2,99 €
Die fünfzehnjährige Allegra beweist, dass verletzte Gefühle eine starke Motivation sein können, um seine Ziele unbedingt erreichen zu wollen. Die Trennung der Eltern hatte sie hart getroffen und die Scheidung akzeptiert sie nicht als bindend. Ihrer Meinung nach, muss man die Beiden nur auf den rechten Pfad zurückführen. Um dies zu erreichen will sie Jasmin, die Verlobte ihres Vaters, aus dem Weg räumen. In der Überzeugung das Richtige zu tun, schreckt Allegra auch nicht vor Hexerei zurück. Mit Schrecken muss sie allerdings feststellen, dass sie mit den übernatürlichen Kräften nicht umgehen kann. Der von ihr ausgesprochene Fluch hat unerwartete Konsequenzen. Und ausgerechnet Jasmin scheint der Schlüssel zu sein, um sich aus der Misere zu befreien. Eine spannende und fantastische Geschichte, die ihre Leser einfach in ein Abenteuer von der Gegenwart in die Vergangenheit mitnimmt. Nicht nur alle Fantasy – Fans kommen bei diesem Buch auf ihre Kosten, sondern auch die, die an romantisch und historisch angehauchte Romane interessiert sind. Ein übernatürliches Vergnügen, dass durch seine Twists und Turns überzeugt.
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Inhaltsverzeichnis
Allegras Fluch
WIDMUNG
KAPITEL 1
KAPITEL 2
KAPITEL 3
KAPITEL 4
KAPITEL 5
KAPITEL 6
KAPITEL 7
KAPITEL 8
KAPITEL 9
KAPITEL 10
KAPITEL 11
KAPITEL 12
KAPITEL 13
KAPITEL 14
KAPITEL 15
KAPITEL 16
KAPITEL 17
KAPITEL 18
KAPITEL 19
KAPITEL 20
KAPITEL 21
KAPITEL 22
KAPITEL 23
KAPITEL 24
KAPITEL 25
KAPITEL 26
KAPITEL 27
KAPITEL 28
KAPITEL 29
KAPITEL 30
KAPITEL 31
KAPITEL 32
KAPITEL 33
KAPITEL 34
KAPITEL 35
ÜBER DEN AUTOR
Impressum
Kerstin McNichol
Copyright © 2022 Kerstin McNichol
2. Auflage
Impressum.
Autor Kerstin McNichol
Covergestaltung: Betibup33 design
Kerstin McNichol, St. Neots, PE19 7RR, Cambridgeshire, Großbritannien
Alle Rechte vorbehalten
In Gedenken an Ingrid
INHALT
DANKSAGUNG
Ich bedanke mich bei Matthias Rieger für die hervorragende Zusammenarbeit, da
Allegras Fluch
zuvor in seinem Verlag erschienen war:
Traum³, Matthias Rieger, Am Kanal 7, 48308 Senden
www.traum3.de
Die Covergestaltung stammte damals von Ingo Dieckmann
Das Cover ist nun geändert und ersetzt durch Betibup33 design
„Wir sind verlobt“, quietschte Jasmin vergnügt, während sie Allegra die Hand entgegenstreckte.
Den Ringfinger zierte ein zartes Band mit einem funkelnden Stein in der Mitte. Offensichtlich hatte sich ihr Vater nicht lumpen lassen. Allegra wusste nicht, was sie mehr verärgerte. Die Tatsache, dass er so viel Geld für eine Torheit ausgab, oder dass diese Hochstaplerin nun ihre Stiefmutter-in-Spee war.
„Gratuliere“, gab sie möglichst neutral von sich und blickte dabei Jasmin in die Augen.
Jasmin sollte erkennen, dass sie ihr Spiel durchschaute.
Die erhoffte Gegenreaktion blieb aus. Allegra hatte darauf gezählt, dass Jasmin die Beherrschung verlieren würde und sie anschrie. So hätte ihr Vater ihren wahren Charakter erkennen müssen. Doch stattdessen schmiegte sich Jasmin eng an Alexander und blickte ihn nicht nur verliebt an, sondern streichelte mit der linken Hand über seinen Brustkorb, sodass der Ring im Licht wie eine Trophäe glitzerte.
Selbstverständlich erwiderte er die Geste und zog seine junge Gefährtin noch enger an sich heran. Die jugendliche Verliebtheit, welche die beiden zur Schau stellten, ärgerte Allegra maßlos. Es war ihr nicht nur unangenehm, dass ihr Vater von Jasmin nicht genug zu bekommen schien, sondern sie fand auch, dass er sich permanent wie ein dummer Schuljunge benahm und nicht wie der neunundvierzigjährige erfolgreiche Geschäftsmann, der er war. Angewidert wendete sie den Blick ab, wenn sich die beiden küssten. Allegra konnte und wollte sich einfach nicht daran gewöhnen, dass ihr Vater diese Frau liebte. Zum einen war er mehr als doppelt so alt wie sie, und zum anderen war Jasmin mit ihren vierundzwanzig Jahren lediglich neun Jahre älter als sie selbst
Seit Anbeginn dieser unheilvollen Beziehung hatte für Allegra festgestanden, dass Jasmin ihren Vater lediglich ausnutzte. Außer dem Studium eines unbedeutenden Faches an der Uni, hatte sie nichts weiter vorzuweisen. Jasmin war pleite und das, was sie als Liebe darstellte, war nichts weiter als ein uralter Trick mit dem sich Weiber wie sie das Vermögen von verblendeten Männern in der Midlife-Crisis aneigneten. Dieser Ring untermauerte Allegras Vorbehalte, zumal vor kurzem noch die Rede davon war, dass Jasmin das Studium aufgeben und sich von Alexander ein kleines Ladenlokal in der Stadt finanzieren lassen wollte.
Für Allegra war die Sache glasklar. Hier ging es nicht um Liebe, sondern lediglich darum, für die eigene Zukunft auszusorgen. Und dies schien Jasmin während des romantischen Wochenendes in den Bergen endgültig gelungen zu sein. Der Verlobungsring war der untrügliche Beweis dafür, dass Jasmin den Aufstieg von der Freundin zur Verlobten geschafft und sich dadurch den Platz in der Familienhierarchie gesichert hatte.
Dennoch war dies kein Grund, dass Allegra ihre Anstrengungen Jasmin loszuwerden einstellen würde. Im Gegenteil, sie würde ihre Bemühungen verdoppeln; Jasmin durfte nicht ihre Stiefmutter werden. Da Alexander altmodisch war würde er Jasmin so schnell wie möglich heiraten wollen. Allegra war der Meinung, die Verliebtheit ihres Vaters wäre nur der törichte Versuch, an seiner Jugend festzuhalten und sich so über die Scheidung hinwegzutrösten.
Jasmins albernes Gekicher riss sie aus den Gedanken und Allegra blickte zu den beiden herüber. Es machte sie wütend zu sehen, wie ihr Vater sanft den Hals seiner Verlobten küsste und sie sich dabei noch enger an ihn drückte.
Allegra platzte der Kragen.
„Verdammt noch mal, spart euch diese Liebelei für ein Publikum auf, das euch den Nonsens abnimmt“, keifte sie.
„Was erlaubst du dir?“, rief der Vater ebenso verwundert wie empört.
In seinem Blick lag eine Mischung aus Unglauben und Zorn.
Unwillkürlich senkte Allegra unter dem strengen Blick den Kopf. Seine heftige Reaktion hatte sie erschreckt. Sie hatte ihn auch nicht so anblaffen wollen und schaute ihn schüchtern an, um sich zu entschuldigen. Doch als Jasmin den Arm um seine Taille legte und sie vorwurfsvoll ansah, konnte sich Allegra nicht mehr beherrschen.
„Wie konntest du eine derartige Torheit begehen? Wieso begreifst du nicht, dass sie sich nur ins gemachte Nest setzen will?“, schleuderte sie ihm wütend entgegen.
„Ich warne dich, treib es nicht zu weit“, forderte er und hob mahnend den Zeigefinger, während er einen Schritt auf seine Tochter zuging.
„Papa, bist du echt so naiv zu glauben, dass diese Beziehung funktionieren würde? Für sie bist du nur ein alter Idiot, den sie ausnehmen kann“, rief Allegra und sah ihn mit fiebrigen Augen an.
„Allegra, das reicht! Du entschuldigst dich sofort bei Jasmin“, verlangte er streng.
Allegras Herz klopfte vor Aufregung als sie in die entschlossenen Augen ihres Vaters blickte, doch anstatt einzulenken kniff sie die Lippen zusammen und starrte ihn mit leicht nach vorn gesenktem Kopf angriffslustig an. Er hatte einen Nerv getroffen.
„Diese Verlobung ist lächerlich. Du steckst doch nur in der Midlife-Crises.“
„Das reicht, Allegra“, fuhr er ihr über den Mund. „Du gehst augenblicklich auf dein Zimmer, bevor ich mich vergesse.“
„Gewalt ist alles, was dir dazu einfällt? Die hat dich bereits auf ihr Niveau heruntergezogen?“ Allegras Mienenspiel sprach Bände.
„Verschwinde auf dein Zimmer“, kam es gepresst von Alexander.
Allegra glaubte zu sehen, wie sehr er unter dieser Auseinandersetzung litt und wertete dies als einen Schlachtsieg.
Mit einem undamenhaften Knurren stand sie ihm gegenüber. Sie glaubte auf der Gewinnerstraße zu sein und wollte etwas erwidern, doch als er seine Augenbraue hob verließ sie der Mut. Beleidigt hielt sie den Mund und machte auf dem Absatz kehrt, nicht ohne Jasmin zuvor einen abschätzigen Blick zuzuwerfen.
Allegra fühlte sich unverstanden. Sie hatte nichts weitergewollt, als ihren Vater aufzuwecken. Er musste doch endlich einsehen, wie unnatürlich diese Beziehung war. Er konnte sich doch nicht permanent gegen ihre Argumente sperren.
