Adiós, mein Liebster - Sybille Baecker - E-Book

Adiós, mein Liebster E-Book

Sybille Baecker

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Beschreibung

Krimis - mal heiter, mal wolkig. Das Verbrechen kennt keine regionalen Grenzen: Ob an der Nordsee, in Mainhattan, im Schwabenländle oder in der Hitze von Mexiko City, gemordet und gemeuchelt wird überall, mal mehr, mal weniger erfolgreich. Da gibt es seltsame Nachbarn, die unter Verdacht geraten, die Reinigungskraft der besonderen Art, den heißblütigen Lover, den es kalt erwischt, die Privatdetektivin mit unkonventionellen Methoden oder schlicht den eiskalten Killer … Begeben Sie sich auf eine Reise in die Abgründe der menschlichen Seele - mal mit einer feinen Prise Humor, aber manchmal auch todernst. Eine Krimi-Sammlung aus zehn Jahren Autorinnenarbeit, mit Texten aus teils vergriffenen Anthologien sowie zwei bisher unveröffentlichte Kurzkrimis.

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Seitenzahl: 166

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Sybille Baecker ist gebürtige Niedersächsin, Nordseefan und Wahlschwäbin. Nach Stationen in Münster, Böblingen und Ulm lebt und arbeitet sie heute nahe der Universitätsstadt Tübingen. Durch ihre Krimiserie mit dem Kommissar und Whiskyfreund Andreas Brander wurde sie zur Fachfrau für »Whisky & Crime«. Im vorliegenden Band begibt sie sich in ihren Kurzkrimis auf eine kriminelle Reise durch die Republik und darüber hinaus ...

www.sybille-baecker.de

Sybille Baecker

Adiós, mein Liebster

Kurzkrimis

Erstauflage, 2016

© 2016 Sybille Baecker

Alle Rechte vorbehalten.

Covergestaltung: bookcover4everyone by TomJay

- www.tomjay.de

Titelbild (Grafik): shutterstock.com/masher Umschlagrückseite (Grafik): shutterstock.com/majiveckaVerlag: tredition GmbH, Hamburg

ISBN 978-3-7345-3986-2 (Taschenbuch)

ISBN 978-3-7345-6359-1 (eBook)

Für Frank

Das Werk, einschließlich seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und der Autorin unzulässig. Dies gilt insbesondere für die elektronische oder sonstige Vervielfältigung, Übersetzung, Verbreitung und öffentliche Zugänglichmachung.

Handlungen und Personen in allen Texten sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind nicht gewollt und rein zufällig.

INHALT

Adiós, mein Liebster

Flaschenbier

Herrgotts Bscheißerle

Vor dem Wachsein

Polina

Herr Samir

Das Spiel

Im Auftrag meines Gatten

Anhang

Hinweis auf Erstveröffentlichung

Leseprobe »Körperstrafen«

ADIÓS, MEIN LIEBSTER

»Wissen Sie, warum es Auftragskiller gibt?« Mein Gegenüber lehnt sich entspannt in seinem Korbsessel zurück und schaut mich abwartend an.

Ich nippe an meinem Weinglas, erwidere seinen Blick und warte darauf, dass er weiterredet.

Seine Mundwinkel heben sich zu einem minimalen Lächeln. »Weil die Sache mit dem Morden nicht so einfach ist. Es gibt die Tat im Affekt aus blinder Wut oder Angst. Vor Gericht wird so etwas meist als Totschlag oder Notwehr geahndet. Aber ein geplanter, eiskalt kalkulierter Mord, das ist eine ganz andere Liga und erfordert mehr als nur ein scharfes Messer, will man nicht den Rest seines Lebens hinter Gittern verbringen. Glauben Sie mir, es ist nicht so einfach, wie sich manch einer denkt.«

Der Mann, der diese Worte sagt, weiß, wovon er spricht, und ich kann nur zustimmend nicken.

