Academy of the Sun – Aufstieg der Rebellen - Tọlá Okogwu - E-Book

Academy of the Sun – Aufstieg der Rebellen E-Book

Tọlá Okogwu

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Beschreibung

Onyekas gefährliche Mission: Das actionreiche Abenteuer der coolen Superheldin geht weiter! Nachdem Onyeka und ihre Freunde aus der Academy of the Sun geflohen sind, ringen sie in ihrem Versteck mit furchtbaren Albträumen und einer gefährlichen Krankheit, die ihre magischen Kräfte schwinden lässt. Fieberhaft arbeiten sie an der Rezeptur für das heilende Serum, doch dazu brauchen sie die Hilfe von Onyekas Vater. Schließlich schmieden die Freunde einen gewagten Plan, um ihn zu finden und damit die Zukunft Nigerias zu retten: Sie werden sich den Rebellen anschließen! Doch ihr Gegner ist mächtig und kämpft mit allen Mitteln: Er nimmt Onyekas Freundin Cheyenne als Geisel … Die Fortsetzung des aufregenden Fantasyabenteuers für Kinder ab 10 Jahren – voller Power, Magie und spannender Charaktere! - Für alle Fans von futuristischen Geschichten, Actionbüchern und Superhelden - Originelle Superkräfte kombiniert mit einem außergewöhnlichen Setting: London und ein futuristisches Nigeria - Bildgewaltige Netflix-Verfilmung von Will Smith in Vorbereitung - Für die extra Lesemotivation: Serie mit Quiz bei Antolin gelistet Alle Bände der Serie Academy of the Sun: Band 1: Onyekas Superkraft Band 2: Aufstieg der Rebellen

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Seitenzahl: 335

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Tọlá Okogwu

Academy of the Sun

Aufstieg der Rebellen

 

Aus dem Englischen von Ulrike Köbele

 

Über dieses Buch

 

 

Onyekas gefährliche Mission: Das actionreiche Abenteuer der Superheldin geht weiter!

Nachdem Onyeka und ihre Freunde aus der Academy oft the Sun geflohen sind, ringen sie in ihrem Versteck mit furchtbaren Alpträumen und der gefährlichen Krankheit, die ihre magischen Kräfte schwinden lässt. Fieberhaft arbeiten sie an der Rezeptur für das heilende Serum, doch dazu brauchen sie die Hilfe von Onyekas Vater. Schließlich schmieden die Freunde einen gewagten Plan, um ihn zu finden und damit die Zukunft Nigerias zu retten: Sie werden sich den Rebellen anschließen! Doch ihr Gegner ist mächtig und kämpft mit allen Mitteln: er nimmt Onyekas Freundin Cheyenne als Geisel …

Die Fortsetzung des aufregenden Fantasyabenteuers – voller Power, Magie und spannender Charaktere!

Alle Bände der Serie Academy of the Sun:

Band 1: Onyekas Superkraft

Band 2: Aufstieg der Rebellen

Serie bei Antolin gelistet

 

Ein Glossar über die verwendeten nigerianischen Begriffe befindet sich am Ende des Buches.

 

 

Weitere Informationen finden Sie unter www.fischer-sauerlaender.de

Biografie

 

 

Tọlá Okogwu ist Autorin, Journalistin und Haarpflegeberaterin. Sie wurde in Nigeria geboren und wuchs in London auf. Heute lebt Tọlá mit ihrem Mann und ihren beiden Töchtern in Kent, England. 

Inhalt

Widmung

Kapitel eins

Kapitel zwei

Kapitel drei

Kapitel vier

Kapitel fünf

Kapitel sechs

Kapitel sieben

Kapitel acht

Kapitel neun

Kapitel zehn

Kapitel elf

Kapitel zwölf

Kapitel dreizehn

Kapitel vierzehn

Kapitel fünfzehn

Kapitel sechzehn

Kapitel siebzehn

Kapitel achtzehn

Kapitel neunzehn

Kapitel zwanzig

Kapitel einundzwanzig

Kapitel zweiundzwanzig

Kapitel dreiundzwanzig

Kapitel vierundzwanzig

Kapitel fünfundzwanzig

Kapitel sechsundzwanzig

Kapitel siebenundzwanzig

Kapitel achtundzwanzig

Kapitel neunundzwanzig

Kapitel dreißig

Aussprachehilfe

Glossar

Nigerianisches Pidgin-Englisch

Häufige Wörter und Redewendungen:

Danksagung

Für Gott, dem alle Ehre gebührt

Kapitel eins

Ich befinde mich in einem Raum. Es ist heiß, schmutzig und beengt. Fenster gibt es nicht, und die einzige Lichtquelle ist eine nackte Glühbirne, die von der Decke hängt. Eine rot-schwarz-grüne Flagge mit der Hälfte einer gelben Sonne in der Mitte ziert eine der Wände. Sie ähnelt den Flaggen, mit denen der Campus der Academy of the Sun geschmückt ist. Zu meinen Füßen liegt eine schmale Matratze, auf der ein Mädchen, nicht älter als sechs, schläft. Ihre dunklen Locken ruhen auf einem fleckigen Laken, das früher einmal weiß war, und die löchrige Decke, die ihren Körper umhüllt, hebt und senkt sich sachte im Rhythmus ihrer Atemzüge. Das Mädchen sieht krank aus.

Ich warte auf jemanden, weiß aber nicht, auf wen. Ich lasse mich auf die Matratze sinken, unfähig, die Augen von dem Mädchen abzuwenden. Schweiß glänzt auf ihrer Haut, aber ihr schlafendes Gesicht ist entspannt. Behutsam strecke ich die Hand aus und lege sie ihr auf die Stirn. Sie ist ganz heiß. Plötzlich schlägt das Mädchen die Augen auf.

»Ich hab Hunger«, jammert sie leise.

»Ich weiß, Chidinma«, antworte ich sanft. Mir ist unklar, wieso ich das weiß oder woher ich ihren Namen kenne. Zudem weiß ich, dass ich nichts zu essen für sie habe und dass uns die Zeit davonläuft.

Dann durchbricht ein lautes Hämmern an der Tür die Stille, und Chidinma erstarrt.

»Bleib hier«, flüstere ich ihr zu.

Chidinma nickt, und ich gehe zur Tür. Ich hole tief Luft und öffne. Auf der anderen Seite steht ein Mädchen, ungefähr in meinem Alter, mit eingefallenen Wangen – eine unserer Nachbarn von unten. Mein Magen zieht sich zusammen, als ich die Furcht in ihrem Gesicht sehe.

