüpften. »Es ist nicht alles ein Wettbewerb, Violet. Aber vielleicht würde es deine Chancen verbessern, wenn du weniger stachelig und dafür blumiger wärst.«

»Ich bin nicht stachelig, du Scheusal!«

Obwohl sie eineiige Zwillinge waren, hätten die Schwestern, die sich permanent kabbelten, nicht gegensätzlicher sein können. Normalerweise sorgte das für Belustigung, doch momentan hatte Isobel andere Sorgen. »Du liebe Güte, hört auf zu zanken, ihr zwei, und helft mir beim Umkleiden!«

Nachdem sie sich rasch mit dem Schwamm gewaschen und mit nach Geißblatt duftendem Wasser besprüht hatte, brauchten sie, die Zwillinge und die beiden Zofen nicht lange, bis sie ihr Reitkleid gegen ein blassgrünes Hauskleid aus Musselin ausgetauscht hatten. Mit gebürsteten und frisch geflochtenen Haaren begab sich Isobel die Treppe hinab in das Arbeitszimmer des Herzogs.

Sie atmete tief durch, klopfte und trat ein.

Der Herzog sah ganz anders aus als sein ältester Sohn. Seine Haare tendierten eher zu schwarz als zu braun, und seine Augen waren blau statt grau. Aufgrund der hohen Stirn und der stolzen Nase war die Familienähnlichkeit jedoch unverkennbar. Auch wenn sie ihren Ehemann in letzter Zeit nicht oft genug gesehen hatte, um sich dessen zu vergewissern. Nach allem, was sie wusste, konnte Winter Vance inzwischen etliche Kilos zugenommen und Hängebacken bekommen haben, die besser zu seinem exzessiven Lebenswandel gepasst hätten.

»Euer Gnaden, Sie sind früher zurück als erwartet.« Sie begrüßte ihn von der Tür aus, während der große, elegante Mann sich erhob und hinter seinem Schreibtisch hervortrat.

»Das Wetter war gut, und wir sind ausgezeichnet vorangekommen.« Der Herzog von Kendrick runzelte besorgt die Stirn. »Wie geht es dir, meine Liebe?«

Erst in diesem Moment entdeckte Isobel die zusammengerollten Nachrichtenblätter auf dem Schreibtisch, und ihre heldenhafte Contenance geriet ins Wanken.

»Ich könnte ihm eine Kugel in seine fauligen Beine jagen«, murmelte Isobel und brach in Tränen aus. Sie hatte sich zwar geschworen, nicht mehr zu weinen, doch ihr Körper zitterte vor Anstrengung, die Tränen zurückzuhalten.

»Stell dich hinten an«, gab der Herzog trocken zurück und reichte ihr sein Taschentuch. »Obwohl du vermutlich besser triffst als ich.«

Isobel trocknete sich lachend die Augen. Das Schießen hatte sie von ihm gelernt, und zu ihrem letzten Geburtstag hatte er ihr sogar zwei Taschenpistolen geschenkt. Sie beruhigte sich wieder, nahm Platz und schenkte sich von dem in Reichweite stehenden Tablett eine Tasse Tee ein, statt nach einer Flasche Brandy zu greifen, die ihr lieber gewesen wäre.

Kendrick musterte sie. »Du musst nach London fahren.«

»Ich kann nicht nach London fahren.«

»Er weigert sich, mich zu empfangen«, erklärte er. »Seine Ehefrau wird er nicht abweisen.«

Isobel seufzte. »Darüber haben wir doch schon gesprochen, Euer Gnaden. Ich werde nicht hinfahren, um mich in aller Öffentlichkeit beiseiteschieben zu lassen. Wir wissen beide, dass Roth durchaus dazu fähig ist. Ich werde mich dem Risiko einer solch öffentlichen Zurückweisung nicht aussetzen.«

Der Herzog zuckte zusammen. Vor einem Jahr hatte der elendige Marquis seinen eigenen Vater – niemand Geringeren als einen Herzog – auf einem Ball wie Luft behandelt. Das hatte nichts bewirkt, als noch mehr Salz in die alten, offenen Wunden zwischen den beiden Männern zu streuen, und die Gerüchteküche hatte es Familienränken zugeschrieben, die nicht so hochgradig spannend waren wie Lord Roths andere herrlich teuflische Eskapaden. Wie seine Wettrennen im Hyde Park, Boxkämpfe mit bloßen Fäusten, frevelhaftes Glücksspiel und gesetzeswidrige Duelle wegen einer Opernsängerin.

