Aller guten Dinge - Wolf Eismann - E-Book

Aller guten Dinge E-Book

Wolf Eismann

0,0

Beschreibung

Eigentlich ist alles bestens: Der Erzähler lebt mit seinem Partner in einer norddeutschen Kleinstadt und leitet dort recht erfolgreich ein Kulturhaus. Doch seitdem sich die Teilhaberin aus dem Geschäft zurückgezogen hat, wächst ihm die Arbeit über den Kopf: Kunstausstellungen, Abende mit Kammermusik, Kabarett und Kleinkunst ... Die Mitarbeiterin, die er einstellt, macht ihm das Leben schwer, in der Beziehung tauchen Probleme auf - und plötzlich steht die Existenz des Kulturhauses auf dem Spiel. Die Suche nach einer Lösung entwickelt sich mehr und mehr zu einer Tour de Force ... Wolf Eismann erzählt die Geschichte seines Romans "Baumstämme im Schnee" weiter. Mit skurrilen Begegnungen und überraschenden Wendungen, nachdenklich, aber dennoch humorvoll geht es um die Widrigkeiten des Lebens und die Freude an der Kultur.

Sie lesen das E-Book in den Legimi-Apps auf:

Android
iOS
von Legimi
zertifizierten E-Readern
Kindle™-E-Readern
(für ausgewählte Pakete)

Seitenzahl: 196

Das E-Book (TTS) können Sie hören im Abo „Legimi Premium” in Legimi-Apps auf:

Android
iOS
Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



Personen und Handlungen sind frei erfunden und lediglich inspiriert von tatsächlichen Ereignissen.

Inhaltsverzeichnis

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

Kapitel 14

Kapitel 15

Kapitel 16

Kapitel 17

Kapitel 18

Epilog

1

„Wir haben in unserem Haus überhaupt keinen Platz für zwei Zebras. Und schon gar nicht in Lebensgröße.“

Ich drücke das Telefon fester an mein Ohr. Der Mann am anderen Ende spricht sehr leise.

„Ja, das habe ich verstanden.“ Mittlerweile bin ich leicht genervt. „Die Zebras sind aus Holz. – Skulpturen … – Mit der Kettensäge … – Aber unser Ausstellungsraum wird auch für Veranstaltungen genutzt. Wenn Sie da Ihre Zebras hinstellen, fehlt uns am Abend der Platz für die Zuschauer. Und Zebras zahlen meines Wissens keinen Eintritt. Schon gar nicht, wenn sie aus Holz sind.“

Der Mann gibt nicht auf. Er schwärmt von Gänsen und von einer punkigen Ziege.

„Die Ziege hat einen Irokesenschnitt. – Aus einer Schrubberbürste …!“ Er juchzt plötzlich hysterisch und seine Fistelstimme überschlägt sich.

Mir reicht’s. Ich würge ihn ab und packe das Telefon zurück auf den Schreibtisch.

Einen Augenblick Stille. Durchatmen.

Vor mir sitzt seit zwanzig Minuten Amanda Schiller. Extrem schlank, fast dürr, hochgewachsen, brünette Kurzhaarfrisur. Sie trägt ein elegantes Kostüm in Resedagrün und wartet geduldig darauf, dass wir unser Gespräch fortsetzen. Als ich entschuldigend mit den Achseln zucke, lächelt sie kurz.

„Wo waren wir stehengeblieben?“, frage ich.

„Sie wollten mich durchs Haus führen und mir alles zeigen“.

„Ja, richtig.“

Wir stehen auf. Mit einer Handbewegung weise ich ihr den Weg durch die Tür meines Büros in die Diele. Wir gehen in Richtung des Saals, in dem unsere Veranstaltungen stattfinden.

„Wir verfügen hier über rund 200 Quadratmeter, und dieser Raum nimmt ungefähr ein Drittel ein.“

Ihr Blick streift über die großformatigen Bilder, die an den Wänden hängen: Figuren mit märchenhaften Kopfbedeckungen, die durch eine mystisch anmutende Landschaft streifen. Alles in zarten Pastelltönen.

„Bundschuh“, sage ich mit einem Hauch von Stolz in der Stimme.

„Was?“ Sie dreht sich zu mir um.

„Oskar Bundschuh. Der Künstler. Die Ausstellung läuft noch drei Wochen.“

„Und überall Parkett“, stellt Amanda Schiller anerkennend fest, während sie sich gleichzeitig demonstrativ von den Kunstwerken abwendet.

Ich nicke.

Sie möchte wissen, ob ich mich bislang allein um die Organisation des Programms gekümmert habe, und ich erzähle ihr von meiner langjährigen Freundin Hannah, mit der ich gemeinsam das Kulturwerk gegründet hatte. Sechs Jahre ist das her.

„Wir haben schon während des Studiums gemeinsam für eine Studentenzeitung gearbeitet, und zuletzt leitete Hannah in Hamburg eine Werbeagentur, bevor wir dann zusammen hier in die Provinz gezogen sind, um dieses Haus zu eröffnen. War so eine Art Kindheitstraum von uns.“

„Aber Sie haben sich getrennt?!“

„Also, Hannah ist eine platonische Freundin“, erkläre ich. „Wir waren nie ein Paar. Ich lebe mit einem Mann zusammen.“

„Und Sie kommen zurecht?“

Ihre Frage irritiert mich.

