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Der Mensch stammt vom Affen ab, der Hund vom Wolf. Doch warum haben wir uns den Wolf ausgesucht, um mit ihm zu leben und nicht den Affen? Welche Vorteile hat es uns gebracht, dass wir uns gemeinsam mit den sozial orientierten Kaniden weiterentwickelt und von ihnen gelernt haben? Günther Bloch und Radinger, Elli H beschäftigen sich mit der Frage, wie die Ko-Evolution von Affenartigen und Hundeartigen, die seit Jahrtausenden existiert, heute weitergeht und wie wir davon profitieren können. Wie können wir – unter Berücksichtigung individueller Persönlichkeiten von Mensch und Hund – lernen, mit unseren Hunden zu kooperieren, statt sie zu dominieren, und so eine harmonische und glückliche Beziehung aufbauen?
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Seitenzahl: 209
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Dieses neue Werk der Caniden-Spezialisten Günther Bloch und Elli H. Radinger ist der Hund-Mensch-Beziehung gewidmet – aus evolutionsbiologischer Sicht.
Sie verstehen den Menschen, das Lebewesen zwischen Natur und Kultur, als „den Affen in uns“, begreifen „unsere“ Geschichte als eine Jahrmillionen währende, und Hunde als „ehemalige“ Wölfe.
Dieser Ansatz ist hervorragend und in der sauberen Gedankenführung wie Konsequenz der Hypothesenableitung einmalig gelungen.
Er beantwortet vornehmlich den Anpassungswert und den stammesgeschichtlichen Ursprung des Verhaltens, damit die Teilfragen drei und vier der vier logisch trennbaren Ebenen der Verhaltensanalyse, wie sie der Nobelpreisträger Nikolaas Tinbergen 1963 so trefflich beschrieb. Es geht vornehmlich um Anpassungsmechanismen und stammesgeschichtliche Ursachen des Hundeverhaltens (Funktion und Evolution).
Die Grenzen zwischen „Mensch“ und „Tier“ weichen sukzessive, der „Mensch“ blickt inzwischen vom Thron seiner „kulturellen wie biologischen Einzigartigkeit“ recht einsam herab. Die sozialen Unterschiede zwischen ihm und anderen Wirbeltieren (soziale Caniden und Rabenvögel neben Affen und Menschenaffen) erweisen sich immer deutlicher als gradueller und nicht grundsätzlicher Natur. Das ist nicht erstaunlich für die Existenz homologer (also abstammungsgleicher) Merkmale. Dennoch wollte man es lange nicht wahrhaben. Der eine oder andere Kulturgeschichtler mag das auch heute anders sehen.
Soziale Regelhaftigkeiten auf hohem Niveau sind auch und gerade Wölfen und Hunden eigen. Auch sie haben Traditionen, sie arbeiten zusammen, sie helfen einander, indem sie im Rahmen sozialer Problemlösung kooperieren, sie bilden via Ausdruck ein Kaleidoskop unterschiedlichster Emotionen ab und lehren uns Fairness und Moral, pflegen Traditionen, indem sie soziales Verhalten weitergeben.
Wo ist der Schnittpunkt zwischen Natur und Kultur, so mag man sich fragen, liest man die vielen Beispiele für beide Bereiche bei Caniden und Hominiden.
Übrigens werden natürlich auch die Rabenvögel und Wölfe thematisiert, die auf sozialem Niveau zusammengehören und einander so hervorragend ergänzen.
In der Zeit unserer Wolfsbeobachtungen im Tiergarten des Zoologischen Instituts der Universität Kiel fielen uns die Rabenkrähen im Wolfsgehege immer wieder auf, sie gehörten zu den Wölfen und wurden toleriert.
In Bezug auf die Hominisation (den stammesgeschichtlichen Prozess der Menschwerdung) muss die Anthropologie Antworten auf die Fragen suchen, welche Wechselwirkungen zwischen den Vorfahren des Menschen und seiner Umwelt für die Entwicklung spezifischer Merkmale des Homo sapiens verantwortlich waren. Meine Kollegin Inge Schröder (Gruppe G., Christiansen K., Schröder I., Wittwer-Backofen U.: Anthropologie, 2005, Springer) betont, dass „gerade die soziale Organisation des Menschen ein einzigartiges, speziestypisches Merkmal“ ist, dass wir bei unseren nächsten Verwandten völlig andere Lebensformen finden (solitär, Polygamie (Vielehe) beim Orang Utan oder Sammlungs- / Trennungsgesellschaften mit promiskem Paarungsmuster beim Schimpansen).
