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Jahre nach der überstandenen Zombieapokalypse entdecken Aufräumtrupps unglaubliches: handschriftliche Notizen, Tagebücher, Zeitzeugenberichte! Die Forscher können ihr Glück kaum fassen, denn niemand will sich an diese Zeit erinnern. Beim näheren Betrachten der Fundstücke wird schnell klar, dass es Berichte über den härtesten Winter aller Zeiten sind. Die Hälfte der Überlebenden, die die Zombies nicht umgebracht hatten, sind in diesem Zeitraum gestorben. Diese Epoche wird auch als „Acht Wochen Dunkelheit“ bezeichnet. Und das sind die einzigen Aufzeichnungen darüber. *präsentiert von Chefzombieistin Juliane Schiesel
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Seitenzahl: 372
ACHT
WOCHEN
DUNKELHEIT
Hrsg. Juliane Schiesel
1. Auflage, 2022
© Alea Libris Verlag, Wengenäckerstr. 11, 72827 Wannweil
Alle Rechte vorbehalten
Alle Rechte vorbehaltenLektorat: Juliane Schiesel
Cover: Viktoria Lubomski
Grafiken: Adobe Stock @rashadaliyev @korrakot sittivash @ Roi_and_RoiISBN: 9783945814956
Druck: CPI Ebner & Spiegel GmbH
Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.
Die Personen und die Handlung des Buches sind frei erfunden. Etwaige Ähnlichkeiten mit tatsächlichen Begebenheiten oder lebenden oder verstorbenen Personen wären rein zufällig.
Wenn es riecht wie ein Zombie, spricht wie ein Zombie und auf zugeworfene Kekse sowie Koffein nicht angemessen reagiert — dann ist es wohl ein Zombie.
Anmerkung der Verlegerin
Inhalt
1. Anne Zandt- Kontrolle 8
2. Gina Grimpo - Neuanfang? 28
3. Michelle Friedrich - Verräter51
4. Anke Schlachter - Munitionslos69
5. Luna Day - Krank89
6. Jasmin Heinemann - (Un)menschlichkeit 118
7. Monika Grasl - Gräber 142
8. Inga Nowag - Absturz 163
9. Martin Schierlinger - Verzombifizierung183
10. Saskia Dreßler - Schuld 201
11. EliseGlyndower - Luisa 224
12. LyxaKnaulspitz - Monster 247
Jahre nach der überstandenen Zombieapokalypse findet ein Aufräumtrupp ein in Folie gewickeltes Buch. Ein Zeitzeugenbericht einer Überlebenden-Kolonie! Die Forscher können ihr Glück kaum fassen, schließlich gibt es nicht viele Menschen, die gerne aus dieser Zeit erzählen. Beim näheren Betrachten des Buches wird ihnen schnell klar, dass es Berichte über den härtesten Winter aller Zeiten sind. Die Hälfte der Überlebenden, die die Zombies nicht umgebracht hatten, sind in diesem Zeitraum gestorben.
Diese Epoche wird auch als »Acht Wochen Dunkelheit« bezeichnet.
Im Folgenden sind Auszüge aus gefundenen Tagebüchern zu finden. Einer der Berichterstatter heißt Johannes. Es ist nicht bekannt, ob er überlebt hat.
23.12. – Fuck off! Alles am Arsch!
»Das Wetter spielt uns übel mit. Mir war nicht bewusst, dass Ende Dezember derart viel Schnee fallen kann. Zusammen mit den verfickten Untoten, die hinter jeder Ecke lauern ist das eine gefährliche Kombination. Wir alle sind am Ende unserer Kräfte. Jeder von uns hat daran gedacht, einfach aufzugeben. Auch ich, selbst wenn ich es vor den anderen nicht zugeben würde. Aber was kann ein Mensch alles ertragen? Was können wir noch ertragen? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich jeden verdammten Morgen wieder aufstehe und den Anderen Hoffnung mache, selbst wenn ich keine mehr habe. Es geht weiter. Irgendwie. Selbst als Untoter, oder?«
– Johannes, Statuts unbekannt
Woche 1: Kontrolle
- Anne Zandt
1. Januar
Ich habe früher nie Tagebuch geführt und verstehe auch heute noch nicht, was daran so toll sein soll, Gedanken auf Papier zu bringen, die man den besten Freunden erzählt. Oder sogar Geheimnisse aufzuschreiben, die niemand erfahren sollte und sie damit doch für alle zugänglich zu machen. Dementsprechend skeptisch bin ich dem Vorschlag gegenüber, genau das zu tun. Seit zwei Wochen ist alles da draußen im Schnee versunken. Die meiste Zeit versteckt sich die Sonne hinter dicken Wolken, gerade hell genug, um tagsüber keine Kerzen, Fackeln oder Taschenlampen nutzen zu müssen. Da das Wetter aufs Gemüt drückt und damit die Stimmung in unserer Kolonie nicht kippt, hat Franziska in der Runde vorgeschlagen, dass wir unsere Gedanken und vor allem Ängste aufschreiben, um sie besser verarbeiten zu können. Ich halte es für Zeit- und Ressourcenverschwendung, aber ich werde ihr den Gefallen tun. Zumindest insofern, als dass ich in erster Linie über das Leben in unserer Kolonie berichten werde. Für den Fall, dass eines Tages jemand unsere Überreste findet und sich fragt, wer wir gewesen sind.
Vermutlich sollte ich dafür von Vorn beginnen ...
Mein Name ist Natascha. Ich bin siebenundzwanzig Jahre alt und machte gerade meine Ausbildung zur Köchin, als die Zombies kamen. Meine Chefin war nicht nur Meisterin ihres Fachs, sondern auch eine ausgezeichnete Anführerin. Da wir lange Zeit nicht wussten, wodurch man sich tatsächlich ansteckt, blieben wir im Hintergrund und kümmerten uns um jene, die Schutz brauchten. Zunächst hielten wir das Geschäft offen, ohne Bezahlung, einfach nur um den Menschen Nahrung zu geben, doch als die Ausgangssperren und Abriegelungen begannen, entschied Sabine, dass wir uns näher an die Essensquellen begeben sollten. In kürzester Zeit war eine kleine Schar Überlebender um uns versammelt, die mit uns in ein nahegelegenes Dorf zogen. Dort richteten wir uns in verschiedenen Bauernhäusern und Wohnungen in Plattenbauten ein, die entweder leer standen oder Zimmer frei hatten. Die meisten Dorfbewohner waren dankbar, jemanden an ihrer Seite zu wissen, der sie durch diese ungewisse Zeit leiten konnte. Jene, die nicht an den Ausbruch glaubten, gingen weiter ihrer täglichen Routine nach, hielten uns aber nicht auf. Der Teil von ihnen, der in den Städten arbeitete, fuhr hin, nur um eines Tages nicht mehr zurückzukehren. Wie wir von Leuten erfuhren, die später zu uns stießen, waren auch andere auf die Idee gekommen, aus den verseuchten Städten zu fliehen. Doch viele waren nicht so erfolgreich gewesen wie wir. In unserem Dorf gibt es einen Stall und eine Schlachtanlage sowie Felder. Wir mussten nur anpacken und alles verarbeiten. Sabine bildete mich sowie die anderen Lehrlinge und Köche darin aus, wie wir die Anwesenden mit minimalistischem und doch nahrhaftem Essen versorgen konnten. Uns allen zeigte sie ihre restlichen Überlebenstricks, wobei die älteren Dorfbewohner ebenfalls einiges auf Lager hatten. Und auch der Förster Vincent, der dem Restaurant früher Wild brachte, war nun ein Verbündeter, der uns mit Platzpatronen das Schießen beibrachte. Denn ein gezielter Schuss konnte nicht nur eine frische Mahlzeit, sondern auch ein längeres Leben bedeuten, wenn auf der anderen Seite der Waffe ein Zombie stand.