Bei allem, was sie bisher unternommen hatte, war er uneinsichtig geblieben. Die offene Ablehnung, die sie Jasmin entgegengebracht hatte, versuchte er mit irgendeinem psychologischen Unsinn zu erklären. Er wollte einfach nicht verstehen, dass nicht Jasmin die Richtige war, sondern seine geschiedene Frau. Erfuhr ihre Mutter erst einmal von der Verlobung, dann konnte sie die Hoffnung auf eine Versöhnung zwischen ihren Eltern begraben.
Selbstverständlich war der Weggang ihrer Mutter ein tiefer Schock für Allegra gewesen und hatte sie damals sehr verletzt. Dennoch hatte sie ihr verziehen und wollte nichts sehnlicher, als dass sie zurückkam. Als Tochter war sie davon überzeugt, dass auch ihr Vater ihr verzeihen würde, zumal zwanzig Ehejahre nicht einfach so fortzuwischen waren. Allegra sah es als ihre Aufgabe an, den Platz an seiner Seite freizuhalten, damit die Mutter wieder in den Familienkreis zurückkehren konnte. War Jasmin erstmal seine Frau, dann hätte sich diese nicht nur endgültig auf dem stattlichen Landsitz eingenistet, sondern auch alle weiteren Versöhnungsversuche der Eltern vereitelt.
Alles was sie bisher in dieser Richtung unternommen hatte war nicht nur gescheitert, sondern sorgte dafür, dass ihr Vater sie wie ein eifersüchtiges Kind behandelte. Dies schmerzte, zumal sie mit fünfzehn alles andere als ein Kind war. Sah er nicht, wie widersprüchlich er sich verhielt? Er sprach ihr ab erwachsen zu sein und lebte gleichzeitig mit einer Freundin, die gerade mal neun Jahre älter als die eigene Tochter war.
Verbittert erinnerte sich Allegra daran, wie er sie mit dreizehn vor vollendete Tatsachen gestellt hatte, als er ihr von der Scheidung berichtete. Damals hatte er mit ihr wie mit einer Erwachsenen geredet und erklärt, dass sie alles versucht hätten und es daher für alle Beteiligten eine Scheidung das Beste wäre.
Wie hatte er so etwas behaupten können? Für sie war es definitiv nicht das Beste gewesen. Sie hatte ihre Mutter genauso gebraucht wie ihren Vater.
Doch war darauf nur mit einem lapidaren, „an unseren Gefühlen für dich wird sich nichts ändern“ reagiert worden und ihr wurde eröffnet, dass die Scheidung bereits eingereicht war. Man hätte sie nicht damit belasten wollen.
Und da dies ein Gespräch unter Erwachsenen war erfuhr Allegra so ganz nebenbei, dass sich die Eltern bereits seit längerem auseinandergelebt hatten und jeder von ihnen einen neuen Partner hatte.
Diese Tatsache war ein großer Schock für sie. Allegra wollte weder akzeptieren, dass die Eheprobleme unlösbar sein sollten, noch, dass man ihr für so lange Zeit etwas vorgemacht hatte. Alles in allem bewies dies nur, dass sie niemand trauen konnte. Aus dieser bitteren Erfahrung hatte sie eine Lehre gezogen. Niemand sollte sie jemals wieder zum Narren halten.
Und dennoch war sie heute erneut überrumpelt worden. Der glänzende Ring an Jasmins Finger machte deutlich, dass sie stets auf der Hut sein musste. Allegra sah die Verlobung als offene Kriegserklärung seitens Jasmins an.
Hatte sie sich bisher noch relativ umgänglich gezeigt, wollte sie nun alles in ihrer Macht stehende unternehmen, die Beziehung endgültig zu beenden. Die vergangenen Unternehmungen in diese Richtung waren erfolglos verpufft. Allegra konnte und durfte ihre Familie nicht ins Verderben laufen lassen.
Egal was die Verlobte behauptete, Allegra glaubte nicht an die Echtheit ihrer Gefühle für Alexander. Offensichtlich war er blind gegenüber den verbrecherischen Absichten seiner zukünftigen Frau. Als Tochter hatte sie schließlich die Pflicht dafür zu sorgen, dass ihm endlich die Augen geöffnet wurden.
Dummerweise stieß sie mit ihren guten Absichten auf ein Problem. Je mehr sie darum bemüht war, an seine Vernunft zu appellieren, umso verärgerter reagierte er. Je hartnäckiger er an dieser Liebe festhielt, umso hilfloser fühlte sie sich.
Für Allegra ein eindeutiges Zeichen dafür, wie sehr er unter dem Bann dieser Hexe stand.
Allegra verließ fluchtartig das Haus, hier hielt sie nichts mehr; sie setzte sich auf ihr Fahrrad und radelte davon. Es gab nur eine Person, bei der sie jetzt das notwendige Verständnis und Unterstützung finden würde. Ingrid hatte sich als eine Vertraute und Verbündete gegen Jasmins Machenschaften erwiesen. Beide waren sicher, dass Jasmin lediglich aufs Geld aus war.
Ingrid würde mit Sicherheit wieder mit einem entsprechenden Plan aufwarten, mit dem man die Verlobung auflösen könnte. Gerade jetzt musste es ihnen endlich gelingen Alexander davon abzuhalten, einen gravierenden Fehler zu begehen.
Allegra grauste es allerdings auch vor einem weiteren unorthodoxen Vorschlag.
Der letzte Versuch war sehr nervenaufreibend und hatte Allegra in regelrechte Angstzustände versetzt. Noch lange Zeit nach Durchführung des Experiments schlief sie unruhig und war verstört. So sehr, dass sich dies auf ihre schulische Leistung und ihr Verhalten während des Unterrichts ausgewirkt hatte.
Dummerweise hatte sie dies in eine ernsthafte Zwangslage gebracht, da ihr Vater ihr Verhalten missverstand und als Provokation wertete.
Unmöglich hatte sie ihm den wahren Grund für ihr seltsames Verhalten nennen können. So gern sie es auch getan hätte, wäre es unklug gewesen sich ihm zu öffnen und zu erklären, dass ihr Benehmen lediglich mit den Angstzuständen zu tun hatte, unter denen sie litt. Selbstverständlich hätte er so nicht nur die Wahrheit erfahren, sondern hätte die Tochter wohlmöglich noch in die Psychiatrie einweisen lassen. Damit wäre dann alles aus gewesen. Allegra hatte also keine andere Wahl gehabt als sich zusammenzureißen und Besserung zu geloben. Auf keinen Fall durfte er erfahren, was sie getan hatte, um Jasmin loszuwerden. Dies hätte ihr Verhältnis zu ihm unwiederbringlich zerstört.
Zumindest hatte Allegra aus dieser Erfahrung eine wertvolle Lehre gezogen. Egal was Ingrid noch vorschlagen würde, sie würde nicht mehr so unbedacht alles ausprobieren. Die Konsequenzen der letzten Aktion waren ihr eine deutliche Mahnung.
Allegra kündigte sich per Text bei Ingrid an. Allegra wusste, wieso es ihr trotz der späten Stunden nichts ausmachen würde, dass sie vorbeikam. Sie konnte darauf vertrauen, dass Ingrid den Ernst der Lage verstand. Obwohl sie auch den Verdacht hegte, dass Ingrids Interesse nicht nur auf reiner Freundschaft basierte. Es kam ihr so vor, als trug diese verhasste Liebesbeziehung zu Ingrids Unterhaltung mit bei. Allerdings konnte es auch sein, dass sich Ingrid emotional besser distanzieren konnte, da sie nicht Alexanders Tochter war und so die Sache mit Abstand betrachten konnte. Im Gegensatz zu ihrem eigenen war Ingrids Familienleben als trist zu bezeichnen. Wahrscheinlich war es für Ingrid eine willkommene Abwechselung zum wohlbehüteten Alltag. Allegra hatte beobachtet, dass die Ehe von Ingrids Eltern spießig und eingefahren war. Nichts passiert.
Möglicherweise war dies der wahre Auslöser, wieso Ingrid beim letzten Mal so leichtsinnig war und trotz Allegras Bedenken auf eine Durchführung des ungewöhnlichen Plans beharrt hatte.
Obwohl dies das Aufregendste war, was die beiden jemals gemeinsam unternommen hatten, würde wohl auch Ingrid nicht mehr auf eine Wiederholung wertlegen. Schon die Erinnerung daran war einfach schauderhaft und bereitete Allegra immer noch Albträume.
Nach nur ein paar Minuten hatte sie Ingrids Haus erreicht und war von der Mutter eingelassen worden. Hier war ihr zweites Zuhause. Die beiden kannten sich seit dem Kindergarten.
Wie selbstverständlich begab sie sich auf das Zimmer ihrer Freundin. Missmutig warf sie sich aufs Bett und blickte genervt an die Decke. Die Begrüßung bestand nur aus einem kurzen Kopfnicken.
„So, die Turteltauben sind also aus ihrem Liebesurlaub wieder zurück?“, stichelte Ingrid.
„Das kannst du laut sagen“, entgegnete Allegra und verzog angewidert das Gesicht. „Jasmin trägt einen Verlobungsring!“
„Nein! Bist du sicher?“
„Und ob ich sicher bin! Jasmin zeigte mir triumphierend den Ring an ihrer Hand.“ Allegra machte eine Pause und drehte sich zur Freundin. „Am liebsten hätte ich ihr den Finger abgebissen!“ Wütend ließ sie sich auf den Rücken fallen und starrte wieder die Zimmerdecke an. „Was soll ich denn jetzt nur machen?“
Ingrid zuckte mit den Schultern.
