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Abelia findet am Strand eine sprechende Robbe, die behauptet, in Wahrheit die Deutsche Dogge Almut zu sein. Für Abelia und ihren treuen Hund Lazarro gibt es keinen Zweifel: Sie müssen der unglücklichen Robbe helfen, ihr entführtes Herrchen aus den Fängen der bösen Fee Tomma zu befreien. Aber die lebt in dem Palast unter den Meeren. Nur in einer Vollmondnacht bei ruhiger See steht der Weg dorthin offen. Doch zuvor muss Abelia das Gegenzaubermittel beschaffen. Ein turbulentes und gefährliches Abenteuer beginnt. Für einen Erfolg braucht Abelia einen wachen Verstand, List und vor allen Dingen ein gutes Herz.
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Seitenzahl: 126
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Cordula Hamann
Abelia und die Mönchsrobbe
Die gefährliche Reise zum Palast unter den Meeren
Dieses ebook wurde erstellt bei
Inhaltsverzeichnis
Titel
Die Mönchsrobbe
Die böse Fee Tomma
Der Aufbruch
Die Gefangenschaft
Der betrogene Bauer
Die Suche
Der alte Mann
Der Student und das Mädchen
Die Frau und das Meer
Die Vollmondnacht
Die Rede
Die Heimkehr
Ein Neuanfang
Impressum neobooks
„Lauf!“ schrie Abelia in den Sturm und stapfte ganz und gar nicht jungmädchenhaft durch die Dünen in Richtung Wasser. Wieder einmal hatte ihr die Mutter Vorwürfe gemacht, wie wenig Beachtung sie ihrem Äußeren schenkte. Hier am Strand konnte sie sein, wie sie wollte. Jeans und Pulli oder T-Shirt, die langen Haare mit einem einfachen Gummiband zusammengebunden und fertig. Andere Dinge waren schließlich wesentlich spannender.
Ihr Hund Lazarro ließ keinen Blick von dem roten Gummiball, den sein Frauchen in diesem Moment in Richtung Strand warf. Augenblicklich stürmte er los. Hier am Meer, wo Abelia jeden Abend mindestens eine Stunde spazieren ging, gab sie die Sorgen des Tages an den Wind ab und teilte die fröhlichen Ereignisse mit den tanzenden Wellen. Sie konnte sich nicht daran erinnern, dass ihre Mutter sie schon ein einziges Mal auf ihren täglichen Spaziergängen begleitet hatte. Wie auch? Im Rock oder Kleid konnte man schlecht vor Übermut die Sanddünen herunterkugeln und Lederschuhe würden Salzflecken bekommen, wenn man nicht aufpasste und die Wellen einmal schneller kamen, als man beiseite springen konnte. Dafür begleitete sie Lazarro, ein braun-weißer Münsterländer. Er war bei ihr vom ersten wachen Moment am Morgen bis zum Einkuscheln an ihrem Fußende am Abend. Selbst auf dem Weg zur Schule in der nahen Stadt ließ er sie nicht allein. Geduldig vertrieb er sich dort die Zeit, bis Abelia das Schulgebäude am Nachmittag verließ.
Jetzt brachte er stolz den Ball zurück und ließ ihn vor Abelias Füße fallen. Als sie das Spielzeug erneut hochhob und zum Wurf ansetzte, hielt Abelia abrupt in der Bewegung inne. Ungefähr einhundert Meter vor ihr am Strand, unmittelbar an der Wasserkante, lag ein glatter, rundlicher und riesengroßer Stein. Sie kannte jeden Zentimeter des Strandes. Dieser dunkelgraue Stein gehörte definitiv nicht hierher und er konnte unmöglich vom Wasser angespült worden sein.
„Lazarro komm! Das gucken wir uns an.“
Der Hund streckte vorsichtig den Kopf vor und nahm den Duft des grauen Etwas auf, während Abelia ohne Zögern den nassen Stein prüfend betastete. Mit einem Mal wedelte Lazarro heftig mit dem Schwanz, stupste mit der Nase den Stein an, sprang etwas zurück, wagte sofort einen neuen Vorstoß und bellte dabei.
