Alien Contagium - Tatjana Stöckler - E-Book

Alien Contagium E-Book

Tatjana Stöckler

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Beschreibung

Sind wir in diesem gigantischen Sternenmeer allein? Welches Leben mag sich wohl in den Weiten des Universums entwickelt haben? Existiert irgendwo ein kompletter Zwilling unserer Spezies? Sind sie, wie wir einst waren oder möglicherweise sein könnten? Oder sind sie vollkommen anders als das, was wir als vermeintlich intelligente Lebensform erfassen können? Wie könnte eine erste Begegnung stattfinden – und was würde sie für uns, aber auch für die gesamte Menschheit verändern? Sind Außerirdische vielleicht sogar schon lange unter uns? 23 Autorinnen und Autoren haben ihrer Inspiration freien Lauf gelassen und erzählen von erstaunlichen, bewegenden, humorvollen, aber auch beängstigenden Begegnungen der Dritten Art. Mit Geschichten von Maximilian Wust | Frank Lauenroth | Erin Lenaris | Sven Haupt | Carolin Lüders | Ralph Sander | Anastasiya Maria | Manuel O. Bendrin | Anna Mai | Maximilian R. Herzig | Sylvia Kaml | Helen Obermeier | Detlef Klewer | Anna Eichenbach | Nob Shepherd | Michael Erle | Tatjana Stöckler | Michael G. Spitzer | Sebastian Schaefer | Galax Acheronian | Nele Sickel | Renée Engel | Christoph Grimm

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Seitenzahl: 486

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Alien Contagium

– Erstkontakt-Geschichten –

Herausgegeben von Christoph Grimm

 

Vollständige E-Book-Ausgabe der Druckausgabe

 

 

ISBN 978-3-946348-34-4

ISBN 978-3-946348-33-7 (Print Ausgabe)

 

© Eridanus Verlag | Jana Hoffhenke

Hastedter Heerstraße 103 | 28207 Bremen

Alle Rechte vorbehalten

 

Lektorat: Christine Jurasek

Umschlaggestaltung: Detlef Klewer

Satz | Gestaltung: Jana Hoffhenke

Ebook-Realisierung: Eridanus IT-Dienstleistungen

Vorwort  

~ ~ ~

 

»Ist die Menschheit alleine im Universum?

Oder existieren irgendwo da draußen andere intelligente

Lebensform, die auf verschiedenen Welten in ihre

Nachthimmel schauen und sich die gleiche Frage stellen?«

Carl Sagan (Exobiologe)

 

Dass eine gewaltige Bühne wie das Universum Leben ausschließlich dem Planeten Erde vorbehält, darf bezweifelt werden. Natürlich zeigt bereits unser Sonnensystem, dass nicht gerade wenige Faktoren zusammenwirken müssen, um auch nur der rudimentärsten Form von Leben – zeitweise! – eine Chance zu geben. Angesichts von bis zu 400 Milliarden vermuteten Gestirnen in der Milchstraße, die wiederum nur eine von 100 Milliarden Galaxien im sichtbaren Universum darstellt, liefert jedoch selbst die pessimistischste Wahrscheinlichkeitsrechnung unterm Strich eine beeindruckende Zahl außerirdischer Spezies: Während der Physiker Seth Shostak vermutete, es könnte allein in der Milchstraße bis zu 10.000 Zivilisationen geben, räumte der Exobiologe Carl Sagan für unsere Galaxie immerhin noch die Möglichkeit von 10 ein.

 

Das klingt doch erst mal vielversprechend, oder? Leider gibt es einen kleinen Haken, denn es gilt gemeinhin in der wissenschaftlichen Welt als sehr unwahrscheinlich, dass sich Lebensformen zweier Welten jemals begegnen. Selbst wenn die unzähligen Parameter, die auf der Erde unsere Spezies heranwachsen ließen, auch auf anderen Welten – annähernd zeitgleich! – zusammenwirkten, so machen letztendlich die gewaltigen Distanzen ein Treffen ausgesprochen schwierig.

 

Doch, was wäre, wenn … sich ein uraltes Objekt in unser Sonnensystem verirrt … der Nachbarplanet Mars Erstaunliches beherbergt … jemand am Rande unseres Sonnensystems wartet … die uns bekannten Gesetze der Physik nicht für alle gelten … andere Zivilisationen schnellere Wege des interstellaren Reisens entdeckt hätten … wir es sind, die Fremde wären … etwas jenseits von dem ist, was wir als Leben definieren und begreifen würden? Dies sind nur einige der Szenarien, die auf den nächsten 430 Seiten auf Sie warten. So fantasievoll die Autorinnen und Autoren das Ob und Wie ihres Erstkontakts gelöst haben: Noch interessanter sind die Auswirkungen einer solchen Begegnung – für sie und für uns.

Christoph Grimm,

im Februar 2022

 

Objekt eins (Maximilian Wust)

 

~ ~ ~

 

Bevor wir zum ersten Mal Außerirdischen begegneten, hatten wir nur zwei Vorstellungen, wie das wohl geschehen würde: Entweder im Guten, also dass sie als Weise zu uns herabsteigen – in Frieden kommen, wie man im Film immer sagt –, mit unseren Anführern sprechen wollen und uns Wissen, Technologie und sprechende Fertigpizzen bringen. Oder natürlich im Schlechten, als Invasoren: Dann würden sie Denkmäler in die Luft sprengen und jeden Menschen verdampfen, den sie vors Visier bekommen – meistens, um an Ressourcen zu kommen, die auch in jedem zweiten Asteroiden zu finden sind.

Das waren unsere Gedanken, wenn wir von Aliens sprachen. Die Medien hatten uns dermaßen benebelt, dass wir schon gar nicht mehr wussten, wie langweilig die Realität im Regelfall ist.

Jedenfalls war da auf einmal Ordnung im Chaos. Klingt etwas melodramatisch, aber genau das hat das Objekt zuerst verraten.

Um das zu erklären, muss ich ein bisschen ausholen: Der Weltraum ist alles andere als still, auch wenn das keiner glaubt. Sonnen geben ein regelrechtes Gebrüll an Signalen von sich – deswegen können wir sie auch sehen – und Planeten spiegeln und verzerren diesen stellaren Rundfunk noch tausendfach. In akustische Signale umgewandelt – und das haben ein paar besonders gelangweilte Astronomen schon getan –, ist es ein Brei aus Tönen und Lärm. Chaos eben.

Das Objekt dagegen strahlte geordnete, regelmäßige Funkwellen aus. So haben es die Menschen damals entdeckt, von der professionellen Sternwarte bis zu den SETI-Spinnern auf dem Dachboden ihrer Eltern. Und gleich dazu noch verstanden, dass es von Außerirdischen stammen muss. Ordnung ist unnatürlich. Jemand muss sie gemacht haben.

Natürlich richteten die NASA, die ESA und die Nachrichten sofort alles, was ein Objektiv hatte, auf das Objekt und staunten – zusammen mit dem Rest der Welt. Da driftete nämlich tatsächlich etwas sehr Raumschiffartiges durch unser Sonnensystem. Dieses Ding war ein unförmiges Etwas, wie eine riesengroße Kidneybohne, neunzig Kilometer lang, schwarz und somit im Vakuum kaum sichtbar. Und definitiv das Werk einer nicht-irdischen Zivilisation.

Wie die Leute damals ausgerastet sind, weißt du ja inzwischen selbst. Sie sind auf die Straße gegangen, haben gefeiert, sich gefürchtet und sind beinahe durchgedreht. Allein, wie viele Tausend Esoteriker auf einmal meinten, mit dem Objekt in Verbindung zu stehen, war gruselig und mit den Verschwörungstheoretikern will ich gar nicht erst anfangen. Zu viele empfahlen, das Raumschiff präventiv mit Atombomben zu begrüßen und zu viele hörten ihnen zu – glücklicherweise aber nicht die Menschen mit besagten Bomben.

Und natürlich durften auch die Verrückten nicht fehlen, die ganz offen darüber diskutierten, wie wohl diese Außerirdischen schmecken, und Influencer mussten einfach – weil man für Klicks und Likes alles tut – einen Wettstreit daraus machen, wer seine Geschlechtsorgane zuerst in einen der Besucher schiebt oder die ihren empfängt.

Ich könnte mich jetzt noch ewig darüber aufregen, was in den ersten Tagen der Ankunft geschah oder gesagt wurde, aber das hatten wir schon. Im Nachhinein glaube ich, dass viele das Objekt einfach als eine Art Erlösung sahen, gerade hier in den USA. Ein Haufen Leute waren hochverschuldet, in Leben verfangen, die sie hassten, und hatten keine Hoffnung, weder für sich noch für das Land. Irgendwie dachten sie wohl, dass die Insassen dieses Raumschiffs sie aus allem retten würden – entweder indem sie unsere verzahnte Zivilisation entwirren oder ausradieren, unkompliziert machen eben. Ein wenig kann ich sie verstehen.

Wir jedenfalls – die Leute vom Institut, das es damals natürlich noch nicht gab – hatten vor allem eines: Fragen. Was ist das Objekt? Was macht es hier? Wer hat es gebaut? Was bedeuten die Signale, die es aussendet? Sind das interne Nachrichten, so von einem Alien zum anderen und wir empfangen sie nur durch Zufall oder sollen sie schon von uns gehört und verstanden werden? Warum reagieren die Piloten nicht auf unsere Kommunikationsversuche? Und warum halten sie auf die Sonne zu?

Denn genau das war der Fall.