So verbrachten wir die ersten Monate nach dem Ausbruch damit, unsere Versorgung aufrecht zu erhalten, während in den Städten ein regelrechter Krieg tobte. Das Strom- und Telefonnetz fielen den Veränderungen als erstes zum Opfer, was uns die Kommunikation mit anderen mehr und mehr erschwerte. Dadurch gab es für uns auch keine Informationen, ob und wann die ersten Zombies uns erreichen würden. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis auch unsere kleine Oase in Chaos verfallen würde.
Als die Kolonie sich etabliert hatte und eigenständig leben konnte, übergab Sabine mir nicht nur eines ihrer besten Messer, sondern auch die Leitung. Mit einigen anderen zog sie weiter, um neue Kolonien zu gründen und aufrecht zu erhalten.
Seitdem ist einige Zeit ins Land gegangen. Aus den wenigen Radiosendungen, die hin und wieder noch liefen, erfuhren wir, dass die großen Städte nahezu ausgelöscht worden waren. So viele Menschenleben verloren, dass ich es mir gar nicht vorstellen kann – und es die meiste Zeit gar nicht versuche. Nach Sabines Aufbruch ließen wir verstärkt Wachen in der Nacht patrouillieren. Unser erstes Opfer wurde dabei in der Dunkelheit von den Untoten überrascht. Mit den Gewehren des Försters eingedeckt, konnten wir die Gefahr schnell bannen, aber die Zombies hatten uns erreicht und das führte uns vor Augen, dass wir auch hier draußen nicht verschont blieben. Besonders jetzt, da die kalte Winterluft unseren Geruch und unsere Wärme zu sehr nach Außen trägt. Laut Vincent ermöglichte das den Zombies uns leichter aufzuspüren, sobald sie in unsere Richtung liefen.
Das ist meine Geschichte und vermutlich ist es das Einzige, was in dieses »Tagebuch« geschrieben wird. Ich habe bessere Dinge zu tun.
3. Januar
Nach einem Gespräch mit Franziska nehme ich dieses unsinnige Buch doch noch einmal in die Hand. Da wir Dank des Schnees festsitzen und kaum unsere eigenen Vorratskammern erreichen können, war ich die letzten Tage entsprechend mürrisch. Als Rat bekam ich die Empfehlung diesen Frust in Worte zu fassen, anstatt ihn an den anderen auszulassen. Ich verstehe, was sie damit bezweckt, denke aber nicht, dass es funktionieren wird. Mein einziger Trost ist, dass zumindest das Fleisch von der letzten Schlachtung nicht anfangen würde zu schimmeln. Immerhin ist es kalt genug, um alles auch ohne Strom wie in einem Kühlschrank zu lagern. Wie es den Tieren in den Stallungen geht, kann ich nicht genau sagen. Es ist die Aufgabe von jenen, die ihre Behausung direkt darüber bezogen haben sie zu füttern und nur nachts bekommen wir über Morsecode von Haus zu Haus ein knappes Update. Das Vieh zu verlieren wäre ein harter Schlag. Niemand von uns weiß, wie viel Mastvieh noch da draußen außerhalb unseres Dorfes herumläuft, wenn es nicht bereits ohne Futter und Freiheit verendet ist. Aber wenn der Winter überall so heftig ist wie hier, wird es danach definitiv noch weniger sein. Abgesehen davon, dass die Nahrungsmittel, die wir hier im Haupthaus lagern, immer knapper werden, steht es auch um unsere Wasservorräte nicht sonderlich gut.
Ein kleiner Exkurs:
Schon zu Beginn unserer Kolonie trafen wir für unsere Wasserversorgung Vorkehrungen. Einige der Dorfbewohner besaßen Brunnen und für eine Weile funktionierte auch noch das Wassernetz. Zumindest bis die Radiosender Gefahrenmeldungen weitergaben, dass das Trinken von verseuchtem Wasser auch zur Ansteckung führte. Auf dem Dach unseres Plattenbaus schufen wir eine Konstruktion zum Regenfang, die uns selbst im heißen Sommer gute Dienste geleistet hatte. Doch all diese Wege sind uns zurzeit ebenfalls versperrt.
Matthias und Ulrike arbeiten seit einigen Tagen daran, die Filtermaschine, für die Schneemassen umzurüsten. Das würde zumindest das anstehende Frischwasserproblem lösen. Schließlich war der Schnee seit zwei Wochen nicht unter die Metergrenze geschmolzen. Die Pausen zwischen den Schneeschauern zu gering, als dass er bis dahin abtaute. Und es würde anscheinend noch eine Weile so bleiben, wenn Vincents Vermutung stimmte. Er meinte bei unserer letzten Gruppensitzung, dass die Nächte zu klar und kalt waren, als das bald Besserung kommen würde. Diejenigen, die sich gerne körperlich ertüchtigen, werden zum Schneedienst eingeteilt. Einerseits versuchen sie eine Schneise zu unseren Lager- und Wohnhäusern zu schaffen und die Dächer von ihrer Last zu befreien. Andererseits erschweren die hohen Wehen den Zombies das Klettern, aber zu fest dürfen sie nicht sein, da sie es sonst erleichtern. Durch die Kälte bildet sich allerdings eine Eisschicht auf dem Schnee, die wir vom Boden abheben und zum Kochen und Trinken nutzen können.
Jedes Mal, wenn ich eine Platte abbreche, erinnere ich mich, wie ich als Kind mit dem Schlitten versucht habe, durch solchen Schnee zu fahren. Es war sehr unangenehm, aber es gab immer Eisplatten zum Lutschen. Auch jetzt sehe ich gelegentlich jemanden genau das tun, damit sie zumindest etwas Flüssigkeit zu sich nehmen. Die Erinnerung fühlt sich weit entfernt und fremd an. Als ob es jemand anderem in einem anderen Leben passiert ist und nicht mir. Generell ist das mit vielem so, was aus der Zeit davor stammt. André hat uns zum Beispiel gestern Abend erzählt, wie er in seiner Kindheit auf einem Fluss spazieren ging, dessen Eisfläche so dick war, dass sie selbst Autos trug. Matthias ergänzte, dass es in einigen Orten dann Feste gegeben hatte. Mitten auf dem Fluss und selbst mit Feuerstellen und Verkaufsbuden! Ich frage mich, ob der Flussmarkt in diesem Winter veranstaltet worden wäre, wenn die Zombies nicht alles verändert hätten. Es ist ein schöner Gedanke an bessere Zeiten. Vielleicht werde ich heute Nacht davon träumen.
