Abhandlungen über die Kirche - Ludwig Albrecht - E-Book

Abhandlungen über die Kirche E-Book

Ludwig Albrecht

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Beschreibung

Diese Arbeit macht den Versuch, den dritten Teil des Katechismus der katholisch-apostolischen Gemeinden zusammenhängend zu erklären. Unter den Abhandlungen finde sich Mitteilungen über die allmähliche Sammlung der biblischen Schriften, Nachweise aus der altkirchlichen Literatur über das Vorhandensein der geistlichen Gaben in den drei ersten christlichen Jahrhunderten, eine kurze Geschichte des Sonntags in der alten Kirche, ein Abschnitt über das Opfer im kirchlichen Gottesdienst, nähere Angaben über die kirchlichen Gewänder, sodann verschiedene geschichtliche Zusätze in den Abhandlungen über die sonntäglichen und täglichen Gottesdienste.

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Seitenzahl: 475

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Abhandlungen über die Kirche

 

LUDWIG ALBRECHT

 

 

 

 

 

Abhandlungen über die Kirche, L. Albrecht

Jazzybee Verlag Jürgen Beck

86450 Altenmünster, Loschberg 9

Deutschland

 

ISBN: 9783849689467

 

Druck: Bookwire GmbH, Voltastr. 1, 60486 Frankfurt/M.

 

Textquelle: "Edition Albury - Sammlung Peter Sgotzai des Netzwerks Apostolische Geschichte e.V.", bei der wir uns sehr für die freundliche Genehmigung der Nutzung des Textes bedanken.

 

www.jazzybee-verlag.de

[email protected]

 

 

INHALT:

AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE.. 1

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE.. 2

VORBEMERKUNG.. 4

I. KAPITEL. WESEN UND BERUF DER KIRCHE (FRAGE 32 UND 33) 5

1. DAS WESEN DER KIRCHE (FRAGE 32) 5

2. DER BERUF DER KIRCHE.. 16

II. KAPITEL. DIE ÄMTER DER KIRCHE (FRAGE 34—36) 38

1. DAS VIERFACHE AMT (FRAGE 34 UND 35) 38

2. DAS APOSTOLISCHE AMT (FRAGE 36 UND 37) 45

3. DIE ANDEREN DREI ÄMTER UND IHRE AUFGABEN IN DER ALLGEMEINEN KIRCHE   55

4. DIE ORDINATION (FRAGE 38—40) 60

5. DIE DREI ORDNUNGEN ODER STUFEN IM AMTE.. 64

6. ÜBER DIE BERUFUNG ZUM AMT.. 68

7. ÜBER DIE WAHL DER DIAKONEN.. 72

8. DER ENGEL DER GEMEINDE.. 75

9. DIE PRIESTER DER EINZELGEMEINDE.. 80

10. DIE DIAKONEN.. 85

11. DIE DIAKONALEN HILFSKRÄFTE.. 90

III. KAPITEL. SAKRAMENTALE HANDLUNGEN DER KIRCHE (FRAGE 47— 56) 96

1. DIE APOSTOLISCHE HANDAUFLEGUNG (FRAGE 47— 50) 97

2. DIE PRIVATBEICHTE UND ABSOLUTION (FRAGE 51—54) 118

3. DIE SALBUNG DER KRANKEN (FRAGE 55 UND 56) 125

IV. KAPITEL. DIE ZEHNTEN UND DIE OPFER DER KIRCHE (FRAGE 57) 128

1. ÜBER DEN ZEHNTEN.. 128

2. ÜBER DIE OPFER.. 134

V. KAPITEL DER GOTTESDIENST DER KIRCHE (FRAGE 58—62) 136

1. DER TAG DES HERRN UND UNSERE TEILNAHME AN DEN GOTTESDIENSTEN   136

2. DAS OPFER IM GOTTESDIENST DER KIRCHE.. 143

3. DIE SONNTÄGLICHEN UND DIE TÄGLICHEN GOTTESDIENSTE   164

4. DIE SYMBOLE IM GOTTESDIENST DER KIRCHE.. 203

5. DIE FESTE IM GOTTESDIENST DER KIRCHE (FRAGE 60) 211

6. DER ENDZWECK DES GOTTESDIENSTES DER KIRCHE (FRAGE 61 UND 62) 230

VI. KAPITEL. DAS ZIEL DER KIRCHE (FRAGE 63) 234

ANHANG... 240

AUS DEM VORWORT ZUR ERSTEN AUFLAGE

Diese Arbeit macht den Versuch, den dritten Teil des Katechismus der katholisch-apostolischen Gemeinden zusammenhängend zu erklären.

Um den Umfang und dadurch auch den Preis des Buches zu vermindern, sind die Bibelstellen, mit nur wenigen Ausnahmen, nicht abgedruckt; aber sie sind möglichst sorgfältig ausgewählt, und ich bitte die Leser, diese Stellen nachzuschlagen, weil ohne genaue Kenntnisse derselben der Zusammenhang manchmal nicht völlig verständlich ist.

Damit allen etwaigen Missverständnissen vorgebeugt wird, bemerke ich ausdrücklich, dass ich dieses Buch durchaus auf meine eigene Verantwortlichkeit erscheinen lasse; es handelt sich hier lediglich um eine Privatarbeit, für deren Inhalt ich allein einzustehen habe. Für alle Berichtigungen und Winke zur Verbesserung des Buches werde ich den berufenen Autoritäten herzlich dankbar sein.

Gott der Herr, von dem allein aller Segen kommt, verleihe, dass diese Arbeit hier und da einigen Nutzen stifte.

Bremen, den 9. Juni 1896.

Ludwig Albrecht

VORWORT ZUR ZWEITEN AUFLAGE

Es ist mir vergönnt, nach verhältnismäßig kurzer Zeit dieses Buch in zweiter Auflage zu veröffentlichen. Die Arbeit scheint eine im ganzen wohlwollende Aufnahme gefunden zu haben. Dies dürfte auch die Tatsache beweisen, dass vor einigen Monaten eine dänische Übersetzung des Buches erschienen und eine holländische, soviel ich erfahren habe, für den Druck fertiggestellt worden ist.

In dieser zweiten Auflage finden sich manche Verbesserungen und zum Teil umfangreiche Erweiterungen. Nur sehr wenige Abschnitte sind ganz unverändert geblieben. Neu hinzugekommen sind vor allem: Mitteilungen über die allmähliche Sammlung der biblischen Schriften, Nachweise aus der altkirchlichen Literatur über das Vorhandensein der geistlichen Gaben in den drei ersten christlichen Jahrhunderten, eine kurze Geschichte des Sonntags in der alten Kirche, ein Abschnitt über das Opfer im kirchlichen Gottesdienst, nähere Angaben über die kirchlichen Gewänder, sodann verschiedene geschichtliche Zusätze in den Abhandlungen über die sonntäglichen und täglichen Gottesdienste. Außerdem habe ich für diejenigen Leser, welche mit der Kirchengeschichte nicht näher bekannt sind, in einem Anhang kurze Mitteilungen über die in dem Buch erwähnten, aber an den betreffenden Stellen nicht näher besprochenen altkirchlichen Lehrer und Schriften in alphabetischer Ordnung hinzugefügt. Die Zitate aus den Werken der Kirchenväter und anderen benutzten wichtigen Schriften sind im Text sorgfältig angegeben worden, damit alle, die sich mit dem Einzelnen näher beschäftigen wollen, ohne Mühe am rechten Orte nachschlagen können. Für das nähere Studium der Liturgien ist sehr empfehlenswert die auf der Grundlage des früheren Werkes von C. E. Hammond durch F. E. Brightman herausgegebene vortreffliche Arbeit über die östlichen und westlichen Liturgien (Liturgies Eastern and Western. Vol. I. Eastern Liturgies. Oxford 1896). Der 1. Band dieses Werkes, welcher die östlichen Liturgien enthält, ist von mir einfach unter dem Titel Brightman zitiert (die zweite unmittelbar hinter der Seitenzahl angegebene Ziffer bezeichnet jedes Mal die Zeile der betreffenden Seite). — Die Bibelstellen sind, mit wenigen Ausnahmen, auch diesmal nicht abgedruckt, und zwar aus dem schon im Vorwort zur 1. Auflage angegebenen Grunde.

In dem Abschnitt über „das Opfer im Gottesdienst der Kirche“ ist, weil dies zu weit geführt hätte, von einer eingehenderen Erörterung über das Messopfer der römisch-katholischen Kirche abgesehen. Eine Darstellung der Lehre der griechischen Kirche ist nicht ohne Schwierigkeit, denn das Dogma dieser Kirche ist nicht so bestimmt und scharf ausgeprägt wie das römisch-katholische. Zwar enthalten Stellen aus griechischen Bekenntnissen in Bezug auf das eucharistische Opfer auch Ausdrücke wie „Versöhnung, Versöhnungsopfer für alle Frommen, lebende und entschlafene“; aber, wie auf S. 169 ff. kurz bemerkt worden ist, findet sich doch zwischen der griechischen Eucharistie und dem römischen Messopfer ein beachtenswerter Unterschied.

Dass ich die Herkunft eines großen Teils der für unsere sonntäglichen und täglichen Gottesdienste verordneten Gebete, vielfach mit Hilfe der „Vorlesungen über die Liturgie“, 3 ausdrücklich bezeichnet habe, dazu hat mich vor allem zweierlei bewogen. Erstlich werden wir, wenn wir uns eingehender mit diesem Gegenstand beschäftigen, die Weisheit und Sorgfalt erkennen, mit welcher die Apostel die in der Kirche vorhandenen liturgischen Schätze geprüft und gesammelt haben. Sodann kann es uns in einer wahrhaft katholischen Gesinnung fördern, wenn wir wissen, dass so manche Gebete, die wir in den Gottesdiensten darbringen, schon seit vielen Jahrhunderten in den verschiedenen Abteilungen der Kirche gebraucht worden sind und noch immerfort nicht nur von uns, sondern auch von Millionen unserer Mitchristen zum goldenen Altar im Himmel emporgesandt werden.