Als wir das Objekt entdeckten, hatte es gerade die Umlaufbahn des Saturns passiert … und war drauf und dran, gleich wieder Lebewohl zu sagen. Sein Kurs, den es wahrscheinlich alles andere als freiwillig verfolgte, führte direkt in die Sonne, und das bei einer Geschwindigkeit von über hunderttausend Kilometern am Tag. Ich will dich jetzt nicht mit den mathematischen Details langweilen, also sagen wir es einfach so: Experten weltweit haben die Zahlen durchgekaut und kamen alle zum selben Ergebnis: Das Objekt würde in weniger als sieben Jahren in die Sonne stürzen.

Das war enttäuschend. Anders lässt es sich nicht aus­drücken.

In einem Film hätte man jetzt einfach ein Raumschiff aus dem Boden gestampft, eine gemischte Crew aus Schönlingen hineingesetzt und zum Objekt geschickt, wo sie dann die tollsten Abenteuer und Explosionen erlebt hätten. Und ein Charakter würde in den ersten fünfzehn Minuten klarstellen, dass er homosexuell ist, was dann auch schon seine ganze Persönlichkeit ausgemacht hätte.

Die Realität sah halt wie immer viel langweiliger aus – und vor allem schwieriger: Niemand, nicht einmal die USA oder China können mal eben eine bemannte Mission bis in die Jupiterumlaufbahn schicken, wo das Objekt gerade vorbeizog, als man diesbezüglich die ersten Pläne machte. Sogar schon Raumsonden, ja eigentlich jedes Kilogramm, das die Erdschwerkraft verlässt, muss über Jahre berechnet und geplant werden. Ein Andock- oder Enterverfahren hätte bedeutet, dass man die Männer nicht nur dort hinschicken musste, durch extrem gefährliche Sonnenwinde und uns noch unbekannte Gefahren, sondern auch noch auf die Geschwindigkeit des Objekts beschleunigen, danach zurück, in die Erdumlaufbahn, auf Erdgeschwindigkeit und dann auch noch in Erdnähe.

Nimm zum Vergleich eine Mars-Mission: Optimistisch gesehen bräuchte so ein Flug, hin und zurück, zwei Jahre. Optimistisch gesehen! Vier ist realistisch, wenn nicht sogar acht. Die Psyche der Astronauten mal außen vor gelassen, die man für einen ganzen Lebensabschnitt in eine von Vakuum umgebene WG stopft. Es war also von Anfang an klar, dass nur unbemannte Sonden ans Objekt herankommen werden, wenn überhaupt, bevor es auf Nimmerwiedersehen in der Sonne zu Plasmasuppe verkocht wird. Aber trotzdem konnten wir uns diese Chance auf neue Technologie und Antworten nicht entgehen lassen.

Und das war gut so.

Was in den nächsten sechs Monaten folgte, hatte etwas Prophetisches an sich. Ich nenne es gern einen Kleinen Weltfrieden. Um so viele Objektsonden wie möglich loszuschicken, arbeiteten tausende technischer Abteilungen, von hier über Russland bis Indien, so harmonisch und zielgerichtet zusammen, als stünde uns eine Invasion bevor. Und das, ohne dass man zuvor dreißig Jahre lang einen brüchigen Frieden aushandeln musste. Würde die Menschheit immer so zusammenhalten, hätten wir einfach mal fünfundneunzig Prozent all unserer Probleme gelöst. Die Energie, diese Klarheit, alle auf ein gemeinsames Ziel gerichtet; alle bemühen sich für etwas, das größer ist als man selbst – es war berauschend, an so etwas Teil zu haben.

Etwas mehr als ein halbes Jahr nach der Entdeckung des Objekts schickten wir – also wir, die Menschheit – zwölf Sonden los. Eineinhalb Jahre später kamen sie an. In Rekordzeit! Die Galileo-Sonde hatte für fast dieselbe Strecke sechs Jahre benötigt, die wir aber dieses Mal nicht hatten. Die Sonden kamen also an und lieferten … na ja, Fragen. Aber das ist eigentlich nicht schlimm. Weißt du, wie man erkennt, dass Wissenschaft funktioniert? Man findet Fragen. Drei für jede Antwort. Nur hatten wir etwas mehr erwartet.

Die Kameraaufnahmen des Objekts waren selbstverständlich faszinierend. Seine Oberfläche schien aus so einer Art Obsidian zu bestehen, also einem schwarzen, glänzenden Glas, das über und über mit Rillen überzogen war. Wir fanden Buchten, vielleicht Dockingstationen für kleinere Raumschiffe, ansonsten endlose Eingänge und Schächte, manche einen Kilometer breit, andere etwa so dick wie ein Daumen. Ein Teil davon waren vermutlich Düsentriebwerke, aber bis heute grübelt die ganze Welt darüber, was wohl Luftschleusen, Wärmetauscher oder Waffensysteme gewesen sind. Oder ob das Schiff so etwas überhaupt besessen hatte.

Wir hätten gerne eine Sonde reingelenkt, in so eine kilometergroße Bucht zum Beispiel, aber das war kaum machbar. Jede noch so kleine Kurskorrektur dauerte allein schon wegen der Entfernung mehrere Stunden. Das Wenige, das wir schafften, war das Meiste, das möglich war.

Nach drei Tagen entdeckten wir dann die Wunde. Irgendjemand oder irgendetwas hatte ein riesiges Loch in das Objekt hineingeschossen, von außen nach innen, wie Ballistiker weltweit bestätigten. Der Einschlagskrater war gute fünfzehn Kilometer breit, hatte also ungefähr ein Achtel des Objekts aufgerissen und reichte bis ins Zentrum hinab. Da wurde uns bewusst, warum niemand antwortete: Vermutlich war das Objekt tot; das Signal nur noch eine Bandansage, ein Flugschreiber vielleicht, der immer noch Geräusche von sich gibt, damit man ihn leichter findet. Die Experten kamen damals zu dem Schluss, dass es wohl vor über achtzehntausend Jahren tödlich getroffen worden war und dann als Wrack in den Schwerkraftbereich unserer Sonne gedriftet sein muss.

Sein Inneres jedenfalls war so gar nicht wie erwartet. Wir hatten wohl auch hier zu sehr die Kulisse aus einem Science-fiction-Film erwartet, mit Korridoren, einem Speisesaal, Quartieren, sowas in der Art. Einen Hydroponischen Garten für erholende Spaziergänge, weil Gärten in der Science-Fiction immer hydroponisch sein müssen! Stattdessen fanden wir einfach nur ein unendlich großes, graues Geflecht – als würde man durch Millionen Lagen grauer Baumwolle schneiden. Zwanzig Kilometer, also etwa zehnmal so tief wie der Grand Canyon, reichte die Wunde in das Objekt hinein. Was wir darin sahen, waren Gebirge aus endlosen Fransen, Fäden und Sehnen. Anders lässt es sich nicht beschreiben. Auf den Aufnahmen sind einige Tunnel zu erkennen, der Größte mit einem Durchmesser von drei Kilometern, aber ansonsten schien das ganze Objekt mit Wolle gefüllt zu sein. Das war so enttäuschend unmenschlich.

Vielleicht hatte dieses Ding nie eine Besatzung gehabt. Vielleicht waren diese Fäden seine Besatzung. Vielleicht gehörte es zu einer künstlich geschaffenen Spezies aus intelligenten, biomechanischen Schiffen und war einem feindseligen Artgenossen zum Opfer gefallen. Oder unerwartet von einem Asteroiden getroffen worden. So oder so, für einen Menschen, der menschlich denkt und Menschliches erwartet, war es halt unerwartet wenig. Ein mit Watte gefüllter Rillen-Asteroid. So als wäre er nur Deko in einer kosmischen Wohnzimmerschale gewesen.

Was es natürlich nicht war. Das ist uns damals auch bewusst gewesen.

Du kannst dir vorstellen, wie wir alle feierten, als es sogar einer der Sonden gelang, an dem Rand dieser geologisch großen Wunde zu landen, nachdem man vier Tage lang über Kurskorrekturen gebrütet und drei andere Satelliten in die Leere verschossen hatte. Dort nahm sie offiziell einige belanglose Materialproben und bis heute glaube ich, dass es mehr Glück als Können war, dass wir sie sogar bis zur Erde zurückholen konnten.

Der Rest der Geschichte ist Allgemeinwissen: Das Objekt flog weiter in Richtung Sonne und unsere Sonden begleiteten es, bis sie ausfielen. Die Objektive wurden blind, die Mikroelektronik begann sich im radioaktiven Strom aufzulösen, bevor sich eine nach der anderen abmeldete. Das Objekt folgte wenig später nach. Es hielt ein gutes Stück länger durch als unsere mit Computerchips gefüllten Aluminiumdosen, aber schließlich blähte es sich genauso in der geballten Strahlung der Sonne auf, platzte und verglühte, lange bevor es ins Plasma eintauchen konnte.

Das tat weh. Wir waren endlich diese riesengroße, ungute Ungewissheit losgeworden, ob es im Universum außer uns auch noch andere gab und blieben am Ende genauso ahnungslos wie zuvor. Nicht eine verdammte Frage konnte uns das Objekt beantworten!

Später benannte man es offiziell als Objekt Eins, wohl in der Hoffnung, dass vielleicht noch ein zweites in unsere Sonne stürzt oder dass die Erbauer doch noch vorbeischauen. Aber seitdem hat sich, wie wir alle wissen, nichts getan. Oder sagen wir, fast nichts. Die Welt ist immer noch dieselbe geblieben, die Probleme von damals sind heute immer noch nicht gelöst, Afrika ist immer noch arm und in den Filmen geht es wieder um bösartige Alien-Invasoren mit Anti-Häuserblock-Waffen.