4. Januar
Ich habe nicht von Eisflüssen geträumt, wenn doch, dann kann ich mich nicht daran erinnern. Nicht nur konnte ich durch die Kälte schlecht einschlafen, nein, wir wurden auch mitten in der Nacht aus dem Schlaf gerissen. Erst durch das hektische Muhen der Herde, dann das Knallen einer Schusswaffe. Da es keine Hilferufe gab, blieben wir von der Tagschicht in unseren Schlafküchen. Ich hasse es, auf diese Weise aufzuwachen. Jedes Mal geht mir der Schreck durch Mark und Bein. Die Angst, dass dies das letzte Mal ist, dass ich aufwache. An einschlafen war nicht mehr zu denken und doch holte mich die eigene Erschöpfung irgendwann für ein paar Stunden ein.
Nach dem Aufstehen erfuhren wir, dass eine kleine Gruppe Zombies ihren Weg hierher gefunden hatte. Vielleicht wurden sie von unserer Wärme angelockt oder vom Fleisch, das in den umliegenden Häusern lagert. Zum Glück fielen sie zwischen den aufgeschichteten Schneebänken in die Tiefe. Ihr Stöhnen hatte die Nachtwächter alarmiert und noch bevor sie sich aus dem Schnee rausgegraben hatten oder wieder daran hochklettern konnten, hatte Vincent sie bereits erledigt.
Als ich Stunden später meinen Dienst in der Küche antrat, bedeckte bereits eine neue Schicht weißer Flocken ihre Körper. In der morgendlichen Runde beschlossen wir, den Schnee von der Seite, in der die Zombies lagen, nicht zum Kochen und Trinken zu nehmen. Wir erinnerten uns alle noch zu gut an die Berichte von verseuchtem Wasser, um dagegen zu argumentieren. Umso wichtiger ist es, dass wir die Filtermaschine in Gang bekommen und auch die Wege zum Hintereingang aufbereiteten. Zumindest in der Hoffnung, dass sie sich beim nächsten Mal nicht von dieser Seite nähern. Steven schlug vor, ein paar Fallen aufzustellen, so wie er es in alten Filmen gesehen hatte. Ein Loch ausheben, den Boden mit Spießen bedecken und dann eine Schicht Äste und Schnee darüber, um es zu verdecken. Die meisten hielten es für eine gute Idee, um weniger Munition zu verbrauchen. Doch es kamen auch einige Zweifel auf, ob Steven sie so herstellen konnte, dass nicht er selbst sich verletzte oder sie sich nicht auslösen ließen. Seine momentane Idee für Spieße ist, einen der Gartenzäune auszubuddeln und diesen anzuspitzen. Es klingt simpel, aber abgesehen davon, dass alles unter mindestens einem Meter oder mehr Schnee liegt, ist Steven nicht gerade der Beste darin, wenn es darum geht, Pläne auch durchzuführen. Alles richtig aufgebaut, könnte es eine gute Falle sein. Ich bin gespannt, was daraus wird.
Generell ist Steven sehr unvorsichtig. Heute Vormittag wurde er mit Johannes dafür eingeteilt, alte Kisten und anderes Material zu zerkleinern und zusammenzutragen, damit wir das Feuer tagsüber leicht lodern und nachts anheizen können, um nicht vollkommen zu erfrieren. Als die Temperaturen immer weiter sanken, stellten wir in den Räumen, in denen sich die meisten Leute aufhielten, kleine Feuerschalen aus metallenen Papierkörben auf. Für unsere Nachtlager behelfen wir uns mit den Öfen in den Küchen, die mit einigen Kniffen für die Verwendung von Holz umfunktioniert wurden, denn die Elektrizität hatten wir noch nicht wieder in Gang bekommen. Im Keller versucht André seit Wochen, den Boiler für das Heizsystem über Holz zu starten. Aber ich schweife ab ...
Um das Geschehene zu verstehen, muss ich etwas weiter ausholen. Steven war Mitarbeiter auf einem der Höfe, die zu unserer Kolonie gehören und somit mit für die Tiere und Felder zuständig. Aufgrund seiner Arbeit ist er entsprechend muskulös gebaut und erwartet, dass seine männliche Männlichkeit die anwesenden Frauen für ihn begeistert. Tut sie nicht, aber er versucht es dennoch bei jeder Gelegenheit. Zumindest so lange, bis man ihm eindeutig klarmacht, dass kein Interesse besteht. Zum Beispiel mit einem Hackebeil an der Kehle. Ich kann mich noch immer an seinen Gesichtsausdruck erinnern, als ich diese Variante verwendete und jetzt nur diesen Satz aufzuschreiben, lässt mich grinsen. Stevens Versuch mich freundschaftlich zu umarmen, während ich gerade das Mittag zubereitete, eine Hand auf dem Tisch, die andere an meiner Hüfte, war einfach eine perfekte Gelegenheit, ihn in seine Schranken zu weisen. Seitdem lässt er mich in Ruhe und hin und wieder sehe ich einen Schimmer der Angst in seinen Augen. Ein sehr zufriedenstellendes Gefühl.
Michelle ist allerdings diejenige, die am meisten davon abbekommt. Sie hatte damals ihre Eltern im Dorf besucht und ist mittlerweile eine große Hilfe in der Küche für mich. Doch sie schafft es einfach nicht, Steven ihre Meinung zu geigen. Auch wenn Franziska und ich ihr deswegen regelmäßig in den Ohren liegen. Für jede Situation, von der sie uns erzählt, geben wir ihr Tipps, was sie hätte anders machen sollen. Doch bisher trägt all unser Mut Machen und Beistehen nicht die Früchte, die wir uns erwünschen. Und da sind wir auch schon beim nächsten Akt des Dramas, denn Michelle hat schon seit einiger Zeit nur noch Augen für Franziska. Sie ist unsere kompetente Ärztin – oder zumindest Assistenzärztin, da sie ihre Ausbildung nie beenden konnte. (Ja, sie ist es auch, die uns das Tagebuchschreiben auf empfohlen hat.) Ein paar von uns haben vor einer Weile Wetten abgeschlossen, wann Steven bemerken würde, dass seine Avancen chancenlos sind.
Jedenfalls scheint Steven immer angepisster, dass Michelle ihn ignoriert, denn ihre kalte Schulter akzeptierte er nicht, und versucht es wieder und wieder. Das Verhalten an sich ist schon schlimm genug, und dafür musste er sich schon einige Rügen anhören, geholfen hat bisher nichts davon. Gelegentlich denke ich mir, ich sollte ihm noch einmal mit meinem Beil bekanntmachen, aber dann erinnere ich mich an Michelles Bitte, dass wir uns raushalten sollen. Auch wenn ich das für die schlechteste Idee seit der Erfindung unsinniger Schneidegeräte halte. Wer braucht schon einen Bananenschneider, wenn er ein gutes, scharfes Messer hat?