Genüsslich zieht er an seiner Zigarette, um danach den blauen Dunst in den nächtlichen Himmel zu hauchen.

Eigentlich mag ich Raucher nicht, aber bei ihm gefällt es mir, genauso, wie seine dunklen Augen, mit denen er mich mustert. Ein kühler, überlegener, aber nicht überheblicher Blick. Er strahlt Selbstbewusstsein, Zielstrebigkeit und Zuverlässigkeit aus. Genau so einen Mann habe ich gesucht.

Ich sehe den Qualm aus seinem Mund steigen, atme tief durch und ertappe mich bei dem Wunsch, diesen Mann zu küssen. Dabei ist der Kerl nicht unbedingt eine Filmstar-Schönheit. Er ist Ende dreißig, schlecht rasiert und Falten durchziehen sein Gesicht wie Straßen einen Autoatlas. Die Nase war sicherlich schon mehr als einmal gebrochen. Es ist wohl seine Ausstrahlung. Vielleicht sind es auch meine Hormone. Wann war ich das letzte Mal mit einem Mann zusammen? Zwischen Leander – so heißt mein Mann – und mir läuft schon seit einiger Zeit nichts mehr.

Mein Gegenüber lächelt, als könnte er meine Gedanken lesen, und ich erröte wie ein Backfisch.

Leander Weck kam aus Bremen. Ich war sechsundzwanzig, als wir uns begegneten. Er war drei Jahre älter und arbeitete als Berater bei einer renommierten Bank. Er war nett, charmant, wusste mit Frauen umzugehen und sah verdammt gut aus. Meine Freundin warnte mich: »So einen attraktiven Mann hast du nie für dich allein.« Ich heiratete ihn trotzdem.

Drei Monate später bewies mir meine Freundin, wie recht sie mit ihrer Warnung hatte. Seither ist sie nicht mehr meine Freundin. Leander gelobte Besserung und ich verzieh ihm.

Allerdings hatte ich seine Worte wohl falsch verstanden. Seine Besserung bestand darin, dass er sich seine Betthäschen nicht mehr in meiner Altersklasse suchte, sondern jüngeren, knackigeren Mädchen den Hof machte. Verliebt, wie ich in jenen Tagen war, versuchte ich, mich mit der Situation zu arrangieren, indem ich seine außerehelichen Bekanntschaften ignorierte, und eine Zeit lang lebten wir zufrieden – ich will nicht behaupten, glücklich – nebeneinander her.

Ich war zweiunddreißig, als mein Vater starb. Er war ein arbeitswütiger Geschäftsmann. Ihm gehörte eine große Fischkonservenfabrik, in der er von morgens früh bis spät in die Nacht ackerte. Er wurde nur fünfundsechzig Jahre alt. Ich verkaufte das Unternehmen zu einem guten Preis, sicherte meiner zuckerkranken Mutter einen Platz in einer erstklassigen Seniorenresidenz in Wilhelmshaven und kaufte ein herrliches Haus hinterm dritten Deich zwischen Carolinensiel und Bensersiel. Ein großes Haus mit hellen Räumen und einem Reetdach, wie ich es mir immer gewünscht hatte. Ich liebte es, an der Küste zu leben. Liebte den Wind, den Regen, die Schafe auf den Deichen, die Fischkutter im Hafen, den Strand und das Wattenmeer.

Leander liebte das alles nicht. Ihm war es zu einsam, zu ländlich, zu bieder, zu alt. Er wollte in der Stadt leben, wie wir es bisher getan hatten. Kurz dachte ich an Scheidung. Da wir aber zu Beginn unserer Ehe keinen Ehevertrag aufgesetzt hatten und ich nun wesentlich vermögender war als mein Gatte, hätte ich ihm einen Teil meines Erbes abgeben müssen. Und das wollte ich nicht. Außerdem … was soll ich sagen? Ich liebte Leander.