Also, warum erzähle ich dir jetzt all diese Dinge, die du eh schon weißt? Wir haben ein Problem. Oder besser: Wir wissen nicht, ob es überhaupt ein Problem ist. Im Militärsprech aus dem Kalten Krieg sollte man wohl eher sagen: Wir haben eine Situation!

Diese eine Sonde kam, wie erwähnt, mit den Materialproben zurück nach Hause. Das war kein Geheimnis und zum Glück auch kein Grund für einen internationalen Streit. Jeder, der beim Sondenbau geholfen hatte, bekam seinen Anteil an den außerirdischen Fransen, ob jetzt China, Südkorea oder die USA – nur dass bei uns ausnahmsweise mal nicht die Republikaner herrschten und man sich dafür entschied, unsere Portion mit den Europäern zusammenzulegen und gemeinsam zu erforschen. Wir brachten sie in ein Forschungslabor, ganz neutral und schön abgelegen in Finnmark, dem nördlichsten Norden Norwegens und erforschten die vierzehn Gramm der Objektoberfläche zwanzig Jahre lang. Sehr genau und voller Hoffnung – immerhin war es unsere einzige Spur zu wenigstens ein paar Antworten. Unser roter Faden, wenn man so will, auch wenn er eher schwarzgrau gewesen ist.

Was wir daraus lernten, war auch enorm. Beispielsweise, dass die Objektwatte nicht einfach bloß ein paar Fäden sind. Vor etwa dreizehn Jahren erwachte das Material zum Leben und begann zu wachsen … und ernährte sich bei der Gelegenheit auch noch gleich vom Untersuchungstisch. Wir haben es mit Hitze bestrahlt, mit Plasma, mit Säure begossen und mit einem Diamantbohrer bearbeitet und dabei gelernt, dass man es inaktiv mit einer Drahtschere zerschneiden kann, es im aktiven Zustand dagegen nur mit extremem Aufwand zerstörbar ist. Es regeneriert sich einfach zu schnell. Wenn man es loswerden will, muss man es zerstäuben und dann im Hochofen annihilieren, wie man dazu sagt. Viel schlimmer noch: Wir haben ihm mit den meisten unsere Tötungsversuche anscheinend sogar noch Energie zugeführt. Wenn wir es mit einer Plasmaflamme schmelzen wollten, wuchs es nur noch schneller. Und gleich nebenher hatte es sogar den Raum entstrahlt! Kein Scherz, es trank Strahlung und verstoffwechselte sie, als wäre es eine Pilzart!

Nach ein paar Wochen hatte es den halben Untersuchungstisch überwuchert. Hast du dir inzwischen die Fotos angesehen? Es sah so aus, als würde der Tisch grau verschimmeln. Es schien aber nicht bösartig zu sein. Lebende Materie wurde von dem Geflecht seltsam analysiert, aber nicht getötet. Die Zellkulturen, die wir ihr in einer Petrischale zukommen ließen, blieben noch lange am Leben, weil es sie erhielt. Es produzierte sogar Wärme und Licht für sie, bevor es sie langsam und behutsam zu seinem Stoffwechsel hinzufügte.

Wir vermuteten zumindest eine rudimentäre Intelligenz dahinter, also haben wir ein Handy hineingelegt und es hat damit gespielt. Unser Test-Smartphone hat mehrfach versucht, aufs Internet zuzugreifen und sämtliche Textdokumente geöffnet, bevor es in Fäden aufgelöst wurde. Das war spannend. Und auch ein bisschen gruselig.

Irgendwann mussten wir uns aber der Frage stellen, was wir damit machen. Ist es eine Gefahr? Schießen wir das Geflecht in den Weltraum? Stecken wir es in ein Labor auf der ISC, wo es dann mit etwas Pech die ganze Station verschlingt? Was passiert, wenn wir ihm zum Beispiel eine Ratte geben?

Und am wichtigsten: Was passiert, wenn wir es wuchern lassen? Werden wir es dann nicht mehr los, während es den Planeten frisst?

Ich war dafür, dass wir es behielten. Nenn es Naivität oder den Glauben an das Gute, aber ich habe nie befürchtet, dass es den ganzen Planeten überwuchert und ja, ich bin zu weit gegangen. Als man ihm keine Ratte geben wollte, bin ich ins Labor geschlichen und hab’ ihm die frischeste DNS gefüttert, die ich kriegen konnte – nämlich eine Samenprobe. Von mir. Hat mich auf der Stelle den Job gekostet, genauso wie mein Geld, meinen Lehrstuhl, meinen Titel und alles andere. Eigentlich sitze ich noch jetzt in einem Gefängnis, das es offiziell nie gegeben hat.

Das Geflecht hat aber auf mein Sperma reagiert. Es hat anscheinend verstanden, wozu Samenzellen gut sind. Zuerst ist es heller geworden, am Ende sogar weiß, dazu warm und klebrig, indem es die Feuchtigkeit aus der Luft abzog. Es hatte sich eine Gebärmutter wachsen lassen und etwas geboren, bevor es das Wachstum komplett einstellte und wieder zu toten, grauschwarzen Fransen verkümmerte. Bis heute. Und auch nur unsere zusammengelegte, US-europäische Portion. Alle anderen sind genauso tot geblieben, wie seitdem auch wieder unser Geflecht.

Ihr Kind dagegen, unser Kind, wenn man es so nennen darf, ist ein kleines Mädchen mit ganz weißer Haut, das ganz zerbrechlich wirkt, aber seine Hand in einen Schmelztiegel stecken kann. Das eigentlich aus jedem Gefängnis ausbrechen könnte. Wenn es wollte. Manche von uns glauben sogar, dass ihm eine Elefantenbüchse kaum mehr als einen blauen Fleck zufügen würde. Ein liebes Ding, das so stark und so klug ist und uns manchmal Angst macht, weil es oft traurig und still auf seinem Bett sitzt. Und weint, weil seine Blume gestorben ist. Das besser als jeder Chopin am Klavier spielt und beleidigt ist, wenn man ein Stück von genau diesem Chopin mit einem von Rachmaninoff verwechselt.

So bist du entstanden. Das ist deine Geschichte. Ich wollte jetzt einfach, dass du sie kennst.

 

~ ~ ~

 

Über den Autor 

Maximilian Wust, geboren 1983, ist studierter Kommunikationsdesigner, Leidenschaftsleser und nebenberuflich Redakteur für Jugend und Medien. Seine Ideen entspringen, nach eigenen Angaben, seinen Erlebnissen in der S-Bahn, mit der er jeden Tag fährt.

 

Der Digger und der Lukudur (Frank Lauenroth)

 

~ ~ ~

 

Zach war leicht übergewichtig und schwer gelangweilt.

Zu letzterem gehörte einiges, denn Zach veranschaulichte den Begriff von Eintönigkeit perfekt.

Vielleicht lag es daran, dass sein Lack einfach nicht trocknen wollte.

Für Distributianer bedeutete ein trockener Lack alles. Erst dann durfte man seine Meinung sagen, auf Fragen mit mehr als nur Zustimmung oder Ablehnung antworten und – natürlich – schwabbeln.

Rick stellte quasi den Gegenentwurf zu Zach dar. Schlank, rastlos, vorlaut, schwabbelnd.

Unschwer zu erahnen, dass er und sein Lack eine trockene Einheit bildeten. Und das sogar bereits seit Fünf.

Rick, der mit vollständigem Namen Rickomerlanvandermaar hieß, blickte sich in ihrer Zelle um. Eine Kraftfeldhalbkugel mit drei Sitzpads, die in gleichgroßen Winkeln zueinander angeordnet waren. Eines befand sich genau gegenüber dem Eingang der Zelle. Über ihnen hingen drei Überwachungsholochrone.

»Was für ein Aufwand«, kommentierte Rick.

Zach blickte hinüber zu den anderen Kraftfeldzellen. Nur in einigen saßen Gefangene. »Sieht so aus, als wäre das nicht nur für uns so eingerichtet worden.«

»Dein Lack ist noch nicht trocken. Also sei still!«, wies Rick ihn zurecht. »Stimm zu oder lehn ab, nicht mehr!«

»Ich lehne ab«, sagte Zach. »Wie übrigens auch unseren Ausflug nach Chronos 2.«

Dabei drehte er sich langsam und wies dabei auf das Etablissement, in dem sie gelandet waren.

»Wurde registriert«, erwiderte Rick knurrend.

Zach blieb still. Es hätte nichts gebracht, seinen Kumpan darauf hinzuweisen, dass er es von Anfang an für hochgradig gefährlich gehalten hatte, ihrer Profession gerade auf dem Planeten mit dem besten Strafverfolgungssystem nachzugehen. Das zudem über das ausbruchsicherste Orbitalgefängnis verfügte.

Zach ließ sich auf eines der Pads sinken und drehte Rick sein rückwärtiges Exo zu.

»Cruel wird uns hier rausholen«, sagte Rick.

»Das wird er vielleicht, aber dann werden wir den Rest unseres Lebens die Kaution abarbeiten müssen.«

Rick schwabbelte aufgeregt. Dieser Zach nahm sich eindeutig zu viel heraus. »Wir brauchen nur ein großes Ding und nicht unser ganzes Leben.«

Zach hob seine linke Schwabbelhand. »Ich stimme nicht zu!«

»Du wirst schon sehen, wie er …«

Mit einem lauten Fump erschien eine Gestalt in der Zelle! Da war er. Groß und wuchtig und er trug etwas, das eine Uniform sein konnte. Seine mittlere Schulter stand wie ein steinerner Kragen unter seinem Gesicht. Wache Augen musterten die Zelle.

»Ihr alle könnt mich Digger nennen«, sagte … nun ja … der Digger mit tiefer, rauchiger Stimme.

