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Phönix-Fans aufgepasst: Hier kommt eure neue Lieblingsreihe! »Ich war Feuer und Flamme« »Danke, für dieses Leseerlebnis!« »Ich konnte es nicht mehr aus der Hand legen.« »Fantastisch« (Leserstimmen auf Amazon) Acht Clans, vier magische Gaben, zwei Phönixzwillinge und ein heißer Thronerbe – diese E-Box enthält alle Bände der »Phönixschwestern«-Dilogie von der beliebten Autorin Nina MacKay. Band 1: Games of Flames **Im Kampf um einen flammenden Thron** Die Zwillinge Pandora und Aspyn haben es als Nachkommen einer der letzten acht Phönixfamilien der Welt nicht gerade leicht. Vor allem diese ständige spontane Selbstentzündung droht ihre flammende Identität an der Highschool zu entlarven. Und dass sich Pandora bei der Krönung des Phönix-Oberhauptes ausgerechnet in den umwerfenden, jungen Thronerben verliebt, macht ihr Leben auch nicht gerade weniger kompliziert. Denn die anderen sieben Familien zweifeln nicht nur an Daryans Recht auf den Phönixthron, die Schwestern sind bereits den mächtigsten Phönixmännern zweier anderer Clans versprochen. Und plötzlich befinden sie sich mitten in einem Netz bitterböser Intrigen… Band 2: Empire of Fire **Gehorsam oder Rebellion – welches Feuer lodert in dir?** Pandora und Aspyn sind fassungslos. Gerade noch waren die Zwillinge zumindest fast normale Highschool-Schülerinnen, deren größtes Problem darin bestand, im Schulhof nicht versehentlich in Flammen aufzugehen. Und plötzlich befinden sich die Phönixschwestern mitten im Zentrum des Kampfs um Thron und Macht der Clans ihrer Welt. Vor allem für Aspyn ist es schwer. Sie wurde nicht nur durch Zwang an die große Liebe ihrer Schwester gebunden, sondern ausgerechnet der Mann, für den ihr eigenes Herz schlägt, scheint nun ihren Tod zu wollen. Pandora und Aspyn wird klar: Die Zeit ist gekommen, sich gegen die alten Sitten der Phönixe aufzulehnen… //Diese magische Fantasy-Reihe ist abgeschlossen.//
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Impress Ein Imprint der CARLSEN Verlag GmbH © der Originalausgabe by CARLSEN Verlag GmbH, Hamburg 2018 Text © Nina MacKay, 2018, 2019 Lektorat: Isabell Schmitt-Egner Innenillustration: Isabell Schmitt-Egner Coverbild: shutterstock.com / © Black moon / © Olga Kudryashova / © Zita / © kaisorn /© DVARG / © Alted Studio / © Nik Merkulov Covergestaltung der Einzelbände: formlabor Gestaltung E-Book-Template: Gunta Lauck / Derya Yildirim Satz und E-Book-Umsetzung: readbox publishing, Dortmund ISBN 978-3-646-60516-7www.carlsen.de
Nina MacKay
Games of Flames (Phönixschwestern 1)
**Im Kampf um einen flammenden Thron**Die Zwillinge Pandora und Aspyn haben es als Nachkommen einer der letzten acht Phönixfamilien der Welt nicht gerade leicht. Vor allem diese ständige spontane Selbstentzündung droht ihre flammende Identität an der Highschool zu entlarven. Und dass sich Pandora bei der Krönung des Phönix-Oberhauptes ausgerechnet in den umwerfenden, jungen Thronerben verliebt, macht ihr Leben auch nicht gerade weniger kompliziert. Denn die anderen sieben Familien zweifeln nicht nur an Daryans Recht auf den Phönixthron, die Schwestern sind bereits den mächtigsten Phönixmännern zweier anderer Clans versprochen. Und plötzlich befinden sie sich mitten in einem Netz bitterböser Intrigen …
Buch lesen
Vita
Danksagung
Die Phönixclans
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© Sarah Kastner
Nina MacKay hegt eine ausgesprochene Abneigung gegen Biographien und konnte nur mit Gewalt zu folgenden Angaben gebracht werden: KaffeejunkieMacKay arbeitet als Marketing Managerin im Südwesten Deutschlands. Außerhalb ihrer Arbeitszeiten erträumt sie sich Geschichten und führt imaginäre Interviews mit ihren Protagonisten. Gerüchten zufolge hat sie früher als Model gearbeitet und Misswahlen auf der ganzen Welt gewonnen. Schreiben ist und war allerdings immer ihr größtes Hobby. Ein Hoch auf Pseudonyme, weswegen nichts von dieser Biographie bewiesen werden kann.
Für Roja und Anna, meine Reitschüler, die mich zu dieser Widmung genötigt haben. Ich hab euch lieb.
Pandora zuckte mit keiner Wimper, als ihre Schwester nach Hause kam, die Tür hinter sich zuschmiss und erstmal in Flammen aufging.
Schließlich sahen die Pearcinson-Zwillinge einmal im Monat rot. Aber nicht so wie andere Mädchen.
Als bei Aspyn das vertraute Kribbeln eingesetzt hatte, war sie sofort nach Hause gestürmt. Auf dem Heimweg hatte sie immer wieder fluchend kleine Flammen an den Armen und am Nacken mit den Händen ausschlagen müssen. Das jedenfalls hatte Pandora der Zwillingsdetektor verraten.
Während Pandora Aspyn noch dabei zusah, wie ihr kompletter Körper von jetzt auf gleich zu einer riesigen Stichflamme mutierte, kaute sie gedankenverloren auf ihrem Bleistift herum. Heute Früh war ihr haargenau dasselbe im Badezimmer passiert. Aber Aspyn hatte ja nicht hören und ihr Fußballpokalspiel unter keinen Umständen verpassen wollen. Vor zweitausend Zuschauern mitten auf dem Spielfeld spontan die brennende Fackel zu geben, versuchte man als Phönix gewöhnlich tunlichst zu vermeiden.
Glücklicherweise hinterließen die monatlich auftauchenden Phönixflammen, die einen spontan in Brand steckten, nur ein leichtes Kribbeln auf der Haut, fackelten einem nicht mal wirklich die Kleidung vom Leib, wenn man sich im Griff hatte. Nicht so, wie bei diesen Phönixvögeln aus alten Sagen, die komplett verbrannten, um dann als Küken wiedergeboren in ihrem Käfig zu sitzen. Aber dafür hatte man danach eine verdammt weiche Babyhaut. Also nicht schlecht!
Nach gut dreißig Sekunden war der Spuk vorbei und Aspyn hatte es erfreulicherweise geschafft ihre Umgebung nicht niederzubrennen. Außer dass ihre Haut jetzt wie bei Schweinchen Babe rosa glänzte – das würde allerdings gleich nachlassen – konnte man keine große Veränderung erkennen.
Fump. Fump.
Aspyn ließ sich erst auf einen Stuhl fallen und knallte dann ihren Kopf auf die Tischplatte, an der Pandora gerade Hausaufgaben löste.
»Kein guter Tag, was?«
»Halt die Klappe, Pandi!«
Das Knurren ihrer Schwester ließ Pandora mit der Zunge schnalzen. Vorsichtshalber brachte sie ihre Finger außerhalb von Aspyns Reichweite, da sie schon mal zubiss oder Pandoras Hausaufgaben brandschatzte, wenn sie sich provoziert fühlte. Dummerweise glaubten die Lehrer das mit den verbrannten Hausaufgaben nie …
Nachdem Pandora seufzend ihr Matheheft zugeklappt hatte, strich sie sich eine goldblonde Haarsträhne hinters Ohr.
Der Zwillingsdetektor flackerte. Zumindest fühlte es sich in Pandoras Kopf so an, als würde jemand eine Glühbirne in schnellem Tempo ein- und wieder ausschalten. An, aus, an, aus, an … Seufzend griff Pandora im Geiste nach der Verbindung, schaltete sich gewissermaßen online. Am anderen Ende spürte sie Aspyns Gefühle lodern. Ihre Schwester machte sich Sorgen. Große Sorgen, doch es hatte nichts mit ihrer spontanen Selbstentzündung und dem verpassten Pokalspiel zu tun …
»Hast du wieder deinen schwarzen Mann gesehen?« Nachdem sie mitsamt ihren Schulbüchern im Arm aufgestanden war, strich sich Pandora ihr Yogashirt glatt.
»Er ist nicht MEIN schwarzer Mann! Und er verfolgt mich! Wie ein Stalker!« Auf Aspyns blondem Scheitel zündelte plötzlich ein Flammenkamm auf wie bei einem Hahn aus der Hölle. »Scheiß Pedo!«
»Als ob du nicht jedem Pädophilen Angst einflößen würdest. Die rufen doch panisch nach ihrer Mami, wenn du sie anfunkelst.«
»Nicht lustig, Pandi. Nie hab ich meine Ruhe vor dem! Immer beobachtet er mich.«
»Vielleicht ein Fußball-Talentscout?«
»Ein Talentscout in einer Mönchskutte? Der jedes Mal in eine dunkle Gasse abhaut, wenn ich ihn zur Rede stellen will?«
Pandora tippte mit dem Zeigefinger zweimal auf den Holztisch. »Sag ich doch: Er hat Angst vor dir.«
»Du bist so eine hirnlose, dumme …«, teilte ihr Aspyn über den Zwillingsdetektor mit, bevor Pandora die Verbindung unterbrach.
Mit einem lauten Klatschen, das ihr gleich darauf schon wieder leidtat, schmiss sie ihre Zimmertür ins Schloss, um etwas Abstand zwischen sich und Aspyn zu bringen. Ihre Schwester trieb sie regelmäßig zur Weißglut!
In letzter Zeit häuften sich Aspyns Wutanfälle, was von unkontrollierten Flammenausbrüchen begleitet wurde und vor allem mit dem schwarzen Mann zusammenhing. Und der magischen Gabe, die bis heute auf sich warten ließ …
Von innen lehnte sich Pandora gegen die Zimmertür. Die Schulbücher rutschten ihr aus den Fingern.
»Heilerin!«, flüsterte sie mehr zu sich selbst. Sie wollte nichts lieber werden als Heilerin in der Phönixgemeinschaft. Ihre bevorzugte der vier magischen Gaben, die Phönixe ab ihrem fünfzehnten Lebensjahr entwickelten.
