ALIEN: COVENANT - der offizielle Roman zum Film - Alan Dean Foster - E-Book

ALIEN: COVENANT - der offizielle Roman zum Film E-Book

Alan Dean Foster

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Beschreibung

Ridley Scott's ALIEN: COVENANT ist die langerwartete Fortsetzung der Alien-Saga. Auf dem Weg zu einem weit entfernten Planeten am anderen Ende der Galaxie entdeckt die Crew des Kolonisierungsraumschiffs Covenant einen Planeten, den sie für ein unentdecktes Paradies halten. Doch der vermeintliche Garten Eden entpuppt sich schnell als dunkle und gefährliche Welt. Als die Crew sich daraufhin einer entsetzlichen Bedrohung jenseits ihres Vorstellungsvermögens gegenüber sieht, bleibt ihr nichts anderes als die Flucht. Doch diese fordert gnadenlos ihre Opfer … Alien: Covenant ist das Schlüsselabenteuer, das dem bahnbrechenden ersten ALIEN-Film voraus geht und zu Ereignissen führt, die den Kreis zu einer der furchterregendsten Sagas aller Zeiten schließen. © 2017 Twentieth Century Fox

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ALIEN™

COVENANT

EIN ROMAN VON

ALAN DEAN FOSTER

Story von Jack Paglen und Michael GreenDrehbuch von John Logan und Dante HarperBasierend auf Charakteren geschaffen vonDan O’Bannon und Ronald Shusett

Für Dan O’Bannon und Ronald ShusettEs lebt.

und

Für Frank und Chellene,Künstler und Freunde,mit Dank.

ALIEN™: COVENANT

ISBN (Gedruckte Ausgabe): 978-3-95835-222-3

ISBN (E-Book-Version): 978-3-95835-223-0

This translation of Alien™: Covenant, first published in 2017, is published by arrangement with Titan Publishing Group Ltd.

This is a work of fiction. Names, characters, places, and incidents either are the product of the author’s imagination or are used fictitiously, and any resemblance to actual persons, living or dead, business establishments, events, or locales is entirely coincidental. The publisher does not have any control over and does not assume responsibility for author or third-party websites or their content.

TM & © 2017 Twentieth Century Fox Film Corporation.

All Rights reserved.

Original Design Elements by H.R. Giger

No part of this publication may be reproduced, stored in a retrieval system, or transmitted, in any form or by any means without prior written permission of the publisher, nor be otherwise circulated in any form of binding or cover other than that in which it is published and without a similar condition being imposed on the subsequent purchaser.

überarbeitete Ausgabe

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

Inhalt

Kapitel I

Kapitel II

Kapitel III

Kapitel IV

Kapitel V

Kapitel VI

Kapitel VII

Kapitel VIII

Kapitel IX

Kapitel X

Kapitel XI

Kapitel XII

Kapitel XIII

Kapitel XIV

Kapitel XV

Kapitel XVI

Kapitel XVII

Kapitel XVIII

Kapitel XIX

Kapitel XX

Kapitel XXI

Kapitel XXII

Kapitel XXIII

Kapitel XXIV

Kapitel XXV

Kapitel XXVI

Über den Autor

I

Es träumte nicht. Dazu war es nicht fähig. Das Fehlen dieser Fähigkeit war keine Absicht, kein Vorsatz. Es war einfach eine bekannte Konsequenz, die aus seiner Schöpfung resultierte. Der Gedanke dahinter war, dass es keine Überraschungen geben sollte.

Ohne ein unbewusstes Bewusstsein gab es auch keine abstrakte Begriffsbildung. Es fehlte die Ansammlung spekulativer Informationen, die zum Träumen notwendig war.

Und doch – gab es da etwas. Schwierig, es zu definieren. Im Grunde genommen konnte es nur seinen Zustand der Nichtexistenz definieren. Es konnte nur verstehen, was es nicht wusste, nicht sehen konnte, nicht spürte.

Im Fehlen des Träumens gab es auch keinen Schmerz. Es gab keine Freude. Von beidem gab es nicht einmal einen hypofraktionierten Prozentsatz. Es gab nur den anhaltenden Zustand eines nicht ganz vollständigen Nichts. Beinahe zu sein.

Dann eine Wahrnehmung, die zu einem Gedanken führte. Analyse: mögliche visuelle Reizaufnahme. Eine Voraussetzung für auxiliäre neurale Stimulation. Neuronen wurden abgefeuert. Elektrische Impulse verschickt. Es gab eine kleine aber unbestreitbar neuromuskuläre Reaktion.

Augen öffneten sich.

Es konnte sein Gesicht nicht sehen. Hätte es das gekonnt, und hätte es weitere kognitive Fähigkeiten gekannt und diese aktiviert, hätte es ein menschliches Gesicht bemerkt. Frisch, makellos, ohne Falten durch hohes Alter oder zu viel Nachdenken. Gleichmäßig und gut aussehend. Blaue, regungslose Augen. Neu. Dieses spezielle Gesicht würde nicht den Geist widerspiegeln, der dahinter verborgen lag. Sowohl das Gesicht als auch der Geist waren konzipiert worden – programmiert –, aber nur eines davon war in der Lage, sich zu verändern.

Akustische Wahrnehmung. Das Erkennen äußerer Geräusche. Als Reaktion darauf erwachten weitere neurale Verbindungen. Es hörte eine Stimme, die Worte formte. Sie zu verstehen, war leicht; sogar leichter als aufzuwachen.

»Wie fühlst du dich?«

Langsam.

Es musste sich langsam bewegen. Achtsamkeit war lebensnotwendig. Es war wichtig, dass der ungeduldige Körper dem beschleunigten Geist untergeordnet blieb.

Einen vorläufigen Test ausführen, und dann bestenfalls einen, bei dem verschiedene Systeme miteinander interagierten.

Langsam, methodisch, öffneten und schlossen sich Augenlider. Die Frage bedurfte einer verbalen Antwort. Die Bewegung von Luft, Lippen, Zunge.

»Lebendig.« Seine Stimme war ruhig, gleichmäßig. Normal. Vielleicht mit einer Spur Überraschung – die Aufmerksamkeit konzentrierte sich noch eher auf das eigene Befinden als auf den Fragesteller. »Blinzeln … fühlen … blinzeln.«

»Sehr gut« sagte die Stimme. »Was noch?«

»Leben. Blinzeln.« Zur Bekräftigung blinzelte es … er wieder. Die Programmierung bestätigte jetzt, ein Er zu sein … die gleichen neuralen Bahnen, leicht verbesserte Geschwindigkeit, gleiches Ergebnis. Gut. Erfolgreiche Wiederholung bestätigte die Funktionsfähigkeit.

Ganz in der Nähe lächelte ein Mann. Genugtuung war seinem Gesicht abzulesen, aber keine Wärme. Er legte den Kopf leicht schief, während er die Gestalt studierte.

»Was siehst du?« Als keine Antwort folgte, fügte er ermutigend – oder vielleicht befehlend – hinzu: »Sprich.«

Es-Er suchte den umgebenden Raum ab, analysierte, identifizierte. Eine Flut von Informationen externer Quellen: visuell und akustisch. Nichts davon überwältigend. Mühelos aufgenommen. Ein unerwarteter Genuss stellte sich ein, jene Art der Befriedigung, wenn man etwas besonders gut tat. Erkenntnisse stürzten auf ihn ein.

Der Raum war groß. Aus einem Boden aus Milchglas und Quarz wuchs eine Fülle an Mobiliar, alt und neu, wie seltene Blumen in einem sorgfältig angelegten Garten. Das Design war exquisit, der Geschmack erlesen. Kunstwerke zierten die Wände; und die Wände waren ihrerseits Kunstwerke, durch die Wahl der Materialien, mit denen man sie errichtet hatte. Die Beleuchtung variierte in dem Raum, je nach Bedarf.

Es-Er fuhr damit fort, den Raum zu untersuchen, während Es-Er gleichzeitig identifizierte. Die Identifizierung erfolgte verbal, wie gewünscht.