Mit ‘Ihr alle’ meinte er sicherlich nur seine zwei Mitinsassen.

»Ist gut«, antwortete Zach mit gelangweilter Stimme.

»Äh, wo kommst du auf einmal her?«, fragte Rick. »Und was bist du eigentlich für einer?«

»Ein Crelate«, sagte der Digger und ließ damit die erste Frage unbeantwortet.

»Ein Crelate«, wiederholte Rick, und wippte mit seinem schwabbelnden Schaumkamm. »Von euch hab ich – glaube ich – gehört. Draußen, vor Chronos 8. Also … als es noch Chronos 8 gab.«

»Gibt’s nicht mehr?«, erkundigte sich der Digger.

»Gibt’s nicht mehr«, bestätigte Rick.

»Ein Jammer«, sagte Zach. Aber bei ihm konnte man nie sicher sein, ob er gerade das Objekt einer Unterhaltung meinte oder seine allgemeine Situation.

Plötzlich krabbelte etwas aus dem Revers des Crelaten. Es sah aus wie eine stählerne Ratte mit zwei rotglühenden Schwänzen.

»Iiieh, was ist das denn?«, schrie Rick auf und trat Zwei zurück.

»Ein Lukudur«, sagte der Digger seelenruhig. »Hab ihn reingeschmuggelt. Also brrrl.« Dabei legte er seine drei linken, kleinen Finger quer über seinen Doppellippenmund, dem Zeichen für Verschwiegenheit.

Der Digger war zwei Köpfe größer als die Distributianer. Insofern würden sie seiner Bitte höchstwahrscheinlich nachkommen.

»Sieht so aus, als hättest du nicht nur ihn hier reingeschmuggelt«, stellte Rick fest.

»Cruel hat ihn geschickt«, mutmaßte Zach.

»Dein Lack ist noch nicht trocken!«, ermahnte ihn Rick. »Hör auf, frei zu reden!«

Zach drehte sich wieder weg. Ein bisschen schwabbelte sein Schaumkamm, obwohl es auch dafür ein Verbot gab.

Zach und Rick gelangten ursprünglich durch den Kraftfeldeingang in die Zelle. Vielleicht war es bei Crelaten anders, überlegte Rick. Und wenn Cruel ihn tatsächlich geschickt hatte?

»Du musst einen guten Grund haben, hier zu sein«, sagte er lauernd.

»Den habe ich«, erwiderte der Digger und betrachtete den Distributianer genauer.

Rick wich noch Ein zurück und landete auf dem Sitzpad.

Die Ratte sprang auf Diggers rechte Schulter und zischte bedrohlich. Ihre beiden Schwänze tanzten wie kleine Peitschen auf und ab. Der Digger nahm auf dem freien Pad Platz.

»Eigentlich sind hier keine Raumtiere erlaubt«, sagte Rick und zeigte auf den Lukudur.

»Rein-ge-schmuggelt!«, wiederholte der Digger, und beließ es bei diesem einen Wort.

Sie saßen sich Ein bis Zwei gegenüber.

Still.

»Weswegen bist du hier?«, fragte Rick schließlich den Digger.

»Wahrscheinlichkeitsüberschreitung«, antwortete der.

»Oh«, sagte Zach.

»Häh?«, fragte Rick wenig intelligent, und schwabbelte ein wenig. »Das hab ich ja noch nie gehört. Was ist denn daran ein Vergehen?«

»Ich erkläre es dir«, antwortete der Digger. »Die Benutzung des Oberraums für Flüge führt zu Realitätsverzerrungen. Je kürzer der Weg im Oberraum, desto größer die Wahrscheinlichkeit, die Realität aufzuspalten.«

»Oh«, sagte Zach.

»Kapier ich nicht«, gab Rick zu. »Wir existieren doch sowieso nur in einer Realität. Kann uns doch schnuppe sein.«

»Sollte es aber nicht«, belehrte ihn der Digger. »Stell dir vor, du fliegst im Oberraum und gleitest an der Realität entlang. Je länger der Weg im Standardraum parallel dazu verläuft, desto geringer ist der potentielle Versatz, der durch Abweichungen ausgelöst werden kann. Ihr könnt mir folgen?«

»Äh …«, sagte Rick.

»Geht schon«, sagte Zach.

»Gut. Wenn du aber nur einen kleinen Teil des Weges im Oberraum benutzt, du also extrem abkürzt, dann ist die von dir nicht zurückgelegte Strecke an deiner Realität sehr groß und ebenso die Wahrscheinlichkeit, dass die Realität sich in diesem nicht benutzten Raum aufspaltet.«

»So hab ich das noch gar nicht gesehen«, gab Zach zu.

Rick hatte sein aufgeregtes Schwabbeln aufgegeben. »Gut gesprochen von dem, der wegen Wahrscheinlichkeitsüberschreitung hier einsitzt«, konterte er dennoch.

»Das ist zwar korrekt, aber wenig intelligent«, sagte der Digger. »Überleg mal!«

Mit dieser Antwort war Rick überfordert. »Wieso …?«, stammelte er.

»Ist auch nicht so wichtig«, sagte der Digger und zeigte auf das Pad unter Rick. »Weswegen sitzt ihr hier ein?«

»Umverteilung von Versorgungsgütern«, sagte Rick. Er schwang seinen Schaumkamm einmal hin und her.

»Was muss ich mir darunter vorstellen?«, fragte der Digger nach.

»Diebstahl«, antwortete Zach.

»Hier existiert Diebstahl?«, fragte der Digger offensichtlich überrascht.

»Ein durchaus weit verbreitetes Konzept«, antwortete Rick, mit einer Spur von Stolz in der Stimme.

Der Crelate hatte diese sprachliche Nuance wohl wahrgenommen. »Ich halte es für archaisch«, sagte er. Seine Worte klangen noch ein wenig tiefer und bedrohlicher.

»Komm schon«, erwiderte Rick mit einem Tonfall unangemessener Vertraulichkeit. »Sag bloß, du hättest noch nie etwas für dich zurückbehalten, abgezweigt, umverteilt.«

Der Digger setzte sich den Lukudur auf seine mittlere Schulter und erhob sich mit einer spielerischen Leichtigkeit, die sich diametral zu seinem massigen Erscheinungsbild verhielt.

»Archaisch und rückschrittlich«, beharrte er. Die Stahlratte zischte dazu bedrohlich.

Rick erkannte die Zeichen und rückte auf seinem Pad weiter in Richtung Zellenkraftfeldausgang.

»Ist euch aufgefallen, dass es nur Distributianer und Crelaten gibt?«, sagte Zach unvermittelt. »Das Weltall soll ja unendlich groß sein, aber außer unseren beiden Spezies gibt es nichts. Null. Nixis.«

Rick schüttelte seinen Kamm voller Missbilligung in Zachs Richtung.

Der Digger ließ überrascht von Rick ab und wandte sich dessen Kumpan zu. »Gut beobachtet. Wie viele Crelaten kennst du denn bereits?«

Zach überlegte. »Mmmh, eigentlich nur dich«, gab er zu.

Hinter dem Digger schwabbelte Rick weiter aufgeregt seinen Kamm.

»Immerhin«, sagte der Digger. Beinahe hätte er Zach dafür belobigend an dessen Schaumkamm gefasst.

»Und du?«, fragte er Rick.

»Also, genau genommen …«, begann Rick. Der Digger trat Einen auf ihn zu.

Rick erhob sich rasch und wich zurück. »Gesehen? Tatsächlich? Nur dich!«

»Aber gehört?«, fragte der Digger nach.

»Na ja, wie gesagt«, stammelte Rick. »Draußen, vor Chronos 8.«

»Als es Chronos 8 noch gab«, erinnerte ihn der Digger. Er stand nun direkt vor Rick.

Rick schluckte. Nickte zögernd.

Da öffnete sich das Kraftfeld, das sie zuvor von der Freiheit getrennt hatte.

»Rick und Zach, ihr seid frei«, sagte eine fremde Stimme emotionslos. »Eure Kaution wurde hinterlegt.«

»Cruel sei Dank«, flüsterte Rick.

Mit einem Satz war er im Gang. Er war einigermaßen froh, so dem Crelaten entkommen zu können. Zach schlenderte eher gelangweilt an dem Digger vorbei und verabschiedete sich artig.

Rick zog seinen Kumpel eilig den Gang entlang, als befürchtete er, der Crelate würde ihnen folgen.

Der Digger blickte ihnen hinterher und setzte sich wieder. Man hörte noch, wie die beiden sich stritten. Einfache Distributianer im niedersten Umfeld. Ideal für den Crelaten.

Das Kraftfeld schloss sich. Ruhe.

»Mehr Platz für uns.« Der Digger ließ die stählerne Ratte auf den Boden hinab.

Der Lukudur setzte sich auf. Er schnüffelte vorsichtig, blickte direkt in die Überwachungsholochrone, drehte sich einmal um sich selbst und faltete danach das Erscheinungsbild des Digger zusammen.

Sollte die Gefängnisaufsicht es ruhig mitbekommen. Er würde verschwunden sein, ehe sie begriffen, was vor sich ging.

Er würde gehen, wie er kam. Zurück durch den Oberraum. Er, der Lukudur, der Realitätenspringer, der erste und einzige Kundschafter.

Kein Crelate hatte jemals vor ihm diese Welten erkundet. Schon gar nicht draußen vor Chronos 8.

Eine Realität, in der es nur eine Standardzeiteinheit und ein Standardlängenmaß gab, war einigermaßen interessant. Das Vorhandensein von Diebstahl und Lüge zerstörte jedoch sein Interesse an diesem Universum vollständig.

Der Lukudur hatte entschieden.

