Alarm - Alfred Schirokauer - E-Book

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Alfred Schirokauer

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Beschreibung

Abend für Abend, wenn den leitenden ersten Direktor von Killick & Ewarts, der größten Waffenfabrik und mächtigsten Schiffsbauwerft Englands, nicht gesellschaftliche Pflichten riefen, schloß sich um halb neun hinter ihm die Tür der Bibliothek seines stillen Hauses in Egerton Terrace im Viertel Brompton zu London. Unten im Souterrain saß geruhsam die Dienerschaft und plauderte. Dem weiblichen Teil des Personals spendete der geheimnisvolle Herr des Hauses einen unerschöpflichen Gesprächsstoff. »Ich bin überzeugt«, sagte Amy, das sehr hübsche Stubenmädchen, das erst kurze Zeit hier in Stellung war und sich bisher vergeblich bemüht hatte, einen bewußt aufmerkenden Blick Rutlands zu erhaschen, »ich bin überzeugt, er haßt die Frauen.« Die Köchin Jane, die seit fünf Jahren hier unten das Regiment führte, schüttelte gelassen ihr üppiges Doppelkinn. »Unsinn, Kind«, wehrte sie, »Männer mit solch guten traurigen Augen hassen uns Frauen nicht. Ich sage, was ich immer gesagt habe, dem hat ein Weib mal sehr böse mitgespielt. Ich kenne das ...

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Alfred Schirokauer

Alarm

idb

ISBN 9783962243791

1

John Rutland warf die Serviette auf den Tisch, der Butler zog den Stuhl unter ihm fort. Das Diner hatte wieder genau 9½ Minuten gedauert. Es war die hastige lieblose Mahlzeit eines einsamen Mannes.

Rutland ging zur Tür der Bibliothek. Wisdom, der Butler, öffnete sie, der Herr nickte ihm kurz zu, Wisdom flüsterte: »Gute Nacht, Sir«, und damit war sein Dienst für heute erledigt.

Abend für Abend, wenn den leitenden ersten Direktor von Killick & Ewarts, der größten Waffenfabrik und mächtigsten Schiffsbauwerft Englands, nicht gesellschaftliche Pflichten riefen, schloß sich um halb neun hinter ihm die Tür der Bibliothek seines stillen Hauses in Egerton Terrace im Viertel Brompton zu London.

Unten im Souterrain saß geruhsam die Dienerschaft und plauderte. Dem weiblichen Teil des Personals spendete der geheimnisvolle Herr des Hauses einen unerschöpflichen Gesprächsstoff.

»Ich bin überzeugt«, sagte Amy, das sehr hübsche Stubenmädchen, das erst kurze Zeit hier in Stellung war und sich bisher vergeblich bemüht hatte, einen bewußt aufmerkenden Blick Rutlands zu erhaschen, »ich bin überzeugt, er haßt die Frauen.«

Die Köchin Jane, die seit fünf Jahren hier unten das Regiment führte, schüttelte gelassen ihr üppiges Doppelkinn.

»Unsinn, Kind«, wehrte sie, »Männer mit solch guten traurigen Augen hassen uns Frauen nicht. Ich sage, was ich immer gesagt habe, dem hat ein Weib mal sehr böse mitgespielt. Ich kenne das. In meiner vorigen Stellung –«

Und sie berichtete zum fünfhundertdreiundsechzigsten Male die Geschichte ihrer verflossenen Stellung. Keiner wagte, sie zu unterbrechen. Denn Jane neigte dazu, sehr ungehalten zu werden und darauf hinzuweisen, daß diese behagliche Küche ihr Reich sei, aus dem sie rechtmäßig unliebsame Persönlichkeiten ausweisen könne. Und darum getraute sich niemand, ihren Redefluß zu dämmen.

Amy spielte nervös mit den Spitzen ihrer Tändelschürze. Der Chauffeur tat, als ob er gespannt dem Märchen aus fünfhundertzweiundsechzig und einer Nacht lausche. Er trug Heiratsgedanken im Busen, bei denen das hochziffrige Sparkassenbuch der Köchin eine gewisse Rolle spielte. Der Butler Wisdom paffte dicke Wolken der Teilnahmslosigkeit aus seiner kurzen Shagpfeife. Er war viel zu erhaben, sich an »Dienstbotentratsch« aktiv zu beteiligen.

Als Jane ihre Memoiren der früheren Stellung beendet hatte, rief Amy erlöst: »Aber, das war doch ein ganz alter Mann. Den Fall kann man doch nicht mit unserem hier vergleichen! Das Sonderbare ist doch gerade, daß unser Herr trotz seiner Jugend niemals ausgeht, wenn er nicht bei offiziellen Festlichkeiten das Werk vertreten muß.«

Killick & Ewarts hießen sie im Hause »das Werk«.

»Nun, so jung ist er grade nicht«, fiel der Chauffeur ein wenig eifersüchtig ein. Das hübsche Mädel gefiel ihm nicht übel. Leider war bei ihr von einem geladenen Sparkassenbuch nichts bekannt. »Seine Vierzig hat er auf dem Buckel. Die Schläfen sind ja ganz weiß.«

»Das kommt von der vielen Arbeit«, belehrte die Köchin autoritativ. »Ich gebe ihm höchstens fünfunddreißig.«

»Auch die kaum«, stimmte Amy eifrig bei. »Diese schlanke Gestalt und der jugendliche Gang und die helle junge Stimme! Und überhaupt.«

Sie machte eine umfassende verliebte Bewegung mit der kleinen, wohlgepflegten manikürten Hand, die keine allzu schwere Hausarbeit verriet.