Jedenfalls nutzte Steven seine Aufgabe, um Michelle zu demonstrieren, was sie verpasst. Marode Holzbalken mit den bloßen Händen zerteilen, fanden alle Beobachter allerdings eher peinlich als beeindruckend. Franziska nannte ihn einen Trottel und wies ihn im ernsten Ton darauf hin, dass wir unsere Antibiotika für wichtige Verletzungen brauchen, wenn er also aufgrund eines Splitters an einer Blutvergiftung sterben wollte, solle er nur so weitermachen. Niedergeschlagen riss er sich für den Moment zusammen, was vermutlich auch am spöttischen Gelächter seiner Angebeteten gelegen haben könnte.
Es ist interessant, wie in jenem Moment meine einzige Sorge war, dass er noch immer nicht begriffen hat, dass Michelle nichts von ihm will. Nun ja, Sorge ist das falsche Wort, aber es scheint passend. Wie trivial manche Gedanken sind, sobald man sich mit der aussichtslosen Situation abgefunden hat, ist immer wieder faszinierend. Franziska könnte bestimmt einen ganzen Vortrag darüber halten.
Fakt ist: Die Zombies sind gekommen, die Welt hat sich verändert und doch klammern wir uns an die Momente der Normalität, die uns begegnen.
5. Januar
Nach zwei Tagen muss ich zugeben: Ich hielt es für Humbug und habe mich dagegen gewehrt, aber es tut gut, meine Gedanken zu Papier zu bringen. Franziskas größte Angst und der Grund, warum sie uns alle dazu gebracht hat zu schreiben, ist, dass uns die Gedanken nicht loslassen und uns stattdessen innerlich zerfressen. In unserer jetzigen Situation kann das für mehr Schaden sorgen als man glaubt, da wir den aufgestauten Frust oder die verborgenen Ängste an anderen auslassen, die überhaupt keine Schuld dafür tragen. Kommunikation ist unsere wichtigste Überlebensstrategie, doch manchmal muss man die Dinge erst mit sich selbst klären, bevor man sie unbedacht einem anderen an den Kopf wirft. Während wir kochten, diskutierten Franziska und ich lang und breit genau darüber und ich verstehe ihren Punkt jetzt besser. Sie erzählte mir von Experimenten mit Gefängnisinsassen und deren Verhalten. Wie schlechte Laune zu Missgunst und Misstrauen führen können, was wiederum für Streitigkeiten sorgt, die auch physische Auswirkungen haben können. Es dauerte eine Weile, bis ich mir eingestehen wollte, dass unsere Situation mit einem Gefängnis vergleichbar ist, aber sie konnte mich letztendlich überzeugen. Die Theorien und Erkenntnisse aufzuschreiben, fehlt mir allerdings die Zeit, vermutlich übernimmt Franziska das in ihrem eigenen Tagebuch sowieso. Eine Dopplung der Information wäre daher unnötig.
Mein Drang, Steven mit dem Hackebeil zu bewerfen, hat sich etwas gesenkt. Über sein Verhalten zu schreiben hat mir bewusstgemacht, dass es nicht meine Entscheidung ist, wie Michelle mit ihm umgeht. Ich hoffe nur, dass sie, sollte sie eines Tages wirklich unsere Hilfe wollen, sich nicht zurückhalten wird. Das Schreiben hilft mir, nicht nur meine Gedanken zu sortieren. Bevor ich anfing, das Geschehene zu notieren, waren die Erinnerungen in mir. Ich trug sie mit mir, was auch immer ich tat. Einige davon erdrückend, andere sorgten für ein Lächeln, wann immer ich an sie dachte. Ich weiß, man liest es nicht raus, aber ich vermisse Sabine. Ihre Führung und ihr Beistand haben mich zu dem Menschen gemacht, der ich heute bin. Ohne sie hätte ich Steven nie in seine Schranken weisen können, hätte genauso wie Michelle seine Anmachsprüche einfach ertragen. Aber ich bin über mich hinausgewachsen und das verdanke ich nur ihr. Wenn alles zu viel wird, frage ich mich, was sie tun würde und versuche entsprechend zu handeln. Doch viel zu oft wünsche ich sie mir zurück an meine Seite, damit ich die Verantwortung abgeben und Anweisungen folgen kann, anstatt sie zu geben. Ein Teil von mir ist stolz darauf, dass sie mich ausgewählt hat, um diese Kolonie zu übernehmen, der andere, kindlichere Teil sehnt sich nach einer Freundin, die weiß, wo es langgeht, anstatt selbst im Dunkeln zu tappen. Ich hoffe, es geht ihr gut, wo auch immer sie gerade ist.
Mit der Sonne hinter dicken Schneewolken und der immerwährenden Dunkelheit, die nur durch Kerzen und Feuerstellen gebrochen wird, ist es schwer, nicht den Mut zu verlieren. Johannes ist zum Clown unserer Kolonie geworden. Jeden Morgen begrüßt er die Frühstücksrunde mit einem albernen Witz, über den niemand lacht, den wir aber dennoch alle den Tag über mit uns tragen, um weiterzumachen. Heute erzählte er uns zum Beispiel von einem Schmollkornbrot und ich bekomme das Bild eines depressiven Brotes nicht aus meinem Kopf. Beim nächsten Backen werde ich ein trauriges Smiley auf eines der Brote malen, einfach nur zum Spaß.
Eines ist jedoch klar: Wenn wir aufgeben, wird es bald niemanden mehr geben, der noch von der Zeit vor den Zombies berichten kann. Wie es war, wenn der Winterdienst plötzlich feststellte, dass im Winter Schnee fiel. Wie die Streamingdienste unsäglich kitschige Weihnachtsfilme rausbrachten, die zwar keiner wollte, aber doch alle ansahen, um mitreden zu können. An einige Filme, die wir uns jedes Jahr wieder angeschaut haben, erinnere ich mich noch. Den Drei Haselnüssen für Aschenbrödel konnte kaum jemand entkommen. Ich bevorzugte jedoch eher den Grinch und andere humorvolle Weihnachtsfilme. Und so viele andere Dinge wie Weihnachtsmärkte, Busfahren und vieles mehr, die für uns alltäglich waren und nun einfach nicht mehr da sind. Manchmal frage ich mich, ob wir je wieder dahin zurückkehren können. Schließlich wurden wir alle aus unserem Leben gerissen ohne Aussicht auf Besserung.