»Der Krieg ist verloren«, sagt sie mit eindringlicher Stimme. »Ihr solltet das Dorf verlassen, solange es noch geht. Es fährt bald ein Bus, der alle hier in Sicherheit bringt.«

Ich werfe einen Blick auf Chidinmas geschwächten Körper in dem notdürftig errichteten Bett hinter mir. Sie kann nicht aufstehen, keine Chance.

»Ich brauche Hilfe«, raune ich. »Meine Schwester ist krank.«

»Wir sind alle krank, hungrig und müde«, entgegnet das Mädchen gereizt. »So ist Krieg nun mal.«

Ich packe sie am Arm und versuche verzweifelt, sie dazu zu bringen, dass sie mir zuhört. »Bitte, ich schaff das nicht alleine.«

Kurz wirkt sie ein bisschen unschlüssig, dann schüttelt sie mich ab und stapft davon.

Chidinma wimmert, als ich sie an mich ziehe. Sie hebt langsam den Kopf, und ich sehe ihr an, welche Schmerzen ihr die Bewegung bereitet. »Ist der Krieg vorbei? Haben wir gewonnen?«, fragt sie.

Ich halte sie fest und wiege sie in meinen Armen. »Ja. Alles wird gut.«

Wir wissen beide, dass das nicht stimmt.

Plötzlich lösen sich der schmutzige Raum und Chidinma auf wie Rauchschwaden im Wind, und ich finde mich in einer Leere wieder, in der die Zeit keine Rolle zu spielen scheint. Wo bin ich? Wer bin ich? Dann legt sich eine Hand sanft auf meine Schulter, und als ich mich umdrehe, steht Dr. Dòyìnbó neben mir. Sein grau meliertes Haar umrahmt sein lächelndes Gesicht wie ein Heiligenschein. Ich zucke zurück und taste instinktiv nach meinem Ike, kann aber nicht auf meine Superkraft zugreifen.

An Dr. Dòyìnbós Seite entdecke ich einen Jungen in der Uniform der Akademie. Sein Gesicht ist leicht abgewandt, doch ich kann genug davon sehen, um den leeren Ausdruck darin zu erkennen. Es wirkt, als sei er nicht ganz da. Trotzdem, irgendwas an ihm kommt mir bekannt vor.

»Ruhig. Du bist in Sicherheit«, flüstert Dr. Dòyìnbó. »Aber du musst dich weiter in den Dienst Nigerias stellen.«

Seine Stimme scheint aus weiter Ferne zu kommen, und ich habe Mühe, mich darauf zu konzentrieren.

»Was war das?«, frage ich atemlos. »Wer ist Chidinma?« Ich habe das Mädchen immer noch deutlich vor Augen.

Dr. Dòyìnbó blickt mich blinzelnd an und sieht schnell zu dem Jungen hinüber, der schweigend neben ihm steht. Dann wendet er sich wieder mir zu und mustert mich von Kopf bis Fuß, als versuche er, ein Rätsel zu lösen.

»Nun, das kommt unerwartet«, meint er schließlich. »Wer sie ist, spielt keine Rolle, Onyeka. Wichtig ist, wofür sie steht – sie ist nur ein Beispiel für die vielen verschiedenen Versionen der Zukunft, die ich gesehen habe.«

»Das verstehe ich nicht.«

Sein Lächeln ist warm und freundlich. »Das weiß ich. Aber ich wollte, dass du siehst, welche Zukunft hätte eintreten können, damit du begreifst, warum ich all das getan habe. Weshalb ich dieses Land nach meinen Vorstellungen geformt und die Solari genutzt habe, um es zu kontrollieren.«

Ich wende mich ab. »Das werde ich niemals begreifen. Sie sind ein Monster.«

Dr. Dòyìnbó legt mir erneut die Hand auf die Schulter. »Ich bin Nigerias einzige Hoffnung. Ich habe zu viel Zeit darauf verwendet, die Zukunft zu erschaffen, die du kennst, um nun noch zu scheitern.«

Ich wirble herum. »Doch, das werden Sie! Weil ich nämlich alles dafür tun werde, Sie aufzuhalten.«

Dr. Dòyìnbó seufzt, als hätte ich ihn enttäuscht. »So sind sie, die jungen Leute von heute. Glauben, alles zu wissen, und haben doch nicht die geringste Ahnung von der Welt.« Die Hand auf meiner Schulter drückt fester zu. »Aber in einem Punkt hast du recht … Wir werden einander schon bald wiedersehen.«

Dr. Dòyìnbós Augen bohren sich in meine, pechschwarze Tümpel voll unbeirrbarer Entschlossenheit. Ein erstickter Schrei steigt aus meiner Kehle auf …

 

Ich erwache mit einem Ruck. Mein Magen krampft sich zusammen, und ich ringe schmerzhaft nach Luft. Ich fühle mich, als müsste ich mich jeden Moment übergeben.

Was war das?

Es wirkte so real, fast als hätte ich es tatsächlich erlebt. Dann fallen mir Dr. Dòyìnbós Worte wieder ein, und ich fange an zu begreifen. Das war nicht bloß ein Traum; es war eine von Dr. Dòyìnbós Visionen. Sie hat sich ausgeleiert und verblichen angefühlt wie ein alter Schuh, den er viel zu oft getragen hat. Nur hat er diesmal mich gezwungen, hineinzuschlüpfen. Aber warum?

Ich reibe mir das Gesicht. Obwohl ich gerade erst aufgewacht bin, bin ich immer noch müde. Das ist in letzter Zeit zu einer Art Dauerzustand geworden. Mein Blick wandert zu dem Digitalwecker auf dem Nachttisch. Es ist kurz vor acht Uhr morgens, und Adanna wälzt sich in ihrem Bett herum. Wir teilen uns wieder ein Zimmer, genau wie in der Academy of the Sun, der Schule für Solari – Kinder und Jugendliche, die wie wir durch eine Genmutation über spezielle Superkräfte verfügen. Niyì und Hassan sind ebenfalls Solari. Sie sind meine Freunde und gehören zusammen mit Adanna einer Gruppe namens Nchebe an. Das heißt »Schutzschild« auf Igbo. Für diese Gruppe werden immer die fähigsten Schülerinnen und Schüler der Mittelstufe ausgewählt, und ihre Aufgabe ist es, die Akademie gegen Angriffe zu verteidigen. Wobei ich nicht weiß, ob sich Adanna und die Jungs überhaupt noch Nchebe nennen können.

Nun, da wir die AOS, wie die Academy of the Sun auch genannt wird, verlassen haben, gibt es niemanden mehr, der die übrigen Solari vor Dr. Dòyìnbó und seinem grauenhaften Plan schützt. Er hat vor, die Macht über Nigeria zu ergreifen und die Solari dabei als seine Privatarmee einzusetzen. Hastig schüttle ich den Kopf, um die Gedanken an unseren früheren Rektor loszuwerden.