Der Titel des Buches lautet jetzt: „Abhandlungen über die Kirche, besonders ihre Ämter und Gottesdienste.“ So lässt sich im Allgemeinen kurz zusammenfassen, was durch eine Erklärung des dritten Teils unseres apostolischen Katechismus geboten wird. Für diejenigen Leser, welche den katholisch-apostolischen Gemeinden nicht angehören, bemerke ich, dass die beiden ersten Teile unseres Katechismus, in Verbindung mit den 5 Hauptstücken des kleinen lutherischen Katechismus, in dem „Inbegriff der christlichen Lehre“‚ dem letzten Werk des am 3. Dezember 1885 entschlafenen Prof. Dr. H. W. J. Thiersch, erklärt worden sind.

Gott wolle meine Arbeit auch in ihrer neuen Gestalt mit seinem Segen begleiten.

Bremen, den 20. April 1898.

Ludwig Albrecht

VORBEMERKUNG

Der Katechismus der katholisch-apostolischen Gemeinden zerfällt in drei Teile. Der erste Teil umfasst, ausgehend von der heiligen Taufe, das apostolische Glaubensbekenntnis, die zehn Gebote und das Gebet des Herrn. Der zweite Teil enthält die Lehre von den Sakramenten der Taufe und des Abendmahls. Der dritte Teil behandelt wichtige Stücke aus der Lehre von der Kirche. Mit diesem wollen wir uns im Folgenden ausschließlich beschäftigen.

Der Übersicht wegen gliedern wir die 32 Fragen und Antworten des 3. Teils in folgende 6 Kapitel:

I. Kapitel: Wesen und Beruf der Kirche (Frage 32 und 33)

II. Kapitel: Die Ämter der Kirche (Frage 34—46)

III. Kapitel: Sakramentale Handlungen der Kirche (Frage 47— 56)

IV. Kapitel: Die Zehnten und Opfer der Kirche (Frage 57)

V. Kapitel: Der Gottesdienst der Kirche (Frage 58—62)

VI. Kapitel: Das Ziel der Kirche (Frage 63)

I. KAPITEL. WESEN UND BERUF DER KIRCHE (FRAGE 32 UND 33)

1. DAS WESEN DER KIRCHE (FRAGE 32)

Die Kirche als Versammlung der Gläubigen und Getauften

Die Sichtbarkeit der Kirche Die Kirche, eine Auswahl aus der ganzen Menschheit Die Kirche als Haushaltung Gottes, als Leib (und Braut) Christi, als Tempel des Hl.

Geistes Die eine, heilige, katholische und apostolische Kirche Keine Unfehlbarkeit der Kirche oder eines kirchlichen Amtes.

32. Frage. Du hast gesagt. Du glaubst eine „heilige katholische Kirche“. Was ist nun die Kirche?

Antwort. Die Kirche ist die Versammlung aller, die an den Herrn Jesus Christus glauben und nach seinem Gebot getauft sind. Sie ist die Haushaltung Gottes, der Leib Christi, der Tempel des Heiligen Geistes.

Das Wort Kirche bezeichnet in der griechischen Sprache eine öffentliche feierliche „Versammlung‘. Wer gehört nun zu dieser Versammlung? Die Antwort lautet: „Die Kirche ist die Versammlung aller, die an den Herrn Jesus Christus glauben und nach seinem Gebot getauft sind.“ Ein zweifaches Merkmal kennzeichnet also die Angehörigen der Kirche: sie glauben an den Herrn Jesus Christus und sie sind nach seinem Gebot getauft.

Ohne Glauben gibt es keine wahre und lebendige Zugehörigkeit zur Kirche. Der Inhalt dieses Glaubens ist die Person Jesu Christi, wie ihn die Propheten geweissagt und die Apostel verkündigt haben.

Der Glaube an den Herrn Jesus Christus ist aber nicht die einzige Bedingung zum Eingang in die Kirche. Als der Kämmerer aus dem Mohrenland bekannt hatte: „Ich glaube, dass Jesus Christus Gottes Sohn ist“, empfing er auch durch Philippus die heilige Taufe (Apg. 8, 37, 38). Dem Kerkermeister zu Philippi sagte Paulus nicht nur: „Glaube an den Herrn Jesus Christus, so wirst Du und Dein Haus selig“; sondern, nachdem er ihm das Evangelium verkündigt hatte, taufte er auch ihn und alle die Seinen (Apg. 16, 3133). Dieses Verfahren der Apostel und ihrer Mitarbeiter gründet sich auf den ausdrücklichen Befehl des Herrn: „Gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern, indem ihr sie taufet auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes (Matth. 28, 19). Diese Taufe auf den Namen des dreieinigen Gottes, keine andere, ist die Taufe „nach dem Gebot Christi“; sie ist die eine wahre Taufe, in welcher die wahre und wirkliche Vergebung aller Sünden erteilt wird (Apg. 2, 38; 22, 16).

Als die Versammlung aller Getauften ist die Kirche sichtbar, ebenso wie alle Juden in Folge der Beschneidung eine sichtbare Volksgemeinde bildeten. Die Kirche soll als die Stadt auf dem Berge, die nicht verborgen bleiben kann (Matth. 5,14), von den Menschen gesehen werden. Hier auf Erden ist die Kirche gegründet, auf Erden durchlebt sie ihre Entwicklung, auf Erden soll sie kämpfen, auf Erden soll sie auch einst siegen. Sichtbar soll die Kirche in der gegenwärtigen Weltzeit sein, sichtbar wird sie in der zukünftigen Welt auf der neuen Erde in aller ihrer Schönheit und Herrlichkeit vor den Völkern dastehen (Offenb. 21, 2. 3).

Als die Versammlung der Getauften ist die Kirche weiter eine Auswahl aus allen Menschen. Die Christen sind „das auserwählte Geschlecht“ (1. Petrus 2, 9), die „Auserwählten“ Gottes (Röm. 8, 33; Kol 3, 12; Ephes. 1, 4; 2. Thess. 2, 13).

Es ist eine weit verbreitete Meinung, dass einst alle Menschen Christen werden sollen. Man beruft sich dabei auf das Wort des Herrn: „Es wird eine Herde und ein Hirte werden“ (Joh. 10, 16). Es kommt jedoch darauf an, diese Worte in ihrem Zusammenhang zu betrachten und zu verstehen. Unmittelbar vorher sagt der Herr zu den Juden: „Ich habe noch andere Schafe (in der Heidenwelt), die sind nicht aus diesem Stalle, d. h. aus dem Volke Israel.“

Dann fährt er fort: „Und dieselbigen muss ich herführen, und sie werden meine Stimme hören, und wird eine Herde und ein Hirte werden.“ Der Herr sagt also nicht mehr als dies: Er wird auch die Heiden, die von den Verheißungen Gottes fern sind, als Hirte führen, und sie werden ihm folgen, indem sie auf seine Stimme hören; so wird es dahin kommen, dass die Gläubigen aus Israel und die Gläubigen aus der Heidenwelt unter die gemeinsame Leitung des einen guten Hirten gestellt werden. Juden und Heiden, bisher so streng geschieden, sollen in der Kirche Christi als ein Volk unter einem Haupt verbunden werden.

Deshalb schreibt auch der Apostel Paulus an die Epheser, die früher Heiden gewesen waren: „Nun aber in Christus Jesus seid ihr, die ihr einst ferne waret, nahe geworden in dem Blut Christi. Denn er ist unser Friede, der aus beiden (aus Juden und Heiden) eins gemacht hat; denn durch ihn haben wir den Zugang alle beide (Juden und Heiden) in einem Geist zum Vater“ (Ephes. 2, 13. 14. 18). Nicht alle Juden sollen in die Kirche eingehen, sondern nur „die Auswahl (aus Israel) erlangt es, die andern sind verstockt (Röm. 11, 7). Aber auch nicht alle Heiden sollen in die Kirche eingehen; die Kirche ist vielmehr „ein Volk aus den Heiden“, das Gott angenommen hat für seinen Namen (Apg. 15, 14).

Nur die „Vollzahl der Heiden“ (Röm. 11, 25) wird in die Kirche Aufnahme finden, eine Auswahl aus der heidnischen Menschheit, die bestimmt ist, jene Lücke, welche durch Israels Ungehorsam gegen das Evangelium entstand, auszufüllen. Die Zahl derer, welche zu dieser Gemeinschaft der Auserwählten aus der Heidenwelt gehören, ist dem Herrn allein bekannt. Nur er weiß, wann sie vollständig sein wird. Wenn aber die Vollzahl der Heiden mit den aus Israel gesammelten Gläubigen in die Kirche eingegangen und in die Herrlichkeit Christi aufgenommen ist, dann, nicht früher, wird auch „das ganze Israel“, das Volk des alten Bundes in seiner Gesamtheit, in allen 12 Stämmen, „selig werden“, aber nicht, indem es durch die Taufe Aufnahme findet in die Kirche, die ja dann bereits vollendet ist, sondern indem es im Glauben sich bekehrt zu Jesus, seinem Erlöser und Messias. Diesen Aufschluss gibt uns der Apostel Paulus im 11. Kapitel des Römerbriefes V. 25 und 26. Und damit stimmen die Weissagungen aller Propheten des alten Bundes. Sie lehren uns, dass Israel den Herrn bei seiner Wiederkunft, wenn es ihn mit eigenen Augen sieht, in bußfertiger Reue als seinen Messias anerkennen wird (Sacharja 12, 10); ja, noch mehr, das zu Jesus bekehrte und aus der Zerstreuung gesammelte Volk Israel wird nach Kanaan, in das Land seines Erbteils, zurückgeführt werden(5. Mos. 30,1-5; Hesek. 37,21-28; 39,25-29; Hosea 3,4.5; Sacharja 8,3-8);

und die Stadt Jerusalem, deren Zertretung nur so lange dauern soll, bis die Zeiten der Heiden, d. h. die Zeiten der vier Weltreiche (Dan. 7) vollendet sind (Luk. 21, 24), wird alsdann mit dem Tempel (Hesek. Kap. 40-46) in neuer, nie gesehener Herrlichkeit aus den Trümmern erstehen (Jesaia 60, 8-22; 62, 1-7).