Ohne Eile kreuzte er seine Schwänze und sprang in die nächste Realität.

Vielleicht, so hoffte er, gab es ja dort intelligentes Leben.

 

~ ~ ~

 

Über den Autor 

Frank Lauenroth wurde 1963 in Aschersleben (Sachsen-Anhalt) geboren. Nach dem Gewinn des Romanwettbewerbs »Deutschland schreibt« im Jahre 2005 widmete er sich vorrangig Thrillern und SF-Kurzgeschichten. Letztere wurden zwischen 2013 und 2018 viermal für den Deutschen Science-Fiction-Preis und einmal für den Kurd-Laßwitz-Preis nominiert.

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Der Stein der Weisen (Erin Lenaris)

 

~ ~ ~

 

Die kleinen US-Flaggen zwischen den Serviettenhaltern und Zahnstochern zitterten im Luftstrom der Klimaanlage. Auf dem Eckfernseher kämpften die Pensacola Wahoos im siebten Inning gegen weiteren Punktverlust, während Corey den Mayonnaisebecher mit den letzten Süßkartoffelpommes ausstrich. Ein faltiger Alienkopf sah von der Bar aus auf ihn herab.

Sarah wischte Krümel und Bierflecken vom Tresen. Ihr Blick fiel auf den Schlüssel neben Coreys Teller. Wills Schlüssel. Auf dem Anhänger glänzte das Logo der Sternenflotte, daneben der gravierte Schriftzug LIVE LONG AND PROSPER. Will war das nicht vergönnt gewesen.

»Wie läuft es mit dem Ausräumen?«, fragte sie. Sie hatte Wills überfüllte Garage seit seinem Tod nicht mehr betreten. Aber nun, wo das Geld knapp wurde, musste sie den Abstellraum vermieten. Corey würde alles Brauchbare verscherbeln.

Dieser wischte sich die fettigen Finger ab und nahm einen tiefen Zug von seinem Bier. »Ganz okay. Nichts Besonderes. Der alte Krempel wird auf Ebay kaum noch was einbringen.« Er musste bemerkt haben, dass Sarah nur noch in Zeitlupe putzte, immer die gleiche Stelle, denn er schob eilig nach: »Und irre viel UFO-Kram. Daraus könnte man vielleicht noch was machen. Gibt ja genügend Nerds, die sowas sammeln.«

Sarahs Hals wurde eng. Die hinter Glas gerahmten Bügelflicken mit NASA-Abzeichen, die angestaubten Filmfiguren auf der Bar, die vergilbten T-Shirts und Plüschtribbles in dem Souvenirladen, wo schon lange niemand mehr eingekauft hatte – all das stammte von Will. Kurz nach ihrer Hochzeit hatte er das Star Deck eröffnet. Er traf damit einen Nerv bei den Touristen, die in die »UFO-Stadt« Pensacola pilgerten. Eigentlich logisch, dass an einem Air Force-Stützpunkt immer wieder etwas herumflog – aber das Geschäft lief. Will erstand einen himmelblauen Chevy Pickup, sprühte einen Kometen auf die Fahrerseite und fuhr mit Sarah quer durch die Staaten. Gemeinsam besuchten sie Area 51 und das Alien Fest in Roswell. Sarah schluckte, als ihr Blick zu der mit Souvenirstickern beklebten Kühltruhe schweifte. Jetzt hätte nur noch ein Baby kommen müssen. Stattdessen kam Katrina.

Der Sturm überschwemmte das Lokal und zerstörte das eigentliche Star Deck – die runde Dachlounge mit Glaskuppel war das Herzstück des Diners gewesen. In den Sümpfen rundherum blieb der umhergewirbelte Schrott liegen. Seufzend warf Sarah den Lappen in die Spüle. Früher parkten Fords und Buicks mit Wimpeln der Vereinigten Planetenföderation am Rückspiegel vor dem Diner. Jetzt kamen nur noch Trucker, die Robert E. Lees weit unrühmlichere Konföderationsflagge führten. Ihre anzüglichen Sprüche konnte Sarah von Tag zu Tag weniger ertragen.

»Sarah …« Corey kratzte seinen gekräuselten Vollbart. Er warf einen demonstrativen Blick auf die Bar, bevor er sie bittend ansah. »Hast du einen Whiskey für mich?«

Sarah versteifte sich. Seit Will im Suff einen Baum gerammt hatte, schenkte sie Schnaps nur noch mit zitternden Händen aus. Noch ein Grund, hier endlich dicht zu machen.

»Du hattest deine zwei Coors.«

»Komm schon, nur dieses eine Mal.«

Sarah atmete geräuschvoll aus und griff nach dem billigen Evan Williams. Corey bezahlte ihn ja nicht.

Aus einem Whiskey wurden zwei. Corey drehte den Schlüsselanhänger in der linken Hand, während er durch das goldbraun gefüllte Glas in seiner Rechten starrte. Immer wieder holte er Luft, als wolle er etwas sagen, nur um jedes Mal wieder in sich zusammenzusinken.

»Alles okay bei dir?«, fragte Sarah.

Corey schreckte auf. »Ja, äh, alles klar.«

»Mach mir doch nichts vor.« Sarah deutete auf sein Glas. »Irgendwas schleppst du mit dir herum. Also komm, raus damit!« Sie lächelte ihn beruhigend an. »So schlimm kann es nicht sein, oder?«

Coreys Mundwinkel zuckte. Er rang noch einen Moment lang mit sich, dann nickte er. »Also gut. Wahrscheinlich glaubst du mir kein Wort, aber … Ich hatte ersten Kontakt.«

Sarah lachte auf. »Ja, mit dem Boden deines Schnapsglases.«

»Was? Nein. Erstkontakt …« Corey zeigte auf das Filmplakat über der Kasse, von dem Captain Picard streng auf ihn herabsah. »So nennt ihr das doch? Kontakt mit Außerirdischen?«

Sarah prustete durch die Nase. »Ist klar. Du hast in deinem Trailer einen Warp-Antrieb zusammengeschraubt und dann haben die Vulkanier angeklopft.«

Corey runzelte die Stirn.

Sarah tippte auf die Spock-Postkarte, die zwischen Mayonnaiseklecksen unter der Glasabdeckung des Tresens hervorlugte. »Spitzohrig. Steifärschig. Solche Typen.«

Corey richtete sich auf. »Ich rede nicht von irgendeiner Fernsehserie!« Seine soeben noch trüben Augen fixierten Sarah ungewohnt intensiv. »Ich habe einen Meteoriten gefunden. Dachte ich jedenfalls zuerst. Aber dann stellte sich heraus: Das Ding lebt!«

Sarah schüttelte irritiert den Kopf. Glaubte Corey wirklich, sie würde auf so eine Geschichte abfahren? Er hatte schon vieles versucht, um an sie heranzukommen, aber das war die Krönung. »Willst du das allen Ernstes durchziehen?«, fragte sie.

Er zuckte zusammen, hielt ihrem Blick jedoch stand. »Bis gestern habe ich auch nicht an Aliens geglaubt. Du weißt doch, ich war noch nie wegen« – er zeigte mit einer vagen Handbewegung um sich – »wegen diesem Zeug hier.« Ein verlegenes Lächeln huschte über sein Gesicht. »Aber dann war da dieser Stein …«

Sarah blieb der sarkastische Kommentar im Hals stecken. »Was sagst du? Ein Stein?« In ihrem Kopf herrschte mit einem Mal Vakuum und ihr Herz begann zu klopfen. Benommen presste sie eine Hand an die Schläfe.

»Geht es dir gut?« Betroffen stand Corey auf, um sie am Arm zu fassen, hielt sich jedoch im letzten Moment zurück.

»D-doch doch, alles gut«, stieß sie hervor. »War ein langer Abend.« Sie zwang sich zu einem Lächeln. »Ich muss zumachen. Du bist zu Fuß, ja?«

Doch Sarah schloss nicht ab. Noch lange, nachdem Corey das Diner verlassen hatte, stand sie wie gelähmt am Tresen. Die Bilder, die seine Worte aus dem dunkelsten Winkel ihrer Gedanken befreit hatten, waren nicht mehr zu verbannen. Bilder von ihrem letzten Abend mit Will, von seinem glasig-entrückten Blick, als er sich aus der Whiskeyflasche nachschenkte, immer und immer wieder …

 

Am nächsten Abend sang Corey wieder von gefallenen Soldaten, einsamen Veteranen und unerwiderter Liebe. Über seine Gitarre gebeugt saß er auf dem viel zu kleinen Hocker im Zentrum der schummerig beleuchteten Bühne.

You blew my heart to pieces

Like a boat that’s thrown ashore …

Im hintersten Sitzabteil aß ein hagerer Farmer im Karohemd ein kaltes Thunfischsandwich, während sich am Nebentisch ein Geschäftsmann mit abgenutzter Aktentasche immer wieder über das Gesicht rieb. Ein Taxifahrer mit rotem Kopf winkte schon nach dem fünften Bier. Coreys raue Stimme zog kaputte Typen förmlich an. Aber besser solche Gäste als gar keine.

Nach dem letzten Song setzte er sich ächzend auf den hintersten Barhocker. Mit eingesunkenen Schultern starrte er ins Leere. Er sah nur kurz auf, als Sarah das Coors vor ihm abstellte. »Sorry wegen gestern«, sagte sie leise. Corey rührte sich nicht, daher stützte sie sich vor ihm auf den Tresen, bis er sie aus geröteten Augen ansah. »Tut mir leid, dass ich dich rausgeschmissen habe. Ist sonst nicht meine Art.«

Corey brummte.