Der Butler rauchte stumm in unnahbarer Würde. Der Chauffeur begründete, durch Amys offene Neigung aufgestachelt, seine Ansicht, daß der Herr mindestens Vierzig sei.

Er hatte Unrecht. Rutland war vierunddreißig. Aber auch die Köchin irrte, wenn sie das Weiß seiner Schläfen auf seine Arbeit zurückführte. Sein Haar war vor sechs Jahren ergraut in drei furchtbaren Tagen und Nächten, die er auf einer Planke im Stillen Ozean getrieben war. Doch davon wußten nur er und drei kleine zierliche japanische Perlenfischerinnen, die den Bewußtlosen an die Felsenküste der Insel Kyushu geborgen hatten. – – –

Die Dienerschaft täuschte sich auch in dem Glauben, daß ihr Herr von halb neun bis zwölf in der Bibliothek arbeitete.

Abend für Abend kam die Zeit, da Rutland aus den Akten und Papieren, über die er gebeugt saß, aufschreckte und gehetzte scheue Blicke in die dunklen Ecken des großen matterleuchteten Raumes schleuderte. Dann standen dort böse Erinnerungen und stumme, mahnende Gespenster.

Da sank er in sich zusammen, und das Gedenken finsterer Vergangenheit sauste über ihn hin. Lange kauerte er so, gekrümmt und gebeugt unter der erbarmungslosen Faust der Geister aus verklungenen Tagen. Bis er sich jählings aufraffte, emporsprang, mutig und entschlossen in die düsteren unheimlichen Winkel des Zimmers vordrang, den Spuk zu zertreten. Dann schritt er stundenlang auf und nieder und zwang seine Gedanken mit aller zähen Energie und Verbissenheit seines Charakters in andere Richtung, die zermürbende Erinnerung zu betäuben.

Diese nächtlichen Wanderungen in die brütenden schwarzen Ecken der Bibliothek waren seine furchtbarsten Augenblicke.

In dieser krampfhaften Niederzwingung der Vergangenheit gebar er die titanischen Pläne und Ideen, da keimten die Entschlüsse von weltumspannender Weite, die ihn in fünf Jahren zum gebietenden Leiter dieses englischen Riesenwerkes erhoben hatten. Alles, was er ersonnen hatte, war ein Narkotikum gegen die folternde Rückschau seines Hirns. Freilich hatte er es kühl und berechnend im hellen Lichte des folgenden Tages in klug erwogene Tat umgesetzt. Doch erstanden waren diese kühnen, über alle Kontinente greifenden Projekte aus dem Nachtmar der gespenstisch raunenden Vergangenheit.

Und aus einer leidenschaftlichen, fressenden Sehnsucht!

Es war gegen neun Uhr. Da schlug der Klopfer der Haustür gegen den metallenen Buckel. Betroffen horchte Rutland auf. Wer klopfte zu dieser Stunde an seine Tür? Eine böse Ahnung umspülte ihm eiskalt das Herz. Er starrte auf die Tür der Bibliothek.

Dort stand Wisdom, der Butler. Er suchte seine pflichtmäßige Gemessenheit und Hoheit zu wahren. Doch in den Augen flackerte eine Erregung, die er nicht zu meistern vermochte.

»Eine Dame, Sir, wünscht Sie zu sprechen«, meldete er beherrscht. Aber es schien Rutland, als vibriere seine Stimme.

Es war das erstemal, daß eine Frauenhand an diese Pforte pochte.

»Eine Dame?« fragte er bezwungen ruhig und fühlte, wie ihm das Herz in der Brust flatterte.

»Ja, Sir. Sie will ihren Namen nicht nennen. Ich soll nur melden: eine Lady. Der Herr würde schon wissen.«

Eine kurze, belastete Pause.

Dann befahl Rutland mit bemühter Gleichgültigkeit:

»Führen Sie die Dame herein.«

»Sehr wohl, Sir.« Wisdom verneigte sich und ging.

Rutland blickte auf die Tür. Seine Hände zitterten, trotz aller Anstrengungen, sich in der Gewalt zu halten.

Eine hochgewachsene Frau trat ein, schlank, trotz des dichten Persianerpelzes, der sie umschloß. Der helle Chinchilla-Kragen war hochgeschlagen und verhüllte Kinn und Mund. Der kleine, tief in die Stirn gedrückte Hut verbarg den oberen Teil des Gesichts. Nur die großen dunklen Augen waren sichtbar und leuchteten.

Sie blieb an der Schwelle stehen, Rutland schwankte sacht. Wisdom schloß die Tür. Die Frau stand. Ihre Augen glühten in Erwartung.

