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Beobachtungen, Begegnungen, Begebenheiten aus einem Leben in der Hafenstadt, immer der Wirklichkeit auf der Spur, um sie in handliche Stücke zu fassen und aufzufächern zum Panorama einer Poesie des Alltäglichen.
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Seitenzahl: 79
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Rainer Gross, Jahrgang 1962, studierte Philosophie, Literaturwissenschaft und Theologie. Er lebt als freier Schriftsteller mit seiner Frau in Reutlingen.
Bisher veröffentlicht: Grafeneck (Pendragon 2007, Glauser-Debüt-Preis 2008); Weiße Nächte (Pendragon 2008);
Kettenacker (Pendragon 2011); Kelterblut (Europa 2012).
Bei BoD u.a. erschienen:Die Welt meiner Schwestern Das Glücksversprechen Yūomo Haus der Stille Ich suche einen Menschen Schrödingers Kätzchen
Vorwort
Blankenese
Blankenese II
BMW-Werkstatt
Heimweg
Landwehr
Hafengeburtstag
Jungfernstieg
Dock 17
Dorfkrug
Einwinkel überquert die Elbe bei Winsen
Kiekeberg
Mühlenberg
Barlachhaus
Die Fahrradkuriere
Türkischer Sportclub
Bahnsteiggespräch
Lesezeichen
Dialog am U-Bahnhof
Klappmesser
Ansprache in der U-Bahn
Japan-Plakat
Metropolis
Zwei ältere Damen
Spiegelbild
Op’n Bull’n
Cuba Mia
Mövenpick
Am Busbahnhof Barmbek
Türkische Lebensmittel
Openair-Kino im Schanzenpark
Am Fahrradladen
Lügen
Teehaus
Grindelallee
Enthüllung einer Geschichte
Mit Essen spekuliert man nicht!
Tor zur Welt
Lackierte Fingernägel
Telefonat
Graffiti
Witthüs
Alstervergnügen
Der Skipper
Müde in der U-Bahn
Open ship
Es wird früh dunkel
Hamburg im Herbst
Asia-Laden
Colonnaden
Innenstadt
Mittagspause
Ladage & Oelke
Samstagabend
Vorweihnacht in der Innenstadt
Eisdiele
Stellmoorer Tunneltal
Sternschanzenpark
Schanzenviertel
Der Hochbahnhof
Südsee in der U-Bahn
Eppendorf, von der U-Bahn aus
Mit den Mülltüten in der Hand
Alltag in der Großstadt
Ochsenzoll
Meine Gesundheit und ich
Willkommen in der Schanze
Shabby Look
Café Blanche
Chihuahua
An der Elbe
Auf der Bank am Elbufer
Party im Schröderstift
Herbertstraße
S-Bahn Landwehr
Landungsbrücken
Grill of Arabia
Schere
Alter Elbtunnel
350 000 Knoten
Gewürzmuseum
Kaiser-Wilhelm-Hafen
Lagerschuppen
Massengutgreifer
Containerverladung
Seemannsmission
Seemannsmission II
An Bord
Duvenstedter Brook
Wohldorfer Waldfriedhof
Wintersonne am Mühlenteich
Samstagnachmittag
Luciana
Tee im Japanischen Garten
Chinesischer Pavillon
Buchhandlung im Schanzenviertel
Kolonialwahn
Gemeingut
Literaturfrühstück
Bezirksamt
Bezirksamt II
Studentenkneipe
Friesentorte
Der Flieger
Ikea
Zwölf Jahre an der Peripherie der großen Hafenstadt; zwölf Jahre zwischen Rapsfeldern und U-Bahnhöfen, zwischen Pferdeweiden und Überseepötten. Als Schriftsteller selten dazugehörig, stattdessen oft Gast und Beobachter, immer Stift und Notizblock bereit, um der Wirklichkeit, die sich hier auffächert in kleine, handliche Stücke, auf die Spur zu kommen.
Nun, nachdem es zurück in den Süden geht, freue ich mich, diese Sammlung von Hamburger Wirklichkeiten als Erbe einer Leserschaft – vielleicht genauso hamburgophil wie ich – vermachen zu können.
Viel Vergnügen beim Lesen!
