Abgründe - Nadine d'Arachart - E-Book

Abgründe E-Book

Nadine D'arachart

0,0

Beschreibung

Eine Mordserie erschüttert den amerikanischen Küstenort Virginia Beach. Frauenleichen werden öffentlich zur Schau gestellt. Durch makabre Arrangements offenbart der Killer die dunkelsten Seiten seiner Opfer. An jedem Tatort wird ein ‚A’ gefunden, der einzige Hinweis auf den Täter. Schafft es Detective Ethan Hayes, den Serienmörder zu stoppen oder steht ihm seine eigene finstere Vergangenheit im Weg?

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern

Seitenzahl: 383

Veröffentlichungsjahr: 2014

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.


Ähnliche


Nadine d’Arachart, Sarah Wedler

Abgründe

Impressum

© Telescope Verlag

www.telescope-verlag.de

Umschlagfotos: Piotr Pawel ,Thomas Bush, Josh Sapla

Gute wie böse Gedanken haben ihre Abgründe.

Victor Hugo

Prolog

Claire konnte nicht glauben, dass sie wieder hier war. Wieder in dieser Hütte, wieder gefesselt. Ihr Handgelenk blutete nicht mehr, doch die Wunde, die die Säge hinterlassen hatte, war tief und pochte unheilvoll. Die kleinen Schnitte und Kratzer, die ihren Körper überzogen, brannten und ihr Hals fühlte sich an, als wäre er übersät von blauen Flecken.

Claire holte tief Luft, auch wenn es ihr schwer fiel. Sie durfte den Schmerzen und der Erschöpfung, die sie immer wieder zu übermannen drohte, jetzt nicht nachgeben. Vorsichtig richtete sie sich auf und zwang sich zu ruhigen, tiefen Atemzügen. Sie musste sich sammeln. Einmal war sie bereits entkommen, es konnte auch ein zweites Mal funktionieren. Sie durfte jetzt nur nicht die Nerven verlieren.

Langsam ließ sie ihren Blick durchs einzige Zimmer der winzigen Hütte wandern. Noch immer schien Mondlicht durch die zerbrochene Fensterscheibe und zeigte ihr das Chaos, was sie bei ihrem Fluchtversuch verursacht hatte. Der Stuhl lag am Boden, umgeben von Messern, Sägen, dem Gasbrenner und dem Rest des bizarren Spielzeugs des Ungeheuers, das sie hier gefangen hielt. Beim Anblick der Folterinstrumente drohte neue Panik in ihr aufzuwallen. Sie mochte sich kaum ausmalen, welche Folgen ihr erster Widerstand haben würde, wenn es ihr nicht gelang, erneut abzuhauen. Sie würde büßen, einzig und allein dafür, dass sie am Leben bleiben wollte.

Sie musste weg, ganz egal wohin, einfach nur fort aus diesem Albtraum.

Claire zerrte an den Stricken, mit denen ihre Handgelenke an einen Querbalken gebunden worden waren, doch sie saßen zu fest und schnitten bei jeder Bewegung in ihr Fleisch.

Beinahe wäre sie entkommen, schoss es ihr immer und immer wieder durch den Kopf. Diese quälende Erkenntnis machte es ihr schwer, einen klaren Gedanken zu fassen. So nah war sie der Rettung gewesen und jetzt war alles noch schlimmer als zuvor. Wieso nur war sie auf einen so billigen Trick hereingefallen? Aus blinder Hoffnung vermutlich, aus der Weigerung heraus, anzuerkennen, dass sie so gut wie tot war.

Plötzlich vernahm sie Schritte im Unterholz und ihre Kehle fühlte sich mit einem Mal wieder wie zugeschnürt an. Die Striemen am Hals brannten noch schlimmer als zuvor und es schien keine Luft in ihre Lungen zu gelangen. Die Hoffnung, dass jemand kam, um sie zu retten, hatte sie längst aufgegeben. Ihr Puls beschleunigte sich, als die Tür geöffnet wurde. Sie erkannte den Umriss einer schlanken Gestalt, die in die Hütte trat und die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ. Beinahe gemächlich nahm sie ihre Kapuze ab und Claire erstarrte. Sie kannte dieses Gesicht. Die ausdrucksstarken Augen, die markanten Züge – sein Anblick fühlte sich an wie ein Stich ins Herz. Claire versuchte, Augenkontakt herzustellen, suchte nach den richtigen Worten, nach irgendeiner Chance. Doch es war zu spät.

Das Ungeheuer legte ihr die Schlinge um den Hals, und ehe es Claire den Atem raubte, schrie sie seinen Namen.

-1-

Ein heißer Donnerstag in Virginia Beach neigte sich dem Ende zu und es schien, als würde sich die Hitze des ganzen Tages in diesem kleinen Motelzimmer stauen.

Ethan lag auf dem Bett, die Laken unter ihm waren feucht und zerwühlt. Er brauchte einen Moment, bis er wieder klar denken konnte und sein Puls sich beruhigt hatte. Dann stand er auf und begann sich anzuziehen. Liegen bleiben und Kuscheln war weder seine Spezialität noch angebracht.

Während er sein Hemd zuknöpfte, warf er einen Blick in den Spiegel über dem Waschbecken und vermied es dabei, sich selbst in die Augen zu sehen. Der Grund dafür war die Frau, die regungslos auf dem Bett lag.

Vorsichtig blickte Ethan zu ihr herüber. Die fliederfarbene Perücke war von ihrem Kopf gerutscht und hatte hellblondem Haar Platz gemacht. Ihre Schminke war verlaufen und auch Ethan hatte nicht unbedingt das Gefühl, heute Nacht sein Gesicht gewahrt zu haben.

Er betrachtete einen Moment lang das Chaos, das sie hinterlassen hatten. Der Slip der Blondine, die sich selbst Cara-Mia nannte, lag auf einem ihrer glänzenden Stiefel und auch der Rest ihrer Kleidung war im Zimmer verteilt. Auf dem Tisch neben dem klapprigen Bett lagen siebzig Dollar.

Auf einmal war Ethan versucht, das Geld zurück in seine Hosentasche zu stecken, um ungeschehen zu machen, was er getan hatte. Glücklicherweise war er bei ausreichend klarem Verstand um zu wissen, dass das rein gar nichts geändert hätte.

Er warf einen letzten Blick auf Cara-Mia oder wie auch immer sie wirklich heißen mochte, dann wandte er sich zur Tür und trat hinaus in die Nacht.

Kaum hatte er das Zimmer verlassen, hörte er drinnen Schritte. Anscheinend hatte sie nur darauf gewartet, dass er ging. Ethan nahm es ihr nicht übel. Doch er nahm es sich selbst übel, was er mit ihr gemacht hatte.

-2-

Die Nacht war sternenklar und lauwarm. Ames schloss für einen Moment die Augen und lauschte dem Meeresrauschen. Es klang so gleichmäßig wie der Motor einer Maschine und er musste sich zwingen, die Lider zu öffnen, um nicht einzuschlafen.

Widerwillig stieg er aus dem Wagen, schmeckte die salzige Luft und fragte sich, wie viele Pärchen sich heute Nacht am Strand verabredet hatten, um es dort zu treiben. Er ging um das Auto herum, dann presste er beide Hände gegen die Fensterscheibe und schenkte seiner Beifahrerin ein charmantes Lächeln. Ihre Züge blieben unbewegt. Er seufzte.

