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Als Rudeltiere wollen Hunde wissen, wie sie sich am Menschen orientieren können. Der Mensch wiederum möchte verstehen, wie sein vierbeiniger Freund "tickt" und ist bereit, zahlreiche Trainingsmethoden auszuprobieren – meist ohne Erfolg. Doch wie findet der Hundehalter einen zuverlässigen Weg im Umgang mit seinem Hund? Günther Bloch und Elli H. Radinger beobachten seit Jahrzehnten wilde Hunderudel und Haushundegruppen und haben sich abgeschaut, wie Hunde untereinander agieren. In ihrem neuen Buch geben sie Hundehaltern verhaltenspsychologische Tipps zum Entschlüsseln des "Mensch-Hund-Codes".
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Seitenzahl: 220
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Seit Jahren hören wir von Hundebesitzern stets aufs Neue: „Ich habe schon alles probiert. Nichts hat funktioniert. Sie sind meine letzte Hoffnung.“
Natürlich fühlt sich jeder von einer solchen Aussage geschmeichelt. Zur Ehrenrettung zahlreicher Fachberater für Kanidenverhaltensfragen im Allgemeinen und Mensch-Hund-Lebensgemeinschaften im Besonderen weisen wir gleich im Einleitungstext dieses Buches unmissverständlich darauf hin, dass diese sicherlich ehrliche Arbeit abliefern. Wem es ein ernstes Anliegen ist, seinen Job als Berater gut zu machen, der strebt danach, Hilfe suchende Hundeleute mit Anstand und Respekt zu behandeln. Das gehört sich so.
Stellvertretend für mehrere Hundert E-Mails mit ähnlichem Inhalt, die wir Jahr für Jahr von zum Teil total enttäuschten Hundebesitzern erhalten, hier ein Originalschreiben von Ute R. aus Frankfurt:
Werter Herr Bloch. Ich habe Ihre Bücher gelesen und bin ehrlich gesagt entsetzt, wie sich manche Ihrer Kollegen benehmen. Ich werdeden Eindruck nicht los, dass es denen nur ums Geld geht. Ich bin 59 Jahre alt, also weiß Gottkein Jungspund mehr. Meine Mischlingshündin Trudi ist drei Jahre alt. Sie ist sehr brav und ihr einziges Problem ist, dass sie mich ab und zu an der Leine durch die Gegend zieht. Das möchte ich nicht. Ich habe eine Hundeexpertin aus unserer Gegend gefragt, was ich genau tun soll, und die hat mir geraten, eine Therapie zu machen, weil es nicht normal sei, dassein drei Jahre alter Hund noch an der Leine zieht. Stimmt das? Aber Trudi zieht doch gar nicht immer an der Leine. Jetzt soll ich eineWoche lang zur Leinentherapie kommen unddie kostet ungefähr 1.200 Euro. So viel Geld habe ich nicht, Herr Bloch. Das kann ich mir nicht leisten. Seit mein Mann letztes Jahr verstorben ist, lebe ich allein. Ich kann nicht so viel bezahlen, aber ich möchte Trudi doch helfen. Können Sie mir keinen Tipp geben, wie ich Trudi Benehmen an der Leine beibringen kann? Ich weiß, Sie sind bestimmt ein viel beschäftigter Mann. Aber haben Sie nicht eine Idee für mich? Vielen Dank. Ich werde Ihnen ewig dankbar sein.
Herzlichst, Ihre Ute R.
Wir haben dieser Hundehalterin damals nur geraten, statt überteuerter „Therapie“ eine Woche lang unser Standardprogramm aus der Hippiezeit umzusetzen: „Guck mal hier!“ Kein neues „Schau mich an!“ und dies und das, keine andere hoch komplizierte „Problemhundberatung“. Nein, einfach nur „Guck mal hier!“ und kommentarlos mit Trudi weitergehen, wenn die Leine locker ist. Und siehe da. Drei Wochen später bekamen wir wieder Post von Ute R.: ein fünfseitiges Dankschreiben. Fazit der Geschichte: Nichts gegen Therapie, aber wer für eine einfache Maßnahme 1.200 Euro abkassiert, verhält sich unverschämt und muss sich unseres Erachtens den Vorwurf der Abzocke gefallen lassen.
