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Bloß keine Gefühle in Männer investieren, rät Jessie allen Frauen in einer Talkshow. Entsprechend locker ist ihre Affäre mit Cole – bis sie spürt, dass sie sich langsam in ihn verliebt. Voller Panik hat die sonst so coole Privatdetektivin nur noch einen Gedanken: Flucht!
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Seitenzahl: 193
© 2023 für die deutschsprachige Ausgabe by MIRA Taschenbuch in der Verlagsgruppe Harper Collins Deutschland GmbH, Hamburg © 2007 by Jill Floyd Originaltitel: »Tall, Dark and Filthy Rich« Erschienen bei: Harlequin Enterprises Ltd., Toronto Published by arrangement with HARLEQUIN ENTERPRISES II B.V. / SARL Covergestaltung von Birgit Tonn / Verlagsgruppe HarperCollins Deutschland GmbH Coverabbildung von nd3000 / Getty Images ISBN E-Book 9783745753172
Cover
Impressum
Inhalt
Aber bitte mit Liebe
Titel
1. KAPITEL
2. KAPITEL
3. KAPITEL
4. KAPITEL
5. KAPITEL
6. KAPITEL
7. KAPITEL
8. KAPITEL
9. KAPITEL
10. KAPITEL
11. KAPITEL
12. KAPITEL
13. KAPITEL
14. KAPITEL
15. KAPITEL
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Contents
„Haben Sie schon mal gedacht, dass Sie sich vielleicht für den falschen Job entschieden haben?“, fragte Dana, die Reporterin der „Atlanta Daily News“, in gelangweiltem Ton.
„Nein. Wieso?“ Jessica Huell zuckte mit den Schultern. Das war’s dann wohl mit dem großartigen Artikel über „Atlantas interessanteste Berufe“, den Dana über sie schreiben wollte. Die Observierung, die sie gerade durchführte, würde garantiert ein Flop werden. Und Jessie hatte so gehofft, dass eine Story im Feuilleton der Zeitung ihrem Geschäft zugutekäme.
Aus dem Augenwinkel nahm sie eine Bewegung wahr. „Runter!“, sagte sie und drückte Danas Kopf nach unten.
Beide Frauen duckten sich dem Boden von Jessies Wagen entgegen, wo die leeren Fast-Food-Tüten herumlagen, die Jessies und Danas Nachtmahl enthalten hatten.
Jessie horchte. Sie hatte die Fenster einen Spalt geöffnet, um die Geräusche besser hören zu können. Um zwei Uhr morgens war diese Wohnstraße ruhig. Sie vernahm das Klick-Klack von High Heels. Eine klappende Autotür. Das Anspringen eines Motors.
Langsam hob sie den Kopf und warf einen Blick über das Lenkrad. Der blaue Wagen. Bingo. Er fuhr die Straße hinunter und bog dann nach links ab. Jessie zählte bis zehn, ließ den Motor an und nahm denselben Weg.
Dana setzte sich auf und rieb sich die Nackenmuskeln. „Das zerstört mein Bild von der coolen Privatdetektivin.“
Gut, dachte Jessie. Ihr Beruf konnte gefährlich und aufregend sein, aber wenn Leute diesen Job wegen des Kicks der Gefahr wählten, dann wurde es für andere gefährlich. Sie gehörte nicht zu diesen Draufgängern. Sie war bei der Arbeit bedacht, und vor allem konnte sie warten.
„Uff, ich bin froh, dass das vorbei ist.“ Dana begann in ihrer Handtasche zu kramen. „Ich hätte nicht mehr lange in diesem Wagen sitzen können.“
„Wir sind aber noch nicht fertig.“
„Wieso? Wir haben doch schon das Foto von ihm mit der Frau.“
Jessie drosselte das Tempo. Sogar in einer Großstadt wie Atlanta wäre ein Wagen verdächtig, der einem anderen Fahrzeug nachts um zwei dicht folgte. „Ein Foto erzählt nur einen Teil der Story. Wir wissen noch nicht, wer die Frau ist und was für eine Beziehung sie zu Mr. Roberts hat.“
Dana schnaubte. „Sie hat ihn umarmt und ist dann über drei Stunden in seiner Wohnung geblieben. Sie ist bestimmt nicht seine Haushälterin. Nicht mit diesen Schuhen.“
Besagte Schuhe waren sexy Stilettos. Jessie war kein Schuhfreak. High Heels passten nicht zu ihrem Beruf, trotz des Hollywood-Images, den er hatte.