Da stieß Rutland einen Schrei aus, unbeherrscht und wild, wie ein Jauchzen. Im nächsten Augenblicke war er an der Tür. Die Frau lag stöhnend vor Glück an seiner Brust. –

2

Sekunden verrannen, erfüllt nur von dem Keuchen der ekstatischen Wiedersehensfreude von Mann und Weib. Er hielt sie umklammert, sie hing matt mit gelösten Gliedern in seinen Armen, die Schläfe gegen seine Brust gepreßt, als lausche sie auf den Schlag seines Herzens.

Endlich richtete sie sich mit einem ächzenden Seufzer der Erfüllung auf, er öffnete die Arme. Mit einer brüsken Bewegung, wie ein ungeduldiger Flügelschlag, warf sie den Pelz von den Schultern, aus der dunklen Umhüllung schälte sich die schmale Geschmeidigkeit ihres weichen biegsamen Körpers.

Er faßte ihre Arme unterhalb der Schultern. Hielt sie vor sich. Sie war ihm an Größe gleich. Ihre Gesichter standen dicht voreinander, ihr erregungsheißer Atem dampfte sich entgegen. Er saugte mit lechzenden, verdurstenden Augen die Schönheit ihrer Züge in sich hinein.

Dann zog er sie wieder an sich. Sie preßte sich gegen ihn, schmiegte sich in ihn ein, er fühlte jetzt ihren von dem Pelze befreiten Körper durch das dünne Seidenkleid hindurch, fühlte ihr Blut in den Gliedern sieden, fühlte ihre Glut, ihre Hingabe, ihr sehnsüchtiges Entgegenströmen. Die jäh erfüllte jahrelange Sehnsucht, das urplötzlich befriedigte Verlangen nach ihr betäubte ihn, überflutete sein Gehirn. Mit letzter verdämmernder Kraft riß er sich von ihr, gab sie frei.

Sein heftiger Rückzug weckte sie gewaltsam. Sie öffnete die Augen weit und blinzelte erstaunt. Dann warf sie mit einem ruckartigen Schleudern des Kopfes die aufgescheuchte Leidenschaft von sich. Mit einer fast schmerzlichen Bewegung ihrer schönen großen Hand strich sie das Haar aus der Stirn, blau-schwarzes, selbst in der halben Beleuchtung des Zimmers glitzerndes und sprühendes Haar, das sich in natürlichen Locken um den edel geformten Kopf wellte, strich es zurück aus der intelligenten Stirn, zurück hinter das kleine Ohr-, das in mattrosa Perlmutter aus dem tiefen Schwarz hervorleuchtete.

Wieder seufzte sie mit festgeschlossenen Lippen und stieß den Atem mit einem hellen Laut durch die leicht gebogene kühne Nase, Erbe ihrer arabischen Ahnen. Die Nasenflügel zitterten. Dann ließ sie die Arme schlaff herunterfallen, eine Geste wunder Enttäuschung. Ihre Augen wanderten durch die Bibliothek, feucht schimmerndes Schwarz in zartem, bläulich-porzellanenem Schmelze, und sagte mit einer weichen, kosenden, jetzt etwas belegten Altstimme auf deutsch, ihrer Vatersprache: »So also wohnst du!«

Er nickte fassungslos und befangen. Wie alle klugen Frauen in heiklen bestürzenden Lagen, übernahm sie die Haltung und Führung. Sie bückte sich zu dem Pelze nieder, der auf dem Teppich am Boden lag. Er sprang hinzu, raffte ihn auf, warf ihn über einen Sessel.

Sie setzte sich. Ihr Rock raschelte rauschend in die Stille der Verlegenheit.

»Darf ich dir etwas anbieten?« fragte er in ihren Lauten, die er als Knabe gelernt hatte. Seine Eltern waren Kinder deutscher Einwanderer in Kalifornien.

Sie schüttelte den Kopf. »Es ist besser, deine Dienerschaft sieht mich so wenig als möglich«, sagte sie, und ihre Stimme hatte jede Schwingung der Erregung verloren. »Gib mir eine Zigarette.«

Er reichte ihr das silberne Kästchen. Sie klemmte das Mundstück zwischen starke aufblitzende Zähne und bot dem Streichholz, das er ihr hielt, die Lippen hin. Das Licht der kleinen rotblauen Flamme beleuchtete ihr Gesicht, die schmalen ovalen Wangen, den köstlichen Mund, das selbstbewußte Kinn, den weißen Hals mit den durchschimmernden violetten Adern, die langschattigen Wimpern. Es schien ihm, als dringe in der Helle des plötzlichen Lichtes auch ihr Duft, diese Mischung von diskretem Parfüm und Ausströmung ihres Haares und ihrer Haut stärker, verwirrender auf ihn ein.

Das Streichholz erlosch. Sie blies dünne blaugraue Strahlenschwaden durch die Nase und sah stumm aus enggezogenen, sinnlich prüfenden Augenschlitzen zu ihm hinüber. Er fühlte wieder die Verführung ihn umfangen. Begehren riß ihn zu der Frau, nach der er sechs Jahre verzehrend verlangt hatte.

Er warf sich ihr gegenüber in einen Sessel und umkrampfte die Armlehnen, als suche er Fesseln gegen seine Wünsche und Betörung.

»Wie kommst du hierher?« fragte er. Doch er mußte sich räuspern, die Sperrungen aus der Kehle räumen, ehe verständliche Worte kamen.