Die meisten einfachen Hundehalter – wobei mit „einfach“ oder „gemein“ normal gemeint ist – brauchen in erster Linie nur ein paar praxisbezogene substanzielle Ratschläge, ohne großes Tamtam oder irgendwelchen Zirkus. Die meisten Hundeleute kommen dann im Großen und Ganzen recht gut alleine klar – subjektiv betrachtet.
Noch etwas Grundsätzliches: Nobody is perfect! Auch wir sind fehlbar – trotz unserer jahrelangen Erfahrungen im Umgang mit Menschen und ihren Vierbeinern. Alles „richtig“ zu machen, ist eine Illusion. Das schaffen noch nicht einmal routinierte Kanideneltern. Und die verhalten sich in der Tat meist wie ein Schweizer Uhrwerk: zuverlässig und professionell. Genau deshalb lautet unser allererster Tipp: Orientieren Sie sich in verantwortlicher Form am sozial Machbaren. Wer unentwegt auf der Suche nach dem „perfekten Hund“ ist, wird Schiffbruch erleiden!
© Helga Drogies
Im Folgenden wird bei aller Begeisterung für „moderne Hundekunde“ aus fachlicher Sicht begründet, wie wichtig das Erkennen und Berücksichtigen von Möglichkeiten und Grenzen funktionaler Gruppengefüge ist. Wie uns der Alltag lehrt, ist unser Zusammenleben nach wie vor von grundlegenden biologisch-psychologischen Richtlinien geprägt und begrenzt. Menschliches und hundliches Konfliktregeln und Problemlösen inklusive. Leider geraten auch viele fundamental bedeutsame Gesetzmäßigkeiten erfolgreicher Gruppenarbeit immer häufiger aus dem Blickfeld, hastig ersetzt durch irgendwelche Hauruckverfahren. Stetig auseinanderbröselnde Sozialstrukturen sind die Folge, Strukturverlust droht. Anstatt sich über Strukturverlust und den Widerstand sozial unzureichend integrierter Zwei- und Vierbeiner und damit einhergehenden „sozialen Stressauffälligkeiten“ zu wundern, werden wir direkt im ersten Kapitel aufzeigen, welche Merkmale, Funktionen, Aktivitätsverteilungen und bindungsfördernde Entwicklungsprozesse jeder Hundebesitzer kennen sollte, um sein familienspezifisch optimales Mischgruppenmodell ausbalancieren zu können. Unsere praktischen Vorschläge für Bindungstests, die in unseren Seminaren mit großer Freude und viel Spaß enthusiastisch umgesetzt wurden, kann jeder Hundebesitzer nun auch zu Hause selbst ausprobieren.
Immer mehr Menschen suchen nach dem Verständigungsschlüssel zum Hund – leider. Je mehr Hunde es gibt, desto mehr Erziehungs- und Therapiemethoden machen die Runde. Was „man“ heutzutage im Hinblick auf die „Artgerechtigkeit“ des Hundes tun muss, wissen wir nicht. Absolutheit war und ist nicht unser Ding. Generell gilt auch: Wir verstehen unser Buch weder als Erziehungsratgeber noch als „die“ Diagnoseanleitung. Wir beteiligen uns weder an wenig hilfreichen Methodenstreits noch an nutzlosen Debatten darüber, „wer Ahnung hat“.