Als er die Beifahrertür öffnete, musste er sie an den Schultern stützen, damit sie nicht vom Sitz kippte. Er packte sie unter beiden Achseln und hob sie aus dem Wagen. Sie war schwer und half nicht mit. Nie halfen sie mit.

Ames brachte sie zu einer Bank, wobei sie einen ihrer Schuhe verlor, weil ihre Füße grotesk verdreht über den Boden schleiften. Das Geräusch, das sie dabei verursachten, raubte ihm den letzten Nerv. Zum Glück war es nicht weit.

Er ließ die Frau, die für heute Nacht seine Freundin war, auf die Bank sinken. Ihre weit geöffneten Augen sahen ihn fragend an. Vielleicht hätte sie ihm eine Frage gestellt, wenn sie könnte, doch er hatte ihre Lippen fest zusammengeklebt. Er legte ihr die Hände gefaltet in den Schoß und ordnete das kinnlange Haar, dann trat er einen Schritt zurück. Das Mondlicht spiegelte sich in der goldenen Kette um ihren schlanken Hals. Ames fand sie wunderschön. Ein Meisterwerk.

Eine Weile stand er einfach nur da, genoss den sanften Luftzug an seinen bloßen Unterarmen und betrachtete die junge Frau, deren Gesichtzüge einmal fein und hübsch gewesen waren. Er wusste, dass er sich bald von ihrem Anblick lösen musste, doch das war nicht weiter schlimm. Spätestens morgen würde in allen Zeitungen über sie berichtet werden.

Außerdem war sein Werk noch längst nicht vollendet. Sein Herz schlug schneller bei dem Gedanken an all die wundervollen, blutigen Dinge, die noch vor ihm lagen.

Er betrachtete seine Freundin noch einen Moment, dann verabschiedete er sich von ihr und wandte sich ruckartig ab. Den Wagen würde er stehen lassen, er brauchte ihn nicht mehr.

-3-

Im Morgengrauen holte das Klingeln seines Handys Ethan aus einem wirren Traum. Er drehte sich zum Nachttisch um und tastete nach dem Mobiltelefon.

»Hayes?« Er gähnte und hielt sich die Hand vor dem Mund, während ihm vom anderen Ende der Leitung eine wohlbekannte und viel zu laute Stimme entgegen schallte.

»Detective Hayes, hier ist Ihr Weckruf!« Am Apparat war unverkennbar Donovan Caulfield, Ethans Partner. Er konnte selbst schlechte Nachrichten überbringen, als erzähle er einen Witz. »Am besten bewegst du deinen Hintern schnellstens runter zum Strand, Kumpel!«

Als Ethan klar wurde, was diese Aufforderung bedeuten musste, war er schlagartig hellwach. Während er die dünne Decke von sich schlug und die Beine aus dem Bett schwang, redete Donovan munter weiter.

»Wir haben eine weitere Leiche. Die Presse hat schon wieder Wind von der Sache bekommen und hier ist die Hölle los.«

Ethan konnte sich lebhaft vorstellen, was sich am Fundort abspielte und der Lärm, den er im Hintergrund hörte, bestätigte seine Befürchtungen. »Warum werde ich erst jetzt informiert?«

»Maul nicht rum, sieh lieber zu, dass du herkommst! Du kannst an der Atlantic Avenue, Ecke Einunddreißigste parken und dann folgst du einfach den Übertragungswagen zur Neptunstatue.«

Ethan stand auf und tappte in Unterhose zum Bad. Währenddessen berichtete ihm Donovan, dass es sich bei der Getöteten vermutlich um Ava Draper handelte, eine Reinigungskraft aus Green Run. Zwei junge Touristinnen hatten sie auf dem Rückweg von einer Party entdeckt und sich über ihre leblose Erscheinung gewundert – zu Recht.

»Ich springe schnell unter die Dusche, dann bin ich da.« Er beendete das Gespräch und legte das Handy für den Fall der Fälle auf dem Waschtisch gleich neben der Duschkabine ab. Dann stellte das kalte Wasser an, um seinen Kreislauf auf Touren zu bringen. Es würde ein langer Tag werden.

***

Als er kurz darauf in die Küche kam, saß Haley bereits auf der Fensterbank und starrte konzentriert auf seinen Laptop. Seit seinem Einzug war das Fenster in der Küche so was wie sein Lieblingsplatz. Man hatte von dort aus einen Blick auf die ruhige Cypress Avenue und in der Ferne sah man den Ozean. Mittlerweile war Ethans Sohn mit seinen Eins Fünfundachtzig jedoch zu groß für die schmale Fensterbank und benötigte einen Stuhl zur Hilfe, auf dem er seine in teuren Turnschuhen steckenden Füße ablegte.

»Du bist schon auf?«

»Ich bin gestern früh schlafen gegangen.«

Ethan selbst war erst spät nach Hause gekommen. Beim Gedanken an Cara-Mia machte sich schlagartig ein schlechtes Gewissen in ihm breit. Er nahm sich viel zu wenig Zeit für Haley und viel zu viel davon für andere Dinge.

»Weshalb bist du so früh wach?« Haley blickte auf und sah seinen Vater über den Bildschirmrand an. Er war es gewöhnt, dass Ethan nach ihm aufstand – dann, wenn er schon fast auf dem Weg zum College war. Haley wies auf sein Notebook und ein Grinsen huschte über seine Züge. »Gibt es was Neues bei euch? Neuen Stoff für meine Geschichten?«

»Hier sterben echte Menschen.« Ethan wandte sich ab und stellte die Kaffeemaschine an.

Er konnte förmlich spüren, wie Haley die Augen verdrehte. Was erwartete er? Der Junge war erst zwanzig und hatte es sich zudem in den Kopf gesetzt, Schriftsteller zu werden. Da kam ihm vermutlich jedes spannende Ereignis gelegen.

»Es wurde eine Leiche gefunden. Wieder eine Frau. Diesmal …« Ethan unterbrach sich selbst und blickte über die Schulter zu Haley. »Du kannst das doch für dich behalten?«

»Du meinst, ich habe es nicht nötig, auf dem College damit anzugeben?« Haley trommelte nachdenklich mit den Fingern auf dem Laptop herum, bevor er fortfuhr: »Nein, ich glaube, das habe ich echt nicht nötig.«

Ethan musterte seinen Sohn, dann berichtete er, was er bereits wusste. Er war froh, dass Haley ihn anschließend nicht mit Fragen bombardierte. Wahrscheinlich wollte er die dunklen Seiten des Polizistendaseins gar nicht so genau kennen. Nachdem er vor rund fünf Jahren zu Ethan gezogen war, hatte er sich im sonnigen Virginia Beach, das wegen seiner vielen Ferienanlagen auch Resort City genannt wurde, bestens eingelebt. Er interessierte sich für Sport, Mädchen, Musik und seine Schreiberei, aber er hatte nicht Ethans Hang zur Verbrecherjagd geerbt. Ethan war es nur recht. Wenn sein Sohn kein Cop wurde, musste er sich wenigstens keine Sorgen um ihn machen.