»Wir sind hierher an die Botschaft versetzt. Der Herzog ist erster Botschaftsrat, Vertreter des Gesandten geworden.«

Er machte eine Bewegung mit dem Kopfe, als fange er ihre Nachricht aus der Luft auf.

Sie fuhr fort: »Gestern sind wir aus Madrid eingetroffen.«

Er schwieg. –

Da sprach sie weiter: »Mein Mann ist heute abend dienstlich beim Botschafter. Da habe ich die erste Gelegenheit benutzt – –«

Sie lächelte, sah plötzlich lieb und mädchenhaft aus unter diesem Lächeln, das die Unendlichkeit ihrer Liebe bloßstellte.

»Ich danke dir«, sagte er verstehend, rückte den Stuhl dicht an sie heran, daß ihre Glieder sich berührten, und reichte ihr die Hand. Sie umspannte sie fest. Und da flammte sie auf.

»Du«, flüsterte sie, »John, sei ehrlich zu mir. Sechs Jahre sind eine lange Zeit. Endlos. Wenn du mich nicht mehr liebst, sag es offen. Ich habe mich verändert, ich weiß. Ich bin alt und häßlich geworden unter dieser zerreibenden Sehnsucht nach dir. Wenn man eine Frau mit neunzehn zuletzt gesehen hat – –«

Jetzt lächelte er. Sein gerades scharfes Gesicht, das herbe Gesicht eines großen Konzernmenschen, quer und kantig, war mit einem Male jung und entspannt. Als habe eine Hand darüber gewischt, alle Runen und Runzeln getilgt, tauchte während dieses kurzen Lächelns ein hübsches schalkhaftes Jungengesicht unter der Maske des großen ernsten Chefs einer Weltfirma hervor.

»Du bist schöner geworden und lockender«, bekannte er. Dann erloschen die Züge des Sportjungen, und im Sessel saß wieder der erstarrte Lenker der gewaltigsten Waffenfabrik und Schiffswerft dieser Erde.

Es war, als sei wieder der Vorhang gefallen über das kurze Aufflackern einer erstickten Innigkeit und Nähe.

Doch sie zwang sich mutig vorwärts. Sie wollte zu ihm hindurchdringen.

»Du hast es weit gebracht«, raunte sie und versuchte abermals ihr zauberbelebtes Lächeln.

Er machte eine schroffe, abweisende Bewegung mit der Hand.

»Es ist alles nur Verzweiflung«, preßte er hervor.

Sie bog sich im Sessel noch dichter an ihn heran.

»Verzweiflung? Worüber?«

»Um dich!«

Die Worte flammten auf, wie ein lauter Aufschrei, obwohl er kaum flüsterte. Sie schlugen Angelita in den Stuhl zurück. Sie lag gegen die Lehne mit geschlossenen, zuckenden Lidern. Die Zigarette in ihrer Hand qualmte mit einem dünnen blauen Rauchstreifen, der kerzengrade zur Höhe stieg. Ihre Lippen bewegten sich lautlos.

Da fügte er leise hinzu: »Mein Leben war nur Sehnsucht nach dir, meine Arbeit Betäubung.«

Sie hatte ihre Rechte von ihm losgerissen. Jetzt tastete sie wieder nach ihm, umklammerte ihn und schwieg. Die Zigarette verbrannte ihre Finger. Sie warf den glimmenden Stummel in die Schale.

Dann kamen die Worte leise, singend fast:

»Ich wußte, daß du mich nicht mehr hassest. Ich fühlte es. Schon lange, lange. Ich habe diese Versetzung nach London betrieben. Ich ging an meiner Sehnsucht zugrunde.«

Er beugte sich über ihre Hand und preßte lange seine Lippen auf die duftende heiße Haut.

»Ich habe dich nie gehaßt«, bekannte er.

»Doch«, beharrte sie, den Kopf gegen die hohe Lehne des Stuhles zurückgeschmiegt. »Damals in Tokio hast du mich gehaßt. Wäre ich nicht feige gewesen, hätte ich dich getötet. Nein, es war nicht Feigheit. Es war auch nicht Haß. Es war alles nur Liebe, diese Liebe zu dir, die alles birgt, was an mir lebt und atmet.«

3

In Tokio hatten sie sich kennengelernt.

Rutland führte damals das kümmerliche Dasein eines Gelegenheitsdolmetschers, suchte seine englischen, deutschen, spanischen und japanischen Sprachkenntnisse an den Mann zu bringen. Diesen Mann traf er nach vielen Wochen des Elends in der düsteren Halle des Imperial-Hotels, dieses bedrückend wüsten, planlosen Zyklopenbaues.

Es war Septimus Egan, der Japanvertreter von Killick & Ewarts. Der Dolmetscher mit den tragischen Augen, den weißen Schläfen und dem Gesicht eines Dreißigjährigen gefiel ihm. Besser noch gefiel ihm sein intelligentes Japanisch.

»Mann, wo haben Sie das her?« fragte Egan perplex.