„Mit deinem Vater zu reden, macht sicherlich keinen Sinn!“
„Nope… egal, was ich ihm sage; er glaubt mir nicht. Weigert sich sogar mir zuzuhören. Er will nichts davon wissen, dass Jasmin nicht gut für ihn ist. Die Sache ist aussichtslos. Ich fürchte, dass ich mich mit einer geldgierigen Stiefmutter abfinden muss.“ Die Resignation in der Stimme war unüberhörbar.
„Der spinnt doch!“, stellte Ingrid empört fest. „Möglicherweise gingen wir die Sache falsch an. Nicht deinen Vater musst du überzeugen, sondern Jasmin!“
Allegra drehte den Kopf zu Ingrid und blickte sie skeptisch an.
„Wie meinst du das?“
„Ich glaube, wir haben aufs falsche Pferd gesetzt. Dein Vater ist vor Liebe blind. Doch Jasmin ist nicht so unverwundbar, wie sie gern möchte.“
„Rede nur weiter!“
„Wenn Jasmin wirklich nur aufs Geld deines Vaters aus ist, dann müsste es doch ein Leichtes sein, sie zu bestechen. Rede mit deinem Vater und schlage ihm vor, dass du gern einen ungestörten Abend mit Jasmin verbringen willst.“
„Das nimmt der mir doch nicht ab.“
„Erkläre ihm einfach, dass du deine zukünftige Stiefmutter besser kennen lernen möchtest, da ihr keinen besonderen guten Start hattet. Glaub mir, der wird sich freuen und keinerlei Misstrauen hegen, wenn du mit ihr in privater Atmosphäre redest. Mach ihr einfach während des Abends klar, dass es nicht zu ihrem Nachteil wäre, wenn sie die Finger von Alexander lässt.“
Allegra wurde nachdenklich. Dennoch war sie nicht ganz überzeugt. Ihr erschien der Plan zu einfach. Sie konnte sich nicht vorstellen, dass Jasmin so leicht zu beeinflussen und zu manipulieren war.
„Was ist, wenn es nicht funktioniert?“
„Dann wiederholen wir einfach die andere Sache. Möglicherweise hatten wir beim ersten Mal etwas falsch gemacht. Es hätte funktionieren müssen.“
Allegra schüttelte den Kopf.
„Nein! Auf keinen Fall werden wir das wiederholen. Von so was sollten wir die Finger lassen.“ Resigniert fügte sie hinzu: „Dann verbringe ich lieber einen Abend mit ihr.“
Ingrid nickte zufrieden. Sie schien erleichtert zu sein über Allegras Entscheidung.
„Irgendwelche Vorschläge?“
Ingrid deutete mit dem Finger hinter Allegra. An der Wand hing ein Poster.
„Gehe doch mit ihr ins Musical. Tanz der Vampire hatte dir gut gefallen. Vorher gehst du mit ihr etwas essen. Dabei kannst du bereits ein wenig Vorarbeit leisten und nach dem Musical machst du sie endgültig fertig.“
Allegra nickte. „Ich wette, Papa wird sogar den Abend finanzieren.“
Beide lachten verschwörerisch.
Eine halbe Stunde später machte sich Allegra wieder auf den Heimweg.
Obwohl sie nicht wirklich Lust dazu verspürte, war es dennoch besser sofort in die Höhle des Löwen zu gehen. Sollte der Plan funktionieren, musste sie ihrem Vater gegenübertreten.
Angst hatte sie nicht vor ihm, allerdings schämte sie sich für ihr Verhalten. Es tat ihr auch leid, dass sie ihn anschwindeln musste. Doch letztendlich geschah dies nur zu seinem Besten. Allegra würde ihr komplettes schauspielerisches Talent aufbringen müssen, um ihn von der Ehrlichkeit ihres Vorhabens zu überzeugen. Nur sie war in der Lage, ihn vor den größten Fehler seines Lebens zu bewahren. Kaum hatte sie den Gedanken geformt, musste sie ihn korrigieren. Denn in ihren Augen war die Verlobung bereits ein Fehler. Nun war es umso wichtiger, ihn nicht noch weiter in sein Unglück rennen zulassen.
Sachte klopfte sie an die Tür des Arbeitszimmers und wartete die Aufforderung zum Eintreten ab.
Er saß am Schreibtisch und tippte unbeirrt auf der Computertastatur. Sie fühlte sich plötzlich wieder wie ein kleines Mädchen; sein kleines Mädchen.
„Was gibt es?“ Die Frage klang desinteressiert.
Allegra war klar, dass der Grund für sein unterkühles Verhalten die vorangegangene Auseinandersetzung war. Sie wusste, dass sie bei ihm eine Grenze überschritten hatte. Wollte sie jetzt bei ihm punkten, musste sie sich unterwürfig zeigen. Schließlich war der Mann am Schreibtisch ihr Vater und er brauchte hin und wieder das Gefühl, dass er das Sagen in diesem Hause hatte. Vorsichtig schritt sie auf den Schreibtisch zu.
„Papa…!“ Ihre Stimme hatte einen kindlichen Unterton.
„Hmmmh!“, erwiderte er nüchtern.
„Ich muss dir etwas sagen.“ Allegra legte eine Pause ein und hoffte darauf, dass er sie ansah. Doch den Gefallen tat er ihr nicht. Er ließ ihr keine Wahl. Obwohl es ihr schwerfiel und sie ihm lieber etwas anderes gesagt hätte, riss sie sich zusammen und spielte ihre Rolle.
„Ich möchte mich für mein Benehmen von vorhin entschuldigen!“
Genau das hatte er wohl hören wollen. Augenblicklich ließ er vom Computer ab und schenkte ihr seine ungeteilte Aufmerksamkeit. Sein Blick machte deutlich, dass er nicht hundertprozentig von Allegras Sinneswandel überzeugt war. Sie griff zu einer kleinen Notlüge.
„Ich habe vorhin mit Ingrid gesprochen und sie war der Meinung, dass ich Jasmin unbedingt eine Chance geben muss.“
Alexander ging ihr auf den Leim. Er wusste vom guten Einfluss der Freundin und ließ es darauf beruhen.
„Sie fand, dass ich mich falsch verhalten habe und meinte, dass nun der Zeitpunkt gekommen sei, Jasmin endlich richtig kennenzulernen.“ Allegra machte eine Pause und sah ihn scheu an. „Wäre es dir Recht, wenn ich mit ihr einen ungestörten Abend verbringen würde?“ Sie schaffte es sogar, ein Lächeln hinzuzaubern.
Alexander erwiderte die Geste.
Allegra wusste, dass sie gewonnen hatte. Jetzt konnte sie von ihm bekommen, was sie wollte.
„Wie ich dich kenne, hast du einen Plan. Was hast du vor?“
„Ich möchte Musical-Karten für „Tanz der Vampire“. Ich finde, es wäre doch ein guter Anfang einen vergnüglichen Abend miteinander zu verbringen.“ Verschüchtert schaute sie ihn an.
„Abgemacht!“, erwiderte er rasch und wirkte erleichtert. „Es bedeutet mir wirklich sehr viel, dass die beiden wichtigsten Frauen in meinem Leben gut miteinander auskommen.“
„Ich weiß, Papa. Und ich werde dich nicht enttäuschen. Alles wird wieder gut“, versprach sie.
„Ich werde mich sofort selbst um alles kümmern. Die Karten werde ich online bestellen und damit ihr euch vorher einmal in entspannter Atmosphäre unterhalten könnt, buche ich einen Tisch in unserem Lieblingsrestaurant.“
„Das ist lieb von dir, Papa. Wir werden uns sicherlich gut unterhalten. Ich habe ihr wirklich einiges zu sagen“, versicherte sie mit einem unschuldigen Lächeln. „Jetzt will ich dich nicht mehr stören.“ Sie beugte sich vor und gab ihm einen Kuss auf die Wange. „Du bist der Beste und verdienst daher auch nur die beste Frau.“
„Lieb von dir, mein Schatz“, antwortete er überglücklich.
Allegra grinste, da er nicht wusste, welch einen großen Dienst sie ihm erweisen würde. Das Beste daran war, er ahnte nicht, dass er ihr dabei half die Beziehung abzubrechen. Naja, manche Menschen musste man eben zu ihrem Glück zwingen.
Erleichtert lehnte sich Alexander im Chefsessel zurück, er hielt Allegras Verhalten für einen Erfolg seiner väterlichen Führung.
Der häusliche Stress hatte ihm arg zugesetzt. Die ständigen Spannungen zwischen der Tochter und seiner Verlobten waren einfach nervenaufreibend. Alexander war es schon immer zu primitiv erschienen, deswegen seine Autorität spielen zu lassen. Bis zu einem gewissen Grad verstand er, wieso sich seine Tochter mit der neuen Partnerin so schwertat. Glücklicherweise war Jasmin eine starke Frau, die sich trotz ihrer vierundzwanzig Jahre durch ein hohes Maß an Reife auszeichnete. Nicht nur dies hatte ihn damals verzaubert.
Jasmin war eine natürliche Schönheit. Ihr langes dunkles Haar war leicht gewellt und fiel wie ein Wasserfall über ihre Schultern. Die großen braunen Augen waren voller Leben, Feuer und Empfindsamkeit. Jasmin hatte ein sanftes Wesen und hatte Alexander durch ihre Lebensfreude angesteckt. Sie war in allen Belangen ein Jungbrunnen für ihn. Jasmin gab ihn das Gefühl unbesiegbar zu sein.
Leider teilte seine Tochter seine Begeisterung für seine Verlobte nicht und er wünschte sich nichts sehnlicher, als dass sie endlich erkennen konnte, wie gut sie für ihn war.
Umso überzeugter war er, dass Allegra nach diesem Wochenende begreifen würde, wie glücklich Jasmin ihn machte und dass ihre Liebe zueinander echt war - und nicht nur eine Manifestation seiner angeblichen Midlifecrisis, wie sie es ihm noch vor knapp zwei Stunden so frech unterstellte.