Die Autoren stellen „unsere Historie“ so klar wie kurzweilig dar, unter Einbeziehung des Wolfes / Hundes in diese, was ja viel Sinn macht. Wölfe sind sehr gruppenbezogen, passen zum Menschen, weit mehr als die Ich-bezogenen Schimpansen, es ist nicht erstaunlich, dass Wölfe domestiziert wurden. Zum theoretischen Abschnitt gehört jeweils ein anwendungsbezogener Part für Hundehalter.
© Günther Bloch
Und nun lese ich sie quasi, die Gedanken einiger dieser Hundehalter, die wissen wollen, was tun mit diesem und jenem Hund, und nicht verstehen, warum Günther Bloch und Elli Radinger verhaltensbiologisch wie anthropologisch „in die Tiefe“ gehen. Ist denn das nötig? Muss man das wissen? Wenn man verstehen will, warum sich Hunde so verhalten, unbedingt.
Es geht um ein biologisches Grundverständnis dessen, was uns mit Hunden verbindet, was wir sind, wo unsere Wurzeln sind. Es geht um tiefere Einblicke in soziale Systeme, um nachvollziehbar zu machen, was uns zum Wolf brachte, der mit uns in einem langen Zeitfenster zum Hund wurde.
Hunde sind so wie sie sind, weil Wölfe ihre Ahnen waren. Die sind extrem sozial und kooperieren nicht nur bei der Jagd und Jungenaufzucht, stimmen sich vielmehr über so viele soziale Belange ganz fein ab. Und Hunde beobachten uns so genau und berücksichtigen unsere Stimmung und Tagesform in jeder Interaktion, weil sie dieses soziale Erbe haben. Umgerichtet auf uns, die damit immer wieder nicht so recht umgehen können. Weil wir eben nicht wissen „was ist das, der Hund?“. Trotz der vielen Hundebücher mit ganz genauen Anleitungen, was man in dieser und jener Situation als Mensch mit dem Hund zu tun hat. Warum all dieses nicht helfen kann, begreift man, wenn man evolutionsbiologisch denkt, wenn man das „woher kommen wir, wohin gehen wir?“ hilfreich mit biologischen Grundlagen stützen kann, den Wolf / Hund einbezogen. Zudem hat die Verallgemeinerung von Einzelfällen noch nie geholfen, weil Hunde individuell sind wie wir und ihre sozialen Strategien natürlich auch.
Von Herzen gefreut hat mich eine diesbezügliche Sentenz der Autoren: „Die Frage, die uns immer wieder gestellt wird, warum wir Wölfe beobachten, möchten wir hier abschließend ganz kurz zusammenfassen: Weil wir durch das Beobachten von Wölfen und anderen Tierarten ganz einfach kundiger werden, und weil Wissensvermehrung weder wehtut noch schadet. Wir lernen jeden Tag etwas Neues hinzu.“ Gut gebrüllt, Löwe. Wer neugierig ist und bleibt, wer langjährig Wölfe, Haushunde – und Rabenvögel beobachtet, wie die Autoren, der verfügt über ein solides Fundament biologischen Grundlagenwissens. Und wenn so einer dann über Hunde und Menschen schreibt, wird deutlich, dass nicht gebetsmühlenartig irgendein Hundeverhalten beschworen wird, sondern dass Hundeverhalten abgeleitet und damit verständlich wird.
Sicher, kein schneller Weg. Sicher, kein einfacher Weg. Dennoch der einzig richtige, wenn es um Erkenntniszuwachs geht. Und den brauchen wir so dringend. Hunde sind heute in unseren Breitengraden unverstandener denn je.
Das „Wo kommen wir her, warum passen wir so gut zusammen?“ wird wissenschaftlich aufbereitet (mit Zitaten versehen!) und ist exzellent und spannend geschrieben.
Es ist neu, für mich beglückend und befreiend, dass Günther Bloch und Elli Radinger eben diesen Weg gehen, dass weder „dümmlich-kindlich“ noch instrumentalisierend über Hunde berichtet wird, dass nicht nachgebetet wird, was immer wieder in Hundebüchern tradiert wird, sondern aus dem Fundus der vergleichenden Beobachtung geschöpft wird.