So vergaß ich die Gedanken an Scheidung und ließ mich auf den Kompromiss einer kleinen Bremer Stadtwohnung ein. Wir führten eine Wochenendbeziehung, die unsere Ehe unerwartet zu beleben schien. Leander kam an den Wochenenden nach Carolinensiel. Wir machten Spaziergänge entlang der Deiche, liefen ins Watt, dösten im Strandkorb und verbrachten zärtliche Nächte miteinander. Er war charmant und liebevoll, und ich wagte schon zu hoffen, dass die Zeiten seiner außerehelichen Beziehungen vorbei seien, dass er sich lediglich die Hörner hatte abstoßen müssen und nun endlich den wahren Wert unserer Ehe erkannt hatte.

Nun, das hatte er auch. Nur nicht so, wie ich es mir erhofft hatte.

Es war im Sommer vor einem Jahr. Ich hatte den vierunddreißigsten Frühling erlebt und fuhr guter Dinge nach Bremen, um Leander in seiner Stadtwohnung zu besuchen. Wir waren abends zu einem Geschäftsessen eingeladen, und er hatte mich gebeten, ihn zu begleiten. So sehr ich das ländliche Leben an der Küste liebte, freute ich mich auch immer auf die Ausflüge in die Stadt, die ich oft mit einem ausgiebigen Einkaufsbummel verband. An jenem Tag regnete es jedoch ununterbrochen, und ich hatte keine Lust, durch das kühle, feuchte Wetter zu laufen, zumal ich morgens beim Friseur gewesen war und der Regen das Kunstwerk sicherlich zerstört hätte. So fuhr ich direkt zu Leanders Wohnung, um dort auf ihn zu warten.

Es war aufgeräumt, wie immer, wenn ich ihn besuchte. Lediglich in der Küche stand eine leere Tasse auf dem Tisch, daneben lag die Tageszeitung. Nach der langen Autofahrt verspürte ich Lust auf einen Kaffee. Verliebt, wie ich in jenen Tagen war, nahm ich die Frühstückstasse vom Tisch und stellte sie unter den Kaffeevollautomaten. Ich wollte aus seiner Tasse trinken, so würden sich unsere Lippen quasi berühren, dachte ich mit romantisch verklärtem Blick – und blinzelte.

Da war Lippenstift an der Tasse. Eindeutig. Roter Lippenstift. Ich hatte noch nicht von der Tasse getrunken. Außerdem war mein Lippenstift dunkler, eher bronzefarben als Rot. Es gab nur zwei Erklärungen für diesen Lippenstift, und ich war mir nicht sicher, welche der beiden mir besser gefiel: Entweder Leander hatte wieder einmal eine Freundin – oder er war ein Transvestit.

Ich durchsuchte seinen Kleiderschrank: Anzüge, Hemden, Jeans, Pullis, Schlüpfer, Socken. Ich kannte all diese Kleidungsstücke. Keine Frauenkleidung, die ihm gepasst hätte – Leander ist ein sportlicher Typ mit einem breiten Schwimmerkreuz. Nicht einmal ein rosa Herrenhemd besaß er. Die wenigen Kleider, die ich bei ihm deponiert hatte, passten ihm nicht.

Also wieder einmal eine andere Frau. Mir wurde schwindelig vor Wut. Ich setzte mich auf das Bett, atmete tief durch, starrte auf meine Fußspitzen. Mein Blick wanderte entlang der flauschigen Bettumrandung bis zu seinem Schrank vor mir. Ein mannshoher Spiegel war in die Tür eingearbeitet. Ich sah mich auf dem Bett sitzen: vierunddreißig Jahre, nicht mehr so knackig wie eine Zwanzigjährige, aber auch nicht unattraktiv, gepflegt, humorvoll und dazu noch vermögend.