Alexander lächelte zufrieden, als er das Arbeitszimmer verließ. Alles war für den Abend vorbereitet. Die Tickets würden an der Abendkasse bereitliegen und der Tisch im Restaurant war vorbestellt. Er musste nur noch Jasmin darüber in Kenntnis setzten, dass Allegra ihr albernes Verhalten aufgab. Sie wollte das Kriegsbeil begraben und Jasmin endlich als seine Partnerin anerkennen.
Als erstes sah Alexander im Wohnzimmer nach, dort fand er sie nicht. Jasmin hatte sich ins Schlafzimmer zurückgezogen. Sie hatte es sich auf dem Bett bequem gemacht und schaute fern.
Obwohl sie bereits ihren Schlafanzug angezogen hatte, wirkte das Kleidungsstück erotisierend auf ihn. Im Grunde genommen war es unerheblich was sie anhatte oder nicht, auf ihn wirkte sie immer unwiderstehlich. Alexander setze sich zu ihr. Sofort rückte sie zu ihm herüber und schmiegte sich an ihn.
„Bis du mit deiner Arbeit fertig?“, erkundigte sie sich, ohne den Blick vom Bildschirm zu nehmen.
„Allegra kam nicht nur mit einer Entschuldigung zu mir, sondern auch mit einem Vorschlag zur Wiedergutmachung.“
„Ach ja?“, fragte sie ohne jedwede Überzeugung oder gar Überraschung in der Stimme. „Alexander, das ist doch nichts Neues. Sie hat gemerkt, dass sie bei dir zu weit gegangen war und bemüht sich nun um Schadensbegrenzung.“
„Nein, diesmal ist es ihr Ernst. Sie möchte nämlich mit dir das Wochenende verbringen.“
Sofort rückte Jasmin erschrocken von ihm ab.
„Sie will was?“, hakte sie nach und sah ihn ungläubig an.
„Naja, nicht wirklich das ganze Wochenende, sondern nur einen Abend“, wiegelte er ab und fügte geschäftig hinzu: „Ihr geht gemeinsam ins Musical und zuvor gemütlich essen. Du wirst sehen, es wird hervorragend laufen. Das ist der Moment, auf den wir beide gewartet haben.“
Jasmin blickte ihn skeptisch an und rang mit sich, ihm nicht die Wahrheit über seine Tochter zu sagen. Zu häufig war sie das Opfer von Allegras Launen geworden, ohne es Alexander gegenüber erwähnt zu haben, da sie nicht unnötig das Verhältnis belasten wollte.
„Was macht dich so sicher, dass sie es wirklich ernst meint? Sie hatte nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie mich aus deinem Leben haben will.“
„Ich weiß. Allerdings möchte sie auch, dass ich glücklich bin. Die Verlobung hatte sie etwas erschrocken. Wirst sehen, alles wird gut“, versprach er und legte seine Hand hinter ihren Kopf. Sanft dirigierte er sie zu sich herüber.
Bereitwillig ließ sie sich führen und erwiderte den Kuss, ebenso sanft, wie er ihn ihr gab.
Sie drückte sich dennoch fort von ihm und blickte ihn ernst an.
„Tut mir leid, doch habe ich immer noch meine Zweifel.“
Alexander erhob sich vom Bett. Es tat ihm weh, dass Jasmin skeptisch blieb. Er wollte nichts sehnlicher, als dass die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben gut miteinander auskamen und dass sagte er ihr auch.
„Ich verstehe ja, wie wichtig dies für dich ist, aber findest du nicht, dass dieses Friedensangebot etwas zu schnell kommt?“
„Warum kannst du nicht einfach akzeptieren, dass meine Tochter den ersten Schritt machen will?“
„OK, ich werde den Abend mit ihr verbringen“, gab Jasmin nach und vermied den Augenkontakt.
Alexander wusste, sie erklärte sich nur deswegen einverstanden, damit er Ruhe gab. Damit wollte er sich nicht zufriedengeben. Für ihn war die Angelegenheit einfach zu wichtig und er wollte sicherstellen, dass beide Parteien genug Ernsthaftigkeit mitbrachten.
„Jasmin, ich bitte dich. Dies ist eine einmalige Gelegenheit. Endlich öffnet sich Allegra dir gegenüber. Bitte stoße sie nicht weg.“
„Ich werde mich bemühen“, versprach Jasmin leicht genervt.
Genau dieser Ton traf Alexander hart. Es frustrierte ihn, dass Jasmin die tiefere Bedeutung der Einladung nicht zu verstehen schien. Für ihn zeugte es von Größe, dass Allegra nach nur so einer kurzen Zeit Einsicht gezeigt hatte und bereit war, einen Neuanfang zu machen. Da konnte er doch von seiner Verlobten dieselbe Bereitschaft erwarten, zumal sie sich dieses ebenso gewünscht hatte.
Alexander überlegte, ob er ihr nochmals erklären sollte, wie wichtig dieser Abend für alle Beteiligten war. Allerdings befürchtete er auch, dass Jasmin sich bevormundet fühlen könnte und dies wollte er unbedingt vermeiden.
Er vertraute stattdessen auf ihren Verstand und ihr Einfühlungsvermögen. Jasmin würde sicherlich schon wissen, wie sie sich einer fünfzehnjährigen gegenüber verhalten muss, die lediglich versuchte die Gefühle ihres Vaters zu schützen.
Jasmin hatte weder Lust mit Allegra ins Musical zu gehen noch sich mit ihr in einem Restaurant auszusprechen. Worüber sollten sie reden, was nicht schon klar herausgestellt war?
Für Jasmin war es unvorstellbar, dass Allegras Friedensangebot echt sein sollte. Zu offen hatte sie ihre wahren Ansichten über die Verlobung geäußert, als sie den Ring sah. Dass sie kurz darauf zur Freundin verschwand, um dann mit einer mutmaßlichen Entschuldigung zurückzukehren, war mehr als verdächtig. Jasmin hatte keine andere Wahl, als sich kooperativ zu zeigen, insbesondere da Alexander den Abend gut durchorganisiert hatte. Offenbar wollte er seine beiden Frauen verwöhnen und ihnen die besten Bedingungen bieten, damit ihre Aussprache das gewünschte Ergebnis brachte.
Jasmin verstand immer noch nicht, wieso er sich so schwer damit tat, seine Tochter zu durchschauen, schließlich hatte ihn ihre Anschuldigung, nur in der Midlifecrisis zu stecken, sehr getroffen.
Dass Allegra etwas vorhatte, machte ihre Aufmachung klar. An der Garderobe an sich war nichts auszusetzen, obwohl es schien, als legte sie keinen besonderen Wert auf ihr Erscheinungsbild. Doch als Frau wusste Jasmin zu gut, was sie von ihrer Kleidung und ihrem Make-up zu halten hatte. Sie trug eine hautenge jugendliche Designerjeans, ein edles Top und Turnschuhe, um ihr Alter zu unterstreichen, dennoch war das Make-up so gewählt worden, dass sie damit genau das Gegenteil erreichte. Allegra wirkte älter. Sogar älter als Jasmin selbst.
Sie hingegen trug einen modern geschnittenen Leinenanzug, der sich durch seine elegante Musterung auszeichnete. Ihr Make-up war leicht und betonte ihre Jugendlichkeit.
„Wie ich sehe, hast du dich von Papas Geld wieder neu ausstaffiert.“
„Na na, Allegra. Sei friedlich“, mahnte der Vater.
Jasmin beobachtete ihr Gegenüber und erkannte, dass sie so tat als hätte sie keine Beleidigung ausgesprochen.
„Entschuldige, war nicht so gemeint. Ich war nur etwas überrascht.“
„Komm, lass uns fahren. Wir nehmen meinen Wagen.“ Jasmin versuchte so freundlich und unverfänglich wie möglich zu klingen.
„Sollten wir nicht lieber ein Taxi nehmen? Ich meine ja nur, falls du wieder im Restaurant die Weinkarte ausprobieren willst.“
„Na, sei brav. Keinen Zank“, mahnte Alexander flapsig.
Jasmin wusste nicht, ob ihm die beleidigende Wirkung der bissigen Bemerkung entgangen war, oder ob er sie absichtlich überhörte. Anstatt darauf einzugehen und die Tochter auf ihren Platz zu verweisen, gab er beiden einen Kuss auf die Wange und schickte sie ihrem Schicksal entgegen.
Jasmin lächelte verkrampft und fühlte sich, als würde sie zu ihrer eigenen Hinrichtung gehen und war sicher, dass Allegra ihr Bestes geben würde, um dieses Gefühl nicht zu enttäuschen.
Beide stiegen ins Auto. Sofort ging die Warnleuchte an, als Jasmin die Zündung einschaltete.
„An deiner Stelle würde ich sofort zum Tanken fahren,“ kam es mit einer Naseweisheit vom Beifahrersitz.
„Mach ich später“, murmelte Jasmin nur und fuhr los.
Ohne Umwege fuhr Jasmin zum Restaurant. Allegras Schweigen war auf einer Seite ein Segen, doch auf der anderen belastete es sie zusätzlich.
Jasmins Unsicherheit wuchs, da Allegra heute etwas sehr Negatives ausstrahlte. Deutlich litt ihre Konzentration darunter und brachte Jasmin dazu ein Rotlicht zu überfahren. Ein Blitz erhellte die Dunkelheit.
„Ups… Das wird teuer. Papa bezahlt das sicher gern.“
„Allegra. Ich … ach, dass bringt doch nichts.“
Allegra erwiderte nichts, sondern lächelte nur undefinierbar vor sich hin.
Jasmin wusste wirklich nicht, ob sie erleichtert, darüber sein sollte endlich den Wagen verlassen zu können als sie das Restaurant erreichten, oder ob sie sich nun größere Sorgen machen sollte.
Mit aufreizendem Hüftschwung ließ sich Allegra zum Tisch führen und benahm sich, als sei sie auf einer geheimen Mission.