Die Autoren haben ein sehr anspruchsvolles, auf wissenschaftlichen Daten bzw. Hypothesen basierendes Werk geschrieben, das viele neue Denkansätze bietet und geeignet ist, Hunde anders zu betrachten und entsprechend mit ihnen umzugehen.
Beide sind „Zoologie-Infizierte“, geprägt durch lange Jahre der Freilandbeobachtungen und der Auseinandersetzung mit ethologischer Literatur. Das liest man, das ist das Besondere dieses Buches.
Kooperation, so zeigt es sich, stellt langfristig gesehen die stabilste evolutionäre Strategie dar, ist die Grundlage sozialer Kompetenz – der Fähigkeit, soziale Bindungen zu anderen anzuknüpfen, auszubauen und aufrecht zu erhalten.
Und diese soziogenetischen Fähigkeiten einen Menschen und Hunde. Vom Rabenvogel ganz zu schweigen.
Es ist nicht die schnelle Idee, der Tipp, der Trick, der dem Verständnis dienlich ist. Fundiertes Grundlagenwissen führt zu Erkenntnissen, die der Anwendung dienen.
Nur so kann es (weiter)gehen.
Dr. Dorit Urd Feddersen-Petersen
Ethologin am Institut für Haustierkundeder Universität Kiel
Das hat uns gerade noch gefehlt. Nach dem Versuch, „wölfisch zu lernen“, sollen wir Menschen aus dem modernen Medienzeitalter uns jetzt auch noch mit den eigenen Verwandten aus der Primatenwelt beschäftigen? „Affe trifft Wolf“. Was soll das? Das fragen wir uns auch. Deshalb haben wir uns für diesen plakativen Titel entschieden. Tun wir nicht alle manchmal so, als würden wir die Begriffe Zusammenarbeit, Moral und soziale Verantwortung nicht kennen? Wenn wir Menschen uns selbst schon als „ethisch-moralische Kooperationstiere“ beschreiben, warum nehmen dann Selbstverwirklichung, Missgunst, Hass, Tierquälerei und das Töten aus reinem „Spaß“ zu? Führen wir uns unseren egoistischen Lebensstil des heutigen technisch versierten Menschen, im Zeitalter der globalen Erwärmung, des „Radikalkapitalismus“ und der Überflussgesellschaft vor Augen, dann sollten wir uns fragen, wie intelligent wir eigentlich sind. Geradezu lächerlich scheint unser Versuch, die Natur beherrschen zu wollen.
Vieles, was wir im Umgang mit Hunden so anstellen, muss diesen wie das reinste „Affentheater“ vorkommen. Wenn wir mitunter wie Schimpansen auftreten, dürfen wir uns nicht wundern, wenn der Hund die Welt nicht mehr versteht. Egoismus anstelle von Kooperation? Dominanz statt Bedürfnisangleichung? Wo ist bloß unsere so hoch gelobte soziale Intelligenz geblieben, wenn wir wie ein wilder Schimpansenchef geradezu hysterisch „Ressourcenkontrolle“ betreiben oder unseren Hunden vorleben, wie man nur auf den eigenen Vorteil bedacht ist?
© John Marriott / Kosmos
Familie Bloch am Bow-Fluss in den Kanadischen Rockies.
Schwierig wird es, wenn es darum geht, vergangene Kulturen mit heutigen Gegebenheiten zu vergleichen oder gar eine Brücke zu schlagen zwischen Primaten- und Kanidenwelt. Wir wollen uns trotzdem diese Freiheit nehmen. Zum einen, weil wir Zehntausende Freilandstunden zusammen mit Wölfen in freier Wildbahn verbracht haben. Zum anderen, weil wir Wolf-Karibu-, Wolf-Bison-, Wolf-Hirsch- oder Wolf-Rabe-Beziehungen glücklicherweise noch live erleben. Das größte Problem sind derzeit noch unsere geistigen Kapazitätsgrenzen. Da sitzen wir als „kleine Würstchen“ auf einem Beobachtungsposten und fragen uns, ohne jemanden schulmeisterlich belehren zu wollen: Geht nicht jede Minute, die wir im Internet verbringen oder nutzlose Facebook-Kommentare schreiben, von der Zeit ab, die wir als Alternative draußen mit Tierbeobachtungen verbringen könnten?
Ich [Bloch] habe dies persönlich mit einem klaren Ja beantwortet, mich aus Deutschland „vom Acker gemacht“, um noch genauer hinzuschauen, was Tiere so tun, wie sie was tun und warum sie es tun.