Sollten wir je alle Zombies ausgerottet haben und unser gewohntes Leben neu starten können, wird das Hauptaugenmerk sicherlich in erster Linie auf der Wiederherstellung der Infrastrukturen liegen. Bis Unterhaltungsmedien an der Reihe sind, wird es entsprechend lange dauern. Aber vielleicht gibt es auch hier wieder die kreativen Leute, die nicht warten wollen und sich sonst nicht beteiligen können, weil ihnen das notwendige Fachwissen fehlt. Oder weil sie unterhalten und den Leuten einen Zufluchtsort aus ihrer Realität geben wollen. Für Filme müssen wir vermutlich zunächst Hollywood von Grund auf neu aufbauen. Hm, ob die Macher von Zombiefilmen je über den Winter nachgedacht haben? Michelle erzählte mir neulich, dass sie damals einen Roman gelesen hatte, in dem die Zombies im Winter träge wurden. Unsere werden es leider nicht. Mit der gleichen Macht wie im Sommer jagen sie uns, wenn sie sich ins Dorf verirren. Das Einzige, dass sie etwas aufhält, ist das sie wie wir im hohen Schnee versinken und uns damit mehr Zeit geben, sie mit wenigen Schüssen zu erledigen. Zumindest, solange keiner von ihnen einen Weg findet, uns zu überraschen.
Ob die Utopie ein Revival bekommt und es weiterhin Dystopien geben wird? Schließlich leben wir mittlerweile in einer und soweit ich weiß, hatte niemand es korrekt eingeschätzt. Aber vielleicht finden wir mit einem Neustart der Zivilisation auch neue Wege, um sie wieder zu zerstören, was wiederum neuen Stoff für Weltuntergangsszenarios bieten würde. Aber das führt zu weit, das ist noch ferne Zukunft, damit möchte ich mich nicht befassen.
Da dies für mich mehr Bericht zum Festhalten von Informationen als Tagebuch ist, möchte ich an dieser Stelle erklären, wie wir überhaupt noch wissen, welcher Tag heute ist. Schon bevor wir anfingen, die Kalender als Anzünder zu verwenden, schuf Sabine einen eigenen Kalender für den sie eine der leeren, nicht gekachelten Küchenwände auserkor. Mit einem Messer ritzte sie den ersten Monat in die Wand, beginnend an dem Tag, an dem wir die Küche vollends übernommen haben. Seitdem folgten weitere, immer wenn die Sonne aufgeht und die Tagesschicht ihren Dienst antritt. Heute setzte ich den Ritz in die Wand. Auch das ist ein kleiner Moment Normalität, obwohl wir anstatt dafür ein Blatt abzureißen oder ein Kästchen zu verschieben, eben mit einem scharfen Messer hantierten, um das Verstreichen der Zeit festzuhalten.
Die Tagebücher helfen ebenfalls, zumindest die, die wie ich das Datum mit notieren. Allerdings kann ich nicht sagen, wie lange das Papier und die Stifte halten werden. Einer meiner Gründe nicht früher damit anzufangen, war, dass es einen besseren Nutzen hat die kalten Räume zu heizen, als Erinnerungen darauf festzuhalten. Vor ein paar Tagen diskutierten wir genau dazu, bis wir uns einigten, dass wir einen Bericht nicht verbrennen würden, um unsere Geschichte für die Nachwelt zu erhalten. Falls überhaupt irgendjemand diesen Winter und die Zombies überlebt und nach uns sucht.
Einerseits wollen wir alle, dass es vorbei ist, andererseits sollen wir aber auch nicht vergessen werden. Denn nur wer vergessen wird, starb für immer, so hieß es früher. Nun, da der Tod nicht das Ende ist, wer kann da wirklich an ein danach denken?
Wer weiß schon, ob meine Zeilen überleben werden und nicht morgen schon ihren Weg in die Flammen finden.
10. Januar
Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll. Die Gedanken in meinem Kopf sind wie ein heillos verheddertes Wollknäul. Alles, was ich bisher für gut und richtig hielt, wirkt wie eine Farce in Anbetracht dessen, was geschehen ist. Die Sonnenstrahlen, die sich seit Tagen das erste Mal ihren Weg durch die Wolken gebahnt haben, sollten mich wärmen, aber ich fühle mich innerlich erfroren. Ich sitze auf einer Bank im Hinterhof, versuche zu atmen, mich genug zu fangen, um meiner Arbeit nachzugehen. Doch wieder und wieder weine ich, kann es einfach nicht abstellen. Gerade in diesem Moment möchte ich einfach nur auf die andere Seite der Straße zu meinen Eltern gehen, die dort im anderen Plattenbau leben, und mich in dem Bett verkriechen, das jederzeit für mich bereitsteht. Doch das würde bedeuten, an dem vorbeizugehen, was mich so aufwühlt. Mit eigenen Augen aus der Nähe zu sehen, was wir getan haben. Aber ich kann nicht hinsehen. Als ich aufgestanden bin, habe ich gewagt aus dem Fenster zu sehen. Ein kurzer Blick genügte, um mich meines mageren Frühstücks von zwei Snack-Salzbretzeln zu entledigen.
Gestern haben wir den vermutlich schlimmsten Fehler unseres Daseins in dieser zombieverseuchten Welt gemacht.
Doch mit dem Ende zu beginnen, wird mir genauso wenig helfen, wie allen, die diese Worte einmal lesen werden. Sei es als Bericht oder als Warnung. Sollten sie überleben. Ich hoffe, es hilft mir, das Geschehene so besser zu verarbeiten.
Der Tag begann wie jeder andere. Die Tagschicht versammelte sich zum »Morgenappell«, während die Nachtschicht sich in ihre Lager zurückzog. Wie immer standen wir in der Küche, als wir alle ansagten, welche Aufgaben wir uns für den Tag vorgenommen hatten und welche uns am Vortag aufgefallen waren. Vincent aus der Nachtschicht gab uns ein Update über nächtliche Vorfälle und ich verteilte die vorbereiteten Tagesrationen. Nicht viel, da wir versuchen alles Unverderbliche so lang wie möglich zu halten. Auf meinem Tagesplan stand, eine Suppe aus den letzten Resten zu kochen. Johannes und Steven wollten versuchen, etwas Fleisch und Gemüse aus dem Lager zu holen. Für die Wache wurde Heinz eingeteilt, allerdings wird das auf lange Sicht vermutlich auch das letzte Mal gewesen sein. Seine Sicht hatte sich über die Monate hinweg immer weiter verschlechtert. Aber ohne Optiker oder generell eine Möglichkeit, ihm eine Brille zu besorgen, erschwerte es seinen Alltag. Für unsere Zwecke reicht es für gewöhnlich aus, dass er die Silhouetten erkennt und Alarm gibt, auch wenn es gelegentlich unsere eigenen Leute sind, die sich von einem Haus zum anderen bewegen. Schlimmer als das ist, dass er gelegentlich einnickt und sich so schon einige Zombies dichter an uns heranschleichen konnten, als uns lieb war. Entsprechend schnell müssen dann die Reaktionen auf seinen Warnruf sein. Doch ich springe schon zu weit voraus.