»Hey, Mädchen, seid ihr da?« Wieder flog die Haustür auf und wurde danach krachend ins Schloss geworfen.
»Nein, Mom!«, rief Aspyn aus der Küche.
»Ah gut. Dann lebst du noch? Nicht von der Polizei in ein Versuchslabor gekarrt worden, weil du das halbe Fußballstadion in Brand gesteckt hast?«, rief Mom zurück.
Pandora seufzte. Ihre Familie war laut. Sehr laut. Mit Ausnahme von ihr selbst.
»Nee, heute nicht, Mom. Aber eine schöne Idee, wenn ich mich am Sonntag mal langweile!«
Auf dem Weg zum Bett steckte sich Pandora die Finger in die Ohren, bevor sie sich rückwärts darauf fallen ließ, sodass ihre Kuscheltiere in die Höhe katapultiert wurden. Natürlich nützte das rein gar nichts.
»Mom will, dass du in die Küche kommst«, teilte Aspyn ihr über den Zwillingsdetektor mit, den Pandora unglücklicherweise nicht fest genug verschlossen hatte. »Wegen dem verkackten Bonzenball.«
Kurz überlegte Pandora, ob sie sich totstellen sollte, verwarf den Gedanken aber gleich wieder. Das würde nichts nützen. Nicht, solange das Band zwischen ihnen existierte.
»Mach schon. Ich weiß, du lebst da drin noch«, drängelte ihre Schwester auch schon.
***
In der Küche, die in der Größe und im Design an einen halben U-Bahn-Waggon erinnerte, lehnte sich Pandora mit dem Rücken gegen die Spüle. Aspyn hatte es sich mit angezogenen Beinen auf der breiten Fensterbank bequem gemacht, während ihre Mutter einen Brief am Küchentisch studierte.
»Wir müssen euch noch Kleider für morgen besorgen. Nachdem die alten unglücklicherweise zu unansehnlichen Polyesterhäufchen zusammengeschmort sind.«
»Ups«, machte Aspyn vom Fensterbrett aus und betrachtete dabei ihre Fingernägel.
Lina Pearcinson hob den Kopf.
»Ach, Mom, ich glaub, das mit dem Brand im Kleiderschrank war ein Omen. Wir sollten lieber nicht zur Krönungszeremonie gehen«, bemerkte Pandora wie beiläufig.
Wie immer, wenn eine ihrer Töchter diesen unschuldigen Ton anschlug, legte Lina Pearcinson den Kopf schief, um ihr einen Augenaufschlag zuzuwerfen, den so nur Krankenschwestern draufhatten.
»Warum denn nicht, Schatz? Ist das nicht eine großartige Gelegenheit, auf ein paar Jungs in deinem Alter zu treffen, die so sind wie du?«
»Du willst doch nur dorthin, weil du diesen Tierpfleger wiedersehen willst, Mom«, warf Aspyn ein. »Seit du ihm am Unabhängigkeitstag begegnet bist, planst du doch schon euer Wiedersehen.«
»Stimmt doch gar nicht. Ich möchte euch lediglich mit netten Phönixjungen verkuppeln und außerdem unser neues Oberhaupt kennenlernen«, meinte ihre Mutter wenig überzeugend.
Pandoras Kopf ruckte nach oben.
»Wie verkuppeln? Mom, ich werde mich nicht mit Jungs verabreden. Ich hab wirklich Wichtigeres im Kopf. Ich muss für das Stipendium lernen!«
Aspyn rutschte vom Fensterbrett. »Außerdem ist meine reizende Zwillingsschwester dem Jungfrauenclub der Schule beigetreten und gefährdet damit übrigens auch meinen Ruf!«
»Stimmt das, Pandi?«, wollte ihre Mom wissen. »Du bist in einem dieser religiösen Kein-Sex-vor-der-Ehe-Clubs?«
Eine Weile beobachtete Pandora einfach nur die Falten, die die Stirn ihrer Mutter in diesem Moment warf.
»Ja, Mom«, gab sie letztendlich zu.
Aspyn hielt ihrer Mutter die offene Handfläche hin. »Hab ich’s dir doch gesagt!«
Stöhnend verdrehte ihre Mom die Augen, kramte dann in der Tasche ihrer orangefarbenen Thermojoggingjacke und zog fünf Dollar hervor, die sie Aspyn nur äußerst widerwillig aushändigte.
»Ihr habt auf mich gewettet? Das glaub ich jetzt einfach nicht! Ihr seid solche unreifen Hühner!« Pandora fühlte ihr Gesicht heiß werden, drehte dabei an ihrem silbernen Purityring, den sie vor Kurzem im Keuschheitsclub der Sunnyslope Highschool erhalten hatte.
»Verdammt!«, fluchte Mom und überreichte weitere fünf Dollar an die feixende Aspyn, was Pandora mit einem wütenden Blick quittierte.
»Warum eröffnet ihr nicht gleich euer eigenes Wettbüro? Dann lohnt sich das wenigstens.«
»Schatz, ich würde dir dringend raten, uns nicht mehr unreif zu nennen, sonst habe ich nächste Woche nicht mehr genug Scheine für dein Taschengeld.«
Grummelnd steckte Pandora ihre Fäuste in die graue Yogahose. Man hätte wirklich meinen können, Lina sei ihre Drillingsschwester und nicht ihre Mutter.
»Also wir drei. Mall. Jetzt. Abendkleider besorgen.« Lina stand auf und band sich ihre Nike-Sportschuhe, wobei sie die Füße auf der Tischplatte abstützte. »Obwohl: Seid ihr beide heute menstruationsbedingt schon in Flammen aufgegangen oder laufen wir Gefahr, die Mall komplett in Asche zu legen?«
»Schon erledigt, Mom«, meinte Aspyn. »Fußballstadion.«
»Braves Mädchen.«
Pandora verdrehte die Augen. »Sie wollte ja nicht hören. Hat es aber gerade noch so nach Hause geschafft. Bei mir kam die Entflammung schon heute Morgen.«
Nachdem Pandora die Haustür hinter sich zugezogen hatte, hielt sie ihre Mutter kurz am Arm fest.
»Wer wird morgen Abend noch mal zum neuen Oberhaupt gekrönt?«
»Na so ein austauschbarer Obrey-Bonze. Bestimmt ist er auch noch Multiplikator und schwimmt in Geld und Diamanten«, presste Aspyn hervor. Ein Multiplikator zu sein, war eine der vier magischen Begabungen, die innerhalb von Phönix Familienclans auftraten.
Da ebendiese magische Begabung bisher nur in Obreys und Allingtors Familien aufgetaucht war, schien Aspyns Vermutung durchaus naheliegend.
»Oh, da fällt mir ein: Grandma wird morgen Abend auch da sein und sie hat mir erzählt, sie hätte eine Überraschung für euch.« Ihre Mutter sprang auf den Bürgersteig und hielt ihren Töchtern die Tür auf, durch die blendendes Sonnenlicht in den Flur drang.
»Was? Och nö! Sicher wieder nur ein Test, mit dem sie unsere magische Begabung aus uns herauskitzeln will. Langsam nervt’s echt!«, beschwerte sich Aspyn so laut, dass ein Chihuahua, der gerade an ihr vorbeitapste, vorsorglich den Schwanz einzog. Ob ihre Schwester damit den hundertsten Versuch ihrer Großmutter meinte, sie auf eine magische Gabe zu testen, oder einfach die frustrierende Tatsache, dass keiner von ihnen beiden bisher trotz Überschreiten der kritischen Altersgrenze eine Gabe entwickelt hatte, wusste Pandora nicht zu sagen.
»Los kommt schon, Mädels. Zeit sich herauszuputzen und einen netten Phönixtypen abzuschleppen!« Ihre Mom hopste auf dem Gehsteig in Richtung ihres roten Toyotas. »Aber bringt mir bloß keinen aus dem Suelo-Clan nach Hause, eure Großmutter würde mich rösten!«
»Mom, du bist so …«
»Sag’s nicht. Denk an dein Taschengeld, Pandora!«
***
Nach einigem Gemurre und zwei versengten Gardinen an verschiedenen Umkleidekabinen, die sich die Besitzerin des Geschäfts mit der großen Hitzewelle in Arizona erklärte, legte Lina Edison schließlich zweihundert Dollar für zwei Cocktailkleider auf den Tisch. Für ein blaues, elfenhaftes Kleid und einen Albtraum in Schwarz, den man eigentlich nicht mal zu Halloween tragen konnte. Eine Mischung aus Netz und Leder mit asymmetrischem, gewagtem Beinausschnitt und überall gezackten Stoffenden, die wie Reißzähne aussahen. Kurz gesagt: Das einzige Kleid, das Aspyn bereit war anzuziehen. Manchmal, wenn sie in der Stimmung war, die Hobbypsychologin zu spielen, nahm Pandora an, dass Aspyn mit ihren gewagten Outfits das Ziel verfolgte, sich von ihrer Schwester und ihrer Mutter abzuheben. Vor allem von ihrer Mutter, die manchmal allen Ernstes für ihre Drillingsschwester gehalten wurde.
Die blonde Verkäuferin schien so entzückt darüber, das Kleid endlich losgeworden zu sein, dass sie Aspyn gleich noch schwarze Totenkopf-Ohrringe dazu schenkte, die an einem ebenso schwarzen Friedhofskreuz baumelten.
Mit einem gewinnenden Grinsen nahm Aspyn die Ohrringe entgegen, während ihre Mutter alles andere als glücklich wirkte.
Kein Wunder. Sie musste davon ausgehen, dass sich ihre Tochter in diesem Moment Munition für eins ihrer liebsten Hobbys eingekauft hatte: Provozieren.
»Und damit wäre mein Outfit perfekt«, freute sie sich. »Jetzt müssen wir nur noch einen Zauberstab und Feenflügel für Pandi besorgen …«
»Halt die Klappe!« Pandora bedachte ihre Schwester mit einem düsteren Blick.
»Willst du denn nicht hübsch aussehen, wenn du von einem Obrey flachgelegt wirst?«, stichelte Aspyn.