Argwöhnisch schaute Jasmin zu ihr herüber. Irgendwas stimmte hier ganz und gar nicht. Gern hätte sie nachgehakt, doch da kam auch schon der Kellner mit der Karte und erkundigte sich, ob er bereits etwas zu trinken bringen durfte.
Gern hätte sich Jasmin einen Hochprozentigen zur Nervenberuhigung bestellt, doch da sie fuhr, musste sie verzichten.
Allegra bestellte sich einen Whisky.
Ohne Protest, wiederholte der Kellner die Bestellung und hätte Allegra das gewünschte Getränk gebracht.
„Den streichen sie bitte und bringen uns stattdessen zwei Wasser“, korrigierte Jasmin und warf Allegra einen strafenden Blick zu.
„Spielverderberin“, beschwerte sich Allegra und wandte sich direkt an den Kellner. „Sie spielt sich bereits als meine Stiefmutter auf.“
„Zwei Wasser“, wiederholte der Kellner nur und verschwand sofort.
„Ich liebe dieses Restaurant. Ich bin hier praktisch aufgewachsen.“
„Das ist schön“, antwortete Jasmin desinteressiert und blickte dabei in die Speisekarte. – Es hätte ohnehin nichts gebracht, sie wegen des Whiskys auszuschimpfen. Das sie diesen nur mit dieser Absicht bestellt hatte, war Jasmin bewusst. Sie wollte Allegra keine weitere Gelegenheit bieten sich aufzuspielen.
Stattdessen keimte in ihr der Gedanke auf, Allegra auf der Rückfahrt in dem Waldstück, das sie durchqueren mussten, auszusetzen. Wurde sie schon in aller Öffentlichkeit von ihrer zukünftigen Stieftochter als böse Stiefmutter vorgeführt, dann konnte sie sich zumindest in ihrer Fantasie als solche benehmen.
„Ist schwierig, sich für etwas zu entscheiden. Nicht wahr? Die Speisen sind exklusiv. Tja, hier bekommt man halt noch Qualität, wenn man sich es leisten kann. – Aber, darüber brauchst du dir ja keine Gedanken zu machen.“
Jasmin hatte genug und ließ die Karte sinken.
„Verabschiede dich von der fixen Idee, dass ich deinen Vater nur wegen seines Geldes heirate.“
„Selbstverständlich heiratest du ihn nicht wegen des Geldes. Ihr liebt euch.“ Sie griff nach dem Wasserglas, das der Kellner soeben vor ihr abgestellt hatte und toastete Jasmin zu. „Auf die Liebe!“
Jasmin musste sich arg zusammenreißen, um nicht auf die Provokation so einzugehen, wie es Allegra offenbar beabsichtigte. Stattdessen schaute sie das Mädchen herausfordernd an.
„Lass diese Kinderreien. Was willst du von mir? Du bist doch nicht mit mir hergekommen, um meine Busenfreundin zu werden.“
„Ich komme dann später wieder und nehme die Bestellung auf“, murmelte der Kellner verlegen und verschwand so schnell er konnte vom Tisch.
„Schlaues Kind“, erwiderte Allegra mit einem herablassenden Grinsen. „Ich will dir ein Geschäft vorschlagen.“
Jasmin lachte auf. „Du willst mir ein Geschäft vorschlagen?“
„Ein ganz einfacher Deal. Du lässt meinen Vater in Ruhe und ich zahle dir eine großzügige Abfindung. Es soll nicht dein Schaden sein.“
„Sag mal, bist du verrückt geworden?“
Lässig nahm Allegra noch einen Schluck aus dem Glas und griff dann in ihre Jackentasche. Langsam schob sie Jasmin ein Stück Papier herüber.
„Was soll, denn dieser Blödsinn wieder? Allegra, du machst dich lächerlich.“
„Ach ja?! Dann wirf mal einen Blick darauf.“
Jasmin hatte nun endgültig genug von diesen Albernheiten. Abwertend sah sie zu ihrer Tischnachbarin herüber, bevor sie doch den Scheck aufnahm.
„Das ist eine Beleidigung. Und das lasse ich mir nicht gefallen. Dein Vater wird davon erfahren.“ Sie nahm das Papier, steckte es in die Handtasche und legte einen Zehneuroschein für die Getränke auf den Tisch. „Steh auf, wir gehen.“
„Du kannst wohl nicht abwarten, den Scheck einzulösen?“
Jasmin schluckte die Erwiderung herunter, die sie auf der Zunge hatte. Es wäre müßig gewesen, darüber zu diskutieren. Wichtig war nur, dass sie nachhause fuhren und Alexander von dem unerhörten Benehmen seiner Tochter erfuhr.
So konnte es auf keinen Fall weitergehen, Alexander musste seine Tochter endlich maßregeln.
Die Fahrt verlief zunächst schweigend bis Allegra etwas entdeckte.
„Hey, hattest du nicht auf der Hinfahrt schon tanken wollen? Deine Warnleuchte blinkt.“
„Mach dir mal keine Sorgen, da ist noch genug Kraftstoff vorhanden.“ Still musste Jasmin ihr Recht geben. Es wäre durchaus besser gewesen den Tank aufzufüllen. Doch hatte sie keine Lust wieder umzudrehen und zurück zur letzten Tankstelle zu fahren.
Alles, was eine Verkürzung in Allegras Gegenwart bedeutete, war willkommen. Ein Umweg kam daher nicht in Frage. Außerdem glaubte sie, dass der Wagen problemlos die verbleibende Strecke schaffte.
Sie wollte nur endlich ihre Ruhe. In ein paar Minuten war sie wieder bei Alexander.
Hatte er darauf gehofft, dass dieser Abend eine Änderung brachte, dann sollte er Recht behalten. Bisher hatte Jasmin geduldig die Launen seiner Tochter ertragen, doch diesmal war sie zu weit gegangen. Alexander musste über das rüde Verhalten seiner Tochter in Kenntnis gesetzt werden. Er musste alles erfahren und auch, dass sie nicht mehr bereit war, Allegras Beleidigungen zu tolerieren. Es führte kein Weg daran vorbei, Jasmin musste ihn an seine Pflichten als Vater erinnern, insbesondere, da seine Tochter kein kleines Mädchen mehr war. Den Vorschlag, den sie ihr unterbreitet hatte, war einfach an Unverfrorenheit nicht mehr zu überbieten. Allegra hatte ihr tatsächlich eine beachtliche Summe dafür geboten, den Vater zu verlassen und aus der Gegend zu verschwinden. Liebte er sie wirklich, dann musste er Allegra in die Schranken weisen.
Jasmin wurde aus ihren Gedanken gerissen.
Der Motor geriet plötzlich ins Stottern. Er lief unruhig und die Vibrationen schüttelten beide verschreckten Insassen durch. Der Wagen blieb stehen und der Motor erstarb.
„Na, toll“, Allegra zog eine Schnute und deutete mit dem Finger auf die Tankanzeige. „Habe ich dir nicht vorhin gesagt, dass du tanken sollst? Kannst du eigentlich gar nichts ohne meinen Vater?“, keifte sie bissig.
Jasmin reichte es. In der Vergangenheit hatte sie so einiges heruntergeschluckt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht. Doch was genug war, war genug.
„Verdammt nochmal, halt die Klappe!“, schrie sie voller Inbrunst und schlug gleichzeitig mit beiden Händen aufs Lenkrad.
Unwillkürlich zuckte Allegra zusammen. Mit einer derartigen Reaktion hatte sie nicht gerechnet.
„Ich habe dich so satt. Glaubst du etwa, ich bin aus Stein? Das deine Beleidigungen und Gemeinheiten einfach an mir abprallen?“, schnaubte sie.
„Nur weiter so. Endlich zeigst du dein wahres Gesicht. Schade, dass Papa dies nicht miterlebt“, kam es überheblich.
„Ich bin nicht die Böse hier, sondern deine Mutter“, versuchte Jasmin einzulenken und erreichte damit nur das Gegenteil.
„Lass Mama aus dem Spiel, du Hexe. Du weißt doch gar nichts“, brüllte Allegra und selbst in diesen Lichtverhältnissen konnte Jasmin die Wut in ihren Augen erkennen.
„Ich verstehe, dass du Schlimmes durchgemacht hast und du deinen Vater schützen willst. Doch verließ deine Mutter nicht nur ihn, sondern auch dich. Hatte sie dich gefragt, ob du bei ihr leben möchtest?“
Jasmin hatte mittlerweile wieder ihre Stimme gesenkt und behutsam mit ihr gesprochen, doch war auch die Zeit der Diplomatie vorbei. Allegra hatte eine Aussprache gewünscht und diese bekam sie nun.
Jasmin bemerkte, dass die Augen des Mädchens feucht schimmerten. Offenbar hatte der Kommentar gesessen.
„Hör zu, Ali“, sagte sie versöhnlich.
„So dürfen mich nur meine Freunde nennen“, erwiderte sie pampig mit versteinerter Miene. Allegra blieb bockig.
Ein eindeutiges Zeichen, dass sie nicht mehr bereit war mit Jasmin darüber zu sprechen.
Jasmin ließ es vorerst auf sich beruhen und holte stattdessen das Handy hervor. Enttäuscht musste sie feststellen, dass sie kein Signal bekam. Allegra tat es ihr nach, doch auch sie bekam kein Netz.
Jasmin stieß die Tür auf und verließ kommentarlos den Wagen.
Sie ahnte, wie sich Allegra jetzt fühlen musste. Eine kleine Abkühlung würde ihr guttun und von ihrer Selbstgefälligkeit heilen.
Jasmin musste zugeben, dass auch ihr die Situation unheimlich war. Schließlich befanden sie sich Mutterseelenallein nachts auf einer einsamen Landstraße. Obwohl Jasmin diesen Weg seit Jahren befuhr, kam ihr die Gegend mit einem Male fremd und feindselig vor. Sie bekam ein wenig Angst, fühlte sich unbehaglich und ausgeliefert.