Adanna regt sich erneut, und ich halte den Atem an, bis sie wieder still liegt. Im schwachen Licht unseres Zimmers kann ich nur gerade so ihre Umrisse ausmachen, doch deren gleichmäßiges Auf und Ab zeigt mir, dass sie immer noch schläft, und ich entspanne mich. Das leise Sirren einer Mücke dicht an meinem Ohr reißt mich aus meinen Gedanken und treibt mich aus dem Bett. An der AOS waren diese Viecher nie ein Problem, weil überall auf dem Campus Technik installiert war, die sie ferngehalten hat. Hier im Bauernhaus sind sie die reinste Plage, aber zumindest müssen wir uns keine Sorgen mehr machen, dass sie uns mit Malaria infizieren könnten.

Geräuschlos tappe ich zur Tür, vorbei an Adanna, deren Locs sich fächerförmig auf ihrem Kissen ausbreiten und einen starken Kontrast zu dem weißen Bezug bilden … genau wie bei Chidinma, dem Mädchen in meinem Traum. Adannas Stirn ist sogar im Schlaf gerunzelt und erinnert mich daran, dass es einfach keinen Moment mehr gibt, in dem wir mal ein bisschen Frieden finden können. Das lässt die Krankheit nicht zu, die die Körper von uns Solari langsam aufzehrt und uns schließlich tötet, wenn wir unsere Kräfte weiter einsetzen. Dazu kommt die Sorge, dass Dr. Dòyìnbó uns hier aufspüren könnte. Ganz sicher wird er alles daransetzen, seit wir seine wahren Pläne kennen. Ich werfe einen letzten Blick auf Adanna, schleiche aus dem Zimmer und gehe in die Küche.

Der offene Wohnbereich von Tante Naomis Bauernhaus ist schlicht. Es hängen nicht mal Bilder an den Wänden … genau wie in unserem Haus in London, während Mum und ich dort untergetaucht waren. Der Hausbot blinkt mir zu, als ich an seiner Ladestation vorbeigehe. Er ist vor allem fürs Putzen zuständig, übernimmt aber auch kleinere Aufgaben, die im Haushalt so anfallen. Ein weiteres Licht flackert auf – diesmal stammt es vom Bewegungssensor. Davon gibt es mehrere hier im Haus. Sie erinnern uns ständig daran, dass wir nicht wirklich sicher sind.

Ein klitzekleiner Gecko huscht über die Wand, sein grün gesprenkelter Körper beißt sich mit dem rötlichen Braun der Wände unter seinen Füßen. Ich laufe an dem orangefarbenen Sofa vorbei, auf dem Hassan gern herumlümmelt, wenn er Filme auf dem großen Flachbildfernseher über dem Kaminsims schaut. Hinter dem Sofa markiert eine lange Holzbank den Übergang zur Küche mit ihren Mahagonischränken und überraschend wenig Hightechkram. Hier ist meine Tante Naomi normalerweise zu finden. Sie ist die Zwillingsschwester meines Vaters, von deren Existenz ich allerdings erst vor kurzem erfahren habe. Wie er ist sie Wissenschaftlerin und Forscherin, hat darüber hinaus aber auch einen ausgeprägten Hang dazu, andere zu bekochen.

Wenn Tante Naomi gerade nicht in der Küche ist, ist sie vermutlich in ihrem Labor im Keller. Es ist ein Nachbau des Labors in Lagos, wo wir zum ersten Mal rausgefunden haben, wie tödlich unsere Krankheit ist und dass mein Vater ein Serum entwickelt hat, um sie zu heilen. Bis dahin dachten wir, dass unser Ike, die Superkraft, über die alle Solari verfügen, lediglich ein gewisses Unwohlsein verursacht.

Eine Superkraft, die mich bald umbringen wird …

Der Gedanke schießt mir unwillkürlich durch den Kopf. Schnell verdränge ich ihn. Es ist jetzt zwei Wochen her, dass wir aus den Ogbunike-Höhlen entkommen sind und Tante Naomi uns auf das Anwesen irgendwo in der Provinz Rivers gebracht hat, wo ihr Bauernhaus steht. Es ist einer der vielen Orte, an denen sie sich vor den Räten versteckt hat, nachdem mein Vater verschwunden ist, und nun verstecken wir uns hier vor Dr. Dòyìnbó – dem Mann, der uns hintergangen hat. Dem Mann, der die Menschen in Nigeria vorsätzlich dem Kontakt mit Trarium ausgesetzt hat, einem von ihm entdeckten Element, obwohl oder gerade weil er genau wusste, dass es Genmutationen auslösen kann.

Die erste Zeit hier war echt hart, weil wir total Angst hatten, dass wir jeden Moment auffliegen würden. Aber als die Tage vergingen und niemand nach uns suchen kam, verfielen wir nach und nach in eine gewisse Routine. Zu meinem Geburtstag letzte Woche hat mir Tante Naomi sogar einen Kuchen gebacken. Natürlich wissen wir, dass das nicht ewig so weitergehen kann und dass wir früher oder später an die Academy of the Sun zurückkehren müssen, um Dr. Dòyìnbó das Handwerk zu legen, aber bisher haben wir uns noch auf keinen Plan dafür einigen können. Tante Naomi möchte sich an die Räte wenden, die Nigeria regieren. Sie ist überzeugt, dass die uns helfen werden, Dr. Dòyìnbó zur Rechenschaft zu ziehen. Hassan findet, wir sollten die AOS einfach stürmen. Adanna beharrt darauf, dass wir die Abtrünnigen finden müssen, eine Gruppe von Solari, die ebenfalls versuchen, Dr. Dòyìnbó aufzuhalten. Und Niyì sagt überhaupt nichts dazu. Er spricht kaum noch, seit er sein Ike verloren hat.

Wie sich rausgestellt hat, hat das Serum meines Vaters nämlich eine unschöne Nebenwirkung. Es nimmt uns unser Ike. Das wusste Niyì, als er sich einer Spritze mit dem Serum in den Weg gestellt hat … einer Spritze, die für mich gedacht war. Tante Naomi hat die letzten zwei Wochen damit zugebracht, eine Möglichkeit zu finden, Niyìs Ike wiederherzustellen und gleichzeitig das Serum zu verbessern, so dass wir unsere Krankheit heilen können, ohne unser Ike zu verlieren. Das mit dem Serum hat sie vor ein paar Tagen geschafft, aber wir warten, bis es ihr gelingt, Niyì seine Superkraft zurückzugeben, bevor wir es uns verabreichen lassen.