»Ich hatte wieder einen Flashback. Du weiß ja, welche Scheiße wir nach Katrina erlebt haben. Will hat sich nur noch in seiner Garagenwerkstatt verschanzt. Konnte ich ihm nicht verdenken.« Sarah starrte auf ihre vom Spülen rissigen Hände. Sie atmete tief durch, bevor sie weitersprach. »Aber irgendwann kam er ganz aufgekratzt von Walmart zurück. ‚Sarry, ich besorg’ uns das Geld’, sagte er. ‚Dann wird alles wieder wie früher.’ Daraufhin hat er den Old Fitzgerald aufgemacht. Den Bourbon für 200 Dollar! Er kippte ein Glas nach dem anderen und begann von so einem Stein zu faseln. ‚Ich hab’ den Stein der Weisen gefunden’, sagte er immer wieder. ‚Den Stein der Weisen, Sarry!’ Ich wollte ihm die Flasche wegnehmen, aber er hat sie an sich gerissen und halb leer getrunken. Ich habe ihn angeschrien: ‚Bist du irre? Hör auf!’, aber er war wie eine kaputte Schallplatte: ‚Der Stein der Weisen, der Stein der Weisen …’ Irgendwann hat er sich dann noch rausgeschleppt, angeblich um die Einkaufstüten zu holen …« Sarah wischte sich über die Augen. »Stattdessen stieg er ins Auto.«

»Sarah …« Corey sah zu ihr auf.

»Und dann kommst du auch noch mit so einem Stein an!«

»Tut mir leid, ich wusste nicht …«

»Wo hast du den eigentlich gefunden?«

»In der Perdido Bay. Aber wenn du nicht darüber reden willst …«

»Und wie kommst du überhaupt drauf, dass in dem Ding ein Außerirdischer sitzt?«

»Nun ja, es …« Corey umklammerte sein Bierglas und starrte auf den zusammengefallenen Schaum.

»Also nix dahinter.« Sarah schnaubte. »Männer und Suff!«

Corey zuckte zusammen. »Nein, wirklich! Das war nicht bloß irgendein Stein. Ich wusste sofort, das war etwas Anderes. Er war aus irgendeinem Metall, unförmig, mit lauter Blasen auf seiner Oberfläche.« Coreys Hände beschrieben die Form in der Luft. »Also habe ich ihn hochgehoben. Und, Sarah: Da spricht das Teil plötzlich mit mir! Ich habe es vor Schreck wieder fallen gelassen. Hätte mir fast den Fuß zertrümmert.«

Sarah hob eine Augenbraue. »Soso. Ein sprechender Stein.«

»Naja, er redet nicht laut.« Corey knetete seine großen Hände. »Ich weiß nicht, wie ich es dir erklären soll. Es war, als hätte ich plötzlich Worte im Kopf.«

Sarah zischte wegwerfend. Seit Wills Tod blieb Corey immer länger im Star Deck und rückte ihr immer weiter auf die Pelle. Einmal hatte er als Lohn für seinen Auftritt sogar einen Kuss gefordert. Sie hatte ihn weggestoßen und auf den hintersten Barhocker verbannt. Er fügte sich, aber aus seinen Songs klang seither noch mehr Selbstmitleid. Und jetzt kam er mit so einer plumpen Story um die Ecke. »Was sagt er denn, dein Stein?«, fragte Sarah spöttisch.

Verschwörerisch beugte sich Corey zu ihr. Er flüsterte, obwohl ihn die traurigen Gestalten in den hinteren Sitzabteilen niemals hören konnten. »Er bot mir Wissen an. Ich sollte nur Fragen stellen, er würde mir alles beantworten.« Er hob die Hand, um Sarah von einem bissigen Einwand abzuhalten. »Habe ich auch erst nicht geglaubt, aber dann doch ausprobiert. Stell dir vor, er wusste, wer die meisten Touchdowns in den Playoffs erzielt hat. Jerry Rice. Habe ich überprüft und es stimmt!«

»Aha.« Sarah schüttelte den Kopf. »Dir ist schon klar, wie absurd das alles klingt? Ich meine, wo ist der Haken? Was will dein Football-Lexikon für die Auskunft?«

»Es …« Coreys Stimme war kaum noch hörbar. »Es sagt, es will leben. Ich sollte meine Hand auf den Brocken legen, da wurde er plötzlich warm und die Blasen haben sich unter meinen Fingern bewegt! Als würde der Stein von innen brodeln. Und das verrückteste: Das Ding ist gewachsen!«

Sarah schauderte, straffte aber schnell den Rücken. Diese billige Schauergeschichte durfte sie nicht an sich heranlassen. Sie presste die Lippen zusammen und nahm Corey das Bierglas weg. Er wollte danach greifen, doch sie fuhr ihn an. »Wenn das wirklich so wäre, wie du behauptest, dann wäre es absolut irre, sich mit dem Stein einzulassen. Ich meine, er wächst? Wovon denn? Das weißt du doch aus …« Sarah zeigte mit dem Kinn auf den Pfefferstreuer, ein Alienei aus Keramik mit Krakenmund. »Man füttert keine Aliens!«

Corey schrumpfte in sich zusammen.

»Aber das sind sowieso bloß alles Lügen.« Sarah Stimme wurde schrill. »Bodenlos unverschämte Lügen! Findest du es nicht geschmacklos, dich auf so blöde Art wichtig zu machen? Wenn ich trashige Horrorstorys will, dann schaue ich X-Files!«

»Sarah, bitte.« Corey hob beschwichtigend die Hände. »Ich weiß, dass das alles seltsam klingt.« Seine Stimme nahm einen beschwörenden Ton an. »Aber du musst mir glauben. Teste mich doch. Stell mir eine Frage.«

»Du verdammter Saufkopf.« Sarah knallte das Bierglas in die Spüle, wobei es bedrohlich klirrte. »Dann frag doch dein Alien: Wie hieß mein verfluchter erster Freund?«

 

Den Spaceburger des Folgeabends schaufelte Corey schweigend in sich hinein. Die Ringe unter seinen Augen waren noch dunkler geworden. Er beobachtete Sarah unter hängenden Lidern, wenn sie am Ausschank arbeitete und er glaubte, sie würde es nicht sehen. Sarah drehte das Radio lauter, doch die Stille zwischen ihnen war nicht zu vertreiben. Sie stellte das zweite Bier vor Corey ab, ohne ihn anzusehen, da schnellte seine Hand hervor und packte sie am Ärmel. Sie erschrak und wollte sich losreißen, doch seine angespannte Miene ließ sie innehalten.

»Dein erster Freund. Er ließ dich für deine damalige beste Freundin sitzen, nicht wahr? Er hieß Rob Leeson.«

Sarah schnappte nach Luft. Ihre Gedanken ratterten wie die alten Rollläden ihres Lokals. Woher zur Hölle konnte Corey das wissen? Nie im Leben hatte sie ihm von ihren verflossenen Liebschaften erzählt! Nicht einmal mit Will hatte sie darüber gesprochen. Aber mit ihrer Nichte, die an den Wochenenden in der Küche aushalf, hatte sie ihre Jugend schon des Öfteren aufleben lassen, während sie gemeinsam Cookies’n’Cream-Eis aus Galloneneimern löffelten. »Hast du das von Suzy?«, presste sie hervor.

»Suzy?« Corey sah sie verständnislos an. Dann weiteten sich seine Augen. Schnell ließ er ihren Ärmel los und wedelte abwehrend mit den Händen. »Jesus, nein! Ich schwöre es dir. Suzy hat damit überhaupt nichts zu tun!«

Sarah bemühte sich, ruhig zu atmen. Woher Corey diesen Namen auch hatte – er war noch erschrockener als sie selbst. Eigentlich musste man Mitleid haben mit diesem unbeholfenen Hünen, der so viel daransetzte, sie zu beeindrucken. In seinem stickigen Wellblech-Trailer wartete niemand auf ihn. Er war so einsam wie sie.

Aber er musste aufhören, sie zum Narren zu halten! Sarah stemmte die Arme in die Hüften. »Wenn dein Stein so allwissend ist, dann sag mir doch: Was ist aus Rob und Emma geworden?«

 

You blew my heart to pieces

Like a boat that’s thrown ashore.

And I’m calling out to Jesus,

But he’s listening no more.

Die nächste Abendvorstellung spulte Corey nur schleppend ab. Seine kratzige Stimme hatte noch einen Sprung mehr bekommen und seine Zunge stolperte über die Worte. Noch bevor er Sarahs Lieblingslied gespielt hatte, brach er den Auftritt mit einer gemurmelten Entschuldigung ab und schlurfte zu seinem Stammhocker. Sarah schob ihm einen Pint Eiswasser zu. Er nahm einen großen Schluck, woraufhin seine trüben Augen aufklarten. Nun fixierte er Sarah ernst. »Emma, sie flog von der Schule. Wurde mit Gras erwischt.«

Es war, als hätte ein Pitch der Wahoos in Sarahs Magen getroffen. In einem plötzlichen Schwindelanfall begann sich die Bar um sie zu drehen. Ihre Hände umklammerten den Schanktisch, doch Corey sprach unbeirrt weiter. »Jemand hatte eine Tüte Gras in ihren Locker gesteckt.« Sein Blick traf in ihr Innerstes. »Und dieser jemand warst du.«

Sarahs Herzschlag dröhnte in ihren Ohren, schneller und lauter als die Bloodhound Gang im Radio. Eine Gänsehaut kroch über ihren Rücken. Das hatte sie niemandem erzählt. Niemandem! Ein unangenehmes Gefühl nagte an ihr. Was, wenn an Coreys abgedrehter Geschichte am Ende doch etwas dran war? Will hatte ihr immer die Existenz Außerirdischer einzureden versucht, aber sie hatte ihm nie geglaubt. Und das würde sie auch jetzt nicht! Welches abartige Spiel Corey da auch spielte: Nicht. Mit. Ihr!