»Sieben Jahre Ehe, sieben Jahre Betrug«, flüsterte ich mir mit leichenbitterer Miene zu. Wie lang wollte ich das noch mitmachen? Ich konnte mir nicht mehr in die Augen sehen, senkte den Blick. Die Tagesdecke war hochgerutscht und etwas Grünes war zwischen meinen Fersen zu sehen. Ich beugte mich vor und schaute unter das Bett. Da lag eine Box, etwas größer als ein DIN-A4 Ordner. Ich zog sie hervor und öffnete den Deckel. In der Box waren verschiedene Dokumente und Kontoauszüge. Ich blätterte mehr aus Frust als aus Neugier durch die Zettel, und es dauerte eine Weile, bis ich den Zusammenhang der Dokumente und der Auszüge verstand. Es war ein Konto, auf das er monatlich Geld von meinem Konto transferierte. Das fremde Konto war dennoch hoffnungslos überzogen. Dazu fand ich Schuldscheine zu horrenden Zinsen. Und als Krönung einen Antrag für eine Hypothek auf mein Haus! Mein Haus, das so sicher hinterm dritten Deich zwischen Carolinensiel und Bensersiel lag. Lediglich meine Unterschrift fehlte.

»Ich kümmere mich um die Finanzen«, hörte ich Leanders schmeichelnde Stimme in meinen Ohren. »Ich bin doch der Fachmann.« Dabei hatte er mich gewinnend angelacht und zärtlich meine Fingerspitzen geküsst, war mit seinen Lippen meinen Arm hinauf gewandert, bis zu meinem Hals. Allein der Gedanke an seine Liebkosungen erregte mich trotz all der Wut, die in mir brodelte.

»Verfluchter Scheißkerl!«, schrie ich ärgerlich und hätte fast die Kiste auf den Boden geschmissen. Ich bremste mich, legte den Deckel wieder auf die Box und schob sie zurück unter das Bett. Dann sank ich rücklings auf das Federbett nieder und schloss die Augen. Tausend Gedanken stoben durch meinen Kopf. Nicht nur, dass er mich mit anderen Frauen betrog, nein, das reichte ihm nicht, er verprasste auch mein Geld für was auch immer. Was waren das für Schulden? Wofür eine Hypothek? Warum räumte er nicht einfach mein Konto leer und verschwand? Warum tat er mir das an? Und warum fiel ich immer wieder auf diesen Kerl herein? Ich fühlte mich erniedrigt, gedemütigt und zutiefst verletzt.

Ich musste eingeschlafen sein, denn ich erwachte, als jemand das Schlafzimmer betrat.

»Was für ein reizender Anblick«, hörte ich Leanders Stimme. Er beugte sich zu mir, um mich zu küssen.

Lügner! Heuchler!, schoss es mir durch den Kopf. Ich drehte mein Gesicht zur Seite, sodass seine Lippen nur meine Wange berührten.

»Nanu? Schlecht geschlafen?«, fragte er mit leichtem Spott in der Stimme, nicht bissig, eher zärtlich, verlockend. Er begann, an meinem Ohrläppchen zu knabbern. Der Duft seines Aftershaves kroch mir in die Nase. Er roch so gut. Ich spürte, wie eine heiße Welle meinen Körper durchfluten wollte, und drückte ihn ein Stück von mir.

»Nicht jetzt. Wir sind zum Essen eingeladen.«

»Erst in einer Stunde.«

Sein Atem kitzelte in meinem Nacken, während seine Hand meinen Körper sanft streichelte. Er konnte so ungemein zärtlich sein, und er wusste, was mir gefiel. Ich verdrängte all die schlechten Gedanken und gab mich seinen Verführungskünsten hin. Schließlich hatte ich ja anscheinend in all den Jahren reichlich dafür bezahlt.

»Du hast deinen Kaffee gar nicht ausgetrunken«, stellte er später fest, als wir in die Küche gingen.