Offenbar musste es Allegra ähnlich ergehen, denn sie öffnete die Autotür und stieg aus. Es wirkte, als wollte sie nicht alleine bleiben. Sie suchte die Nähe einer anderen Person. Selbst, wenn es Jasmin war. Mit schnellen Schritten lief Allegra auf sie zu und stellte sich neben sie.
Jasmin grinste für einen Moment siegessicher.
Schweigend wurde sie von dem Mädchen dabei beobachtet, wie sie energisch den Kofferraumdeckel öffnete und nach einer Sporttasche griff. Ohne Umschweife zog sich Jasmin auf der Straße um. Rasch streifte sie sich ihr Läufer-Outfit über. Obwohl das Material dünn war, hielt es nicht nur wärmer als der Leinenanzug, den sie vorher trug, sondern sorgte auch dafür, dass man sie im Dunklen sehen würde. Der Anzug wies neongelbe Leuchtstreifen auf. Die leuchtende Signalfarbe hob sie sofort von der Dunkelheit ab, wenn ein Lichtkegel sie traf. Die hochhackigen Schuhe tauschte sie gegen Turnschuhe aus. Bevor sie allerdings den Deckel wieder zuschlug, hielt sie Allegra eine Jacke entgegen.
„Ziehe sie an, es ist sonst zu kalt“.
„Was hast du vor?“ Es gelang Allegra nicht, ihr Unbehagen zu verbergen.
Jasmin hatte einen Plan und war fest entschlossen ihn auszuführen. Mit dem Finger deutete sie auf den dunklen Wald.
„Wir werden dort hineingehen. Nicht weit von hier, gibt es eine Waldschänke. Dort können wir telefonieren und deinen Vater informieren. In Nullkommanix sind wir wieder zu Hause.“
Ängstlich blickte Allegra in die angedeutete Richtung.
Der Wald wirkte noch unheimlicher als die Landstraße. Nebelschwaden durchzogen ihn, in der Ferne schrie eine Eule. Der Wald wirkte überhaupt nicht einladend.
„Was macht dich so sicher, dass die Schänke noch aufhat?“
„Es ist doch erst kurz nach zwanzig Uhr“, stellte Jasmin fest als sie auf ihre Armbanduhr schaute. „Komm, es ist nur ein kleiner Spaziergang.“
„Findest du es wirklich eine so gute Idee? Schließlich ist es schon dunkel und…“
„Und – was?“, fragte Jasmin zunehmend genervt. Sie hatte zwar Verständnis dafür, dass Allegra Angst hatte. Doch schließlich waren sie zusammen.
„Heute ist der Vorabend zu Halloween – oder Samhain.“
„Na und? Was hat das mit damit zu tun?“, verwundert sah Jasmin sie an.
„Ist doch ein alter Hexenfeiertag…“, stotterte Allegra.
„Du guckst zu viele Horrorfilme. Hier gibt es keine Hexen“, sagte sie entschlossen und zog sie am Ärmel in Richtung Wald. „Ich kann dich unmöglich allein im Auto zurücklassen. Das würde mir dein Vater nie verzeihen.“
Trotz Allegras weiteren Protestes blieb Jasmin unnachgiebig. Sie zerrte Allegra regelrecht hinter sich her. Erst als die Dunkelheit des Waldes sie verschluckt hatte, lies Jasmin Allegras Hand los.
Man konnte nicht so sehr von laufen reden; viel mehr stolperten sie in der Dunkelheit vor sich her. Dummerweise besaß keine von ihnen eine Taschenlampe. So gut es ging versuchten sie mit dem Smartphone den Weg vor sich zu erleuchten.
War es Jasmin noch vor ein paar Minuten wie eine gute Idee vorgekommen die Waldschänke aufzusuchen, hatte sie jetzt Zweifel an dem Vorhaben. Nicht nur waren die Lichtverhältnisse einfach zu schlecht, um sicher weiterzugehen, sie waren auch irgendwie vom Weg abgekommen. Gegenwärtig quälten sie sich mühsam durchs Unterholz.
Jasmin änderte ihren Plan. Es war zu gefährlich den Weg fortzusetzen,das Verletzungsrisiko war viel zu hoch. Es war klüger zum Auto zurückzukehren und über die befestigte Landstraße die verbleibenden Kilometer nachhause zu laufen.
Also machten sie kehrt.
Jasmin hatte geglaubt im Besitz eines ausgeprägten Orientierungssinnes zu sein, doch die Dichte des Gehölzes und die eingeschränkte Sicht machte es ihr unmöglich sich zu Recht zu finden. Das Gespräch zwischen ihnen schlief ein. Keine traute sich es offen auszusprechen: Sie hatten sich verirrt.
Zu allem Überfluss bekamen sie Immer noch kein Signal.
Kleinlaut gestand Jasmin ein, dass sie die Orientierung verloren hatte. Mittlerweile war es bereits kurz vor Mitternacht und beide waren von dem Langen Herumirren sehr erschöpft. Sie einigten sich darauf, einen provisorischen Unterschlupf zu bauen und bis zum Morgengrauen auszuharren. Allegras Schweigen ließ erkennen, dass sie die Aussichtslosigkeit der Situation erkannte und insgeheim froh war, nicht allein zu sein.
So gut es ging, machten sie es sich bequem und verbrachten die Nacht im Wald.
Jasmin konnte nur ahnen, wie verängstig Allegra sein musste. Beschützend legte sie den Arm um das Mädchen und gestatte ihr sich an sie anzukuscheln. Ohne Protest nahm Allegra das Angebot an. Jasmin war aus zweierlei Gründen erleichtert darüber. Zum einem würde dies ihr Verhältnis verbessern und zum anderen war sie selbst dankbar für die menschliche Nähe. Noch nie hatte sie so eine Angst gehabt wie jetzt. Ausgerechnet Allegras Gegenwart war ihr jetzt ein Trost.
Mit dem Erwachen des Waldes öffneten auch die Frauen die Augen. Sie fanden sich eng aneinander geschmiegt auf dem feuchten Waldboden wieder und blickten sich irritiert um.
Die Erinnerung kehrte zurück und sie entsannen sich, weshalb sie sich in dieser ungewöhnlichen Situation befanden. Jasmin holte das Handy hervor. Immer noch kein Signal. Verzweifelt bewegte sie das hoch erhobene Telefon in der Hand umher; doch nicht einer der schmalen Balken erschien auf dem Display. Enttäuscht steckte sie es wieder ein.
Allegras Bemühungen blieben ebenfalls erfolglos.
Jasmin schlug vor weiterzugehen, Allegra folgte ihr widerspruchslos. Bereits nach wenigen Minuten vernahmen sie ein ungewöhnliches Geräusch. Angestrengt lauschend versuchten sie auszumachen, worum es sich dabei handelte. Es klang als würde etwas Schweres über den Boden geschliffen. Allmählich machten sie ebenfalls undeutliche Stimmen und das Schnauben eines Pferdes aus.
Augenblicklich klärte sich Allegras Miene auf.
„Ich weiß was das ist!“, rief sie freudig und unterbrach damit die Stille zwischen ihnen.
Eilig lief sie in die Richtung des Geräuschherdes. Triumphierend deutete Allegra auf einen Waldarbeiter mit Pferd.
„Siehst du? Wir sind gerettet! Das ist ein Rückepferd. Diese werden wieder verstärkt in der Forstwirtschaft eingesetzt. Das Benutzen von Rückepferde verursacht weniger Flurschäden, dadurch sind sie besser fürs Ökosystem des Waldes.“
Jasmin nickte nur und wunderte sich keineswegs über den belehrenden Vortrag. So war Allegra nun mal.
„Dann lass uns nach dem Weg fragen“, schlug Jasmin vor und ging entschlossen zum Waldarbeiter herüber.
„Hallo! Können Sie uns sagen, wie wir wieder zur Waldschänke gelangen? Wir sind vom Weg abgekommen.“
Der Angesprochene erschrak. Hastig schlug er ein Kreuzzeichen, als er Jasmin vor sich stehen sah. Beide sahen ihn verwundert an.
„Der hat sich bestimmt vor deinem neongelben Trainingsanzug erschrocken. Die Farbe ist ja auch so scheußlich, dass man sich bekreuzigen muss“, raunte Allegra ihr zu.
Jasmin ging nicht darauf ein, sondern wiederholte die Frage.
Der Waldarbeiter löste sich aus seiner Starre.
„Waldschänke?! Hier gibt es keine Waldschänke.“ Argwöhnisch, allerdings auch neugierig, blickte er von einer zur anderen. „Wieso seid Ihr so merkwürdig gekleidet?“
Allegra nickte nur. Für sie war sein Verhalten Beweis, dass Jasmins Lauf-Outfit jeden aus dem Konzept brachte.
Sie tippte der Älteren auf die Schulter und flüsterte ihr ins Ohr: „Frag ihn, wie wir zurück in die Stadt kommen. Wir nehmen ein Taxi und lassen uns nach Hause fahren. Mein Vater wird sich sowieso schon Sorgen machen.“
Jasmin fand den Plan vernünftig. Sie wunderte sich allerdings nur, über die plötzliche Schüchternheit ihrer Begleiterin.
Jasmin wendete sich wieder an den Mann.
Glücklicherweise verstand er diesmal, was sie wollte und schickte sie mit einer einfach zu folgenden Wegbeschreibung in Richtung Stadt. Sie bedankten sich und zogen los.
Erst als sie außerhalb seiner Hörweite waren, traute sich Allegra einem Kommentar abzugeben.
„Fandest du den Alten nicht auch ein wenig seltsam?“
Jasmin lachte auf. „Ja, das kannst du wohl laut sagen. Da weiß der tatsächlich nicht, wo die Waldschänke ist. Wo gibt es denn so was?“
Beide zogen die Schultern hoch und ignorierten die Tatsache, dass sie es auch nicht wussten.