Sie behielt die blaue Limousine im Auge, die mehrere Wagenlängen vor ihnen fuhr. Inzwischen waren sie in Seitenstraßen abgebogen, und bald würden sie in ein feines Wohnviertel gelangen. Jessie hoffte, dass der Wagen sie zu einem Einzelhaus statt zu einer Apartment-Anlage führen würde. Die waren ein Albtraum, wenn man feststellen wollte, wo genau die observierte Person wohnte. Vergeudete Mühe.
Ja! Die Stiletto-Trägerin bog in eine Auffahrt ein. Jessie bremste und wartete, bis die Frau das Haus betrat. Dann fuhr sie langsam weiter und gab sich dabei ganz locker. Wie jemand, der in diesem Viertel wohnte und spät nach Hause kam. Es war wichtig, sich der Umgebung anzupassen, und das konnte sie. Sie war nie der Typ gewesen, der hervorstechen wollte. Sie hasste Protz, und sie hatte sich auch noch nie in einem fahrenden Wagen die Lippen geschminkt, so wie die Reporterin neben ihr. Sie wusste nicht einmal, wie man ein wirkungsvolles Make-up fehlerfrei hinbekam.
Im Vorbeifahren warf Jessie einen kurzen Blick auf die Hausnummer, dann setzte sie die Fahrt in einem etwas schnelleren Tempo fort.
„Das war schon etwas aufregender. Wir hätten leicht geschnappt werden können“, sagte Dana atemlos.
„Wir waren nicht mal nahe dran, geschnappt zu werden“, antwortete Jessie trocken. Sie hatte nichts gegen Übertreibungen, aber wenn es um ihre Professionalität ging, bestand sie auf Sachlichkeit.
„Kein Grund, gleich ärgerlich zu werden. Ich meinte nur, dass wir eben den ersten kleinen Nervenkitzel hatten, seit Blondie bei ihm aufgekreuzt ist. Als ich noch dachte, dass diese Nacht interessant werden würde“, sagte Dana mit einem Augenzwinkern. „Was jetzt?“
Jessie überlegte, ob sie es wagen sollte. Schließlich war Dana Reporterin und befasste sich mit Fakten. Und eigentlich müsste sie, die Detektivin, auch mit den Fakten arbeiten. Spinnereien waren in ihrem Beruf fehl am Platz. Aber das Spekulationsspiel war manchmal das Einzige, was sie wach hielt. Und oft war es das Einzige, was sie an einem Auftrag interessierte. Vielleicht hatte Dana recht. Vielleicht brauchte sie tatsächlich einen anderen Beruf.
Sofort rief sie sich zur Ordnung. Sie liebte ihren Job. Es war gut und richtig, andere Frauen vor Fehlern zu bewahren. Ihnen die Augen zu öffnen, bevor sie einem Nichtsnutz ihr Ja-Wort gaben. Jessie unterdrückte einen Seufzer. Sie wünschte, jemand wäre da gewesen, um sie wach zu rütteln. So hatte sie erst nach der Verlobung gemerkt, mit was für einem miesen Typen sie sich eingelassen hatte.
Jessie blickte zu Dana hinüber. Nein, sie sollte ihr besser nicht verraten, dass sie sich während ihrer nächtlichen Observierungen oft mit bizarren Spekulationen die Zeit vertrieb. Andererseits war es drei Uhr morgens, und der gesunde Menschenverstand schlief um diese Zeit.
„Im Moment überlege ich, was sie vorhat.“
„Wie meinen Sie das? Sie ist doch gerade in ihr Haus gegangen und wird sich jetzt wahrscheinlich schlafen legen.“
„Ich meinte ihr Ziel, ihren Plan. Was wird sie mit diesem Mikrochip machen, den er ihr übergeben hat?“
Dana sah Jessie stirnrunzelnd an. „Mikrochip? Ich dachte, er wäre einfach nur ein treuloser Kerl, der donnerstags seinen Abend mit seiner Geliebten verbringt.“
Jessie setzte eine ernste Miene auf. „Oh nein. Er mag als braver Buchhalter rüberkommen, der Überstunden macht, um einen Verlobungsring kaufen zu können. Aber in Wahrheit ist er aus einem fernen Land geflüchtet. Die Geheimagenten aus seiner Heimat haben ihn aufgespürt.“
„Ist es vielleicht das Land Fantasia?“ Danas belustigter Ausdruck verriet, dass sie am Spekulationsspiel Gefallen fand.