Viele Printmedienberichte und TV-Spezialausgaben sind gespickt mit Beiträgen zur Verbesserung individueller Mensch-Hund-Beziehungen. Wer aber ganz praktisch in deutschen Haushalten unterwegs ist, weiß, dass die soziale Lebenswelt Mensch-Hund in mehr als der Hälfte aller dokumentierten Fällen allenfalls mehr schlecht als recht funktioniert. Diesbezügliche Statistiken existieren leider nicht. Müßig zu diskutieren, wer letztlich dafür haupt- oder nebensächlich verantwortlich ist. Schuldzuweisungen und Generalisierungen wollen wir sachliche Aufklärung entgegensetzen. Aufklärung nicht nur über die Gesetzmäßigkeiten des Gruppenlebens Mensch-Hund und Hund-Hund, sondern sehr konkret auch, wie man „Scharlatane, Blender und Schaumschläger“ erkennt. Wir würden uns freuen, wenn Hundehalter wieder ihre eigene Beobachtungsgabe schärfen. Dabei wollen wir behilflich sein.
Was wir in Kapitel 1 ansprechen werden, sind die prinzipiellen Grundbedingungen erfolgreicher Gruppengestaltung und Zusammenarbeit. Des Weiteren wollen wir uns mit dem wichtigen Thema Bindung sowohl aus sozialer als auch räumlicher Sicht beschäftigen. In Kapitel 2, das wir als Herzstück unseres Buches verstehen, fassen wir zahlreiche Feldnotizen und bislang noch nicht veröffentlichte Datenanalysen zusammen, die sich über einen langen Zeitraum hinweg angesammelt haben. Hier in Kanada war endlich einmal Zeit, unsere vielschichtigen Verhaltenserkenntnisse aus Beobachtungen an „wilden Hunderudeln“ in Italien und einem kanadischen „Native-Reservat“ auszuwerten. Nach Kapitel 2, in dem wir schon sehr viel Wissen über den Hund publiziert haben, berichten wir im dritten Kapitel von einigen aufschlussreichen Verhaltensbeobachtungen aus unserer fast vierzigjährigen Erfahrung und Pionierarbeit im Ausführen und Beurteilen von gemischten Pensionshundegruppen. In Kapitel 4 geht es nochmals detailliert um den Mensch-Hund-Gruppen-Code. Im letzten Kapitel setzen wir uns mit den Scharlatanen der Branche auseinander und schauen uns an, welche Strategien Sie lernen können, um Menschen, die immer nur nehmen, ohne irgendetwas zu geben, so schnell wie möglich zu erkennen, beziehungsweise sich als normaler Hundebesitzer zumindest ein wenig selbstbewusster durch den „Dschungel der Hundeszene“ zu bewegen.
© Helga Drogies
Im Gegensatz zu Menschen …
© Helga Drogies
… sind bei Hunden auch heute noch die „Spielregeln“ unverändert.
Wir waren stets „mittendrin statt nur dabei“. Vor diesem Hintergrund und dem der hektischen Betriebsamkeit, allseits geforderter Dynamik, massiver Veränderungen im innerfamiliären Sozialstrukturbereich und räumlich-ökologischem Wandel der Außenwelt bleibt festzuhalten: Das Spiel, das man Leben nennt, wird heute anders gespielt als noch vor Jahren. Viele lieb gewonnene „Spielregeln“ haben sich total verändert oder gelten gar nicht mehr. Die Welt um uns herum ist technischer, anonymer und sehr viel naturentfremdeter geworden. Das kann man gut finden oder auch nicht.
„Social media“ sind Segen und Fluch zugleich. Jeder weiß, dass im Internet massenhaft Halbwissen verbreitet wird. Hinzu kommen persönliche Diffamierungen in „Shitstorms“. Tolerabel ist das alles nicht. Trotzdem scheint soziale Blindheit fast schon die Regel zu sein, nicht die Ausnahme. Nicht von ungefähr herrscht bisweilen geradezu blindes Vertrauen gegenüber persönlich nicht bekannten „Freunden“. Wie kann man mit jemandem befreundet sein, den man gar nicht kennt? Wir sind jedenfalls der Überzeugung, dass diese Art sozialer Vereinsamung ein vergleichsweise neues Phänomen ist. Was das alles mit dem Hund zu tun hat? Sehr, sehr viel. Denn der scheint als geborenes „Rudeltier“ oft zum „missbrauchten“ Verbündeten im Kampf gegen die Einsamkeit, dem stillen Leid unserer Neuzeit, zu werden.
