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Am Ende der Ausstellung haben wir Mutter verloren. Eine SMS mit dem Wortlaut „Wo bin ich?“ ignorieren wir. Während Vater sich dem Gästebuch des Museums widmet, ziehe ich mich auf das Besucher-WC zurück, um ungestört zu weinen. Als ich wiederkomme ist auch Papa verschwunden. Folgenden Eintrag im Gästebuch kann ich mit relativer Gewissheit meinem Erzeuger zuordnen: „Die Feuerlöscher im Spätmittelalter sind seit vier Monaten abgelaufen.“ Auch Mutter wollte sich verewigen: „Paul, wir warten draußen!“ Paul Bokowski ist zurück! Und das mit einer stillen, würdevollen Wucht, die ihresgleichen sucht. Zwei Dutzend hinreißend bissige Geschichten aus dem Leben eines polnischen Einwandererkinds. Über die abenteuerliche Reise einer wandernden Waschmaschine, unmoralische Angebote potentieller Nachmieter, passiv-aggressive Brettspiele mit der eigenen Mischpoke und die tiefgründige Bedeutung von vollveganem Fleischsalat.
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Seitenzahl: 137
Veröffentlichungsjahr: 2015
Buch
»Ich möchte keineswegs behaupten, dass man bei OBI ein wenig arbeitsscheuer ist als bei anderen Baumärkten. Als ich aber einen Karton Hohlraumdübel aus dem Regal nehme und dahinter einen Mitarbeiter entdecke, habe ich doch ein wenig Mühe, besonders überrascht zu tun.«
Mit Feingefühl und treffsicherer Analyse entwickelt der bekennende Stadtneurotiker Paul Bokowski aus den harmlosesten Situationen hinreißend humorvolle Geschichten. Seien es die Abenteuer einer wandernden Waschmaschine, die Hilflosigkeit eines Großstädters beim Anblick eines Kükens in der eigenen Küche, der stille Kampf um Beinfreiheit in überfüllten Zügen oder der nachbarschaftliche Wettstreit um die spektakulärste Balkonbegrünung. Paul Bokowski findet das Absurde im Zwischenmenschlichen und entlockt beiläufigen Begebenheiten das größtmögliche Maß an Komik. Neben der schleichenden Befürchtung, dass das alles wirklich so passiert ist, bleibt die augenzwinkernde Erkenntnis: Alleine ist man weniger zusammen …
Autor
Paul Bokowski, geboren 1982, gehört zur Speerspitze der Berliner Lesebühnenszene. Der Autor, Vorleser und Geschichtenerzähler lebt seit über zehn Jahren in einem der unbeirrbarsten Problembezirke der bundesdeutschen Hauptstadt. Er ist jüngstes Mitglied der Lesebühne »Brauseboys«, Gründungsmitglied der Literaturveranstaltung »Fuchs & Söhne« sowie festes Redaktionsmitglied der Satirezeitschrift »Salbader«. 2012 erschien sein Überraschungserfolg »Hauptsache nichts mit Menschen«. Der »Woody Allen des Weddings« entstammt einer deutsch-polnischen Familie und ist in seinem zweiten Leben leidenschaftlicher Backblogger.
Mehr zum Autor und seinen Büchern unter www.paulbokowski.de
Von Paul Bokowski außerdem lieferbar
Hauptsache nichts mit Menschen
Paul Bokowski
Alleine ist man weniger zusammen
MANHATTAN
Manhattan Bücher erscheinen imWilhelm Goldmann Verlag, München,einem Unternehmen der Verlagsgruppe Random House GmbH
1. Auflage
Erstveröffentlichung Mai 2015
Copyright © der Originalausgabe
2015 by Paul Bokowski
Copyright © dieser Ausgabe 2013
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Die Nutzung des Labels Manhattan erfolgt mit freundlicher Genehmigung des Hans-im-Glück-Verlags, München
Umschlaggestaltung und Konzeption:
Buxdesign | München
Satz: Uhl + Massopust, Aalen
ISBN 978-3-641-15674-9
www.manhattan-verlag.de
Inhalt
Anruf bei der Polizei
Lausche, was wandert
Hinterhof, mon amour: Frühlingsgefühle
Von einem, der einzog, das Fürchten zu lernen
Kuck mal, was da schwimmt
Hinterhof, mon amour: Gute Tage
Der Schwabe
Das Mitbringsel
Hinterhof, mon amour: Leicht bekleidet
Glaube, Liebe, Hoffnung
Dicker als Wasser
Hinterhof, mon amour: Fernweh
Mutter Blamage und ihre Kinder, Teil 1
Die Nachmieter
Hinterhof, mon amour: NSA
Die neue Waschmaschine
Das Aquarium
Hinterhof, mon amour: Ruhestörung
Wenn der Nachbar ein Mal klingelt
Urban Balconing
Hinterhof, mon amour: Ostern
Mutter Blamage und ihre Kinder, Teil 2
Reden ist Silber
Hinterhof, mon amour: Der Mann fürs Leben
In drei Zügen schachmatt
Send in the Klaus
Hinterhof, mon amour: Vorsorge
Polohemd – der Tragödie zweiter Teil
Besuch vom RBB
Hinterhof, mon amour: Parship
Der Letzte macht das Licht aus
Episch geht die Welt zugrunde
Dank
Anruf bei der Polizei
Polizist
Notruf der Berliner Polizei, Abschnitt 35, Schimanski.