»Du weißt doch, was bei solchen Partys passiert …«, teilte sie ihr über den Zwillingsdetektor mit.
Pandora würgte, hob dann aber demonstrativ die Hand mit ihrem Purityring. Natürlich kannte sie die freizügigen »Spielchen« und Annäherungsversuche von Jugendlichen ihrer »Art« auf Partys. Junge Phönixe schlichen sich gern unbemerkt davon, um rumzuknutschen und oft auch, um noch etwas weiterzugehen … Gar nicht nach Pandoras Geschmack. Unruhig drehte sie an ihrem Ring.
Im Gegensatz zu ihrer Schwester, deren Augen jetzt zu leuchten begannen.
»Vielleicht wird dieser Abend doch nicht so beschissen, wenn ich es mir recht überlege …«
Beim Verlassen des Geschäfts warf Pandora Aspyn einen Seitenblick zu. Ach, auf einmal? Und die ganzen Bonzen aus den oberen Clans, die ihre Schwester normalerweise nicht ausstehen konnte?
Unbeschwert spazierte Aspyn auf die Rolltreppe in der Mitte der Mall zu, wobei sie sich gekonnt in den Hüften wiegte, was wiederum zur Folge hatte, dass sich plötzlich sämtliche männlichen Augenpaare der Umgebung auf sie, Pandora und ihre attraktive Mutter richteten.
Pandora seufzte. Den gesamten Weg die Rolltreppen hinunter schwieg sie jedoch beharrlich. Je näher die Krönungszeremonie rückte, desto weniger Lust hatte sie darauf.
Gerade wollte sie ihre Mutter fragen, ob sie noch kurz im Buchladen nach neuen Büchern stöbern konnten, aber ihre Mom hing an ihrem Handy und telefonierte offenbar mit ihrer Grandma.
»Nein, Mutter, die Kinder haben noch keine Fähigkeit entwickelt. Hör endlich auf alle zwölf Stunden danach zu fragen. Gib ihnen etwas Zeit.« Als sie Pandoras Blick auffing, schnitt Lina Pearcinson eine Grimasse. »Das kommt schon noch.« Dann wurde sie wieder ernst. »Was? Nein, ich glaube, die beiden haben keinen Freund.« Unsicher warf sie Aspyn einen Blick zu, doch die wackelte nur vielsagend mit den Augenbrauen.
»Nein, haben sie nicht, Mutter. Wir sehen uns bei der Krönung.«
Immer dasselbe Drama mit ihrer Großmutter. Pandora knetete ihre Finger. Ständig versuchte sie magische Fähigkeiten aus Pandora und Aspyn herauszukitzeln. Das bisher allerdings nicht besonders erfolgreich. Pandora kümmerte die Verzögerung ihrer Entwicklung nicht allzu sehr. Sie würde schon noch aufblühen.
So oft hatte sie sich ausgerechnet, wie hoch die Wahrscheinlichkeit war, dass ihr Wunsch, Heilerin zu werden, sich erfüllte. Die Chancen standen nicht schlecht, schließlich war ihre Mutter auch eine, und damit die familiäre Weitergabe der Fähigkeit fast gesichert.
Die heute noch existierenden Phönixgaben waren in ihrer Anzahl recht überschaubar: Multiplikatoren, Emotionenleser, Kraftbündler und Heiler. Von Aspyn auch liebevoll Kopierer, Röntgengerät, Anabolika-Opfer und Quacksalber genannt.
»Kommt der Hulk morgen auch?«, verlangte Aspyn zu wissen, während Lina ihnen die Glastür des Shoppingcenters aufhielt.
»Hör auf deine Großmutter so zu nennen.«
»Ja, der Hulk kommt morgen auch!«, blökte es aus dem Handy.
»Ok, Granny!«, rief Aspyn zurück, sodass sich wieder sämtliche Leute in der Nähe nach ihnen umdrehten. Also war das auch geklärt.
Während ihre Mutter die Einkäufe im Auto verstaute, spürte Pandora plötzlich ein Kribbeln im Nacken. Noch bevor sie sich umdrehte, schnappte Aspyn nach Luft.
»Nicht er schon wieder …«
Suchend schaute Pandora sich um. Auf einmal fröstelte sie es in ihrer Yogahose und dem Sporttop. Und das, obwohl es in Arizona brütend heiß an diesem Frühlingsabend war.
»Da!«, zischte Aspyn. »Die schwarze Kutte hinter den Autos!« Und schon sprang sie los. Bevor Pandora richtig reagieren konnte, sah sie nur noch Aspyns pinke Shorts hinter einem grauen Pick-Up verschwinden. Ach verdammt. Sicher stellte sie wieder etwas Dummes an.
»Ähm, Mom, Aspyn jagt ein Eichhörnchen oder so. Ich schau mal nach ihr …«
»Mhm«, murmelte ihre Mutter, die immer noch versuchte Ordnung in ihren vollkommen überfüllten Kofferraum zu bringen und gleichzeitig ein Telefongespräch zu führen. »Mach mal.«
Das jedoch hörte Pandora kaum mehr, denn sie hatte bereits die Verfolgung ihrer Schwester aufgenommen.
»Hah!«, brüllte Aspyn jetzt siegessicher von einer Stelle direkt hinter einem Einkaufswagenparkhaus. Sobald Pandora es umrundet hatte, sah sie einen Mann mit schwarzer Kutte auf dem Boden liegen. Aspyn hatte ihm einen Fuß in den Rücken gestemmt und zog an seiner Kapuze, was ihn sicherlich fast erwürgte. Die Szene hatte etwas von einer rasenden Phönixfurie, die sich auf Gevatter Tod gestürzt hatte.
»Ich sag’s nur ungern«, keuchte Pandora, als sie Aspyn erreicht hatte. Die Hände auf die Knie gestützt, versuchte sie bei der brütenden Hitze zu Luft zu kommen. »Aber du übertreibst! Lass den armen Mann los.«
»Der arme Mann …« Aspyn betone jede Silbe auf den Punkt genau. »… verfolgt mich seit Wochen!« Sie schüttelte ihn an seiner Kapuze. »Was willst du von mir, häh?«
Blondes, schulterlanges Haar rutschte unter der Kapuze hervor. Jetzt konnte Pandora auch Teile seines Gesichts erkennen. Eine riesige, rote Knollennase und ziemlich flächendeckende Akne. Der arme Junge … Er musste ein paar Jahre älter als sie beide sein, aber keinesfalls älter als Anfang zwanzig. Der pickelige Typ fauchte, holte mit dem Arm aus und schlug Aspyns Standbein weg. Fluchend stolperte sie rückwärts genau auf Pandora zu, die sie mit rudernden Armen zu Boden riss.
Der Blonde nutzte den Augenblick, rappelte sich auf und rannte davon.
»Mist!« So schnell es ging, sprang Aspyn auf die Beine, nur leider hatte der Typ einfach schon einen zu großen Vorsprung. Die Haut unter ihrem T-Shirt begann zu qualmen, bis schließlich kleine Flammen über ihre Arme züngelten.
Pandora räusperte sich. »Ähm, Aspyn. Du brennst.« Sie schlug ihrer Schwester gegen die Schulter. Etwas fester als eigentlich nötig.
»Lass das«, fauchte Aspyn sie an, »verdammt, wer war dieser Nerd? Hast du etwas gespürt, Pandi? Ist er auch ein Phönix?«
»Hm, weiß nicht.« So ausgeprägt war Pandoras Fähigkeit nicht, andere ihrer Art zu erkennen. Gewöhnlich merkte man ja auch erst am Nachnamen einer Person, ob er zu einem der acht Phönixclans gehörte. Die Pearcinson Familie wurden von allen Phönixen sofort als Mitglieder des Edison-Clans erkannt. Wegen derselben Wortendung. Das war Tradition.
»Mädchen«, rief ihre Mutter von irgendwoher hinter ihnen. »Wo steckt ihr? Beeilung! Oder wollt ihr, dass eure Mutter in der Hitze zerfließt und als Fettfleck auf diesem Parkplatz endet?«
Aspyn verdrehte die Augen. »Irgendwann schnappe ich mir diesen Mistkerl.« Sie ballte ihre Hände zu Fäusten und lief dann los in Richtung Toyota.
»Vielleicht gehört er zu den Phönixpatrioten?«, spekulierte Pandora im Laufen.
»Diese Außenseiter? Nein. Eher nicht. Die Phönixpatrioten tragen für gewöhnlich keine schwarzen Kutten. Nein, ich glaube, jemand hat etwas gegen mich. Oder gegen uns.«
***
Und dann kam der Samstagabend.
Aspyn saß mit wippendem Fuß im Toyota, die Zumutung in Schwarz aus asymmetrisch geschnittenem Stoff schmeichelte irrsinnigerweise sogar ihrer Figur. Die Totenkopf-Ohrringe wippten im selben Takt wie ihr Fuß. Pandora saß daneben, starrte aus dem Fenster und zupfte in regelmäßigen Abständen an ihrem blauen, elfenhaften Kleid. Der Tüllrock pikste sie bei jeder Bewegung, weswegen sie unnötige Regungen vermied.
Ihre Mutter strich sich während der Fahrt immer wieder lose Haarsträhnen ihrer Hochsteckfrisur aus der Stirn. Die Haare hochzustecken war im Grunde das einzig Richtige bei dieser Hitze, aber Pandora und ihre Schwester trugen ihm Gegensatz zu ihrer Mutter die Haare am liebsten offen. Nur Pandora hatte sich heute die vorderen Haarpartien mit Klammern zurückgesteckt.