„Genau. Und nun macht diese Frau sich an ihn ran. Aber er ist entschlossen, seine Geheimnisse für sich zu behalten.“
„Diese Stilettos sind mir gleich verdächtig vorgekommen. Das sind Schuhe, die Spioninnen tragen. Er hat ihr einen gefälschten Chip gegeben, ich hab’s doch gewusst.“
„Aber wie lange kann er durchhalten?“
Dana lachte. „Erfinden Sie öfter solche Storys?“
„Sie schlagen die Realität. Meine Jobs sind nie aufregend.“
„Das tun sie ohne Frage. Ich hatte gehofft, dass ein zorniges Liebespaar mit einem Revolver sie jagen würde. Das hätte diese Story viel interessanter gemacht.“
„Tut mir leid, dass ich Ihnen nicht gefällig sein konnte.“
„Da ich Sie jetzt besser kenne, will ich nicht mehr, dass Sie erschossen werden. Sie können bei Ihrem langweiligen Job bleiben“, sagte Dana lachend.
Jessie fuhr auf den Parkplatz eines rund um die Uhr geöffneten Diners. „Dann werden Sie den nächsten Teil lieben. Sie werden Zeugin bei einem glamourösen, aufregenden Ereignis sein. Ich werde die Adresse der Frau mit der Datenbank abgleichen. Hoffentlich landen wir einen Treffer.“
„Hm. Und wo ist da das Aufregende?“
Cole Crawford fischte in der Schreibtischschublade nach der Packung mit den Magentabletten, riss die Zellophanhülle auf und schluckte eine Pille ohne Wasser.
„Ich hab dich erwischt“, triumphierte Nicole Reavis, die ihren Kopf zur Tür hereinsteckte.
Cole zog eine Grimasse. „Ja, ich hab schon heute Morgen gemerkt, dass es ein mieser Tag wird.“
„Du Armer. Steht es so schlimm um den Mann mit dem besonderen Einblick in die Denkweise der Frauen?“, fragte sie spöttisch.
Cole ignorierte Nicoles Hänselei. Die Frauen im Studio hatten ihre helle Freude daran, Zeilen aus dem Artikel zu zitieren, den Dana Roberts kürzlich über ihn geschrieben hatte. Vielleicht würde er irgendwann mit dem Etikett „empfindsamer Junggeselle“ leben können. Vielleicht würde Mandy irgendwann sogar aufhören zu kichern, wenn sie ihm Post ins Büro brachte, die an den „heißen Produzenten“ adressiert war. Die Bildunterschrift unter seinem Foto in den „Atlanta Daily News“ lautete: hottie Producer. Diesen Spitznamen hatte er jetzt weg. Zwar stand sein Name im Artikel, aber er war untergegangen in schwülstigen Formulierungen wie etwa: Versteht die Bedürfnisse der Frauen und hat Einblick in deren Gedankenwelt, bevor sie selbst sich darin zurechtfinden.
Wer würde sich da noch an seinen Namen erinnern?
Cole bereute, dass er in das Interview eingewilligt hatte. Atlantas interessanteste Berufe? Atlantas frustriertester Single hätte besser gepasst. Nie wieder, schwor er sich. Von jetzt an würde er das Scheinwerferlicht dort lassen, wo es hingehörte – auf Eve Best gerichtet, dem Star der Talkshow „Just Between Us“. Er hatte Eves Talent erkannt, als er eine kleine unbedeutende Sendung mit ihr produzierte. Damals war er seinem Instinkt gefolgt. Und dabei würde er nach dieser Fehlentscheidung in Zukunft bleiben.
Nicole wedelte mit einem Zeitungsausschnitt vor seinem Gesicht herum. „Deine Lieblingsjournalistin hat ein neues Opfer, und dieser interessante Typ könnte ein tolles Thema für die Show abgeben.“
Als Story-Produzentin forstete Nicole regelmäßig Zeitschriften, Zeitungen und das Internet nach heißen Themen durch. Sendungen, die sich auf Sex bezogen, waren bei vielen TV-Zuschauern äußerst beliebt.