War ich gerade noch völlig entspannt und auf dem besten Wege, alles als einen bösen Traum zu verdrängen, kehrte die Erinnerung in der Küche schlagartig mit voller Wucht zurück.

»Ich war plötzlich müde«, erklärte ich schnell, nahm die Tasse vom Tisch, goss den kalten Kaffee in den Ausguss und stellte sie in die Spülmaschine. Ich wollte nicht, dass er wusste, dass ich es wusste. War meine Demütigung nicht schon groß genug?

Er gab mir einen Klaps auf den Po und verschwand im Badezimmer.

Ich ließ mich am Küchentisch nieder. Er hatte mich wieder rumgekriegt, er würde mich immer wieder rumkriegen. Meine Hände lagen kraftlos in meinem Schoß. Was sollte ich tun? Ihm sagen, dass ich Bescheid wusste? Die Scheidung einreichen?

Niedergeschlagen blätterte ich durch die Zeitung. Auf der Seite mit den Sportergebnissen blieb ich hängen. Einige Ergebnisse waren eingekreist, Zahlen dazu geschrieben. Wieder dauerte es einen Moment, bis es bei mir dämmerte. Es waren nicht nur die Frauen, mit denen er sich vergnügte. Er war ein Spieler! Der Hypothekenantrag. Er würde mein ganzes Geld verspielen! In Sekundenbruchteilen vollzog sich vor meinem inneren Auge ein Drama: Man würde mir mein geliebtes Haus wegnehmen. Ich sah mich im Drogeriemarkt an der Kasse sitzen und Regale auffüllen. Die Haare strähnig, dunkle Ringe unter den Augen, während er auf der Bremer Galopprennbahn meine letzten Cents verspielte. Nun, die Galopprennbahn würde 2018 in Bremen höchstwahrscheinlich dem Städtebau anheim fallen, aber da gab es immer noch die Trabrennbahn in Hooksiel, die Rennbahn in Oldenburg, das Duhner Wattrennen …

Ich musste retten, was zu retten war. Scheidung?

Oh, nein! Mein Kampfgeist war erwacht.

In den folgenden Wochen verschaffte ich mir einen Überblick über unsere Finanzen. Es war nicht leicht, da ich alles im blinden Vertrauen meinem Gatten überlassen hatte. Es sah nicht rosig aus. Leander hatte Schulden angehäuft, und von dem Geld aus dem Verkauf der Fischkonservenfabrik meines Vaters war kaum noch etwas übrig. Oh, hätte ich diese Fabrik doch nie verkauft! Ich hätte Leander zu Fischfutter verarbeiten und die Konserven via Container nach Timbuktu verschiffen können! Adiós, mein Liebster!

Unruhig wanderte ich durch mein Haus. Ich wollte es behalten. Aber wie? Ich ging an meinen Aktenschrank und blätterte durch die Papiere: Hausrat-, Kranken-, Unfallversicherung, Kfz-Versicherung, Lebensversicherung, … Lebensversicherung? Ich überflog den Vertrag. Ja, so könnte ich mein Haus vielleicht retten.

Von der Idee zur Tat war es jedoch noch ein weiter Weg. Zunächst brauchte ich eine unauffällige und möglichst schnelle Methode. Denn jeden Tag, den Leander länger lebte, stieg vermutlich die Summe seiner Schulden. Erschießen schied im Vorhinein aus mehreren Gründen aus:

1. Ich hatte noch nie mit einer Pistole geschossen, geschweige denn, dass ich eine Waffe besaß.

2. Es war laut und würde sicherlich sehr viel Dreck verursachen. Ich sah das Blut und seine – wenn auch vermutlich geringe – Gehirnmasse über Schreibtisch und Wand verteilt kleben, nachdem ich ihm direkt in den Kopf geschossen hatte.

3. Ich war nicht sicher, ob die Versicherung bei Mord zahlen würde. Vielleicht nur die Hälfte der Summe? Und wen sollte ich da um Rat fragen? Meinen zuständigen Sachbearbeiter?