Während im tausendjährigen Reich die verklärte Kirche das himmlische Jerusalem bildet (Joh. 14, 3; 17, 24; Gal. 4, 26; Hebr. 12, 22; Offenb. 21, 2), wird das wiederhergestellte und an seinen Messias gläubige Israel im irdischen Jerusalem wohnen, um von hier die Heidenwelt aus ihrer Finsternis zur Erkenntnis Gottes und seines Gesalbten zu führen (Jes. 2, 2. 3; 66, 19; Sach. 8, 20-23; 14, 16). So wird im tausendjährigen Reich, obwohl der eine König Jesus Christus über alle herrscht und die Völker der Erde unter seine Herrschaft sich beugen, die Kirche von Israel und wiederum Israel von der übrigen Menschheit gesondert sein. Von dem „Allerheiligsten“ der Kirche, dem himmlischen Jerusalem, wird der Segen Gottes herabfließen auf das „Heiligtum“ des irdischen Jerusalem, von dem irdischen Jerusalem wird der Segen sich ausbreiten in den „Vorhof“ der Völkerwelt, von den Menschen endlich wird Segen ausströmen auf die ganze Schöpfung. Dieser Unterschied wird auch jenseits des tausendjährigen Reiches, im vollendeten Reich der Herrlichkeit, nicht aufgehoben sein. Viele selige Juden und viele Selige aus der Heidenwelt werden auf der neuen Erde wohnen, aber hoch erhaben über alle wird das neue Jerusalem, die Hütte Gottes bei den Menschen, sein. In alle Ewigkeit bleibt die Kirche die Auswahl Gottes aus der ganzen Menschheit.

Die hohe Stellung der Kirche wird nun im Katechismus nach Anleitung der hl. Schrift näher bezeichnet. Durch die Taufe steht die Kirche in einer Gemeinschaft mit dem dreieinigen Gott. Dem entsprechen drei inhaltsreiche Bezeichnungen, welche im neuen Testament von der Kirche gebraucht werden: „sie ist die Haushaltung Gottes, der Leib Christi, der Tempel des Heiligen Geistes.“

Die Kirche ist die „Haushaltung Gottes“(1. Tim. 3,15; Ephes. 2, 22; Hebr. 10, 21; 1. Petrus 2, 5). Gott ist der Hausvater, die Getauften sind seine Kinder. Alle, welche durch das Bad der Wiedergeburt geheiligt sind, bilden eine große Familie, eine Gemeinschaft von Brüdern. In einer Familie können Spaltungen zwischen den Angehörigen entstehen, so dass sie sich untereinander streiten und anfeinden; aber sie hören deswegen nicht auf, Glieder desselben Hauses und Kinder desselben Vaters zu sein. So hört auch die Kirche nicht auf, die Haushaltung Gottes zu sein, obwohl die Getauften in der schrecklichsten Zerrissenheit, ja Feindschaft untereinander leben. Wir betrüben durch solches Verhalten das Herz unseres himmlischen Vaters; aber wir können dadurch die eine Familie Gottes nicht vernichten. Die Botschaft, welche heute vom Himmel an die Familie Gottes ergeht, mahnt uns mit lauter, eindringlicher Stimme: Ihr Kinder Gottes, seid einig untereinander, seid gehorsam gegen euren himmlischen Vater. -

Die Kirche ist ferner der geheimnisvolle „Leib Christi“ (1. Kor. 12, 13. 27; Röm. 12, 4ff.) Christus ist das Haupt, die Kirche ist sein Leib, jeder Getaufte ist ein Glied an diesem Leib. Das Leben des Hauptes erfüllt alle Glieder, vom ersten bis zum letzten. So wohnt auch das Leben Christi in jedem Getauften. Es ist durch die Taufe zwischen uns und Christus die innigste Verbindung gestiftet, wir stehen in einer Lebenseinheit mit dem ewigen Sohn Gottes. Deshalb erhebt uns unsere Taufe weit über alle anderen Menschen, selbst über die heiligen Engel, die nie gesündigt haben. Als der Leib Christi hat die Kirche auch eine ganz bestimmte Gestalt und Ordnung, deren einzelne von Gott gesetzte Teile nicht willkürlich verändert oder mit anderen vertauscht werden dürfen (1. Kor. 12, 18; Kolosser 2,19). Die Ordnung im Leibe Christi ist unveränderlich, weil Christus, das Haupt, unveränderlich ist (Hebr. 13, 8).

Als Christi Leib ist die Kirche endlich bestimmt, dahin zu gelangen, wo Christus ist; denn wie kann der Leib von dem Haupt getrennt sein? Schon jetzt ist die Kirche mit Christus geistlich auferstanden (Kolosser 3,1) und samt ihm in das himmlische Wesen versetzt (Ephes. 2, 6). Aber erst bei der Wiederkunft Christi wird die Herrlichkeit der Kirche vor aller Welt offenbar werden; dann wird sie nicht mehr die streitende, sondern die triumphierende sein (Kol. 3,4; 2. Tim. 2,11.12; Offenb. 3,21) und mit Christus, ihrem himmlischen Haupt, alle Werke Gottes beherrschen und segnen (Offenb. 20, 6; 22, 4.5).

Die Kirche führt in ihrem Verhältnis zu Christus noch andere Bezeichnungen; sie wird auch die Braut Christi und das Weib Christi genannt (Offenb. 21, 2. 9; 19, 7; Ephes. 5, 31. 32). Der Herr selbst nennt sich zweimal den „Bräutigam“ (Luk. 5, 34. 35; Matth. 25, 1 ff.), und er deutet damit an, dass er eine Brautgemeinde sucht. Doch redet er nie ausdrücklich von seiner Braut. Damit hat er uns ein Beispiel gegeben, wie vorsichtig wir bei der Anwendung dieser Bilder sein sollen. Wir dürfen solche geheimnisvolle Ausdrucksweise nie anders als mit Ehrfurcht und geheiligten Lippen gebrauchen, damit wir den Geist des Herrn nicht betrüben. Oftmals wird die einzelne Seele eine Braut des Herrn und Christus ein Seelenbräutigam genannt. Aber dies ist ein Missbrauch und ein Beweis ungesunder Geistesrichtung. In der hl. Schrift wird nur die ganze Kirche die Braut Christi genannt.

Seiner Frau sagt der Mann, was er sonst keinem Menschen anvertraut. Was Christus seiner Kirche anvertraut, das bleibt der Welt verborgen. Seiner Kirche offenbart Christus die tiefsten himmlischen Geheimnisse, sie zieht er völlig in sein Vertrauen, sie steht in der innigsten Gemeinschaft mit ihm. Die heiligen Engel knien anbetend vor den Stufen seines Thrones, aber die Braut, in den Schmuck des Bräutigams gekleidet, wird mit ihm auf dem Throne sitzen (Offenb. 3, 21; doch siehe andererseits auch Offenb. 4, 9. 10; 5, 8 ff.). Im himmlischen Paradies wird dem anderen Adam die geistliche Eva als Gehilfin zugesellt sein: die Kirche, verwandelt in das Bild der Herrlichkeit und Unsterblichkeit.

Die Kirche ist drittens der „Tempel des Heiligen Geistes“ (1. Kor. 3, 16; 2. Kor. 6, 16). Am Vorabend seines Todes verhieß der Herr seinen Jüngern die Sendung des Heiligen Geistes (z. B. Joh. 14, 16. 17). Er bestätigte diese Verheißung vor seiner Himmelfahrt (Apg. 1, 5.), er erfüllte sie nicht lange darauf am Pfingstfest (Apg. 2). Da wurde die Kirche gestiftet. In ihr wohnt der Heilige Geist als in seinem Tempel. Seine Verbindung mit ihr wird in alle Ewigkeit nicht gelöst werden (Joh. 14, 16). Ist der Heilige Geist im Laufe der Jahrhunderte auch noch so oft betrübt und gedämpft, ist durch die Sünde der Getauften seine Wirksamkeit auch noch so sehr gehindert worden, so hat er die Kirche doch niemals verlassen, sondern er wohnt bis auf diesen Tag in allen Teilen seines Tempels, und wo man ihm freien Raum gibt, da teilt er heute dieselben Gnaden und Gaben aus, wie in der ersten Zeit der Kirche. Wir zeugen deshalb auch nicht von einer neuen Ausgießung des Heiligen Geistes in unseren Tagen, sondern von einer Erweckung der Gabe des Heiligen Geistes und von einer Neubelebung der ursprünglichen Ordnungen der Kirche. In der Kirche verklärt der Heilige Geist den Sohn, indem er aus der Fülle des Hauptes schöpft und es den Gliedern austeilt (Joh. 16, 14). In dem Tempel des neuen Bundes erfahren wir die Gegenwart des Herrn in so vollkommener und beseligender Weise, wie sie überhaupt von Menschen in diesen sterblichen Leibern erfahren werden kann. Hier wird der Einzelne geheiligt und vollendet. Hier wird die wahre und Gott wohlgefällige Anbetung dargebracht. Zu diesem Tempel kommt der Herr, den wir suchen, und der Engel des Bundes, den wir begehren (Mal. 3,1).

Wunderbar, ja himmlisch ist der Ursprung und das Wesen der Kirche. Inhaltsreich und lieblich sind weiter die Ehrennamen, die der Kirche in den Glaubensbekenntnissen beigelegt werden und durch die ihr Wesen näher beleuchtet wird. „Ich glaube eine heilige katholische Kirche“, so bekennen wir im apostolischen Bekenntnis; „ich glaube eine, heilige, katholische und apostolische Kirche“, so heißt es ausführlicher im nicänischen.

Die Kirche ist „Eine“ und kann nur Eine sein (Ephes. 4, 4-6). Denn das eine himmlische Haupt hat nur einen geheimnisvollen Leib, und alle Glieder dieses Leibes sind erfüllt mit einem Leben, dem Auferstehungsleben Jesu Christi, das ihnen mitgeteilt ist durch das Sakrament der Taufe; sie werden ernährt durch die eine himmlische Speise im heiligen Abendmahl; sie werden gesalbt mit dem einen Geist der Herrlichkeit; sie sollen unter einer Leitung durch die von Gott gegebenen Ordnungen vereinigt und zu demselben Ziel der Hoffnung geführt werden. Die Kirche soll Eine sein im Wort und Sakrament, Eine in ihren Ordnungen, Eine im Gottesdienst, Eine nach innen und Eine nach außen.