Wer beruflich mit dem Dienstleistungsgewerbe „Hund“ zu tun hat, ist zwangsläufig viel im humanpsychologischen Bereich tätig. So auch wir. Unser Fachgebiet ist die Langzeitbeobachtung. Obwohl wir wahrlich tagein, tagaus mit der Betrachtung von Menschen und Hunden zu tun hatten, sind wir oft ins Grübeln geraten. Das bleibt nicht aus bei einer solch vielschichtigen Thematik. Außerdem sind wir keine Psychologen. Da wir uns auch nicht mit fremden Federn schmücken wollen, haben wir uns im Rahmen der Vorrecherche zu diesem Buch fachlich intensiv ausgetauscht mit Biologen, Verhaltensökologen, Ethologen und natürlich auch mit Humanpsychologen.
Vor dem Hintergrund des heutzutage oft praktizierten „Kollegen-Bashings“ halten wir uns an eine unmissverständliche Regel: Wir betreiben keine pauschale Kollegenschelte. Was wir aber ganz klar anprangern, sind die Machenschaften fragwürdiger „Typen“ sowie Botschaften von voreingenommenen Zeitgenossen und deren absolut binärem Denken: gut oder schlecht, richtig oder falsch, Freund oder Feind. Und ein weiteres Recht nehmen wir für uns in Anspruch, nämlich freundlich-heiter fehlerhafte Trends zu kommentieren und uns in einer global auf Gleichschaltung bedachten Welt zumindest ein klein wenig das Rebellische zu bewahren!
Wir wünschen Ihnen viele neue Erkenntnisse und so manchen Aha-Effekt mit diesem Buch.
Ihr Günther Bloch und Ihre Elli H. Radinger
P. S.: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit haben wir auf die gleichzeitige Verwendung männlicher und weiblicher Sprachformen verzichtet. Sämtliche Personenbezeichnungen gelten gleichwohl für beiderlei Geschlecht.
Im Jahr 2014 lebten in Deutschland 9,6 Millionen Menschen mit mindestens einem Hund im Haus. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann hat sinngemäß einmal bemängelt, dass Tiere den Deutschen inzwischen wichtiger seien als Kinder.
Tatsächlich? So mancher Vertreter der Spezies Homo sapiens empfiehlt mittlerweile ernsthaft, den Umgang mit Mitmenschen zu vernachlässigen, weil man wahre Geselligkeit ohnehin nur im Zusammensein mit dem Hund, Canis lupus familiaris, erleben könne. Da ist er wieder, der Beweis für menschlich soziale Vereinsamung. Eine solche basiert aller Wahrscheinlichkeit nach auf zahllosen sozio-emotionalen Negativerlebnissen im täglichen menschlichen Miteinander und ganz sicher auf einem gravierenden Missverständnis, den Hund betreffend. Wer hilft solchen Menschen – ohne sich darüber zu erheben – im Kampf gegen die Einsamkeit? Wer beantwortet ihnen die offensichtlich unter den Nägeln brennenden ungeklärten Fragen zu hundetypisch tief verwurzeltem Sozialverhalten? Wir wollen unser Scherflein dazu beitragen. Im kleinen Rahmen und stets bemüht. Mehr geht nicht.
Nein, wir haben ihn leider nicht gefunden, den überall passenden Verständigungsschlüssel zu allen Haushunden dieser Welt. Was wir Ihnen aber guten Gewissens anbieten können, sind einige hoffentlich gut verständliche Richtlinien für das gesellige Beisammensein zweier intuitiv einander zugewandter Spezies. Unsere Vorstellungen von einem „Mensch-Hund-Gruppen-Code“ lassen sich am besten durch ein insgesamt verbessertes Verständnis menschlicher und hundlicher Belange und Bedürfnisse erläutern. Diese sind nicht immer zu hundert Prozent kompatibel. Das wäre ja noch schöner.