Auch Erstechen schied – trotz durchaus brauchbarer Küchenausstattung – aus den Gründen zwei und drei aus.

Um das Spektrum meiner Mordmethoden zu erweitern, arbeitete ich mich systematisch durch die Kriminalliteratur. Ich las die Krimis mit der gegenwärtigen Prämisse aus einem völlig neuen, ungeahnten Blickwinkel. Schon nach kurzer Zeit verfügte ich über eine große Auswahl verschiedener Mordmethoden.

Vergiften schien mir durchaus im Bereich des Möglichen. Ich konnte zwar nicht in die nächste Apotheke gehen und entsprechend einkaufen, aber das musste ich auch gar nicht. Die Natur bot so vielfältige Möglichkeiten: Pilze, Pflanzen, Fische. Man musste sich nur richtig umsehen.

Ganz so simpel war es aber leider doch nicht, so führen zum Beispiel viele giftige Pilze hierzulande oft nur zu einer mehr oder weniger schlimmen Magenverstimmung. Und ich wollte Leander ja nicht bedauern, sondern begraben.

Ich ging in die Stadtbücherei, um mein Wissen über die heimische Pflanzenwelt aufzubessern. Natürlich lieh ich die Bücher nicht aus, denn es Bestand durchaus die Möglichkeit, dass die Polizei im Falle eines Ablebens meines Mannes Nachforschungen betreiben würde. So verbrachte ich zahllose Nachmittage zwischen verstaubten Regalen, während draußen die Sonne schien und eher zu einem Strandbesuch einlud. Aber meine Mühe war ja für einen guten Zweck.

Inzwischen war es Herbst geworden. Ich durchstreifte einige Wälder auf der Suche nach einer ungesunden Essensbeilage für meinen Liebsten. Es war nicht einfach, das richtige Pflänzchen zu finden, doch eines Tages war mir das Glück hold. In einem kleinen, schattigen Waldstück fand ich ein paar wunderbare Pilze. Mein Herz jubilierte. In Gedanken entwarf ich ein köstliches Menü, mit dem ich Leander am Abend verwöhnen würde: Fischgulasch mit Pilzen und gekochten Kartoffeln, dazu einen leichten Salat und einen vorzüglichen Weißwein. Ich pflückte die Pilze, kaufte frische Pangasiusfilets und Krabben in der Küstenräucherei und fuhr eilig nach Hause. Vergnügt summte ich die Lieder im Radio mit, während ich die delikate Henkersmahlzeit vorbereitete.

Als Leander viel zu spät und reichlich angetrunken nach Hause kam, war meine gute Laune zu einem großen Teil bereits wieder verflogen.

»Schatz, tut mir leid. Hab ‘n Kolleg‘n mitg‘nommen und der hat mich noch auf ‘n Glas Bier eingelad‘n.«

Ein Glas Bier? So undeutlich, wie er nuschelte, war es mindestens eine halbe Kiste gewesen und eine halbe Flasche Küstennebel dazu.

Leander drückte mir einen feuchten Kuss auf die Wange.

»Ich habe für dich gekocht. Du hättest wenigstens anrufen können«, rügte ich ihn mit vorwurfsvollem Augenaufschlag. Ich wollte nicht zu wütend erscheinen, schließlich sollte er ja noch Appetit auf mein köstliches Menü bekommen.

»Ach, Juliane, ich hab schon g‘gessen …« Er streckte sich, gähnte herzhaft. »Ich bin sooo müde.«

Damit verschwand er im Badezimmer und lag kurze Zeit später schnarchend im Bett.

Weder frische Fisch- noch Pilzgerichte sollte man wieder aufwärmen, das wusste sogar Leander. Das Fischgulasch landete samt Pilzsauce im Müll. Die Kartoffeln könnte ich am nächsten Tag braten. Lediglich die Flasche Weißwein leerte ich an jenem Abend noch frustriert.