Paul
Sie heißen Schimanski!?
Polizist
Ja, mein Name ist Schimanski. Rüdiger Schimanski. Was kann ich für Sie tun?
Paul
Ich hätte gern eine Nummer für kleinere Notfälle.
Polizist
Kleinere Notfälle?
Paul
Ja.
Polizist
Was sind denn kleinere Notfälle?
Paul
Na ja. Keine richtigen Notfälle.
Polizist
Sie hätten also gern eine Nummer für nicht richtige Notfälle.
Paul
Genau. Also nichts Lebensbedrohliches oder so.
Polizist
(Schweigen.)
Paul
Hallo?
Polizist
Ja. Ich bin noch dran.
Paul
Ich könnte auch später noch mal anrufen.
Polizist
Das ist sehr nett von Ihnen, bringt mir persönlich aber wenig.
Paul
Wieso?
Polizist
Ich sitz hier noch bis Mitternacht.
Paul
Nee. So lang wollte ich eigentlich nicht wach bleiben.
Polizist
Eben. Was für ein Notfall ist das denn?
Paul
Da ist ein Tier in meiner Küche.
Polizist
Was denn für ein Tier?
Paul
Ich glaube, ein Vogel.
Polizist
Können Sie den Vogel beschreiben?
Paul
Eher klein, von rundlicher Statur, gelbes Haar.
Polizist
Haar?
Paul
Fell.
Polizist
Fell?
Paul
Gefieder.
Polizist
Eher klein, von rundlicher Statur, gelbes Gefieder?
Paul
Richtig.
Polizist
Klein, dick und gelb?
Paul
Nicht dick. Rundlich.
Polizist
Rundlich?
Paul
Ja. Rundlich, aber nicht dick. Eher flauschig.
Polizist
Klein, flauschig und gelb?
Paul
Ja.
Polizist
Sie meinen ein Küken.
Paul
Vielleicht.
Polizist
Sie wissen schon, dass das der Notruf der Berliner Polizei ist?
Paul
Deswegen frag ich ja!
Polizist
Wonach?
Paul
Nach einer Nummer.
Polizist
Wofür?
Paul
Kleinere Notfälle.
Polizist
Sie rufen also an, weil ein Küken in Ihrer Küche sitzt?
Paul
Das kommt drauf an, was genau ein Küken ist.
Polizist
Sie werden doch wissen, was ein Küken ist.
Paul
Ich weiß, dass Küken kleine Hühner sind. Aber ich weiß nicht, ob das in meiner Küche auch ein Huhn ist, verstehn Se? Vielleicht ist es ja ’ne Gans oder ’ne Ente oder ein Adler. Sind denn kleine Gänse auch Küken?
Polizist
In welchem Stock wohnen Sie denn?
Paul
Im dritten.
Polizist
Wie soll denn ein Küken zu Ihnen in den dritten Stock gekommen sein?
Paul
Wir haben einen Aufzug im Haus.
Polizist
Ist das Ihre einzige Theorie?
Paul
Vielleicht ist es auch geflogen?
Polizist
Küken können nicht fliegen.
Paul
Vielleicht ist es ein hochbegabtes Küken?
Polizist
Seit wann haben Sie das Küken denn in Ihrer Küche?
Paul
Seit drei Stunden.
Polizist
Was haben Sie denn gemacht so lange?
Paul
Na, das Übliche.
Polizist
Das Übliche?
Paul
Gegoogelt.
Polizist
Da hockt ein Küken in Ihrer Küche im dritten Stock und das Erste, was Sie machen, ist zu googeln?
Paul
Eigentlich hab ich erst ein Bild gemacht. Für Facebook.