Lass dein inneres wildes Kind frei.
Ein Loblied auf junge Liebhaber.
Diese letzten Themen der Show waren echte Hits gewesen. Jede Sendung brachte neue Zuschauer, und der Druck, die vorangegangene Show zu toppen, wurde immer stärker.
Der Erfolg von „Just Between Us“ hatte auch mit dem Lotteriegewinn des Teams zu tun. Cole und vier seiner Mitarbeiter hatten vor einigen Monaten bei einem Lotteriespiel achtunddreißig Millionen Dollar gewonnen. Dieser sensationelle Gewinn hatte unzählige Presseberichte nach sich gezogen, was ein Ansteigen der Zuschauerquote zur Folge hatte. Der Rummel um die Show war noch wilder geworden, als eine ehemalige Kollegin an die Medien durchsickern ließ, dass sie auf einen Teil des Gewinns Anspruch erhob. Liza Skinner hatte zu der Tippgemeinschaft gehört, aber sie hatte den Sender vor dem Glückstreffer verlassen. Sie stützte ihren Anspruch darauf, dass die Gruppe ihre Zahl weitergespielt hatte.
Da die Lotteriegesellschaft daraufhin die Auszahlung des Gewinns vorerst verweigerte und wegen des drohenden Prozesses war das öffentliche Interesse noch größer geworden. Die Werbemanager der unterschiedlichsten Firmen standen Schlange, um Sendezeit für Werbespots in der Show zu ergattern. Viele TV-Zuschauer schalteten die Sendung nur an, um den neuesten Stand des Rechtsstreits zu erfahren, und sie blieben, weil es eine verdammt gute Show war.
Inzwischen waren Anwälte eingeschaltet, und die Tippgemeinschaft hatte entschieden, keine Interviews mehr zu geben. Für Eve Best, die Moderatorin und den Star von „Just Between Us“, war es nicht leicht, die Presseleute abzuwimmeln. Der Rest der Gruppe stand glücklicherweise nicht vor der Kamera. Jane Kurtz machte das Make-up, Nicole suchte nach guten Storys und John Haas war Kameramann.
Und er selbst, der „heiße“ Produzent Cole Crawford, stand unter dem Druck, immer bessere Shows zu liefern. Das Gute war, dass er unter Druck am besten arbeiten konnte. An ein Privatleben war zurzeit nicht zu denken, der Job hatte Vorrang vor Beziehungen.
Cole warf einen Blick auf den Zeitungsausschnitt, den Nicole jetzt auf den Papierstapel in seiner Eingangsbox legte. „Eine Privatdetektivin?“, fragte er stirnrunzelnd.
„Ja, aber sie ist eine Besonderheit. Sie garantiert, dass sie bei jedem, der mit einem Penis ausgestattet ist, Dreck findet.“
Emanzen waren prima für die Einschaltquote. Sie mussten versuchen, sie für die Sendung zu bekommen, obwohl er damit sein Geschlecht verriet. „Klingt interessant. Übrigens musst du nicht mein Okay für deine Ideen einholen. Ruf die Leute, die dir geeignet erscheinen, einfach an und lade sie zu einem Gespräch ein.“
„Gut, aber diese Detektivin ist aus deiner Heimatstadt. Ich dachte, dass du sie vielleicht kennst. Dem Artikel zufolge ist sie nur wenig jünger als du.“
Cole stammte aus der Kleinstadt Thrasher im ländlichen Georgia. Die meisten jungen Leute blieben nach dem Schulabschluss in der Gegend. Es gab dort noch immer reichlich Arbeit in den Betrieben oder auf den Baumplantagen. Schließlich war der Staat Georgia berühmt für seine Fichten.
Cole griff nach dem Zeitungsausschnitt und überflog den Text, bis er einen Namen fand. Jessie Huell. Er lächelte. Die süße kleine Jessie Huell war also Privatdetektivin geworden. Ein seltsamer Beruf für ein so sanftmütiges Mädchen wie sie. Aber da ihr Vater Polizeichef und ein kluger Mann war, lag das analytische Denken ihr vielleicht im Blut. Wahrscheinlich wusste Jessie es nicht, aber sie hatte Cole in gewisser Weise das Leben gerettet. Er fragte sich, ob sie wohl manchmal an ihn dachte.
Cole bezweifelte es.