Zum Verständnis realistischer Mensch-Hund-Gedanken gehört auch, dass wir vieles aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten sollen und dürfen. Es geht nicht um gegenseitige Annäherung mit dem Ziel der totalen Verschmelzung, sondern um Arten übergreifenden Respekt. Natürlich sind wir andersartig. Na, was denn sonst? Trotzdem lieben Menschen Hunde und Hunde lieben Menschen.
Eine schlaue Weisheit unseres Mensch-Hund-Codes lautet daher: Solange das beiderseitigbekundete soziale Beziehungs- und Bindungsinteresse zu einem möglichst störungsfreien Kollektiv überwiegt, ist alles paletti!
Möglicherweise fallen wir ja gleich mit der Tür ins Haus mit unserem ersten Paradebeispiel für Praxisbezogenheit in der Mensch-Hund-Beziehung. Die „artgerechte“ Maßregelung des Hundes ist umstritten. Hätte und könnte man die nachfolgenden Überlegungen nicht wenigstens „ein wenig anders ausdrücken“? In der Tat – das hätte und könnte man. Zu den generellen Dingen zählt sicher auch: Alles ist umstritten, so gut wie nichts unumstritten.
Trotzdem möchten wir uns im Hier und Jetzt gleich ins Getümmel stürzen, indem wir unserem großen Erstaunen Ausdruck verleihen, dass das Ritual des „Nacken-Schüttelns“, also des Zupackens und Schüttelns des Nackenfells, wieder als brauchbarer Tipp für den Umgang mit renitenten Hundewelpen gehandelt wird. Man mag ja unsere Wolfsforschungen als unnütz abtun, aber die Tatsache, dass Wolfsmütter während unserer langzeitlichen Beobachtungsphasen nie ihre Welpen im Nacken schüttelten, kann nicht einfach ignoriert werden. Nochmals: Das Schütteln gehört zum Beutefangverhalten und drückt ansonsten „Ernstkampfstimmung“ aus. Wer es anders sieht, hat ein Recht dazu, möge aber, durch videografische Beweise untermauert, zur fachlichen Aufklärung der Sachlage beitragen.
© Helga Drogies
Enge Verbundenheit durch körperliche Nähe – so soll es sein.
Lange Jahre des Hinschauens, des Gedankenaustauschs und des (zugegeben) bisweilen wenig konstruktiven Streitens mit allen möglichen Leuten über alle möglichen Hundethemen, haben in uns die Erkenntnis reifen lassen, dass nur die Vermittlung gewisser Lebensrichtlinien positiv zur Verständigung von Mensch und Hund beitragen kann.
Dazu sind allerdings bestimmte Einsichten nötig. Zum Beispiel die, dass früher längst nicht alles besser war. Im Verlauf einer langen gemeinsamen Entwicklungsgeschichte haben Mensch und Hund schon etliche Höhen und Tiefen durchlebt und miteinander gemeistert – mit dutzendfachen „Fragezeichen“, aber immerhin! Hunde sind altes Kulturgut. Darauf sollten wir „Hundemenschen“ ohne Frage stolz sein, auch gegenüber den „hunderassistisch“ argumentierenden Politikern der Szene, den missbilligend kühl dreinblickenden Nicht-Hundehaltern, einschließlich sämtlicher verständnislos und bisweilen verächtlich murmelnder Menschen in der Siedlung. Was wissen die denn schon?
„Drama-Queens und Drama-Kings“ sind Menschen, die dazu tendieren, aus jeder Mücke einen Elefanten zu machen. So wie zum Beispiel bei der Grundsatzdiskussion um „aggressiv gefährliche Hunde“, die sofort dann aufflammt, wenn wieder einmal irgendein Hundeindividuum irgendwo in der Republik zugeschnappt – nicht: gebissen – hat, und sei es nur aus defensiver Selbstschutzverteidigung. Es folgt die übliche Dramaturgie der historisch untermalten „ureigenen Rasseaggressivität“, wie beispielsweise die berüchtigten „Kampfhundekämpfe“ im Kollosseum von Rom. Typisch Drama-Queen und Drama-King sind auch bisweilen erkannte Disharmonien im Beziehungsgefüge zwischen Mensch und Hund, die pauschal begründet werden mit falscher Rudelstellung, falscher Verhaltensmodifikation, falscher Einübung von Kommunikation, falscher Ansprache des Hundes mit selbstverständlich falschen Mitteln. Emotionen zeigen ist falsch. Alles ist falsch. Sieht so für Sie, den einfachen Hundehalter, positive Verstärkung aus?