Polizist
Und? Hat’s schon jemand geliked?
Paul
Ja. 86 Leute.
Polizist
Sehn Se. Ist doch halb so schlimm, so ein Küken in der Küche.
Paul
Aber was soll ich denn jetzt machen?
Polizist
Isses ein männliches oder ein weibliches Küken.
Paul
Keine Ahnung.
Polizist
Na schaun Se doch mal nach!
Paul
Ich fass doch kein fremdes Küken an!
Polizist
Was soll denn passieren?
Paul
Vielleicht beißt es mich.
Polizist
Küken könn’ nicht beißen.
Paul
Aber picken. Und ich habe lange dünne Finger. Fast wurmartig, könnte man sagen.
Polizist
Sie gehn jetzt gefälligst in die Küche und gucken nach, ob es ein männliches oder weibliches Küken ist.
Paul
Nein.
Polizist
Doch.
Paul
Wieso überhaupt?
Polizist
Wenn das ein männliches Küken ist, dann schick ich garantiert keine Streife los. Bei einem weiblichen Küken würd ich mit mir reden lassen.
Paul
Was hat das denn mit dem Geschlecht zu tun?
Polizist
Wissen Sie nicht, was man macht mit männlichen Küken?
Paul
Wie? Was man macht?
Polizist
Na, was so passiert mit männlichen Küken.
Paul
Nee.
Polizist
Die werden zermust.
Paul
Zermust?
Polizist
Ja. Aus weiblichen Küken macht man Legehennen und Masthennen. Aus männlichen Küken macht man Mus. Für Tierfutter.
Paul
Und was mach ich, wenn das ein männliches Küken ist?
Polizist
Sind Sie bei der PETA?
Paul
Nee.
Polizist
Bei Greenpeace?
Paul
Nö.
Polizist
Deutscher Tierschutzbund?
Paul
Nein.
Polizist
Partei für Mensch, Umwelt und Tierschutz?
Paul
Auch nicht.
Polizist
Wird dieses Gespräch aufgezeichnet?
Paul
Nicht von mir.
Polizist
Dann würd ich an Ihrer Stelle eine große Pfanne nehmen und kurzen Prozess machen.
Paul
Ich werd doch kein kleines Küken töten!
Polizist
Essen Sie Hühnerfleisch?
Paul
Ja.
Polizist
Dann töten Sie Küken. Vierzig Millionen. Jedes Jahr.
Paul
Ich töte doch keine Küken.
Polizist
Sie nehmen das Töten von Küken wissentlich in Kauf.
Paul
Wissentlich bisher ja nicht.
Polizist
Sehn Se!
Paul
Mit ’ner Pfanne! Geht’s noch!
Polizist
Aber Musmaschine ist okay oder was?
Paul
Bei so einem automatisierten Prozess finde ich das irgendwie weniger grausam.
Polizist
Weniger?
Paul
Ja. Weniger.
Polizist
Ham Se einen Mixer zu Hause.
Paul
Ja.
Polizist
Na bitte. Ist doch auch automatisiert.
Paul
Das ist auch grausam. Da muss ich das Küken ja erst reintun, Deckel drauf und dann selber auf den Knopf drücken.
Polizist
Ach, und wenn jemand anders draufdrückt, is’ aber okay?
Paul
Ja.
Polizist
Oder wenn das Ding von allein anspringt?
Paul
Noch besser.
Polizist
Ham Se eine Zeitschaltuhr zu Hause?
Paul
Geht’s noch?
Polizist
Oder Sie gehn zu Lidl.
Paul
Was soll ich denn bei Lidl?
Polizist
Sie nehm’ das Küken. Setzen es in den Leergutautomaten. Zack. Mus!
Paul
Sind Sie verrückt? Am Ende geht der Automat kaputt und ich darf blechen.
Polizist
Was soll denn da kaputtgehen? Außer dem Küken.
Paul
Kann das nicht jemand anders machen?
Polizist
Wer denn?
Paul
Na, die Polizei.
Polizist
Die Polizei kann doch kein kleines Küken töten. Was glauben Sie, was da los ist, wenn das rauskommt?
Paul
Wir könn’ doch so tun, als hätte Sie das Küken angegriffen. Warnschuss eins. Warnschuss zwei. Querschläger. Küken tot.
Polizist
Ich hab jetzt keine Lust mehr.
Paul
Könn’ Sie nicht vorbeikommen?
Polizist
Nee.