Ich mache mir eine Tasse Milo-Malzkakao in der Mikrowelle warm und rühre drei Teelöffel Zucker hinein. Ich brauche etwas Süßes gegen den bitteren Geschmack der Vision. Gerade als ich die Tasse an die Lippen setzen will, geht die Tür zu meiner Rechten auf, und dahinter erscheint ein groß gewachsener Junge. Niyì bleibt auf der Türschwelle stehen. Sein Gesichtsausdruck hat etwas Getriebenes. So sieht er aus, seit er sein Ike verloren hat. Im hellen Licht wirkt seine Haut matt und fahl, und er reibt sich ungeduldig das Gesicht. Er erinnert mich an ein ausgewaschenes Kleidungsstück, eine verblichene Version seiner selbst.

Ich schenke ihm zur Begrüßung ein kleines Lächeln. »Konntest du nicht schlafen?«

»Kann man so sagen«, antwortet er. Es ist immer noch seltsam, ihn ohne Zweiten Blick zu sehen, die Augmented-Reality-Brille, die in der Akademie alle getragen haben. Das war noch so etwas, was wir loswerden mussten, damit uns Dr. Dòyìnbó nicht tracken kann.

Ich halte ihm die Tasse hin. Niyì greift dankbar danach und nimmt einen kräftigen Schluck.

»Igitt …« Er verzieht angewidert den Mund. »Wie viel Zucker hast du denn da reingetan?«

Ich runzle entschuldigend die Stirn. »Ups. Hab schlecht geträumt.«

Niyìs Gesicht zuckt. »Schlecht geträumt?«

»Also, eigentlich war es mehr so eine Art Vision. Es hat sich total schräg angefühlt.« Ich schüttle den Kopf, um die Erinnerung an das Kind im Bett zu vertreiben. Dann nehme ich Niyì die Tasse mit meinem Kakao ab und hole eine frische aus dem Schrank, um ihm auch welchen zu machen.

»Inwiefern schräg?« Niyì sieht mich auf einmal ganz merkwürdig an. Seine Augen sind wie Laserstrahlen auf mich gerichtet.

Ich spüre ein Kribbeln im Nacken. »Es ging irgendwie um einen Krieg«, antworte ich langsam. »Dann war da ein Junge in AOS-Uniform. Und …« Ich senke den Blick und verstumme. Ich bringe es nicht über mich, seinen Namen auszusprechen.

»Dr. Dòyìnbó war auch da«, vollendet Niyì, während er seinen Kakao entgegennimmt.

Es fühlt sich komisch an, den Namen zu hören. Seit wir hier sind, haben wir es tunlichst vermieden, ihn in den Mund zu nehmen. Moment … Entgeistert sehe ich Niyì an. Aus seinem Blick spricht blanke Angst.

»Woher weißt du das?«, flüstere ich.

Niyìs Hand umklammert die Tasse. »Ich hatte denselben Traum.«

Kapitel zwei

»Unmöglich«, keuche ich, und meine Hand wandert zu der Kaurimuschel an meinem Hals. Sie ist der Schlüssel, mit dem wir das Labor meines Vaters in Lagos aufgeschlossen haben und hinter das Geheimnis unserer Krankheit gekommen sind. Außerdem hat sie mir geholfen, das Versteck in den Ogbunike-Höhlen zu finden, wo er das Serum verborgen hatte. Mein Vater hat immer geplant, dass ich die Muschel bekomme. Tante Naomi hat das passende Gegenstück dazu.

»Wetin dey impossible?« Was ist unmöglich?

Die Frage, auf Pidgin-Englisch gestellt, lässt Niyì und mich zusammenzucken. Wir drehen uns um und erblicken Hassan, der verschlafen in die Küche geschlurft kommt. Offenbar hat er den letzten Teil unseres Gesprächs mit angehört. Der helle Fleck rund um sein rechtes Auge wird kurz unsichtbar, als er es reibt. Tante Naomi schimpft ständig mit ihm, weil er sein Ike benutzt, aber ich glaube, er merkt gar nicht, dass er es tut. Wahrscheinlich passiert das genauso unbewusst, wie er ins Pidgin wechselt.

»Na Milo be that?«, fragt Hassan begierig, als er die Tasse in Niyìs Hand entdeckt.

Niyì zieht die Tasse weg. »Mach dir deinen eigenen.«

Hassan kräuselt die Lippen und stößt ein unwirsches »Tsk« aus, dann geht er um ihn herum zum Küchentresen.

»Wir haben von Dr. Dòyìnbó geträumt«, setzt Niyì behutsam an.

Hassan erstarrt, und die Hand, die er nach dem Behälter mit Kakaopulver ausgestreckt hat, flackert kurz. »Tósìn«, flüstert er.

»Du also auch?«, fragt Niyì.

Hassan nickt und schluckt. »Yes o. E even wake me sef.« Er ist sogar davon aufgewacht. Genau wie ich.

»Dr. Dòyìnbó leitet offenbar die nächste Phase ein.« Niyìs Miene verfinstert sich.

Die Tasse in meiner Hand beginnt so stark zu zittern, dass etwas von der dunkelbraunen Flüssigkeit herausschwappt. »Wie meinst du das? Was für eine Phase? Ich kapier das nicht!«

Niyì nimmt mir die Tasse ab und stellt sie auf den Tresen. »Wir hatten alle den gleichen Traum, das kann kein Zufall sein. Offenbar benutzt er Tósìn, um an uns ranzukommen.«

Hassan legt die Stirn in tiefe Falten. Ich blicke zwischen den beiden hin und her.

»Wer ist Tósìn?«, will ich wissen.

Niyì seufzt. »Das ist der Junge, den wir gesehen habe. Er ist ein Solari an der Akademie und besitzt die Fähigkeit, Erinnerungen und Träume zu manipulieren.«

»Na lie!«, protestiert Hassan entschieden. »Tósìn no dey enter dream.«

»Doch, das kann er«, beharrt Niyì, woraufhin Hassan leise durch die Zähne pfeift. »Dr. Dòyìnbó hat ihn dazu gebracht, es geheim zu halten.«

Meine leere Hand zittert noch heftiger. Ich balle sie zur Faust. »Soll das heißen, Dr. Dòyìnbó benutzt einen anderen Solari, um unsere Träume zu kapern?«

Niyì nickt. Ich schlucke schwer. Schlimm genug, dass Dr. Dòyìnbó uns Solari rücksichtslos hat sterben lassen, nur damit er die Macht über Nigeria übernehmen und seine verquere Vorstellung von der Zukunft umsetzen kann. Und jetzt dringt er auch noch in unsere Gedanken ein? Dabei sollten die doch der eine Ort sein, wo wir vor ihm sicher sind.

»Aber warum?«, keuche ich.

