A Real Tale - Von Cupcakes, Einhorn-Torten und anderen Leckerbissen - Pippa Winter - E-Book
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A Real Tale - Von Cupcakes, Einhorn-Torten und anderen Leckerbissen E-Book

Pippa Winter

5,0

Beschreibung

Ich war eine verheiratete, momentan getrenntlebende Frau, die sich dazu verpflichtet hatte, ihre marode Ehe zu retten. Und das bedeutete: KEINE SCHMUDDELEIEN MIT DEM VAMPIR! Pünktlich zum 40. Geburtstag ist Katrin nicht nur ihre Jugend, sondern auch Ehemann und Job los. Mit ihrem pubertierenden Sohn Milo im Schlepptau zieht sie kurzerhand zurück zu ihren Eltern, um in der niederrheinischen Pampa ihr Leben aufzuräumen. Doch das ist schwerer als gedacht. Nicht nur Katrins untreuer Gatte Martin steht schon bald auf der elterlichen Fußmatte, um seine Familie zurückzuerobern. Auch der überhebliche, aber ziemlich heiße Nachbar Richard grätscht geradewegs in ihre Lebenskrise. Doch das Chaos ist erst so richtig perfekt, als Katrin entdeckt, dass dieser ein Doppelleben als Vampir führt. Schnell verheddert sie sich in eine ménage à trois mit dem Ex und einem motorradfahrenden Vampir, der seine Finger nicht von Katrin lassen kann. Von wegen abwarten und Kuchen backen… Entscheidungen müssen her. Soll Katrin ihrem ganz und gar nicht götterhaften Gatten verzeihen und zurück in ihr altes Leben gehen? Oder kann sie mit dem Vampir einen Neustart wagen? Und eigentlich hatte sie doch vorgehabt, endlich so richtig erwachsen zu werden und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen… A real Tale. Eine Paranormal feel-good Romance

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Nine25

Man kann sich nicht von der Lektüre losreißen

Super tolles Buch muss man gelesen haben Schon lange kein so tolles Buch gelesen 🥰😘😍❤️
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Sammlungen



Table of Contents

Title Page

Hinweis

Widmung

Prolog

1

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Epilog

Danksagung

Rezept

Impressum

A Real Tale

Von Cupcakes, Einhorn-Torten und anderen LeckerBissen

Pippa Winter

Hinweis

In diesem Buch gibt es in jedem Kapitel verweise auf Lieder. Wir haben sie euch in einer Spotify-Playlist zusammengestellt, damit ihr sie beim Lesen hören könnt.

Scannt dazu mit Eurem Handy entweder den Spotify- oder den QR-Code.

Viel Spaß

Pippa Winter und das Team vom Traumschwingen Verlag

Widmung

»Yo, I´ll tell you what I want, what I really, really want!«

(Wannabe, Spice Girls, 1996)

Für die, die noch immer auf der Suche sind.

Prolog

Als du kamst, hatte ich den Frühling bereits vergessen und glaubte mich im hohen Herbst. Doch der gewaltige Gewittersturm, der deinen Schritten folgte, brachte mir die Süße eines heißen Sommertages zurück.

Als du fortgingst, nahm nur der Winter deinen Platz ein.

1

... 8 Monate zuvor

Ironic, Alanis Morissette

»40!« Wieder und wieder geisterte die Teufelszahl durch meinen Kopf, während ich fest das Lenkrad umklammerte und versuchte, mich auf den vor mir liegenden nassen Autobahnasphalt zu konzentrieren. Aquaplaning war das Letzte, was mir an diesem gottverlassenen Tag gefehlt hatte.

Nein, meinen Geburtstag hatte ich mir anders vorgestellt, auch wenn ich der großen 40 nicht gerade mit Freude entgegengestrebt war. 40? Das war doch diese unsichtbare, gruselige Schwelle, von der wir zwar gehört, sie aber unser gesamtes Leben erfolgreich verdrängt hatten. Aber was genau wartete auf der anderen Seite des Regenbogens, das uns allen den Angstschweiß auf die Stirn trieb?

Richtig; das Alter! Graue Haare! Eine Lesebrille! Dicht gefolgt von ausladenden Hüften und einer gemeinen Eieruhr, die tickte und an die in naher Zukunft einsetzende Menopause erinnerte.

Tick, Tick, Tick…

Von wegen »40 ist das neue 30«! Dass ich nicht lache! Nein, niemand, dem plötzlich so mir nichts, dir nichts einzelne schwarze Härchen an Stellen wuchsen, die unverschämt peinlich waren, würde so einen Mist behaupten.

Dennoch hatte ich mich auf meine Geburtstagsparty gefreut. Es war eine große Sause geplant. Wenn ich schon die Jugend über Bord warf, dann bitte mit Pauken und Trompeten und einer Menge Alkohol. Ich hatte in der Kölner Altstadt ein überteuertes Lokal angemietet. Die Gästeliste war beeindruckend und umfasste jeden, der mich die letzten 20 Lebensjahre begleitet hatte, seitdem mein Mann Martin und ich nach Köln gezogen waren.

So (und nicht anders) hatte ich in die 40+ Midlife-Crisis hineingleiten wollen. Von Gleichgesinnten umgeben, von Leidensgenossen umjubelt, und umsorgt von meinem Ehemann, der nur aus Liebe mein Abbild aus den Zwanzigern für immer vor seinem geistigen Auge tragen würde, egal wie es gegenwärtig um mich stand.

Das war zumindest der Plan. Doch Pläne werden dann zunichtegemacht, wenn man es am wenigsten erwartete.

Die Achterbahn meines erbärmlichen Lebens benötigte genau 12 Stunden, um die Schienen der Zukunft umzulegen. Ohne den vor mir liegenden Loopings Beachtung zu schenken, fuhr mein eigener Waggon mit Lichtgeschwindigkeit in den Keller und ließ mich dort wimmernd und hilflos zurück.

Doch der Reihe nach:

Heute Morgen hatte ich Hiobs Anruf erhalten, dass die Party-Location unter Wasser stand. Nachdem ich den gesamten Vormittag im Büro damit verbracht hatte, den Gästen abzusagen, rief mich mittags mein Chef zu sich und teilte mir - im Zuge der Umstrukturierungsmaßnahmen - mit, dass man leider nicht mehr NICHT auf mich verzichten könne. Stattdessen war man schon auf der Suche nach dynamischeren (billigeren!) und motivierteren (jüngeren!) Mitarbeitern. Mein Vorgesetzter benötigte genau drei Anläufe, bis auch ich verstand, dass man mir soeben gekündigt hatte.