»Aber du musst.«

Sie zog die Augenbrauen zusammen. »Warum liegt dir so viel daran? Ich bin doch zufrieden hier in Chelmsford.«

Diese Lüge war ihr selbst peinlich. Zufrieden war eine groteske Verfälschung der Wahrheit. Hätte sie nicht Clarissa gehabt, und in jüngerer Zeit die Zwillinge, wäre sie bereits vor langer Zeit verrückt geworden. Aber Isobel hatte sich schon seit Langem davon überzeugt, dass ihre Situation immerhin noch besser war als die vieler anderer Ehen der feinen Gesellschaft, die in Katastrophen endeten. Schließlich konnte sie ihren Ehemann nicht hassen, wenn sie ihn nie zu Gesicht bekam.

Sie brachte die innere Stimme zum Schweigen, die entschieden doch! rief, und wandte sich wieder ihrem Schwiegervater zu.

»Ich würde gern mein Enkelkind in den Armen halten, bevor ich sterbe«, sagte der Herzog.

Angesichts der Wendung, die das Gespräch nahm, zog Isobel die Augenbrauen hoch und bemühte sich, den Schmerz zu verbergen, den seine Worte ihr sofort bereiteten. »Dir ist schon klar, dass dein Sohn daran beteiligt sein müsste, oder?« Nach jahrelangem vergeblichem Warten darauf, dass ihr marodierender Ehemann zur Räson käme, hatte sie diesen Wunsch bereits lange im Keim erstickt, doch er stieg gleichwohl sofort quälend wieder in ihr auf, als der Herzog von Enkelkindern sprach. »Und du wirst auch nicht sterben.«

»Eines Tages schon«, entgegnete er. »Mein Sohn ist alles andere als glücklich. Und ich glaube, dass sein Glück mit dir beginnt.«

Die Traurigkeit in seiner Stimme schmerzte sie. »Er kennt mich nicht einmal.«

»Noch nicht«, sagte der Herzog. »Aber ich kenne dich, und du bist perfekt für ihn. Er braucht eine Frau wie dich. Jemanden mit Rückgrat, der sich von ihm nicht alles gefallen lässt.«

Isobel nickte stumm, nippte an ihrem rasch kalt werdenden Tee und betrachtete den ernsten Mann, der ihr gegenübersaß. »Und du glaubst wirklich, ich wäre die Richtige?«

Der Herzog musterte sie lange. »Was wünschst du dir am meisten vom Leben, Isobel?«

Diese Frage hatte sie sich selbst bereits in vielen einsamen Nächten im Bett gestellt. Isobel überlegte. Sie wollte einen engagierten, pflichtbewussten Ehemann und eines Tages eine liebevolle Familie, wie sie ihre Schwester mit dem Herzog von Beswick hatte. Sie wünschte sich Gesellschaft und Freundschaft von einem Ehepartner. Außerdem ein bisschen Abenteuer, Leidenschaft und vielleicht die Chance, etwas Neues zu erleben. Und all dies war für sie unerreichbar.

Das bliebe es auch weiterhin, solange sie in Chelmsford bliebe. Isobel ballte in ihren Röcken die Hände zu Fäusten. Die Vorstellung, Winter in London zur Rede zu stellen, war beängstigend, doch sie wusste, dass sie sich irgendwie zur Wehr setzen musste. Sie verdiente es, der feinen Gesellschaft vorgestellt zu werden, und nicht, versteckt zu werden wie irgendein Fauxpas. Am liebsten hätte sie ihren verhassten Ehemann geschüttelt, bis seine Zähne klapperten, und ihm dann gezeigt, was ihm in all den Jahren entgangen war. Ihre Reize ausgespielt, die verwegene Lady Darcy leibhaftig auferstehen lassen. Ihn um Gnade winseln lassen. Ihn dazu gebracht, dass er es bereute. Dass er sie anbettelte.