Gemeinsam mit Michelle versuchte ich, eine warme Mahlzeit für uns zuzubereiten, die nicht zu viel von den wenigen Essensreserven verbrauchte und doch nahrhaft genug war, damit wir nicht reihenweise umkippten. Da die Filtermaschine noch nicht fertig ist, müssen wir dafür improvisieren. Vor dem Schlafengehen befüllen wir die Zinkwannen, die in den Küchen aufgestellt worden sind, mit Schnee und Eis. Über Nacht schmilzt es in der Wärme der Öfen, sodass wir es ausschöpfen und verwenden können. Zusammen mit ein paar Teekrumen wird es zu einem wärmenden Getränk, mit Brühepulver zu einer Suppe.
Meine eigene Ration des wässrigen Tees liegt in einer Thermoskanne wärmend auf meinem Bauch, während ich diese Zeilen schreibe. Selbst umhüllt von einer Decke werde ich mir vermutlich Erfrierungen zuziehen, wenn ich mich nicht bald bewege. Das Schreiben und die kalte Luft helfen gegen die Übelkeit, die meine Gedanken hervorrufen, aber wir werden sehen, wie lange ich sitzen kann, bis es zu kalt wird. Vor allem da meine Tränen Eiszapfen auf meinen Wimpern bildeten und meine Wangen kälter machen, als sie eh schon sind. Ich sollte wirklich reingehen, doch diese Gedanken zu ordnen, ist wichtig, um weitermachen zu können und doch alles andere als einfach. Vor allem, da ich noch immer nicht genau verstehe, wie es dazu kommen konnte. Unser Verhalten war so unverantwortlich, als hätten wir in der Zeit, seit die Zombies kamen, rein gar nichts gelernt. Wir haben nicht viel mehr Grund hinter unser Handeln gestellt als diese Monster dort draußen. Aber sind wir nicht auch unmenschlich, wenn wir uns gegen sie verteidigen? Die Auferstandenen sind nur noch von Instinkten geleitet, nicht viel denkfähiger als ein Tier und doch gibt es Tiere, deren Intelligenz es mit der menschlichen aufnehmen kann. Oder gab? Konnte? Haben sie überlebt und gedeihen nun prächtig, da die Menschheit die Umwelt nicht mehr verpestet? Im Radio haben sie nie über die Tiere gesprochen, auch nicht, ob diese sich anstecken können. Vielleicht sollte irgendwer mit wissenschaftlichem Hintergrund die Tiere mal untersuchen, vielleicht passiert das auch bereits an anderen Orten, zu denen uns der Zugang fehlt. Die meisten Wildtiere sind sicherlich zu schnell für die Zombies, wenn sie nicht gerade im Schnee verendeten, weil auch sie nicht bis zu ihren Nahrungsquellen kamen. Ins Dorf haben sich bisher nur ein paar Rehe und Vögel verirrt.
Krähen kreisten über ... Das Krächzen der Krähen klingt laut in der Stille des Morgens. Manchmal sind sie weit entfernt, manchmal auch sehr nahe. Sie sammeln sich über den Stallungen, aber auch den Wohnhäusern, wenn wir es nicht schaffen, die Zombies schnell genug zu verbrennen. Was momentan keine Option ist, da sie zu nass sind. Ich fürchte, dass wird noch ein ganz eigenes Problem werden, wenn bald unser gesamter Schnee verseucht ist. Zumindest, wenn die Krähen sie nicht vorher auffraßen. Oh Gott, was wenn
Ich musste aufstehen, laufen, atmen. Auf meiner Seite ist ein Wasserfleck. Vermutlich wird er gefrieren, bevor er trocknet. Vielleicht wird sogar die Seite selbst zerbröseln. Somit wäre auch in dieser Aufzeichnung ein Hinweis auf das, was mit unserer Tat zerbrochen ist. In unserer Gemeinschaft, in unserem Vertrauen untereinander. Zumindest mich wird es noch eine Weile begleiten. Wie die anderen damit umgehen, weiß ich nicht, da ich ihnen, seit wir uns wutentbrannt über die Ereignisse ausgetauscht haben, aus dem Weg gegangen bin. Ich habe nicht geschlafen, habe stattdessen dem Wasser beim Schmelzen zugesehen, um in den frühen Morgenstunden die Rationen wie mechanisch vorbereiten. Seither isoliere ich mich mit meinen Gedanken. Ich habe eingesehen, dass draußen sitzen keine Option ist, aber auch die leeren Zimmer sind nicht wärmer. In mehrere Decken gewickelt werde ich weiterschreiben.
Ich schnitt gerade eine mickrige Karotte in winzige Würfel, der Moment noch so bildlich vor meinem inneren Auge, als sei es nicht schon Stunden her, als der Schrei vom Ausguck uns alle in Alarmbereitschaft versetzte. Mein Messer landete klappernd auf dem Schneidebrett und wir eilten zu den Fenstern. Diejenigen von uns mit Schießerfahrung nahmen ihre Waffen. Heinz hatte mindestens sieben Gestalten angekündigt, also nahm auch ich mein Gewehr und stellte mich zu den anderen an die dafür vorbereiteten Fenster. Noch nie vorher musste ich mithelfen, aber dies war die größte Gruppe bisher. Die Waffen geladen warteten wir darauf, dass sie näherkamen. Michelle und Johannes standen hinter uns mit Ersatzmunition, um sie zu reichen oder nachzuladen, falls wir unser Ziel verfehlen sollten. Auch dieser Vorrat näherte sich seinem Ende, schon bevor wir uns zum Gefecht bereitmachten. Die drückende Stille, die sich über uns legte, wurde nur vom lauten Zusammenbrechen der Eisplatten übertönt, die die Gestalten unten auf ihrem Weg zerstörten. Ich versuchte etwas zu erkennen, aber sie waren zu weit weg, um mehr sehen zu können als schwarze Schatten im blendenden Schnee. Nur eine unserer Waffen besitzt eine Zielvorrichtung und Vincent hatte sie mit sich genommen, als er schlafen ging. Zumindest konnte es niemand von uns sein, denn wir verließen nur mit Warnjacken die Häuser. Grunzen und Stöhnen drang zu uns hinauf. Die Gestalten bewegten sich wie abgehackt, sie kamen nur schwerfällig voran. Jede Sekunde, die wir warteten, fühlte sich wie eine Ewigkeit an. Das Gewehr lag schwer in meinen Händen, die begannen zu schwitzen und zu zittern. Noch ein paar Meter und sie kämen in Schussweite. Ich wartete, versuchte meine Atmung zu kontrollieren, mich zu konzentrieren. Ein Schuss ließ mich zusammenzucken. Instinktiv selbst abdrücken. Sie hatten unsere imaginäre Linie übertreten. Weitere Schüsse folgten, als sei ein Bann gebrochen, auch ich selbst drückte gezielt ab. Ein spitzer Schrei durchdrang den Krach der Waffen. Er kam nicht aus unseren Reihen. Als die Erkenntnis mich erreichte, ließ ich das Gewehr fallen und sackte zurück, mein Blick wie gebannt auf dem, was sich vor mir abspielte. Gedämpft hörte ich Franziska, wie sie allen bedeutete aufzuhören. Doch es war zu spät. Auch der letzte Körper sackte zu Boden und eine Waffe klickte nur noch im Leerlauf. Der Schnee färbte sich rot und die anderen verstanden. Dort unten lagen keine Zombies, denn deren Blut bestand nur noch aus einer klebrigen, dunklen Masse. Dort unten lag eine kleine Gruppe Überlebender, denen wir die Chance auf eine sichere Unterkunft mit einem Kugelhagel verwehrt hatten. Einer von ihnen ein Kind, wenn ich mich richtig an die Größen erinnere. Ich übergab mich, kroch vom Fenster weg. Wollte es nicht mehr sehen. Geschrei wurde laut, Vorwürfe. Irgendjemand schlug Steven ins Gesicht, von ihm stammte anscheinend der erste Schuss. Doch niemand konnte genau sagen, wer wen erschossen hatte. Der Streit spitzte sich zu. Ich konnte nicht mehr zuhören, wollte einfach nur weg, also bin ich davongerannt. Weggerannt vor unserer Schande, meiner Schande. Ich frage mich seitdem, ob wir es hätten verhindern können. Hatten sie uns gesehen und nur keine Kraft mehr, uns zuzurufen, sich als Menschen erkennbar zu geben? Oder dachten sie, unser Dorf sei genauso verlassen, wie so viele Städte da draußen? Würde der verseuchte Schnee dafür sorgen, dass sie wieder auferstehen und uns diesmal tatsächlich angriffen? Plagten die anderen auch diese Gedanken und unternahmen sie bereits etwas dagegen? Das Einzige, wovon ich überzeugt bin, ist, dass das frische Blut und die Leichen nicht nur Raubtiere, sondern vor allem Zombies anlocken werden. Und nach dem kommenden Kampf werden wir keine Munition mehr haben, um uns weiter verteidigen zu können.