»Bist du nervös, Mom?«, fragte Aspyn. »Wegen Mr Tierpfleger? Wie heißt der Glückliche denn eigentlich?«
Lina Pearcinson schnaubte. »Bin ich nicht. Und er heißt Russell Ferrognan.«
»Aha. Also aus dem Brennan-Clan. Kommt nicht infrage.«
Ihre Mutter schnaubte. »Da ist überhaupt nichts.«
»Naja, du hast dich schon ziemlich schick für deinen Tierpfleger gemacht!« Aspyn beäugte übertrieben auffällig das bodenlange, leuchtend rote Kleid, das figurbetont geschnitten war. Lina sah darin ein wenig aus wie Heidi Klum. »Und woher kommt auf einmal dieser Sinneswandel? Sonst bist du doch auf der Seite des Hulks und willst uns mit Typen aus den Upper-Clans verkuppeln?«
»Falsch. Eure Großmutter will euch vorzugsweise mit den Mächtigen der Mächtigen verkuppeln, nicht ich.« Nach einem tiefen Atemzug fuhr sie fort: »Lasst euch nur nicht mit einem Suelo ein.«
Pandora nickte, wobei sie ihren Blick nicht vom Fenster nahm. Ihre Mutter hielt an der alten Fehde zwischen dem Edison- und dem Suelo-Clan fest, wollte aber nicht darüber sprechen, in wie weit sie persönlich davon betroffen war. Pandora konnte nur Vermutungen anstellen. Eventuell hatte das alles etwas mit ihrem Vater zu tun. Ein Familiengeheimnis erster Klasse sozusagen. Nur blöd, dass man absolut nichts aus Lina herausbekam.
»Ach ja, der Hulk«, seufzte Aspyn. »Wo treffen wir Grandma eigentlich?«
»Direkt am Schlosstor, damit wir gemeinsam zur Krönung gehen können.«
»O Mann, sie hat sicher irgendetwas Blödes vor, um uns unsere Magie zu entlocken.« Aspyns Stirn legte sich in Falten.
Jetzt wandte sogar Pandora ihren Blick vom Fenster ab und starrte zwischen ihrer Schwester und ihrer Mutter hin und her.
»Jetzt schau nicht so, als hättest du eine Ente gesehen, Pandi.«
»Ach, lass es einfach, Aspyn.« Enten und Gänse waren die sprichwörtliche Büchse der Pandora für Pandora. »Du bist auch nicht besser mit deiner Käferphobie.«
»Ach, Kinder, wo ihr gerade davon sprecht, sitzt hier nicht ein grüner Käfer auf dem Armaturenbrett?«, meldete sich Lina vom Fahrersitz aus.
»Was?«, kreischte Aspyn. »Halt sofort an! Ich will aussteigen!« Panisch rüttelte sie an der Tür des Toyotas, doch ihre Mutter hatte blitzschnell die Autoverriegelung betätigt. »War doch nur ein Scherz, Schatz. Wirklich, Käfer sind ganz zauberhafte kleine Insekten. Ich verstehe nicht, warum du praktisch seit deiner Geburt ausflippst, wenn du einen siehst.«
»Die Viecher sind eklig, haben zu viele Beine, so einen komisch glänzenden Panzer, der wie ein Buckel aussieht, manche sondern sogar stinkendes Sekret ab … soll ich noch mehr Gründe aufzählen?« Aspyn hielt ihre Hand hoch, an deren Fingern sie ihre Argumente abgezählt hatte.
»Schon gut, Schatz. Immerhin stimmen wir alle Drei in Bezug auf Spinnen überein, dass sie mit die ekligsten und furchteinflößendsten Wesen auf diesem Planeten sind.«
Sie bog auf das Schlossgelände ab. »So, wo finde ich jetzt einen Parkplatz?«
»Wir könnten einfach ein anderes Auto abfackeln, dann wird einer frei«, schlug Aspyn vor.
Über den Rückspiegel warf ihr Lina einen mäßig interessierten Blick zu.
Als sie letztendlich doch noch einen Parkplatz ergatterten, raunte Aspyn Pandora beim Aussteigen zu: »Dir ist ja wohl klar, dass Granny uns heute Abend wieder testen wird. Am besten, ich behaupte, ich wäre alleine hier und hätte mich multipliziert.« Sie deutete auf Pandora und dann wieder auf sich.
»Ein Multiplikator aus dem Edison-Clan? Ich hab schon bessere Witze gehört.«
»Die Hoffnung verglüht zuletzt. Vielleicht sind wir ja wirklich was Besonderes – so als Spätentwickler.«
»Ja, oder gar nichts«, murmelte Pandora. »Am Ende ist unser mentales Band alles Magische, das wir vorweisen können.«
»Nur nicht so optimistisch, Pandi«, entgegnete Aspyn zwinkernd. »Außerdem habe ich schon von einem Multiplikator gehört, der Regenwürmer verdoppeln konnte. Und so weit entfernt wäre ein Wurm ja letztendlich nicht von dir.« Dann machte sie sich mit federnden Schritten auf den Weg zum Schlosstor, wo bereits der Hulk samt Ehemann Arthur auf sie wartete.
»Großer Gott, da seid ihr ja endlich!«, begrüßte Beth Pearcinson ihre Tochter samt Enkelinnen. »Die Krönung findet gleich ohne uns statt! Wie wollt ihr so unserem neuen Oberhaupt auffallen? Wenn dann ja nur ausgesprochen negativ … und, ach du lieber Himmel, was ist das für ein Kleid, Aspyn? Hast du das selbst genäht oder eine Leiche auf dem Friedhof gefleddert? Und warum lässt du sie so rumlaufen, Lina?« Ihre Großmutter stemmte beide Hände in das silbergraue, bodenlange Kleid, das sie trug. Auf ihrem Kopf entdeckte Pandora sogar ein funkelndes Diadem, bestückt mit grauen Perlen. So herausgeputzt sah sie ihre Großmutter selten. So aufbrausend hingegen relativ oft.
»Sie wollte einfach nur dieses Kleid und kein anderes …«, begann ihre Mutter, wurde aber vom Hulk direkt wieder unterbrochen, die vor Wut gerade eine Eisenstrebe am Tor verbog. »Schluss jetzt, wir haben genug Zeit verloren … oh, mein Fehler. Ein Missgeschick!« Unter den Blicken des Securitypersonals am Tor, bog Beth hastig das Tor wieder gerade. »Los jetzt, die Krönung beginnt in fünf Minuten!« Sie rauschte davon, ließ ihre Familie hinter sich zurück, die mühsam versuchte mit Grandma Beth Schritt zu halten.
Pandora und Aspyn hasteten auf ihren hohen Schuhen ihrer Mutter hinterher, den steilen Anstieg in Richtung Schloss empor, vorbei an jeder Menge Zierbüsche und kleinen Springbrunnen. Zur Abkühlung hätte Pandora in diesem Moment viel lieber hier draußen gesessen und ihre Füße ins Wasser gehalten, als dieser dämlichen Zeremonie beizuwohnen. Wehmütig warf sie einen Blick über ihre Schulter, zurück auf den Springbrunnen, den sie gerade passiert hatten, in dessen Mitte vier steinerne Fische Wasserfontänen ausspien. Wie wundervoll kühl das Wasser sprudelte! Doch im nächsten Moment wurde sie schon von ihrem Großvater über die Schwelle ins Innere des Anwesens geschoben.
»Komm, Kleines, oder willst du einen weiteren Ausraster deiner Grandma riskieren?«, raunte er ihr zu. Seine Mundwinkel hoben sich zu einem schelmischen Grinsen.
Auch wieder wahr. Im Inneren des Schlosses, das wie aus einem Hollywoodfilm entsprungen wirkte, musste Pandora erst einmal blinzeln, um überhaupt etwas erkennen zu können. Im Gegensatz zur Hitze draußen fühlte sich die Kühle im abgedunkelten Flur so unwirklich wie in den großen Einkaufszentren im Stadtinneren von Phönix, Arizona an. Ihr Großvater schob sie weiter an zahllosen Zierpflanzen und Kupfervasen vorbei, als wäre er ihr Bodyguard. Von seiner Statur her und seiner Sanftheit erinnerte Arthur Pearcinson sowieso an einen friedlichen Braunbären auf zwei Beinen. Sie sah sich weiter um. Generell entdeckte Pandora, ganz typisch für ihre Heimatstadt, relativ viele Kupferelemente in den Gängen. Sie fröstelte. Durch ein Fenster im Flur, das im Gegensatz zu fast allen anderen nicht von Fensterläden verdunkelt wurde, konnte sie einen Blick auf den Sunnyslope Mountain in der Ferne erhaschen. Das große weiße S, das an seiner Spitze eingraviert war, hatte sie schon immer beruhigt. Wie der Anblick des Mondes. Man konnte den Sunnyslope Mountain im Nordwesten von Phönix fast von jedem Punkt der Stadt aus sehen. Wie die Sterne und den Mond gewissermaßen. Der eindrucksvollste Berg schlechthin.
Diese grässliche formelle Krönung würde bald vorbei sein. Ein Blick auf ihre Uhr verriet ihr, dass es zwei Minuten vor sechs Uhr war. Dennoch drehte sie ein wenig unruhig an ihrem Purityring, als vor ihnen die doppelflügelige Tür aus dunklem Holz geöffnet wurde. Schweigend traten sie ein, Aspyn und Pandora hoben dabei gleichzeitig den Blick, zuerst auf die enorme, mit Fresken verzierte Decke hoch über ihren Köpfen. Gigantisch. Der Krönungssaal erinnerte sie mit seinen vielen Holzbänken an eine Kirche. Eine Kirche mit bunten kleinen, mexikanischen Bodenfliesen. Überall standen Glaspyramiden, in denen Flammen züngelten. Am entgegengesetzten Ende, wo eine Art steinerner Altar aufgebaut war, hingen dunkelblaue Banner herab, verziert mit acht Flammenringen, wie eine erweiterte Form der fünf Ringe der olympischen Spiele. Nur dass die acht Ringe gemeinsam wiederum einen Kreis bildeten, in deren Mitte eine Flamme züngelte. Das Symbol der acht Phönixclans. Vereint und doch durch eine Rangordnung in feste Kasten gezwängt. Pandora ließ ihren Blick über die Menge schweifen. Es mussten um die tausend Phönixe anwesend sein. Fast alle Plätze auf den Bänken waren besetzt. Relativ nah am Eingang erspähten sie glücklicherweise in zwei zusammenhängenden Reihen noch ein paar freie Plätze. Sie würden hintereinander sitzen müssen, aber das machte nichts. Vor ihr bemerkte sie, wie ihre Großmutter den Rücken durchdrückte. Stolz sah sie in die Runde, so als wolle sie der ganzen Gemeinde ihre Enkelinnen auf einem Silbertablett präsentieren. Das Geplapper der nächststehenden Phönixe verstummte tatsächlich, als die gesamte Pearcinson-Familie aus dem Edison-Clan an ihnen vorbeilief, was Pandora allerdings mehr Aspyns ungewöhnlicher Aufmachung zuschrieb. Gerade quetschte sie sich mit ihrer Grandma an einem Ehepaar vorbei, um an ihre Sitzplätze zu gelangen. Pandora, Lina und Arthur ließen sich auf der Bankreihe dahinter nieder. Um ein Haar hätte sich Pandora mit ihrem Kleid in dem Blumenschmuck verheddert, der jede Bankreihe zierte. Nur durch ein paar rüttelnde Handbewegungen konnte sie sich davon befreien. Fast hätte man glauben können, hier fände eine Hochzeit statt. Oder die Krönung des nächsten britischen Thronfolgers.