»Dann kommst du heute wieder spät?«

»Ja, vermutlich schon.« Ethan zog sein Portemonnaie aus der Hosentasche und holte dreißig Dollar heraus, die er auf den Küchentisch legte. »Unternimm was mit deinen Freunden. Es ist schließlich Freitag.«

Haley blickte auf das Geld, dann schaute er auf und zwinkerte ihm zu . »Keine Sorge. Das vergesse ich schon nicht.«

-4-

Die Sonne war gerade erst aufgegangen, doch die Küstenstadt heizte sich schon wieder auf wie ein gigantischer Backofen. Als Ethan den Tatort erreichte, sah er zuerst die Traube aus Reportern, die sich um die abgesperrte Zone an das Strandpromenade drängten und nur mühsam von ein paar Officers zurückgehalten werden konnten.

Donovan entdeckte Ethan als Erster und winkte ihn in den Schutz eines provisorisch aufgestellten Zeltes, das das Opfer vor Reporterfotos schützen sollte. Der Rest seines Teams, das neben Donovan Caulfield aus den beiden Detectives Scott Dewey und Alex Mason sowie der ehemaligen FBI-Fallanalystin Gladys Larkin bestand, war bereits eingetroffen. Sie waren allesamt ein wenig blass um die Nase. Trotzdem zwang sich Ethan, die Leiche der jungen Frau, die bis vor ein paar Stunden wahrscheinlich sehr attraktiv gewesen war, genauer zu betrachten.

Ihre Haut war wächsern und marmoriert von feinen, violetten Blutgefäßen. Um ihren Hals hing eine goldene Kette, die im Sonnenlicht glitzerte und ihre Kleidung war makellos und sauber, doch Ethan wusste um die Spuren stunden- oder tagelanger Qual, die sich darunter verbargen.

Es gab nur zwei sichtbare Verletzungen: Die aufgeschnittene Kehle der jungen Frau, die nach ihrem Tod sorgsam wieder zugenäht worden war und drei feine Schnitte auf ihrer Stirn, die zusammen ein großes A bildeten. Die blutige Signatur des Killers.

»Schöne Scheiße, was?« Donovan traf den Nagel auf den Kopf.

»Haben wir es hier wieder mit dem gleichen Dreckschwein zu tun, Glad?«, fragte Ethan. Gladys’ Spezialität war es, sich mit der Psyche der Täter zu beschäftigen, sich in sie einzufühlen und ihr Innerstes zutage zu fördern. Eine Aufgabe, um die er sie wirklich nicht beneidete.

»Haltet die Reporter zurück«, wies Gladys die Officers an, bevor sie antwortete. »Die Spurensicherung hat zwar unzählige Fingerabdrücke, Haare und Fasern im Umkreis des Tatorts gefunden, aber mal wieder nichts an der Leiche selbst. Ich schätze also, es war das gleiche gerissene Dreckschwein am Werk, wie schon die beiden Male zuvor.«

»Bei den ganzen Touristen und Strandfreaks, die jeden Tag auf den Bänken hier herumsitzen, kann es eine halbe Ewigkeit dauern, die ganzen Spuren auszuwerten und abzugleichen«, merkte Donovan an.

»Schöner Mist«, knurrte Ethan und sah missmutig herüber zu den Journalisten, die sich an der Absperrung beinahe gegenseitig zerquetschten, um ein paar gute Fotos zu bekommen. Als Leiter der Sonderkommission galt ihm die meiste Aufmerksamkeit und er war froh um den Sichtschutz sowie das menschliche Polster aus Officers, das sich zwischen ihm und den Reportern befand.

»Na dann los, Freunde.« Donovan klopfte Ethan auf die Schulter. »Machen wir uns auf die Suche nach einem glatzköpfigen Kerl ohne Fingerabdrücke, der nicht spuckt und nicht schwitzt.«

Ethan wandte sich ab und betrachtete den Wagen des Opfers, an dem sich die Spurensicherung momentan zu schaffen machte. Den Wagen, an dessen Steuer letzte Nacht ein perverser Mörder gesessen hatte. Ein gefährlicher Killer, der sich wahrscheinlich halb tot lachte, weil die Polizei nach fünf Wochen und drei Opfern noch immer komplett im Dunklen tappte.

Er sah sich noch einen Moment lang den Tatort an, dann machte er sich auf, mit den bestürzten Touristinnen zu sprechen, die abseits in der Obhut eines Polizeipsychologen auf ihn warteten. Er durchquerte die abgesperrte Zone rund um die Parkbank und schob sich dann erneut durch die Menge aus Handykameras und Teleobjektiven, um zu den zwei übernächtigten Studentinnen aus Portland, Oregon zu gelangen.

Trotz des Schlafmangels und seiner missmutigen Stimmung verfehlte Ethan seine Wirkung auf die beiden nicht. Er wusste, dass er mit seinen stahlblauen Augen und dem durchtrainierten Körper anziehend auf viele Frauen wirkte und hatte so seine Vermutungen, dass deshalb auch die meisten Befragungen von weiblichen Zeugen auf ihn abgeschoben wurden.

Donovan mit seiner bulligen Erscheinung war fürs Einschüchtern zuständig, obwohl jeder, der den Iren näher kannte, wusste, dass von ihm nicht viel zu befürchten war.

Eines der Mädchen blickte ihn an und ein Lächeln umspielte ihre Züge, erreichte ihre Augen jedoch nicht. Kein Wunder, dachte Ethan. Es war befremdend, zum ersten Mal eine Leiche zu sehen. Er kannte dieses Gefühl nur zu gut.

-5-

Ein Messer gleitet tief in weiche Haut. Sie platzt auf, Blut sickert aus der Wunde. Es ist eines dieser kleinen Schälmesser, der Griff besteht aus violettem Plastik. Die Klinge ist kein Plastik, sie ist metallen und scharf. Sie schneidet tiefer, durchbohrtes Gewebe zuckt und windet sich. Blut spritzt. Schreie gellen durch das neonbeleuchtete Zimmer. Fliegen summen um die Lampe herum, sie wollen lieber gegrillt werden, als Teil dieses Schauspiels zu sein, aber Neon ist kalt und die Hand, die das Messer führt, ist es auch. Augen weiten sich vor Schrecken. Eine Stimme droht, sie herauszuschneiden und sie schließen sich. Das Messer tanzt durchs Fleisch. Schreie. Gelächter. Schmerz. Und dann –

Ames schreckte auf. Die Ampel war grün geworden und hinter ihm hupte jemand. Schnell zog er den Fuß von der Bremse und der Wagen setzte sich in Bewegung. Er strich sich das schweißnasse Haar aus der Stirn und schüttelte den Kopf über sich selbst. So kurz nach seiner letzten Tat hätte er sich entspannt und ausgeglichen fühlen sollen. Stattdessen raste sein Herz, er war angespannt und musste all seine Willenskraft aufbringen, um sich nicht heute noch ein neues Opfer zu suchen. Wenn er nicht leichtsinnig und unvorsichtig werden wollte, dann musste er sich dringend ablenken.

Er schloss kurz die Augen, dann blinzelte er die Tränen weg, die ihm die Sicht verschleierten und verscheuchte die düsteren Gedanken. Es war ein sonniger Tag und er hatte sich unter Kontrolle. Noch.

-6-

Befragungen in Restaurants zur Mittagszeit waren nervtötend. Es war hektisch und laut und kaum jemand hatte die Zeit, sich auf ein paar Fragen der Polizei zu konzentrieren. Das South Easy, in dem Ava Draper geputzt hatte, lag jedoch Gott sei Dank etwas außerhalb des Stadtkerns und so war es noch nicht allzu überfüllt, als Ethan und Donovan eintraten. Die wenigen Gäste würdigten die beiden Detectives keines Blickes. Das war einer der Vorteile, die man genoss, wenn man nicht mehr zu den Uniformierten gehörte.