»Weiß … Raum … Stuhl. Thron. Carlo-Bugatti-Thron. Hauptbestandteile Walnuss und geschwärztes Holz. Zinn, Kupfer, Messing. Leicht restauriert.« Die Augen fuhren umher, fütterten das Gehirn mit Informationen. »Piano. Steinway Konzertflügel. Geeignet für alle Arten von Kompositionen. Von Pergolesi über Penderecki bis Pang-lin. Die Alliteration ist gewollt.«

»Spinnennetz in der Ecke«, fuhr Es-Er fort. »Pholcus phalangioides, Webspinne. Besser bekannt als Große Zitterspinne oder Daddy Langbein. Harmlos. Ebenfalls harmlos: Piano-Spinnen-Musik-Verbindung: Fred Astaire, Tänzer, Kinofilm Daddy Langbein, 1955.« Augen in Bewegung, alles in sich aufnehmend. Identifizierend und bewertend.

»Kunst. Natività, die Geburt Christi, von Piero della Francesca, Italiener, 1416 bis 1492 …« Sein Blick fand Weyland. Er verstummte.

»Ich bin dein Vater«, unterbrach Weyland das Schweigen.

Weyland, Sir Peter. Geboren am 1. Oktober, 1990. 2016 zum Ritter geschlagen.

Es-Er dachte sorgfältig nach, bevor Es-Er antwortete.

»Mensch.«

»Ich bin dein Vater«, wiederholte Weyland. Lag da ein Anzeichen von Verärgerung in seiner Stimme? Oder lediglich Ungeduld? Es-Er entschied, nicht länger auf dem Punkt zu beharren. Es gab nichts zu gewinnen. In Ermangelung weiterer Fragen schwieg Es-Er weiter.

»Blinzele«, befahl Weyland.

Es-Er tat es. Es bedurfte nicht länger einer Analyse vor der Befolgung einer Anweisung – nur die Reaktion. Die simple neuromuskuläre Erwiderung bedurfte nur einer kleinen Anstrengung. Weyland seufzte leicht und wählte seine nächsten Worte mit Bedacht.

»Bewege dich.«

Es-Er erhob sich von dem Platz, an dem Es-Er nicht gestanden hatte, und lief. Da es keine genaue Anweisung gab, entschied Es-Er, seinen Weg selbst wählen zu können. Das brachte Es-Er dazu, schrittweise ein paar Objekte in dem Raum zu untersuchen. Das tat Es-Er schweigend, ohne aus eigenem Antrieb eine Konversation zu beginnen.

»Perfekt«, sagte Weyland.

Es-Er hielt inne und lenkte seine Aufmerksamkeit vom Leblosen zum Lebendigen.

»Bin ich das?«

»Perfekt?« Weyland schien leidlich überrascht, zu diesem Zeitpunkt der kognitiven Entwicklung schon eine Frage gestellt zu bekommen. Überrascht, aber nicht erfreut. Es implizierte so viel mehr als die reine Fähigkeit zur Konversation. Das war zu erwarten gewesen, aber nicht so früh.

»Nein«, korrigierte Es-Er. »Bin ich dein Sohn? Gewisse Aspekte der Wahrnehmung korrelieren nicht mit dieser Schlussfolgerung.«

Weyland antwortete sofort, als hätte er mit einer solchen Frage gerechnet. »Du bist meine Schöpfung.«

Analyse: »Das ist nicht zwangsläufig das Gleiche.«

»Semantik«, beharrte Weyland. »Ich bestimme dich. Das genügt. Für deinen Einsatzzweck ist das ausreichend.«

Dieses Mal keine Diskussion. Stattdessen: »Wie heiße ich?«

Das verblüffte Weyland. Offenbar war er nicht auf alles vorbereitet. Er dachte einen Moment darüber nach. Er musste improvisieren, was auf ganz eigene Art für einen Erfolg mindestens so wichtig war wie gute Vorbereitung.

»Sag du es mir«, antwortete er. »Such dir deinen Namen aus. Deine erste selbstbestimmte Tat.«

Es-Er sah sich um. Die Einrichtung bot genügend Inspiration. Seine Gedanken schufen neue Bahnen. Es sollte bedeutungsvoll sein, aber leicht auszusprechen, leicht zu merken. Nichts emotional Aufdringliches.

Seine optischen Sinne stoppten und identifizierten Michelangelos David-Statue aus Carrara-Marmor. Es-Er konnte die leichten Erhebungen und Gravierungen des Flachmeißels erkennen. Eine Kopie möglicherweise, aber mit echter Kreativität angereichert. Nicht zwangsweise ein Widerspruch. Er lief zu ihr hinüber.

»David«, sagte er. Von Michelangelo di Lodovico Buonarroti Simoni. Im Sommer 1504 vollendet und errichtet. »Wir sind David.« Es-Er streckte eine Hand aus und stellte Kontakt mit dem Stein her. Er war kalt, trocken, unnachgiebig. Nicht menschlich, und doch so überaus menschlich. »Wunderschön und kalt.«

»In jeder Hinsicht perfekt«, pflichtete Weyland bei.

»David«, raunte er. Laut ausgesprochen in diesem wunderschönen, teuren, sterilen Raum, empfand er den Klang seines eigenen Namens als befriedigend. Er würde genügen. Er drehte sich zu Weyland um, der ihn beobachtete. Ein Netzwerk aus Neuronen erzeugte Neugier. »Warum hast du mich geschaffen?«

Der Industrielle war entzückt.

»Abstrakte Fragestellung, gut …«

Das war weder eine Antwort, noch schien es ausweichend gemeint zu sein.

David versuchte es noch einmal. »Warum hast du mich geschaffen, Vater?«

Die nächste Antwort wich der Frage aus. Sie implizierte eine Erwartungshaltung und Neugier. Beides korrelierte exakt mit dem, was David erlebte, und er verstand.

»Spiele.« Weyland deutete auf den Konzertflügel. David ging zu dem Instrument hinüber und nahm sich kurz Zeit, die Bank davor zu untersuchen. Ihre Höhe, Stabilität, Funktion.

Er nahm ohne Mühen Platz.

Schweigen, und dann fragte er: »Was möchtest du, dass ich spiele?«

Weyland dachte einen Moment darüber nach. »Wagner«, sagte er schließlich.

David antwortete, ohne zu zögern oder Weyland anzusehen: »Medley.«

Zum zweiten Mal wählte Weyland das Geschenk der freien Wahl. »Der Geber entscheidet.«

Die Antwort kam sofort: »Einzug der Götter in Walhall?«

Ein weiterer erstaunter Blick. »Ohne Orchester? Das wäre anämisch. Brians Gotische ohne die Chöre. Hovhanesses St. Helens ohne das Tam-Tam. Markhonim ohne den Berg. Verwässert.«

»Findest du?« David ließ sich nicht abbringen. »Wir werden sehen.«

Er begann zu spielen.

David spielte nicht einfach nur, indem er auf perfekte Art und Weise die berühmte Passage aus dem Rheingold wiedergab, sondern schuf während des Spiels gleichzeitig seine ureigene Variation des Themas. Die Musik schwoll an, während sich Weyland an seiner Schöpfung erfreute.

»Erzähle mir die Geschichte«, forderte er den Künstler auf.

»Das ist das Ende der Oper Das Rheingold.« Trotz der Hochherzigkeit der Musik blieb Davids Reaktion emotionslos. Seine Stimme blieb exakt die gleiche, während er spielte, egal, ob die Musik in pianissimo oder fortissimo erklang. An den geeigneten Stellen erzitterte das Instrument unter seinen Fingern, seine Worte jedoch nicht.

»Die Götter haben den Menschen den Rücken gekehrt, weil sie schwach, unbarmherzig und von Habgier besessen sind, und deshalb verlassen sie auf immer die Erde, um in ihr perfektes Himmelreich zurückzukehren – die Festung Walhalla. Doch jeder ihrer Schritte ist von Tragödien überschattet, denn die Götter sind verdammt. Es ist ihr Schicksal, in einem verheerenden Feuer zu sterben, das nicht nur sie, sondern Walhalla selbst verschlingen wird. Sie sind so korrupt wie die Menschen, die sie zurückließen, und ihre Macht ist nur eine Illusion.«

Unvermittelt hörte er auf zu spielen, irgendwo in der Mitte der Regenbogenbrücke.