Ich [Radinger] komme als Herausgeberin des Wolf Magazins nicht umhin, mich mit Internet, Facebook & Co zu beschäftigen. Dafür schätze ich besonders meine „Auszeit“ in der Wildnis von Yellowstone, weil sie mich wieder „zurück zur Natur“ und damit zu meinen Wurzeln bringt.
Vielleicht verstehen wir Naturforscher ein wenig besser, warum wir Menschen das sozialethische Familientier Wolf domestiziert haben und nicht den ich-bezogenen Affen. Gewiss, Überlegungen zur „Menschwerdung“ durch Beeinflussung des Wolfes gibt es zuhauf, so z. B. die Arbeiten von D. Feddersen-Petersen und I. Schroeder aus dem Jahre 20o2. In Bezug auf die Hypothese zur Ko-Evolution Mensch-Kanide haben wir jedoch die Einbeziehung des Raben vermisst.
© Elli H. Radinger
Elli Radinger bei der Wolfsbeobachtung im Yellowstone-Nationalpark
Zusätzlich beschäftigen wir uns mit der Frage, wo die substanziellen Unterschiede zwischen Wolf und Hund liegen und welche Grundvoraussetzungen wir für ein optimales Verhältnis zwischen Mensch und Hund beachten sollten.
Oft wird behauptet, man dürfe Erkenntnisse aus der Tierforschung nicht auf den Menschen übertragen. Dem entgegnet der bekannte Primatenforscher Frans de Waal (2011): „Sie (Menschen) mögen komplizierte Tiere sein, aber bei Veranlagungen, die wir mit vielen anderen Tieren teilen – Wettbewerbsstreben, Dominanz, Empathie, Altruismus, Territorialität – ist schwer vorstellbar, dass sie nichts mit unserer Evolution zu tun haben sollen.“
Spannend fanden wir auch das Thema „Intelligenz“ bei Mensch und Hund, das bislang in der Literatur extrem stiefmütterlich behandelt wurde.
Besonders am Herzen liegt uns außerdem ein weiteres Schwerpunktthema dieses Buches: die „sozioemotionale Beziehungsebene von Mensch und Hund“. Viele von uns tun sich immer noch schwer damit, Tieren Emotionen und Gefühle zuzugestehen. Gesunde Skepsis ist immer angebracht und völlig in Ordnung. Nicht dagegen arrogante oder gar herablassende Bemerkungen, wie: „Keiner kann in den Kopf eines Tieres schauen“ oder „Kanidenforscher, die sich dieser Thematik verschreiben, sollten besser ihre rosarote Brille zur Seite legen“. Anscheinend gilt oftmals nur derjenige als „cool“, der Kaniden auf instinktgesteuertes Beutefangverhalten reduziert. Eine praktische Vorführung, wie man das „Raubtier“ Hund anscheinend problemlos bändigt, mag beim Laien für großes Erstaunen sorgen. Uns lässt ein solcher „Rudelführer-Primatentanz“ kalt. Alternativ stellen wir eine Fülle aktueller Resultate von bekannten und seit vielen Jahren tätigen Forschern vor, die den vielschichtigen Austausch von Emotionen unter verschiedenen Säugetieren – besonders aber auch zwischen Mensch und Hund – eindrucksvoll beweisen.
Eine Bemerkung am Rande zum Thema „Anerkennung von Empathie, Emotionen und Moral bei Tieren in wissenschaftlichen Kreisen“: Bei der Vorbereitung zu diesem Buch ist uns immer wieder aufgefallen, dass es erfahrenen Wissenschaftlern, die sich intensiv mit dem Thema beschäftigen (z. B. George Schaller, Frans de Waal, Jane Goodall, Marc Bekoff, Dorit Feddersen-Petersen), offensichtlich leichter fällt und sie eher bereit sind, „über den Tellerrand“ zu blicken, als naturwissenschaftliche Neueinsteiger. Wir können nur vermuten, dass unsere jungen Kollegen vielleicht fürchten, mit diesen Themen in wissenschaftlichen Kreisen nicht ernst genommen zu werden.