»Ich vermute, er will uns überzeugen, dass Nigeria ohne ihn dem Untergang geweiht ist«, erwidert Niyì. »Wenn er das mit uns macht, schleicht er sich garantiert auch in die Träume aller anderen an der Akademie.« Er tippt sich gegen die Schläfe. »Denkt mal darüber nach – er braucht die vollständige Kontrolle über die Solari, und nun, da wir sein Geheimnis kennen, läuft ihm die Zeit davon.«

Niyì verstummt abrupt und wendet den Blick ab, als würde er sich schämen. Er verbirgt etwas vor uns, das spüre ich.

»Woher weißt du von Tósìn und seiner Superkraft?«, frage ich leise.

Niyì sieht mich an. »Ich hatte früher schlimme Albträume … über Débọ̀.«

Ich runzle die Stirn. Als Niyìs eisige Superkraft sich zum ersten Mal bemerkbar gemacht hat, hat er sie versehentlich gegen seinen besten Freund eingesetzt. Dieser liegt seitdem im Koma. Aber was hat Débọ̀ mit alldem zu tun?

»Meine Träume wurden zu einer echten Belastung«, fährt Niyì fort. »Deshalb hat Dr. Dòyìnbó Tósìn gebeten, sie zu ändern.« Er knallt seine Tasse auf den Tresen. Kakao spritzt in alle Richtungen. »Es muss Tósìn sein! Das ist die einzige Erklärung.«

Ein Schaudern läuft durch Niyìs Körper, und er schlingt die Arme um sich, als versuche er, sich zusammenzuhalten. Vor ein paar Tagen habe ich ihn dabei erwischt, wie er uns bei einer Partie Ayo am Küchentisch beobachtet hat. Seine Augen folgten den Tonkügelchen, die in die Kuhlen des hölzernen Spielbretts fielen. Doch als ich ihn mit einer Handbewegung zum Mitspielen einlud, schüttelte er den Kopf.

Sein Gesichtsausdruck geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Es war eine Mischung aus Neid und Sehnsucht. Die meiste Zeit verbringt er allein in der Scheune, wo wir den Gyrofalken verstecken, den Überschalljet, mit dem wir Dr. Dòyìnbó und seinen Soldaten entkommen sind, als sie versucht haben, das Serum zu stehlen. Tante Naomi meint, Niyì brauche bloß etwas Zeit zum Umgewöhnen, aber ich bin mir da nicht so sicher. Es ist ein bisschen so, als hätten wir ihn verloren, als ihm sein Ike genommen wurde, und ich weiß nicht, wie wir ihn zurückkriegen. Seit Tante Naomi das Problem mit dem Serum behoben hat, ist es noch schlimmer. Ich will nicht noch mehr geliebte Menschen verlieren.

Ich würge den Gedanken sofort ab … Ich darf jetzt nicht darüber nachdenken, dass Dr. Dòyìnbó meine Eltern irgendwo gefangen hält. Ein bitterer Geschmack steigt in meiner Kehle auf, doch ich schlucke ihn runter. Ich darf auf keinen Fall die Kontrolle verlieren. Ich darf nicht riskieren, mein Ike zu benutzen, denn die Nebenwirkungen sind einfach zu krass. Vor allem bei mir, weil meine Superkraft so spät erwacht ist. Und weil ich mein Ike so oft eingesetzt habe, als ich noch nicht von den Gefahren wusste, ist die Krankheit bei mir schon zu weit fortgeschritten.

Tante Naomi hat mir schlichtweg verboten, mein Ike zu benutzen. Sie sagt, wenn ich das neue Serum nicht bald nehme, könnte es zu spät sein. Aber es fühlt sich irgendwie nicht richtig an, es mir verabreichen zu lassen, solange wir nicht wissen, wie wir Niyì seine Kräfte zurückgeben können. Immerhin hat er sie verloren, als er mich gerettet hat, das ist also das mindeste, was ich ihm schulde. Zugleich muss ich jedoch meine Eltern finden, und zwar bald. Und dafür werde ich mein Ike brauchen.

»Was glaubt ihr, wer da gegen wen Krieg geführt hat?«, fragt Niyì unvermittelt. »Die Nachbarin im Traum«, ergänzt er, als er mein ratloses Gesicht sieht. »Sie meinte, der Krieg sei verloren.«

Hassan zuckt mit den Schultern. »Maybe na village or city?«

Wir verfallen erneut in brütendes Schweigen, während wir uns den Kopf darüber zerbrechen, was das bedeuten könnte. Die Vorstellung, Nigeria könnte sich im Krieg befinden, vielleicht sogar in einer Art Bürgerkrieg, wie Hassan meint, fühlt sich durch und durch falsch an.

»Did Dr. Dòyìnbó talk wit you for dream?«, fragt Hassan nach einer Weile.

Niyì nickt, und ich stoße einen erleichterten Seufzer aus. Ich war also nicht die Einzige, mit der Dr. Dòyìnbó im Traum gesprochen hat.

»Er sagte, wir Solari müssten Nigeria dienen, aber ich hatte nicht das Gefühl, dass er mich damit direkt anspricht.« Niyì zuckt ebenfalls mit den Schultern, dann huschen seine Augen zu mir rüber. »Und du, Onyeka?«

»Ich auch nicht.«

Die Lüge schlüpft mir heraus, bevor ich sie daran hindern kann. Dr. Dòyìnbó hat meinen Namen gesagt. Ich weiß selbst nicht, warum ich die Wahrheit verschleiere, aber als ich sehe, wie sich Niyìs Miene entspannt, bin ich froh, dass ich es getan habe. Außerdem will ich nicht, dass sich die anderen Sorgen machen. Noch ist ja nicht klar, ob es überhaupt Grund zur Sorge gibt.

»You tink Ada dream am too?«, fragt Hassan.

Falls Adanna denselben Traum hatte, gibt es nur einen Weg, das herauszufinden. Wir drei wechseln einen nervösen Blick.

»No be me go wake am o«, raunt Hassan schließlich mit Nachdruck und weicht zurück. Er ist also schon mal raus.

Adanna ist kein Morgenmensch, und das letzte Mal, als Hassan versucht hat, sie zu wecken, hat sie ihren Wecker nach ihm geworfen.

Ich verdrehe die Augen. »Na schön, ich mach’s. Aber dann holt ihr Tante Naomi.«

Hassan nickt eifrig und hastet bereits los, bevor ich den Satz zu Ende gesprochen habe. So furchteinflößend ist Adanna nun auch wieder nicht.

Ich gehe in unser Zimmer zurück und wecke Adanna, die prompt ihren pinken Zweiten Blick nach mir wirft. Sie hat sich geweigert, die Brille zu entsorgen, aber sie hat sie so umgerüstet, dass niemand aus der Akademie sie aufspüren kann. Nach ein paar vergeblichen Anläufen und viel genervtem Stöhnen stemmt sich Adanna aus dem Bett hoch und folgt mir in den Wohnbereich. Tante Naomi ist bereits in der Küche zugange. Ihre zierlichen Zöpfe schwingen hin und her, während sie mit dem orangefarbenen Lasermesser in ihrer Hand Paprika schneidet. Der warme Duft von Akara weht mir entgegen, und mein Magen knurrt erwartungsvoll.