Der Gastraum war groß und wurde von einer langen, rot gekachelten Theke dominiert. Entlang der Fenster befanden sich vinylbezogene Sitzbänke mit dem Emblem der Restaurantkette auf der Lehne. Die Tische waren sauber poliert, genau wie der Boden. Ava hatte bei ihrer letzten Schicht ganze Arbeit geleistet.

»Wusstest du, dass sie hier diese viereckigen Riesenburger verkaufen?« Donovan studierte konzentriert die Karte.

»Nein.« Ethan sah sich nach jemandem um, der aussah, als hätte er etwas zu sagen. Doch weder die junge Kellnerin hinter der Bar noch der Schüler, der für das Abräumen der Tische verantwortlich war, erweckten diesen Anschein. Er entschied sich für das Mädchen an der Bar.

»Die haben hier auch diese Kokosnuss-Cremetörtchen.« Donovan schien völlig vergessen zu haben, weshalb sie eigentlich hier waren. »Und gegrillte –«

»Detective Ethan Hayes. Das ist mein Partner Detective Donovan Caulfield«, unterbrach ihn Ethan und hielt dem Barmädchen seine Marke ins Gesicht.

»Ich … hab ich …« Das Mädchen fing an zu stammeln, brach dann ab.

Die vollkommen Unschuldigen fangen im Angesicht einer Polizeimarke immer an zu stammeln, dachte Ethan und die Kleine begann, ihm zu gefallen. »Wir würden gerne mit dem Geschäftsführer sprechen. Ist er hier?«

»Joshua kommt immer erst gegen vier. Sie können hier warten, wenn Sie wollen.«

Ethan sah seinen Partner kurz an, entschied dann jedoch selbst. »Wir sprechen erst einmal mit den Angestellten. Und am besten fangen wir direkt mit Ihnen an.«

***

Die Kellnerin war leider genauso ahnungslos, wie sie hübsch war und auch der Junge wusste weder mit wem noch wann Ava Draper am vergangenen Abend das Restaurant verlassen hatte. Er war vor ihr gegangen, wie er erklärte, während er nervös an einem geflochtenen Armband herumfummelte, das an einer Stelle fast vollständig durchgerissen war.

Nach ihm waren zwei weitere Kellnerinnen an der Reihe, die mit ihren blondierten Haaren eher erfolglose Schauspielerinnen in Los Angeles hätten sein können. Sie waren Schwestern und hatten sich nach eigenen Angaben nicht sonderlich gut mit Ava Draper verstanden, aber immerhin konnten sie die beiden Detectives auf Evangeline Stark, die Köchin verweisen.

»Die kam gut mit Ava zurecht und bleibt immer lange, räumt ihre Küche selbst auf«, erklärte Rosalie, die Dickere der beiden.

»Ist sie da?«, wollte Donovan wissen und Ethan wurde den Verdacht nicht los, dass sein Interesse mehr dem Essen der Köchin galt, als einem Gespräch mit ihr.

Die Kellnerin wies ihnen den Weg zur Küche und sie setzten sich in Bewegung. Ethan wunderte sich, dass es eine Köchin war, die hier arbeitete. Er war nicht oft in Diners, doch zumindest seiner Vorstellung nach waren die Köche in Schnellrestaurants wie diesem typischerweise behaarte Männer, die einen riesigen Bauch in einem verschwitzten T-Shirt vor sich her schoben. Das Bild der Köchin, das sich unwillkürlich in seinem Kopf zusammensetzte und der penetrante Geruch von Bratfett trugen dazu bei, dass der Gedanke, hier mit Donovan nach Feierabend zu essen, noch abwegiger wurde.

Er schilderte seinem Partner in allen Einzelheiten die Vision, die er von der Diner-Köchin hatte, und sie näherten sich feixend der Küche. Als sie eintraten, wurde Ethans Überheblichkeit jedoch Lügen gestraft. Evangeline Stark war anders, als alles, was er sich hätte ausmalen können. Bisher hatte er immer den Eindruck gehabt, dass seine Bar-Bekanntschaften wie Models aussahen, aber wenn das stimmte, war die Diner-Köchin eine Schönheitskönigin. Sie war zierlich und warf ihm und seinem Partner einen belustigten Blick aus braunen Rehaugen zu, die ihr Gesicht puppenhaft wirken ließen. Ihre Haut war leicht gebräunt und ihre Züge waren absolut symmetrisch. Ihr kurzes, dunkles Haar stand in schroffem Gegensatz zu ihrem sanften Gesicht und machte sie nur noch interessanter.

»Meine Herren, die Gästetoilette ist zwei Türen weiter.« Damit wandte sie sich einer dampfenden Industrie-Grillplatte zu und begann Steaks zu wenden.

»Misses Stark …« Ethan rang regelrecht nach Worten. Zum ersten Mal seit Jahren befand er sich in der Situation, einer Frau nicht völlig gelassen gegenüber zu stehen.

Evangeline musterte ihn eingehend, aber ohne eine Spur von Begeisterung. Als er nicht weiter sprach, schlich sich Irritation in ihren Blick. Sie hob die Hand, um sich eine Strähne aus der Stirn zu streichen und ein Hauch ihres Parfums wehte zu ihm herüber. Für einen Moment überlagerte ein kaum wahrnehmbarer Kirschduft den schweren Essensgeruch. Ethan hatte süße, weibliche Parfums schon immer gemocht und ganz automatisch stiegen Erinnerungen an letzte Nacht in ihm auf. Es kostete ihn einige Mühe, sie zu verscheuchen und endlich aus seiner Erstarrung zu erwachen.

Er zog seine Dienstmarke und hielt sie Evangeline Stark vors Gesicht, während er erst sich, dann seinen Partner vorstellte. Donovan hob die Hand an seinen imaginären Hut und ließ ein breites Good-Cop-Lächeln sehen, aber die zierliche Frau wirkte nicht, als habe sie solch beruhigende Gesten nötig.

»Wir sind hier, um mit Ihnen über Ava Draper zu sprechen«, fuhr Ethan fort.

»Was ist mit Ava?« In Evangelines Stimme schwang Besorgnis mit.

Ethan hoffte, inständig, dass die beiden keine dicken Freundinnen gewesen waren, denn er hasste es, Freunden und Angehörigen von Opfern schlechte Nachrichten zu überbringen. Sein angestrengter Versuch, sachlich zu bleiben führte regelmäßig dazu, dass ihm Gefühlskälte und Rohheit vorgeworfen wurden.

Deshalb überließ er das Übermitteln von Todesnachrichten lieber seinem rücksichtsvollen, dauerlächelnden Partner. »Es tut mir sehr leid, Misses Stark, aber ich muss Ihnen mitteilen, dass Ihre Kollegin heute Morgen tot aufgefunden wurde. Es sieht alles danach aus, als sei sie ein weiteres Opfer …«

»Die Resort-City-Bestie!«, entfuhr es Evangeline und ihre großen Augen starrten die beiden Cops entsetzt an.

Ethan ärgerte sich über den reißerischen Namen, den die Presse dem Täter verliehen hatte, obwohl er mittlerweile selbst mehr und mehr dazu neigte, ihn zu benutzen.

»Das wissen wir noch nicht …«, begann Ethan, doch Donovan vervollständigte seinen Satz.