Marc Bekoff (2011) sagt dazu stellvertretend für seine Kollegen: „Wenn sich Feldforscher eine gewisse Zeit mit den Objekten ihrer Untersuchung beschäftigen, entwickeln sie unvermeintlich ein Gefühl der Nähe und vielleicht sogar Liebe für die Tiere, die sie studieren. Penible Erbsenzähler können diese emotionale Beteiligung als einen Störfaktor betrachten, der die objektive Wahrnehmung beeinträchtigt, zu der Wissenschaftler eigentlich verpflichtet sind. In Wahrheit ist es so, dass erst solch eine emotionale Bindung an das Beobachtungsobjekt dazu führt, dass das Forschungsobjekt als Subjekt wahrgenommen wird.“ Dem haben wir nichts mehr hinzuzufügen.
© John Marriott / Kosmos
In unseren „Feldnotizen“, die Sie überall im Buch finden werden, erzählen wir Ihnen Geschichten von unseren Beobachtungen bei den Wölfen von Banff [Bloch] und Yellowstone [Radinger]. Bitte beachten Sie, dass alle hier geschilderten Verhaltensbeschreibungen exemplarisch sind.
Die Frage, die uns immer wieder gestellt wird, warum wir Wölfe beobachten, möchten wir hier abschließend ganz kurz zusammenfassen: Weil wir durch das Beobachten von Wölfen und anderen Tierarten ganz einfach kundiger werden und weil Wissensvermehrung weder wehtut, noch schadet sie. Wir lernen jeden Tag etwas Neues hinzu.
Dieses Buch ist kein Erziehungsratgeber. Es würde uns freuen, wenn Sie, statt das Buch querzulesen – auf der Suche nach dem ultimativen Geheimtipp für den Umgang mit Ihrem Hund –, sich ein wenig Zeit nehmen und sich gemütlich in einen Sessel setzen, um sich mit unserer eigenen Vergangenheit und der unserer vierbeinigen Sofawölfe ein wenig intensiver zu beschäftigen. Letztlich sei erwähnt, dass alle Wolfsfotos von John Marriott und Helga Drogies frei lebende Tiere zeigen.
Wir wünschen Ihnen viel Spaß beim Lesen.
Günther Bloch & Elli H. Radinger
© Helga Drogies
Haben ganz bestimmte Tierarten in der Entwicklung der Menschheit eine größere Rolle gespielt als bisher angenommen? Die amerikanische Paläoanthropologin Pat Shipman (2011) vertritt jedenfalls die Auffassung, dass der frühzeitige Mensch durch das Leben mit Tieren erst fähig wurde, Sprache, Werkzeuge und Kultur zu entwickeln. Diese Behauptung hat nur einen Haken: Wie wir längst wissen, benutzen selbst Schimpansen Werkzeuge, die sie sich gezielt zurechtbasteln. Gleiches galt auch für den Neandertaler. Daher gehen wir davon aus, dass es viel eher der uneigennützige, soziale Lebensstil (und im weitesten Sinne die „Moral und Ethik“) des Wolfes war, den Homo sapiens – im Laufe eines langen Anpassungsprozesses – durch Verhaltensbeobachtungen und -vergleiche für seine Weiterentwicklung als vorteilhaft ansah.
Diese Hypothese vertrat der Ethologe Wolfgang Schleidt (1998) schon 1989: „In der Natur entspricht die Ethik des Menschen am ehesten der des Wolfes, Canis lupus.“
Dorit Feddersen-Petersen wirft jedoch die Frage auf: Hatte der Mensch diese Vorausschau der Dinge? Oder war da die bessere „Passung“ bezüglich eigener Bedürfnisse mit diesem Kaniden, so dass man es bei sich beließ? Eine abschließende, zufriedenstellende Antwort werden wir wohl nie erhalten.
Ich [Radinger] habe heute beim Hundespaziergang den Zug der Kraniche nach Süden beobachtet. Zehntausende Vögel zogen über meinen Kopf auf uralten Routen, denen sie schon seit Anbeginn ihrer Zeit folgten und auch weiterhin folgen werden. In unserer hochtechnisierten Welt können wir, die wir solche Spektakel beobachten, nicht anders als darüber nachzudenken, wo auch wir herkommen und wo wir hingehen.
© Fotolia
Der Zug der Kraniche ist zwei Mal jährlich ein großartiges Naturschauspiel.