»Ich hoffe, es lohnt sich«, grummelt Adanna hinter mir. »Ich bin gerade erst wieder eingeschlafen.«

»Du hattest einen Albtraum, oder?«, fragt Niyì.

Adanna schnappt hörbar nach Luft, und als ich mich umdrehe, steht ihr Mund offen wie bei einem erschrockenen Fisch. Dann verengt sie die Augen zu Schlitzen.

»Woher weißt du das?«

Niyì erklärt es ihr und fügt hinzu: »Tante Naomi hatte keinen, ich liege also wohl richtig mit meiner Vermutung, dass Dr. Dòyìnbó es nur auf aktuelle Schülerinnen und Schüler abgesehen hat.«

»Aber wir sind nicht mehr in der Akademie«, werfe ich ein.

Adanna rückt ihren Zweiten Blick zurecht. »Vielleicht war das eine Warnung«, überlegt sie. »Dass er uns überall erreichen kann, egal wo wir sind.« Sie reißt entsetzt die Augen auf. »Vielleicht weiß er längst, wo wir uns aufhalten?«

»Das bezweifle ich«, sagt Tante Naomi. »Nach meinem Verständnis funktioniert Traum-Hacking nur durch Kontakt zu den jeweiligen synaptischen Signaturen.«

Damit erntet sie von uns bloß ratloses Schweigen. Wahrscheinlich ist Adanna die Einzige, die auch nur die geringste Ahnung hat, was meine Tante soeben gesagt hat.

Tante Naomi seufzt, und ihre verschiedenfarbigen Augen blitzen, als sie das Lasermesser weglegt. »Tósìn kann vermutlich die Beschaffenheit des Gehirns jeder Person, mit der er physischen Kontakt hat, auslesen. Mit diesen Informationen kann er von überall darauf zugreifen. Aber soweit ich weiß, geht das nur in eine Richtung, was bedeutet, dass er ziemlich sicher nicht in der Lage ist, den jeweiligen Aufenthaltsort zu empfangen. Die Tatsache, dass ihr alle denselben Traum hattet, deutet darauf hin, dass wir uns keine Sorgen machen müssen.«

Aber mein Traum war anders. Dr. Dòyìnbó hat sich direkt an mich gewandt. Trotzdem schweige ich. Ich bin so verunsichert, dass mir die Worte im Hals stecken bleiben.

»Für alle Fälle kann ich euch aber einen Trick beibringen, mit dem ihr eure Gedanken schützen könnt.« Tante Naomi häuft Akara auf einen Teller, bevor sie weiterspricht. »Den habe ich entwickelt, um Onyekas Vater abzublocken, als wir noch Kinder waren. Er hat nämlich ständig versucht, mir Streiche zu spielen. Unser Ike ist ein bisschen wie das von Tósìn. Es erlaubt uns, anderer Leute Gedanken zu manipulieren. Aber man kann sich davor schützen, wenn man die Anzeichen frühzeitig erkennt.«

»Wie geht das?«, fragt Niyì. Er will nach dem Teller mit den würzigen Bohnenkrapfen greifen.

Tante Naomi schlägt seine Hand weg. »In dem Moment, in dem ihr spürt, dass jemand in euer Gehirn vordringt, denkt ihr an ein bestimmtes Wort. Dann leert ihr euren Geist, bis nur noch dieses Wort übrig ist. Je fester ihr euch darauf konzentriert, desto stärker wird euer mentaler Abwehrschild.«

Das klingt fast wie die Fibonacci-Folge, die mein Vater mir beigebracht hat, und das sage ich auch. Mich auf diese Zahlenreihe zu konzentrieren, hat mir geholfen, meine Gefühle im Griff zu behalten.

»Das liegt daran, dass dein Vater mir die Idee geklaut hat.« Tante Naomi verzieht den Mund.

»Aber woher weiß ich überhaupt, dass jemand versucht, in mein Gehirn einzudringen?« So ganz komme ich immer noch nicht mit.

»Wenn du weißt, worauf du achten musst, erkennst du das Gefühl sofort. Es ist, als hättest du einen Fremdkörper im Hinterkopf, der in deinen Gedanken herumstochert. Ungefähr so …«

Tante Naomi bricht ab, richtet den Blick auf mich und verengt die Augen. Fast sofort macht sich ein ganz merkwürdiges Gefühl in meinem Kopf breit. Wie ein Finger, der suchend darin herumfuhrwerkt. Unangenehm.

»Oh«, entfährt es mir, als ich begreife.

»Errichte deinen Schild«, befiehlt Tante Naomi.

Kurz weiß ich nicht recht, was sie von mir will, aber dann fallen mir ihre Anweisungen wieder ein. Ein passendes Wort zu finden, ist leicht: Nchebe. Ich lasse es wachsen und mehr und mehr Raum in mir einnehmen, bis es alle anderen Gedanken verdrängt. Langsam zieht sich der Finger aus meinem Gehirn zurück. Ich lächle triumphierend.

»Gut gemacht«, lobt Tante Naomi mit einem angestrengten Lächeln. Ihr Ike zu verwenden, kostet sie so viel Kraft, dass sie danach stundenlang erschöpft ist. »Aber du solltest es trotzdem weiter üben.« Sie wendet sich an die anderen. »Das solltet ihr alle!«

Die Jungs nicken. Adanna schnappt sich ein Akara-Bällchen und pustet kräftig darauf. »Wenn auch nur die geringste Möglichkeit besteht, dass Dr. Dòyìnbó weiß, wo wir sind, sollten wir dann nicht lieber verschwinden?« Wir alle sehen sie an, während sie einen Bissen nimmt. »Was?«, fragt sie mit vollem Mund. »Das erscheint mir nur logisch.«

»Und wo sollen wir hin?«, entgegnet Niyì in ätzendem Tonfall. »Was würde dir da so logisch erscheinen?«

Adanna wirft ihm einen wütenden Blick zu, antwortet aber nicht. Kann sie auch nicht, denn es gibt keine sicheren Orte mehr. Nicht für uns.

Kapitel drei

»Vielleicht wird es Zeit, dass wir uns an die Räte wenden«, sagt Tante Naomi leise.

Hassan, der sich gerade den Teller mit Akara volllädt, runzelt die Stirn, und Niyì schnaubt bloß.