Wie sehr dem Herrn die Einheit der Kirche am Herzen liegt, erkennen wir deutlich aus seinem hohepriesterlichen Gebet (Joh. 17, 29-23). Im Blick auf seine zukünftige Gemeinde, die durch die Predigt der Apostel gesammelt werden sollte, bittet er hier viermal den Vater, sie in der Einheit, in vollkommener Einheit zu erhalten. Ja, die Einheit der Gläubigen untereinander soll so innig sein, wie die Einheit zwischen dem Vater und dem ewigen Sohne; diese himmlische Einheit soll in einem Abbild auf Erden in der Kirche geschaut werden. Durch die Einheit der Kirche soll die ungläubige Welt zu dem Glauben an Christus geführt werden. Eine Kirche also, die uneinig und zerrissen ist, kann die Menschen nicht zum Glauben an den Sohn Gottes bringen; sie ist unfähig, Christi Zeugin an die Welt zu sein; ja, sie muss wegen ihrer Zerrissenheit ein Sprichwort unter den Völkern werden und lädt dieselbe Schuld auf sich, wie einst das alte Bundesvolk, zu welchem gesagt ward: „Eurethalben wird Gottes Name gelästert unter den Heiden“ (Röm. 2, 24).

Die erste Gemeinde war wirklich „Ein Herz und eine Seele“ (Apg. 4, 32). Aber gar bald wurde es anders. Das Unheil der Spaltung entstand zuerst in der Gemeinde zu Korinth (1. Kor. 1,11-13). Heute rühmt man sich sogar dieses Zustandes. Die einzelnen Parteien sind stolz auf ihre selbsterwählten Namen; sie halten es für das Zeichen einer ganz besonders geistlichen Gesinnung, auf die Worte ihrer Führer zu schwören, sei es nun der Papst in Rom, sei es Luther, Calvin oder ein anderer. Aber was sagt Gottes Wort dazu? „Denn wenn Eifer und Zank und Zwietracht unter euch sind, seid ihr dann nicht fleischlich und wandelt nach menschlicher Weise? Denn so einer sagt: ich bin paulisch, der andere aber: ich bin apollisch; seid ihr dann nicht fleischlich?‘ (1. Kor. 3, 3. 4). Die Spaltungen in der Kirche sind also nicht eine unvermeidliche Folge ihrer Entwicklungsgeschichte oder eine notwendige Frucht der Ausgestaltung des kirchlichen Lebens, sondern sie sind ein Beweis von fleischlicher Gesinnung und müssen deshalb als eine schwere Gesamtschuld, die auf der Kirche ruht, von uns allen beklagt und bereut werden.

Aber trotz ihrer Zerrissenheit in viele Sekten und Parteien ist die Kirche in Gottes Augen nur Eine. Gott hat ihre Einheit geschaffen durch die Wirkung des Heiligen Geistes, und was Gott aufrecht hält, kann keine menschliche Macht und Untreue hinwegtun. Die Bannstrahlen und Ketzergerichte, durch welche die einzelnen Abteilungen der Kirche sich gegenseitig ausschließen und verdammen, sind im Himmel nicht anerkannt. Gott sieht alle Getauften in ihrer Gesamtheit als das Eine Volk des neuen Bundes an; und jetzt, da er sich aufgemacht hat, seinem Volke zu helfen und es auf seine vollkommenen Wege zurückzuführen, wendet er sich nicht an eine einzelne Abteilung der Kirche, sondern an alle ohne Unterschied, die durch die Eine Taufe zum Tempel des neuen Bundes gehören.

Zu der einen Kirche Gottes gehören nicht bloß die lebenden, sondern auch die entschlafenen Gläubigen. Die vielen Millionen aus allen Zeiten und Geschlechtern, die hier auf Erden ihren Lauf mit Freuden vollendet haben und nun im Frieden Gottes von ihrer Arbeit ruhen, bilden mit den lebenden Bekennern des Herrn eine Einheit, an welcher der Tod nichts ändern kann. (Röm. 14, 8; Hebr. 12, 23).

In jeder Feier der Eucharistie und besonders am Allerheiligenfest freuen wir uns in der seligen Gemeinschaft der Heiligen Gottes und gedenken vor dem Herrn aller, die im Glauben entschlafen sind. Wir ehren ihr Andenken, wir sagen Gott Dank für die mannigfaltigen Wohltaten, die er ihnen geschenkt hat und sehnen uns mit ihnen nach der Erfüllung unserer gemeinsamen Hoffnung am Tag der herrlichen Auferstehung. Was wird das für ein Freudentag sein, wenn die Eine Kirche Gottes, aus Lebenden und Entschlafenen zusammengebracht, als eine große Festversammlung im Glanze der Verklärung vor das Angesicht des Herrn treten wird, um jenen himmlischen Gottesdienst zu beginnen, der in alle Ewigkeit nicht enden soll.

Die Kirche ist „heilig“. Als „Heilige“ werden die Christen im Neuen Testament oft bezeichnet (Apg. 9, 32; Röm. 15, 26; Eph. 1, 1; Phil. 1,1; Kol. 3, 12; 1. Petr. 2, 9). Die Kirche ist heilig wegen ihrer Verbindung mit dem himmlischen Haupt und Herrn; sie ist heilig als der Tempel des Heiligen Geistes, der in ihr Wohnung genommen hat (1. Kor. 3, 17); sie ist heilig, indem sie mit der Frucht des Geistes (Gal. 5, 22) und den mancherlei Gaben des Geistes geschmückt ist (1. Kor. 12, 7-10). Weil die Kirche in ihrem Wesen heilig ist, soll sie auch heilig sein in allem ihren Wandel. Sie soll ihr Licht leuchten lassen in der Finsternis dieser Welt (Matth. 5, 16; Phil. 2, 15; 1. Petr. 2, 12), sie soll die Tugenden des Herrn verkündigen (1. Petr. 2, 9) und als solche, die mit Christus eins ist, soll sie hier auf Erden auch wandeln, gleichwie er gewandelt hat (1. Joh. 2, 6). „Sagt man: im Leben der Kirche, weil es ein menschliches ist, bleibt die Sünde unvermeidlich, so spricht man damit entweder die Irrlehre aus, dass Christi Leben kein menschliches war, oder die Lästerung, dass es nicht ohne Sünde blieb.“ Der wirkliche Zustand der Kirche steht mit ihrem himmlischen Wesen in entsetzlichem Widerspruch. Der von dem Herrn und seinen Aposteln geweissagte Abfall (Matth. 13, 24-43; 1. Kor. 10, 6. 11; 2. Kor. 11,3; 1. Tim. 4,1 ff.; 2. Tim. 3, 1-5; 2. Petr. 2, 1.2; 3, 3.4) ist heute in der Christenheit riesengroß zu Tage getreten (Klag. Jer. 2, 13; Jesaia 1, 5.6). Ja, es hat sich unter den Christen eine neue Stufe des Bösen gezeigt, die weder unter den Juden, noch unter den Heiden jemals offenbar geworden ist, und es reift jetzt ein Geschlecht heran, mit dem es an Gottlosigkeit ärger wird, als es je vorher in der Welt gewesen ist (Matth. 12, 43-45).

Was ist nun bei diesem Verfall in der Kirche die gemeinsame Pflicht aller Getauften? Nicht Beschönigung oder Rechtfertigung der vorhandenen Unheiligkeit, nicht gegenseitige Anklage in selbstgerechtem, pharisäischem Geist, sondern Buße, aufrichtige Buße, die aus der Tiefe eines geängstigten und zerschlagenen Herzens in einem Danielsgebet zum Himmel aufsteigt (Dan. 9). Insonderheit am Karfreitag und am Tage vor Pfingsten werden wir aufgefordert, die Sünden der Christenheit zu Herzen zu nehmen und sie vor Gott zu bekennen. Diejenigen, welche da seufzen und jammern über alle Gräuel, die in Jerusalem geschehen, zeichnet der Herr jetzt mit seinem heiligen Zeichen zur Errettung vor den bevorstehenden Gerichten (Hes. 9, 4-6).

Die Kirche ist „katholisch “. Vor diesem Namen schrecken viele Gläubige zurück, weil er ihnen unverständlich geworden ist. Katholisch heißt allgemein, allumfassend. Dies Wort gehört mit zu den Ehrennamen der Kirche. Leider ist es durch Missbrauch zum Parteinamen geworden. Eine große Abteilung der Kirche nimmt diesen Namen ausschließlich für sich in Anspruch. Aber der Name „römisch-katholisch“ enthält einen Widerspruch in sich selbst. Denn was römisch ist, kann nicht allumfassend sein, und umgekehrt, was allumfassend ist, kann sich unmöglich auf das Römische beschränken. Die Kirche ist katholisch oder allumfassend, weil sie alle gläubigen Kinder Gottes umfasst, sowohl die jetzt lebenden, als auch die seit dem ersten Pfingstfest entschlafenen. Keine einzelne christliche Gemeinschaft ist die Kirche schlechthin, sie alle sind nur verschiedene Teile und Bruchstücke der einen Kirche; darum ist es auch verkehrt und fleischlich, wenn die Anhänger der mancherlei kirchlichen Parteien die Bezeichnung „unsere Kirche“ im Munde führen. Klingt das nicht gerade so, als wäre die Kirche ein menschlicher Verein, der seine Mitglieder nach menschlichen Satzungen aufnehmen oder ausschließen könnte? Die Kirche ist eine göttliche Stiftung, und diese Stiftung ist nach Gottes Willen katholisch, d. h. sie umfasst alle Getauften. Die Kirche ist ferner katholisch, weil sie nicht auf ein einziges Volk beschränkt ist, wie einst im alten Bund die Gemeinde Israels, sondern weil sie Menschen aus allen Völkern der Erde in ihren Schoß aufnehmen soll, weil sie bestimmt ist, das Evangelium aller Kreatur zu predigen, die Ströme des lebendigen Wassers über die Wüste dieser Welt nach allen Seiten zu ergießen und alle ohne Unterschied, die da glauben, des Heiles Christi teilhaftig zu machen und sie durch die Taufe zu derselben Kindschaft Gottes zu führen. Die Kirche ist auch katholisch, weil sie alle Arten der menschlichen Anlagen und Charaktere umfasst und in ihrem Dienst reinigt und heiligt, weil sie für alle Not und Leiden der Menschen ein Herz hat und für jedes Elend das rechte Heilmittel bietet.