»Ich habe es gelernt«, erwiderte Rutland lakonisch und so abschließend, daß der große Vertreter der Weltfirma keinen weiteren Aufschluß zu fordern wagte. Er verhandelte just wegen der Lieferung dreier Schlachtkreuzer an die japanische Marine. Die Aufträge gingen durch viele Instanzen, langsam, schwerfällig, mit unendlichem Zeitverlust und aufreibender Saumseligkeit, wie jeder behördliche Weg in Nippon. Auf dieser langen Route war mancher, der nicht englisch sprach. Egan hatte bislang seinen japanischen Dolmetschern wenig vertraut. In Unterhandlungen mit der Regierung waren sie weder unparteiisch noch zuverlässig. Mit Freuden griff er die Dienste dieses jungen verschlossenen weißen Mannes auf.

»Sie sind Amerikaner?« fragte er.

»Nein, Engländer«, sagte Rutland.

Egan stutzte. Der Mann sprach doch das Englisch eines Weststaatlers von Nordamerika. Irgend etwas schien ihm verdächtig. Er beobachtete ihn scharf diese erste Zeit. Seine Menschenkenntnis erkannte sehr bald die Treue und Ehrlichkeit Rutlands und eine erstaunliche Tüchtigkeit im Verhandeln mit diesen verschlagenen hartnäckigen kleinen gelben Leuten sowie eine verblüffende Kenntnis und Erfahrung in Dingen der Kriegsschiffe, Geschütze, Ausrüstung.

»Woher wissen Sie das alles?« fragte Egan und starrte dem schweigsamen Manne in die traurigen grauen Augen.

»Ich war im Kriege auf einem Hilfskreuzer!«

»Auf welchem?«

»Der Macedonia.« Es klang Egan irgendwie unwahr, Rutland hatte einen Herzschlag lang gezögert, ehe er den Namen seines Schiffes nannte.

»Sind Sie denn Seemann?«

»Ja, Mr. Egan.« Er griff in die Tasche und zeigte seine Papiere. Sie waren zerrissen und vom Seewasser verwaschen. Denn, erläuterte er bündig, den Handelsdampfer, auf dem er gefahren war, hatte der Taifun gegen die Klippen Japans geworfen. Die Papiere waren in Ordnung. Erster Offizier John D. Rutland auf dem Handelsdampfer »Nancy«, Heimathafen Liverpool.

Und dennoch ward Egan in diesen ersten Wochen das Gefühl nicht los, daß irgendein tragisches Geheimnis hinter seinem Dolmetscher stehe. Unter der Hand erkundigte er sich bei der britischen Botschaft in Tokio nach dem Untergang des Handelsdampfers »Nancy«. Es stimmte. Von dem überlebenden Ersten Offizier J. D. Rutland wußte man dort freilich nichts. Aber das wollte wenig besagen. Engländer waren keine Anhänger amtlichen Meldewesens.

Mit der Zeit wurden die Männer intimer, und Egans Argwohn schwand. Sie wurden Freunde. Doch immer blieb Rutland einsilbig und zurückhaltend. Nie sprach er von sich und seiner Vergangenheit. Da Egan ein Mann war, den die Vergangenheit weit weniger interessierte als die Gegenwart und Zukunft, tat Rutlands Schweigsamkeit über sich ihrem guten Verhältnisse keinen Abbruch. Er war in Japan, Geschäfte zu machen und Geld zu verdienen, große Geschäfte und großes Geld. Hierbei hatte er einen genialen Helfer und Könner gefunden. Längst war Rutland nicht nur sprachgewandter Dolmetscher, sondern Berater und Kampfgenosse. Egan beteiligte ihn, er ließ ihn an seinen reichen Gewinnen teilnehmen. Er führte ihn, den die Kleidung, die er sich jetzt leisten konnte, in einen vollendeten Weltmann verwandelt hatte, in die diplomatischen Kreise ein, in denen er, eins der angesehensten Mitglieder der europäischen Kolonie, verkehrte. Der stille Mann mit dem schönen energischen Gesicht fand begeisterte Aufnahme unter den Damen des Gesandtenviertels.

Auf dem Tennisplatze der englischen Botschaft begegnete er der Gattin des Ersten Sekretärs der spanischen Botschaft, der Herzogin Angelita Breton de Los Herreros.

Sie spielten gegeneinander in dem Tourniere des diplomatischen Korps, beide Meister des Raketts. Aus dem Spiele wurde fanatischer Ernst, erstand eine Liebe, eine Leidenschaft, eine Raserei der Herzen und der Sinne.

Angelita forderte von dem Herzog ihre Freiheit. Seit dreiviertel Jahren war sie sein Weib. Sie haßte ihn. Seine Kälte hatte in der Tochter des deutschen Fürsten Oybin nie etwas anderes als eine Repräsentantin seines Namens, ein Mittel seiner Stellung und seines politischen Ehrgeizes gesucht.

Als Antwort auf ihre kühne Forderung befragte er den Botschaftsarzt, fürchtete, der tropische Sommer Japans habe ihr Hirn angegriffen. Da floh sie zu dem Geliebten. Klopfte eines glutheißen Tages an die Tür des kleinen japanischen Hauses, das er in der Torisaka bewohnte.

Er stieß sie von sich, entsetzt, in panischem Schrecken.

»Ich kann nicht in eine fremde Ehe einbrechen«, wiederholte er immer wieder, starrsinnig wie unter einer Suggestion, unbeugsam.

Da sprühte in ihr Hohn und Haß empor.