Die Evolution des Menschen ist ein riesiges unvollendetes Thema, bei dem sich Aussagen über das aktuelle Alter der Menschheit durch spektakuläre Fossilienfunde und neue molekulargenetische Untersuchungen fast täglich ändern und „überholen“. Immer neue spektakuläre Funde haben inzwischen den Stammbaum des Menschen in einen verworrenen Stammbusch verwandelt. Was wir heute wissen, ist, dass sich in den vergangenen vier bis fünf Millionen Jahren ein bunter Haufen höchst unterschiedlicher Urmenschen auf dem Stammbaum des Menschen – zunächst ausschließlich in Afrika – getummelt hat. Der letzte gemeinsame Vorfahre von Menschenaffe und Mensch lebte etwa vor fünf bis zehn Millionen Jahren. Es gilt als gesichert, dass der gemeinsame Vorfahre vom heutigen Menschen und dem Neandertaler der Homo erectus war. Der sogenannte „aufrecht gehende Mensch“ lebte vor etwa zwei Millionen Jahren in Afrika. Fossilien, die am Turkana-See in Kenia gefunden wurden, weisen darauf hin, dass dieser Urmensch schon vor rund 1,8 Millionen Jahren fortgeschrittene Steinwerkzeuge (Faustkeile) hergestellt hat (Lepre et al. 2011), mit deren Hilfe er sowohl große, von Raubtieren zurückgelassene Beutetiere zerlegen als auch selbst auf die Jagd gehen konnte.
Der Großwildjäger Homo neanderthalensis dagegen tauchte sehr spät in unserem Stammbaum auf (vor etwa 130.000 Jahren). Heute gilt er als ausgestorbene Seitenlinie des Menschen. Als überwiegender Fleischesser verbrauchte der Neandertaler aufgrund seiner aufwendigen Lebensweise geschätzte 5.000 Kalorien täglich. Durch die einseitige Ernährung wurden diese Menschen nicht älter als dreißig bis vierzig Jahre. Wir wissen heute, dass der Neandertaler zweifellos weit entwickelt, klug und ein guter Jäger war, der Werkzeuge fertigte und seinen Feuerstein teilweise aus 100 km Entfernung zu seinem Wohnplatz holte. Das zeugt von Planung, Wissen und Mobilität. Er legte darüber hinaus auch ein ausgeprägtes Sozialverhalten an den Tag, pflegte Kranke und Verletzte und bestattete seine Toten. Vor etwa 30.000 Jahren verschwand er von der Bildfläche – warum, ist noch nicht vollständig geklärt.
Der moderne Mensch (Homo sapiens) entstand vor etwa 200.000 Jahren, höchstwahrscheinlich in Südafrika. Er ernährte sich nun neben Fleisch auch von Wassertieren wie Fischen oder Schildkröten, die er auf dem Feuer kochte, sowie von Früchten, die er sammelte. Die flexible eiweißreiche Ernährung dürfte auch zu einer Vergrößerung des Gehirns geführt haben, was wiederum für eine Veränderung des Sozialverhaltens ursächlich ist. Außerdem bekam er kleinere Zähne und sein Magen veränderte sich. Jetzt konnte Homo sapiens länger und schneller laufen als alle seine Vorfahren. Er verlor seine Körperhaare, überhitzte nicht mehr und wurde zu einer Art ausdauerndem „Marathonläufer“, der tagsüber äußerst energie-effizient vier bis fünf Stunden am Stück laufen und Beutetiere bis zu deren Erschöpfung nachstellen konnte. Ein Vorteil, den die afrikanischen Buschmänner noch heute bei der Jagd auf unterschiedliche Huftierarten geschickt zu nutzen wissen. Interessant ist in diesem Zusammenhang auch eine neue Studie (Currat 2011), die nachweist, dass die genetische Vielfalt der Buschmänner in Afrika heute noch höher ist als irgendwo sonst auf der Welt, vermutlich weil sie eng mit der Natur zusammenleben und deshalb eine größere Anpassungsfähigkeit unter Beweis stellen müssen. Rein theoretisch könnten also afrikanische Buschmänner eher überleben, als ein Banker im 59. Stock in Manhattan (was wohl niemand anzweifeln wird). Seine Werkzeuge und Ausrüstungsgegenstände waren auffallend hoch entwickelt. Das brachte es mit sich, dass eine neue und komplexere Kultur und Gesellschaft entstand.