Und da ging es auch schon los. Musik ertönte, das Securitypersonal am Eingang stand stramm, die Leute im Saal sahen sich nach allen Seiten um.
»Wer wird hier heute noch mal zum Oberheini gekrönt?«, hörte Pandora ihre Schwester fragen.
»Psst«, zischte ihre Grandma. »Daryan Sutrey natürlich.«
Pandora tippte sich an die Unterlippe. Sutrey … also wieder einer aus der Obrey-Familie, wen wunderte es auch? Wie der Pearcinson-Clan mit den Suelos, fochten die Obreys seit Jahren einen erbitterten Streit mit dem Allingtor-Clan aus, die auf Platz zwei in der Hierarchie standen und forderten, dass wie in früheren Zeiten abwechselnd ein Mitglied der Obreys, der Allingtors, der Lubrins und der Orwinds regierte. Bisher fand dieser Vorschlag zum Ärger der Allingtors, Lubrins und Orwinds allerdings nur wenig Gehör.
Pandora schloss die Augen. Sicher war der Neue auch so ein alter Mann wie das letzte Oberhaupt, das vor Kurzem einem Herzinfarkt erlegen war. Aber Orbitron Worrey war kinderlos geblieben, deshalb musste jetzt sein Bruder oder einer seiner Neffen nachrücken. Doch Pandora kannte sich mit der Phönixpolitik zu wenig aus, um zu wissen, wer nun an die Reihe kommen musste. Im Grunde genommen war ihr auch egal, wer von nun an über die Belange der Phönixmenschen entschied. Das Oberhaupt verließ sich so oder so auf die immer gleichen Berater des Ältestenrats. Im Geiste ging sie lieber ihre Rede durch, die sie für das kommende Treffen ihres Keuschheitsclubs vorbereitet hatte. So war die Zeit im Schloss wenigstens nicht ganz verschwendet.
»Ladies and Gentlemen«, ertönte plötzlich eine Stimme aus den Lautsprechern über ihnen. »Bitte erheben Sie sich nun für Daryan Sutrey, unser neues Oberhaupt und offizieller Richter über alle acht Clangemeinschaften!«
Artig erhob sich auch der letzte altersschwache Phönix von seinem Platz. Ganz vorne konnte Pandora viele schicke Hüte und teure Anzüge erkennen. Einige Schlipsträger zeigten ihre Missbilligung offen, passend ergänzt durch das verkniffene Lächeln diverser Hutträgerinnen. Falls Unklarheiten über die Zugehörigkeit einzelner Anwesender zum Allingtor-Clan aufkommen sollten, musste man sich nur nach zusammengekniffenen Lippen und roten Haaren umschauen. Selbst wenn eins ihrer Mitglieder ohne das typische Allingtor-Rot auf dem Kopf zur Welt kam, färbten sie sich spätestens in der Pubertät die Haare karottengleich nach. Genau wie die Obreys war der Allingtor-Clan stinkreich. Denn nur in diesen beiden Familien kam vereinzelt die Multiplikatorfähigkeit vor, deren Trägern es möglich war, Dinge wie Geldscheine oder Edelsteine zu verdoppeln. Dadurch waren sie zu unermesslichem Reichtum gelangt. Natürlich mussten sie wegen der Steuerbehörde achtgeben, dass niemand misstrauisch wurde, aber durch ein paar Scheinfirmen, die sie gegründet hatten, bekamen sie es ganz ähnlich wie die Mafia irgendwie hin, ihr Vermögen zu vergrößern, ohne Aufsehen zu erregen. Pandora schnaubte. Auf diese hochnäsigen Familien, die auf sie herabsahen, als seien Edisons, nur weil sie auf Rang sechs in der Hierarchie standen, nicht mehr wert als der Dreck unter ihren Fingernägeln, war sie gar nicht gut zu sprechen. Doch bevor sie sich weiter über Allingtors aufregen konnte, öffneten sich die Türen am Eingang erneut. Alle Köpfe wandten sich um.
Ein Junge, nicht älter als zweiundzwanzig Jahre, kam mit langsamen Schritten herein. Seine Haltung verriet eine gute Erziehung sowie viel Selbstbewusstsein. Mit einer Mischung aus Gleichgültigkeit und Angespanntheit im Blick starrte er stur geradeaus in Richtung des steinernen Altars, wo die goldene Flammenkrone auf einem Seidenkissen thronte. Mit seinem gebräunten Teint, den dunklen Augen und der geraden Nase zeigte er die typischen Merkmale der Obrey-Familie. Pandoras Augen weiteten sich. Mit so einem jungen neuen Oberhaupt hatte sie nicht gerechnet.
»Das ist er? Im Ernst?«, wollte Aspyn von ihrer Großmutter wissen. »Der ist ja voll heiß.« Dafür fing sie sich einen Stoß mit dem Ellenbogen ein. »Sei still, Kind. Du weißt nicht, was du sagst!« Wahrscheinlich lag ihre Grandma da ziemlich nah an der Wahrheit dran. Dennoch musste Pandora ihrer Schwester in dieser Hinsicht Recht geben: Das künftige Oberhaupt sah gar nicht mal schlecht aus mit seinen hellbraunen Haaren und dieser gelassenen Ausstrahlung. Irgendwie filmstarmäßig. Nun ja, eigentlich bestachen so ziemlich alle Phönixe mit recht gutem Aussehen. Alles in Allem machte er den Eindruck eines verwöhnten und von oben bis unten geschniegelten und gestriegelten Jungen. Natürlich konnte sie nur einen kurzen Blick von der Seite auf ihn erhaschen, dann war er auch schon an ihr vorbei und wenige Sekunden später an dem großen Kissen direkt vor dem Altar angelangt, auf das er sich jetzt kniete. Also musste sich Pandora mit seiner Rückenansicht begnügen. Immerhin konnten sich jetzt alle Gäste wieder setzen. Daryan Sutrey trug einen Umhang aus dunkelblauem Samt, ganz wie ein Regent aus vergangenen Zeiten. Den Umhang zierte eine Stickerei in Form des Wappens des Obrey-Clans, ein goldener Dreizack, umgeben von einem Ring aus Flammen. Die Allingtor-Familie versuchte zwar immer wieder aus ihrem eigenen Wappen, das drei Berge in einem Flammenkreis darstellte, abzuleiten, dass diese drei Berge eigentlich eine Krone symbolisierten, was ihren Regierungsanspruch rechtfertigte, kamen damit aber nicht so richtig durch. Bisher jedenfalls nicht.
Mehrere wichtig aussehende Berater, zu erkennen an ihren scharlachroten Umhängen, die sie über ihren Anzügen trugen und die mit einer goldenen Ziernadel in Form einer Krone auf einem riesigen Elfenbeinknopf auf den Anzugrevers festgesteckt waren, traten nun rechts und links an die Seite des »Obrey-Prinzen«.
Der Mann neben Pandora flüsterte seiner Sitznachbarin auf der anderen Seite zu: »Seine Mutter kommt wie wir aus dem Wagnox-Clan.« Stolz sprach aus seiner Stimme. Beide wiesen sie den typischen extrem hellen Hautton auf, für den der Clan bekannt war. Meist setzte sich im Wagnox-Clan diese fast durchscheinende Haut durch, die sich niemals zu bräunen schien. Da hatte sich seine Mutter tatsächlich ziemlich weit hochgearbeitet. Von Rang fünf, auf dem der Wagnox-Clan rangierte, auf eins, als sie den Vater von Daryan Sutrey heiratete, der offensichtlich ein Obrey sein musste. Oder sie war von ihrer Familie mutwillig verkuppelt worden, genau wie es der Hulk mit Pandora und Aspyn vermutlich vorhatte. Pandoras Blick verdüsterte sich. Der anschließenden Lobrede einer der Berater auf Daryan konnte sie kaum folgen. Ihre Gedanken schweiften immer wieder zu ihrer Grandma, ihrer noch nicht erwachten Begabung und schließlich zum Keuschheitsclub ab. Irgendwann wurde dem neuen Oberhaupt endlich die verdammte Krone aufgesetzt, was hoffentlich bedeutete, dass sie demnächst gehen konnten. Inzwischen fröstelte es Pandora in dem kühlen Raum. Sie hatte bei der Hitze, die draußen herrschte, weder eine Jacke noch ein Tuch eingepackt, was sich jetzt als ziemlich ungünstig erwies.
Und dann wurde es auf einmal laut im Saal. Flammen stoben rechts und links des Altars empor, genau in dem Moment, als Daryan Sutrey die Krone aufgesetzt wurde. Eine Fanfare ertönte, wonach Pandora die Augen verdrehte. So ein Quatsch aber auch.
»Und da wäre unser kleiner Prinz auf einmal zum König des guten Aussehens geworden«, bemerkte Aspyn.
»Tataaa«, echote Pandora.
Doch dann passierte es. Daryan Sutrey, jetzt mit Krone auf dem Kopf, die am unteren Rand mit Hermelinpelz gepolstert war, drehte sich zu seinen Clans um und merkwürdigerweise trafen sich in dieser Sekunde ihre Blicke. Daryan Sutrey starrte direkt in Pandoras Augen! Sie traute sich kaum zu blinzeln, vergaß sogar zu atmen. Das war ihr neuer König? Dieser junge Typ mit Augen so warm wie ein Kaminfeuer und den sanft geschwungenen Lippen?