„Hast du eine private Telefonnummer oder nur die Geschäftsnummer, die hier steht?“
„Nur diese. Ich dachte mir, dass du selbst Kontakt mit ihr aufnehmen möchtest. Außerdem wirst du sie mit deinem legendären Verständnis für Frauen im Nu überzeugen.“
Dieses Gerede seiner Kollegen war der Grund für die Pillen. Cole bemühte sich, gelassen zu bleiben.
Lachend eilte Nicole aus seinem Büro.
Der Mann mit dem besonderen Gespür für die Bedürfnisse von Frauen. Cole fluchte in sich hinein, und plötzlich verspürte er das Bedürfnis einzukaufen. Kein Herrenparfum, sondern Werkzeug. Ein Beil oder eine gute Säge. Irgendwas, dessen Handhabung rohe Kraft erforderte.
Jessie richtete sich stöhnend in ihrem Bett auf. Sie zog die Schlafmaske vom Gesicht und blinzelte schläfrig. Es war immer schwer aufzuwachen, wenn man erst in den frühen Morgenstunden eingeschlafen war.
Aber nicht nur das machte ihr zu schaffen. Eine schlimme Ahnung plagte sie. Sie hatte das Gefühl, als hätte sie in etwas eingewilligt, aber in was? Sie rieb sich die Augen, blickte in ihrem von Jalousien verdunkelten Schlafzimmer umher und sah auf dem Nachttisch einen Briefumschlag. Einen aufgerissenen Umschlag mit einer Notiz in ihrer Handschrift darauf.
Ach ja. Ein Anruf. Jessie erinnerte sich an ihre Suche nach Papier und Stift. Sie hatte etwas notiert.
Verdammt. Wie oft hatte sie sich schon gepredigt, das Telefon auszustellen, wenn sie die ganze Nacht unterwegs gewesen war. Aber sie tat es nie, damit ihr keine Aufträge entgingen.
Obwohl sie jetzt wach war, konnte sie sich noch immer nicht erinnern, um was es bei dem Gespräch gegangen war und was sie sich mit ihrer Zusage eingebrockt hatte. Nach einer durchwachten Nacht würde sie wahrscheinlich in alles einwilligen, nur damit sie schlafen konnte. Sie griff nach dem Umschlag und lehnte sich an die gepolsterte Kopfstütze. Wunderbarerweise schaffte sie es, ihr Gekritzel zu entziffern.
Okay, es war nicht allzu schlimm. Ein Interview für „Just Between Us“. Die Nachmittags-Talkshow, die sie sich ansah, wenn sie normalerweise frühstückte.
Wenn dieses Interview positiv ausfiel, bescherte es ihr vielleicht einen geschäftlichen Aufschwung. Danas Artikel hatte bereits für eine nette Erhöhung ihres Einkommens gesorgt. Noch ein paar Wochen in dieser Art, und sie könnte die restlichen Raten für das Nachtfernglas und die Superkamera auf einen Schlag bezahlen.
Jessie rieb sich die Nackenmuskeln, die vom langen Sitzen im Wagen höllisch verspannt waren. Dann sah sie den Namen, den sie unter den Termin für das Interview geschrieben hatte.
Cole Crawford.
Dass sie nicht sofort geschaltet hatte, als sie den Namen hörte, schob sie darauf, dass sie todmüde ins Bett gefallen war. Jetzt reagierte sie. Ihr Herz schlug schneller, und ihre Handflächen wurden feucht.
In wachem Zustand hätte sie das O in Cole in Herzform gemalt, so wie damals, als sie sechzehn war. Wenn sie ihre Hausaufgaben machte, hatte sie in ihrem Kladdeheft immer und immer wieder die Unterschrift „Jessie Crawford“ geübt.
Was sie am Morgen wegen des Schlafmangels nicht verspürt hatte, stellte sich jetzt ein. Ihr Mund wurde trocken, und Schmetterlinge flatterten in ihrem Bauch.
Vielleicht war es gut, dass Cole Crawford sie nie geküsst hatte. Wahrscheinlich wäre sie vor Glück auf der Stelle umgefallen.
Er war groß und schlank gewesen, genau so, wie ein Junge ihrer Meinung nach aussehen musste. Aber er war immer auf Abstand geblieben. Er hatte sich nie näher für sie interessiert.