„Was hast du nur?“ Die Aufregung des Hundes lenkte Abelias Aufmerksamkeit auf ihn und so erschrak sie umso heftiger, als ihre noch immer auf dem Stein ruhende Hand eine Bewegung wahrnahm. Sofort zog sie die Hand zurück und sprang, wie zuvor Lazarro, mehrere Schritte zurück. Ungläubig beobachtete sie den großen Stein. Der riesige Berg wurde flacher und länger und der Kopf und Schwanz einer ausgewachsenen Mittelmeer-Mönchsrobbe wurde sichtbar. Wie ein Hund schüttelte sich die Robbe und unzählige Sandkörner wurden vom Kopf in alle Richtungen geschleudert. Dann sahen runde schwarze Knopfaugen über einer weichen Schnauze mit langen Barthaaren prüfend hoch. Nach dem ersten Schrecken durch die unerwartete Bewegung, verspürte Abelia keine Angst mehr. Denn sie liebte diese selten gewordenen Bewohner des Meeres ebenso wie die Delfine, deren elegante Schwimmbewegungen sie schon oft bewundert hatte. Aber eine Mönchsrobbe hatte sie noch niemals beobachten können und alles, was sie über sie wusste, war aus ihren Büchern.
Sie setzte sich in gebührendem Abstand, um das Tier nicht zu ängstigen, in den Sand und befahl Lazarro in den Platz neben sich. Er bellte nicht mehr, wedelte aber noch immer heftig mit dem Schwanz, den Hals weit nach vorn gestreckt und die Ohren zurückgelegt. Sie kannte diese Reaktion bisher nur aus Begegnungen mit den Hündinnen der Nachbarschaft. Sie streichelte ihm über den Kopf. „Dummer Hund“, sagte sie zärtlich.
„Er ist nicht dumm“, ertönte eine leise Stimme. Erschrocken drehte Abelia den Oberkörper herum und erwartete, dass ein weiterer einsamer Strandspaziergänger sich zu ihr gesellt hatte. Aber sie konnte niemanden sehen und auch Lazarro, der keinen Fremden unbemerkt an sein Frauchen lassen würde, sah unverwandt auf die Robbe. Wieder sprach jemand: „Du hast schon richtig gehört. Ich bin es. Die Robbe. Also eigentlich bin ich gar keine Robbe.“ Abelia schüttelte den Kopf, stand auf und sah in alle Richtungen den Strand entlang.
„Das kann doch nicht sein. Das gibt es doch gar nicht!“, stammelte sie und rieb sich die Augen.
„Ach, dass ihr Menschen so ungläubig seid, erschwert immer alles“, seufzte die Stimme, „vertrau einfach deinen Sinnen, Abelia.“
Jetzt sprach sie die Robbe direkt an: „Woher – woher weißt du meinen Namen?“
„Lazarro hat sich und dich vorgestellt.“ Mit aufgerissenen Augen starrte Abelia ihren Hund an.
„Wie? Du kannst auch sprechen? Spinnt ihr jetzt alle?“ Sie drehte sich in Richtung des Wassers, stemmte die Arme in die Hüften und sprach zu sich selbst: „Nein, jetzt mal langsam. Es ist der Sturm und ich bin es, die jetzt gerade spinnt. Oder doch nicht?“ Entschlossenen drehte sie sich zurück und ließ sich in den Schneidersitz herunter. „Also gut. Du, Robbe, kannst sprechen und du, Lazarro, hast mich die ganze Zeit gefoppt, weil du auch sprechen kannst. Warum hast du das die ganzen Jahre vor mir verheimlicht? Nicht sehr nett von dir.“ Der Hund rutschte näher an sie heran und leckte mit der Zunge über ihre Hände.
„Du tust ihm Unrecht. Er kann wirklich nur die Hundesprache sprechen“, ertönte es wieder aus dem Robbenmaul. Jetzt sah Abelia ganz genau hin und tatsächlich: Sie konnte die kleinen Schnauzenbewegungen der Robbe sehen, als diese sprach.