Das Beziehungsleben Mensch-Hund muss oder sollte zumindest von vielen Ritualen gekennzeichnet sein, wobei deren Form grundsätzlicher Inhalt ist. Es geht um Spiel, freundlich-gestimmte Begrüßung und um die Einübung fester Regeln. Eine Portion Emotionen gehört auch dazu, und je ritueller und traditioneller wir „unsere“ familieneigenen Verhaltenstraditionen des aktiven „Gruppengefühls“ leben, desto bedürfnisangeglichener läuft die ganze Sache, sozialer Zusammenhalt inklusive. Rituale der kommunikativen Sicherheit, seitens des Menschen durchaus auch mittels Zeigegesten verständlicher gemacht, bringen Hunden Erwartungssicherheit und Bestätigung, ob sie sich bestimmte Dinge erlauben dürfen oder nicht. Hunde für ihre Untaten auf den Rücken zu werfen, wie wir das in alten Büchern noch empfohlen haben, verstehen Hunde nicht, zumal im natürlichen Sinne untergeordnete Tiere dieses durch eine freiwillige Geste von sich aus bekunden. In Freilandprojekten haben wir gesehen, wie Hundeartige das tun. Und dann haben wir beschlossen, etwas dazu gelernt zu haben, das war im Sommer 1993.
Derweil beinhaltet der Lieblingseinwand der „Drama-Fraktion“ fast immer ein „Ja, aber …“. Ewige Bedenkenträger gibt es überall, dummerweise auch in unseren eigenen Reihen. Was man da nicht alles hört: Ignorieren ist das Beste, nein, das macht „man nicht“, Bedenken hier, Bedenken dort. Dass gegen ein kurzzeitiges Nicht-Beachten des Hundes nichts einzuwenden ist, solange der Hund als integriertes Gruppenmitglied regelmäßig soziale Zuwendung erfährt, und dass langfristiges Ignorieren einer Isolation gleichkommt – auf einen solchen Kompromiss kann man sich nicht einigen? Genau das würde aber zum Verstehen und zur praktischen Umsetzung unseres „Mensch-Hund-Gruppen-Codes“ dazugehören. Je besser das gegenseitige Verständnis zwischen Mensch und Hund ist, desto weniger sind einseitig positiv wie negativ eingeübte Verhaltensmodifikationen und Konditionierungen nötig. Ganz unverschnörkelt übersetzt: Alles, was absolut daherkommt, ist falsch!
© Helga Drogies
Rituale verbinden! Sei es beim Spiel mit dem Stock …
© Helga Drogies
… oder beim gemeinsamen Spaziergang Mensch-Hund.
Und noch eine unverzichtbare Grundsätzlichkeit: Individualität (Charaktertyp, Persönlichkeit) und erfolgreiches Zusammenarbeitenin einer Gruppe (Kollektiv, Gemeinschaftlichkeit) sind nichts Gegensätzliches.
Es sind zwei Seiten der gleichen Medaille. Beide Seiten gilt es, unter verschiedenen Gesichtspunkten als ebenbürtig zu betrachten!
Wildkanidengruppen leben uns genau dieses Kombinationspaket der kollektiven Ritualeinübung praktisch vor. Sie sind die Meister der Vermittlung eines „echten, authentischen Wir-Gefühls“. In der Summe verzichten „gruppenorientierte Individualisten“ (wie wir Wolf und Hund schon lange nennen) auf permanente Ego-Trips und bringen sich und ihre vielfältigen Veranlagungen und Fähigkeiten in „ihre“ Lebensgemeinschaft ein. Sich für die Gruppe aufgeben tut niemand. Das übergeordnete „Große Ganze“ funktioniert also sowohl in zentraler Verantwortung für sich selbst als auch in Kooperationsverantwortung für die vertraute Gruppe. Diese garantiert wiederum insgesamt mehr Schutz.
