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Im Dezember 2003 begann vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Kassel der spektakuläre Prozess gegen den zur Tatzeit im Jahre 2001 41 Jahre alten Computertechniker A. M., besser bekannt als der "Kannibale von Rotenburg". Detailliert schildert er in der Hauptverhandlung die vor laufender Kamera festgehaltene Tötung und Schlachtung des 43-jährigen Berliner Ingenieurs J. B. "Man kann es fast mit dem Abendmahl vergleichen", so seine Worte vor dem entsetzten Publikum. Das Thema Kannibalismus ruft bei den meisten Menschen Ekel, Angst und Widerwillen hervor, gleichzeitig ist es auch oft mit Sensationslust, Neugier und magischer Anziehung verbunden. Manfred Riße erläutert in seinem sorgfältig recherchierten und verständlich geschriebenen Buch den Fall A. M. vor dem Hintergrund historischer, psychologischer und anthropologischer Erkenntnisse über das Phänomen des Kannibalismus. Aus seiner beruflichen und wissenschaftlichen Erfahrung steuert er rechtmedizinische und kriminologische Detailinformationen zum Fall Rotenburg und zum Thema Kannibalismus bei, die Licht in dieses von Tabu, Gerüchten und Mythen verdunkelte Thema bringen. Ohne Sensationslust, sondern mit viel Sachverstand und Faktentreue ermöglicht er sowohl dem Fachpublikum als auch den interessierten Laien einen objektiven Blick auf einen der erschreckendsten Fälle der Kriminalgeschichte, aber eben auch auf einen der dunkelsten Aspekte des Menschseins, denn Rotenburg war kein Einzelfall … Für Leser mit starken Nerven! Empfohlen ab 18 Jahren
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Seitenzahl: 254
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Manfred Riße
Abendmahl der Mörder
Kannibalen – Mythos und Wirklichkeit
Bibliografische Informationen der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Angaben sind im Internet unter http://dnb.ddb.de abrufbar.
© Copyright 2007 by Militzke Verlag LeipzigAlle Reche vorbehalten.
Lektorat: Sascha KranzUmschlaggestaltung: Thomas ButschUmschlagfoto: © Michael Huberts 2004, www.pixelio.deSatz und Layout: Claudia HofmannGesetzt aus der Legacy Serif und der Legacy SansDruck und buchbinderische Verarbeitung: A2 die Agenturfür Marketing Werbung und Druck, Kemmern
Printed in GermanyISBN 378-3-86189-776-7
Besuchen Sie den Militzke Verlag im Internet unter:http://www.militzke.de
Vorwort
Kannibalismus
Der Kannibalismus und seine Spielarten
Kannibalismus im Tierreich
Anthropophagie
Mythos und Fantasy
Blutsymbolik und Blutrituale
Vampire, Hexen und Zigeuner: Mythosfiguren ritueller Anthropophagie
Realitäten
Hungerkannibalismus
Tierfraß
Kannibalismus und Verbrechen
Serienmörder mit kannibalischen Trieben
Rituelle Praktiken und Grausamkeiten
Weimarer Republik – Hochkonjunktur für kannibalische Serienmörder?