Woche 1: 01.01. - Neuanfang?
- Gina Grimpo
Das neue Jahr fängt so beschissen an, wie das alte aufgehört hat. Ich weiß noch nicht einmal, wie wir den Januar erreicht haben. Vor allem, wenn man bedenkt, dass ich mir bisher jeden Tag ziemlich sicher war, den nächsten Morgen nicht lebend zu erreichen. Aber ich habe meinen Kalender an jedem Tag abgehakt, wenigstens glaube ich das. Davon ausgehend, keinen Eintrag vergessen zu haben, bin ich gestern bei der letzten freien Seite angekommen. Der Kalender ist voll und das Jahr somit vorbei. Ab heute muss ich mir also Gedanken machen, wie ich den Überblick über die Tage und Wochen behalten kann.
Es erscheint mir seltsam, dass ich mal in einer Welt gelebt habe, in der ich spontan im nächsten Schreibwarenhandel einen neuen Kalender kaufen konnte.
Ich frage mich, wie zukünftige Kalender gestaltet sein werden. Ob sie ein neues Datum als Beginn unserer Welt markieren? Vielleicht ist es nun an mir, damit anzufangen.
Falls das wichtig ist. Und falls ich lange genug überlebe. Das Tagebuch ist ein Anfang. Meine große Hoffnung ist, dass ich diesen ganzen Mist überstehen werde und eines fernen Tages in diesem Buch blättere und mich mit einem leisen Schaudern an die Vergangenheit erinnere. Und dann klappe ich das Buch zu und die Welt ist in Ordnung.
Während ich das schreibe, muss ich lachen, obwohl es nicht lustig ist. Aber die Realität sieht eher so aus, dass ich nur wenige Seiten in diesem Buch füllen werde, bevor mir einer dieser untoten Freaks die Kehle rausreißt.
Ich gestehe es mir nicht gerne ein, aber ich bin inzwischen an einem Punkt angelangt, an dem ich diese Art zu sterben bevorzugen würde. Es tut vielleicht − ziemlich sicher − kurz weh, dafür geht es schnell.
Wir haben uns hinter hohen Zäunen verschanzt und sind vermutlich die ersten Menschen, die sich aufrichtig freuen, im Inneren eines Gefängnisses zu sitzen. Wir sind hier drin, die sind draußen.
Ein richtiges Wort haben wir immer noch nicht für sie gefunden. Und ein Teil von mir weigert sich, das Offensichtliche auszusprechen.
Zombies. Das trifft es. Aber Zombies, das ist etwas, das man aus Filmen kennt. Oder Comics. Geifernde Untote mit künstlich aussehendem Theaterblut, die mit verrenkten Gliedern den kreischenden Schauspielern hinterher schlurfen. Eingeweide purzeln raus, Gehirne spritzen an die Wand und zack, Cliffhanger, die nächste Folge bitte.
Die Realität ist eine andere. Wir haben es geschafft, die auszusperren. Fürs Erste. Doch der Tod lässt sich nicht von Zäunen, Mauern oder Stacheldraht aufhalten. Er ist allgegenwärtig und fegt wie der Schneesturm, der draußen tobt, durch die Gänge und Zimmer. Wir sind noch nicht lange hier und dennoch haben wir jetzt schon mehr Menschen verloren als im Herbst, als wir den Horden ohne ein schützendes Gebäude um uns herum ausgeliefert waren. Wir sind müde, ausgelaugt und vor allem: wir frieren.
Ich erinnere mich nicht, wann mir das letzte Mal warm war. Wir haben weder Strom noch fließendes Wasser und die Temperaturen fallen seit Tagen selbst tagsüber unter den Gefrierpunkt.
Wir sind dem Tod ausgeliefert, egal, ob wir hier drin bleiben oder uns nach draußen begeben. Es gibt keine Lebensmittel mehr, keine Medikamente. Das Einzige, was uns derzeit am Leben hält, ist der Schnee, den wir in kleinen Gefäßen ins Innere des Gebäudes tragen und schmelzen, sodass wir ihn trinken können.
Ich habe mich gemeldet, vor einigen Tagen schon. Ich will nicht hier drinnen sitzen und darauf warten, dass ich entweder verhungere oder erfriere.
Die meisten von uns sind mittlerweile zu erschöpft, um große Wanderungen zu unternehmen, sie wären eine leichte Beute. Aber wir müssen raus, die Kolonie, wie sie inzwischen genannt wird, verlassen und die Umgebung durchkämmen. Die Supermärkte und Apotheken sind schon lange geplündert, außer vergammelten Gemüse und ein paar Hustenbonbons haben wir in den letzten Tagen keine nennenswerte Beute gemacht.
Der Suchradius muss größer werden. Heute war ich Teil des Beta-Teams.
Auf unseren Streifzügen werden drei Teams gebildet, bestehend aus jeweils fünf Personen. Alpha, Beta und Gamma. Wir starten bei Tagesanbruch und sind angehalten, bis Einbruch der Dunkelheit wieder zurück in der Kolonie zu sein. Ein unmögliches Unterfangen, zu dieser beschissenen Jahreszeit lässt sich die Sonne nicht lang genug sehen.