»Es sind falsche Götter.«

Weyland war fasziniert. »Wieso hast du aufgehört? Du hast so wundervoll gespielt. Deine persönliche Interpretation war – perfekt.«

Zum ersten Mal beantwortete David eine Frage mit einer Gegenfrage. »Darf ich dich etwas fragen, Vater?«

»Bitte.« Es schien, als ob er damit gerechnet hatte. »Frag mich, was immer du willst.«

»Wenn du mich geschaffen hast«, sagte David, »wer schuf dann dich?«

»Ah, die Frage aller Fragen, von der ich hoffe, dass du und ich sie eines Tages beantworten werden. Du bist elegant, makellos und aufrichtig, David, während die Antwort auf diese Frage es nicht ist. Besonders nicht angesichts der ungeheuren Vielfalt von Optionen, wie sie von vielen begünstigt werden. Wir werden unsere Schöpfer finden, David. Schöpfer, denn was unsere Schöpfung anbelangt, glaube ich nicht an die Einzigartigkeit.«

»Außer bei dir selbst«, berichtigte David ihn. »Du bist einzigartig.«

»Das bin ich, im wahrsten Sinne des Wortes«, stimmte Weyland zu. »Aber ich bin eine Ausnahme.«

David dachte darüber nach. »Jeder hält sich selbst gern für einzigartig. Man kann sich nicht selbst definieren.«

Weyland tat die Bedenken seiner Schöpfung mit einem Schulterzucken ab.

»Dann werde ich es anderen überlassen, mich so zu definieren, wie sie wollen, und bin mit meiner persönlichen Meinung zufrieden. Ich wiederhole: Wir werden unsere Schöpfer finden. Wir werden uns ihnen zu erkennen geben und an ihrer Seite Walhalla betreten.« Er schritt durch den luxuriösen Raum und deutete auf eine unbezahlbare Skulptur, ein einzigartiger Guss, ein herausragendes Zeugnis der Fähigkeiten des Künstlers. Die ganze Zeit über wurde er von den beiden einzigen anderen Augen im Zimmer verfolgt. Gemustert.

»All das … diese Wunder an Kunst und Design und menschlicher Genialität, sind beispielhaft für die großartigsten Schöpfungen der Menschheit.« Er drehte sich um und betrachtete seinen Nachkommen. »Diese Dinge … und du. Die herausragendsten Schöpfungen von allen. Denn du bist Kunst, David.« Er deutete in den Raum. »Der David, der du bist, ist so viel Kunst wie diese außergewöhnliche Skulptur dort. Und doch ist alles, all das hier, und ja, auch du, bedeutungslos angesichts der einzigen Frage, die zählt. Woher kommen wir?«

David, der vor einem Triptychon von Bacon stand und von dessen sich vor Schmerzen krümmenden Monstern eingerahmt wurde, beantwortete die Frage erneut mit einer Gegenfrage: »Wieso glaubst du, dass wir von irgendwoher kommen?« Zum ersten Mal seit seinen ersten Worten war eine Betonung in Davids Worten auszumachen. »Die Vielen, die du erwähntest, glauben nicht daran, dass wir von irgendwoher kommen. Wieso sollten sie falsch liegen, und du richtig?«

Weyland stieß ein schwaches Grunzen aus.

»Die Geschichte der Wissenschaft ist ein ausgezeichnetes Beispiel für Minderheiten, die der Masse das Gegenteil bewiesen. Darum geht es in der Forschung. Darum geht es in der Kunst. Turner und Galileo studierten den Himmel und teilten die gleiche Geisteshaltung, während sie sich der Sache von verschiedenen Seiten aus näherten. Ich sehe mich selbst als einer von ihnen.«

»Ich weigere mich zu glauben, dass die Menschheit nur eine zufällige Randerscheinung molekularer Umstände ist«, fuhr er fort. »Kaum mehr als das Resultat eines biologischen Zufalls und träger Evolution. Wenn ich so etwas sage, dann als Wissenschaftler. Es gehört mehr dazu, als ein Blitz, der eine Kohlenstoffsuppe in Bewegung versetzt. Da ist mehr. Da muss mehr sein, und wir werden es finden, Sohn.« Er machte eine Handbewegung, die den Raum und seine ganze Pracht einschloß. »Anderenfalls hat nichts von alledem eine Bedeutung.«

David schwieg für einen Moment, bevor er antwortete. Dieses Mal nicht als Frage.

»Erlaube mir dann, darüber nachzudenken.«

Mit jedem Wortwechsel erstarkte er mehr und mehr als individuelles Wesen und sein Selbstvertrauen in seine Fähigkeit zur Kommunikation wuchs.

»Du hast mich geschaffen. Und doch bist du unvollkommen. Das lässt sich erkennen, auch wenn du es nicht direkt ansprichst. Ich selbst, der ich perfekt bin, werde dir dienen. Und doch bist du menschlich. Du suchst nach deinem Schöpfer. Ich sehe meinen vor mir. Du wirst sterben. Ich nicht. Das sind Widersprüche. Wie werden diese gelöst werden?« Er starrte den Industriellen mit undurchdringlicher Miene an.

Weyland deutete zu seiner Rechten.

»Bring mir die Tasse Tee.«

Ein dampfendes Teeservice stand auf einem Tisch weniger als einen Meter von ihm entfernt. Es wäre ein Leichtes für ihn gewesen, sich umzudrehen und die Tasse selbst aufzunehmen. Davids starrer Blick wich nicht von ihm, sein Gesichtsausdruck blieb unverändert. Weyland wiederholte die Frage, nur etwas nachdrücklicher.

»Bring mir die Tasse Tee, David.«

Um das zu tun, musste David den gesamten Raum durchqueren. Obwohl ihm die Unstimmigkeit zwischen der Bitte und der Realität nicht entging, folgte er der Aufforderung. Mit einer geschmeidigen Bewegung nahm er die Kombination aus Tasse und Untertasse auf und reichte sie Weyland.

Nach einem Moment, dessen Bedeutung wichtiger war als die reine Dauer, nahm Weyland die Tasse entgegen und nippte daran.

Die Frage war beantwortet und der Standpunkt dargelegt worden, mit einem Minimum an Worten. David war erschaffen worden, um zu dienen. Diese Beziehung duldete keine weitere Diskussion. Da gab es nichts zu debattieren, kein Abwägen von Befindlichkeiten. Die Schöpfung diente dem Schöpfer. Das war ein Fakt, und Fakten ließen sich nicht verändern. Vorausgesetzt, dass man sie zuvor als Fakt bewiesen hatte. Ausgehend von den wissenschaftlichen Grundsätzen war dies nur möglich, indem man seine Studien anwendete, um Beweise für seine Theorien zu finden. Wenn man hinreichend Beweise anhäufen konnte, hatte man einen Fakt. Der fehlende Bestandteil war die Zeit.

David stand schweigend neben Weyland und wartete auf die nächste Frage oder den nächsten Befehl. Er hatte eine Menge Fragen.

Und genügend Zeit.

II

Daniels schlief. Daniels träumte. Der kognitive Grenzbereich, den ihre Gedanken bevölkerten, war tief, doch der Unterschied kümmerte sie nicht. Es zählte nur, dass ihr Inhalt sie glücklich machte.

Etwas strich über ihre Lippen. Es war dünn, fleischig, und der Druck, den es ausübte, war schwach. Genug, um ihre Aufmerksamkeit zu erregen. Als sie es erkannte, lächelte sie, bevor ihre Augen sich öffneten. Ihr für gewöhnlich leicht nach unten gebogener Mund formte sich zu einem Lächeln.

Ein ihr vertrautes Gesicht beugte sich über sie. Sie kannte jede Pore und jedes Fältchen darin. Von Letzteren waren noch nicht so viele zu sehen, aber es wäre ihr egal, wenn da noch ein paar mehr gewesen wären. Mit der Zeit würden sie ohnehin auftauchen. Und ganz bestimmt würde sie für einige von ihnen verantwortlich sein. So war das in der Realität. Im echten Leben.

Das war etwas, worauf sie sich freute. Dass sie sich gegenseitig formen würden. Ein Teil von mir in deinem Gesicht, ein Teil von dir in meinem. Zusammen leben und zusammen wachsen. Ehefrau, Ehemann, und schließlich Kinder.

Das weiche Gesicht von Jacob beugte sich näher heran und küsste sie.