„Aber wieso kann er dann offenbar mit dir sprechen? Du bist kein Hund.“
„Ja und nein“, antwortete die Robbe. „Es ist Ebbe. Ich muss ein wenig weiter rutschen. Entschuldigt mich einen Moment.“
Während sich auch Abelia und Lazarro näher an die Wasserkante setzten, erklärte die Robbe: „Ich war ein Hund. Genauer eine Deutsche Dogge. Ich heiße übrigens Almut. Blöder Name, oder?“
Lazarro gab einen kurzen Knurrlaut von sich, wedelte dabei aber freundlich mit dem Schwanz. Abelia kam es so vor, als verstünde er jedes Wort, das Almut von sich gab. Und als ob die Robbe ihre Gedanken hören konnte, sagte sie: „Lazarro kann mich ebenso wie dich verstehen. Dummerweise ist uns Hunden nicht die Möglichkeit gegeben, die Menschensprache zu lernen.“
„Aber im Moment bist du doch nun eine Robbe? Eine Robbe, die sprechen kann. Erzählst du uns, was passiert ist?“
„Musst du nicht nach Hause?“
Erschrocken stellte Abelia mit einem Blick auf ihre Armbanduhr fest, dass es bereits weit über die Zeit hinaus war, zu der sie normalerweise am Strand umkehrte, um noch im Hellen zu Hause sein zu können. Ihre Mutter würde wütend werden und ihr Vater würde sich Sorgen machen. „Es ist eine lange Geschichte“, fügte Almut bekräftigend hinzu. „Ich werde sie euch morgen erzählen.“
„Wo finden wir dich?“, fragte Abelia.
„Siehst du den größeren Felsen dort?“
„Natürlich. Das ist der Delfinkopf“ Sie hatte allen Felsformationen in der Gegend hier Namen gegeben. Almut verzog ihre Schnauzenwinkel weit nach oben und gab glucksende Geräusche von sich.
„Gut, also der Delfinkopf dort. Schafft ihr das, dort hinauf und wieder hinunter zum Wasser zu klettern?“ Lazarro bellte zustimmend und Abelia nickte. „Für mich ist es geschützter dort. Also bis morgen. Seid ein bisschen früher da als heute“, sprach Almut und mit einer Schnelligkeit, die Abelia ihren Rutschbewegungen gar nicht zugetraut hatte, war sie im tiefen Wasser. Sofort verwandelte sich die Plumpheit ihrer Fortbewegung in elegante und schwungvolle Schwimmbewegungen in Richtung offenes Meer.
Zweimal ermahnte sie der Lehrer, nicht zu träumen, sondern zuzuhören. Es störte Abelia nicht, denn ab übermorgen würden Ferien sein, die Zeugnisse waren geschrieben und sie war in die neunte Klasse versetzt. Wozu da noch aufpassen? Sie lief als erste aus dem Gebäude und nicht einmal Carlos, der Schuld daran war, dass sie ihre langen Haare in letzter Zeit ab und zu offen trug, anstatt sie mit einem einfachen Gummiband zusammenzubinden, konnte sie bewegen, noch länger auf dem Schulhof zu bleiben. Lazarro sprang ihr freudig entgegen. Sein Blick schien ihr verschwörerisch. „Ich sag nie wieder dummer Hund zu dir“, versprach sie lächelnd im Dauerlauf.
Der Nachmittag zog sich zäh in die Länge, aber endlich war es Zeit, sich auf den Weg zu machen. Leichtfüßig erklomm sie die zerklüftete Steinformation des Delfinkopfes und spähte aufgeregt in das bewegte und leicht schäumende Wasser unter ihr. Die Felsen hatten eine Minibucht ausgebildet, in der Sand angespült worden war. Sie kletterten hinunter und Abelia setzte sich auf einen der Steine und überließ den Ministrand ihrem Hund. Aufgeregt starrten beide ins Wasser. Sie mussten nicht lange warten, dann sahen sie Almuts Kopf aus dem Wasser auftauchen und Sekunden später robbte sie auf den Sand. Bellend machte Lazarro Platz. Ganz kurz berührten sich die Schnauzen der beiden Tiere. „Wie ein Kuss“, dachte Abelia gerührt.
„Hallo Almut. Nun erzähl schon. Ich konnte die Nacht kaum schlafen“, forderte sie die Robbe auf.
„Nun also hört meine Geschichte: Mein Herr und ich lebten in Marokko, an der Nordwestküste. Er heißt Eneas und ist ein Edelmann. Er hat mich vor dem Ertränken gerettet und groß gezogen und ich bin ihm dafür eine treue Gefährtin und Wächterin geworden. Ihr müsst wissen, Eneas ist jung, sieht gut aus und ist reich dazu. Und ich … naja … eine Deutsche Dogge ist schon ziemlich ungewöhnlich in Marokko. Wir waren ein stolzes Paar.“
„Du scheinst Eneas sehr zu lieben, nicht wahr?“, fragte Abelia. Die Robbe sah Lazarro an und antwortete dann: „Ebenso wie er dich liebt. So sind wir Hunde eben.“
„Aber wieso bist du jetzt keiner mehr. Was ist passiert?“
„Nicht so ungeduldig.“
Es schien Abelia, als ob die Robbe grinste, als sie weiter erzählte: „Alle Menschen lieben Eneas. Nicht wegen seines Aussehens oder seines Geldes, sondern weil er ein wirklich gutes Herz hat. Er gibt viel von seinem Reichtum an andere ab und hat immer ein offenes Ohr für jeden, der seine Hilfe erbittet. Er ist so gut, dass Tomma sich für ihn interessierte.“ Die Robbe stockte bei dem Ausspruch des Namens.