»Feigling«, schrie sie ihm entgegen. »Du weißt wohl, daß der Herzog der beste Florettfechter Spaniens ist?«

Da zuckte er zusammen. Der Hieb saß. Er sprach nichts mehr, bis sie ging, nachdem sie ihm ihre tödliche Verachtung noch einmal ins Gesicht gespien hatte. Ging gebrochen zurück zu ihrem Manne und ihrer verlorenen Ehe.

4

In der Bibliothek im Hause der Egerton Terrace zu London schwelte wieder ein Schweigen, das geladen war von ahnender Ergriffenheit und erinnerungsschwülem Gedenken.

Dann sagte Angelita, ohne sich zu bewegen, ganz leblos: »Ich muß dich etwas fragen, John.«

Er neigte kaum merklich den Oberkörper.

»Bitte.« Doch er sprach das Wort nicht, es blieb eine pantomimische Geste.

Plötzlich erwachte sie aus der Erstarrung, beugte das Gesicht heftig zu ihm hinüber und sprach lebhaft und eindringlich:

»Es hat mich alle diese Jahre gequält. Ich habe gegrübelt und gegrübelt und nie eine Antwort gefunden. – Warum hast du mich damals in Tokio zurückgestoßen?«

Sie fragte es ganz matt, die Stimme wie Sammet, ohne Groll, bebend vor Zärtlichkeit und Verlangen nach Verstehen.

Er bewegte sich nicht, saß steif und scheinbar unberührt von ihrer leidenschaftlichen Innigkeit. Nur die grauen klaren Seemannsaugen wurden tiefer und dunkler.

Als keine Antwort kam, fuhr sie fort, Liebkosung in der Stimme: »Damals nannte ich dich Feigling. Gegen mein Wissen und meine Überzeugung. Meine grenzenlose Enttäuschung schrie es hinaus, meine verletzte Eitelkeit wollte dir weh tun, mein verwundetes Frauentum wollte dich erniedrigen. Geglaubt habe ich niemals, daß du mich aus Furcht vor dem Herzog abwiesest. Aber warum? Warum? Sag es mir heute!«

Seine Augen glitten über sie hin. Und als er sie dicht vor sich sah, zu ihm geneigt, ganz menschlich, ganz weiblich, ganz traut und zu ihm gehörig, löste sich etwas Totes in ihm und schmolz dahin. Die Vereisung dieser langen erfrorenen Jahre taute auf. Da war endlich ein Mensch, der Mensch seines Lebens, der ihn rief, liebend und hingebend, der einzige Mensch auf dieser Erde, der ihm nicht fremd war und bedrohend, dem alles zuströmte, was in ihm nicht Pflicht und Arbeit war, der Inbegriff war alles Guten und Zarten, alles Gefühls und alles Glücks dieser Welt. Ein Verlangen umkrallte ihn, seine Brust zu erschließen, dieses Geheimnis von sich zu schleudern, das ihn umschiente, den Stahlpanzer, der ihn umgürtete, zu zerschlagen und zu zerfetzen und endlich wieder frei zu atmen, nach dem Bekenntnis. Er öffnete die Lippen zur Beichte.

Doch die jahrelange Schulung in der Behütung seiner Worte, sein Verstand und seine automatisch arbeitende Vernunft wich von dem geraden Wege des Geständnisses ab, trotzte dem weichen Impulse in seiner Brust.

»Ich tat es«, sagte er rauh, »weil ich damals nichts war und nicht wagte, die Herzogin Breton de Los Herreros an mich zu binden.«

Ihr bewegliches Gesicht stutzte in Staunen, dann verengten sich die Augen im Zweifel. Mit einem sanften Lächeln bedeutete sie: »So wäre heute diese Hemmung gefallen?«

Er schnellte empor. Ging rasch durch das Zimmer.

Dann blieb er vor ihr stehen und stieß fast barsch hervor: »Heute verkörpere ich zu viele und zu wichtige wirtschaftliche Interessen Englands, um mir einen gesellschaftlichen Skandal gestatten zu dürfen.«

Da federte ihr geschmeidiger Körper auf unter dem Seidenkleide. Ihr Schoß bäumte sich gegen den Rock. Dann lag ihr Leib steif in dem Sessel. Die großen dunklen Augen, dieses Erbteil der maurischen Beherrscher Spaniens, mit denen die Mutter sie verband, glühten rötlich auf in einem heißblütigen Zorn und lebten allein in ihrem erbleichten Gesicht. Doch ebenso rasch löste sich der Bann der Empörung, der Körper wurde wieder saftvoll und gelenkig, die Augen blickten versöhnt und voller Liebe zu ihm empor. Mit einem leisen Erschauern, als friere sie plötzlich, sagte sie klanglos:

»Ich bin nicht zu dir gekommen, um dich zum zweiten Male auf die Probe zu stellen, John. Zeit und Leid dämpfen. Ich bin nicht mehr die impulsive Frau, die ohne Überlegung ins Leben hinausläuft und Gefolgschaft fordert.«

Er stand vor ihr und schwieg und fühlte, wie töricht, elend, klein und jämmerlich er dieser Frau gegenüber war, die heute abend wieder ihre Liebe zu ihm getragen hatte, ohne prüden Stolz, hoch über jeder Vergeltung für die Beleidigung, die er ihr damals angetan hatte. Er rang und kämpfte mit sich und seinem Geheimnis, während sie leise weiter sprach:

»Ich wollte nichts als dir sagen, daß ich in London bin und – dich – liebe!«

»Ich liebe dich auch!« schrie er unterdrückt und verrenkte die Finger.