Vielleicht hätte ich besser auf die privaten Telefongespräche an diesem Tag verzichtet.

Ohne Job und ohne Mittagessen fuhr ich heim. Doch dann, wann immer man meint, es könne nicht schlimmer werden, kommt es eine Nummer dicker. Als ich die Wohnungstüre öffnete, erkannte ich, dass mein Ehemann seine eigene Methode gegen eine sich aufbäumende Lebenskrise gefunden hatte. So fand ich ihn auf unserem wiesengrünen Sofa in einer akrobatischen Position, die mich unter anderen Umständen zum Staunen gebracht hätte, unter einer sich verrenkenden Frau, die gerade einmal halb so alt aussah wie ich!

Ehe ich mich versah (und ohne nachzudenken), saßen mein pubertierender 16-jähriger Sohn Milo und ich im alten Ford Fiesta und fuhren bei strömendem Regen zu meinen Eltern. Und jetzt, da ich die Autobahnausfahrt nahm, die mich in die niederrheinische Pampa zum Dorf meiner Jugend führte, wurde mir eines bewusst. Diese neumodisch - populäre Midlife-Crisis, die ich so gefürchtet hatte, wäre einem Strandspaziergang gleich gekommen im Vergleich zu der Katastrophe, die in den letzten Stunden über mich hereingebrochen war. Mein gesamtes Leben hatte sich in null Komma nix selbst zerstört. Mir war nicht einmal die Zeit geblieben, ängstlich den Abgrund hinunterzuschauen. Stattdessen stand ich bereits unten und blickte ungläubig hinauf.

2

What´s up, 4 Non Blondes

»Mamaaa, klingel doch einfach«, stöhnte Milo genervt. Ich räusperte mich zum fünften Mal und fuhr mir unsicher durch das nasse Haar, während wir unter dem Vordach des Hauseingangs standen. Wie würden Mama und Papa wohl auf meine überstürzte Flucht aus Köln reagieren? Der Stimmung entsprechend, regnete es noch immer. Die dicken Wassertropfen prasselten so geräuschvoll auf das Wellplatten-Dach, als sei ein Silvesterfeuerwerk in direkter Nähe entzündet worden. Ich schaute nach oben und betrachtete das hässliche alte Plastik, das mir aus Kindertagen vertraut war. Es war ein Provisorium, das meine Eltern kurz nach dem Einzug lieblos angebracht hatten mit dem Vorhaben, die PVC-Platte schon bald gegen etwas »Anständiges« einzutauschen. Die Notlösung war geblieben, auch lange nachdem ich gegangen war. Als Jugendliche hatte ich mich für die scheußlich gelbe Plastikabdeckung über unserer Haustür geschämt. Später war es mir gar nicht mehr aufgefallen. Am heutigen Tag passte der spröde Kunststoff sogar recht gut zum Rest meines unansehnlichen Lebens.

Das nächste Räuspern war Milo das eine zu viel. Genervt drückte er selbst den Klingelknopf.

Mein Herz raste. Vielleicht hätte ich Mama und Papa vorher anrufen sollen? Doch dafür war es zu spät. Als sie die Türe öffneten, lächelten sie etwas zu überrascht. Meine Mutter stand hinter meinem Vater, so, als hätte sie ihn absichtlich vorgeschickt. Weil Papa nie Herr des klassischen Pokerface gewesen war, winkte mir seine Befangenheit ganz indiskret zu. Ich grinste verlegen. Doch ein stiller Argwohn stand zwischen uns, sodass sich das Schweigen einige Sekunden zu lang hinzog. Keine Frage, Martin hatte die beiden vorgewarnt. Oder stand mir meine Lebenskrise, die sich eisern an meinem Gepäck festkrallte, bereits mit Edding ins Gesicht geschrieben?

Endlich nahm mich Mama stürmisch in den Arm und brach das erdrückende Schweigen zwischen uns.

»Es tut mir so leid, Katrin. Martin hat...« Mama bremste das Satzende ab. Aha. Mein untreues Etwas von einem Ehemann hatte also die Notfalltelefonkette aktiviert.

»Komm rein, ich habe Pfannkuchen gemacht und Nutella auf die ersten beiden gestrichen.« Unter fröhlicheren Umständen wäre ich sofort in die Küche gesprungen. Jetzt aber, da ich geradewegs ins Auge des Tornados, der mein Leben mit einem Schlag fortgeweht hatte, starrte, bezweifelte ich, dass ich überhaupt etwas Essbares zu mir nehmen würde. Mein Magen sah es aber anders und knurrte auf Kommando vor sich hin. Unterdessen hatte mein Vater Milo bereits in Beschlag genommen und war mit ihm in die Küche gegangen. Während der Autofahrt hatte er sich in demonstratives Schweigen gehüllt. Jetzt aber hörte ich, wie mein Sohn bei seinem Opa Dampf abließ und wütend gegen den Vater wetterte.

Ich hingegen verweilte am Türrahmen und atmete seltsam schwer ein und wieder aus. Ich konnte nicht erklären, weshalb ich mich plötzlich so sträubte. Es war, als hinderte mich eine unsichtbare Wand daran, ins Innere zu treten. Meine Mutter legte die Stirn in Falten und nickte, ganz so als wüsste sie, was vor sich ging. Verständnisvoll streckte sie ihre Hand nach mir aus.

»Komm endlich rein, mein Kleines. Wir kümmern uns jetzt um dich.« Sanft aber bestimmt schob Mama mich zur Tür hinein.

Und so kam es, dass ich mit 40 meine Unabhängigkeit vor der Türe parkte und mich zurück in die umsorgenden Hände meiner Eltern begab.

3

Mr. Vain, Culture Beat

Ich hatte die erste Nacht ohne Martin unerwartet gut geschlafen. Hauptsächlich war das dem Wein geschuldet, den mir meine Eltern gestern Abend eingeflößt hatten. Während ich eine Flasche alleine leerte, hatten Mama und Papa geduldig und verständnisvoll meinem Scheitern gelauscht und mit mir gemeinsam gegen Martin und den Ex-Chef gewettert. Mit dem Gefühl, das einem nur die Eltern vermittelten - nämlich, dass man rein gar nichts für den eigenen Schlamassel konnte - war ich friedlich eingedöst.