»Es sieht jedoch alles danach aus. Wir müssen Ihnen ein paar Fragen stellen. Wenn Sie uns vielleicht an einen der Tische folgen möchten?«

***

Evangeline vergoss während des Verhörs keine Träne und Ethan spürte, wie viel Kraft es sie kostete, ruhig zu bleiben. Sie nestelte an ihrer Schürze herum, während sie den beiden Detectives erklärte, dass Ava gestern gegen elf mit ihr gemeinsam das Lokal verlassen habe.

»Ich bin zum Bus gegangen und Ava zu ihrem Wagen. Sie ist in Richtung Green Run gefahren. Ich wohne drüben in Salem.«

Ethan machte sich Notizen, aber Evangelines Anwesenheit lenkte ihn immer wieder ab. Er hätte sie lieber abends in einer Bar kennen gelernt als bei einem Verhör. Im Gegensatz zu den beiden Studentinnen heute morgen schien sein Charme bei ihr allerdings wirkungslos zu sein. Sie erwiderte nicht einmal sein Lächeln. Es machte ihn rasend, dass sie nicht auf ihn einging.

»Stimmt etwas nicht?« Sie klang, als habe er sie provoziert.

»Alles in bester Ordnung.« Da er keine weiteren Fragen hatte, hielt er der Köchin seine Karte hin und bat sie, sich zu melden, falls ihr noch etwas einfiele. Er legte eine gewisse Doppeldeutigkeit in seine Stimme, was ein ziemlich verzweifelter Versuch war, und Evangeline zeigte sich dementsprechend unbeeindruckt.

»Ich glaube nicht, dass mir noch etwas einfällt, Detective.« Sie ließ die Karte in ihrer Hosentasche verschwinden und bat die beiden Polizisten, sie zu entschuldigen.

Ethan starrte ihren langen Beinen hinterher, bis sie in dem kleinen Korridor verschwunden war, der zur Küche führte. Er sah sich um und wunderte sich über die vielen Gäste, die mittlerweile an den Tischen des Schnellrestaurants saßen. Er war so auf die Köchin fixiert gewesen, dass er gar nicht gemerkt hatte, wie sich das Diner gefüllt hatte.

»Tz, tz, tz«, machte Donovan und schüttelte den Kopf. »Denkst du eigentlich auch mal an was anderes? Wir sind im Dienst, mein Freund.« Damit stand er auf.

»Ich weiß, aber sie ist der Wahnsinn, oder?«

»Du bist einfach nichts Gutes gewöhnt. Vielleicht suchst du dir mal ein anderes Jagdrevier als die Bars an der Promenade.«

Auch Ethan stand auf und warf einen bedauernden Blick in den leeren Korridor. Er hatte ja nicht ahnen können, was sich so alles in Virginias Küchen versteckte.

Auf dem Weg nach draußen sah er in seine spärlichen Notizen, um zum eigentlichen Grund ihres Besuches zurückzukehren. Niemand wusste etwas über Ava Drapers Privatleben, ihre Freunde, ihre Familie, die Clubs, die sie besucht hatte oder ob sie in irgendwelchen zwielichtigen Chatrooms im Internet aktiv gewesen war. Er sah jetzt schon die Schlagzeile von morgen vor sich: Resort-City-Bestie – noch immer keine heiße Spur.

Kein Wunder, dass die Presse durchdrehte. Virginia Beach war immer ein vergleichsweise friedlicher Ort gewesen. Manchmal glaubte Ethan, der Killer hatte sich genau deshalb diese Stadt ausgesucht.

-7-

Durch den Lärm, den die startenden und landenden Flugzeuge der Naval-Flugstation machten, war es unmöglich, ein vernünftiges Gespräch im Wagen zu führen. Deshalb beschränkten sich Ethan und Donovan auf das Nötigste.

»Hier links.« Auf Donovans Schoß lag ein Stadtplan. Im Gegensatz zu Ethan hielt er nichts von Navigationssystemen. Seiner Meinung nach waren sie nur so gut wie das eingespeiste Kartenmaterial, sodass er die Karte auch gleich selbst in die Hand nehmen konnte. Donovan war in vieler Hinsicht ziemlich eigen, aber Ethan war längst daran gewöhnt. Er konnte sich auf seinen Partner verlassen und das war das Wichtigste. Sie beide arbeiteten jetzt seit neun Jahren zusammen und es hatte nie Probleme zwischen ihnen gegeben, obwohl sie unterschiedlicher kaum hätten sein können: Donovan lebte mit seiner Frau und zwei Kindern in einem umgebauten Farmhaus, die Ehe verlief harmonisch. Ethans Beziehungen hingegen hielten selten länger als eine Nacht. Er wusste selbst nicht, wieso es ihm nie gelang, sich in eine Frau so zu verlieben, dass er bereit war, sein unkompliziertes Leben für sie aufzugeben. Vielleicht, weil sein Leben ganz und gar nicht so unkompliziert war, wie er sich gern einredete.

Er bog von der London Bridge Road auf eine scheinbar in die Wildnis führende Nebenstraße ab. Das Gespräch mit dem South-Easy-Geschäftsführer Joshua Bates hatte nicht viel ergeben. Lediglich ein paar Informationen zu Avas Exfreund Rusty Hilbredge hatte er ihnen geben können. Bates erinnerte sich sehr gut an Rusty, dem er zum ersten Mal an seinem ersten Tag als Restaurantleiter begegnet war. Rusty tauchte spät abends betrunken auf und verlangte von Ava, sofort mit nach Hause zu kommen. Ava, noch mitten in ihrer Schicht, verwendete ihre gesamte Zigarettenpause darauf, Rusty zum Gehen zu überreden und ihm klar zu machen, dass ihre Beziehung beendet sei. Seitdem war sie immer wieder verstört bei der Arbeit aufgetaucht und hatte sich beklagt, dass ihr Exfreund sie verfolge.

Ethan hatte Donovan angesehen, dass sie das Gleiche dachten: Der verschmähte Liebhaber war immer ein guter Verdächtiger mit einem nachvollziehbaren Motiv. Sie mussten dieser Spur nachgehen.

»Ganz schön friedlich hier!«, brüllte Donovan über den Lärm eines landenden Kampfjets hinweg und betrachtete die durchweg schäbigen Fassaden der wenigen, freistehenden Häuser entlang der Straße.

»Ja, die Gegend wird total unterbewertet«, entgegnete Ethan in derselben Lautstärke.

»Das hier ist es.«

Ethan brachte den Wagen vor einem grün gestrichenen Haus zum Stehen. Die Fassade war verwittert, der Anstrich blätterte an vielen Stellen ab. Die Fenster waren schmutzig und trüb, der Balkon über der Veranda windschief. Eine ausgeblichene gelbe Windmühle steckte im Gras vor der Haustür und ein Stück entfernt parkte ein klappriger europäischer Wagen.

»Willkommen in Sleepy Hollow.« Ethan stieg aus.

Donovan tat es ihm gleich und schloss leise die Tür. Mit einem Male herrschte eine fast unnatürliche Stille. Aus dem Inneren des Hauses waren weder Fernseher noch Radio noch das Geklapper von Töpfen oder das Rauschen eines Ventilators zu hören.

Sie traten näher und plötzlich schlug ihnen ein unverkennbarer Geruch entgegen.

Ethan sah seinen Partner alarmiert an. »Riechst du das?«

Donovan nickte. Sie zogen ihre Waffen und positionierten sich links und rechts von der Tür. Die morsche Veranda knarrte bedrohlich unter ihrem Gewicht.