Das konnte nicht sein. Vor ihr stand ein Filmstar und kein Phönixoberhaupt. So jedenfalls wirkte diese Szene auf sie. Sie musste träumen! Und dann starrte er sie auch noch so unverhohlen an, als wäre er … neugierig auf sie. Ja, so schien es fast. Warum auch immer – er wollte einfach nicht den Blick von ihr nehmen. Wie konnten sich Sekunden nur dermaßen in die Länge ziehen? Langsam begannen ihre Handinnenflächen zu schwitzen. Verdammt, warum schaute er sie so an? Unfähig, selbst den Blick abzuwenden, schluckte Pandora. Nach zwei Herzschlägen räusperte sich ein Berater.
»Im Garten werden Ihnen nun ein paar Erfrischungen gereicht. Um acht Uhr finden Sie sich bitte alle im großen Ballsaal ein.« Eine weitere Fanfare ertönte, worauf sich alle Gäste erneut erhoben. Der frischgekrönte Obrey-König, auf dessen Gesicht sich nun ein zufriedenes Lächeln abzeichnete, begann den Gang hinabzuschreiten. Andächtig neigten die meisten Leute, die er passierte, den Kopf. Mit Ausnahme einiger störrischer Rotschöpfe, versteht sich.
Als Daryan Sutrey am Ende an Pandora vorbeiging, wandte er urplötzlich den Kopf in ihre Richtung. Seine Augen schienen sie und nur sie anzustrahlen. Sein Lächeln, als er sie sah, wurde breiter. Flirtete das neue Oberhaupt der Phönixe etwa mit ihr? Mit ihr, Pandora Pearcinson aus dem Edison-Clan? Nur mit sehr viel Mühe gelang es Pandora, ihre Gesichtszüge nicht entgleiten zu lassen, sondern eine relativ ungerührte Miene beizubehalten. Aber dann war ihr Blickkontakt auch schon wieder vorüber und Daryan Sutrey verschwand in Richtung Garten. O großer Gott, sie würde ihn gleich bei diesem Umtrunk wiedersehen! Und später auch auf dem Ball! Auf irgendeine Weise machte ihr diese Vorstellung richtiggehend Angst. Mit Schweißperlen auf der Stirn begann sie wie wild an ihrem Purityring zu drehen.
»Sag mal, wirst du gerade rot?«, fragte Aspyn über das Zwillingsband, »stehst du etwa ernsthaft auf diesen Schnösel? Geht’s noch? Kann ich mich eigentlich von dir entzwillingen? Vielleicht wenn ich meinen Namen ändere und mich einer Schönheits-OP …«
»Klappe!« Mit aller Macht brach Pandora die Verbindung zu ihrer Schwester ab. In ihrem Inneren brodelte es. Auf so viel Aufregung konnte sie wahrlich gut verzichten!
Beim Hinausgehen ließ sie sich betont viel Zeit, verlor dadurch sogar den Anschluss an ihre Familie. Aber das machte ihr nichts. Ihrem Clan würde sie so oder so nicht entkommen können. Hin und wieder wurde sie von anderen Phönixmenschen zur Seite geschubst, was Pandora jedoch kaum wahrnahm. Komischerweise sah sie immer noch dieses perfekte Gesicht vor sich mit den weichen Zügen und dem sanften Lächeln, das nur ihr galt.
Aber hey, er war das neue Phönixoberhaupt und sie hatte sowieso kein Interesse an Männern und alldem, was dazugehörte, bis sie ihren Collegeabschluss in der Tasche hatte. Zumindest sah das ihr Lebensplan so vor.
Zögerlich stolperte sie irgendwann doch noch nach draußen. Aber halt, sie musste sich der feinen Gesellschaft eigentlich nicht anschließen. Dieser Umtrunk war im Gegensatz zur Krönung und zum Ball keine Pflichtveranstaltung. Zumindest sah Pandora das so. Sie richtete ihren Blick nach Westen, wo langsam die Sonne hinter dem Sunnyslope Mountain unterging. Ein wunderschöner Anblick, von dem sie nie genug würde bekommen können. Genau deshalb hatte ihre Mom auch eine Wohnung hier in der Nähe, im Nordosten der Stadt gemietet. Damit sie den Sunnyslope Sonnenuntergang bewundern konnten. Ihr Herzrhythmus beruhigte sich dadurch ein wenig. Da fiel ihr wieder ein, dass sie sich vorhin ein kühles Fußbad gewünscht hatte. Immer noch waren die Temperaturen etwas zu hoch, um sich nicht im Schatten aufzuhalten, selbst für einen Phönix. Unauffällig sah Pandora sich um. Ihre Füße hatten sie wie von allein zu einer einsamen Ecke des Parks nahe des Eingangstors getragen, wohingegen sich die Gäste im hinteren Teil am Teich aufhielten.
Weit und breit war niemand zu sehen, noch nicht mal ein Securitymitarbeiter. Eine Hecke trennte diesen Teil des Gartens von dem Areal um den Teich, wo der Umtrunk stattfand. Ein perfekter Sichtschutz. Also zog sich Pandora ohne weiter nachzudenken ihre hochhackigen Schuhe aus. Der nächste Springbrunnen war weniger als fünfzehn Schritte entfernt. Großzügig angelegt, erstreckte sich der kreisrunde Brunnen auf einem leicht abschüssig gelegenen Stück Rasens. Dankbar über die Abkühlung glitt Pandora auf die weiße Steinumrandung und ließ ihre Füße im Wasser baumeln. Endlich Ruhe und Entspannung. Keine Familie, keine nervige Schwester, die sie über das mentale Band zu kontaktieren versuchte … Herrlich. Doch kaum hatte sie die Augen geschlossen, ertönte ein Geräusch, das ihr sofort das Adrenalin ins Gehirn schießen ließ. Ein Geräusch, das für Pandora eins der allerschrecklichsten auf der Welt darstellte: Eine Ente quakte. Sobald sie die Augen öffnete, bemerkte Pandora die Entenfamilie, die auf sie zuwatschelte. Zwei erwachsene Tiere und drei halbwüchsige, nicht mehr ganz so kleine Jungtiere. Vor Schreck wäre Pandora beinahe kopfüber in den Brunnen gekippt. Gerade noch rechtzeitig krallte sie ihre Fingernägel in den Stein.
»Was ist los?«, wollte Aspyn über das Zwillingsband wissen. »Alles in Ordnung?« Sie musste Pandoras Angst gespürt haben.
»Enten, Enten, Enten! Hilfe!«
»Ach so, nur das Federvieh. Dann bis später, ciao!«
Stille.
Dieses Miststück. Aber dafür würde sie sich später mit einer Handvoll Käfer oder Spinnen rächen! Na toll. Dann war sie also auf sich allein gestellt. Hastig sprang Pandora auf. Kleine Steinchen bohrten sich in ihre Fußsohlen. Doch das war ihr in diesem Moment egal. Sobald sie einige Schritte gemacht hatte, bemerkte sie, dass ihr alle fünf Enten folgten. Sie beschleunigte ihre Schritte, einmal um den Brunnen herum. Die Entenfamilie nahm die Verfolgung auf. Laut quakend watschelten sie hinter ihr her. Konnte dieser Abend noch schlimmer werden? Noch eine Runde ging das so, dann noch eine Runde um den Brunnen herum. Immerhin konnte sie sich dieses Mal ihre Schuhe schnappen. Himmel! Wie lange sollte das noch so weitergehen? Ihr Herz schlug ihr so heftig gegen die Brust, als hätte sich seine Größe in den letzten Minuten verdoppelt. Nur durch permanentes In-Bewegung-bleiben, so glaubte sie, konnte sie verhindern, dass ihr die Enten in die Füße bissen. Denn davor hatte sie die allergrößte Angst, weswegen es ihr sicherer erschien, den steinernen Brunnen zwischen ihnen zu lassen, als einfach kopflos über die Wiese zu rennen. Außerdem würde sie sich damit zum Gespött der versammelten Gäste machen, die sie jenseits der Hecke unweigerlich erspähen würden. Ihr Herz hämmerte Pandora gegen die Brust. Das tiefstehende Sonnenlicht brach sich im Wasser des Springbrunnens, blendete sie fast, jedes Mal, wenn sie sich nach den Enten umsah. Warum nur hatten es Enten immer auf sie abgesehen? Schnaufend sprang sie über eine Wurzel.
»Was soll das denn werden? Ententanz?« Die Stimme ertönte so überraschend, dass Pandora zusammenzuckte. Sie schaute sich nach allen Seiten um, stoppte dann so abrupt, dass die Enten ein gutes Stück aufholen konnten. Daryan Sutrey, frisch gekröntes Phönixoberhaupt, stand mit verschränkten Armen neben einem Rosenstrauch ganz in der Nähe. Inzwischen ohne Krone, aber immer noch mit Obrey-Umhang. »Gehört das alles zur Show heute Abend? Führt ihr schon die Generalprobe auf?« Er lachte und konnte ganz offensichtlich gar nicht mehr damit aufhören.
Wie bitte? Dieser Idiot hatte ja wohl den Schuss nicht gehört! Augenblicklich wurde ihr Gesicht noch heißer. Wenn Pandora etwas wirklich hasste, dann war es ausgelacht zu werden! Etwas pikste sie in die Wade. Eine Ente hatte sich vorgewagt und mit dem Schnabel in ihr Bein gekniffen.
Unter lautem Gekreische rettete sich Pandora auf die Steinumrandung des Brunnens und sprang dann ins Wasser. Glücklicherweise ging es ihr nicht mal bis zu den Knien, weswegen ihr Kleid trockenblieb, als sie hindurchwatete.
Vom Rosenstrauch her ertönte Gelächter.
»Bei allem Respekt, diese Enten müsstet Ihr mal erziehen. Nichts gegen Euch, Eure Majestät«, keuchte sie dann, ohne Daryan anzusehen.
»Ach ja? Soll ich sie vielleicht in die Enten-Benimm-Schule schicken? Wirklich, du solltest Geld für diese Aufführung nehmen.« Mittlerweile machte sich der Obrey-König nicht einmal mehr die Mühe, irgendeine Form von Respekt zu zeigen.