© Helga Drogies
Homo sapiens zog auf der Suche nach neuen Nahrungsquellen von der afrikanischen Savanne unaufhaltsam weiter in Richtung Naher Osten, wo er sich vor etwa 70.000 Jahren nachweislich mit dem Neandertaler vermischte. Dies ergaben neue Untersuchungen des Genetikers Svante Pääbo (2010), dem es gelungen war, die Erbsubstanz des Neandertalers zu entschlüsseln. Pääbos Erkenntnis: „Noch heute tragen wir Europäer ein Stück Neandertaler in uns.“
Als sicher gilt das Zusammentreffen beider Menschenschläge vor spätestens 40.000 Jahren in der europäischen Steppenlandschaft. Dort lebten große Rentierherden und vielerlei andere Huftiere. Vermutlich koexistierten beide Formen des neuzeitlichen Menschen lange Zeit, bevor die letzten, ins westliche Europa zurückgedrängten Neandertalergruppen vor ca. 30.000 Jahren endgültig ausstarben. Homo sapiens setzte seinen weiteren Siegeszug fort und sollte später in der Säugetierwelt zur dominierenden Spezies avancieren.
© Wolfgang Schleidt
Quelle: Schleidt, W.M. und Shalter, M.D. (2003): Co-evolution of humans and canids: An alternative view of dog domestication: HOMO HOMINI LUPUS? Evolution and Cognition 9 (1): 57–72.
Die Evolution von hundeartigen Raubtieren begann bereits vor etwa zehn Millionen Jahren in Nordamerika, von wo aus sie große Wanderausflüge unternahmen, zunächst nach Asien, später nach Europa und Afrika.
Während die erste „echte“ Wolfsart (Canisedwardii) wohl schon vor 1,8 Millionen Jahren aus einer kojotenähnlichen Art in Nordamerika entstand, trat der uns geläufige Grauwolf (Canis lupus) erst vor etwa einer Million Jahre auf die Weltbühne. Somit ist er ohne jeden Zweifel etwa gleich alt wie der Urtyp des Menschen (Homo erectus), der nach neuesten Funden vor etwa 1,76 Millionen Jahren lebte und der lange Zeit Eurasien bis China besiedelte. Optimal angepasst an das Migrationsverhalten damaliger Huftierherden, entwickelte sich der Wolf unter allen Säugetieren zum ersten „Hirten“ überhaupt. Seine Fähigkeit, kollektiv zu jagen, Nahrung mit Gruppenmitgliedern zu teilen und Beuterisse gegen Fressfeinde zu verteidigen, ließ ihn zum Top-Beutegreifer Europas aufsteigen. Hier und im Nahen Osten trafen letztendlich Jagdprofi Wolf und „Jagdlehrling“ Neandertaler vor etwa 150.000 Jahren erstmalig aufeinander. Wären wir heute nicht auch besser dran, wenn wir uns nicht als die „Meister“ sehen, sondern von den „Lehrlingen“ Hund lernen würden?
© Helga Drogies
Die „Pipestones“ ist die Wolfsfamilie, die wir (Bloch) zurzeit täglich begleiten. Leitrüde Spirit, Leitweibchen Faith, Babysitterin Blizzard und der aus vier Jungtieren bestehende Nachwuchs im Winter 2011/2012 (von links nach rechts).
In der Wolfswelt sorgen derweil drei wichtige Grundregeln für allgemeine Zufriedenheit und Ausgeglichenheit, die wir uns als heutiger Hundehalter einmal zu Herzen nehmen sollten:
– Vertrauen entsteht durch eine Bereitschaft von gegenseitigem Geben und Nehmen. Das ist für Hundeartige völlig selbstverständlich, nur wir vergessen es allzu oft.
© John Marriott / Kosmos
– Auch für die heutige Mensch-Hund-Beziehung gelten nach wie vor allgemeingültige Gruppenregeln, die Respekt und Disziplin vermitteln sollten (Hunde lernen über Verhaltensrituale und aggressive Kommunikation, was geht und was nicht geht).
© John Marriott / Kosmos
– Wie wir moderne Hundehalter mittlerweile wissen sollten, sorgen regelmäßige gemeinsame Erkundungen und Aktivitäten für Auslastung. Letzteres bedeutet für uns alle: Man muss den inneren Schweinehund überwinden und täglich mindestens zwei lange Spaziergänge von ein bis anderthalb Stunden machen (Auch selbstständiges Erkunden der Umwelt ist für den Hund wichtig).