Doch heute Morgen war diese imaginäre graue Regenwolke über mir wieder da und der gestrige Tag spulte sich erneut vor meinem geistigen Auge ab. Nachdem ich Martin in flagranti erwischt hatte, war ich wort- und fassungslos aus unserer Wohnung geflüchtet. Jetzt aber fragte ich mich, ob ich nicht zu impulsiv gehandelt hatte? Bestimmt hatte Martin schon mehrfach versucht, mich zu erreichen. So griff ich nach meinem Handy, das auf dem Nachttisch lag. Doch weder eine Whatsapp noch ein einziger Anruf waren angezeigt.

Enttäuscht schälte ich mich aus dem Bett und warf mir den alten rosa Frottee-Bademantel über das zu weite T-Shirt und die verwaschene Jogginghose. Meine grauen Haarsträhnen steckte ich zusammen mit den letzten überlebenden dunkelblonden Haaren lose hoch.

In der Küche fand ich glücklicherweise frischen Kaffee. Mein Schädel brummte. Weil niemand außer mir hier war, ließ ich mich am Küchentisch nieder und trank dankbar die ersten Schlucke aus der Tasse. Vor mir lag die Tageszeitung mit der Lesebrille meiner Eltern. Sie teilten sich die eine Brille im Haus, die sie vor Jahren im Discounter ergattert hatten. Ich fand es niedlich; meine Mutter hingegen war genervt. Vielleicht würde ich Papa zu Weihnachten ein eigenes Gestell kaufen. Während ich vor mich hin grübelte, kam Mama in die Küche und drückte mir zur Begrüßung einen Kuss auf den Scheitel.

»Guten Morgen, meine Süße. Hast du gut geschlafen?« Zärtlich fuhr sie mir durch das Haar, bevor sie innehielt. »Weißt du noch, du hattest eine so tolle Haarfarbe. Soll ich dir die Haare färben? Ich kann dir auch einen Termin bei meinem Friseur machen, ich rufe ihn gleich an«, plapperte sie voller Tatendrang vor sich hin und zupfte an einer meiner Strähnen.

»Nein, danke!« Genervt wedelte ich ihre Hand fort. Einen Friseur mit meiner Mutter zu teilen, war eine unsichtbare Grenze, die ich nicht überschreiten mochte. Auch wenn ich mit dem Einzug in mein altes Kinderzimmer bereits bedeutendere Grenzen gesprengt hatte.

Versöhnend schenkte Mama mir eine weitere Tasse Kaffee ein und warf eine heiße Scheibe Toast auf die Tageszeitung vor mir. »Katrin, hast du bereits einen Plan, wie du beruflich wieder auf die Beine kommst?«, flötete sie etwas zu beiläufig vor sich hin. Ich ließ die Stirn auf den Tisch gleiten. Genau dieses Thema hatte ich geplant zu verdrängen. »Wirst du dich hier als Büroassistenz bewerben?«, bohrte sie weiter.

»Hmmmhm«, ich nickte wenig glaubhaft. Ich hasste meinen Beruf genauso sehr, wie mein Beruf auch mich nicht ausstehen konnte. Kaum zu glauben, dass ich mich in über zwanzig Jahren nicht zu einer Umschulung aufgerafft hatte. Und jetzt, mit 40, fühlte ich mich ohnehin zu alt, um noch einmal umzusatteln.

»Dein Vater und ich haben uns überlegt...«

»Mama, bitte, ihr braucht keine Überlegungen für mich anzustellen. Ich bin erwachsen«, unterbrach ich sie schnell.

»Ach, Paperlapapp«, sagte meine Mutter schlicht. »Du kannst ja nicht ewig hier in unserem Haus wohnen.«

»Ich habe gerade einmal eine Nacht hier verbracht!« Ich war empört. Mama tat so, als wollte ich hier Wurzeln schlagen! Nervös griff ich nach dem nächstbesten Gegenstand, mit dem meine Finger spielen konnten. Es war die olle Lesebrille, die ich nun in den Händen hin und her wog und überaus konzentriert betrachtete, während die Worte meiner Mutter auf mich einprasselten.

»Wir sind zu dem Entschluss gekommen, dass du in unserem Laden aushelfen kannst. Natürlich nur so lange, bis du etwas Ernsthaftes gefunden hast.«

Der Laden meiner Eltern?! Sie besaßen ein Waschmaschinengeschäft in unserem Dorf. Wie dieses kleine Geschäft, bei dem die Leute hauptsächlich gebrauchte Waschmaschinen und Trockner kauften, es überhaupt über das 20. Jahrhundert hinausgeschafft hatte, war mir noch immer ein Rätsel. Zu gerne hätte ich vehement widersprochen, doch mein derzeitiger Plan war leider nicht besser. Jetzt gerade war ich bloß eine Schnorrerin, die sich und ihren Sohn von ihren Eltern durchfüttern ließ. Weiter als bis zur Haustür meiner Kinderstube hatte ich gestern nicht gedacht. So hielt ich besser nickend den Mund und spielte weiter mit der Brille, während Mama energisch fortfuhr.

»Es wäre ja nicht für immer. Aber wir benötigen jemanden für den Verkauf. Da warst du immer schon gut drin.« Das war eine aalglatte Lüge. Als Teenager hatte ich mehrfach ausgeholfen. Noch nie in meinem ganzen Leben hatte ich auch nur eine einzige Waschmaschine verkauft. Ich setzte die Brille auf meine Nase und schaute Mama stumm an. Vielleicht konnte sie die Ablehnung, die ich gegen ihren Plan verspürte, hinter den Brillengläsern nicht erkennen.

»Zieh das Teil aus, es sieht scheußlich an dir aus...«, tadelte sie mich. Doch dann glitt ihr Blick von mir ab und wanderte zum Küchenfenster.

»Dieser unverschämte, miese Kerl«, fluchte meine Mutter leise vor sich hin. Neugierig drehte ich mich um und schob die Gardine beiseite, um zu sehen, von wem sie sprach. Mama stand dicht hinter mir und lüftete den oberen Teil des Vorhangs. Ich nippte an der Kaffeetasse und kniff angestrengt die Augen zusammen. Nur verschwommen entdeckte ich einen Motorradfahrer, der gerade vor dem Nachbaranwesen in die Parkbucht rollte.