Die Kirche ist endlich „apostolisch“. Apostolisch heißt gesandt. Die Kirche ist von Christus als seine Botin an die Welt gesandt, wie er selbst gesandt ist vom Vater (Joh. 17, 18; 20, 21). Die Kirche ist apostolisch in ihrem ganzen Wesen, Geist und Wirken; sie geht aus als die Gesandte des Sohnes Gottes, um den Menschenkindern die Fülle seines Segens mitzuteilen, um seine Wahrheit, Liebe und Herrlichkeit der Welt zu offenbaren und die Auserwählten aus allen Menschen, in Einheit und Reinheit vollendet, zu dem Erbteil der Heiligen im Licht zu führen. Die Kirche ist als Christi Botin die Lehrerin der Völker und der einzelnen, der Herrscher und der Untertanen, der Weisen und der Unweisen; sie erschließt allen Menschen die Geheimnisse des Himmelreichs; sie trägt Christi Gesetz in ihrem Herzen, Christi Weisheit in ihrem Sinn, Christi Wort auf ihrer Zunge, Christi Macht über Gnade und Gericht in ihren Händen (Joh. 20, 23; Matth. 18, 18). Die ganze Kirche ist apostolisch, nicht nur irgendwelche zwölf Männer. Aber andererseits kann die Kirche ihren apostolischen Beruf nicht vollkommen ausrichten, ohne Apostel an ihrer Spitze zu haben. Nicht tote Apostel, nicht die Schriften entschlafener Apostel, so wichtig und heilig sie uns auch sind, reichen aus, damit die Kirche ihren apostolischen Beruf erfülle, sondern lebendige Apostel sind dazu nötig, Männer, nicht gesandt „von Menschen, auch nicht durch Menschen, sondern durch Jesus Christus und Gott den Vater, der ihn auferwecket hat von den Toten“ (Gal. 1, 1).

Wie die ganze Kirche den Namen katholisch-apostolisch trägt, so sollte auch jede einzelne Gemeinde innerhalb der einen Kirche nur diesen Namen führen. Legt sie sich einen anderen Namen bei, so macht sie sich der Sektiererei schuldig. Darum nennen sich auch die Gemeinden, welche in der Gegenwart unter der Leitung der Apostel des Herrn stehen, obwohl sie von den Menschen in irrtümlicher und unbilliger Weise mit einem Sektennamen gebrandmarkt werden, „katholisch-apostolische“ Gemeinden in der einen, heiligen, katholischen und apostolischen Kirche. Sie bezeugen durch diesen Namen nicht ihre Trennung von der Kirche, sondern gerade im Gegenteil ihre vollkommene Einheit und Gemeinschaft mit der ganzen Kirche Gottes aller Zeiten. Sie erklären mit diesem Namen, dass sie keine besondere Partei in der Kirche bilden wollen, denn wie könnten jemals Apostel des Herrn zu Parteiführern und Sektenstiftern sich aufwerfen? — sondern dass sie alle Sektiererei und Spaltung in der Kirche als Sünde verabscheuen, und sie erkennen es auch als ihre Pflicht, diese Sünde im Namen aller Getauften als eine schwere Schuld, die auf uns liegt, vor Gott zu bekennen und bußfertig zu bereuen.—

Herrlich und himmlisch ist die Würde, lieblich und köstlich sind die Ehrennamen der Kirche. Und warum reden wir so von der Kirche? Nicht um sie selbst, nein, um den Herrn allein zu verherrlichen. Denn alles ist ja die Frucht seiner Tränen und Arbeit, seines Opfers und seiner Fürbitte. In welch hohen Worten redet der Apostel Paulus von der Kirche, vor allem im Epheserbrief. Der Apostel sieht nicht hinunter auf die Mängel und Gebrechen der Menschen in der Kirche, sondern er sieht hinauf zu der Stadt des lebendigen Gottes, dem Jerusalem, das droben ist, der Mutter aller Kinder Gottes (Gal. 4, 26). Ja, er erkennt die Kirche als die Fülle dessen, der alles in allen erfüllt (Eph. 1, 23). Daraus lernen wir, dass nichts in der Kirche bestehen kann, was nicht in Christus ist. Nur was in ihm, dem verklärten Menschensohne, ist, das darf und soll in der Kirche gefunden werden.

Was den Herrn Jesu schön und groß macht, das will der Vater in der Kirche schauen. In der Kirche soll niemand gesehen werden als Jesus allein.

Darum darf sich auch die Kirche keine Eigenschaften beilegen, welche die Ehre und Herrlichkeit Jesu beeinträchtigen oder verdunkeln. Die Kirche ist nicht unfehlbar. Denn die Unfehlbarkeit ist eine Eigenschaft Gottes, und wenn ein Geschöpf sich dieselbe anmaßt, so ist es eine Gotteslästerung. Überdies lässt sich die Unfehlbarkeit nur in Verbindung mit der Allwissenheit und Allmacht denken. Christus, das Haupt der Kirche, ist unfehlbar; denn er ist Gott, geoffenbart im Fleisch. Er ist der Mensch, in welchem die ganze Fülle der Gottheit leibhaftig wohnt. Aber weder die Kirche als Ganzes, noch das kirchliche Amt oder ein einzelner Amtsträger darf Anspruch auf Unfehlbarkeit erheben. Nicht einmal das höchste Amt der Kirche, das apostolische, wagen wir unfehlbar zu nennen. Ein einzelner Apostel kann irren (Gal. 2, 1114), und selbst bei dem Kollegium der Apostel ist die Möglichkeit eines Irrtums von vornherein nicht ausgeschlossen. Aber obwohl weder die Kirche noch ein kirchliches Amt in sich selbst unfehlbar ist, so wissen wir doch, dass Gott seine Diener vor allem Irrtum bewahrt, wenn sie im Glauben und in seiner Furcht fest beharren, wenn sie in lebendiger Verbindung mit Christus, dem himmlischen Haupt der Kirche, bleiben. Wir wissen, dass der zwölffältige Apostolat und die anderen Ämter der Kirche die vollkommenen Werkzeuge sind, durch welche der Herr sein Volk in der Wahrheit erhalten und vollenden will. Wir wissen, dass Gott der Heilige Geist persönlich in der Kirche wohnt und sie in alle Wahrheit leitet, indem er sie von einer Stufe der Klarheit zur anderen führt und ihr immer zu rechter Zeit die Erkenntnis mitteilt, deren sie bedarf, um Gottes Wege zu wandeln und Gottes Willen zu erfüllen. Darum ist auch die Kirche ein Pfeiler und eine Grundfeste der Wahrheit (1. Tim. 3, 15). Wer die Wahrheit außerhalb der Kirche sucht, der muss irre gehen. Allein in der Kirche können wir Gottes Willen zu unserer Heiligung und Vollendung kennen lernen. Dies führt uns weiter dazu, über den Beruf der Kirche zu reden.

 

 

2. DER BERUF DER KIRCHE

 

Der Beruf der Kirche ist: Gottes Willen vollkommen zu lernen und zu erfüllen, dadurch der Welt Zeugnis von ihm abzulegen und den Menschen seinen Segen zu spenden.

Die Kirche soll Gottes Willen vollkommen lernen.

33. Frage. Wie macht denn Gott seinen Willen in der Kirche kund?

Antwort. Vor alters wurden heilige Männer vom Heiligen Geist getrieben, Gottes Willen kundzutun. Die Worte Gottes, durch sie geredet und in den Büchern des alten Testaments niedergelegt, wurden den Juden anvertraut. Diese Bücher, zugleich mit den Schriften der Evangelisten und Apostel des neuen Testaments, sind in der christlichen Kirche aufbewahrt und bis auf uns überliefert worden. Und Christus hat in seiner Kirche Ämter eingesetzt zur Leitung seines Volkes in Übereinstimmung mit seinem geschriebenen Wort. Und Gott gibt durch seine Kirche allen Menschen Zeugnis, indem er sein Heil kund macht und die Werke seiner Hände segnet.

Vor alters wurden heilige Männer vom Heiligen Geist getrieben, Gottes Willen kundzutun. “Gott hat vor Zeiten manchmal und mancherlei Weise geredet zu den Vätern (des alten Bundes) durch die Propheten (Hebr. 1, 1). Die durch sie geredeten Worte Gottes sind in den Büchern des Alten Testaments niedergelegt. Diese wurden zunächst „den Juden anvertraut“ (Röm. 3, 2). Wollen wir also wissen, welche Urkunden zu den Schriften des alten Bundes gehören, so müssen wir die Juden fragen.