Auf der anderen Seite kletterte Pandora wieder aus dem Brunnen. Die Haare klebten ihr verschwitzt im Nacken. Nach einem Blick zurück bemerkte sie, dass die beiden großen Enten ebenfalls nach oben auf die Steinumrandung geflattert waren. Ach, verdammt!
»Darüber macht man keine Witze. Ich habe eine Entenphobie.«
»Ach, ist das so?« Grinsend kam Daryan auf sie zu. »Hey, Entenvolk, Abmarsch! Zack, zack!« Er klatschte mehrmals in die Hände und das so nah bei den Enten, dass auf einmal sie die Gejagten waren und hastig das Feld räumten. Unfassbar, warum gelang ihr das nie? Pandora hatte immer das Gefühl, dass Enten zur Jagd riefen, wenn sie auftauchte und dafür bereitwillig ihre natürlichen Instinkte über Bord warfen, um sie zu erledigen …
Unfähig sich zu bewegen, stand Pandora einfach weiter auf der steinernen Brunnenumrandung. Die Haare verstrubbelt, den Tüllrock durcheinandergebracht und ihre Schuhe in der Hand, sah sie den Enten hinterher.
»Äham«, räusperte sich Daryan Sutrey, »darf ich dir vielleicht herunterhelfen?«
Verwirrt blinzelte sie ihn an. Wie war er jetzt so schnell zu ihr gekommen? Ihr Gehirn weigerte sich zu funktionieren und eine Entscheidung zu treffen, also starrte sie nur weiter auf seine Hand, die er ihr hinhielt, ohne sich zu rühren.
»Schockstarre?« Daryans Lächeln wurde breiter. Dann, vollkommen unerwartet packte er Pandora einfach mit beiden Händen an der Taille und hob sie vom Brunnenrand herunter.
Kaum hatte er sie abgesetzt, holte sie aus einem Reflex heraus aus und schlug ihm mit ihren Schuhen gegen die Brust.
»Finger weg.« Oh, oh! Was hatte sie getan? Das war der neue Phönixkönig, den sie da gerade geschlagen hatte! Hastig machte sie einen Schritt rückwärts. »Verzeihung, Eure Majestät. Ihr habt mich nur überrascht …«
Er neigte den Kopf zur Seite. Das Licht der untergehenden Sonne brach sich in seinem braunen Haar. Aus irgendeinem Grund wünschte sich Pandora plötzlich, die Hand heben zu können und ihm die längeren Strähnen aus dem Gesicht zu schieben, damit sie seine Augen sehen konnte. Gerade wirkte er wie eine dieser Manga Figuren, deren Haare ihr halbes Gesicht verdeckten. »Schon verziehen. Wie könnte ich jemandem mit so einer ausgeprägten Entenphobie einen Vorwurf machen?«
»Ihr macht Euch über mich lustig, Eure Majestät«, stellte Pandora fest.
»Bitte nenn mich doch einfach Daryan. Und darf ich fragen, wer du bist?«
»Pandora. Pandora Pearcinson.”
»Ah, eine Edison! Interessant. Was ist deine magische Begabung?«
Pandora zuckte zusammen. Er war ja ganz schön direkt. Eigentlich ging ihn das gar nichts an, diesen aufdringlichen Obrey-Bonzen, der wahrscheinlich Multiplikator war. Warum redete er überhaupt mit ihr?
»Pandora, bist du das?«, ertönte in diesem Moment die Stimme ihrer Großmutter. Noch nie hatte sie sich so sehr gefreut, den Hulk ihren Namen rufen zu hören.
»Ähm, ich muss los. Wir sehen uns ja dann.« Dankbar über diesen sich bietenden Ausweg nahm Pandora die Beine in die Hand. Eine Antwort auf Daryans Frage blieb sie ihm damit schuldig. Aber was machte es schon, wenn er sie für unhöflich hielt? Das machte doch nichts, oder? Wenn er sie deswegen ignorierte und nie wieder mit ihr sprach, würde ihre Welt auch nicht untergehen. Aber warum nur schnürte sich ihr bei diesem Gedanken auf einmal die Kehle zu? Was dachte sie sich bloß?
»Kind, wo hast du nur gesteckt?«, empfing sie der Hulk. »Ist das da hinten Daryan Sutrey, mit dem du gesprochen hast?« Ihre Grandma kniff die Augen zusammen.
»Ja, Granny, aber jetzt lass uns bitte gehen. Ich bin am Verdursten und wenn ich nicht gleich eine Limonade in der Hand halte, fackele ich mir diese Cinderella-Robe vom Leib.«
»Hast du mit dem neuen Oberhaupt unter vier Augen gesprochen?« Ihre Grandma tat gerade so, als hätte sie eine Audienz beim Papst gehabt. Also wirklich, das war nur irgendein stinkreicher Junge …
»Erzähle ich dir, nachdem ich meine Limonade hatte, in Ordnung?« Sie stützte sich an ihrer Großmutter ab, um wieder in ihre Schuhe schlüpfen zu können.
Dieses Friedensangebot war Beth Pearcinson endlich gewillt anzunehmen.
»Na gut, Kind, aber ich will genau wissen, über was ihr geredet habt.« Ihr Gesicht strahlte geradezu, wie bei einer Jubiläumsfolge ihrer Lieblingstelenovela in Spielfilmlänge.
Pandora packte ihre Grandma am Arm und zog sie mit sich. »Wir haben nicht viel geredet. Er hat nur ein paar Enten für mich verjagt. Das war’s.«
Ihre Großmutter verzog enttäuscht das Gesicht. »Wie schade.«
Als sie um eine weitere Hecke bogen, die in Wellenform geschnitten war, entdeckten sie plötzlich ihren Großvater in der Menge an Gästen, der ihnen fröhlich zuwinkte.
»Kommt her, meine Täubchen!« Hinter ihm standen zwei geschniegelte Typen in dunklen Anzügen, neben denen ihr Großvater wie ein Zirkusbär wirkte. Beide schauten recht desinteressiert drein, hatten die Hände in ihre Hosentaschen gesteckt. Ach verdammt, das musste die Überraschung sein. Sofort war Pandora klar, dass das eine ausgeklügelte Verkupplungsaktion werden sollte. Aus dem Augenwinkel sah sie ihre Mutter Aspyn heranschleppen, die versuchte einen bunten Drink mit Schirmchen zu balancieren, ohne dass die Flüssigkeit über den Rand des Glases schwappte.
»Aspyn, ist es das, für was ich es halte? Hilfe, der Hulk und Grandpa wollen uns mit diesen Typen bekanntmachen!«
Aspyn stutzte, aber leider war es bereits zu spät.
»Ach da sind ja meine beiden reizenden Enkelinnen«, freute sich Arthur Pearcinson jetzt. Komischerweise lud Lina Aspyn nur bei ihnen ab und begab sich dann ohne ein weiteres Wort zurück ins Gedränge. Wahrscheinlich hielt sie Ausschau nach ihrem Tierpfleger »Russel Sowieso-nan« … Im letzten Moment hatte sie Aspyn so heftig geschubst, dass sie mit der Schulter gegen ihre Schwester stieß.
»Hey, Entenopfer«, bemerkte Aspyn über den Zwillingsdetektor, »bleib cool. Diese Dumpfbacken vergraule ich schon. Keine Sorge.«
Aha. Pandora war sich da irgendwie nicht so sicher. Auf einmal kribbelte ihre Haut, als wolle sie sich selbst entzünden. Das passierte leider manchmal, wenn ihr etwas extrem peinlich war.
Normalerweise wirkte Phönixfeuer nicht zerstörend, wenn man es im Griff hatte und es sich nicht ungewollt verselbstständigte. Nicht mal ihrer Kleidung oder ihrer Umgebung schadete es. Außer Phönixe wollten etwas absichtlich in Brand stecken oder wurden von überschäumenden Emotionen getrieben. Dann konnte das Feuer verheerend sein und sich durch fast jedes Material fressen, ob brennbar oder nicht. Damals vor zwei Jahren, als sie gerade in die zehnte Klasse gekommen waren zum Beispiel, hatte Aspyn es fertiggebracht, sich auf der Schultoilette spontan mit allem Zipp und Zapp selbst zu entzünden, weil sie kurz zuvor ihren Schwarm knutschend im Flur mit einer Anderen erwischt hatte. Sie hatte die Kontrolle verloren, sehr zum Ärger von Pandora, die daraufhin im Fundbüro der Schule Ersatzklamotten für Aspyn hatte stehlen müssen.
»Schön, dass wir nun alle beisammen sind«, fuhr ihr Großvater in diesem Moment freudig fort. Das Unbehagen in Pandoras Gesicht schien er nicht zu bemerken. »Das hier sind Matt Eastlind und Drew Acewrin.« Er deutete auf die beiden Muskelpakete neben ihm. Wie die meisten hochrangigen Phönixe sahen die Typen gleichzeitig gut, aber auch fies aus. Der Linke, den ihr Großvater als Matt Eastlind vorgestellt hatte, machte den Eindruck eines hochgewachsenen, leicht genervten Marokkaners. Wahrscheinlich wollte er wie Pandora momentan so wenig hier sein wie auf der untergehenden Titanic. Mit seinen dunkelbraunen, zurückgegelten Haaren, den hellbraunen Augen und den breiten Schultern hätte er bei Model-Castings gute Chancen gehabt. Pandora schätzte ihn auf etwa dreiundzwanzig Jahre. Sein extrem dunkler Teint wies ihn eindeutig als Mitglied des Orwind-Clans aus. Der Typ, der rechts von ihm stand, mochte ein bis zwei Jahre jünger sein, hatte ebenfalls zurückgegelte Haare, die doch ein paar Nuancen heller wirkten und … waren das Strähnchen? Irgendwie erinnerte er sie unwillkürlich an James Dean, nur die Zigarette im Mundwinkel fehlte ihm. Grüne Augen und ein extrem gelangweilt verzogenes Gesicht, an dessen Rand ungewöhnlich spitze Ohren hervorlugten. Was war dieser Typ? Ein Elf?
»Aha«, machte Aspyn jetzt. »Vom Lubrin- und Orwind-Clan, wie ich sehe. Wie viel hat unser Großvater euch gezahlt, damit ihr mit uns redet?« Sie schlürfte übertrieben laut an ihrem Drink, wobei sie eine Augenbraue hob. Gar kein schlechter Move, fand Pandora.