Paul
Von mir aus auch nach dem Dienst? Sie nehm’ das Küken einfach mit und regeln das für mich. Bitte.
Polizist
Nein.
Paul
Bittebitte.
Polizist
Nein.
Paul
Bittebittebitte.
Polizist
Hörn Se, ich leg jetzt auf.
Paul
Das dürfen Sie doch gar nicht.
Polizist
Was?
Paul
Na, auflegen.
Polizist
Warum sollte ich das nicht dürfen.
Paul
Na juristisch. Sie als Polizist vom Notruf.
Polizist
Das stimmt. Normalerweise.
Paul
Was heißt denn normalerweise.
Polizist
Na, eigentlich darf ich das nicht. Außer bei kleineren Notfällen.
(Ende der Szene)
Lausche, was wandert
Man darf’s ja so laut gar nicht sagen, aber wo wir doch gerade unter uns sind: Ich gehöre schon ganz klar zu den Leuten, die ein bisschen klüger sind als alle anderen. Da muss man schon ganz ehrlich mit sich sein. Will zwar keiner hören, ist aber so: Ich weiß eigentlich alles ein bisschen besser als der Rest. Da kommt’s auch gar nicht darauf an, wovon genau die Rede ist: frühmittelalterliche Dichtung, Nuklearmedizin, Byzantinistik oder Geschlechtskrankheiten subtropischer Tierarten. Ich, im Kopf immer verschränkte Arme, rechte Augenbraue ganz weit oben und ein bisschen Überlegenheit im Gesicht.
Je weniger ich von irgendwas verstehe, umso mehr weiß ich Bescheid. Auch immer noch ein bisschen mehr als alle anderen. Da könnte man jetzt sagen: »Geht doch gar nicht! So rein logisch.« Aber glauben Sie mir mal. Ich weiß schon, wovon ich rede.
Sie müssen wissen: Die Leute sehen das ja auch, dass man weiß. Und dass man weiß, dass sie wissen. Wenn ich dem Dirk vom Hornbach sage, dass die neue Waschmaschine immer wandert, wegen der Dielen, dann weiß ich doch sofort, dass er denkt: »Das weiß ich aber besser. Nicht wegen der Dielen, sondern weil die Beinchen falsch justiert sind.« Und wenn der Dirk vom Hornbach mir dann eine Unterlegmatte für die Waschmaschine verkaufen will, dann weiß ich: »Hilft mir zwar bei Beinchen, aber nicht bei Dielen.« Das weiß ich eben besser als der Dirk. So eine Unterlegmatte macht doch alles nur noch schlimmer. Aber weil ich weiß, dass Dirk weiß, dass ich weiß, kaufe ich trotzdem eine, damit er nicht denkt, ich wüsste … na, Sie wissen schon.
Is’ ja auch gut, so was mal im Haus zu haben. Damit falls einer sagt: »Kauf dir mal ’ne Unterlegmatte!«, ich gleich sagen kann: »Hab ich schon. Wusste ich gleich, dass das nichts bringt.«
Soweit ich weiß, geht das mit der Waschmaschine schon ein Weilchen so. Anfangs nur ein kleines bisschen. Da ist die Waschmaschine morgens nicht mehr neben dem Kühlschrank gestanden, sondern hinten rechts bei der Spülmaschine. Hatte ganz plötzlich angefangen. Wobei: So ganz genau wissen kann ich das ja nicht. Könnte gut sein, dass die Waschmaschine schon länger gewandert ist. Nur eben sehr unauffällig. Immer raus aus ihrer Nische, einmal rund um den Küchentisch und wieder zurück in ihre Nische. Ich hab da ja kein Auge für. Mir fällt so was immer nur rückblickend auf. Mir ist sogar so, als sei die Waschmaschine eines Morgens im Wohnzimmer am Fenster gestanden. Glaube ich. Nicht so lange. Zwei, drei Tage vielleicht. Und dann wieder zurück. Aber Achtung: Ich, anfangs ja noch voll der Besserwisser. Da hab ich gedacht: Kann doch gar nicht sein.
Und dann, letzte Woche, das weiß ich noch ganz genau, bin ich morgens aufgewacht, und was seh ich, draußen am Balkon? – Die Waschmaschine! Hat die ja nicht wissen können, dass die Balkontür immer gleich zufällt und man von draußen nicht mehr reinkommt. So ganz ohne Arme. Aber was erwartet man auch? Ist ja nur ’ne Waschmaschine.