»Das haben wir doch alles schon durchgekaut«, erwidert er. »Bis wir einen Termin bei den Räten bekommen, hat Dr. Dòyìnbó garantiert längst davon erfahren und einen Weg gefunden, uns aufzuhalten.«

»Nicht, wenn die Abtrünnigen uns helfen.« Adanna wedelt nachdrücklich mit ihrer Gabel. »Wenn wir geschlossen auftreten, haben die Räte keine andere Wahl, als uns zu glauben.«

»Was, wenn mein Vater sich geirrt hat?«, flüstere ich. Die Vorstellung macht mir wirklich Sorgen. »Was, wenn Gbénga noch schlimmer ist als Dr. Dòyìnbó?« Seit Jahren hat niemand mehr von dem Anführer der Abtrünnigen gehört, nicht seit er damals die Akademie verlassen hat. In der Zwischenzeit hat Dr. Dòyìnbó sämtlichen Solari weisgemacht, dass es sich bei den Abtrünnigen um Verräter handelt.

»Und wie sollen wir die Abtrünnigen finden?«, ergänzt Niyì. »Jeden Tag hängst du eine gefühlte Ewigkeit vor diesem Tablet, das wir im Labor von Onyekas Vater gefunden haben, und wir sind immer noch keinen Schritt weiter.«

Adanna ist geradezu besessen davon, die beschädigten Daten auf dem Tablet, das mein Vater für mich in Lagos zurückgelassen hat, wiederherzustellen. Dadurch haben wir überhaupt erst von der Krankheit erfahren. Und wir haben auch entdeckt, dass mein Vater mit den Abtrünnigen und ihrem Anführer Gbénga in Kontakt stand.

Adanna durchbohrt Niyì mit einem mörderischen Blick. »Ich habe nicht vor, aufzugeben. Da sind Dr. Uduikes gesamte Forschungsunterlagen drauf. Ganz zu schweigen von seinen Nachrichten an Gbénga.«

Niyìs Blick steht ihrem in nichts nach. »Das alles nützt uns nur was, wenn du es auch findest.«

»Was kein Problem wäre, wenn ich mein Ike …«, setzt Adanna an. Sie unterbricht sich und schlägt die Hand vor den Mund. »Tut mir leid, ich wollte nicht …« Ihre Stimme versiegt zu einem hilflosen Tröpfeln.

Ohrenbetäubendes Schweigen erfüllt den Raum. Seit wir hier im Bauernhaus sind, haben wir es vermieden, über unser Ike zu sprechen, und versucht, es möglichst nicht anzuwenden. Nach dem, was Niyì widerfahren ist, fühlt es sich einfach falsch an, unsere Kräfte weiter zu benutzen.

»Wir waren uns einig, dass wir warten, bis Tante Naomi Niyìs Ike wiederhergestellt hat«, raune ich und sehe Adanna durchdringend an.

»Ist schon gut«, brummt Niyì. Er holt tief Luft. »Ich finde, wir sollten zur AOS zurück und die anderen Solari überzeugen, uns zu helfen, bevor es zu spät ist.«

»Es ist bereits zu spät«, murmelt Adanna, und wir drehen uns alle zu ihr um. »Ich war gestern im AkaNet.«

Niyì atmet geräuschvoll aus. »Du hast versprochen, die Finger davon zu lassen!«

»Ich weiß, aber nur so bekommen wir mit, was in der Akademie abgeht!«

»Was, wenn du erwischt wirst?«, hält Niyì dagegen. »Was, wenn Dr. Dòyìnbó uns dadurch hier findet?«

»Ich bin vorsichtig.«

Niyì funkelt sie wütend an, und Adanna starrt ebenso stur und unerbittlich zurück. Gleich knallt es wieder zwischen ihnen, das spüre ich.

»Wetin you find?«, erkundigt sich Hassan, um sie abzulenken, bevor sie sich richtig in die Wolle kriegen.

Adanna zögert kurz, bevor sie ihm antwortet. »Was ich rausgefunden habe? Dr. Dòyìnbó hat eine Bekanntmachung gepostet, dass wir Spione der Abtrünnigen seien. Er behauptet, wir hätten unsere Freunde, unsere Schule und unser Land verraten.«

Auf Niyìs Gesicht spiegelt sich blankes Entsetzen. »Was?«

»Ich schätze, er brauchte wohl irgendeine Erklärung für unser Verschwinden«, meint Tante Naomi.

»Ihr solltet mal die Kommentare unter seinem Post sehen«, brummt Adanna. »Für Ẹni und ihre Freunde ist das natürlich gefundenes Fressen.«

Der Schmerz in ihrer Stimme ist kaum zu überhören. Sie hat jahrelang darum gekämpft, an der AOS akzeptiert zu werden, nachdem ihre frühere Zimmernachbarin Ẹni überall rumerzählt hat, Adanna sei eine Spionin der Abtrünnigen. Wir dachten, ihr Sieg bei Ìdánwò, dem innerschulischen Turnier, würde helfen, doch nun hat Dr. Dòyìnbó Ẹnis erfundene Gerüchte ganz offiziell bestätigt. Schwer zu glauben, dass Ìdánwò gerade mal ein paar Wochen her ist. Damals kam es uns wie das wichtigste Ereignis überhaupt vor. Was würde ich nicht dafür geben, in diese Zeit zurückzukehren, als alles noch einfach und überschaubar erschien.

Wenn Dr. Dòyìnbó die Solari in Bezug auf uns belügt, dann belügt er wahrscheinlich auch die Räte. Jetzt wird uns garantiert niemand mehr glauben. Es fühlt sich an, als würden die Wände um uns herum immer näher rücken, während unsere Handlungsmöglichkeiten so schnell schwinden wie die Akara von unseren Tellern. Dr. Dòyìnbó ist zu mächtig. Und wir sind bloß ein paar Kinder.

Eine überwältigende Furcht steigt in mir hoch und rauscht wie eine Flutwelle durch meinen Körper. Ich erzittere förmlich unter der Wucht. Mit aller Macht versuche ich, das Gefühl zu unterdrücken, denn solche heftigen Emotionen sind gefährlich für mich. Doch zu spät. Das Grauen aus Dr. Dòyìnbós Vision mischt sich mit der Hoffnungslosigkeit unserer Situation und reißt auch die letzten Verteidigungswälle in mir ein.

»Das ist nicht fair«, keuche ich, während sich meine Augen mit Tränen füllen.

»Oh-oh«, warnt Adanna. »Sie verliert wieder die Kontrolle.«

»Wir sind keine Verräter«, schluchze ich.

Ich bin ein Vulkan, der aus einem viel zu langen Schlaf erwacht. Die emotionalen Lavaströme, die in mir gebrodelt haben, seit wir die Wahrheit über Dr. Dòyìnbó herausgefunden haben, quellen aus mir heraus.