Der »Kannibale von Rotenburg«
Ein beispielloser Fall in der deutschen Rechtsgeschichte
Schlacht- und Machtfantasien
Die Darstellung des Verbrechens im ersten Strafprozess
Das Urteil, die Aufhebung des Urteils, die Rechtsfolgen
Der zweite Strafprozess, Revisionsverhandlung in Frankfurt/Main
Vorläufig letzter Akt
Chronologie des Verbrechens und seiner Folgen
Der »Kannibale« und seine Persönlichkeitsrechte – ein Nebenschauplatz
Gerichtsmedizinische Aspekte im Umfeld von Kannibalismus
Penisamputation und Entmannung
Der Verblutungstod
Exkurs: Tötungsdelikte und Kannibalismus im Dunkelfeld des Verbrechens
»Tötung auf Verlangen«
Der Wunsch, getötet zu werden
Verbluten auf Verlangen – »Eine Art des Weinens«
Leichenzerstückelung
Kannibalismus: Eine Pornografie des Grauens
Anhang
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
»Wer den Körper des anderen auffrisst, ist immer von der Sehnsucht erfüllt, von des Anderen Seele Besitz zu ergreifen – der Körper als Metapher, das Subjekt als Objekt der Begierde.«1
ALEXANDER SCHULLER führt das Thema Kannibalismus zum Ursprung allen Seins zurück. Demnach sind sämtliche Ursprungsmythen kannibalisch, auch die jüdisch-christliche Schöpfungsgeschichte, und auch die Mythen der griechischen Götterwelt. Letztgenannte scheinen von Kannibalismus geradezu beherrscht zu sein, denn in der griechischen Mythologie ist die Genealogie der Götter von einem kannibalischen Konflikt zwischen Vätern und Söhnen gekennzeichnet. Dieser Konflikt wird in seinem Verlauf vom Himmel auf die Erde verlegt, wo er sich weiter fortsetzt. Somit wird durch die Schöpfungsmythen auch die Religion in die irdische Daseinsgeschichte mit Leben, Sterben und Tod miteinbezogen.
Im Zentrum vieler Religionen und Kulturgemeinschaften stehen neben Gebeten auch rituelle Opferhandlungen. Damit verbunden ist häufig das Schlachten eines hierfür auserkorenen Opfers, das Erlebnis des Todes und das Opfermahl. In der Religionsgemeinschaft der Christen existiert kein Opferkult, Christus hat sich selbst geopfert. Jedoch findet in der Vorstellung der katholischen Heilslehre eine (Ver-)Wandlung statt. Christus lebt weiter in denen, die ihn im Ritus des Abendmahls verspeisen. Wer im Messopfer sein Fleisch isst und sein Blut trinkt, besitzt das ewige Leben. Nach der allerdings nicht unumstrittenen Transsubstantiationslehre2, die schon im Mittelalter zur Kirchenspaltung führte, handelt es sich hierbei keineswegs nur um eine symbolische Verwandlung, bei der Fleisch und Blut durch Brot und Wein ersetzt werden, sondern im Sinn der Eucharistiefeier* um eine Realpräsenz des Leibes Christi. In diesem Sinn verschmelzen Gegensätze und Bedeutungen. Kannibalisches Handeln wird zu einer Einheit: »Friß und Werde«, so der Titel von Alexander Schuller’s Aufsatz. Kannibalismus beinhaltet eine Metamorphose, die Verwandlung von Totem in Lebendiges.
Der Kannibalismus-Diskurs durchzieht aber nicht nur Mythen und Religionen, sondern findet auf nahezu allen Ebenen unserer Existenz statt, sowohl im tierischen als auch im menschlichen Bereich. Somit ist Kannibalismus auch Gegenstand zahlreicher Wissenschaften, wie etwa der Anthropologie, der Ethnologie, der Psychologie oder der Religionswissenschaften. Auch die Kriminalwissenschaften und die Gerichtliche Medizin beschäftigen sich mit diesem Thema, in der Regel in Verbindung mit jeweils aktuellen Verbrechen. Und so, wie das Verbrechen dem Menschen eigen ist, so ist verbrecherischer Kannibalismus mit Töten und Schlachten ein Phänomen menschlicher Natur und, auch wenn es merkwürdig klingen mag, menschlicher Kreativität. Verbrecherischer Kannibalismus ist vermutlich so alt wie die Menschheit selbst.
Abscheu und Faszination begleiten dieses Thema. Es ist eine seltsame, ambivalente Faszination, eine Mischung aus Ekel, Abscheu, Angst und Widerwillen auf der einen, Sensationslust, Neugier und magischer Anziehung auf der anderen Seite.