Aber interessant, weil ganz wichtige Erkenntnis: Besserwissersein gleich voll das Familiending. Als ich nämlich meinem Vater erzählt habe, dass die Waschmaschine über Nacht auf den Balkon gewandert ist, also von der Küche durch den Flur, Schlafzimmertür auf, Schlafzimmertür zu, vorbei am Bett, Balkontür auf und über die Schwelle raus an die frische Luft, da hat er nur gesagt: »Kann doch gar nicht sein.« Aber unter uns: Musste er ja sagen. Weil die Beinchen von der Waschmaschine hatte mein Vater justiert.
Mutter dagegen wieder total weiblich-irrational. Wie das denn gehen soll, dass eine Waschmaschine Türen aufbekommt? Aber da muss man als Besserwisser schon ein bisschen Nachsicht haben. Auch mit der eigenen Mutter. Die hat halt nur ’ne alte Bauknecht zu Hause. Die hat bestimmt schon zwanzig Jahre auf dem Buckel. Klar, dass die keine Türen aufbekommt.
Vater hatte dann trotzdem noch einen Tipp auf den Lippen. Er sagte: »Olivenöl unter die Beinchen.« Hab ich nicht verstanden, warum. Aber so gute Ratschläge am besten gar nicht hinterfragen, sondern lieber ein bisschen Wind aus den Segeln nehmen.
Mutter eher so der Fachmann für Antitipps. Aber Empathie: top. Und gute Absichten sowieso. Also gar nicht erst versuchen, das Problem zu lösen, sondern lieber effektiv daran arbeiten, das Problem nicht noch wesentlich schlimmer zu machen. Mutter sagte, ich solle bloß keinen ganzen Weißkohl in die Trommel legen. Hab ich auch nicht ganz verstanden, wie sie darauf kam. Drei Stunden später hat dann der Bruder meiner Mutter angerufen. Hat mir gesagt, ich solle einfach bei jeder Wäsche einen ganzen Weißkohl mit in die Trommel legen.
Letzten Freitag gegen acht dann ein Klingeln an der Tür. Der Betreiber vom Wettbüro gegenüber. Ich möge doch bitte kommen und meine Waschmaschine wieder abholen.
Als wir kurze Zeit später gerade auf dem Weg nach Hause waren, die Waschmaschine und ich, holte uns Frau Paszellak vom Penny ein. Sie bekäme noch acht Euro für meinen Einkauf gestern Nachmittag. »Welchen Einkauf?«, fragte ich. Aber Frau Paszellak wusste, dass ich wusste, und deutete stumm auf die Einkäufe in meiner Waschmaschine. Ich deutete stumm zurück auf den 10-Euro-Schein im Weichspülerfach.
Letzte Nacht ein Anruf von der Bundespolizei. Man hätte in der Nähe von Görlitz eine Waschmaschine aufgegriffen. In der Waschtrommel ein paar Stangen Zigaretten und ein verwaschener Einkaufszettel mit meinem Namen drauf. Ob das meine Waschmaschine sei. »Ich weiß nicht, wovon Sie reden«, habe ich gesagt. Aber ich wusste, dass der Polizeibeamte wusste, dass ich wusste. Aber dass ich wusste, dass er wusste, dass ich wusste, na das, das muss der mir erst mal beweisen.
Im Quergebäude nebenan wohnt seit vielen Jahren eine alte Dame. Rita Schoblinsky. Die arme Frau hat eine sehr seltene Erkrankung: Ihre Unterarme sind an ihrem Fensterbrett festgewachsen. Mehrmals täglich ruft die Rentnerin nach ihrer langjährigen Freundin Herta Kemper aus dem gegenüberliegenden Seitenflügel.
Hinterhof, mon amour: Frühlingsgefühle
Rita
Herta!
Herta
Wat’n?
Rita
HERTA!
Herta
Ja, wat’n?
Rita
Komm doch ma’ ans Fenster!
Herta
Jaja. Wat is’n los?
Rita
Herta … ick gloob, ick hab mir verliebt!
Herta
Wat haste?
Rita
Mir verliebt!
Herta
Biste dir sicher?
Rita
Klar bin ick mir sicher. Sowat merkt man doch!
Herta
Woran merkst’n ditte?
Rita
Na, die Pumpe, Herta! Wie’s da so rumpelt! Und der Magen, als hätt ick Miniermotten inner Wampe! Und die Rübe! Janz heiß is’ mir obenrum.
Herta
Ach Rita, so war dit bei dem Rudi doch auch damals!
Rita
Na, siehste!
Herta
War aber keene Liebe! War Krebs!
Von einem, der einzog, das Fürchten zu lernen