»Was ist mit dem?«, fragte ich interessiert. »Ach, der ist das Schlimmste, das unserer Straße passieren konnte«, leitete sie den Dorfklatsch ein. »Der neue Nachbar ist ein ganz feiner Arzt. Intensivarzt, glaube ich. Im Krankenhaus. Ist vor einigen Wochen eingezogen und wohnt jetzt bei den Müllers zur Miete.«

»So schlimm klingt der doch gar nicht«, warf ich ein und kniff die Augen noch ein wenig fester zusammen, damit ich ein schärferes Bild von dem Arzt bekam. Der Motorradfahrer rollte weiter in die Parkbucht, bis er die Mülltonnen erreichte, die an der Straße standen. Vor diesen verharrte er kurz, um dann zielstrebig so in diese hineinzufahren, dass sein Vorderrad die Tonnen vom Parkplatz hinunter auf die Straße schob. Ich zog die Augenbrauen nach oben und trank einen weiteren Schluck.

»Da siehst du es. Er bedeutet Ärger. Fährt ständig mit der lauten Maschine die Straße entlang. Die Müllers haben mir erzählt, dass er nicht einmal den Abfall trennt. Und die Tonnen stellt er auch nicht raus. Ist das nicht dreist? Als Mieter sollte man sich schon Mühe geben. Und nachts, wenn der feine Herr Doktor von seiner Schicht kommt, hört er angeblich manchmal ganz laut Musik. Und Grüßen kann der auch nicht.«

Der Kerl schien die Nachbarschaft ja ganz schön in Aufregung zu versetzen. Seinen Müll nicht zu trennen war hier definitiv schlimmer, als eine Scheidung durchzuziehen, und kam einer Todsünde gleich. Unser Dorf war klein. Alles und jeder, der von meiner überstürzten Trennung von Martin ablenken würde, kam mir nur gelegen. Zu gerne hätte ich mir den Herrn Doktor genauer angesehen. Leider sah ich bloß verschwommen. Ich erkannte aber, dass sein Motorrad zwischen seinen Beinen zum Stehen gekommen war. Der vermeintliche Störenfried zog seinen Helm ab. Da wurde mir bewusst, dass ich noch immer die Brille trug. Schnell zog ich sie ab und starrte auf den Fremden, der zu meiner großen Überraschung eine äußerst gute Figur in seinem Biker-Overall machte. Das Leder spannte über seine muskulösen Oberschenkel. Sicherlich war sein Hintern nicht weniger trainiert. Mein Blick fuhr die schmale Taille bis zu den breiten Schultern hinauf. Jede Wette, dass sich ein Sixpack unter dem Nierengurt versteckte. Ich starrte unverfroren, schließlich lugte ich ja diskret durch die Spitzenvorhänge. Sein blondes, etwas zu langes Haar war zurückgekämmt und der Dreitagebart schmeichelte den äußerst markanten, männlichen Wangenknochen.

Wow, was für ein heißer Typ, schnellte mir ungewollt durch den Kopf. Da sah ich mit Entsetzen, dass auch seine Augen direkt auf mich gerichtet waren. Er hatte mich entdeckt und starrte mit kaltem Blick durchdringend zu mir hinüber.

Aus Reflex zog ich mir verschämt den Bademantel ein Stück vor die Brust, obwohl das alte Shirt ohnehin den letzten Rest meiner Weiblichkeit verdeckte. Kurz starrte der Fremde bloß. Doch plötzlich hob er den Arm in die Luft und zeigte mir in großartiger Geste seinen besten Stinkefinger! Provokativ hielt er ihn vor seine Nase und setzte das unverschämteste Grinsen seit Charly Harper auf. Ich war entsetzt! »Ooooohhh«, stieß ich hervor, während der Nachbar sich umdrehte, und sogar im Gehen noch den Mittelfinger in die Höhe gestreckt hielt. So viel Dreistigkeit konnte ich gar nicht in Worte fassen. Dieser blöde Kerl war doch mindestens Mitte 40! Ein gestandener Mann! Und ein Doktor!

»Ungeheuerlich!«, stießen Mama und ich gleichzeitig empört hervor.

4

Un-break my heart, Toni Braxton

Laut schluchzend lag ich auf dem Fußboden meines Kinderzimmers. Das alte flauschig-pinke Kuschelkissen hielt ich fest an meine Brust gepresst. Ich konnte nicht atmen. Mir war, als säße ein hässlicher Zwerg mit seinem nacktem dicken Hintern auf meinem Brustkorb und hielt mir mit den fettigen Fingerchen die Nasenlöcher zu, während er boshaft kicherte. Der fiese Gnom war in Wirklichkeit blanke Panik gepaart mit einer Überdosis Liebeskummer. Soeben hatte ich mit meiner Freundin Mara telefoniert. Brühwarm hatte sie mir offenbart, dass Martins neue, gerade-erst-volljährige Flamme a. k. a. das kleine Miststück (!) - in unsere schöne Altbau-Wohnung eingezogen war! Und ihre hässlichen, glubschäugigen Chihuahuas wohnten ab sofort auch bei mir! Und Martin?! Der Mistkerl hatte mich nicht einmal selbst über unsere offizielle Trennung in Kenntnis gesetzt! Stattdessen hatte er meine Anrufe die letzten drei Tage ignoriert. Eine gemeine Stimme im Kopf gab mir selbst die Schuld daran. Schließlich war ich diejenige gewesen, die Martin überstürzt verlassen hatte.

Mit Mara am Ohr hatte ich zunächst um mein Sofa geweint, das von nun an penetrant nach Hund stinken würde. Anschließend hatte ich über Martins Pietätlosigkeit geflucht, der dem Biest bestimmt meine Bettseite überlassen hatte. Doch erst nach dem Telefonat überfluteten mich auch die tiefer liegenden Emotionen, die ich doch so mühevoll in mir verschlossen hatte. Jetzt weinte ich so bitterlich, hemmungslos und jämmerlich, dass mein Körper unkontrolliert zu zittern begann. Und endlich, zum ersten Mal, seit ich Köln verlassen hatte, übermannten mich die Gefühle. Die Trauer um den Verlust meines alten Lebens riss mich vollends mit. Ich schrie und weinte bitterlich, ich schluchzte und schlug in Kissen, wütend trat ich gegen eine Wand und schrie vor Schmerzen auf, bis ich wieder ins Heulen fand. Und als mein Körper schließlich nicht mehr konnte, hatte ich mich auf den Boden gekauert, das Kissen in den Armen haltend. Jetzt wollte ich bloß weiteratmen. Doch die Schwere in meiner Brust verschwand einfach nicht.