»Woher hast du denn das schon wieder?«, brach es aus ihr heraus. Sie pumpte Luft in ihre Lunge und stach mit dem Zeigefinger in die Luft. »Was erlaubst du dir überhaupt? Bist du vielleicht einer von diesen PERVERSEN STALKERN?« Sie war so laut geworden, dass sich alle Gäste zu ihr umdrehten.

»Was?« Corey erbleichte. »Spinnst du? Wie kommst du denn darauf …«

»Gibt es Probleme, Miss?« Zwei bullige Trucker hatten sich von ihren Tischen erhoben und schritten drohend auf Corey zu. »Wird der Kerl hier etwa aufdringlich?«, fragte der eine. »Sollen wir ihn rausschmeißen?«, bot der andere an und ließ seine Fingerknöchel knacken.

Grimmig biss Sarah die Zähne zusammen.

Corey rutschte von seinem Barhocker und hob die Hände. Er stand vor ihr wie ein graues Bündel von der Altpapiersammlung.

»Ich lasse mich nicht mehr von dir verarschen«, sagte sie schneidend. »Bring mir Beweise oder verschwinde!«

Der Trucker hinter Corey dehnte seine Halsmuskeln. Dem schmierigen Grinsen zufolge hoffte auch der andere auf eine schöne Schlägerei. Corey zog den Kopf ein und versuchte die Blicke in seinem Nacken zu verdrängen. »Ich … ich will doch nicht, dass dir was passiert«, stammelte er. »Was ist, wenn dich das Ding angreift?«

»Du drehst mir auch jedes Wort in Mund um«, fauchte Sarah. »Jetzt mach, dass du wegkommst, du elender Lügner!«

Corey sah aus, als hätte sie ihm einen Faustschlag versetzt. Sein Kinn zitterte. Doch dann streckte er den Rücken durch, bis er die streitlustigen Trucker überragte. »Ich werde dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage«, antwortete er mit fester Stimme. »Und gleichzeitig löse ich all deine Probleme!«

Mit diesen Worten wandte er sich ab und ging.

 

Tags darauf blieb sein Barhocker leer. Zum ersten Mal seit dem Weihnachtsabend blubberte kein Fett in der Fritteuse. Auch sonst hatten sich keine Gäste ins Star Deck verirrt. Nur die mannshohe Alienfigur im lila Umhang stand am Fenster. »Willkommen Erdlinge«, stand auf dem Schild um ihren Hals. Doch der Kopf des Außerirdischen war auf seine Brust gesunken, als hätte er längst verstanden, dass er vergebens wartete.

Sarah hatte schon den Boden und alle Tische gewischt, die Spüle blank gescheuert, Servietten nachgefüllt und die Fritteuse gereinigt. Nun nahm sie die Plastikklingonen und ihre Gegenspieler vom Hochregal, um diese abzustauben. Sie hatte Wills Actionfiguren schon ewig nicht mehr in Händen gehalten, doch irgendwie musste es ihr gelingen, sich von der verwaisten Bühne abzulenken. »Ihr Menschen seid unlogisch«, sagte Spock, als sie sein blaues Hemd abwischte. Sarah konnte nicht widersprechen. Was war am Vortag nur in sie gefahren?

Ich werde dir beweisen, dass ich die Wahrheit sage. Coreys Worte hallten in ihrem Kopf. Und gleichzeitig löse ich all deine Probleme. Eine Gänsehaut lief über ihren Nacken. Wozu hatte sie ihn bloß getrieben?

Als die Tür endlich aufschwang, fuhr sie auf wie von einer Sumpfnatter gebissen. Es war nicht Corey. Sie sank zurück, doch kurz darauf beschleunigte sich ihr Puls, als sie die schlaksige Gestalt erkannte: Louis, der älteste Junge aus der Großfamilie, die in der Bretterbude gegenüber von Coreys Trailer wohnte. Nie zuvor hatte er sich hier blicken lassen.

»Hallo Louis.« Sarah bemühte sich, das Zittern in ihrer Stimme zu kontrollieren.

»N’Abend, Sarah.« Louis wischte sich verlegen eine blonde Strähne aus der Stirn. »Ich soll dir ’ne Nachricht bringen.«

»Von Corey?« Louis nickte und reichte Sarah einen vergilbten Briefumschlag. Er war einmal an Corey adressiert gewesen, doch jemand hatte die Adresse durchgestrichen und in eckiger Schrift ihren Namen darauf geschrieben. »Danke, Louis«, sagte sie.

»Kein Ding.« Der Junge lächelte und tippte sich zum Abschied an seine Schirmmütze.

Noch während sich die Tür hinter ihm schloss, riss Sarah den Umschlag auf. Darin steckte nur ein dünnes Stück Papier mit schwarzem Rand – eine Powerball-Quittung für die Ziehung des heutigen Abends. »Greif nach den Sternen«, stand mit Kugelschreiber darauf.

Sarahs Herz machte einen Sprung. Corey hatte diesen Stein der Irren nicht wirklich nach den Powerball-Zahlen gefragt! Selbst wenn es diese gruselige Spezies wirklich gab, konnte sie doch nicht in die Zukunft sehen. Oder doch?

Nein, das war unmöglich.

Ein Rascheln in ihrer Hand riss Sarah aus ihren Gedanken. Sie hatte den Zettel in ihren vor Aufregung feuchten Fingern zerdrückt. Schnell legte sie ihn auf den Schanktisch und strich ihn glatt. Ihr Blick huschte zu der Wanduhr über der Bar. Die Ziehung begann in 45 Minuten.

Sie atmete laut aus. Hätte Corey seinem Alien wirklich die Zahlen des Abends entlockt, wäre er sicher selbst gekommen, um ihr den Schein zu präsentieren und seinen Triumph bei der Auszählung voll auszukosten. Sarah zischte durch die Zähne und schüttelte den Kopf. Die alte Drama Queen wollte doch nur, dass sie sich Sorgen um ihn machte und dabei endlich erkannte, was sie an ihm hatte. Er ließ auch wirklich nicht locker!

Ein Lächeln stahl sich auf ihre Lippen beim Gedanken an den riesenhaften Teddybär, der seine Vorstellung Abend für Abend mit ihrem Lieblingssong beendete. You can’t take the sky from me. Regelmäßig verursachte ihr dieses Lied einen Kloß im Hals, gab ihr aber dennoch den Mut, weiterzumachen.

Take me out into space,

forever I have left this place …

Zum ersten Mal gestand Sarah sich ein, was ihr fehlen würde, wenn der hinterste Barhocker auf ewig leer bliebe. Doch genau das fürchtete sie mit jeder Sekunde mehr.

Hatte nicht auch Will behauptet, er würde all ihre Probleme lösen, indem er ihnen das Geld für die Renovierung besorgte? Sie hatte nie erfahren, wohin er an jenem schicksalhaften Abend wollte. Sein Chevy kam auf der Chaseville Avenue von der Straße ab. Das war der Weg zur Tankstelle – die auch die nächstgelegene Powerball-Annahmestelle besaß.

Sarah ließ sich in einen Plastikstuhl fallen. Hatte Will den elenden Stein etwa schon vor Corey gefunden und ihn in seiner Garage versteckt? Und war Corey nun beim Ausräumen über dieses Mistding gestolpert? Perdido Bay. Als Corey die Bucht erwähnte, dachte sie automatisch an den breiten Sandstrand, wo Meteoriten mehr auffielen als in den überwucherten Sümpfen. Gleich hinter dem Strand stand aber auch Wills Garage.

»Alles nur Zufälle«, presste sie hervor.

Spock hob nur eine Augenbraue.

Picard sah tadelnd auf sie herab.

Der Stein will leben. Sarahs Nackenhaare sträubten sich. Vor ihrem geistigen Auge erschien ihr Musiker, gebeugt und fahl im Gesicht. Greif nach den Sternen. Sollte der Schein tatsächlich gewinnen, wünschte sich Corey denn nicht mal einen Anteil des Gewinns? Ein schrecklicher Gedanke drängte sich in ihr Bewusstsein. Was, wenn der Stein nicht einfach nur leben wollte, sondern das Leben derer forderte, die ihn befragten – Stück für Stück, mit jeder Antwort, die er ihnen gab? Was war dann der Preis für einen Blick in die Zukunft?

Sie musste sich Gewissheit verschaffen.

Sarah sprang auf und sperrte hastig den Laden ab. Der Motor ihres Pickups heulte auf, als sie mit eckigen Lenkbewegungen ausparkte. Auf dem Highway 98 trat sie das Gaspedal bis zum Anschlag durch. Schon bei der nächsten Ausfahrt fuhr sie ab. Die Häuser der New Warrington Road flogen wie verschwommene Flecken an ihr vorbei, bis sie endlich in die aufgerissene Straße des Trailer Parks einbog. Schlitternd kam ihr Pickup vor Coreys Wohnwagen zum Stehen.

Es brannte kein Licht.

Mit drei Schritten war sie an der Tür. Klopfenden Herzens hämmerte sie dagegen. Die Blechwand des Trailers schepperte, doch sonst blieb es still. »Corey!«, rief Sarah, »bist du da? Corey? Corey!«

Keine Antwort.