Ahrensburg, November 2014
Mit einem der Abendzüge fahre ich nach Blankenese hinaus. Gang durch den Hirschpark. Die Stiegen abwärts, die Straßennamen geben Geborgenheit. Es ist warm, Sommer, die Bank an der Promenade frei. Zwischen den Bäumen zieht auf der Elbe ein Schiff vorbei und verdeckt die Aussicht, ein großes Containerschiff. Ich muss den Kopf in den Nacken legen, will ich aufs Deck hinaufschauen. Aus dem Rucksack hole ich meine Pfeife und den Tabak, stopfe sie, schaue mich um. Das kleine schmale Bändchen aufgeschlagen, die erste Seite. Anzünden, zurücklehnen, die Beine übereinander: Lesen. Während das Licht sinkt und golden über dem Wasser liegt, streben auf den Wegen die Spaziergänger nach Hause.
In Blankenese ist es Viertel vor eins. Ein schattiges Städtchen, Burger King bedankt sich für treue Kundschaft. Auf dem Kirchplatz ist freitags Markt, ich gehe durch die Gassen und suche nach Essen. Die Schinkenknacker in der Imbissbude schwimmen im Fett; ein halbes Brötchen kostet extra. Die Dame neben mir trägt einen Regenmantel und Gummistiefel, in der weichen Schaftöffnung fältet sich die Hose. Ein Buchladen hat Sonderangebote ausgestellt; während ich wähle, lausche ich dem Nachmittagsklön betagter Herrschaften. Heut Abend kann’s laut werden, sagt die Dame, wir feiern Kindergeburtstag. Tschüs, verabschiedet sich der alte Herr dann, tschüs, tschüs, tschüs, als tastete er den Gruß auf verborgene Bedeutungen ab. So würde ich hier leben: Godeffroystraße 4, kostenpflichtig abgeschleppt, Veranda und Wintergarten, Liegen auf den Erkerbalkonen, eine Tischlampe in einem Fenster. Hotel Garni. Ole Hoop, Pepers Diek. Totgesagter Hirschpark, die heimeligen Leuchten des Witthüs. Durch die kahlen Bäume sieht man hinunter in den Mühlenberger Weg, dort wohnte einst Horst Janssen.
Bei der BMW-Werkstatt geht ein stürmischer Wind. Nieseln, dunkle Wolken. Das Licht fliegt übers Land hier draußen. Fahnen rütteln an Masten, nur die Blumenrabatten fehlen. Ich steige von meiner Maschine und betrete den Verkaufsraum. Es riecht wie immer nach Reifengummi und Schmierfett. Ich muss lange warten, während ein kleiner dunkelhaariger Mann eine schwere Sportmaschine probefahren will. Ich kaufe vier Vergaserdichtungen und einen Spiegelfuß von der R 100 und nehme einen Prospekt über die BMW-Card mit, die es im ersten Jahr kostenlos gibt.
Die Innenstadt liegt jetzt spät, obwohl mittags-hell. Die Geschäfte schließen, die Promenade verwaist. Vor dem Ohnsorgtheater in den Großen Bleichen parkt ein Übertragungswagen. Das Warten in den unterirdischen Bahnhöfen. Stimmenlärm, Uringeruch, die wackelnde Holzbank. Wir wissen, dass wir noch an den Hafen fahren könnten, hinaus nach Blankenese, mit der Fähre nach Teufelsbrück. Im Zug lese ich, am Fenster sitzend, draußen ziehen die Vororte unter grauem Himmel vorbei. Baumwipfel, Ladenstraßen, Kleingärten. Ein Hochbahn-Imbiss. Ein Fabrikgebäude mit buntem Graffiti besprüht. Eine Strecke durch den Wald, an einem Spielplatz, an einem Friedhof vorbei.
Wohnen an der Landwehr. Pergola, Plattenweg, im Gebüsch findet man Kanülen. Möwen sitzen auf den Laternenmasten, und um Mitternacht fährt die letzte S-Bahn ein, zurrückbleim biddä!, während in der Stube Miles Daves sein Herbstlaub bläst. Abend mit einem Freund.
Hafengeburtstag. Hinaus nach Klein-Flottbek, hinein ins Derby-Getriebe. Hinter Maschendraht und Bäumen schallt ein Lautsprecher, Rennatmosphäre und Grillwürstchen, Jockeys queren mit ihren Gäulen die Parkwege. In der Sonne ist es heiß. Vom Jenischhaus aus sehen wir den ersten Windjammer elbaufwärts ziehen, ein Horn tönt übers Wasser, um ihn zu begrüßen. Wir durchwandern das Tal der Flottbek, die Gerüche von Laub und Kraut und Staub, wir queren die starkbefahrene Elbchaussee, beehren den erstbesten Eisverkäufer und setzen uns unterm Baumschatten aufs Geländer, um den Schiffen zuzuschauen. Was alles heute auf dem Wasser ist! Vom Schlauchboot bis zum Containerschiff. Schaluppen, Schoner, Segelboote, Motorflitzer, Hafenfähren, Feuerwehr und Küstenwache, die Cap San Diego kehrt von ihrer Ausfahrt zurück. Der Glanz auf dem Wasser blendet. Wir schwitzen. Nachher steigen wir in die Fähre bei Teufelsbrück und fahren, dichtgedrängt auf dem Sonnendeck, zu den Landungsbrücken, hinein ins Festgewimmel. Von dort flüchten wir rasch in die Innenstadt, die wie im Windschatten liegt. Die Gassen feiertäglich verwaist, ein Straßencafé nimmt uns auf, Getränke erfrischen.