»Ich weiß es«, nickte sie. »Sonst wäre ich nicht hier.«

»Warum bist du nie zu mir gekommen, als ich in Madrid war?« fragte er unvermittelt. »Du mußt doch gehört haben, daß ich dort war – bald nach unserer Trennung in Japan.«

Sie sah zu ihm empor. »Ja, ich wußte es, aber damals glaubte ich noch, daß ich dich hasse.« Sie lächelte weh.

»Ich war oft vor deinem Palais«, bekannte er.

»Ich weiß.«

»Das weißt du?!«

Sie nickte schelmisch. »Ich habe dich einmal gesehen. Und dann immer erwartet. Tagelang habe ich am Fenster meines Boudoirs gesessen und auf dich gewartet.«

»Geliebte –!« flüsterte er erschüttert.

Sie hob in einer hilflosen Bewegung beide Arme und ließ sie wieder matt in den Schoß zurückfallen. »Aber jetzt, John, jetzt wollen wir –«

Sie sprang auf. Plötzlich standen sie wieder voreinander. Gesicht dicht an Gesicht.

»Jetzt will ich wissen, was uns wieder trennt«, rief sie inbrünstig aufflammend. Es schien, als wollten ihre Lebenskräfte, ihr Ungestüm, ihre blutvolle Lebendigkeit das eng umschließende Kleid sprengen. »Durch das lange Leid um dich bin ich so sehr ein Teil von dir geworden – wie mein Kopf – mein Herz. – Nichts von dir kann mich mehr beleidigen, so gehörst du zu mir. – Meine Sehnsucht nach dir hat mich in dich hineingebrannt. Nie waren zwei Menschen mehr eins, durch Schmerz und Entbehren zusammengeschweißt. Ich weiß, es ist etwas außer dir, das nicht du bist, eine Macht, die stärker ist als meine Liebe, als deine Liebe, als meine Anziehung, als mein Reiz, meine Ausstrahlung auf dich. Ich möchte dieses Fremde, dieses tödlich Feindliche, erwürgen – morden, wenn es lebte. Aber es ist nichts Lebendiges, Greifbares. Es ist etwas Geisterhaftes. Das fühle ich.«

Sie stand von Leidenschaft geschüttelt vor ihm. Jahrelang Gestautes barst aus ihr hervor. Ergebnis von tausend Stunden verzweifelnden, hirnzermarternden Suchens und Grübelns.

Er fühlte die lautere Flamme weiblicher Menschlichkeit, die ihm aus ihr entgegenschlug, empfand die reine Glut, in der sie brannte, und – wandte das Gesicht ab.

»Ich kann es dir nicht sagen«, quälte er hervor zwischen festgeschlossenen Zähnen.

Sie schluckte.

Dann rannte sie wieder mit ihrem vollblütigen Temperament gegen das Bollwerk seiner erbitternden Verstocktheit an.

»John«, rief sie, »ich kann nicht glauben, daß es etwas gibt, das du mir nicht sagen kannst. Warum denn nicht? Warum denn bloß nicht?! Ich bin dir doch so nah wie ein Mensch dem andern sein kann. Oder nicht?!«

Sie blickte ihn fordernd an und warf mit einem nervösen Ruck die Locken hinter das Ohr zurück.

»Doch«, gestand er.

»Und dennoch gibt es zwischen uns etwas, das du mir nicht sagen kannst?! Etwas Lebenswichtiges, das immer wieder zwischen uns steht! Nur deshalb will ich es wissen. Ich will mich nicht in Geheimnisse drängen, die mich nicht kümmern. Aber dieses – dieses Würgende, Feindliche! Sag es mir, sag es mir! Und wenn du ein Verbrecher wärst, wenn du gemordet hättest – was wäre mir das? Sag es mir doch ganz menschlich – ich verstehe alles – alles, was dich betrifft!«

Sie wartete. Er wich ihrem Blicke aus.

»Vielleicht warst du noch sehr jung, hast gesündigt – was heißt zwischen uns gesündigt?! Ein albernes leeres Wort. Vor mir kannst du nicht gesündigt haben. Ich liebe dich, wie du bist – mit allem – mit deiner Vergangenheit, wie sie auch ist. Nur sprich endlich! Hab Vertrauen! Vernichte nicht unser Leben durch eine falsche unselige Scham. Laß mich begreifen, warum du mich immer wieder von dir stößt, und laß mich dir dann sagen, daß es nichts an meiner Liebe und meinem Aufgehen in dir ändert. Allein finde ich nicht den Schlüssel zu diesem vernichtenden Geheimnis.«

Sie sah, wie er grausam mit sich rang. Da trat sie zu ihm, legte die Hand – sie zitterte – auf seinen Arm und flüsterte innig:

»Es ist nicht Neugier – es ist doch nur Zu-Dir-Gehören, Mit-Dir-Sein-Wollen, Mit-Dir-Tragen.«

Da war er überwältigt. Da riß er sie in die Arme und dicht an ihrem Munde raunte er: »Du Herrliche – du Wunder! Ich will es dir sagen. Nichts soll mehr zwischen uns stehen. Setz dich!«

Er preßte sie in den Sessel nieder. Ging, sich sammelnd, durch das Zimmer. Sie wartete, blickte zu Boden in dem Gefühle, ihn jetzt nicht stören, nicht unterbrechen, das Losringen des Bekenntnisses von seiner Seele durch ihre betonte Gegenwart nicht hemmen zu dürfen.