»Mister Hilbredge, sind Sie zu Hause?« Ethan bemühte sich, seine Stimme fest klingen zu lassen, obwohl ihm von dem penetranten Geruch kotzübel war. Dass man sich mit der Zeit an den Gestank von Verwesung gewöhnte, war eine Lüge. Zumindest galt das für ihn.

Donovan und er warfen einander einen kurzen Blick zu, dann klopfte Ethan an die Tür, die quietschend aufschwang. Der Geruch verschlimmerte sich augenblicklich und Ethan unterdrückte ein Würgen.

»Mister Hilbredge? Hier ist die Polizei!«

Die Diele war stockdunkel und niemand rührte sich. Draußen brachte ein Luftstoß die gelbe Windmühle dazu, sich in Bewegung zu setzen, aber ansonsten blieb alles totenstill.

Ethan bedeutete seinem Partner, ihm ins Innere des Hauses zu folgen. Es war so verkommen, wie die Fassade von außen vermuten ließ. Die Tapeten waren teils abgerissen, in den Ecken wucherte Schimmel. Der Treppe, die vom Flur aus ins Obergeschoss führte, fehlte ein Stück vom Geländer.

Zu ihrer Linken befand sich eine geschlossene Tür, die sie als Erstes anvisierten. Ethans Herz raste, sein hämmernder Puls machte ihn nervös. Er gab Donovan ein Zeichen, drückte die Klinke herunter und ließ die Tür aufschwingen. Dahinter verbarg sich ein kleiner Flur, an dessen Ende eine weitere Tür lag. Der Todesgeruch war hier um einiges stärker und Ethan bildete sich ein, das Summen und Scharren winziger Insekten hören zu können. Er schritt weiter und Donovan folgte ihm angewidert. Schweigend wiederholten sie das Ritual an der nächsten Tür, aber diesmal bereute Ethan sofort, sie geöffnet zu haben.

Der Raum dahinter war zweifelsfrei die Küche. Schmutziges Geschirr stapelte sich in und neben der Spüle, der billige Tisch war von klebrigen Flecken bedeckt. Dutzende Fliegen vernebelten die Luft und auf dem Boden lag der Hausherr, oder das, was von ihm übrig war: ein schwarzer, von Fäulnisblasen übersäter Körper, die Zunge grotesk geschwollen, die Lippen und Augen von Maden zerfressen und die blanken Zähne ein breites Grinsen parodierend. Rusty Hilbredges schmuddeliges Shirt war ein Stück nach oben gerutscht und entblößte seinen aufgeblähten Leib.

»Das ist nicht unser Mann«, brachte Ethan gepresst hervor. »Der ist seit mindestens einer Woche tot.«

-8-

Ethan lag auf dem Rücken und betrachtete die Schatten, die sich an der Decke zu immer neuen Formen zusammenzusetzen schienen. Er war todmüde und konnte trotzdem nicht einschlafen. Der Fall beschäftigte ihn und er konnte nahezu spüren, wie ihm die Zeit davon rannte. Auch wenn Ava Drapers Bekanntenkreis nicht sonderlich groß gewesen war, hatte die Befragung kostbare Stunden in Anspruch genommen. Ava und Rusty hatten hauptsächlich gemeinsame Freunde gehabt, sodass es immer gleich zwei schlechte Nachrichten zu überbringen gegeben hatte. Es war ein anstrengender Tag gewesen. Anstrengend und sinnlos, wenn man daran dachte, dass der Serienmörder, den sie jagten, immer noch auf freiem Fuß war. Womöglich suchte er sich gerade sein nächstes Opfer aus. Vielleicht kam er nach dem Töten nach Hause und gab seinen Kindern noch schnell einen Gute-Nacht-Kuss. Vielleicht lag er aber auch wach, so wie Ethan und wartete sehnsüchtig auf die Zeitung von morgen. Die Presse ließ ihm genau die Aufmerksamkeit zukommen, nach der es jeden Serienmörder dürstete.

Die Vorstellung machte Ethan krank. So krank wie die Erinnerung an die Überreste von Rusty Hilbredge und das wächserne Gesicht von Ava Draper. Ihre entsetzten Augen. Vor Jahren, als er noch Streifenpolizist gewesen war, hatten sie eine Wohnung öffnen müssen, in der eine ältere Frau seit mehr als vier Wochen tot lag. Die Nachbarn hatten die Polizei erst verständigt, als der Geruch unerträglich geworden war. Es war nicht die beste Gegend gewesen. Wahrscheinlich konnte man die Gleichgültigkeit der Nachbarn damit erklären.

Ethan konnte die Bilder bis heute nicht vergessen. Den Körper, der keiner mehr war. Das Gesicht, ähnlich entstellt wie das von Hilbredge, und den Telefonhörer in der zerfallenden Hand. Er hatte sich in den Hausflur übergeben müssen. Drei Mal. Manchmal fragte er sich, ob es Cops gab, die diesen ganzen Mist abends einfach hinter sich lassen konnten.

-9-

Am darauf folgenden Tag, einem Samstag, fanden sich Ethan, Donovan sowie Mason und Dewey um acht Uhr im Besprechungszimmer des Virginia Beach Police Department ein. Sie alle waren Mitglieder der Mordkommission oder, wie es Donovan scherzhaft nannte, der richtigen Polizei. Sie beschäftigten sich mit allen Todesfällen innerhalb des Stadtgebietes, bei denen Mord oder Totschlag nicht eindeutig ausgeschlossen werden konnten. Am Ende klärte sich die Angelegenheit allerdings meistens schnell und unspektakulär: Herzanfall, Suizid, Unfall mit Fahrerflucht. Es blieben im Schnitt vier oder fünf Morde pro Jahr, was verdammt wenig war für eine amerikanische Großstadt. Ethan hatte schon andere Verhältnisse erlebt. Er war in Detroit, Michigan geboren, aufgewachsen und hatte dort auch die ersten Jahre seiner Polizeilaufbahn verbracht. Detroit war die Stadt mit der höchsten Kriminalitätsrate in den USA. Ein Überfall reihte sich an den nächsten Autodiebstahl.

Ethan hatte sich gleich nach dem College bei der Polizei beworben, als gewöhnlicher Streifenpolizist angefangen und den Streifendienst ein paar Jahre lang genossen. Am besten fand er, immer gleich an Ort und Stelle zu sein. Immer dort, wo die Action war. Doch irgendwann reizten ihn die größeren Themen: Mord oder Totschlag. Er wollte die richtig bösen Jungs schnappen und sich nicht weiter mit Kleinganoven und Temposündern abgeben. Im Alter von sechsundzwanzig ließ er sich zum Detective ausbilden.

Damals hatte er erwartet, dass es weiterhin gut laufen würde, dass er weiterhin einer der Besten sein würde, aber er wurde schnell eines Besseren belehrt. Die Arbeit als Detective verlangte ihm einiges ab, doch er verschwendete niemals auch nur einen Gedanken ans Aufgeben.

Vor etwa zehn Jahren war er nach Virginia Beach gekommen. Es war hier nicht so hart wie in Detroit, was Ethan die Möglichkeit gab, gründlicher zu arbeiten und ihn am Abend befriedigter nach Hause gehen ließ. Sein Team hatte eine wirklich vorzeigbare Aufklärungsquote. Bisher.