Der gelehrte jüdische Geschichtsschreiber Flavius Josephus, ein Mitglied der Pharisäersekte, teilt in einer um das Jahr 100 n. Chr. verfassten Schrift über diejenigen Bücher, welche von den Juden als echt und göttlich anerkannt wurden, folgendes mit: „Bei uns gibt es nicht eine Unzahl nicht zusammenstimmender und einander widersprechender Schriften, sondern nur 22, welche die Geschichte der ganzen Zeit enthalten und mit Recht volles Vertrauen genießen. Unter diesen sind 5 Bücher von Moses, welche die Gesetze enthalten und die Geschichte des Menschengeschlechts bis zu seinem Tode. Dieser Zeitraum lässt von 3000 Jahren wenig übrig. Von dem Tode des Moses bis zur Regierung des Artaxerxes (465-424 v. Chr.), welcher nach Xerxes König der Perser war, haben die Propheten nach Moses die Ereignisse ihrer Zeit in 13 Büchern niedergeschrieben. Die übrigen 4 enthalten Lobgesänge auf Gott und Regeln für das menschliche Leben. Von Artaxerxes bis auf unsere Zeit ist zwar auch allerlei geschrieben worden, aber dieses genießt nicht dasselbe Ansehen, wie die früheren Schriften, weil keine unzweifelhafte Prophetenreihe da ist. Wie hoch wir aber unsere Bücher schätzen, das zeigt sich durch die Tat. Denn während der ganzen, langen Zeit, welche seitdem verflossen ist, hat es niemand gewagt, an diesen Büchern durch Zusätze, durch Weglassung oder sonst auf irgendeine Weise etwas zu ändern. Es ist allen Juden von Geburt an eingepflanzt, dieselben als Gottes Wort und Lehre zu achten und sich an sie zu halten, ja im Notfall freudig für sie zu sterben.“ (Joseph. contra Apionem I, 8 und Euseb. hist. eccl. III, 10). Es lässt sich zwar aus dieser Stelle nicht klar erkennen, welche Schriften der uns jetzt vorliegenden alttestamentlichen Urkunden Josephus unter den 13 Büchern von Propheten und den 4 Büchern der Loblieder und Sittengebote verstanden hat. Aber wir wissen, dass die endgültig abgeschlossene Sammlung der heiligen Schriften des alten Bundes von den Juden in 3 Klassen gegliedert worden ist: das Gesetz (Thora), die Propheten (Nebiim) und die heiligen Schriften (Ketubim). Das Gesetz umfasst die 5 Bücher Moses. Die Propheten werden eingeteilt in die „früheren“ und „späteren“. Die früheren Propheten sind die prophetischen Geschichtsbücher: Josua, Richter, Samuel und Könige; die späteren Propheten sind: Jesaia, Jeremia, Hesekiel und die sogenannten 12 kleinen Propheten. Die „heiligen Schriften“ oder „anderen Schriften“ sind: die Psalmen, Sprüche, Hiob, Hoheslied, Ruth, Klagelieder, Prediger, Esther, Daniel, Esra, Nehemia und zuletzt Chronika. Alle diese aufgezählten Bücher bilden den Kanon des Alten Testaments. Das griechische Wort „Kanon“ bedeutet Regel oder Richtschnur. Kanonische Bücher sind deshalb solche, welche die Richtschnur für Glauben und Wandel enthalten. Wann und wie endlich der alttestamentliche Kanon abgeschlossen wurde, lässt sich nicht mit Sicherheit feststellen; über die Bücher Esther, Prediger und Hoheslied ist in den jüdischen Schulen noch bis in das 2. Jahrhundert n. Chr. gestritten worden.

Nach der babylonischen Gefangenschaft, etwa 500 Jahre vor Chr., trat neben das palästinensische Judentum das Judentum der Zerstreuung (die Diaspora). Nur ein Teil des jüdischen Volkes kehrte aus der Gefangenschaft in das Land seiner Väter zurück, die Mehrzahl blieb entweder in Babylonien oder wanderte in andere Länder aus. So verbreiteten sich die Juden im Laufe der folgenden Jahrhunderte über den ganzen damals bekannten Erdkreis. Am stärksten waren sie in den östlichen Ländern vertreten. In Ägypten bildeten sie mehr als 1/8 der Bevölkerung; sie hatten dort auch in der Stadt Leontopolis einen Tempel, dessen Bau freilich von den Juden Palästinas nicht gutgeheißen wurde. Zahlreich waren die Juden auch in der syrischen Weltstadt Antiochien. Tarsus in Silicien, die Heimatstadt des Apostels Paulus, und Ephesus in Kleinasien waren Mittelpunkte jüdischen Lebens. In Rom wohnten zur Zeit des Kaisers Tiberius vielleicht 80 000 Juden. Die Israeliten nun, die außerhalb ihres Vaterlandes lebten, waren genötigt, das Griechische, die damalige Weltsprache, welche sogar bis in das Innere Palästinas gedrungen war, sich anzueignen. Es bildete sich bei ihnen eine besondere Mundart aus, die gewöhnlich die „hellenistische“ genannt wird. Einen großen Einfluss auf die Ausbildung dieser eigentümlichen Redeweise übte jene griechische Übersetzung der alttestamentlichen Schriften, welche unter dem Namen der Septuaginta (LXX) d. h. Übersetzung der siebzig Dolmetscher bekannt ist. Der Sage nach wünschte der königliche Bibliothekar Demetrius in Alexandrien eine griechische Übersetzung des mosaischen Gesetzbuches zu erhalten. Er wandte sich deshalb mit Genehmigung des ägyptischen Königs Ptolemäus II Philadelphus (284 247 vor Chr.) an den jüdischen Hohepriester Eleaser in Jerusalem. Dieser schickte 72 jüdische Gelehrte, 6 aus jedem Stamme, nach Alexandrien, welche nach 72tägiger Arbeit mit ihrer Aufgabe fertig waren. Diese Sage wurde später dahin ausgeschmückt, dass die 72 Männer in ebenso vielen Zimmern getrennt voneinander gearbeitet und schließlich doch alle denselben Text für sämtliche alttestamentliche Bücher geliefert hätten. Wenn wir auch von dieser Sage absehen, so ist doch so viel sicher, dass die Septuaginta in Alexandrien innerhalb der dortigen Judenschaft seit dem Anfang des dritten vorchristlichen Jahrhunderts entstanden ist, aber nicht auf einmal, sondern in allmählichen Absätzen. Zur Zeit Christi war die griechische Septuaginta bei den Juden völlig an die Stelle des hebräischen Grundtextes getreten und wurde auch bei den gottesdienstlichen Vorlesungen des Alten Testaments zu Grunde gelegt. Ebenso führen die neutestamentlichen Schriftsteller der Mehrzahl nach entweder sehr wörtlich wie z. B. im Hebräerbrief oder in freier Weise die Stellen aus dem Alten Testament nach der Übersetzung der LXX an.

Die Septuaginta unterscheidet sich in mancher Hinsicht von dem hebräischen Kanon. Sie hat eine andere Reihenfolge der Bücher; sie zeigt Abweichungen im Text; sie enthält, was besonders zu bemerken ist, eine größere Anzahl Schriften. Außer den oben genannten Büchern der dreiteiligen hebräischen Sammlung besitzt sie noch: ein 3. Buch Esra, welches sie aber als das erste bezeichnet; das Buch Tobias; das Buch Judith; verschiedene Zusätze zum Buch Esther; die Weisheit Salomos; die Weisheit Sirachs; das Buch Baruch; einen angeblichen Brief des Jeremias, gerichtet an die nach Babel abziehenden Verbannten, um sie vor Beteiligung an dem dortigen Götzendienst zu warnen; die Geschichte der Susanna, die bald als erstes, bald als 13. Kapitel des Buches Daniel erscheint; das Gebet Asarjas und den Lobgesang der drei Jünglinge im feurigen Ofen (zwischen dem 23. und 24. Vers im 3. Kapitel des Daniel); die Geschichte vom Bel und Drachen am Schluss des Danielbuches; endlich 3 Bücher der Makkabäer. Alle diese Schriften bezeichnet man mit dem gemeinsamen griechischen Namen Apokryphen d. h. wörtlich „verborgene“. Sie wurden so genannt, weil sie von dem öffentlichen Gebrauch der Kirche ausgeschlossen oder weil sie untergeschoben und unbekannter Herkunft waren; schließlich bedeutete der Ausdruck überhaupt das Verkehrte und Schlechte, was mit dem wahren Glauben im Widerspruch stand.

Bei den Kirchenvätern finden wir seit den frühesten Zeiten die Apokryphen in Gebrauch. Der einzige, der in der alten Kirche sich gegen sie erklärt hat, ist Hieronymus, obwohl auch er eine Stelle aus Sirach als heilige Schrift anführt. Während im Morgenland eine um das Jahr 360 zu Laodicea versammelte Synode die alttestamentlichen Apokryphen überging, nahmen im Abendland die Synoden zu Hippo und Karthago, die im letzten Jahrzehnt des 4. Jahrhunderts unter Augustins Einfluss gehalten wurden, den sogenannten griechischen Kanon des Alten Testaments, mithin auch die Apokryphen, an. Das auf beiden Synoden festgestellte Verzeichnis der alttestamentlichen Schriften wurde einige Jahre später von dem römischen Bischof Innozenz I bestätigt. Durch den Beschluss des Konzils zu Trient (1546) hat dann die römische Kirchenabteilung alle in der griechischen Septuaginta stehenden Apokryphen (mit Ausnahme des 3. Esra und 3. Makkabäerbuches) als „heilige und kanonische Schriften“ anerkannt. Die griechisch-morgenländische Kirche erklärte im Jahre 1672 auf einer Synode zu Jerusalem die Weisheit Salomos, Judith, Tobias, die Geschichte vom Drachen und von der Susanna, die Makkabäerbücher und das Buch Sirach für „echte Teile der Schrift“, und die Moskauer Ausgabe der „göttlichen Schrift“ (1821) enthält alle Apokryphen. Im Protestantismus nehmen die einzelnen Richtungen eine verschiedene Stellung zu den Apokryphen ein; die englische Bibelgesellschaft nimmt sie in die Bibeln, welche sie verbreitet, nicht auf.

Wir schließen die Apokryphen von den heiligen Schriften des alten Bundes aus und halten uns nur an die Bücher der hebräischen Sammlung; denn diese allein sind bestätigt worden durch den Herrn und seine Apostel, die niemals eine Stelle aus den Apokryphen als Wort Gottes angeführt haben.

Die Bücher des Alten Testaments „zugleich mit den Schriften der Evangelisten und Apostel des neuen Testaments sind in der christlichen Kirche aufbewahrt und bis auf uns überliefert worden.“ Die christliche Kirche besitzt neben den Offenbarungsurkunden, die ursprünglich den Juden anvertraut sind, auch die in griechischer Sprache verfassten Schriften der Apostel und ihrer Mitarbeiter. Diese Schriften bilden die heiligen Urkunden des Neuen Testaments.