Wie lange ich wohl so auf dem Boden lag, den Moment abspulend, in dem ich Martin unter diesem frühreifen Ding erwischt hatte? Doch irgendwann war mein Blick auf meine alte CD-Sammlung gefallen. Beinahe automatisch kramte ich eine alte Kuschel-Rock heraus und fand sogar meinen Disk-Man wieder. Schluchzend stopfte ich mir die Kopfhörer in die Ohren und drückte bei »Un-break my heart« auf Repeat. Schließlich hatte Tony Braxton schon in den 90ern meine Liebesdebakel musikalisch untermalt. Dann ließ ich mich wieder auf den Boden sacken und lauschte eine Weile der Musik.

Während ich mit dem Kopfhörerkabel spielte, schweiften meine Gedanken allmählich in die Vergangenheit ab. Ich schmunzelte. Wie oft war ich als 16-jährige mit diesem alten Gerät über das Fenster auf das Dach geklettert, um heimlich Zigaretten zu rauchen, bevor die Qualmerei out wurde?

Ob die alten Kippen noch immer im Versteck waren?, überlegte ich. Plötzlich voller Tatendrang, hievte ich mich hoch, rollte meine Kopfhörer um den Diskman und öffnete das Dachflächenfenster. Dann setzte ich mich rittlings auf den Fensterrahmen und hangelte mich von dort aus seitwärts auf das Dach. Es hatte geregnet und die Ziegel waren nass. Mamas alte Birkenstocks, die ich mir ausgeliehen hatte, erwiesen sich als eher ungeeignetes Schuhwerk für dieses Vorhaben. Mein Herz pochte wild, vor Angst ich könne abrutschen und in die Tiefe stürzen. Was man damals nicht alles für eine Zigarette in Kauf genommen hat, schoss es mir durch den Kopf. Ich erreichte den 7. Dachziegel rechts oben vom Fenster aus und wackelte daran. Leichte Vorfreude überkam mich, als ich diesen wenig später in den Händen hielt. Dann griff ich in die kleine Mulde. Schon spürte ich das vertraute Plastik. Ich zog den Gefrierbeutel heraus und hielt ihn triumphierend nach oben. Ein Päckchen Marlboro baumelte vor meinen Augen. Nun benötigte ich nur noch meinen Diskman, dann würde ich mich, genauso wie damals, hierhin setzen und gemütlich eine Zigarette rauchen. Es würde die Erste sein in 19 Jahren (abgesehen von dem einen Mal auf meinem Junggesellinnenabschied und Silvester 2008). Doch leider hatte ich mich zu früh gefreut. Als ich zurückkriechen wollte, rutschte mein Fuß auf einem nassen Ziegel ab. Unsanft landete ich auf dem Po und glitt weiter abwärts. Gerade noch rechtzeitig konnte ich mich am Fensterrahmen festkrallen und so meinen Fall verhindern, die Plastiktüte mit den Fluppen hingegen entglitt mir und fiel in die Brombeerhecken der Nachbarn.

Verdammt, fluchte ich in mich hinein, während ich erschrocken wieder ins Haus kletterte.

Ich sah an mir herunter und rümpfte die Nase. Ich Versagerin hatte es heute nicht einmal aus dem Pyjama geschafft. Schnell warf ich mir den alten Bademantel über. Schließlich hatte ich mir die Zigarette in meinen Kopf gesetzt und nichts in der Welt würde mich davon abhalten, diese Kippen, die da unten in den Brombeeren lagen, zu qualmen.

Der Weg zur Hecke der Nachbarn führte über deren Gartenzaun. Ich hoffte inständig, dass man mich beim Klettern nicht erwischen würde. Geschickter als vermutet, schaffte ich es auf die andere Seite des Zauns und fand schnell die Plastiktüte, die ich mir in die Bademanteltasche steckte. Doch auf dem Rückweg verschworen sich die Birkenstockschlappe und ein Nagel der Zaunlatte gegen mich und verhakten sich so ineinander, dass ich den blöden Schuh auf der Nachbarseite verlor. Fluchend bückte ich mich und schob mein Handgelenk zwischen zwei Holzlatten hindurch, in der Hoffnung, die Schlappe zu ergreifen. Die Dornen der Brombeerhecke schnitten schmerzhaft in meine Hand, während ich versuchte, den Schuh zu befreien.

»Autsch, verdammter, blöder Zaun!«, stöhnte ich.

»Was hat der Zaun Ihnen denn getan?«, hörte ich eine tiefe Stimme, der ein arroganter Tonfall anheftete. Als ich mich genervt umdrehte, blickte mich ein eisblaues Augenpaar so eindringlich intensiv an, dass ich für einen kurzen Moment erstarrte, so als könne mein Gegenüber die Zeit anhalten. Doch dann erkannte ich den motorradfahrenden Intensivmediziner, der leider von Nahem noch viel heißer war als aus der Ferne. Schnell erhob ich mich und rümpfte grimmig meine Nase, hatte der Rüpel mir doch neulich erst seinen Mittelfinger präsentiert.

»Hübsches Outfit. Allerdings nicht das Richtige, wenn man unauffällig in die Gärten anderer einbrechen möchte.«

Belustigt formte sich sein Mund zu einem frechen Grinsen. Ich hingegen fand die Situation gar nicht lustig, kniff die Augen zusammen und schenkte ihm einen meiner bösesten Blicke. Derweil versuchte ich trotz der Jogginghose, dem offenen Bademantel und der fehlenden Birkenstockschlappe irgendwie noch anmutig zu wirken.

»Ich bin nicht eingebrochen. Ich habe etwas verloren.«

Na toll. Eine blödere Antwort hätte mir nicht einfallen können. Nervös drehte ich den Bademantelgürtel zwischen den Fingern.