Ethan sah auf, als Gladys den Raum betrat. Ihre sommerliche Kleidung brachte zwar etwas Farbe in das fensterlose Zimmer, über ihre Müdigkeit konnten das helle Kostüm und das geblümte T-Shirt jedoch nicht hinwegtäuschen.

»Also«, begann sie ohne Umschweife und nahm auf einem der freien Stühle Platz. »Ich fasse kurz die Fakten zusammen: Wir haben drei Opfer, alle weiblich. Der Täter hat sie gefoltert und schließlich getötet, indem er ihnen Kehlkopf und Halsschlagader glatt durchtrennte. Allen wurde post mortem ein ‚A’ in die Stirn geritzt. Äußerlich gibt es keine Gemeinsamkeiten. Ethan?«

Ethan nickte, erhob sich von seinem Platz und trat an die Pinnwand, an die Bilder der drei Frauen geheftet waren, vor und nach ihrem Zusammentreffen mit der Resort-City-Bestie.

»Das erste Opfer, Grace Mitch, vierunddreißig, war Friseurin und wurde am zwölften Juni vermutlich aus der Tiefgarage ihrer Arbeitsstelle in Reedtown gekidnappt. Sie wurde erst am Mittag des fünfzehnten Juni in einem Bus von Casinos Unlimited gefunden. Das zweite Opfer war Tiffany Jaiden, fünfundsechzig. Sie saß im Rollstuhl und wurde am Abend des dritten Juli aus ihrem Haus in Acredale entführt. Es gab keine Einbruchsspuren. Entweder muss sie den Täter hereingelassen haben oder er hatte einen Zweitschlüssel. Wir haben ihren Bekanntenkreis überprüft, es gibt keine Verdächtigen. Ein Friedhofsbesucher fand Jaiden am frühen Abend nach ihrer Entführung vor dem Grab ihres Mannes, an ihren Händen Spuren von Arsen. Unser letztes Opfer ist Ava Draper. Einunddreißig Jahre alt, gefunden an der Strandpromenade, nur ungefähr neun Stunden nach ihrem Verschwinden.«

Ethan nickte Gladys zu. Sie nahm einen Schluck von dem Kaffee, den Donovan zu ihr herüber geschoben hatte, erhob sich und übernahm erneut.

»Der Rechtsmediziner hat etliche Spuren von Gewalteinwirkung an ihrem Körper gefunden, genau wie bei den beiden anderen Frauen. Quetschungen, Prellungen, oberflächliche und tiefe Schnitte. Keine Fingerabdrücke, Haare, Sperma- oder Speichelspuren.«

»Was für eine Überraschung!«, kommentierte Mason. Dem untersetzten Detective war die Enttäuschung deutlich anzusehen. Unvorsichtig wurden Kriminelle erst, wenn es eng für sie wurde, aber die Resort-City-Bestie fühlte sich vermutlich so frei wie ein Fisch im Wasser.

»Ich habe das ursprüngliche Täterprofil erweitert, bin jedoch immer noch der Meinung, dass wir es mit einem organisierten Serienmörder zu tun haben. Die Merkmale hierfür sind eindeutig: Es gibt niemals brauchbare Spuren, er geht also planvoll vor, überstürzt nichts und scheint intelligent zu sein. Ich gehe davon aus, dass er sozial angepasst lebt, möglicherweise Frau und Kinder hat, was ihn dazu zwingt, sich seine Opfer nachts zu suchen. Da sich höchstwahrscheinlich mindestens zwei der drei Opfer freiwillig auf unseren Täter eingelassen haben, ist davon auszugehen, dass er nicht nur äußerlich einen sehr gepflegten und attraktiven Eindruck macht, sondern dass er aufgeschlossen, freundlich und hilfsbereit auf andere Menschen wirkt. Der Stil der Verbrechen ist eindeutig: Der Leichenfundort ist niemals auch der Tatort. Unser Täter tötet aggressiv, quält seine Opfer lange und gerne, nimmt allerdings keine sexuellen Handlungen an ihnen vor. Nach der Tat scheint er zwiegespalten darüber zu denken. Einerseits verbirgt er die Wunden der Opfer unter frischer Kleidung, säubert sie und näht die tödliche Verletzung sogar, andererseits markiert er die Frauen mit seinem Zeichen, einem A. Was dies bedeutet, kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nicht sagen, aber das nur am Rande. Das Arrangieren der Leichen könnte bedeuten, dass der Mörder seine Tat bereut und sie deshalb der Gesellschaft zurück gibt.« Sie warf einen kurzen Blick in die Runde. »Des Weiteren fällt natürlich auf, dass sich unser Täter ausnahmslos weibliche Opfer sucht. Das könnte auf ein Problem mit Frauen im Allgemeinen hindeuten. Vielleicht wurde seine Liebe nicht erwidert, vielleicht wurde er verlassen, vielleicht ist er aber auch einfach nicht fähig zu lieben. Die zweite Möglichkeit wäre, dass unser Täter homosexuell ist und dafür in seiner Jugend bestraft wurde oder noch heute von der Gesellschaft ausgeschlossen wird, sodass er seinen Hass auf Frauen projiziert. Die dritte und für mich wahrscheinlichste Möglichkeit ist, dass das Töten auf ein Kindheitstrauma zurückführen ist. Auf eine strenge, dominante Mutter, Großmutter oder Ziehmutter. Er tötet Frauen jeder Altersgruppe, was auf eine lange Zeitspanne der Misshandlung hindeuten könnte.« Gladys sah ihre Kollegen wieder an, die sichtlich damit beschäftigt waren, die Fülle an Informationen zu verarbeiten.

Donovan hob zögernd die Hand. »Warum sucht er sich dann nicht zumindest Frauen aus, die vom Typ her gleich sind? Ich meine… seine Mutter wird doch bestimmte Merkmale gehabt haben. Eine besondere Haarfarbe, Figur und Statur. Würde er sich keine Opfer suchen, die ihr ähnlich sind?«

»Nicht unbedingt. Erstens …«

»Vielleicht hat sie Perücken getragen. War krebskrank oder sogar käuflich. Ihr wisst schon, ein leichtes Mädchen«, unterbrach sie Mason breit grinsend.

Ethan warf ihm einen finsteren Blick zu, doch Gladys fuhr unbeeindruckt fort.

»Erstens pauschalisieren Serienmörder gerne. Zweitens glaube ich, dass unsere Resort-City-Bestie keine wirkliche Bindung zu seiner Mutter hatte. Sie war ihm fremd, unheimlich, hat vielleicht sogar das Verhalten einer multiplen Persönlichkeit an den Tag gelegt. Möglicherweise war sie mal liebende Mutter, was den Tod von Tiffany Jaiden – äußerlich der Inbegriff von Fürsorge und Liebe – erklären würde. Manchmal war seine Mutter aber auch verletzlich, verunsichert und hat sich unter Druck setzen lassen, so wie Ava Draper. Und dann gab es wohl auch Momente, in denen unser Mörder absoluter Brutalität ausgesetzt war. Ihr kennt ja die Vorgeschichte von Grace Mitch. Ehemaliges Mitglied einer Mädchengang, vorbestraft wegen Körperverletzung und räuberischer Erpressung. Sie war eine Frau, die Aggressivität ausstrahlte. Ihr versteht, was ich meine?«