Erleichtert atmeten sie auf, als sie endlich den Waldrand erreichten. Die Stelle war ihnen unbekannt. Nichts wirkte vertraut.
Ein schneller Blick auf die digitale Armbanduhr verriet ihr, dass sie sich über zwölf Stunden im Wald aufgehalten hatten.
Die anstrengende und unfreiwillige Wanderung hatte sie sehr hungrig gemacht. Jasmin stellte in Aussicht, dass sie daheim ein herzhaftes Bauernfrühstück zubereiten wollte, zu dem sie Allegra einlud. Diese nahm freudig an und vergaß für einen Augenblick ihre Abneigung Jasmin gegenüber. Auch ihr war mittlerweile ein wenig flau vor Hunger. Gegenseitig zählten sie diverse Zutaten auf und stachelten damit unwillkürlich ihren Appetit weiter an. Ihr lockeres Gespräch wurde je unterbrochen, als Allegra plötzlich die Hand hob. Augenblicklich verstummte Jasmin.
„Hast du das gehört?“, erkundigte sich Allegra bei ihr.
Angestrengt lauschte die Angesprochene in die Stille und ließ den Blick schweifen. Schließlich vernahm sie es auch. Das war der Schrei einer jungen Frau. Offenbar befand sie sich in höchster Not und hatte große Furcht.
Als ihr das klar wurde, gab es für Jasmin kein Halten mehr. Augenblicklich rannten sie in die Richtung los, aus der der Schrei stammen musste. Sie konnten und wollten den Hilferuf nicht ignorieren.
Allegra lief hinter ihr her und hatte Mühe mit ihr mitzuhalten.
Hinter der Wegbiegung erkannten sie nicht nur die Frau die geschrieen hatte, sondern auch den Grund dafür. Drei junge Männer hatten sie eingekreist. Sie schubsten sie, von einem zum anderen, immer darauf bedacht sich mit ihren Beleidigungen zu übertreffen. Eingeschüchtert und verängstigt leistete die Frau keinerlei Widerstand.
Jasmin hatte genug gesehen. Sie kannte Szenen wie diese zu genüge. Hier hatten Diplomatie und Redekunst keinen Platz mehr, Taten mussten folgen. Und dies musste schnell geschehen, wollte sie Schlimmeres verhindern.
Entschlossen sprintete sie los.
Allegra folgte. Obwohl sie sich nicht abgesprochen hatten, wollten sie der Unbekannten gemeinsam beistehen. Beide liefen schneller, als die Situation zu eskalieren begann.
Während des Laufes beobachteten sie, wie einer der Halbstarken sich mit einer schnellen Drehung hinter die Frau gebracht hatte und seinen Unterarm vor ihren Hals presste. Eng drückte sich ihr Rücken gegen seinen Oberkörper. Der Druck auf ihren Hals musste stark sein, da sie ihr Gesicht zu einer Grimasse verzerrte.
Mit einem Blick erkannte Jasmin, dass sich das Opfer aus eigener Kraft nicht befreien konnte. Nur sie konnte ihr noch helfen.
Der Kerl hatte durch seine Feindseligkeit eine Grenze überschritten, die Möglichkeit einer Diskussion war verstrichen. Mit seinem Handeln ließ er Jasmin keine andere Möglichkeit, als ihn zu bekämpfen. Was jetzt folgte hatte er sich selbst zuzuschreiben. Jasmin würde ihn auf keinem Falle ungeschoren davonkommen lassen. Was auch immer diese Frau getan oder gesagt haben mochte, rechtfertigte auf keinen Fall ein derartiges menschenverachtendes Vorgehen. Jasmin war nicht bereit gnädig zu sein. Deutlich wollte sie ihm spüren lassen, was es hieß sich an Schwächeren zu vergreifen.
Obwohl er einen Kopf größer und stärker war, wollte sie ihm die Lektion seines Lebens erteilen.
Ohne Vorwarnung sprang sie mit dem gestreckten Fuß in die ungeschützte Seite des Angreifers. Wie sie es nicht anders erwartet hatte, schleuderte ihn der Aufprall des gesprungenen Tritts zu Boden und riss die Frau mit sich. Augenblicklich ließ er vom Opfer ab. Irritiert lag er auf der Grasnarbe des Weges und hielt sich schmerzverzerrt die Seite. Jasmin nahm an, ihm eine Rippe gebrochen zu haben. Sie dachte gar nicht daran, ihn in Ruhe zu lassen, sondern setzte sich auf seine Brust. Mit ihrem gesamten Gewicht verdammte sie ihn zur Bewegungsunfähigkeit. Bevor er begriff, wie ihm geschah, erntete er einen gezielten Schlag an die linke Schläfe. Er war sofort außer Gefecht und blieb benommen liegen.
Sie musste damit rechnen, dass die beiden anderen zur Hilfe eilten und sie angriffen. Dazu wollte sie ihnen keine Chance lassen. Der Überraschungseffekt lag auf ihrer Seite. Geschickt rollte sie sich vom ersten Angreifer herunter und überwand so die trennende Distanz zu dem Mann, der zu ihrer Linken stand. Von unten herauf trat sie nach oben und traf ihm hart in den Bauch. Augenblicklich krümmte er sich zusammen. Sie nutze diese Haltung aus, griff rasch nach seiner Hand und schleuderte ihn, der Hebelwirkung gehorchend, hinter sich auf den Weg. Mit schmerzverzerrtem Gesicht blieb er liegen.
Eine gekonnte Flipbewegung katapultierte Jasmin wieder auf die Beine. Ängstlich blickte der dritte Typ sie an.
Die Entschlossenheit in ihrem Gesicht machte ihm deutlich, dass auch er für seine Beteiligung an diesem Überfall zur Rechenschaft gezogen würde.
Seine Hände schlossen sich zu Fäusten. Leicht gebückt näherte er sich Jasmin. Hektisch versuchte er eine Schwäche bei ihr auszumachen.
Jasmin verzichtete darauf die Hände zu ballen. Sie hielt diese offen und nahm eine lockere Kampfstellung ein. Deutlich konnte sie an seinen plumpen Bewegungen erkennen, dass er über keinerlei Kampfsporterfahrung verfügte. Es würde ein Kinderspiel sein, den Kerl zu Boden zu schicken.
Jasmin wusste, dass sie von den beiden anderen nichts mehr zu befürchten hatte. Der eine war bereits sehr benommen und der andere lag nur feige da und hetzte den Kameraden durch Zurufe auf. Außerdem verließ sie sich darauf, dass Allegra das Kampfgeschehen im Auge behielt und sie warnte, wenn es einer der Typen tatsächlich wagte, sie hinterrücks anzugreifen.
Jasmin konzentrierte sich auf ihr Gegenüber.
Ruckartig bewegte er sich nach vorn und wollte ihr die Faust ins Gesicht rammen. Elegant wich sie der Attacke aus. Der plumpe Schlag ging ins Leere. Anstatt einen Treffer zu landen, bekam er von der Frau im neongelben Laufanzug, einen harten Tritt in den Hintern.
Jasmin fand Gefallen an ihrer Überlegenheit und spielte mit ihm. Sie verspottete ihn, indem sie ihn umtänzelte und erneut in den Hintern trat. Er besaß weder ihre Wendigkeit noch die notwendige Schnelligkeit.
Er kochte vor Wut. Offensichtlich vertrug es sein Ego überhaupt nicht, sich derartig von einer Frau vorführen zu lassen. Hitzig stieß er Beleidigungen und Kraftausdrücke aus, die weit unter die Gürtellinie gingen und nur das Ziel hatten, sie zu demoralisieren.
Gegen eine derartig durchschaubare Kampfstrategie war Jasmin gefeit. Stattdessen blockte sie einen weiteren Hieb. Blitzschnell griff sie den Arm und schleuderte ihn zu Boden. Wie ein Raubtier sprang sie über ihn und holte mit der Faust aus. Abwehrend hob er seine Hände hoch und flehte sie um Gnade an.
Jasmin ließ sich erweichen. Langsam entfernte sie sich von ihm, während sie jede seiner Bewegungen genau beobachtete. Mit Genugtuung sah sie zu, wie die drei Jugendlichen panikartig die Flucht vor ihr ergriffen. Erst, als sie einen sicheren Abstand zu ihr erreicht hatten entlud sich ihre Schmach in einer Flut von Beleidigungen.
Die Typen wagten sich nicht mehr zurück.
Jasmin drehte sich um und ging zu Allegra herüber. Sie hatte sich um die attackierte Frau gekümmert, aber dennoch den Kampf aufmerksam beobachtet.
Allegra zeigte sich zum ersten Mal von Jasmin beeindruckt. Sie hatte keine Ahnung gehabt, dass die Verlobte ihres Vaters derartige Fähigkeiten besaß.
„Das war der reine Wahnsinn“, rief sie bewundernd. „Wo hast du das denn gelernt?“
Jasmin versuchte möglichst locker auf Allegras Begeisterung zu reagieren, obwohl ihr die Anerkennung des Mädchens guttat. „Ich trainiere seit meinem zehnten Lebensjahr Karate und besitze den schwarzen Gürtel.“
Jasmin spürte, dass sie das Erlebnis nähergebracht hatte. Mit einem Stöhnen brachte sich die Unbekannte wieder in Erinnerung. Jasmin richtete ihre Aufmerksamkeit auf die Frau.
Erst jetzt bemerkten sie, dass die Fremde in merkwürdige Kleidung gehüllt war. Sie trug einen sehr altmodischen bodenlangen Rock, eine Bluse aus grobem Stoff und eine leicht verschlissene Strickjacke. Um den Hals hingen zahlreiche Ketten. Alles in allem ein sehr gewagtes Modestatement.
„Ich danke euch sehr! Ihr seid sehr mutig und gütig euer Leben für mich zu riskieren“, kam es gepresst von der Frau.