Bei dieser Vorstellung strömte eine dunkle Erregung durch ihre Adern. Wie oft hatte sie Clarissa gegenüber vor Wut geschäumt, dass sie mit ihm abrechnen wollte? Es ihrem Ehemann heimzahlen wollte? Dies war ihre Chance, und jetzt hatte sie sogar Kendricks Segen.

Isobels harter Blick traf den ihres Schwiegervaters. »Na schön, ich mache es. Ich fahre hin.«

Denn sie sollte verdammt sein, wenn sie ihn nicht dazu brachte, zu bereuen, dass er sie so lange zum Narren gehalten hatte.

Kapitel Drei

Es ist besser, etwas zu bereuen, was man sich getraut hat, liebste Freundin, als zu bedauern, nichts unternommen zu haben.

Lady Darcy

Winter betrachtete die leidenschaftliche Schönheit, die es sich derzeit in seinen Privatgemächern bequem machte, und seufzte. Das wäre jetzt die dritte, die sein Privatsekretär Matteo diesen Monat aufgetan hatte. Mehr als ein Dutzend im letzten halben Jahr. Aline Montburn, die Hauptdarstellerin des Theaters in Covent Garden, bestand lediglich aus schwarzen Locken und Beinen bis zum Hals. Doch aus bestimmten Gründen war er seit über drei Jahren nicht in der Lage gewesen, eine andere auch nur anzusehen. Winter schüttelte den Kopf und verließ den Raum.

Sie war nicht blond.

Ihre Augen hatten nicht die Farbe des Meeres, das von der Dezembersonne geküsst wurde.

Und sie war nicht seine Frau.

Nach seiner Heirat hatte sein unberechtigter schlechter Ruf als Lebemann überhandgenommen. Doch da er einer der Besitzer des Silver Scythe war – eines wahnsinnig beliebten Clubs, von dem manche sogar behaupteten, dass er über ein exklusiveres Angebot verfügte als jeder andere Herrenclub in London –, hatte er um seiner treuen Stammkunden willen eine gewisse öffentliche Außendarstellung aufrechterhalten müssen.

Selbst wenn es eine Lüge war.

Sein Ruf als Halunke war ganz klar ein Anreiz, sich um die Mitgliedschaft zu bewerben, und er hielt diese Heuchelei einzig aus einem Grunde aufrecht – um Geld zu machen. Er wollte keinen Penny des Vermögens seines Vaters anrühren, nicht wenn er es vermeiden konnte, nicht für das hier. Seine Pläne hatten nichts mit dem Herzog zu tun; er tat das alles für Prue.

Der Großteil seines alten Freundeskreises, Prinny und der Herzog von Rutland eingeschlossen, hatten erwartet, dass er bei seiner Rückkehr nach London nach seiner überraschenden Eheschließung noch derselbe wäre wie vorher – freigiebig und jederzeit bereit, seine Freunde zu unterhalten. Und so war es auch gewesen, doch er hatte keine andere Frau angerührt.

Er hatte es nicht gewollt.

Seit der knappen Viertelstunde mit seiner liebevoll-empfänglichen Ehefrau hatte er mit jeder Faser seines Seins eine Schwäche für eisblaue Augen, cremefarbene Haut und goldblonde Haare. Und als sie ihre strahlenden Augen auf ihn gerichtet hatte, war es ihm vorgekommen, als sei er die Sonne, die am Morgen auf und abends unterging.

Keine Frau hatte ihn jemals so angeschaut.

Als wäre er so viel mehr wert. Wie sie unter ihm gelegen hatte, ihr Blick so vertrauensvoll und innig, und dann hatten ihre Worte – du bist genau richtig – ihn aus heiterem Himmel getroffen. Ihn zutiefst erschüttert. Großer Gott, sie war in seinen Armen so süß und freizügig gewesen, hatte ihn mit so viel Hoffnung angesehen, dass er es bis in ins Mark gespürt hatte.