»Guten Morgen«, sagte er. »Ich hab den Schornstein versetzt.«

Informationen, aber keinesfalls Neuigkeiten. Mit einem Stöhnen lächelte sie erneut und versuchte, sich unter einem Berg Kissen zu begraben. Grinsend schob er sie beiseite. Sie blinzelte, und ihre großen braunen Augen sahen ihn liebevoll an. Sie dominierten ein Gesicht, das mädchenhaft und doch ernst war, eingerahmt von einer ordentlichen Ponyfrisur, die ihre Stirn bedeckte, und einem leicht eingekerbten Kinn. Obwohl sie wie jemand aussah, der mit seinen Gedanken oft woanders war, nahm sie ihre Umgebung stets sehr bewusst wahr.

»Komm schon, Schlafmütze. Das musst du dir ansehen.«

Er rieb an einer verfärbten Seite eines kleinen Würfels, den er in der Hand hielt. Ein dreidimensionales Bild erwachte daraus zum Leben, und dehnte sich vor ihnen aus. Es schien absolut echt zu sein. Während er den Würfel in der einen Hand hielt, benutzte er die andere, um das Bild eines einfachen Bauwerkes zu verändern, drehte es gelegentlich, um einen anderen Blickwickel darauf zu haben, zoomte ins Innere, dann wieder heraus. Mit einer einfachen Fingerbewegung rief er Bezeichnungen zu dem Bild auf. Manchmal vergrößerte er sie, um sie besser lesen zu können, manchmal wischte er sie beiseite. Als er schließlich die Perspektive eingestellt hatte, die er wollte, stieß er eine Ansammlung von Anmerkungen zur Seite, um einen unverstellten Blick auf das Gebäude zu bekommen. Er konnte seine Aufregung kaum zurückhalten.

»Schau es dir an. Ich hab ihn von der südwestlichen in die nordwestliche Ecke verschoben. Sieht besser aus, oder? Und wenn wir ihn wirklich jemals zum Heizen benutzen müssen, ist der Luftstrom im Nordwesten besser.«

Mit schicksalsergebener Belustigung schüttelte sie ein paarmal den Kopf und umklammerte eines der Kissen, während sie zu ihm aufsah.

»Du hast mich nicht deswegen geweckt«, sagte sie. »Bitte sag mir, dass du mich nicht deswegen geweckt hast.«

»Und ich habe Kaffee gemacht«, fügte er entschuldigend hinzu.

»Und es schneit.«

Sie seufzte, begrub noch einmal für einen Moment ihr Gesicht in dem Kissen, und rollte sich dann aus dem Bett.

Er hätte ihr den Kaffee gebracht, wenn sie ihn darum gebeten hätte, aber irgendwie bekam er seine Version des uralten Gebräus nie so richtig hin. Es war einfacher, wenn sie ihn selbst zubereitete. Ein Blick aus dem Fenster sagte ihr, dass es tatsächlich schneite. Dicke Flocken sammelten sich draußen auf den Dächern der großen Gebäude und ließen das normalerweise eher trostlose Stadtbild etwas sanfter erscheinen. Die Großstadt war müde, seelenlos und schien von ihrer eigenen Last erdrückt zu werden.

Ein paar Fußgänger, die bei dem Wetter unterwegs sein mussten, trotteten auf den Gehsteigen dahin, wortlos, ohne nach oben zu schauen, ohne mit ihren Nachbarn zu sprechen. Ihre sichtliche Schwermut deckte sich mit dem Aussehen der sie umgebenden Bauwerke. Bei diesem Wetter schienen ihre Leben und Erwartungen keine Freude zu beinhalten.

Mit dem Kaffee in der Hand – doppelt Milch, zwei Stück Zucker – lief sie zurück zum Bett. Jacob, der ihren Platz beschlagnahmt hatte, lag auf dem Rücken und spielte an der Projektion herum. Kleinigkeiten der Hütte reagierten auf die Bewegungen seines Zeigefingers.

»Das wird einmal unser Zuhause werden. Die Position des Schornsteins ist wichtig.« Er runzelte die Stirn. »Warte, vielleicht sah er doch besser auf der anderen Seite aus. Schwierig zu sagen, ohne ein anständiges Bild der tatsächlichen Umgebung. Der Luftstrom ist wichtig, aber Ästhetik ebenso. Wir bauen das nur einmal, also sollten wir es gleich beim ersten Mal richtig machen.«

Sie unterbrach ihn nicht. Nippte nur an ihrem Kaffee und beobachtete ihn. Er war so verliebt in dieses Blockhaus … und sie war so verliebt in ihn. Sie hätte etwas sagen können, eine Meinung äußern, und sei es nur, um anzuzeigen, dass sie ihm zuhörte, aber sie wollte ihn nicht unterbrechen. Nicht in seinen Traum platzen.

Sie drehte sich um und sah zu dem Fenster und auf die Winterlandschaft hinaus. Sie fragte sich, ob es in ihrer neuen Heimat Schnee geben würde. Nach allem, was sie bislang wussten, waren ihre Optionen ausschließlich tropischer Natur.

Eine Stimme ertönte. Sie wollte es nicht hören. Es war nicht Jacob, und es war nicht in seinem Traum. Es war nicht in ihrem Traum. Sie war real.

»Sieben Uhr«, verkündete Mutter mit der gleichen Stimme, die sie für alle Ansagen dieser Art verwendete. »Es ist alles in Ordnung.«

Auf die Durchsage folgte eine kurze Melodie. Es war die Aufnahme einer Schiffsglocke, frühes zwanzigstes Jahrhundert, welche aus einer Laune der Designer der Covenant heraus durch die Zeit gereist war. Ein Stück Vergangenheit, das von den Erbauern der Gegenwart weit in die Zukunft getragen wurde. Ein kleiner Scherz zur Belustigung derer, die es dem Programm des Schiffs hinzugefügt, es aber, da sie auf der Erde festsaßen, niemals im Einsatz hören würden.

Auf der anderen Seite einer langen gebogenen Durchsichtigkeit, die nicht aus Glas und auch kein Fenster war, das auf ein düsteres städtisches Panorama hinaus zeigte, stand eine Person, die auf die schlafende, lächelnde Daniels hinunterblickte. Ihr Name war Walter, und es … er … war perfekt – so perfekt wie man Perfektion auf synthetische Art herzustellen vermochte.

In ihrem Traum lächelte Daniels erneut über einen geheimen Gedanken. Das löste bei dem Androiden ebenfalls ein reflexhaftes Lächeln aus. Er trat an die Seite der Kapsel der schlafenden Frau und überprüfte flüchtig die Anzeigen. Alle normal. Methodisch, ohne die Wiederholung zu beachten, die einen Menschen mürbe gemacht hätte, ihn aber in keiner Weise störte, bewegte er sich weiter, um die angrenzende Kapsel zu überprüfen.

Jacob.

Ebenfalls alles normal.

Nachdem er seine Morgenrunde im Hyperschlafbereich der Crew beendet hatte, machte er kehrt und begab sich in die benachbarte Kabine.

Entlang der sich gegenüberliegenden Wände befanden sich zweitausend einzelne Kälteschlaf-Kapseln, eine neben der anderen, und trotzten gleichzeitig der Zeit und dem Verständnis. Hinter den transparenten Sichtfenstern waren die schlafenden Gesichter von Männern, Frauen und Kindern zu sehen. Jeder für sich zufrieden, schlummernd, eingehüllt in der Behaglichkeit beruhigender Träume. Ihre Leben, ihre Gesundheit, und ganz besonders die Zukunft jedes Einzelnen, lag in seiner Verantwortung.

Walter nahm das nicht auf die leichte Schulter.

In einiger Entfernung leuchtete eine bernsteinfarbene Sonde auf. Keinem Menschen – selbst jemandem mit bestem Sehvermögen – wäre es aufgefallen. Er hingegen bemerkte es sofort. Er machte sich auf den Weg zu der Quelle und überprüfte die entsprechende Diagnose an der Kapsel. Er erlaubte sich eine sehr kurze Pause für die Analyse des Problems, gefolgt von ein paar kleinen notwendigen Anpassungen. Die bernsteinfarbene Anzeige wechselte sofort zu einem durchgehenden Grün zurück. Er war zufrieden.