Jessie warf den Umschlag aufs Bett und stürmte ins Badezimmer, wo sie kaltes Wasser in ihr erhitztes Gesicht spritzte. Sie wollte Cole nicht wiedersehen. Er war ihr Traummann gewesen. Hübsch. Klug. Breite Schultern. Warum sollte sie ihr Idealbild jetzt zerstören?
Was sie als Schülerin heiß gefunden hatte, würde sie jetzt sicher enttäuschen. Wahrscheinlich waren seine Schultern ihr nur so muskulös und kräftig erschienen, weil er zwei Jahre älter war als sie. Vielleicht war er in Wirklichkeit schmächtig. Oder er hatte jetzt eine Glatze und einen Bauch. In neun Jahren konnte man sich enorm verändern.
Halt, Stopp. Warum tat sie sich das an?
Jessie wusste seit Langem, dass es den Weihnachtsmann nicht gab. Aber aus irgendeinem Grund wollte sie sich ihren Glauben an Cole Crawfords Vollkommenheit erhalten. Fast alle ihre Ideale, wie etwa Treue und Seelenverwandtschaft, waren von der Realität in den Boden gestampft worden. Konnte sie dieses eine nicht behalten? Unglücklicherweise hatte sie in ein Meeting eingewilligt, als sie nicht klar denken konnte.
Nach einer kurzen Dusche tapste Jessie ins Schlafzimmer zurück, um ihren Kleiderschrank zu inspizieren. Ihre Garderobe war nichts Besonderes. Im Grunde hatte sie nie so etwas wie eine Garderobe benötigt. Als Polizistin hatte sie ihre Uniform getragen. Und zu Hause war Lässigkeit angesagt – Jeans und T-Shirt.
Vielleicht sollte sie ein paar Dollar für einen bunten Rock oder Pulli springen lassen. Andererseits kam bei ihren Observierungen nur Schwarz infrage.
Moment. Da war etwas ganz hinten. Die lavendelfarbene Bluse, die ihre Mutter ihr in einem verzweifelten Versuch geschickt hatte, sie zu einem Mädchen zu machen. Lavendel war nicht Jessies Lieblingsfarbe, aber die Bluse sah zumindest büromäßig aus. Sie kombinierte sie mit einem schmalen schwarzen Rock und zog ihre hochhackigen Stiefel an.
Wie würde Cole wohl jetzt über sie denken?
Und warum sollte sie das kümmern?
Nachdem sie ihr langes blondes Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, bürstete sie die Ponyfransen aus. Sie war bereit, ihre einzige verbliebene Illusion aufzugeben, was Cole Crawford zu einem ganz gewöhnlichen Mann machen würde.
Cole verließ sein Büro und ging in die Cafeteria des Senders. Jessie Huell wartete sicher schon im Konferenzraum, aber er wollte vor dem Treffen noch eine Dose Cola für sie kaufen. Dann hätten sie etwas, worüber sie lachen konnten.
Cole hatte ihr immer eine Cola spendiert, wenn sie sich in Joe’s Diner trafen und Latein büffelten. Sein Vater hatte ihm damals wegen seiner schulischen Leistungen im Nacken gesessen, und Jessie half ihm. Nach dem langen Schultag und der anschließenden Arbeit in Mr. Martins Autowerkstatt konnte er bei den Schularbeiten oft kaum die Augen offen halten. Eine Fünf im Test hätte seinen alten Herrn in Rage gebracht. Dank Jessie war Cole wahrscheinlich etlichen Ohrfeigen entgangen.
Er hatte es all die Jahre vermieden, an sie zu denken. Was für einen Sinn hätte es gehabt? Nun aber konnte er es nicht erwarten, sie zu sehen. Ob sie sich wohl sehr verändert hatte? Die langen Zöpfe trug sie bestimmt nicht mehr, aber er war sich sicher, dass ihr süßes Lächeln noch dasselbe war.
Nachdem er die Cola gekauft hatte, ging er den Flur hinab, bog um die Ecke und blieb abrupt stehen. Die Frau, die da mit dem Rücken zu ihm stand und ein Werbeplakat für „Just Between Us“ las, war von der Sorte, die man betrachten musste. Und zwar gründlich.
Cole hätte viel Zeit damit zubringen können, den Po dieser Frau zu bewundern, der so nett in ihrem kurzen schwarzen Rock verpackt war. Oder dieses sexy Stück Bein zwischen dem Saum ihres Rocks und den Rändern ihrer Stiefel.