»Aha, so nennt…« Er verstummte plötzlich und starrte gebannt auf meine Hände. Meine Augen folgten seinem Blick.

»Oh, die Brombeersträuche haben mir das angetan«, kommentierte ich die zerkratzten, leicht blutigen Finger. Er räusperte sich, ohne seinen äußerst eindringlichen Blick von den Händen zu wenden.

»Ich sehe mir das einmal an«, sagte er fast grob. Ganz und gar nicht grob ergriff er meine Hand und fuhr sanft mit seinen Fingern über die Kratzer. Seine Hand war so kühl, dass ich kurz zusammenzuckte.

»Das ist nicht schlimm, aber ich hoffe, Sie haben eine Tetanus-Impfung?«, fragte er ganz ernst.

»Ja natürlich. Sie als Arzt verstehen sicherlich ihr Handwerk.« Nervös, weil er noch immer auf meine Finger starrte, entzog ich ihm die Hand und vergrub sie in den Bademanteltaschen. Dabei fiel mir der Frischhaltebeutel aus der Tasche vor die Füße.

Er hob ihn für mich auf und wedelte damit vor meiner Nase herum.

»Was haben wir denn hier? Möchte hier jemand etwas Dampf ablassen?« Er grinste mich so dämlich an, dass ich ihm schnell die Plastiktüte entriss.

»Danke für...«, mir fiel nichts ein, wofür ich mich hätte bedanken können. So drehte ich mich um und schritt zur Haustür.

»Feuer?«, fragte er dreist.

»Nein, danke. Ich habe Feuer.«

»Nein, haben Sie nicht. Zumindest nicht in dem Beutel.« Ich rollte die Augen. Verdammt, das hatte ich bei all dem Tatendrang vergessen.

Schon war das Schnippen eines Feuerzeugs zu hören. »Ich rauche auch mit Ihnen, wenn Sie mir versprechen, danach die Finger von dem Zeug zu lassen.«

Einen kurzen Moment starrten wir uns bloß gegenseitig an.

»Also gut«, unterbrach ich schließlich die Stille zwischen uns und kramte die Marlboros aus der Tüte. Ein wenig Gesellschaft konnte mir nicht schaden. So nahm ich mir eine Zigarette heraus und hielt ihm selbst die Packung hin. »Die sind vielleicht etwas alt.« - genauso wie ich, fügte ich nur gedanklich dem Satz hinzu.

Er hielt mir die Flamme vor die Augen und ich zündete die Zigarette an.

»Wie kommen sie darauf, dass ich Arzt bin?« Er ließ mich nicht aus den Augen, während er sich selbst die Kippe ansteckte. Ich inhalierte und musste schrecklich husten. Das Kraut war trocken und hart und brannte in meiner Kehle. »Oh mein Gott, die sind wirklich steinalt«, sagte ich kratzig, zog dann aber erneut. Mit der Kippe zwischen den Fingern fühlte ich mich auf einmal lebendiger und sogar ein kleines bisschen verwegen.

»Sie sind neu im Dorf. Sowas spricht sich schnell herum. Nur meine Trennung von meinem Mann verbreitete sich hier fixer.« Ich biss mir auf die Unterlippe. Wieder beäugte er mich viel zu eindringlich. Schnell wanderte mein Blick an ihm vorbei auf unser Garagentor. Nach einer kurzen Pause lächelte er frech. »Ich bin kein Arzt, ich bin Krankenpfleger. Ich weiß gar nicht, wieso die Dorftrottel aus mir ständig einen Arzt machen.« Ungläubig schaute ich ihn an. Krankenpfleger? Das machte ihn fast sympathisch -und passte so gar nicht zu ihm und seiner überheblichen Attitüde. Obwohl ich mir schon vorstellen konnte, dass er mit den kräftigen, ausladenden Schultern sehr gut Patienten hochhieven konnte. Ich versuchte, nicht seine Schultern anzustarren. Es gelang mir nicht. Er grinste überheblich. Hoffentlich hatte ich meine Gedanken nicht versehentlich laut ausgesprochen.

»Und ihre Trennung macht mir also Konkurrenz um Platz eins der Dorflästerei?«

Ich räusperte mich. Sofort formierte sich ein Kloß in meinem Hals. Schnell zog ich an meiner Zigarette und räusperte mich erneut. Doch dann hörte ich den Motor des alten Corsas meiner Eltern.

»Mist!« Schnell warf ich die Kippe zu Boden. »Meine Eltern kommen!«, flüsterte ich hektisch.

»Sie verstecken die Qualmerei doch wohl nicht vor Ihren Eltern? Sie sind doch eine erwachsene Frau.« Er lachte belustigt und wusste ganz genau, dass er einen Nerv getroffen hatte.

»Oder möchten Sie nicht mit dem Arzt, dem sein schlechter Ruf vorauseilt, gesehen werden?« Herausfordernd grinste er mich an.

Ich kniff die Augen zusammen und tat kurz so, als überlegte ich.

»Ehrlich gesagt, beides«, konterte ich schließlich und zwinkerte ihm zu, bevor ich mich umdrehte und um einen stolzen Abgang bemühte. Mit nur einem Schuh war das gar nicht so einfach.

»Ich bin Richard«, rief er mir hinterher, doch ich tat so, als hörte ich ihn nicht. Dennoch grinste ich in mich hinein.

Am Abend klingelte es an der Tür. Mein Vater öffnete. Auf der Matte vor der Eingangstür fand er einen Birkenstockschlappen, den er fragend in die Höhe hielt. Ich zuckte schmunzelnd mit den Schultern.

5

Lemon Tree, Fools Garden

Es wäre eine Lüge zu behaupten, dass die nächsten zwei Wochen bei meinen Eltern wie im Flug vergangen waren. Viel eher hatten sich die Tage zäh wie altes Kaugummi gezogen.

Im Gegensatz zu Milo, der jeden Morgen pünktlich das Haus verließ, um seine neue Schule zu besuchen, schaffte ich es nicht einmal, mich vor 9 Uhr aus der Bettdecke zu schälen. Stattdessen wartete ich gespannt darauf, dass die Tür nach Milo erneut ins Schloss fiel; das Signal, dass meine Eltern ins Geschäft fuhren. Erst dann schleppte ich mich unbemerkt vom Bett in Richtung Wohnzimmer, nicht ohne einen Zwischenstopp an der Kaffeemaschine einzulegen. Dort ging es auf dem Sofa erneut in die Waagerechte. Anschließend zappte ich mich den übrigen Vormittag durch die Kanäle. Vom Frühstücksfernsehen über Reality-Shows. Das Fernsehprogramm war seit meiner Jugend vielleicht anders, aber bei weitem nicht besser geworden.