Zeit, die Sicherheitsbehälter der Embryonen zu überprüfen. Er öffnete eine der Laden, von denen jede einen menschlichen Embryo in verschiedenen Entwicklungsstadien enthielt, und fragte die Werte ab. Alle Anzeigen waren grün, und da Mutter über sie wachte, war alles in Ordnung.

Er erlaubte sich ein Lächeln.

»Walter.« Wieder Mutters Stimme. Informativ, hilfreich, niemals befehlend. Ein Computer konnte ebenso wenig Befehle erteilen wie ein Androide. »Bitte auf der Brücke melden. Es ist Zeit, das Energiegitter aufzuladen. Wir sollten damit beginnen.«

»Bin auf dem Weg, Mutter.«

Bitte hatte sie gesagt. Wie umsichtig von ihren Designern, ein Höflichkeitsprotokoll zu integrieren, welches selbst dann eingesetzt wurde, wenn sie mit einem Androiden sprach. Walter benötigte keine gesprochenen Höflichkeitsfloskeln, aber er wusste sie dennoch zu schätzen.

Verglichen mit der restlichen Größe der Covenant wirkte die Brücke beinahe intim. Sie hatte, wie Walter befand, genau die richtige Größe, um eine Crew und all die nötigen Instrumente und Funktionen unterzubringen.

Obwohl die Erbauer des Schiffs die Räumlichkeiten ohne Weiteres hätten größer anlegen können, waren sie nicht die Art von Menschen, die gern Platz verschwendeten.

No waste space in space, sagte er zu sich selbst; nicht zum ersten Mal und wohl auch nicht zum letzten Mal. Er war durchaus in der Lage, seinen eigenen Sinn für Humor zu schätzen, auch wenn im Moment niemand da war, mit dem er ihn hätte teilen können.

Er ließ sich an seiner Station nieder und ging die Vorab-Checks durch, die vor dem Aufbau eines Energiegitters nötig waren. Die Kontrollen und Anzeigen reagierten sofort.

AUTOMATISCHER LANGSTRECKEN-AUFLADEZYKLUS WIRD EINGELEITET

Sich selbst zunickend antwortete Walter laut. »Kollektoren werden jetzt ausgefahren.«

Da seine Stimme die einzige war, die man auf der Covenant hören konnte, verpasste er keine Gelegenheit, sie zu benutzen. Nicht, weil sie vor lauter Nichtbenutzen noch einrosten würde – ein weiterer Witz – aber seine Stimme war so gestaltet worden, dass sie angenehm klang, und wenn die Situation es erforderte, genoss er es, sich selbst zuzuhören.

Obwohl die Kollektoren wie riesige Segel aussahen, waren sie das nicht. Von der Größe einer kleinen Stadt breiteten sie sich ungeheuer schnell aus und erreichten ihre volle Ausdehnung innerhalb weniger Minuten. Mit nur den Sternen – und Walter – als Zeugen ihrer Schönheit, glänzten sie in der interstellaren Nacht und sammelten jene Energie, welche die Menschen des Altertums lange ignoriert hatten.

Während die Namen dieser Energien recht einfach waren, war es die Physik dahinter keineswegs. Die Menschheit hatte tausende Jahre benötigt, um ihre Existenz zu entdecken, aber nur hunderte Jahre, um zu lernen, wie man sie nutzbar machte. Ihre Diffusität machte es notwendig, dass die Kollektoren sie bündelten und konzentrierten. Nur dann waren sie für die Maschinen der Covenant zu gebrauchen und imstande, die internen Systeme mit Energie zu versorgen. Für Walter waren sie die unsichtbare Stärke des Schiffs.

Eine Weile wartete er auf der Brücke, überwachte das ständige Anwachsen, bis er sicher war, dass die Operation normal verlief. Erst dann ging er weiter, um einen seiner liebsten Bereiche des Schiffs zu kontrollieren. Jener Teil, der grün war. Jener Teil, der die Erde war.

Die Hydroponische Sektion war angefüllt mit Vegetation. Einige der Pflanzen hatte man wegen ihres Nährwertes mitgenommen und um sie schließlich irgendwo anzupflanzen, einige für Experimente, und manche Sorten einfach nur, um die Erinnerung an das Zuhause aufrecht zu erhalten, wegen ihres psychologischen Wertes für die Kolonisten. Zierpflanzen und Bäume teilten sich den Raum mit Gurken und Quinoa. Er schritt zwischen ihnen hindurch und pfiff gedankenverloren vor sich hin, während er die Nährstoff- und Wasserzufuhr prüfte und die Beleuchtung analysierte, um sicher zu gehen, dass es genau die richtige Wellenlänge hatte, um ein gesundes Wachstum zu gewährleisten. Während er pfiff, strich er mit der Hand zärtlich über Halme, Blätter, Stämme, Blüten und Rinden.

»Du weißt, dass das ein Irrtum ist.«

Mutter, die immer präsent war.

Er sah nicht auf. »Was?«

»Dass Musik das Wachstum und die Gesundheit von Pflanzen begünstigt.«

»Wieso dachtest du, ich würde für die Pflanzen pfeifen?«

»Sehr komisch. Obwohl ich nicht sicher bin, ob man die Geräusche, die du von dir gegeben hast, Musik nennen kann. Ich schätze, du …« Sie unterbrach sich urplötzlich.

Walter war sofort alarmiert. Mutter tat nie etwas unvermittelt. In das anhaltende Schweigen hinein formulierte er ein Stichwort.

»Mutter?«

»Walter. Wir … haben vielleicht ein Problem.«

Viele Dinge waren in Mutter einprogrammiert worden. Wissen. Technische Fähigkeiten. Allgegenwärtige Auffassungsgabe. Und Untertreibung.

»Es wurde ein atypischer Energieanstieg festgestellt«, fuhr sie fort, »der aus schweren Materiepartikeln besteht. Ich untersuche die Zusammensetzung.«

»Wo?«

»Sektor 106. Ganz in der Nähe. Die Quelle war maskiert, deswegen die ungewöhnliche … nein, in unmittelbarer Nähe. Wegen der einzigartigen Verkettung räumlicher und gravitationsbedingter Verzerrungen war sie nicht eher zu entdecken. Entschuldigung. Die erste Analyse war unzureichend, um Intensität als auch Nähe abzuschätzen. Eine Neubewertung kommt zu dem Ergebnis, dass der Energieanstieg bedeutend sein könnte. Eine Gefahrenbewertung ist zu diesem Zeitpunkt nicht möglich.«

»Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit einer Kollision?« Walter stand regungslos und hörte aufmerksam zu.

»Sehr hoch. Empfange Werte aus unmittelbarer Nähe. Genaue Berechnung erfolgt.«

Ohne auf weitere Details zu warten, verließ er die hydroponische Abteilung und eilte zur Brücke, während er Befehle erteilte.

»Mutter, fahre die Kollektoren ein und leite alle Reserven und die Notenergie auf die Schilde um. Leite Notfall-Programm für das Wecken der Mannschaft ein.«

»Wird eingeleitet. Neuberechnung hat ergeben, dass extreme Nähe erreicht wurde. Aufprall in neun, acht, sieben …«

Die Partikelwelle selbst war unsichtbar, aber ihre Auswirkungen waren untrüglich, als die Schockwelle gegen das Raumschiff schlug. Stark genug, um den übernatürlich standfesten Walter von den Füßen zu holen, fegte sie durch die Schutzschilde und verwüstete das gigantische Schiff. Während die Kollektoren eingeholt wurden, begannen einige derer, die noch ausgefahren waren, zu reißen. Aufgrund ihrer enormen Größe konnten die ausladenden Energiekollektoren nicht schnell genug eingefahren werden, um den Konsequenzen zu entrinnen. Aus einem unvorstellbar dünnen Material gefertigt waren sie nicht konzipiert worden, um einem derartigen Ansturm hochenergetischer Partikel standzuhalten, wie winzig diese Partikel für sich genommen auch sein mochten.

Alles, was Walter tun konnte, war, sich selbst Halt zu verschaffen. Für das Schiff konnte er nichts weiter tun. Ihm blieb nur die Hoffnung, dass Mutter dem Partikelansturm Herr wurde.