Falls jemand das hier irgendwann lesen sollte: Spoileralarm! Die Sonne ist untergegangen und ich lebe noch.
Nicht witzig? Das finde ich auch nicht, aber trotz aller Widrigkeiten ist mir ein kleiner Teil meines miserablen Humors erhalten geblieben. Ohne wäre ich längst verrückt geworden und auch diese Vorstellung übt von Tag zu Tag mehr Anziehungskraft auf mich aus.
Der ursprüngliche Plan sah es vor, Gruppen aus fähigen Menschen zusammen zu stellen. Kräftig, mutig, kampferprobt ...
Wie naiv wir doch waren. Die Kälte und der Nährstoffmangel zermürben jeden und mittlerweile reicht es schon, dass man morgens aufrecht zum Pissen gehen kann, um ausgewählt zu werden. Ich gehöre dazu, auch wenn ich mich beim Laufen ab und zu an der Wand abstützen muss. Aber um solche Feinheiten dürfen wir uns nicht mehr kümmern, die Auswahl ist begrenzt.
Team Beta setzt sich, wie die letzten Tage schon, zusammen aus Tani, einer Polizeianwärterin und somit einer der wenigen Personen, die mit einer Waffe umgehen können, ohne sich versehentlich selbst zu erschießen; Merlin, einem Philosophiestudenten, dessen einziges Kriterium, um mitzumachen, darin besteht, dass er ein schier unverwüstliches Immunsystem hatte und ihn die Entbehrungen der letzten Zeit wenigstens körperlich nicht zugesetzt hatten; Lia, einer fünfzehnjährigen Schülerin, die beide Elternteile und ihre zwei kleinen Brüder an die Horde verloren hatte und sich trotz allem mit einer Willenskraft an ihr eigenes Leben klammert, dass es einem angst und bange werden kann.
Und mir, Benjamin, einem stinknormalen Kerl ohne hilfreiche Fähigkeiten, der es bis jetzt geschafft hat, nicht zu verrecken oder gefressen zu werden. Und glaubt mir, Gelegenheit dazu gab es genug.
Wer immer das hier finden sollte: Wenn du rechnen kannst, wirst du vermutlich zu Recht anmerken: Das sind aber nur vier.
Wie erwähnt, die Auswahl ist begrenzt. Oder, um es anders auszudrücken, sie begrenzt sich selber.
Lukas, den fünften aus der Gruppe, haben wir am Morgen steif gefroren und mit dem Gesicht nach unten draußen vor der Mauer entdeckt. War es Selbstmord? Ist er gestürzt und erfroren? Wer weiß das schon, wir haben ihn liegen lassen. Das mag grausam klingen, aber wir haben schon nicht genug Kapazitäten, um die Lebenden angemessen zu versorgen.
Sicher hätten wir nach einem Ersatz suchen können, aber die Regeln sind klar: Wer bis Sonnenuntergang nicht zurück ist, bleibt draußen. Und keiner von uns wollte seine Zeit damit verschwenden, denjenigen unter den Lebenden aufzustöbern, der am weitesten vom Sterben entfernt war. Und gleichzeitig dämlich genug, sich uns anzuschließen.
Denn seien wir mal ehrlich, es ist ein Himmelfahrtskommando und das jeden Tag aufs Neue.
Es ist arschkalt, seit gestern Nacht tobt ein Schneesturm und diesen Drecks-Zombies macht die Kälte gar nichts aus. Warum auch, sind ja schon tot.
Unser einziger Vorteil ist, dass die Kälte sie in ihren Bewegungen lähmt. Doch dieser Vorteil nutzt uns heute nichts, denn das Schneetreiben ist so dicht, dass wir einen von ihnen erst dann bemerken würden, wenn er sich seine Hände in unseren dampfenden Eingeweiden aufwärmte. Die Vorstellung behagt mir nicht, aber auf einen sauberen Kehlbiss, wie ihn Stefan ereilt hatte, wage ich schon gar nicht mehr zu hoffen.
Wir sprachen kurz mit Team Alpha und Gamma unsere Suchkreise ab. Straßenkarten gehörten ebenfalls zu den Dingen, die schnell geplündert waren. Aber wir hatten uns einen ansehnlichen Vorrat zusammengestellt und würden zumindest hier nicht mit einem Mangel rechnen müssen.
Gut, Straßenkarten kann man nicht essen, aber man kann nicht alles haben.
Nach der Besprechung brachen wir sofort auf, jeder von uns hatte eine Waffe, in meinem Fall einen Hammer, und zwei Rucksäcke oder Taschen dabei. Auf den letzten Streifzügen waren die Waffen häufiger zum Einsatz gekommen, als dass die Taschen gefüllt wurden, aber aufgeben war keine Option. Vor allem nicht für Lia, die voran stapfte und sich mit gesenktem Kopf den Schneewirbeln entgegenstellte. Sie wurde flankiert von Tani und mir, Merlin bildete das Schlusslicht.
Der Vorteil, Mitglied eines Erkundungsteams zu sein, besteht darin, dass allen, die das Gefängnis verlassen, die warme Winterkleidung zusteht. Wir bekamen dicke Jacken, Handschuhe, Mützen, Tani und Lia hatten sich zusätzlich einen Schal umgewickelt. Ein Schal gehört zu den Gegenständen, die mittlerweile als rares Gut gezählt werden. Zu nützlich sind seine Funktionen bei der Wundversorgung.
Wir liefen zügig die unter Schneewehen verdeckte Straße entlang und hielten uns nicht mit den Häusern auf, die sich links und rechts von uns als dunkle Schemen emporhoben. Alles im näheren Umkreis war mehrfach durchsucht worden. Nicht nur von uns. Wir hatten schon seit einiger Zeit keine anderen Menschen gesehen und waren uns nach wie vor nicht einig darüber, ob wir dankbar sein sollten oder uns noch mehr Sorgen machen sollten, als wir es ohnehin schon taten.
Die eisige Luft sorgte dafür, dass wir trotz unserer Erschöpfung hellwach waren, alle Sinne zum Zerreißen gespannt. Die Winterkleidung, auch wenn sie eine Verbesserung zu der normalen darstellt, hält uns nicht so warm, wie wir es gerne hätten. Und wir vermeiden es grundsätzlich, uns die Mützen zu tief in das Gesicht zu ziehen. Ein eingeschränktes Sichtfeld kann tödlich sein.
02.01.
FUCK!!
Ich würde es rausschreien, aber dann werden sie uns hören. Und dann ...
Vermutlich sollte ich mehr auf meine Wortwahl achten, denn die Chancen stehen gut, dass dies ein Abschiedsbrief wird.
Wir haben gegen die goldene Regel verstoßen und so, wie es jetzt aussieht, wird es das letzte Mal gewesen sein.
Der gestrige Tag endete ereignislos und das will in der jetzigen Zeit schon etwas heißen. Die gute Nachricht war, dass alle drei Teams vollständig von ihren Streifzügen zurückkehrten. Die schlechte war, dass sie ihren Heimweg allesamt mit leeren Händen angetreten sind.