Mittags begab ich mich nur in die Senkrechte, um eine Schüssel Cornflakes zu verschlingen, die ich anschließend auf dem Wohnzimmertisch abstellte. Die kommenden Stunden schielte ich dann auf besagten Gegenstand und schob den großen Moment – das Abräumen der Schüssel und deren Beförderung in die Spülmaschine - bis kurz vor Feierabend meiner Eltern vor mir her.

Ich ahnte, dass eine Intervention nur eine Frage der Zeit war; deshalb bemühte ich mich erst gar nicht, von selbst wie ein depressiver Phoenix aus meiner Lethargie emporzusteigen. An einem Freitagnachmittag war es so weit.

Mama stampfte zielorientiert ins Wohnzimmer und zog lautstark die Rollos nach oben. Dreist riss sie mir die Wolldecke vom Leib und entwendete mir die Fernbedienung. Mit dieser fuchtelte sie dann vor meiner Nase herum.

»Mein Fräulein, dieses Ding schließe ich in den Tresor ein, bis du wieder unter den Lebenden bist.« Ihr Tonfall ähnelte dem Moment, als ich es mit 16 gewagt hatte, mich der Ausgangssperre zu widersetzen und erst nachts um 3 heimgekehrt war. Ich zog ihr die Decke aus den Händen und legte sie mir über meinen Kopf, um Mamas schrille Stimme zu dämpfen, doch die zog schnell am anderen Ende und wickelte diese um ihren Arm.

»Mama, kannst du nicht etwas Verständnis für mich haben, ich…«

Weiter kam ich nicht. Die Augen meiner Mutter verwandelten sich in kleine Schlitze. »VERSTÄNDNIS?! Katrin, das ist doch wohl nicht dein Ernst!«

Oh je, ihre Rage gewann an Fahrtwind.

»Wir hatten ALLES Verständnis der Welt für dich, seitdem du hier wieder eingezogen bist! Seit einer Woche hast du weder geduscht noch den alten Bademantel abgelegt. Das Wohnzimmer stinkt jeden Tag, wenn ich nach Hause komme, wie ein Kaninchenbau. Du kümmerst dich nicht mehr um Milo. Weißt du überhaupt, was der tagsüber so treibt?! Wir haben deine schlechte Laune ertragen, hinter dir her aufgeräumt, dir zugehört und mit dir gelitten. Jetzt reicht es! Du, mein Fräulein, hast ab sofort Fernsehverbot!«

»Fernsehverbot?! Wie bitte? Ich bin erwachsen, Mama!«

Meine Mutter steckte die Fernbedienung in die hintere Hosentasche und stemmte die Hände in die Hüften. »Erwachsen, ja? Dann benimm dich gefälligst auch so. Momentan bist du schlimmer als jeder verantwortungslose Teenager!«

Wow, die Kulanz-Zeit meiner Eltern hatte ich bei Weitem überschätzt.

»Findest du nicht, dass du übertreibst?«, verteidigte ich mich kleinlaut.

Mamas Augen weiteten sich. »Ach, du schaffst es ja nicht einmal, deinem Sohn eine Brotzeit für die Schule einzupacken!«

Das stimmte nicht. Erst heute früh hatte ich ihm einen Zehner zugesteckt, damit er sich in der Mittagspause eine Currywurst kaufen konnte.

Ich stand vom Sofa auf und versuchte, mich verschämt zu rechtfertigen.

»Ich bin im Umbruch. Ich lebe in Trennung… oder Scheidung, oder was auch immer das gerade ist. Mein gesamtes Leben ist ein Scherbenhaufen!«

»Dann kehre die Scherben auf und kitte was zu kitten ist! Aber geh sofort von meinem Sofa runter! Und zieh dir den Bademantel aus, geh unter die Dusche, wasch dir deine Haare. Geh an die frische Luft und frag Milo mal, wie es so in seiner neuen Schule ist! Und ab Montag hilfst du im Laden aus, haben wir uns verstanden?«

Ich schnaubte verärgert, atmete tief ein und aus. Dann sah ich sie an und nickte.

»Mama?«, fragte ich leise.

»Was ist?«, gab sie genervt zurück.

»Kannst du mir die Haare tönen?«

Mama nickte zufrieden und nahm mich endlich in die Arme.

6

The sign, Ace of Base

Am Montag war es so weit. Ich hatte meinen Eltern versprochen, die erste Schicht zu übernehmen und auch zu Ende zu bringen; egal, was an diesem Tag passieren würde. Meine Mutter hatte mir die Haare braun gefärbt. Die Farbe war aus dem Supermarkt. Dennoch tat es gut zu wissen, dass die grauen Stellen nicht mehr so penetrant hervorstachen. Auch hatte ich mich in eine Jeans gezwängt. Nach zwei Wochen Jogginghose fühlte sich der Stoff eigenartig auf meiner Haut an. Die Hose zwickte. Wahrscheinlich hatte ich in der letzten Zeit das ein oder andere Kilo zugelegt. Die weiße Bluse, die meine Mutter gestern für mich aufgebügelt hatte, spannte leider nicht mehr nur am Busen, sondern auch am Bauch. Dennoch fühlte ich mich insgesamt etwas Menschlicher. Ich hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, Wimperntusche aufzutragen, es aber letztlich doch vergessen.

Jetzt war ich allein im Geschäft und stand mir gelangweilt die Beine in den Bauch. Meine Eltern würden erst am Mittag kommen. Ich lehnte mich an eine der Waschmaschinen und zockte Candy Crush auf meinem Handy, als mir die Türklingel verriet, dass jemand den Laden betrat. Ich konnte mein Handy bloß schnell hinter dem Rücken verstecken, da stand der Kunde schon vor meiner Nase. Mir wurde seltsam heiß, als ich in seine Augen sah. Es war Richard, der mich süffisant angrinste.