Er ging mit kleinen Schritten auf und nieder. Seine Brust arbeitete. Fast sieben Jahre trug er wortlos sein tragisches Geschick. Das eingefressene Schweigen scharrte mühsam nach Worten.

Da schlug die große Standuhr in der Ecke mit ihrem herrlichen Orgeltone zehnmal. Angelita sprang empor. Stand vernichtet – verängstigt.

»Ich – muß – fort«, stöhnte sie verzweifelt.

Verwirrt fand er sich zurück aus der Qual der Loslösung von dem Mysterium seines Lebens und starrte sie ohne Verstehen an.

»Ich muß fort«, wiederholte sie verstört. »Der Herzog darf nicht wissen, daß ich das Haus verlassen habe. Er ist fanatisch eifersüchtig.«

Er war noch immer so verloren an den Entschluß, endlich zu sprechen, zu bekennen, daß er nicht begriff.

»Ich muß vorsichtig sein«, klagte sie.

»Warum gehst du nicht fort von ihm, wenn du ihn nicht liebst?« fragte er hart.

»Wozu? Eine Ehe besteht nicht zwischen uns. Schon damals in Japan nicht mehr. Wo ich bin, ist doch gleich, wenn ich nicht bei dir bin. Wozu dann Skandal und Aufregungen, Erörterungen, Mißhelligkeiten?! Wozu? Alles ist doch so gleichgültig, wenn ich nicht mit dir leben darf. Alle diese Jahre habe ich nur für diese Stunde der Aufklärung gelebt.«

Sie suchte mit den Augen ihren Pelz. Er holte ihn. Während er ihr beim Anlegen half, fragte er: »Wann kommst du wieder?«

»Ich weiß es nicht. Sobald ich kann. Und dann – wirst du mir alles sagen?«

Er nickte schwer.

»Ich will es nicht in Eile und Hast hören, und dann mit deinem noch warmen Bekenntnis, der höchsten Gabe deiner Liebe und deines Vertrauens, davoneilen. Ich habe Jahre gewartet. Ich kann noch Tage warten. Ich habe dich nun ja gesehen und gefühlt und geatmet. Gute Nacht, du geliebter Mensch, der du mein Leben bist!«

Da schrie er aufgewühlt auf, und Tränen stürzten ihm aus den Augen, zum ersten Male, seit er ein Mann geworden war.

5

Angelita war längst gegangen, hinaus in den triefenden gelben Nebel der Londoner Januarnacht. Sie duldete nicht, daß er sie begleitete.

»Wir müssen vorsichtig sein, so lange ich die Herzogin Breton de Los Herreros bin«, lächelte sie traurig zum Abschied. »An der nächsten Ecke finde ich sicher eine Taxi – nein, laß keine holen.«

Sie war gegangen. Die düstere Bibliothek war wieder leer und stumm, wie sie seit Jahren gewesen war. Doch anders – anders. Ihr Odem lebte zwischen den dunklen Wänden. Es war nicht mehr die Verzweiflungsstätte eines vergrämten, verlassenen Mannes, der sich heimlich in Sehnsucht und in spukhafter Erinnerung eines furchtbaren blutigen Tages seiner Vergangenheit aufrieb und zerfleischte. Die Gnade seines Lebens hatte nun dieses Zimmer, dieses Totenhaus geweiht und verklärt. Alles war anders geworden, geheiligt und neu belebt.

Rutland saß wieder an dem Schreibtische vor den Papieren und Akten seines »Werkes«. Sein Gesicht war gelöst, die Schultern zuckten. Der Panzer seiner Züge und seiner Brust war geborsten. Er fühlte und wußte, hatte es voll Ohnmacht in jeder Sekunde ihrer Gegenwart empfunden, wie leblos, kalt, brutal und engstirnig er ihrem großen heißen Frauentume gegenüberstand und ihrer rückhaltlosen freien Menschlichkeit. Er schämte sich seiner schmerzlichen Unzulänglichkeit. Es war ihm unmöglich gewesen, gleich durch die eiserne Schicht – hart wie die Stahlplatten, die sein Werk fabrizierte –, die sein Gefühlsleben umpanzerte, hindurchzudringen. Er bekannte sich, daß er klein gewesen war, ihrer Größe, ihrem großzügigen Allesgewähren gegenüber – damals in Japan und heute wieder.

Alle diese Jahre in diesem Hause hatte er nur dieses Wiedersehen erharrt, nur ihm gelebt, ohne Hoffnung, daß es je Wirklichkeit werden könne –, und als sie gekommen war, hatte die leichenhafte Vergangenheit wieder über die lebensvolle Gegenwart triumphiert.

Er erhob sich und durchmaß den Raum.

Sie hatte den Weg gewiesen. Er wollte ihn gehen.

Er wollte beichten, ihr alles bekennen und erklären.