Die neutestamentlichen Schriften sind allmählich entstanden und erst nach und nach zu allgemeiner Geltung und Benutzung gelangt. In der ersten Zeit der Kirche konnten bei den gottesdienstlichen Versammlungen selbstverständlich nur die heiligen Bücher des Alten Testaments vorgelesen werden, was auch bei den Zusammenkünften der Juden in ihren Synagogen zu geschehen pflegte (vgl. Luk. 4, 16; Apg. 13, 27; 15, 21; 2. Kor. 3, 15). Aber als die Apostel genötigt waren, an die Gemeinden aus besonderen Veranlassungen Briefe zu richten, wurden auch diese in öffentlicher Versammlung zur Belehrung und Erbauung der Gläubigen vorgelesen; ja, Paulus ordnet eine solche Vorlesung seiner Sendschreiben einige Male ganz ausdrücklich an (Kol. 4, 16. 17; 1. Thess. 5, 27). Es ist erklärlich, dass solche Schriften der Apostel um ihrer Bedeutung willen gar bald in weiteren Kreisen sich verbreiteten und auch an anderen Orten zur Unterweisung und Stärkung der christlichen Gemeinden dienten. Schon Petrus setzt bei seinen Lesern die Bekanntschaft mit den Episteln des Paulus voraus (2. Petr. 3, 15. 16), und in seinem ersten Sendschreiben finden sich deutliche Anklänge an Stellen aus den paulinischen Briefen. — Clemens von Rom, der etwa 95 n. Chr. einen Brief an die Korinther schrieb, nimmt nicht nur auf die 1. Epistel des Paulus an diese Gemeinde Bezug (1. Clem. ad Cor. 47), sondern er zeigt sich auch bekannt mit den Briefen an die Römer und an die Hebräer. Der Bischof Ignatius von Antiochien, der unter dem Kaiser Trajan (98 117) den Märtyrertod erlitt, erinnert die Epheser daran, dass Paulus ihrer „in jedem Briefe“ gedenkt (Ep. ad Ephes. 12); er erwähnt ferner, wenn auch ohne namentliche Anführung, Stellen aus den Briefen an die Korinther und Galater, aus dem Evangelium nach Matthäus und vielleicht auch aus dem Evangelium nach Johannes. Polykarp von Smyrna, der um 155 n. Chr. auf dem Scheiterhaufen starb, weist die Philipper darauf hin, dass Paulus „Briefe“ (also mehr als einen) an sie geschrieben habe, die noch in ihrem Besitze seien und aus denen sie sich erbauen könnten (Ep. ad Phil. 3); er benutzt auch stillschweigend Ausdrücke und Sätze aus dem Matthäusund Lukasevangelium, aus der Apostelgeschichte, aus verschiedenen Briefen des Paulus, sowie aus 1. Johannes und 1. Petrus. Papias, Bischof von Hierapolis in Phrygien, gestorben in wahrscheinlich hohem Alter um 162, „ein Zuhörer des Johannes und Freund des Polykarp“ (Iren. adv. haer. V, 33), hat in seiner „Erklärung der Reden des Herrn“ das aufgezeichnet, was ihm aus dem Munde der „Alten“, die noch mit den Aposteln Verkehr gehabt hatten, kund geworden war. Er kannte schriftliche Evangelien, hatte aber seine Freude am „lebendigen Wort“. Papias berichtet, dass Matthäus die Reden des Herrn in hebräischer Sprache geschrieben habe. Wie sich diese ursprüngliche hebräische Schrift zu unserem jetzigen griechischen Matthäusevangelium verhält, darüber lässt sich nichts Bestimmtes sagen. Von Markus meldet Papias, er habe als Dolmetscher des Petrus alles aufgezeichnet, was er nach dessen Lehrvorträgen von den Worten und Taten Christi im Gedächtnis behalten hatte. Nach dem Bericht des Eusebius hat Papias auch Zeugnisse aus dem 1. Brief des Johannes und Petrus gebraucht (Euseb. hist. eccl. III, 39). Justinus der Märtyrer (geb. etwa 89, gest. zwischen 161 168), der außer seinem Geburtsland Samarien auch Alexandrien, Ephesus und Rom besuchte und auf diese Weise Gelegenheit hatte, die Urteile der Kirchen in verschiedenen Ländern über die neutestamentlichen Schriften kennen zu lernen, redet von den „Denkwürdigkeiten der Apostel, welche Evangelien heißen“ (Apol. I, 66); er benutzt sie vielfach und berichtet auch, dass sie zu seiner Zeit neben den Schriften der alttestamentlichen Propheten im sonntäglichen Gottesdienst vorgelesen wurden (Apol. I, 67). Von diesen Evangelien meldet er, dass sie teils von den Aposteln, teils von deren Begleitern verfasst worden seien (c. Tryph.103). Am meisten benutzt Justin von den 3 ersten Evangelien den Matthäus. Aber es ist nicht zu leugnen, dass er auch das Johannes-Evangelium gekannt und benutzt hat. Die Offenbarung schreibt er ausdrücklich dem Apostel Johannes zu (dial. 81). Über Paulus schweigt Justin, obwohl er reich an paulinischen Gedanken ist und seine Bekanntschaft mit den Briefen dieses Apostels deutlich ist.

Beachtenswert ist der Schriftkanon des Irrlehrers Marcion. Dieser Mann, der um die Mitte des 2. Jahrhunderts in Rom sein Wesen trieb, lehrte einen unbedingten Gegensatz zwischen Gesetz und Evangelium, zwischen Gerechtigkeit und Gnade; er verwarf das ganze Alte Testament und erkannte nur Paulus als Apostel an, während alle übrigen in das Judentum zurückgefallen seien. Seinen Anhängern gab Marcion eine Sammlung von heiligen Schriften, welche ein dem Lukas verwandtes Evangelium und 10 paulinische Briefe enthielt, d. h. alle mit Ausnahme der Briefe an Timotheus und Titus und des Hebräerbriefes. Diese Bücher, welche Marcion in seine Sekte mit hinübernahm, müssen also schon in der rechtgläubigen Kirche kanonische Geltung gehabt haben. Die alte syrische Bibelübersetzung (die Peschito), welche gleichfalls im 2. Jahrhundert entstanden ist, umfasst außer den 4 Evangelien die Apostelgeschichte, 13 Briefe des Paulus, den Brief an die Hebräer, den Brief des Jakobus, sowie den 1. Brief des Petrus und Johannes. Eine alte, freilich nur unvollständig erhaltene Handschrift, die Muratori im vorigen Jahrhundert in der Mailänder Bibliothek entdeckt hat, gibt ein lateinisches Verzeichnis der kanonischen Bücher, welche in der Gemeinde zu Rom spätestens gegen Ende des 2. Jahrhunderts anerkannt waren. Zuerst werden die Evangelien nach Lukas und Johannes genannt. Da aber in dem nur bruchstückweise überlieferten Anfang der Handschrift das Evangelium nach Lukas das „3. Buch des Evangeliums“ genannt wird, so ist anzunehmen, dass dem Verfasser auch unser 1. und 2. Evangelium (nach Matthäus und Markus) bekannt gewesen sind. Dann folgen in dem Verzeichnis die Apostelgeschichte, die 13 Briefe des Paulus, der Judasbrief und 2 Briefe des Johannes, endlich die Offenbarungen des Johannes und Petrus. Von dem Judasbrief und dem 2. Brief des Johannes wird jedoch bemerkt, dass sie nicht von Judas und Johannes selbst, sondern von Freundeshand ihnen zu Ehren geschrieben worden seien; von der Offenbarung des Petrus wird gesagt, dass einige ihre Verlesung in der Kirche nicht billigen. Der sogenannte Kanon Muratori enthält also, wie wir sehen, unsere sämtlichen neutestamentlichen Schriften, abgesehen von dem Hebräerbrief, den beiden Petrusbriefen, dem 3. Brief des Johannes und dem Briefe Jakobi.

Außer der syrischen Bibelübersetzung und dem Kanon Muratori sind für das Ende des 2. und den Anfang des 3. Jahrhunderts die Hauptzeugen für den Bestand des neutestamentlichen Kanons: Irenäus, Bischof von Lugdunum (Lyon), Clemens, Lehrer an der Katechetenschule zu Alexandrien, und Tertullian, Presbyter zu Karthago in Nordafrika. Wir besitzen aber von allen dreien nicht etwa besondere Verzeichnisse des Kanons, sondern nur aus ihren Schriften können wir erkennen, welchen Gebrauch sie von unseren neutestamentlichen Büchern gemacht haben.

Irenäus, ein Schüler des Polykarp, von Geburt ein Kleinasiate, siedelte später nach Gallien über, wo ihn der Bischof Pothinus von Lugdunum zum Presbyter weihte. Nachdem der 90jährige Pothinus unter dem Kaiser Marc Aurel als Märtyrer gestorben war, wurde Irenäus sein Nachfolger; sein Todesjahr wird um 202 angesetzt. Dem Irenäus steht die Vierzahl der Evangelien schon so fest, dass er sie als eine notwendige und göttlich geordnete erkennt; er meint, es könne nur 4 Evangelien geben, gleichwie es 4 Weltgegenden, 4 Winde, 4 Cherubimsantlitze gebe (adv. haer. III. 11). Über die Entstehung der Evangelien berichtet Irenäus: „Matthäus hat bei den Hebräern ein in ihrer Muttersprache verfasstes Evangelium herausgegeben, während Petrus und Paulus in Rom das Evangelium predigten und die Kirche gründeten. Nach ihrem Abscheiden aber hat Markus, der Schüler und Dolmetscher des Petrus, uns ebenfalls das, was von Petrus gepredigt war, schriftlich überliefert, und auch Lukas, der Begleiter des Paulus, hat das von jenem gepredigte Evangelium in einem Buche niedergelegt. Darauf hat Johannes, der Jünger des Herrn, der auch an seiner Brust lag, sein Evangelium herausgegeben, während er zu Ephesus in Asien verweilte“, wo er, wie Irenäus anderswo bezeugt, bis zu den Zeiten des Kaisers Trajan (98 117) lebte (Iren. adv. haer. III, 1. II, 22. III, 4. Euseb. hist. eccl. V, 8). Die Offenbarung hat Johannes nach des Irenäus Angabe „gegen das Ende der Regierung Domitians“ (81 96) auf der Insel Patmos empfangen (adv. haer. V, 30. 3.). Die Briefe des Paulus gebraucht Irenäus in seinem Werk gegen die gnostischen Irrlehrer (adversus haereses) alle mit Ausnahme des Briefes an Philemon und er führt sie wiederholt unter dem Namen des Apostels an; aus dem Hebräerbrief jedoch zitiert er keine einzige Stelle, er soll ihn dem Paulus ausdrücklich abgesprochen haben (Photius Bibl. cod. 232). Von den übrigen neutestamentlichen Briefen benutzt er nur noch 1. Petrus und 1. und 2. Johannes.