Sarah sah sich verstohlen um. Bei der Mülltonne hinter ihr raschelte etwas, doch außer den Ratten schien sich niemand um sie zu scheren. Also drückte sie die Klinke herunter. Die Tür öffnete sich mit einem leisen Quietschen und Sarah stieg hinauf in den kleinen Innenraum. Zunächst konnte sie kaum die Hand vor ihren Augen sehen. In der Finsternis knackte eine Plastikverpackung unter ihren Schuhen. Ihre Finger streiften einen klebrigen Plastiktisch. Als sich ihre Augen jedoch an die Dunkelheit gewöhnten, erkannte sie auf dem Sofa in der rückwärtigen Ecke einen reg­losen Körper.

Sofort war Sarah bei ihm. Coreys Kopf war auf die Brust gesackt. Er schien zu schlafen, doch sie hörte ihn nicht schnaufen.

Mit angehaltenem Atem tastete sie nach seinem Puls.

 

~ ~ ~

 

Über die Autorin 

Erin Lenaris steht mit einem Bein in der Wissenschaft und mit dem anderen in fantastischen Welten. Sie verarbeitet aktuelle Debatten in Fachartikeln, Jugendbüchern und Kurzgeschichten. Erstkontakt mit der Buchwelt hatte sie 2018 mit ihrem Debüt »Die Ring-Chroniken – Begabt«, später nominiert für den Seraph und den Deutschen Phantastik Preis. 2019 folgte der Mittelband »Befreit« und 2020 der Reihenabschluss »Berufen«. Ihre Studenten und Romanfiguren begleitet Erin durch alle Höhen und Tiefen in der Hoffnung auf ein Happy End für alle.

 

Das Wichtigste (Sven Haupt)

 

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Okay«, verkündete die Astronautin Hannah Riley und versuchte dabei kontrolliert und selbstbewusst zu klingen. Leider hörte sie deutlich ihren schweren Atem und spürte das Hämmern ihres Herzens, das wie Glockenschläge im Innern ihres Helms umherhallte.

»Okay«, wiederholte sie noch einmal, für den Fall, dass es beim zweiten Mal besser wurde. »Andy, können wir vielleicht kurz innehalten und besprechen, was gerade passiert ist?«

»Aber natürlich«, entgegnete der kleine Roboter auf ihrer Schulter gelassen, während er sich mit seinen blauen, hell leuchtenden Augen interessiert umsah. Er ließ entspannt die Beine baumeln und hielt sich mit einer kleinen Hand am Helm ihres Raumanzuges fest. »Wir waren eben noch auf dem Heimflug einer sehr langen, sehr einsamen und vor allem sehr langweiligen Lieferung in den abgelegensten und ödesten Teil der Galaxis, als dieses«, der Roboter gestikulierte vage mit seinem kleinen Arm, »dieses Ding hier vor uns aus dem Subraum geschossen kam, wie eine Dose aus einem Getränkeautomaten. Ich habe daraufhin gesagt: Lass uns eine Boje abwerfen, die Position den Behörden melden und weiterfliegen. Dann hast du«, er tippte mit einem winzigen Zeigefinger gegen ihren Helm, »gesagt: Nein, nein, lass uns den Frachter andocken und auf Erkundung gehen, das Ding sieht interessant aus!« Er ahmte ihre Stimme nach: »Es ist bestimmt außerirdisch! Stellt dir vor, wenn wir die Ersten sind, welche einen Kontakt herstellen! Oh, mein Gott, stell dir vor, wie aufregend das wäre!« Er schwieg einen Moment, bevor er fortfuhr. »Und jetzt«, intonierte er, begleitet von einer umfassenden Geste seiner Hand, »sind wir hier, wo auch immer hier sein möge, und ich sehe unser Schiff nicht mehr und warte, … da war noch was, warte … ich komme gleich drauf«, er hob theatralisch einen Zeigefinger, »ah ja, die Milchstraße ist ebenfalls verschwunden! Man wäre fast geneigt zu glauben, dass irgendwo in dieser Kette von Ereignissen fragwürdige Entscheidungen beteiligt waren.«

Hannah seufzte und murmelte: »Ja, ich hätte dich an Bord lassen sollen.«

»Echt lustig«, erwiderte Andy, »aber wäre ich nicht hier, zusammen mit meinen fortgeschrittenen Analysefähigkeiten, wer sollte dir dann erklären, wo wir sind?«

»Und, wo sind wir?«

»Keine Ahnung«, murrte der Roboter mit einer wegwerfenden Handbewegung. »Du brauchst übrigens keinen Helm. Was auch immer das hier ist, es hat eine Atmosphäre, die du atmen kannst.«

Hannah öffnete dankbar ihr Helmvisier und atmete tief durch. Die Luft war abgestanden und roch vage metallisch, aber alles war besser als der hermetisch geschlossene Anzug.

Die Astronautin sah sich um. Sie stand auf einer weiten, vollkommen leeren Ebene, die sich in der Ferne verlor. Der Untergrund war schwarz und weitestgehend glatt, wirkte aber seltsam abgenutzt und irgendwie … alt.

Über ihnen zeigte sich ein ebenfalls leerer Himmel, wo sich eigentlich der hell leuchtende Galaxienarm der Milchstraße spannen sollte. Das einzige Licht kam von einer Art diffusen roten Wolke, die tief, groß und seltsam träge über dem Horizont hing und die Ebene in ein fahles Licht tauchte.

Die Astronautin starrte fasziniert in den roten Nebel hinein, in welchem sich unregelmäßige Muster aus hellen roten Lichtern zeigten.

»Was kann das nur sein?«, fragte sie leise.

Andy saß derweil auf ihrer Schulter weit nach vorne gebeugt und betrachtete intensiv den Untergrund. Blasse blaue Strahlen entsprangen seinen Augen und tasteten in komplexen Mustern den Boden ab. 

»Hm«, machte der Roboter. »Kein Material, das wir kennen. Irgendeine obskure Mischung aus Diamantglas und einer äußerst kreativen Metalllegierung. Noch nie gesehen. Aber eines ist sicher: Das hier ist alt. Sehr alt.«

Hannah drehte vorsichtig den Kopf und schielte zum Roboter hinüber. »Wie alt?« 

»Älter, als ich bestimmen kann«, gestand er und rutschte unbehaglich auf ihrer Schulter umher. »Und ich kann Asteroiden bestimmen, die älter sind als unser Sonnensystem.«

Hannah deutete zum Himmel empor. »Meinst du, wir sind noch auf dem, hmm, Schiff, oder … Mond, also dem außerirdischen Ding, auf dem wir gelandet sind? Was auch immer das war?«

Der Roboter sah sich um. »Nun, der Boden ist aus dem gleichen Material wie die große Kugel, die beinahe aus dem Subraum heraus auf uns drauf gefallen wäre. Wir sind durch das große Loch hineingeflogen und haben eine leere, kreisförmige Ebene unter einer gewaltigen Kuppel gefunden.«

»Und?«, fragte Hannah.

»Es könnte doch sein«, fuhr Andy nachdenklich fort, »dass wir noch immer dort sind, und die ganze Kuppel, also von innen betrachtet, lediglich einen einzigen, großen Bildschirm darstellt, wie in einem Planetarium.«

Hannah dachte darüber nach. »Hatte die Kugel nicht einen Durchmesser von zehn Kilometern?«, fragte sie schließlich skeptisch. »Was sollte der Nutzen von so etwas sein?«

»Vielleicht mögen die Besitzer große Heimkinos?«, fragte der Roboter unschuldig.

Hannah überging dies. »Das heißt, um uns herum ist eigentlich eine feste Wand, auf welche dieser gruselige Himmel projiziert wird? Das würde zumindest die Atmosphäre erklären.« Sie seufzte. »Na dann. Wie es scheint, haben wir keinen guten Grund, hier weiter herumzustehen.« Sie setzte sich langsam in Bewegung.

Nach einer Weile zeigte sie zum Himmel empor.

»Was glaubst du, was das ist?«, fragte sie.

Der Roboter sah hinauf und summte leise vor sich hin. Hannah lächelte unwillkürlich. Das macht er immer, wenn er große Mengen an Daten verarbeiten muss.

»Könnte eine Art ferner Galaxiennebel sein. Ebenfalls alt.«

»Wie alt?«

»Sehr, sehr alt. Im normalen Frequenzspektrum sieht man es nicht, aber ein Großteil der Sterne dort oben ist ausgebrannt. Dunkle, ausglühende Zwerge und zahllose schwarze Löcher.« Seine Stimme nahm einen wehmütigen Klang an. »Ein gewaltiges Grab, gefüllt mit dröhnenden Nachrufen ungezählter sterbender Sterne, in Form oszillierender Röntgenstrahlung. Könntest du es hören, würde es klingen wie ein lautes, rumpelndes Summen.«

Hannah räusperte sich.

»Das vorherrschende Motiv hier scheint hohes Alter zu sein.«

»Sieht ganz so aus«, murmelte Andy und sah weiter zum Himmel empor.

»Dann,« entschied Hannah laut, »sollten wir vielleicht beginnen, nach einem Ausweg zu suchen, bevor wir dieses Schicksal von Himmel und Erde teilen.«

Mangels eines besseren Ziels begann sie langsam auf den roten Nebel zuzugehen.

»Ein Orientierungspunkt wäre allerdings wirklich hilfreich«, kommentierte sie nach einer Weile.

Der Roboter hatte sich weiter interessiert umgesehen und unterbrach sich nun mit einem leisen: »Oh.«

»Ist das ein gutes, oder ein schlechtes Oh?«, fragte Hannah.

»Schwer zu sagen«, entgegnete Andy, »aber zumindest ermöglicht es eine erste Näherung an deine Bitte um Orientierung.«

»Wo?«

Er zeigte in eine Richtung, die sich für Hannah durch nichts von allen anderen unterschied.

»Ich sehe nichts.«

»Du musst ein paarmal vergrößern.«