© Heike Schmidt-Röger
Auch wir Hundehalter haben uns oft schwer getan, mit Neandertalern oder eventuell vordergründig egoistischen Menschenaffen verglichen zu werden. Wer will schon als „primitiver Affe“ angesehen werden. Bedenken wir jedoch, dass selbst Frans de Waal (2011) sagt, dass auch wir Egoisten sind, nur eben abhängig von anderen Menschen. Aus diesem Grund leben Menschen in Gesellschaften und Affen in Gruppen; allein würden wir nicht überleben. Was uns alle zunächst empören mag, bekommt dann einen Sinn, wenn wir uns unserer eigenen Naturentfremdung bewusst werden, die unser hektisches Alltagsleben zwangsläufig mit sich bringt. „Menschen und Tiere sind Teil derselben Welt, dieses sollten wir nie vergessen. […] Wir können nicht so tun, als lebten wir alleine und autark auf dieser Welt“, mahnte uns Dorit Feddersen-Petersen (2004) schon vor Jahren.
© Tierfotoagentur / J. Ritterbach
Menschenaffen leben zwar in Gruppenverbänden, kooperieren aber nicht so ausgefeilt und langfristig miteinander wie es unter Kaniden üblich ist.
Wann also fangen wir im Umgang mit Hunden wieder damit an, uns als Teil der Natur zu sehen und instinktiv unserem Bauchgefühl zu vertrauen? Dass dies gar nicht mehr so einfach ist, sieht man an einem neuen Trend: Angesehene Manager großer Firmen stürmen sogenannte „Survival-Camps“ in Kanada, um dort unter fachlicher Anleitung zu lernen, wie man ohne technische Hilfsmittel in rauer Umwelt überlebt. Damit wollen sie Führungsqualitäten erlernen. Dabei kommen die feinen Herren mächtig ins Grübeln. Wie töte ich ohne Waffen ein Kaninchen, um nicht zu verhungern? Was tue ich, wenn ich einem Grizzly oder Puma begegne? Wo finde ich Schutz vor dem Wetter? Wenn es ums nackte Überleben geht, besinnt man sich innerhalb kürzester Zeit verloren geglaubter Urinstinkte. Der Neandertaler lässt grüßen!
© Fotolia / Nick Biemans
Wer jedoch einmal gelernt hat, auf seine Instinkte zu hören, kann sich ein solches Survival-Training sparen. Allerdings sollten wir nie vergessen, dass unser menschliches Bauchgefühl deutlich schlechter ist als das der Tiere. So sind beispielsweise die seismografischen Fähigkeiten von Tieren schon seit der Antike bekannt. Sie schlagen bis zu zwanzig Stunden vor einem Erdbeben Alarm.
Führung zeichnet sich nicht durch Chefallüren aus. Vielmehr lebt eine Führungspersönlichkeit eine Vorbildfunktion vor – und verzichtet auf „Primatengehabe“. Was das ist, erklärt die bekannte Primatenforscherin Jane Goodall (2007): „Schimpansen sind Individualisten. In freier Natur sind sie ungestüm und aufbrausend. Sie sind stets auf ihren eigenen Vorteil bedacht. Sie sind eben keine Rudeltiere.“ Schimpansenmütter vertrauen z. B. ihre Kinder normalerweise keinem anderen Gruppenmitglied an, das sich um sie kümmern kann – ganz im Gegensatz zu Mensch und Wolf.
Zwar gibt es Beweise für eine kurzzeitige Zusammenarbeit zwischen Schimpansen, dagegen zeigen Bonobos schon etwas mehr Kooperationswillen. Im Lola Ya Bonobo Sanctury (Kongo) haben Bonobos sogar kollektiv versucht zu verhindern, dass ein verstorbenes Mitglied ihrer Gruppe von den Forschern aus dem Gehege genommen wurde. Der Evolutionsanthropologe Brian Hare von der Duke University (USA) beschreibt seine Beobachtung als „unglaublich bewegend“. Doch auch Bonobos gelingt es wegen ihrer primateneigenen egoistischen Grundeinstellung nicht, anhaltende Familienkulturen aufzubauen. „Verhalten kopieren ja, Gelerntes gezielt weitervermitteln nein“, scheint ihre Devise zu sein.
Das Kooperationsverhalten von Affen hat seine Grenzen. Letztlich geht es immer um den eigenen Vorteil. Am Great Ape Research Institute in Japan zeigten Schimpansen eine gewisse Bereitschaft, sich gegenseitig zu helfen, um an eine Futterquelle zu kommen. Sie halfen sogar Menschen und brachten ihnen einen Gegenstand zurück, den diese außerhalb ihrer Reichweite fallen gelassen hatten, ähnlich einem apportierenden Hund. Ließen die Menschen jedoch eine Banane fallen, dann war Schluss mit lustig.