Titus Flavius Clemens, aus Griechenland gebürtig, erst im männlichen Alter Christ, folgte seinem Lehrer Pantänus als Vorsteher der Katechetenschule zu Alexandrien; während der Verfolgung unter Septimius Severus (202) entzog er sich durch die Flucht der ihm drohenden Rache der Heiden; die letzte Spur seines Lebens kommt aus Jerusalem 211. „In seinen Unterweisungen gibt Clemens einen gedrängten Auszug aus der ganzen hl. Schrift beider Testamente, ohne selbst diejenigen Bücher zu übergehen, die nicht allgemein angenommen sind, nämlich den Brief des Judas und die übrigen katholischen Briefe, sowie den Brief des Barnabas und die sogenannte Offenbarung des Petrus. Der Brief an die Hebräer gehört zwar nach Meinung des Clemens dem Paulus an, aber er sei an die Hebräer in hebräischer Sprache geschrieben worden, und Lukas habe ihn dann mit großem Fleiß übersetzt und den Griechen in die Hände gegeben; deshalb finde man in diesem Brief dieselbe Färbung des Ausdrucks wie in der Apostelgeschichte“ (Euseb. hist. eccl. VI, 14). Clemens führt dann weiter in Betreff der Ordnung der Evangelien eine Überlieferung an, die er von den ältesten Presbytern gehört hat. Dieser Nachricht zufolge sind „die Evangelien, welche die Geschlechtsregister enthalten (Matthäus und Lukas), zuerst geschrieben worden. Markus hat sein Evangelium als Begleiter des Petrus auf Bitten derer, welche die Predigt des Apostels hörten, niedergeschrieben und es ihnen mitgeteilt. Zuletzt hat Johannes, nachdem er gesehen, dass das Menschliche an dem Herrn in den Evangelien ausführlich behandelt sei, auf dringendes Bitten seiner Freunde mit göttlicher Geisteserhebung ein geistliches Evangelium verfasst.“ Ob Clemens recht hat, wenn er das Evangelium nach Lukas für älter hält als das nach Markus, lässt sich aus manchen Gründen anzweifeln. Es sei hier nur kurz bemerkt, dass wir nach den vorhandenen Quellen nicht mit Bestimmtheit angeben können, in welchem Jahr und unter welchen näheren Umständen jedes unserer 4 Evangelien entstanden ist.

Tertullian († nach 220), ein Mann von reicher, griechischer Gelehrsamkeit, gewaltig in Schriften wie im Leben, ist in diesem Zeitraum der dritte Hauptzeuge für den Bestand des neutestamentlichen Kanons. Tertullian will durchaus nur eigentlich apostolische Schriften anerkennen. Er zitiert die neutestamentlichen Bücher, mit Ausnahme einiger der schon früher erwähnten katholischen Briefe. Bemerkenswert ist, dass er die Epistel an die Hebräer dem Barnabas zuschreibt (de pudic. c. 20). Er erwähnt auch das Amt des Vorlesers (Lektor) neben den älteren Kirchenämtern (de praesc. haeret. 41).

Wir sehen: am Ende des 2. Jahrhunderts sind unsere 4 Evangelien in der ganzen Kirche als kanonisch anerkannt. Dies ist, so viel sich erkennen lässt, ohne besondere Streitigkeiten oder Konzilienbeschlüsse zustande gekommen. Zwar waren im 2. Jahrhundert noch manche anderen evangelische Schriften vorhanden z. B. das Evangelium nach den Hebräern, das Evangelium nach Petrus, das Evangelium der Ägypter u. s. w. Aber alle diese Schriften wurden allmählich zurückgedrängt und es wurde, sicher unter Gottes besonderer Leitung, dem „viergestalteten, aber durch einen Geist verbundenen Evangelium“ (Iren. adv. haer. III, 11) ausschließlich kanonische Würde beigelegt. Außer den vier Evangelien wurden am Ende des 2. Jahrhunderts die Apostelgeschichte, die 13 Briefe des Paulus, sowie der 1. Johannesund 1. Petrusbrief allgemein anerkannt. Außer diesen Büchern werden aber von manchen Kirchenvätern dieser Zeit noch andere Schriften ganz wie apostolische benutzt, z. B. der Brief des Clemens an die Korinther, der angebliche Brief des Barnabas und eine prophetische Schrift, die unter dem Namen „Hirte des Hermas“ bekannt ist. Der Brief des Clemens war noch zur Zeit des Eusebius in den meisten Kirchen in öffentlichem Gebrauch (hist. eccl. III, 16). Die beiden anderen Schriften befinden sich in der sinaitischen Handschrift des Neuen Testaments als heilige Bücher; aus dem Hirten des Hermas führt Irenäus (adv. haer. IV, 20) einen Ausspruch ganz wie Stellen aus kanonischen Schriften an.

Ohne wesentliche Veränderung blieb der neutestamentliche Kanon auch im 3. Jahrhundert. Origenes von Alexandrien (185 254) ist der Hauptzeuge für die erste Hälfte dieses Jahrhunderts. Er kennt nur 4 kanonische Evangelien, die allein ohne Widerspruch in der Kirche Gottes unter dem Himmel angenommen werden. „Unter diesen ist das Evangelium nach Matthäus, der vorher ein Zöllner und nachher ein Apostel Jesu Christi war, zuerst verfasst worden und zwar ist es für die Gläubigen aus dem Judentum, in hebräischer Sprache geschrieben, herausgegeben. Das zweite ist das Evangelium nach Markus, der es nach den Angaben des Petrus abgefasst hat. Das dritte ist das Evangelium nach Lukas, das von Paulus gelobt wurde und das für die Gläubigen aus den Heiden geschrieben worden ist. Dazu kommt das Evangelium nach Johannes. Paulus hat nicht an alle Gemeinden, die er belehrte, geschrieben; ja auch selbst denjenigen, welchen er schrieb, schickte er nur wenige Zeilen. Petrus aber hat nur einen allgemein anerkannten Brief hinterlassen; doch mag auch der zweite von ihm sein, es besteht nämlich darüber Zweifel. Was soll ich aber sagen von dem, welcher an der Brust Jesu lag, von Johannes? Dieser hat uns ein Evangelium hinterlassen, gesteht aber, er könne so viele schreiben, dass die Welt sie nicht zufassen vermöchte (vgl. Joh. 21, 25). Er schrieb aber auch die Offenbarung und hinterließ einen Brief von ganz wenigen Zeilen, möglicherweise aber auch einen zweiten und dritten, denn nicht alle halten diese für echt. Wer aber den Brief an die Hebräer geschrieben hat, darüber weiß nur Gott das Wahre“ (Euseb. hist. eccl. VI, 25 im Auszug).

Aus der Folgezeit gehört der nächste für die Geschichte der neutestamentlichen Schriften in Betracht kommende Zeuge erst dem 4. Jahrhundert an; dies ist der schon öfter erwähnte Kirchengeschichtsschreiber Eusebius, Bischof von Cäsarea († 340). Das Wohlwollen des Kaisers Konstantin öffnete ihm für seine geschichtlichen Forschungen alle Archive des Reiches. Bei seinem unermüdlichen Forscher- und Sammlerfleiß übertrifft er alle Kirchenlehrer dieser Zeit an reicher und gründlicher Gelehrsamkeit. Er ist ein zuverlässiger Berichterstatter, dem wir viele wertvolle Auszüge aus längst verlorenen Schriften des heidnischen und christlichen Altertums verdanken. Hören wir, wie er sich über die Schriften des Neuen Testaments ausspricht: „An die erste Stelle muss die heilige Vierzahl der Evangelien gesetzt werden. Diesen folgt die Apostelgeschichte. Nach dieser aber sind die Briefe des Paulus einzureihen, an welche sich der Ordnung nach der sogenannte erste Brief des Johannes und in gleicher Weise der Brief des Petrus anschließt. Zu diesen kann noch, wenn man es für gut findet, die Offenbarung Johannes gefügt werden. Diese Schriften gehören zu den allgemein anerkannten (homologumena). Zu denen aber, die Widerspruch erfahren (antilegomena), doch gleichwohl den meisten bekannt sind, gehört der Brief, welcher den Namen des Jakobus und der, welcher den Namen des Judas trägt; ebenso der zweite Brief des Petrus und der sogenannte zweite und dritte Johannes, mögen diese nun den Evangelisten zum Verfasser haben oder einen anderen mit gleichem Namen wie jener. Unter die unechten (notha) sind auch zu zählen die Schrift über die Taten des Paulus, der sogenannte Hirte (des Hermas) und die Offenbarung Petri; auch gehören zu diesen der Brief, welcher den Namen des Barnabas trägt und die sogenannten Lehren der Apostel; ferner kann, wie ich sage, die Offenbarung Johannes, wenn man will, hierher gesetzt werden, welche einige, wie ich bemerkte, verwerfen, andere aber den allgemein anerkannten Schriften zuzählen. Unter diese haben auch bereits einige das Evangelium nach den Hebräern gezählt, an dem besonders diejenigen Gefallen finden, welche aus den Hebräern den christlichen Glauben angenommen haben. Diese alle mögen unter die widersprochenen Schriften (antilegomena oder notha) gerechnet werden.“ In einer dritten Klasse zählt dann Eusebius diejenigen Bücher auf, welche unter dem Namen der Apostel von den Häretikern verfasst worden sind (z. B. die Evangelien des Petrus, des Thomas, des Matthias, sowie die Taten des Andreas, des Johannes und der übrigen Apostel) und er sagt, dass alle diese Schriften als gänzlich abgeschmackt und gottlos zurückgewiesen werden müssen (Euseb. hist. eccl. III, 25).