Und diese Stiefel … feminin genug, um sexy zu sein, aber mit einer Haltung getragen, die verriet, dass sie jeden aufdringlichen Mann in den Hintern treten würde.
Sie war genau Coles Typ. Erotische Fantasien blitzten in seinem Kopf auf.
Er schluckte. Zum ersten Mal seit Langem reagierte er so intensiv auf eine Frau. Aber wer war sie?
Die Kälte der Coladose in seiner Hand holte ihn in die Wirklichkeit zurück. Wo war Jessie? Er blickte den Flur hinunter. Sie war immer neugierig gewesen.
Die Frau drehte sich um, und Cole vergaß die Eiseskälte der Dose. Er hatte richtig vermutet. Jessies Lächeln war noch dasselbe wie früher, aber alles andere hatte sich verändert. Sie war noch etwas gewachsen und hatte reizvolle Kurven entwickelt. Ihre runden, vollen Brüste zogen garantiert die Blicke der Männer auf sich. Und dieser sinnliche Mund versprach viele raffinierte Dinge. Diese Frau könnte man niemals als „süß“ bezeichnen.
Ihr Lächeln wurde breiter, und ihre Augen glänzten. Sie wusste, dass sie ihn verblüfft hatte, und offensichtlich gefiel es ihr.
„Hallo, Cole. Es ist lange her.“
„Die kleine Jessie Huell“, sagte er staunend.
„So klein bin ich nicht mehr.“
Als ob er darauf hingewiesen werden müsste. Jessie Huell war eine schöne Frau geworden. Sie kam langsam auf ihn zu. Jeder Schritt, den sie machte, erinnerte ihn daran, wie lange es her war, dass er sich zu einer Frau hingezogen gefühlt hatte. Anderthalb Jahre. Seit seine Frau gegangen war.
„Ich hab dir eine Cola mitgebracht.“ Die Geste erschien ihm jetzt lahm. Männer brachten dieser Frau keine Softdrinks mit. Sie schenkten ihr Schmuck.
Ein sanftes Lächeln spielte um ihre Lippen. „So wie damals, als wir Latein paukten?“
Er nickte. Sie duftete wie Sonnenschein, und er wurde in die Zeit zurückversetzt, als sein ganzes Leben noch golden vor ihm lag. In die Zeit, als er in Lateinarbeiten Fehler machte und nicht bei seinen Lebensentscheidungen.
„De oppresso liber“, murmelte sie, während sie ihre Hand um die Dose legte. Der Satz bedeutete: Frei von der Unterdrückung. Cole wusste, worauf Jessie anspielte. Eines Abends hatte er sie eine halbe Stunde warten lassen. Und als er sich ihr in einer Nische ihres Stammlokals gegenübersetzte, war sie beim Anblick seines blauen Auges kreidebleich geworden. An jenem Abend war er seinem Vater nicht schnell genug entwischt.
Jessie hatte nichts gesagt, sondern nur diesen Satz in sein Heft geschrieben. Und darunter hatte sie in Englisch „IRGENDWANN“ hinzugefügt. An diese Ermutigung hatte er fortan immer gedacht. Es war das Einzige, was er hatte. Und mehr als Jessies stilles Verständnis hatte er nicht gebraucht.
Diese Erinnerung sagte ihm, wie gefährlich sein Verlangen nach ihr war, denn er durfte nichts brauchen. Es gab zu viele, die ihn brauchten. Seine Mitarbeiter brauchten ihn, und vor allem brauchten die Kinder ihn. Zwei kleine Mädchen verließen sich darauf, dass er für sie da war und alles richtig machte.
Cole wich einen Schritt zurück, damit Jessies Duft ihn nicht länger lockte. Er war besser dran, wenn er seine Emotionen unter Verschluss hielt.
Jessie öffnete die Dose und trank einen Schluck. „Ich bin zu Cola Light übergegangen. Ab und zu vermisse ich allerdings den Geschmack von Cola mit Zucker. Aber wahrscheinlich hörst du dieses Gerede andauernd von deinen Kolleginnen und deiner Frau.“
„Ich bin nicht verheiratet.“
Sie sah ihn durchdringend an. Es war das erste Mal, dass sie nicht lächelte.
Cole Crawford war nicht verheiratet.