»Katrin heißt du also. Hast du deinen Schuh wieder gefunden, Cinderella?«

»Sag mal, stalkst du mich?«, fragte ich entrüstet, starrte aber zugleich etwas zu lang auf seinen Oberkörper. Richard trug ein enganliegendes Shirt. Mein Blick wanderte über seinen Unterarm hinauf und blieb erneut an seinen Schultern heften. Ich fragte mich, welchem Sport er nachging, um so in Form zu sein. Den Gedanken, dass er mich stalkte, fand ich vielleicht gar nicht so entrüstend.

»Nein, ich stalke nicht. Aber ich kann lesen.« Er zeigte nickend auf mein Namensschild.

Sofort schoss mir die Röte ins Gesicht. Wie peinlich! Als ob jemand die jetzige Version meiner selbst stalken würde. Egal. Ich wollte auch gar nicht gestalkt werden. Vor allem nicht von Richard. Niemals. Trotzdem flog mein Blick erneut über seinen Oberkörper. Verschämt flüchtete ich zur Kasse.

»Wenn du hier bist, um eine Waschmaschine zu kaufen, dann schau dich um«, entfuhr es mir schnippischer als beabsichtigt und ich versteckte mich weiter hinter dem Tresen. Himmel, wie schrecklich kindisch ich mich plötzlich fühlte. Richard lächelte schief und ignorierte meinen ablehnenden Unterton. Er verschränkte die Arme und schlenderte durch die Reihen von Waschmaschinen; jede Maschine so betrachtend, als sei er im Porsche-Auto-Haus.

Ich beobachtete ihn verstohlen.

»Ohne deinen Bademantel hätte ich dich beinahe nicht erkannt«, rief er zu mir hinüber, ohne seinen Blick auf mich zu richten. Sofort wünschte ich mir den Bademantel herbei. Den würde ich ganz eng um die Brust wickeln ... oder gleich über den hochroten Kopf stülpen, während ich im Erdboden versank.

Hoch konzentriert zählte ich das Geld in der Kasse, - und verzählte mich.

»Entschuldige, kannst du mir hier helfen?«, rief er nach einer Weile wieder zu mir hinüber. Unsicher ging ich zu ihm. Hoffentlich hatte er keine technischen Fragen. Ich hatte keine Ahnung von dem, was ich verkaufte. Eine Waschmaschine war eine Waschmaschine war eine Waschmaschine… es sei denn, es handelte sich um einen Trockner.

»Ist die gut?«, fragte Richard und zeigte auf das Gerät vor ihm. Ich zuckte mit den Schultern. »Habe ich noch nicht ausprobiert«, gab ich zurück. Ich war eine miserable Verkäuferin. Dennoch stellte ich mich vor das Gerät und tat zumindest so, als würde ich es näher betrachten. »Kann ich die ausprobieren?«, fragte er mich weiter und kam einen Schritt auf mich zu. Ich hingegen flüchtete zurück, so dass ich mit dem Rücken zur Waschmaschine stand.

»Was?! Nein, natürlich kannst du die hier nicht ausprobieren! Es handelt sich um ein gebrauchtes Gerät. Du hast ein halbes Jahr Garantie…« Ich unterbrach mich selbst, als er mir noch näher kam und mir frech, aber seltsam intensiv in die Augen schaute. Mein Blick, der ohnehin immer das machte, was er wollte, blieb an dem seinen heften und ich fragte mich, ob die plötzliche Hitzewelle, die mich unvorbereitet traf, wohl meine Menopause ankündigte?

»Können wir dann wenigstens einen Trockengang machen?« Verwirrt blickte ich auf das Verkaufsschild. Doch während ich versuchte herauszufinden, ob es sich bei dem alten Teil um ein Kombigerät mit integriertem Trockner handelte, war Richard jetzt ganz nah, legte seine Hände um meine Hüften und hob mich mit festem Griff auf die Waschmaschine.

Ich war zu überrascht, um Einspruch einzulegen. Und das Atmen ließ ich sein, als er sanft seine großen Hände auf meine Oberschenkel ablegte und sie langsam auseinanderschob. Noch langsamer positionierte er sich zwischen meine Beine, mich dabei keinen Moment aus den Augen lassend. Schließlich stützte er die Hände links und rechts von mir auf der Waschmaschine ab. Während ich ungläubig auf die muskulösen Arme, die mich jetzt umrahmten, starrte, beobachtete mich Richard frech. Es war eindeutig. Er wartete auf eine Reaktion von mir.

Und ich? Ich starrte bloß geschockt zurück. Die Feministin der 1990er in mir war erbost über so viel Unverfrorenheit. Sie schwang zwischen Ohrfeige und einer Anzeige wegen sexueller Belästigung.

Mein Alter Ego hingegen, das sich nicht erinnerte, wann Martin mich das letzte Mal so lasziv sexy angefasst hatte, tauchte genussvoll in den Moment hinein. Die Röte schnellte mir ins Gesicht. Ich betete, dass Richard das Kribbeln, das durch meinen Körper fuhr, nicht bemerken würde.

Seine Hände wanderten erneut zu meinen Hüften. Doch als ich mir ausmalte, was wohl als Nächstes zwischen uns passieren würde, hob mich Richard von der Waschmaschine runter und stellte mich auf wackeligen Beinen ab.

»Gut. Dein hübscher Hintern passt schonmal hier drauf. Die nehme ich dann. Den Schleudergang probieren wir später aus; aber erst, wenn du so weit bist.«

Nur langsam löste ich mich aus der Schockstarre und schleppend fand ich meinen Atem zurück. Das, was gerade passiert war, hatte mich zutiefst irritiert. Im Gegensatz zu Richard. Der grinste mich herausfordernd an. Ich schlängelte mich an ihm vorbei, verschränkte die Arme vor der Brust und versteckte mich erneut peinlich berührt hinter die Kasse.

»Das macht 150 Euro«, flüsterte ich und wich seinem prüfenden Blick aus, der jede meiner Regungen zu verfolgen schien. Noch immer spürte ich dieses verdammte Kribbeln, das seine Hände auf meinen Oberschenkeln hinterlassen hatten. Nervös kassierte ich ihn ab und drückte ihm wortlos die Visitenkarte des Lieferdienstes in die Hand. Er nahm sie entgegen, ohne mich ein weiteres Mal zu berühren.