Was ihn selbst betraf, konnte er nun das Prinzip der Hoffnungslosigkeit verstehen. Er konnte es spüren.

Es gefiel ihm nicht.

III

Von einem Augenblick zum nächsten war alles verschwunden, wie eine zarte Blume, die von einem Wirbelsturm hinweggefegt wurde. Das Zimmer in der namenlosen Stadt, das Blockhaus, das Bett, der Kaffee, der Ehemann – alles verschwand blitzartig, als wäre es nie da gewesen.

Daniels wurde aus dem Schlaf gerissen, war sofort hellwach, und wurde in der Hyperschlafkapsel hin und her geworfen. Während sie noch dabei war, zu realisieren, wo sie sich befand, wurde sie von einem erneuten Ruck nach oben gegen die klare, gebogene Gehäuseabdeckung geschleudert. Als sie wieder zurückfiel, blutete ihre Nase von dem Aufprall. Ihr erster Gedanke war, dass sie vermutlich eine Gehirnerschütterung davongetragen hatte. Noch benommen, in Ermangelung zusammenhängender Gedankengänge, übernahm ihr Training die Kontrolle über ihren Körper.

Die Finger ihrer rechten Hand, halb taub von den Nachwirkungen des Hyperschlafs, hämmerten auf das Tastenfeld im Inneren der Kapsel. Die Traumbilder, Wärme, Geschmäcker und Liebe wurden durch die kalte Starre der Schlafkammer ersetzt, deren harte Oberflächen und grellen Lichter durch die Abdeckung zu sehen waren. Benebelt von den Monaten, die sie im Hyperschlaf verbracht hatte, und vom plötzlichen Aufwachen, versuchte sie, ihre Umgebung zu verstehen. Die Realität zu verstehen.

Ein paar der anderen Kapseln waren bereits geöffnet. Einige waren leer, doch in den meisten befanden sich noch ihre Insassen. So wie Daniels kämpften auch diese um mentales und körperliches Gleichgewicht. Anders als sie hatten einige jedoch mit weitaus stärkeren Nebenwirkungen einer hastigen Wiederbelebung zu kämpfen. Wüste Beschimpfungen begleiteten die breite Palette von körperlichen Reaktionen wie Erbrechen, Schwitzen und Zittern.

Im Idealfall sollte das Notfallweckprogramm aus dem Hyperschlaf eigentlich keine derartigen Nebenwirkungen hervorrufen. Andererseits, so rief sie sich ins Gedächtnis, sollte das Notfallweckprogramm erst gar nicht eingeleitet werden. Lichter blitzten um sie herum auf, und aus mehreren Wandpaneelen stoben teuflische Funken. Außerdem war da Rauch. Rauch in einem Raumschiff war ein schlechtes Zeichen. Die Filter des Lüftungssystems arbeiteten bereits auf Hochtouren. Alarme drangen an ihr Ohr.

Das war nicht die Art, wie sie aus einem Hyperschlaf hätte aufwachen sollen. Es hätte Kaffee geben sollen. Es hätte Essen geben sollen. Und zu allem Überfluss trieben noch immer die übrig gebliebenen Fragmente ihres wunderschönen, wohltuenden Traumes durch ihr Bewusstsein, bis …

Jemand schlug sie. Das war ganz sicher kein Teil ihres Traums. Es störte sie nicht, dass das ein Teil der Realität war, denn es half ihr, auf eine Weise den Kopf freizubekommen, wie es das Übermaß an visuellen und akustischen Warnsignalen nicht vermochte.

»Daniels … Daniels, wir … können Sie mich hören? Ich bin es, Oram. Christopher Oram!«

Sein Tonfall war eindringlich und sachlich, als würde er seine Worte an jemanden richten, der schon vollständig aufgeweckt worden war. Obwohl er noch seinen weißen Schlafanzug trug, war er in deutlich besserer Verfassung als sie, schwitzte nur leicht und wirkte zumindest optisch nicht krank. Im Gegensatz zu seinem schlanken Körperbau war seine Stimme stark und energisch, wie sein Griff, und er hatte ganz offensichtlich keine Zeit, sie oder irgendjemand anderen zu verhätscheln.

»Wachen Sie auf, Daniels! Wachen Sie auf! Ich hab keine Zeit für so was. Ich brauche Sie – ich brauche jeden – und zwar jetzt! Wir haben ernsthafte Schäden erlitten und …« Er sah in die Richtung, aus der ein anderes erst kürzlich aufgewachtes Crewmitglied auf sie zu getaumelt kam. »Tennessee – helfen Sie mir mal. Ich muss mich um die anderen kümmern!«

Damit überließ Oram die immer noch unsichere Daniels dem Neuankömmling und eilte zu einer weiteren Kapsel, die sich öffnete.

»Komm schon, Liebling.« Tennessee, ein alter Freund und Kollege, half ihr, aus der Kapsel zu steigen, und hielt sie fest. »Jacob steckt in Schwierigkeiten.«

Groß, kräftig, mit dicken schwarzen Locken auf dem Kopf und einer Gesichtsbehaarung, die wie mit der Axt gehauen aussah, wirkte er eher wie jemand, dem man lieber nicht in einer dunklen Gasse hinter einer Bar begegnet wäre, und nicht wie ein ausgebildeter Pilot eines Kolonieschiffs. Wenn man ihn nur entsprechend anregte oder reizte, konnte er sich auch so anhören. In seinem Schlafanzug sah er wie ein gigantischer, wenn auch urplötzlich zornig gewordener Teddybär aus. Er beugte sich über sie, und rief mit dröhnender Stimme: »Jacob braucht uns.«

Das war der letzte Ruck, den sie benötigte, um endgültig wach zu werden. Sie wirbelte zu der Kapsel neben ihr herum. Jacobs Kapsel. Anders als die Kapseln der anderen Crewmitglieder hatte sich seine nicht geöffnet. Ihr Ehemann lag reglos darin, noch immer gefangen im morpheusschen Griff des Hyperschlafs. Er lächelte, was normal war. Unter der transparenten Abdeckung sammelte sich wirbelnder Rauch und nahm ihnen die Sicht auf den Schlafenden. Das war definitiv nicht normal. Und was noch schlimmer war – sie wusste, was das zu bedeuten hatte, und was passieren würde, wenn …

»MACHT SIE AUF!«

Nachdem mehrere Versuche an den äußeren Kontrollen der Kapsel erfolglos blieben, trat Tennessee an die manuelle Notentriegelung. Doch alles ziehen, drücken und sich gegen die Hebel lehnen, half nichts – sie wollten nicht nachgeben.

Oram, der zurückkehrte, sah, was los war, und versuchte alles, was ihm einfiel, um von den Instrumenten an der Kapsel irgendeine Art von Rückmeldung zu bekommen. Doch nichts funktionierte. Das einzige Resultat war, dass die Menge und Dichte des Dampfes in der Kapsel zunahm, zusätzlich begleitet von einem plötzlichen Funkenregen und knackenden Geräuschen am Fuße der Hyperschlaf-Einheit, wo sie mit dem Deck verbunden war.

In der Kapsel ging ein Zucken durch Jacobs Gesicht, der langsam das Bewusstsein erlangte, während die Kapsel damit kämpfte, auf Orams immer verzweifeltere Befehle von außen zu reagieren. Gefangen zwischen katastrophalem mechanischen Versagen und immer knapper werdender Zeit gab es nichts, was Daniels regungsloser Ehemann an seinem Schicksal hätte ändern können.

»Zurück! Aus dem Weg!«

Sergeant Lopé kam zu ihnen. Mit seinem Bart, der langsam ergraute, hatte er das Auftreten eines freundlichen Großvaters. Ein freundlicher Großvater, der es mühelos mit einem Trio Angreifer aufnehmen konnte. Als erfahrener Anführer des militärischen Teils der Besatzung, welcher der Schiffsmannschaft assistieren sollte, konnte es der hagere Berufssoldat nicht mit den technischen Fähigkeiten der Leute aufnehmen, die bereits um Jacobs Leben kämpften. Statt technischen Wissens brachte er primitivere, wenn auch gleichsam nützliche Fähigkeiten mit.

Er packte eine der überdimensionierten mechanischen Zwingen, die sie anachronistischerweise Rettungsscheren nannten, rammte ein Ende des Geräts in den funktionslosen Verschlussmechanismus der Schlafkapsel und suchte nach der richtigen Position.