Am 3. Dezember 2003 begann vor der 6. Strafkammer des Landgerichts Kassel der spektakuläre Prozess gegen den zur Tatzeit im Jahr 2001 41 Jahre alten Computertechniker A. M. – besser bekannt als der »Kannibale von Rotenburg«. Detailliert schildert dieser in der Hauptverhandlung die vor laufender Kamera festgehaltene Tötung und Schlachtung des 43-jährigen Berliner Ingenieurs J. B. »Man kann es fast mit dem Abendmahl vergleichen«, so seine Worte vor dem entsetzten Publikum. Hass, Glück und Wut auf sich selbst habe er gleichzeitig empfunden.
Abscheu und Faszination begleiteten auch diesen konkreten Fall, der zur Entstehung des vorliegenden Buches wesentlich beigetragen hat. Dementsprechend wird dieser Fall in den Vordergrund gestellt, wobei die Wiedergabe allerdings weder aus der Sicht eines Verteidigers noch aus der Sicht eines Anklägers erfolgt. Der Fall soll vielmehr aus der Sicht des mit dieser Strafsache betrauten gerichtsmedizinischen Sachverständigen erörtert werden. Damit, und insbesondere auch durch eine objektive Berichterstattung und Darstellung des Falls sowie der unumstößlichen Fakten, wird dem Vorwurf der Sensationslüsternheit jegliche Basis entzogen. In diesem Sinn werden die Aussagen des »Kannibalen von Rotenburg« zum Teil ungekürzt und wortgetreu wiedergeben, was einigen Lesern vermutlich »starke Nerven« abverlangen wird.
Der Versuch, das Thema Kannibalismus in einen historischen Rahmen zu pressen, ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Zu vielschichtig ist dieses Thema und zu vielseitig ist die Bedeutung des Begriffs, der zunächst lediglich auf das Anthropophage – das Essen bzw. Fressen von Menschen – fixiert war. Bereits der Versuch einer Einteilung in verschiedene Kannibalismusformen stößt auf Schwierigkeiten und ist stark von der jeweiligen Sichtweise des Betrachters abhängig. Insofern sollen im Folgenden »lediglich« verschiedene Spielarten des Kannibalismus näher beleuchtet werden, wobei auch hier eine subjektive Komponente, nämlich die Sichtweise des Rechtsmediziners, zum Tragen kommt. Einen besonderen rechtsmedizinischen Schwerpunkt bildet hierbei der Zusammenhang von Kannibalismus und Verbrechen.
Vermutlich schon seit Urzeiten zeigt der Mensch mehr oder weniger instinktive Verhaltensmuster, die mit der Thematik Kannibalismus in Verbindung gebracht werden können. So lässt sich beispielsweise ein Zusammenhang zwischen küssen, beißen, saugen und kannibalischen Fantasien bei Eltern und ihren Kleinkindern sowie bei Sexualpartnern herleiten. Auch sprechen Mütter und Väter gern von ihrem »eigenen Fleisch und Blut«. Kannibalisch wird es insbesondere, wenn jemand einen anderen Menschen »zum Fressen gern« hat. Dieser Ausdruck impliziert quasi die zumindest gedankliche Einverleibung des Anderen. Eine andere Art von Einverleibung lehrt die katholische Heilslehre. Im Ritus des Abendmahls wird Christus verspeist und lebt hierdurch in denen weiter, die ihn verspeisen. Sein Fleisch essen und sein Blut trinken verspricht das ewige Leben. Hostie und Wein werden somit zu Fleisch und Blut, und das Abendmahl ist gleichsam Ausdruck größter Liebe zu Gott. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass das Zerbeißen oder Zerkauen der Hostie zwar nicht verboten, aber auch nicht üblich ist. Provokanterweise müsste sich hier die Frage anschließen, ob auch Vegetarier in ihrem Selbstverständnis an dieser liturgischen Zeremonie teilnehmen dürfen.
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