Offenbar bereitete ihr das Sprechen noch Schwierigkeiten.
Jasmin winkte ab.
„Den Schwachköpfen musste nur mal einer zeigen, wo es lang geht.“, wiegelte sie ab. Ärgerlich schüttelte sie den Kopf und wandte sich fassungslos an Allegra. „Erkläre mir mal, was mit der heutigen Jugend nicht stimmt. Eindeutig zu viel gewaltverherrlichenden Videospiele gespielt.“
„Zeigen, wo es lang geht. Gewaltverherrlichende Videospiele?“, wiederholte die Frau leise, während sie den Kopf schüttelte. Sie wirkte irritiert.
Mitfühlend streichelte Allegra ihr übers Haar.
„Sie haben wohl mehr abbekommen, als wir gedacht haben. Das Beste wird es sein, wir rufen einen Krankenwagen.“
Kaum hatte Jasmin die Worte gehört, griff sie in die Tasche und zog ihr Handy heraus. Testweise hielt sie es hoch und ließ es resignierend wieder sinken. Enttäuscht schüttelte sie den Kopf.
„Kein Signal?“ erkundigte sich Allegra und erntete damit einen ängstlichen Blick der Frau.
„Was seid Ihr? Wo kommt ihr her und wieso seid ihr so merkwürdig gekleidet?“ Furcht schwang in der Stimme der Frau mit.
Jasmin und Allegra sahen sich fragend an. Sie schoben das seltsame Verhalten auf das traumatische Erlebnis.
„Das ist Jasmin und ich bin Allegra“, stellte sie sich vor.
„Anna“, kam es mit einem zögerlichen Kopfnicken von der Frau.
Misstrauisch beobachtete sie die beiden Retterinnen.
“Entschuldige unser Aussehen. Wir waren gezwungen die Nacht im Wald zu verbringen. Autopanne - Lange Geschichte. Wir sind auf den Weg in die Stadt. Wir hörten deine Hilferufe und kamen noch rechtzeitig dazwischen, als dir die drei Clowns an die Wäsche wollten.“
Die Augen der Frau wurden noch größer. Langsam stand sie auf und entfernte sich allmählich von ihnen. Mit ausgestrecktem Finger deutete sie von einer zur anderen.
„Ihr seid nicht von hier! Ihr passt einfach nicht hier her. Eure Auren sind gestört. Eure Energie ist nicht mehr im Fluss.“
Die Angesprochenen blickten sich an.
Offenbar litt die Frau unter einer Gehirnerschütterung. Anderenfalls ließ es sich nicht erklären, weshalb sie einen derartigen Blödsinn von sich gab.
Allegra versuchte einzulenken.
„Anna, beruhige dich. Wir bringen dich ins Krankenhaus. Habe keine Angst.“
Energisch schüttelte Anna den Kopf.
„Ich habe keine Angst vor Euch. Ihr beide würdet mir nichts tun. Ihr seid gute Menschen, dass spüre ich. Dennoch gehört ihr hier nicht her. Ihr gehört nicht in dieses Jahrhundert!“
Nach ihrem Verständnis hatten sie einen taktischen Rückzug angetreten und nicht die Flucht ergriffen. Sie mussten ihre Kräfte regenerieren.
Zweifelsohne hatte das Weib nur die Oberhand erringen können, da der Überraschungseffekt und ihre körperlichen Erschöpfung aufeinandertrafen. Gegenseitig bestätigten sie sich, wie sehr sie von der zuvor geleisteten Schicht ausgelaugt waren. Unter normalen Umständen hätten sie nie von einem Weib derartige Dresche beziehen können.
Erst als sie die Frauen nicht mehr sehen konnten, wagten sie es sich kraftlos und keuchend ins Gras sinken zu lassen. Nur langsam beruhigte sich der Atem. Gemeinsam versuchten sie Sinn in das Erlebte zu bringen und die Geschehnisse zu ordnen.
„Was zum Teufel, war das? Weiber kratzen und beißen, wenn sie sich wehren. Wieso hat sich die Furie so seltsam bewegt?“, keuchte Hermann, während er fragend in die Runde blickte und in ausdruckslose Gesichter schaute.
„Keine Ahnung. So ein Weib ist mir noch nie begegnet. Sie scheint nicht ganz richtig im Kopf zu sein. Habt ihr gesehen, wie merkwürdig sie gekleidet war? Kein Wunder, dass sie sich wie ein Bursche schlägt, wenn sie Männerkleidung trägt.“ Josef spielte damit auf den Sportanzug an.
Andreas hatte Probleme eine bequeme Sitzposition zu finden. Jede Bewegung war unangenehm und das Atmen bereitete große Mühe. Vorsichtig knöpfte er sein derbes Hemd auf, um einen Blick auf die Verletzung zu werfen. Er wollte das Ausmaß der Wunde begutachten. Neugierig rückten die Freunde näher ran.
Deutlich trat die Schwellung hervor und die getroffene Stelle zeigte eine tiefe blauviolette Färbung. Behutsam fasste Hermann auf die Verletzung und löste einen schmerzlichen Aufschrei des Freundes aus.
„Verdammt Andreas, die hat dir die Rippe zertreten“, diagnostizierte Hermann. „Du wirst wohl die nächsten Tage nicht zur Arbeit können“, behauptete Josef.
Andreas stöhnte auf und zog seine Kleidung wieder zu Recht.
„Bist du verrückt? Mein Vater prügelt mich windelweich, wenn ich nicht zur Arbeit gehe. Und wenn er erfährt, dass ich bei einer Schlägerei verletzt wurde, dann bin ich sowieso reif.“
Betroffen schaute Josef zu ihm herüber.
„Wir sollten dich zur Alten Frigga bringen. Die kriegt dich wieder mit einem Zaubermittel hin. Außerdem ist sie nicht schwatzhaft. Sie wird dich nicht bei deinem Vater verraten.“
Damit war das weitere Vorgehen beschlossene Sache. Vorsichtig halfen Hermann und Josef dem Freund wieder auf die Beine. Erneut kehrte das Gespräch auf die Kämpferin zurück.
„Ich möchte zu gern wissen, wer dieses Weib war. Die kann doch unmöglich von hier sein. Wahrscheinlich gehört sie zu der Zigeunersippe. Weshalb sollte sie sich sonst einmischen?“ Josefs Blick wanderte von einem zum anderen.
„Ist doch egal. Sie wird dafür bezahlen, was sie mir angetan hat. Das steht fest. Ich werde sie aufspüren und ihr zeigen, wie sich eine Frau zu benehmen hat“, keuchte Andreas.
„Das ist bestimmt eine von den Frauenrechtlerinnen! Die fordern die Gleichberechtigung und haben sich in Bünden organisiert. Manchmal tragen die auch Männerkleidung“, gab Hermann kund.
„Vollkommen egal. Mich interessiert ihr eigenartiger Kampfstil. Was war das? So kämpft auch kein Kerl. Allerdings wird ihr das auch nichts helfen, wenn ich sie aufgespürt habe“, versprach Andreas finster.
Mit schmerzverzerrtem Gesicht hielt er sich die Seite. Das Atmen fiel ihm zunehmend schwerer. Am liebsten hätte er sich erneut hingesetzt, doch verbot der Stolz noch weitere Schwäche vor seinen Freunden zu zeigen. Seit Jahren bewunderten sie ihn für seinen Mut und seiner Stärke.
Von Kindesbeinen an, war er ihr unbestrittener Anführer. Andreas war durch nichts und niemanden klein zu bekommen. Früher konnten ihn noch nicht einmal die drakonischen Strafen seiner Lehrer etwas anhaben. Mit schier stoischer Gleichgültigkeit hatte er während des Schulunterrichtes die fürchterlichsten Prügel hingenommen.
Andreas war es sich schuldig, nichts von seinen wahren Empfindungen preiszugeben. Eine derartige Schmach, wie er sie heute erlebte, hatte er noch nie einstecken müssen. Die Wut über seine Niederlage gab ihn den Ansporn durchzuhalten. Tapfer lief er zur Alten Frigga.
Um zu ihrem Haus zu gelangen, mussten sie in die Arbeitersiedlung gehen. Zur Alten Frigga ging jeder aus der Siedlung der Rat oder eine medizinische Behandlung brauchte. Einen Arzt konnte sich hier niemand leisten. Frigga war eine Institution für sich. Keiner wusste, woher sie ihr enormes Wissen hatte. Dies interessierte hier niemanden. Wichtiger war, dass man sich auf die Wirkung ihrer Behandlungen verlassen konnte. Frigga ließ sich nicht bezahlen.
Seit Jahrzehnten passte Frigga auf die Menschen in der Siedlung auf und im Gegenzug achtete man darauf, dass Frigga alles zum Leben hatte, was sie benötigte. Von dieser Übereinkunft profitierte jeder. Ein jeder gab ihr für ihre Mühen, was er entbehren konnte. Der eine mehr, der andere weniger. Frigga machte niemals einen Unterschied in der Qualität ihrer Leistung. Wer zu ihr kam, der war Willkommen und ihm wurde bedingungslos geholfen.
Mit dem Erreichen der Siedlung nahm die Wachsamkeit der drei jungen Männer zu. Sie wollten nicht riskieren von Andreas Vater gesehen zu werden. Er war in der Siedlung dafür berüchtigt, dass er sehr streng mit seinen Kindern war. Vor allem mit Andreas kannte er kein Pardon. Bei der Wahl seiner Erziehungsmethoden war er nicht zimperlich. Kam er mit den üblichen Mitteln nicht weiter, zögerte er nicht seine Fäuste einzusetzen.
Die bereits erlittene Begegnung mit der Fremden und die erneute Anspannung verlangten ihren Tribut. Die Männer fühlten sich sehr erschöpft und schlichen durch die Gassen, die heute endlos wirkten. Die Siedlung war nicht besonders weitläufig, aber an diesem Mittag kam sie ihnen wesentlich größer vor.