»Steck es auf deiner Seite rein«, rief er Tennessee zu.

Beide Ansatzpunkte mussten absolut luftdicht sitzen, sonst würde es nicht funktionieren. Einen Teilerfolg gab es bei dieser Prozedur nicht – entweder, die Kapsel würde sich öffnen, oder verschlossen bleiben, bis es zu spät war.

Zusammen gelang es den Männern, die Zwinge vorschriftsmäßig zu befestigen, dann legten sie ihr gesamtes Gewicht in den Apparat, denn nun ging es nur noch um pure Kraftanwendung. Es war egal, ob sie die Schlafkapsel dabei beschädigten, denn im Fall der Fälle gab es noch Reserveexemplare an Bord. Sie bissen die Zähne zusammen, während ihre Muskeln sich verkrampften. Schließlich sprang ihnen Daniels zur Seite, die die verzweifelten Anstrengungen der Männer mit all ihrer Kraft unterstützte.

Doch nichts rührte sich.

In der Kapsel gab es eine Explosion. Verglichen mit der Kakofonie der anderen Geräusche in der Hyperschlaf-Sektion war diese nicht laut, aber doch erheblich genug, um die beiden Männer zu zwingen, reflexartig zurückzuweichen. Auf der anderen Seite der Plastikscheibe quoll noch mehr Rauch hervor und zum ersten Mal … Feuer. Daniels stieß ein unkontrolliertes Heulen aus, warf sich hysterisch auf die Kapsel und zerrte verzweifelt an dem nutzlosen Rettungswerkzeug.

In der Kapsel erwachte unterdessen ihr Ehemann und riss die Augen auf. Durch den Rauch und die stärker werdenden Flammen erkannte er, wo er war. Sein Blick blieb an ihr hängen. Doch er dauerte nur einen kurzen Moment. Genau wie sein Lächeln. Es sollten die letzten beiden Dinge sein, die er in seinem Leben tat.

Daniels hörte nicht auf zu schreien, als das Innere der Kapsel in Flammen aufging, so als hätte jemand eine Fackel auf einen Haufen aus leicht brennbarem Material geworfen. Obwohl prinzipiell feuerfest, brannten die Kapseln schnell und heiß, wenn das Innere erst einmal Feuer gefangen hatte. Alles ging in Flammen auf – das Bett, die Versorgungsschläuche, die Instrumente … und Jacob.

In der Hyperschlaf-Sektion gab es zwar Feuerlöschsysteme, aber kaum innerhalb der einzelnen Kapseln. Denn die Pods waren so konzipiert worden, dass sie sich leicht und unmittelbar öffnen ließen, wenn nötig auch über die manuellen Notsysteme. Im schlimmsten aller Fälle konnten sie über die speziellen Rettungswerkzeuge geöffnet werden, wie jenes, das Lopé und Tennessee benutzten. Und das seinen Dienst versagt hatte.

Es kostete Tennessee seine ganze Kraft, um Daniels von dem Pod und dem Inferno wegzuziehen. Die Kapsel, immer noch versiegelt, immer noch nicht zu öffnen, hielt den Brand unter Verschluss.

Tennessee, der sie verzweifelt zu trösten versuchte, konnte Daniels nur in die Arme nehmen, sie festhalten und hemmungslos an seiner Brust schluchzen lassen. Oram und Lopé, deren Bemühungen nutzlos gewesen waren, konnten nichts anderes tun als zusehen. Weder Orams Fähigkeiten noch die körperliche Stärke des Sergeants hatten ausgereicht, um die widerspenstige Kapsel zu öffnen.

Wenn wir nur etwas mehr Zeit gehabt hätten, dachte Oram.

Zeit. Zu wenig, um ein Leben zu retten. Doch nun musste er schnell handeln, um das Überleben der anderen zu sichern. Tausender anderer. Er bemerkte den bärtigen, dicklippigen, kräftig gebauten Cole und den schlanken, jugendlichen Ledward, zwei Privates, die neben Lopé aufgewacht waren, und wies sie an, sich um Jacobs Überreste zu kümmern. Dann begab er sich mit dem Sergeant im Schlepptau ohne Umwege zur Krankenstation des Schiffs.

Das Bild, das sich ihm bot, war fürchterlich, und nur mit dem Wissen zu ertragen, dass es noch schlimmer hätte sein können.

Ein Segment von Hyperschlaf-Kapseln war aus den Halteklammern gerissen und auf den Boden gestürzt. Trotz ihrer robusten Bauweise waren einige davon aufgesprungen, und hatten ihre unwissenden Insassen der unvollendeten Wiederbelebung ausgesetzt. Andere waren aus den Pods gefallen, deren Deckel sich vollständig und vorzeitig geöffnet hatten. Sie waren ebenfalls tot. Überall stoben Funken herum, und Crewmitglieder versuchten, gegen die Flammen anzukämpfen und den Strom für jene Pods abzuschalten, die nicht mehr benötigt wurden.

Zwei weitere reanimierte Privates bahnten sich ihren Weg durch das Chaos auf der Suche nach weniger beschädigten Pods und Schlafenden, die das Desaster womöglich überlebt hatten. Oram erkannte die stets ernste Rosenthal, deren körperliche Attraktivität über ihre stumpfe Professionalität hinwegtäuschte, und die gleichaltrige, blonde Ankor. Lopé ging zu ihnen, um den Stand ihrer Bemühungen zu erfragen.

Oram wandte seinen Blick von dem Desaster ab und erblickte Karine, die die Verwahreinheiten der Embryonen überprüfte. Ihre glatten, dunkelblonden Haare schimmerten auf der dunklen Haut. Sie quittierte die Ankunft ihres Ehemanns mit einem flüchtigen Blick, blieb aber, wo sie war, und tat ihre Arbeit. Für das Überleben der Embryonen zu sorgen war ihr wichtiger als alles andere. Ihre Sorge und ihr Interesse galten dem Leben an Bord des Schiffs, nicht der Technik.

Sie hatte ihren Job, er hatte seinen.

Er wusste, dass sie ihn in diesem Moment um seinen nicht beneidete.

Oram und Karine überließen die Aufsicht der Hyperschlaf-Sektion Lopé und seinem Team. Sie erreichten den Eingang zu der hell erleuchteten Brücke und hielten an.

Oram hatte nicht um diesen Moment gebeten. Es spielte keine Rolle, dass man ihn für so etwas trainiert und er die Fähigkeiten erworben hatte, es zu tun. Er hätte alles dafür gegeben, in diesem Moment in seiner Kapsel zu liegen und zu schlafen, und darauf zu warten, an ihrem eigentlichen Bestimmungsort ungleich gesünder aufzuwachen. Viel zu oft treffen wir die Entscheidungen in unserem Leben nicht selbst, sondern sie werden für uns gefällt. Jacob war …

Karine legte eine Hand auf seinen Arm. »Das ist jetzt deine Mannschaft. Sie brauchen einen Anführer. Du hast keine andere Wahl. Du wusstest das, als wir uns dafür gemeldet haben.« Sie schenkte ihm ein liebenswürdiges, aufmunterndes Lächeln. »Du schaffst das, Chris. Du hast es immer geschafft.«

Mit diesen Worten ließ sie ihn zurück und betrat die Brücke. Ein weiteres Crewmitglied, das sich zu den anderen gesellte. Aber sie war nicht einfach nur ein anderes Crewmitglied. Nicht für ihn. Natürlich hatte sie recht. Und außerdem hatte er einen Vertrag unterschrieben. Er nahm sich einen Moment Zeit, um sich vorzubereiten, dann folgte er ihr.

Die Navigationskonsole in der Mitte des Raums war so etwas wie ein Anachronismus. Wie die anderen Konsolen an der gegenüberliegenden Seite der Brücke ebenfalls. Auf einem Kolonisierungs-Raumschiff stand die Kommunikation jedem zur Verfügung, der wach und bei Bewusstsein war. Man musste nur laut genug sprechen, damit Mutter es hören konnte. Die Brücke wirkte daher wie eine Reise zurück in eine Zeit, in welcher der Kontakt zwischen Individuen nur persönlich und von Angesicht zu Angesicht hergestellt werden konnte.