Ethan atmete durch und fuhr sich mit einer Hand durchs Gesicht, dann stieß er sich von der Wand ab und betrachtete sein Team. Was Gladys sagte, klang logisch. Sie würden dieser Theorie nachgehen müssen. »Also gut. Dewey und Mason, ihr überprüft Fälle von Misshandlung im Elternhaus hier in der Gegend. Wir suchen ein männliches Opfer häuslicher Gewalt. Wie alt?«

Gladys zuckte die Achseln und eine Spur von Resignation mischte sich in ihre Stimme: »So zwischen sechzehn und sechzig?«

»Na toll. Das wird ja ein Kinderspiel.« Ethan wandte sich an seinen Partner. »Donovan, wir zwei sprechen noch mal mit der Spurensicherung und der Rechtsmedizin wegen Drapers Wagen. Was mir außerdem nicht aus dem Kopf geht, ist die Sache mit dem Arsen an Jaidens Händen. Gladys, könntest du herausfinden, wer Zugriff auf das Zeug hat?«

»Das habe ich bereits erledigt. Auf legalem Wege haben alle Mitarbeiter der Schädlingsbekämpfung und Arzneimittelherstellung Zugriff darauf. Durch illegale Beschaffung über das Internet könnte jedoch jeder an das Gift kommen.«

Ethan seufzte. »Es wäre auch zu einfach gewesen.«

Gladys wandte sich zur Tür, drehte sich dann, die Hand an der Klinke, noch einmal zu ihren Kollegen um. »Fast hätte ich es vergessen: Ich habe die Laborberichte abgeholt: Rusty Hilbredge starb an multiplem Organversagen, ausgelöst durch jahrelangen Alkoholmissbrauch.«

Donovan machte ein überraschtes Geräusch. »Der Kerl war gerade mal Mitte dreißig!«

»Überrascht dich das?«

»Ein wenig.«

»Don«, Gladys lachte. »Willkommen in der echten Welt!«

-10-

Am Samstagabend traf sich Ethan wie so oft mit Donovan und Gladys in einer der vielen lauten Bars an der Strandpromenade. Sie hatten Glück und konnten einen Tisch am Rand ergattern, von dem aus sie den ganzen Gastraum einsehen konnten.

Ethan nahm einen Schluck von seinem Bier und schaute sich die zahlreichen Gäste genauer an. Der ein oder andere Blick streifte ihn und er fragte sich, ob er und seine Kollegen als Cops zu erkennen waren, ob sie anders wirkten als die anderen. Er musterte Gladys und Donovan und kam zu dem Schluss, dass sie zusammen zumindest seltsam wirken mussten.

Donovan trug ein geschmackloses Hemd aus den Neunzigern mit kleinen, bunten Dreiecken darauf. Gladys war gewohnt attraktiv und fiel, trotz ihrer schlichten Satinbluse, durch ihr langes rotes Haar auf, welches sie, anders als im Dienst, offen trug. Ethan war wie immer leger gekleidet. Er trug Jeans und ein dunkles T-Shirt, das eng genug war, um seine Muskeln zu betonen, aber nicht so eng, dass er aussah als käme er, wie Donovan es genannt hätte, „vom anderen Ufer“.

»Denkt ihr manchmal: Einer von denen hier könnte es sein?« fragte Donovan zwischen zwei kleinen Schlucken aus seinem Whiskyglas. »Hier in der Bar? Im Supermarkt? An der Tankstelle?«

»Pausenlos.« Gladys nickte. »Das macht mich völlig verrückt. Andauernd glaube ich, er geht mir vielleicht gerade durch die Lappen.« Sie machte eine kurze Pause und ließ, wie Ethan eben, den Blick durch die Bar schweifen. »Andererseits glaube ich nicht, dass er sich in unserer Nähe aufhält, wenn es sich vermeiden lässt.«

Donovan lachte. »Das wäre ja auch reichlich blöd!«

Gladys sah ihn an. »Es gibt solche Täter. Die halten sich im Dunstkreis der Ermittler auf und bieten manchmal sogar ihre Mitarbeit an.«

»Warum, um alles in der Welt, sollte jemand so was tun?«, fragte Donovan und nippte wieder an seinem Whisky.

»Aus den verschiedensten Gründe. Aber an einem Samstagabend will ich wirklich nicht so weit ausholen.« Gladys grinste. »Nur so viel: Es geht um Aufmerksamkeit.«

»Und unser Täter hält sich von uns fern, weil er davon genug bekommt?«, mischte Ethan sich ein.

»Ja. Und er will kein unnötiges Risiko eingehen, denn er ist mit seinen Taten noch ganz am Anfang.« Sie warf einen bedeutungsvollen Blick in die Runde.

Donovan atmete durch. »Okay, Themawechsel.« Er leerte seinen Whisky. »Kann ich jemandem was von der Bar mitbringen?«

»Ich geh’ schon.« Ethan stand auf.

***

Die Singles saßen immer an der Bar, genau wie die bemitleidenswerten Gestalten, die Streit mit ihrem Partner hatten und versuchten, ihren Ärger in Schnaps zu ertränken.

Ethan stellte sich zwischen eine Blondine und eine Schwarzhaarige in einem kurzen, weißen Kleid, die schon von hinten viel versprechend aussah. Während er bestellte, blickte sie zu ihm herüber und er lächelte sie an.

Sie erwiderte sein Lächeln, dann schaute sie auf das perlmuttfarbene Smartphone in ihrer Hand. Ethan kannte das. Seit ein paar Jahren versteckten sich die Frauen immer hinter ihren Handys. Er nahm die Getränke entgegen und flüsterte dem Barkeeper zu, er solle der hübschen Dunkelhaarigen noch einen Drink machen. Dann schlenderte er zurück zum Tisch.

»Sieht so aus, als müsste ich heute nicht allein nach Hause gehen.«

Gladys verdrehte die Augen und nahm einen großen Schluck von ihrem Rotwein.

Donovan grinste und schob sich eine Handvoll Erdnüsse in den Mund. »Welche ist es?«, fragte er mit einem Blick zur Bar.

Ethan zeigte ihm die Frau, die sich in diesem Moment mit ihrem Drink in der Hand zu ihm umdrehte und ihm zuprostete. Er lächelte gewinnend und hob seine Bierflasche.

»Wie machst du das nur?«, wunderte sich Donovan.

»Die Frau ist vermutlich eine Touristin. Und Ethan ist genau der Typ Mann, den man im Urlaub sucht. Unkompliziert, gut aussehend, offen. Er kommt rüber, als könne man mit ihm schnellen, vergänglichen Spaß haben. Ohne jeden Tiefgang.«

»Danke, Gladys. Du hast Recht. Es geht um Sex, nicht um Tiefgang.« Ethan wusste, dass sie ihn für oberflächlich hielt. Gladys wäre überrascht gewesen, hätte er ihr erzählt, dass er immer noch über die schöne Köchin aus dem South Easy nachdachte.

»Dürfen diese Mädchen wenigstens zum Frühstück bleiben?«, fragte Gladys voll emanzipierter Empörung.

Ethan schüttelte den Kopf. »Das geht nicht. Wegen Haley.«

Seine beiden Kollegen warfen einander einen kurzen, aber viel sagenden Blick zu.

»Was?«

Donovan räusperte sich. »Was sagt Haley denn überhaupt dazu, dass du dauernd irgendwelche Frauen mitbringst? Ist das nicht schwer für ihn?«

Ethan grinste ungläubig. »Er ist zwanzig.«

»So wie die meisten deiner Freundinnen.« Gladys musterte Ethan missbilligend über den Rand ihres Glases hinweg.