Er hat gelogen, als er behauptet hat, er sei kein Solari.

Er hat uns hintergangen, um eine persönliche Armee aus Solari aufzustellen und die Macht über Nigeria an sich zu reißen.

Er hat Niyì sein Ike genommen.

Er hat meine Eltern entführt!

Mir wird alles zu viel. Ich weiß nicht, wie ich diese Last noch länger mit mir herumtragen soll. Nun brechen auch die letzten Dämme in mir, und mein Ike breitet sich ungehindert aus. Es bahnt sich einen schmerzhaft prickelnden Pfad über meine Kopfhaut und lässt eine meiner Haarsträhnen blitzartig hervorschnellen. Sie kracht gegen einen Küchenschrank und zertrümmert das massive Holz.

»Onyeka!« Adannas Tonfall ist eindringlich und übt eine verankernde Wirkung auf mich aus, die meine Kopfhaut pulsieren lässt. »Du musst dich beruhigen.«

Doch ihre Worte kommen gar nicht mehr richtig bei mir an. »Wir werden meine Eltern niemals finden.« Meine Stimme ist ein heiseres Jaulen, während meine Angst und mein Schmerz endgültig überhandnehmen.

Eine weitere Haarsträhne schießt vor und wirft den Kessel um. Heißes Wasser strömt heraus wie die Tränen über meine Wangen. Tante Naomi schnappt bestürzt nach Luft, während Hassan mich mit hilfloser Sorge beobachtet. Niyìs Gesicht ist ausdruckslos. Ich kann ihn in letzter Zeit überhaupt nicht mehr einschätzen.

Adanna beugt sich zu mir herüber. »Wir kriegen das hin, versprochen. Aber jetzt musst du dich ganz auf uns konzentrieren, damit wir dir helfen können, dich zu beruhigen.«

»Was sie braucht, ist das neue Serum«, knurrt Niyì. »Es hat keinen Sinn, noch länger zu warten.«

»Nein!«, keuche ich, als seine Worte durch meine Panik dringen. »Nicht, bevor wir dich wieder ganz gemacht haben.«

Ein getroffener Ausdruck huscht über Niyìs Gesicht, und er wendet den Blick ab. In dem Moment schwappt eine Woge der Übelkeit über mich hinweg, während sich gleichzeitig ein dröhnender Schmerz in meinem Kopf breitmacht. Ich krümme mich unter der Wucht zusammen. So schlimm war es noch nie. Trotzdem müssen wir mit dem Serum noch warten. Tante Naomi hat versprochen, weiter nach einer Lösung zu suchen, wie wir Niyìs Ike wiederherstellen können, aber ich finde, entweder sollten wir alle in der Lage sein, unser Ike einzusetzen, oder keiner. Alles andere wäre nicht fair.

»Konzentrier dich auf uns«, bemüht sich Adanna weiter. »Konzentrier dich auf unsere Verbindung.«

Sie nimmt meine Hand und drückt sie, aber das reicht nicht. Seit wir hier sind, ist meine Verbindung zu ihr und den anderen nicht mehr so stark, wie sie sein müsste, um mich zu verankern. Und vor lauter Schmerzen kann ich mich kaum noch darauf konzentrieren.

Hassan runzelt die Stirn. »E no dey work o.«

»Hassan hat recht, das funktioniert so nicht.« Niyì wendet sich zu Tante Naomi. »Sie braucht das Serum, und zwar schnell.«

Tante Naomi nickt und macht sich auf den Weg in ihr Labor. Ich weiß sofort, was sie vorhat. Ich weiß auch, dass Niyì recht hat und mir die Zeit davonläuft. Trotzdem fühlt es sich falsch an.

Es dauert nicht lange, und Tante Naomi kehrt mit einer Spritze in der Hand zurück. In der anderen hält sie vier Ampullen, die mit einer klaren Flüssigkeit gefüllt sind. Rasch zieht sie die Flüssigkeit aus einer Ampulle in die Spritze und kniet sich neben mich. Unsere Blicke treffen sich, und ich sehe das Flehen in ihren Augen, die stumme Bitte um Verständnis … um Zustimmung. Ich drehe mich zu Niyì um, doch sein Gesicht ist genauso ausdruckslos wie zuvor.

Schließlich nicke ich. Adanna hält meinen Arm fest, während Tante Naomi die Spritze hineindrückt. Anfangs spüre ich nur einen festen Druck, dann steigt eine glühende Kälte meinen Arm hinauf. So schnell, wie das eisige Brennen durch meinen Körper schießt, lassen der Schmerz und die Übelkeit nach. Ich kann regelrecht fühlen, wie das Serum sie vertreibt. Meine Haare beruhigen sich, aber unter meiner Haut brodelt noch immer die pure Kraft meines Ike.

»Ich habe keine Schmerzen mehr«, flüstere ich.

»Das ist ein gutes Zeichen«, antwortet Tante Naomi. »Kannst du mal probieren, dein Ike zu benutzen?«

Es fällt mir nicht ganz leicht, ein Gefühl zu finden, das ich in mein Ike fließen lassen kann. Wo unbändige Freude sein sollte, rumort stattdessen ein schlechtes Gewissen wegen Niyì in mir.

Weil mir nichts anderes übrigbleibt, greife ich widerstrebend darauf zurück. Augenblicklich richten sich meine Haare wieder auf. Adanna und Tante Naomi treten einen Schritt zurück, während meine Haare um meinen Kopf herum einen regelrechten Freudentanz aufführen. Das schmerzhafte Prickeln ist nicht mehr da, und auch nicht die vertraute Übelkeit. Ehe ich es verhindern kann, entfährt mir ein kleines Lachen.

Tante Naomis Lippen kräuseln sich zu einem erleichterten Lächeln. »Ich muss noch ein paar zusätzliche Tests durchführen, aber ich bin mir ziemlich sicher, dass das Serum wie erwartet wirkt.«

»So, na our turn?« Hassan will jetzt auch.

Tante Naomi wirft Niyì einen Blick zu. Seine Miene ist angespannt, als versuche er krampfhaft, seine wahren Gefühle zu verbergen. Es tut mir in der Seele weh, ihn so zu sehen.

»Wenn wir Dr. Dòyìnbó das Handwerk legen wollen, müssen wir gewappnet sein«, brummt Niyì. »Wir können nicht länger warten.«

Diesmal widerspricht niemand. Kurz darauf strömt der Inhalt der verbliebenen drei Ampullen durch Hassans, Adannas und Tante Naomis Körper. Einen Moment lang tut sich nichts, dann streckt Hassan die Hand aus, und ein gelbes Energiefeld schießt daraus hervor.

»Ich fühle mich fantastisch«, schwärmt er und verzichtet dabei sogar auf sein gewohntes Pidgin.