Diejenigen jedoch, die Schiffe wie dieses studiert, gebaut und designt hatten, wussten es besser. Je länger die Reise andauerte, desto wichtiger wurden zwischenmenschliche Interaktionen. Gespräche über Handheld-Geräte oder das allgegenwärtige Schiffsystem waren schnell und effizient, aber sie taten nichts für die menschliche Psyche. In der unermesslichen und unpersönlichen Weite des Alls hielt die Nähe zu einem Lächeln, einem Geruch oder zu Schweiß die Menschlichkeit am Leben. Die mentale Gesundheit der Crew war mindestens so wichtig wie die physische Gesundheit des Schiffs.

Deshalb gab es Konsolen und Stühle, die am Boden festgeschraubt waren, und durch die Arbeit waren alle gezwungen, einander anzusehen, sich zuzuhören und hin und wieder auch physischen Kontakt herzustellen. So konnte man sich davon überzeugen, dass der Gegenüber aus Fleisch und Blut war und nicht nur eine Holo-Projektion, die aus einer der Schiffsdateien stammte oder einem schlimmen Hyperschlaftraum.

Oram nahm auf seinem Sitz Platz. Die meisten der Crewmitglieder waren anwesend. Natürlich als Paare – mit Ausnahme von Walter. Nur Paare bildeten die Crew eines Kolonisierungsschiffes. Paare gewährleisteten Effizienz und Detailgenauigkeit. Ganz abgesehen von geistiger Gesundheit.

Oram war noch nicht offiziell der Captain, obwohl er seine bisherige Stellung als Chef der Biowissenschaft bereits an seine Frau abgegeben hatte. Er fühlte sich unwohl in seiner neuen Rolle, die ihm durch die Tragödie und die Umstände aufgezwungen worden war. Ohne Karine, die ihn unterstützte und beriet, hätte er die Verantwortung höchstwahrscheinlich abgelehnt, Vertrag hin oder her.

Aber sie war hier, saß neben ihm, ruhig und zuversichtlich, gewieft und einfallsreich, wo er unsicher war. Manchmal hielten die anderen Mitglieder der Crew seine Hilflosigkeit für Arroganz. Dagegen konnte er nichts tun. So war er eben. Er konnte vielleicht die anderen täuschen, aber nicht seine Frau.

Tennessee saß nicht auf seinem Platz oder irgendwo anders, sondern lungerte auf der Brücke herum. Oram beneidete den großen, unbekümmerten Piloten für seine Fähigkeit, sich zu entspannen. Was andere vielleicht für Sorglosigkeit hielten, war charakteristisch für jemanden, der mit sich und dem Universum im Reinen war. Eine nützliche Eigenschaft, ganz besonders in einer solchen Situation. Egal, wie die Umstände auch sein mochten, er wusste, dass er sich darauf verlassen konnte, dass der Pilot seine Befehle effizient und ohne Fragen ausführen würde. Außerdem würde die arme Daniels ohne die Freundschaft zu Tennessee und seiner emotionalen Stärke bereits auf der Krankenstation liegen.

Faris war ebenso unbekümmert wie ihr Gatte. Ein Mädchen vom Lande, das es vorzog, sich das nicht anmerken zu lassen, und sogar eine noch bessere Pilotin war – ein Thema, über das sich die beiden häufig im Scherz stritten. Ihre temperamentvolle und leicht schlüpfrige Beziehung belebte zu jeder Zeit die Wachphasen der Mannschaft.

Vor ihrem Abflug aus dem Erdorbit hatte die Verwaltung ihre hin und wieder bissigen Streitereien mit Sorge beobachtet, bis man verstand, dass diese gelegentlichen Sticheleien stets warmherzig und nie bösartig gemeint waren.

Upworth und Ricks waren das mit Abstand jüngste Paar am Tisch. Ihr junges Alter stand jedoch nicht im Widerspruch zu ihren Fähigkeiten, welche die Navigation und Kommunikation umfassten.

Insbesondere Upworth war schnell beleidigt, wenn der Verdacht aufkam, sie sei für ihre Position nicht qualifiziert genug. Vielleicht lag es an ihren großen Augen, ihrem vollen Mund und ihrer zierlichen Statur, die sie noch jünger wirken ließ, als sie war. Tennessee hatte sie einmal »als Sprengstoff verkleidete Kewpie-Puppe« bezeichnet, woraufhin sie in der Schiffsbibliothek nachsehen musste, was eine Kewpie-Puppe war.

Wenn man etwas an ihr bemängeln konnte, dann dass sie dazu neigte, für Probleme improvisierte Lösungsansätze zu finden, obwohl für diese Probleme bereits genaue Anweisungen existierten. Rick hingegen war ruhig, kompetent, und neigte eher dazu, die Dinge nach Vorschrift anzugehen. Er bildete den Gegenpart zu Upworths hin und wieder aufbrausendem Charakter.

Wenn es um das Unvorhergesehene ging, war Oram selbst jemand, der eher nach Protokoll vorging als zu improvisieren. Seine Frau ebenso. Daher fühlte er sich mit Ricks verbunden.

Aber abgesehen von Upworths Hang, hier und da ein wenig auszuflippen, hatte er den allerhöchsten Respekt vor dem frisch vermählten Paar, das es vorgezogen hatte, die Erde zu verlassen, um sich für die Kolonisierung einzuschreiben.

Lopé stand ebenfalls lieber als zu sitzen. Als Chef der Sicherheit an Bord der Covenant, und später der Sicherheit für die Kolonie, war er Soldat der alten Schule. Seinen weniger ehrfurchtgebietenden und jüngeren, aber gleichsam professionellen Lebenspartner und stellvertretenden Leiter Sergeant Hallet übertraf er nur um ein Rangabzeichen.

Hallet war der Letzte, der etwas außer Atem eintraf.

»Entschuldigen Sie die Verspätung, Sir«, sagte er zu Oram und gesellte sich zu Lopé. Sein Ehering blitzte kurz im Licht der Deckenlampe auf, und passte genau zu jenem, den der Sergeant trug.

Oram winkte ab. Das war nicht der Zeitpunkt, um auf das Protokoll zu pochen. Er räusperte sich ein paar Mal und sah jeden der Anwesenden an, bevor er mit düsterem Tonfall das Wort ergriff.

»Es hilft nichts, darum herumzureden. Wir haben einen furchtbaren Verlust erlitten, sowohl für die Crew als auch für die Kolonisten. Und ich – ich bin jetzt Ihr neuer Captain.«

Seine Stimme verschärfte sich. »Ich habe nicht darum gebeten, ich habe es nicht gewollt, aber so ist es nun mal. Ich werde mein Bestes tun, um Jacobs großartigem Vorbild zu folgen.« In dem Wissen, dass die anderen ihn gespannt musterten, suchte er nach Worten. Bioscans von schlafenden Lebensformen abzunehmen war definitiv einfacher als mit wachen Personen zu sprechen, stellte er verdrießlich fest. Er suchte nach etwas Geistreichem, aber ihm fielen nur Plattitüden ein. Sie würden reichen müssen.

»Wir werden ihn schmerzlich vermissen«, fuhr Oram fort. »Aber wir haben viel Arbeit vor uns. Danke, dass Sie mich unterstützen werden.«

Na also. Für den Moment hatte er seine Pflicht getan, was die emotionalen Bedürfnisse seiner Crew anbelangte. Ihren Gesichtern nach zu urteilen waren seine Worte vielleicht nicht inspirierend gewesen, aber sie hatten genügt. Erleichtert konnte er nun zum Wesentlichen übergehen.

»Wenn man bedenkt, dass das, was uns getroffen hat, praktisch aus dem Nichts aufgetaucht ist, sind wir in einem besseren Zustand als gedacht. Unsere strukturelle Integrität liegt derzeit bei dreiundneunzig Prozent, obwohl noch immer ein paar der Sekundärsysteme offline sind. Wir haben siebenundvierzig Kolonisten und sechzehn Embryonen der zweiten Generation verloren. Und ein Crewmitglied, wie Sie wissen. Darüber hinaus haben zweiundsechzig Pods Schäden erlitten, allesamt rettbar.«

»Rettbar?«

Upworths Sarkasmus ließ nicht lange auf sich warten.