„Wer ist das?“, fragte Abelia, doch die Robbe schwieg.
Lazarro stand auf und legte sich dichter an Almut heran. Er leckte ihr über die Schnauze und dann über das ganze Gesicht. Als er an den winzigen Ohren angelangt war, rief sie plötzlich: „Hör auf, das kitzelt!“ Und es hörte sich an, als kichere sie.
„Ich erzähl ja schon weiter. Ihr müsst wissen, Tomma ist kein Mensch. Sie ist eine böse Fee. Die böse Fee schlechthin. Jeder fürchtet sich vor ihr. Immer, wenn die Menschen glücklich sind, dann lässt Tomma etwas Schreckliches passieren. Ich hasse sie!“
Lazarro knurrte zustimmend und Abelia fragte ungläubig: „Und die hat sich in Eneas verliebt?“
„Nein! Sie ist zu keiner wahren Liebe fähig. Verliebt sein heißt bei ihr nichts weiter, als besitzen zu wollen. – Sie wollte Eneas und sie holte sich ihn“, presste die Robbe hervor.
„Was meinst du damit?“
„Tomma lebt in ihrem Palast. Wen sie mit sich nimmt, der kommt allein nicht mehr zurück. Denn der Palast liegt in der Welt unterhalb der Meere.“
„Und dorthin hat sie deinen Eneas verschleppt?“, fragte Abelia erschrocken. Sie konnte Almuts Trauer förmlich spüren.
„Ich habe die Gefahr geahnt und da habe ich meinen Herrn noch aufmerksamer als sonst bewacht. Ich wusste: Solange ich bei ihm war, konnte ihm nichts passieren, denn Tomma hat panische Angst vor Hunden, vor so großen wie mir allemal.“
„Und trotzdem ist es ihr gelungen?“, fragte Abelia mitfühlend, denn sie hörte die Selbstvorwürfe in Almuts Worten.
„Sie hat einen ihrer menschlichen Diener heimlich in das Haus meines Herrn geschickt, der hat ein Zauberpulver unter mein Fressen gemischt hat. Es hat nicht anders als sonst geschmeckt und ich habe es gefressen.“
„Und dann?“ Abelias Blick hing an der Schnauze der Robbe, um ja kein Wort zu verpassen.
„Ich fiel in einen tiefen Schlaf und am Morgen hatte ich die Gestalt einer Mönchsrobbe. Eneas erschrak fürchterlich, als er erwachte. Ich nicht minder. Ich war völlig verwirrt. Doch dann merkte ich, dass ich die Menschensprache beherrschte. Ich sagte Eneas, dass ich Almut, seine Dogge sei und er glaubte mir. Wir wussten beide, wer dahinter steckte.“
Abelia beugte sich weiter vor. Hatte sie da wirklich Tränen in Almuts Augen gesehen? Nein, Robben konnten nicht weinen. Es mussten Wasserspritzer von der Gischt sein. Aber vielleicht … was war an dieser Robbe schon normal?
„Eneas brachte mich zum Meer und bestand darauf, dass ich mich zur Sicherheit einer vor der Küste lebenden Gruppe der Mönchsrobben anschließen sollte, bis es ihm gelungen sein würde, ein Gegenmittel des Zauberpulvers zu finden. Auf dem Weg zum Strand rief ich allen Hunden, die wir trafen zu, sie sollten an meiner Stelle über Eneas wachen. Doch in der Nacht holte sie ihn.“ Almut schwieg und legte ihren Kopf erschöpft auf den Sand. Abelia stand auf und drängelte sich zwischen Lazarro und die Robbe, um sie zum Trost ausgiebig zu streicheln.
„Du Arme. Haben die anderen Hunde es dir erzählt?“
„Ja“, antwortete Almut nur und ihre Stimme schien unendlich müde.
„Was hast du nun vor, liebe Almut?“