Wenn die bunten Fahnen wehen. Sie wehen zwischen Kübeln mit Palmen, am Pavillon ist das Café voll besetzt. Fußgänger strömen über die Zebra-streifen, im Hintergrund steigt die Fontäne im Alsterbecken, im Gischt eine Regenbogenhaut. Freilufttheater: Jungfernstieg. Aus dem stickigen U-Bahntunnel steigt man hinauf und atmet freier. Ausflugdampfer queren rotweiß die Wasserfläche und tuten, die Versicherungspaläste stehen schweigend Spalier. Sommers festliches Feuerwerk, Hotel Vierjahreszeiten, Hapag-Lloyd, der Rathausturm. Hier flanierten sie, die hanseatischen Jungfrauen, ließen sich sehen und schätzen. Heute sitzt man, die Sonne im Genick, und trinkt seinen Cappuccino.
Wie jemals dort ankommen, wo ich hinwill? Am Hafen, wo wir aus der U-Bahn steigen an den Landungsbrücken, weiß ich es nicht. Die Rickmer Rickmers liegt still, lichterbehängt im schwarzen Wasser. Die Kajen dunkel, grelle Scheinwerfer drüben auf den Docks. Mir kommen die Tränen plötzlich von einer wilden, heillosen Trauer, aus einem Anruf, der von dort kommt und dem ich verzweifelt jahrelang zu genügen versuche. Der Freund tritt heran und legt mir die Hand auf die Schulter. Spürst du es auch?
Im Dorfkrug. An der Wand eine Schiefertafel mit Kreideaufschrift: Sparverein Versammlung 27. Februar. Im Hintergrund spielt Steppenwolf. In den Scheiben der Fotorahmen spiegeln sich die Lichter vom Spielautomaten. Wir haben einen Platz neben dem Kachelofen, der bullig heizt. Einmal kommt der Wirt und legt nach; die Scheite knallen in der Hitze. An der Theke unterhält man sich über Jagd und Niederwild. Einer beklagt, dass schon alle Fasane weggeschossen seien. Dann streitet man lauthals, mehrmals ermahnt die Bedienung. Baldige Versöhnung, der eine bescheinigt dem andern eine „niederträchtige Gesinnung“. Die Würfelbecher knallen. Obwohl es noch nicht Zeit ist, dürfen wir bestellen. Es gibt Wildragout mit Rotkohl und Kroketten. Auf dem Gesims neben uns stehen Mini-Harleys, in Holz geschnitzt.
Auf dem Deich grasen Schafe, braune Schafe mit schwarzen Gesichtern. Dahinter die Hausdächer im Wolkenhimmel, ein Radfahrer, das Kopfsteinpflaster der Fährrampe. Nur wir und der Radfahrer im Sportanzug gehen an Bord. Der Fährmann kommt zum Kassieren. Don’t pay the ferryman, will ich mir sagen, aber der Preis steht fest, die Kosten sind überschaubar: vier-neunzig und ein Papierbillett in die Hand. Ich stehe an Deck und sehe zu, wie das Ufer zurückbleibt, sehe zu, wie das andere näherkommt, sehe dem rauschenden Bugwasser zu, das gläsern schäumt und bernsteinfarben und moosgrün schimmert. Über den Häuser von Hoopte treibt ein Lichtbruch, aus den wattigen Wolken strömt opaker Glanz und steht wie ein Fanal überm Ufer. Ich höre das Tuckern des Schiffsdiesels, rieche den Auspuffqualm und den tranigen Ölgeruch des Kraftstoffs. Gegenüber Buschzeilen und Pappeln, das Zollenspieker Fährhaus. Die Fähre legt an, ein Rumpeln und Dümpeln. Land gewinnen, denke ich. Der Horizont steht offen. Wir fahren vorüber an dem Imbisswagen, an den Dutzenden von Motorrädern, an den biertrinkenden Bikern in Lederkluft, hinein ins Marschland. Seltsam hier draußen: ein weißes Schild Richtung