Matt Eastlind schien bei Aspyns Worten aus seiner Trance zu erwachen. Er starrte sie an, zunächst verwirrt, dann musterte er Aspyns Aufmachung von oben bis unten, bis er auf einmal anfing zu lächeln. Das Ganze wirkte so, als wollte er innerhalb eines Fotoshootings zwischen verschiedenen Emotionen hin und her wechseln. Der Lubrin-Junge dagegen schaute stur in eine andere Richtung. Vielleicht aus Desinteresse oder er hielt Ausschau nach Mitgliedern des Wagnox-Clans, mit denen die Lubrins seit einer Weile im Clinch lagen. Diese Fehde schien ganz Romeo-und-Julia-mäßig von einem Liebespaar unter den Clans ausgelöst worden zu sein, die irgendetwas Verbotenes getan hatten. Seither gingen regelmäßig Autos, Boote und andere Statussymbole der beiden verfeindeten Clans in Flammen auf. Fast genau wie zwischen den Edisons und den Suelos. Nur herrschte bei dieser Fehde weniger Gewalt, aber dafür mehr eisige Abneigung vor.
»Wer ist wer?«, fragte Matt Eastlind jetzt. Seine Augen huschten zwischen den Zwillingen hin und her. »Ihr seht so gleich aus.«
»Ich bin Pandora«, behauptete Aspyn sofort.
»Lass den Unsinn«, zischte der Hulk, der sich von hinten an sie herangepirscht hatte. »Hören Sie nicht auf sie, das ist ihr eigenartiger Humor.« Sie hustete. »Natürlich ist sie Aspyn und meine Enkelin im blauen Kleid heißt Pandora.«
Matt grinste, nahm jetzt sogar die Hände aus seinen Hosentaschen.
»Ihre Enkelinnen sind wirklich beide absolut umwerfend. Aber ich glaube, ein Abend mit Miss Aspyn könnte durchaus unterhaltsam werden. Hättest du Lust, mich zum Ball zu begleiten?«
Aspyn hustete. Hustete so sehr, dass Pandora sich gezwungen fühlte ihr auf den Rücken zu klopfen. Die Totenkopf-Ohrringe führten einen hüpfenden Tanz auf, von dessen Anblick sich Pandora nur schwer losreißen konnte. Ein Schwall einer bunten Cocktailmischung ergoss sich ins Gras. Dann wandte sie sich wieder der Szenerie vor ihr zu. Matt betrachtete Aspyn gespannt, genau wie ihre Großeltern. Drew dagegen hatte den Kopf in den Nacken gelegt. Offensichtlich sollte Elfenohr in der Konsequenz dann ihr Ball-Date werden. Na ganz herzallerliebst. Dieser Typ war ja echt zum Knuddeln.
Grandma Beth klatschte in die Hände.
»Natürlich will sie, nicht wahr, Spätzchen?« Sie verpasste ihr einen Schlag, der Aspyn in Richtung Matt taumeln ließ. Autsch, das würde einen heftigen blauen Fleck geben. Wenn der Hulk zuschlug, sah man danach aus wie ein Schlumpf.
Überraschenderweise fing Matt sie ganz gentlemanmäßig auf.
»Tja.« Arthur Pearcinson kratzte sich am Kopf und wandte sich dann Drew Acewrin zu. »Vielleicht möchten Sie dann mit Pandora zum Ball gehen? Ihre Mutter sagte, Sie hätten noch keine Verabredung.«
Aha, dachte Pandora, da ist der herzige Drew von seiner Mutter an den Pearcinson-Clan verschachert worden. Da fragt man sich doch unwillkürlich, was er angestellt haben muss, damit man ihn bereitwillig einem Phönixmädchen überlässt, das in der Hierarchie drei Stufen unter ihm steht …
»Hm?« Drew blinzelte. »Weiß nicht, willste?«, nuschelte er dann in Pandoras Richtung. Links von ihm bemerkte Pandora Aspyn, die zuerst kicherte und dann mehrere Grimassen zog, die wohl Drews Geisteszustand in Frage stellen sollten. Natürlich bekam sie, Pandora, das behämmertste Date aller Zeiten ab. Sicher ein Schwerverbrecher, den seine Familie loswerden wollte … Ob sie Aspyn überreden konnte, den Typ zu vergraulen? Warum eigentlich hatte ihre Schwester diesen Plan aufgegeben? Womöglich hatte sie genug mit ihrem Matt zu tun, oder halt! Genoss Aspyn gerade etwa Matts Aufmerksamkeit? Deutlich hörbar atmete Pandora ein. Sah ganz danach aus, so wie sie sich in Szene schmiss. Verdammt.
»Sag mal, was ist aus ›du vergraulst die Typen‹ geworden? Lässt du dich gerade von ihm feiern, oder was?«, teilte sie ihrer Schwester wütend mit.
»Reg dich ab, er ist wie ein kleines Hündchen, das mir Komplimente macht. Ist doch ein handzahmer Schnuckel. Der tut niemandem was.«
Pandora kniff die Augen zusammen. Das durfte doch alles nicht wahr sein! In diesem Moment erschien ein Arm am unteren Rand ihres Sichtfelds. Drew rammte ihr fast den Ellenbogen gegen die Schulter. Sollte das eine Aufforderung werden, sich bei ihm unterzuhaken? Sah ganz danach aus … Und ihr blieb keine andere Wahl. Um sie herum starrten sie alle erwartungsvoll an, wie eine Erstklässlerin, die ihre Zuckertüte für ein Foto in den Arm gedrückt bekam.
In einem letzten verzweifelten Versuch warf sie ihrer Familie einen flehenden Blick zu, aber niemand rührte sich. Abgesehen von den Mundwinkeln ihrer Grandma, die sich merklich hoben. Drew führte sie tatsächlich von ihrer Familie weg, in Richtung einer der Bars, die unter weißen Stoffzelten aufgebaut waren. Immerhin etwas Kühles zu trinken! Die Hälfte der Drinks wurde zwar von blauen züngelnden Flammen auf der Oberfläche verziert, doch es musste sicher auch kühle Getränke geben.
»Auch ein Bier für dich?«, wollte Drew schließlich wissen, nachdem er den ganzen Weg über geschwiegen hatte. Sein elfenhaftes Ohr zuckte. An irgendjemanden erinnerte er sie, aber Pandora kam nicht darauf, an wen. Diese grünen Augen und das spitze Kinn …
»Ähm, nein danke. Für mich Ginger Ale bitte.«
Ohne ein weiteres Wort ließ er sie an einem Stehtisch zurück, der mit Lavendel und Zitrusfrüchten dekoriert war. In der Mitte erhob sich eine Flamme im Glaszylinder wie eine Topfpflanze bei rein menschlichen Gartenfesten. Sie nahm eine Zitrone und drehte sie in ihrer Hand. Phönixmenschen achteten auf die alten Traditionen ihrer Heimatstadt, die nicht nur nach ihnen benannt war, nein Phönix, Arizona war auch für seine Zitrusfrüchte, jede Menge Kupfer und Baumwolle bekannt, soviel wusste Pandora, auch wenn sie nicht allzu viel Kontakt zu anderen Phönixen pflegte.
Zwei Minuten später war Drew mit einem Bier und einer Apfelsaftschorle zurück. Pandora starrte erst ihn und dann das Saftgetränk an, das er ihr hinhielt. Na, das konnte ja heiter werden!
So ungemein heiter, dass in den nächsten Minuten keiner von beiden ein Wort sagte. Drew pulte an dem Etikett seiner Bierflasche herum und Pandora schnaubte nur ab und zu, wenn sie einen Schluck Saft nahm, den sie weder bestellt hatte, noch besonders gut leiden konnte.
»Na, hast du Spaß?«, hörte sie irgendwann Aspyns Stimme in ihrem Kopf.
»Ja, ungefähr so viel Spaß wie bei einer Beerdigung.«
»Dann ist ja gut. Der Hulk hat mich gerade gefragt, ob ich die Emotionen meines Dates lesen kann.«
Aha, da versuchte Grandma Beth wohl herauszufinden, ob Aspyn sich zur Emotionenleserin entwickeln könnte.
»Aber nein, kann ich natürlich nicht. Außer, dass er mich mit seinen Blicken quasi auszieht und ich daher einen ziemlich wettsicheren Tipp habe, was seine Gedanken angeht …«
Pandora musste sich das Grinsen verkneifen, dann hob sie den Kopf, um ihre Schwester in der Menge zu erspähen, aber das stellte sich als aussichtsloses Unterfangen heraus. Zu viele Phönixe trieben sich auf dem Rasen herum.
»Jetzt bittet mich der Hulk dich zu fragen, ob du die Gedanken von diesem Lubrin-Bonzen lesen kannst …«
Seufzend wandte Pandora ihre Aufmerksamkeit wieder Drew zu, versuchte sich sogar anzustrengen, seine Gefühle wahrzunehmen, obwohl das natürlich alles vollkommen idiotisch war. Was empfand Drew Acewrin in diesem Moment? Aber nein, nichts passierte.
»Nein, keine Chance.«
Dennoch betrachtete sie ihn eine Weile, wie er penibel das Klebeetikett an seiner Flasche nach und nach ablöste und zu einem kleinen Scheiterhaufen aufschichtete. Dann, als nur noch Klebereste an der Flasche zurückgeblieben waren, kniff er die Augen zusammen und ließ den Haufen in Flammen aufgehen. Sobald das Phönixfeuer heruntergebrannt war, pustete er die Asche vom Tisch. Ziemlich ausgefuchst.
Seine Lippen bewegten sich die ganze Zeit über. Möglicherweise summte er seinen Lieblingssong oder war einfach nur irre. Auf einmal umfasste er seine Bierflasche, als wolle er von ihrem nichtvorhandenen Etikett ablesen. Doch er schwieg einfach weiter, presste seine Finger nur noch fester gegen das braune Glas. Und auf einmal verbog es sich! Die Flasche verzog sich so, dass Drew seine Finger genau in der Mitte in eine Einkerbung legen konnten. Er hatte die Flasche personalisiert, auf seine Handform gepresst, sozusagen. Ohne das Glas kaputtzumachen. Unglaublich.