© Helga Drogies
Zum „emotionalen Lernen“ gehört auch die Vermittlung von körperbetonten Interaktionen.
Soziale Geborgenheit vermittelt in der zwischenartlichen Kommunikation auch die Hand des Menschen, sozusagen als Schnauzenersatz, obwohl Hunde sehr wohl sehr gern die Mundwinkel des Menschen belecken, um zu begrüßen, freundlich gestimmten Sozialkontakt aufzunehmen oder zu beschwichtigen. Hier zeigt sich zum wiederholten Mal, dass hundliche Signalgebung Unterschiedliches bedeuten kann und daher im Kontext verstanden werden muss, damit der Mensch schlimmstenfalls nicht vollends „danebenliegt“. Denken wir nur an den ständig aufs Neue diskutierten „Schnauzengriff“ oder den Nackenstoß, den Schulterstoß oder was da sonst so alles an generellen „Dos & Don’ts“ angeboten wird. Wenn ein Hund im Körperkontakt zum Menschen heftig an dessen Arm oder Kleidung zieht und der Mensch nun unter Berücksichtigung der Verhältnismäßigkeit unmittelbar und gezielt über den Hundefang greift, dann wäre dies kein Drama.
Würde der Mensch hingegen den richtigen Zeitpunkt verpassen, mal streicheln, mal strafen, keinen zeitlich präzisen Zusammenhang im sozialen Kontext vermitteln, dann könnte dies den Hund in der Tat unnützerweise verunsichern. Alles ist relativ, auch der situative Nackenstoß, wobei dieser derzeit unter den fachlich kritischen Augen der Biologin Marion Pepper aus Berlin in Zusammenarbeit mit den Hundefachleuten Lars Thiemann und Thomas Bursch bei entsprechend ausgesuchten Hundebegegnungen videografisch methodisch untersucht wird. Mehr Wissen über tiergerechte Kommunikation und ritualisierte Signalgebung – genau so sieht er aus, der undramatische Weg nach vorn!
Was der „Mensch-Hund-Gruppen-Code“ zudem beinhaltet, ist die wichtige Erkenntnis, dass kein menschlicher oder hundlicher Gruppenangehöriger generell auf Individualität verzichten muss. Wieder kein Drama. Jeder verhält sich „kollektivistisch“. Genauso läuft das in funktionalen Hunderudeln. Da kann der Mensch etwas lernen. Selbst ewige Bedenkenträger. Allen Ausreden und sämtlichen Befürchtungen zum Trotz, lautet die gute Nachricht: Ignorantes Verhalten ist nichts anderes als ein Mangel an Information!
© Helga Drogies
Ein leichter Griff über den Fang im richtigen Moment, ist eine undramatische Korrektur.
Ja, es stimmt, unsere „heile“ Hundewelt (wenn es sie denn jemals gab) hat Risse bekommen. Alles läuft schneller ab, chaotischer. Ein Hang zum Perfektionismus macht sich breit. Mensch und Hund müssen „top“ sein. Jederzeit und überall.
Und das unter soziobiologisch und psychologisch komplizierten Lebensumständen, die verrückterweise alles andere als perfekt sind. Unzählige Informationen zum Thema Hund und dessen Erziehung prasseln auf das gemeine Frauchen und Herrchen ein. Gibt man den Begriff „Hundetrainer“ in einer bekannten Suchmaschine ein, bekommt man allein in deutscher Sprache über 476.000 Treffer. Bei einem solchen Angebot sollte man doch „eigentlich“ annehmen, dass wir nur noch auf entspannte Besitzer und deren grundweg fröhlich gestimmte Hunde treffen. Aber weit gefehlt. Noch nie hat es so viele verunsicherte und irritierte Hundehalter gegeben wie heute. Das ist auch nicht weiter überraschend bei der ganzen Streiterei.
Lesen Sie weiter in der vollständigen Ausgabe!
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