Nachdem die Pilzsaison erfolglos verstrichen war und die ersten Adventskerzen am Kranz leuchteten, wurde es kalt. Die Straßen waren oft vereist, und ich überredete Leander das eine und andere Mal, von Bremen nach Carolinensiel zu kommen, in der Hoffnung, dass sich damit mein Problem von allein lösen würde. Dem war leider nicht so. Aber vielleicht konnte ich ein wenig nachhelfen?

Da die Bücherei nur begrenzte Literatur über die Manipulation eines BMW Cabriolets bot, machte ich mich auf den Weg nach Emden, um dort in einem Internetcafé unauffällig Nachforschungen zu betreiben. Seit es diese undurchsichtigen Medienüberwachungsgesetze gab, war ich vorsichtig geworden, was meine Surferei im Internet betraf.

Ich wurde fündig. Schnell wurde mir klar, dass das Anschneiden der Bremsschläuche für einen Laien wie mich eine nicht durchführbare Aktion war. Zu leicht konnte das von einem Fachmann entdeckt werden. Und was hätte ich davon, wenn Leander zwar tot, ich aber im Gefängnis wäre?

Ein Artikel über die nachlässige Arbeit einer Autowerkstatt brachte mich auf eine andere Idee: Reifenmuttern.

Es war kurz vor Weihnachten, es hatte wieder gefroren, und Leander war übers Wochenende bei mir gewesen. Wir hatten recht harmonische Tage miteinander verbracht, die jedoch am späten Sonntagnachmittag durch den Anruf einer nahezu hysterischen Frau, die mir ihren Namen nicht nennen wollte, beendet wurden.

Leander verließ das Zimmer, während er mit ihr telefonierte. Als er zurückkehrte, war er äußerst schlecht gelaunt.

»Ich muss noch heute zurück nach Bremen.«

»Heute? Aber die Straßen sind spiegelglatt …«

»Es ist wichtig.«

Er wandte sich ab. Kurz darauf hörte ich das Plätschern der Dusche im Bad.

In Windeseile huschte ich in die Garage und lockerte die Schrauben des rechten Vorderrades seines Wagens. Ich kam mächtig ins Schwitzen und musste mich ordentlich anstrengen. Als ich mit geröteten Wangen wieder zurück in die Wohnung kam, stand Leander bereits in Anzug und Jacke in der Diele. Er fragte nicht einmal, wo ich gewesen war, gab mir einen Kuss und stürmte hinaus.

Ich saß im Wohnzimmer und trank ein Glas Rotwein, als ein Auto vor meinem Haus hielt und es kurz darauf klingelte. Es war fast Mitternacht. Ich ahnte, wer vor der Tür stand, straffte die Schultern und schlenderte zur Tür. Innerlich bereitete ich mich auf meine Rolle vor.

Zwei Polizeibeamte standen mir gegenüber.

»Frau Weck, Ihr Mann hatte leider einen Unfall.« Als ich wieder zu mir kam, lag ich auf meinem Sofa. Einer der Beamten hatte mir fürsorglich ein Kissen unter die Kniekehlen gelegt.

»Es ist nicht so schlimm, Frau Weck. Eine leichte Gehirnerschütterung, ein paar Prellungen, das rechte Bein ist gebrochen. Ihr Mann hatte wirklich Glück.«

Ich wollte sofort wieder in eine Ohnmacht flüchten.

Wenige Tage später lag Leander an der Stelle, an der mich die Polizisten zuvor so nett umsorgt hatten. Er war krankgeschrieben und würde die nächsten Wochen bei mir sein, da er sich mit dem gebrochenen Bein nicht selbst versorgen konnte. Ich brachte ihm das Essen und seine Zeitung ans Sofa, schaltete den Fernseher ein und wieder aus, kaufte seine Lieblingsschokolade und gab ihm jeden Morgen seine Thrombosespritze.