„Finanziell, meine ich.“

„Oh … – Ja, klar. Haben Sie Zweifel?“

„Nun, in der direkten Nachbarschaft Ihres zugegeben schönen Altbaus habe ich nichts als Kneipen, Supermärkte und Spielotheken entdeckt. Ein seltsames Umfeld für ein Kulturhaus.“

„Aber es funktioniert. Und ehrlich gesagt ist mir das so immer noch lieber, als wären um uns herum Theater, Clubs und Kinos.“

Ich führe Amanda Schiller durch die übrigen Räume des Hauses, zeige ihr die Künstlergarderobe, den Lagerraum, die Toiletten – und sie möchte schließlich noch mehr über Hannah wissen.

„Meine Freundin ist nach wie vor stille Teilhaberin. Sie hat sich aber aus dem Geschäft zurückgezogen und ist nach New York gegangen. – Der Liebe wegen“, füge ich mit einem Augenzwinkern hinzu, was ich im nächsten Augenblick schon bereue. Ein Quäntchen Intimität zu viel.

Wir gehen zurück ins Büro und setzen uns an den kleinen Konferenztisch in der vorderen Ecke des Raumes gegenüber der breiten Fensterfront, die zur Straße führt. Torben schlendert draußen gerade vorbei. Der einzige Künstler meiner Galerie, der nur zwei Straßen weiter wohnt und immer mal unangemeldet bei mir auftaucht. Allerdings selten bei passender Gelegenheit. Als er mich sieht, winkt er mir kurz zu, und ich erwidere den Gruß. Einen Moment befürchte ich, er könnte meinen Wink missverstehen und hereinkommen, doch er geht weiter und verschwindet aus unserem Blickfeld.

Amanda Schiller greift sich eines der Programme, die vor uns auf dem Tisch liegen.

„Eine Übersicht unserer Veranstaltungen“, erkläre ich.

Im nächsten Augenblick öffnet sich die Eingangstür. Torben hat es sich offensichtlich anders überlegt und steht erwartungsfroh im Raum. Als sich unsere Blicke treffen, grinst er mich an und kommt zu uns an den Tisch.

„Na? Alles in Ordnung bei euch?“, fragt er leutselig und mustert Amanda Schiller. „Ich dachte, ich sage mal kurz Hallo.“

„Wir sind gerade im Gespräch“, erkläre ich und hoffe, er kapiert, dass er stört.

„Vielleicht kann ich helfen?“

„Wobei?“ In meiner Stimme schwingt ein provozierender Unterton mit.

„Du interessierst dich für den Spielplan?“, fragt er Amanda Schiller, als er entdeckt, dass sie unser Programm in den Händen hält.

Sie blickt ihn wortlos an, und Torben greift sich einen Stuhl, um sich zu uns zu setzen.

„Die Pianistin, die hier letzte Woche gespielt hat, hättest du erleben müssen“, beginnt er. „Glamourös …! Amerikanerin, lebt aber in Salzburg. Mozart hat sie gespielt. Und was von Gershwin. In einem kobaltblauen Paillettenkleid.“

„Torben …!“, ermahne ich ihn.

„Einen Moment“, vertröstet er mich. „In der Pause hat sie sich sogar nochmal umgezogen“, wendet er sich wieder Amanda Schiller zu. „Was soll ich sagen? Ein Traum in Rot ...!“

Ich kapituliere für den Moment, und Torben redet plötzlich von seiner Mutter, die hier im vergangenen Monat an einem Sonntagnachmittag eine Veranstaltung besucht hatte: Ein glatzköpfiger Mann hat am Klavier alte Ufa-Schlager zum Besten gegeben. Die Mama ist gemeinsam mit einigen Mitbewohnerinnen aus dem Altenheim mit einem Kleinbus abgeholt worden, und schon nach zehn Minuten haben sie alle begonnen, die nostalgischen Gassenhauer inbrünstig mitzusingen.

Ich erinnere mich gut an diesen seltsamen Nachmittag. Er hatte etwas von einer Kaffeefahrt.

„Aber dieser pubertäre Kabarettist aus Rostock … – ganz ehrlich: alles andere als komisch“, rüffelt Torben mit Blick zu mir und fügt Richtung Amanda hinzu: „Er ist als Zeitungsjunge aufgetreten und hat sich über die Politiker aufgeregt. Wie hatte er das noch genannt …?!“

„Die Dynamik der politischen Apathie“, antworte ich.

„Genau. Und man sollte sehr misstrauisch gegenüber Politikern sein, die niemals lachen, meinte er. – Da muss ich ihm allerdings Recht geben.“

„Torben, wir haben hier etwas Wichtiges zu besprechen“, sage ich genervt.

„Ich wollte sowieso gerade gehen“, kontert er und erhebt sich von seinem Stuhl. „Freut mich, dich kennengelernt zu haben“, flötet er in Richtung Amanda Schiller, die mit einem leicht gequälten Lächeln reagiert. Dann verschwindet er durch die Tür hinaus auf die Straße.

Einen Moment ist es wieder still im Raum.

„Was genau wäre denn eigentlich meine Aufgabe, falls Sie mich überhaupt einstellen sollten?“, fragt Amanda Schiller, legt das Programm zurück auf den Tisch und nestelt nervös am Revers ihrer Kostümjacke.

„Nun, die Büroarbeit wächst mir über den Kopf. Verträge müssen geschrieben werden, die Korrespondenz stapelt sich …“

„Sie suchen also eigentlich nur eine Bürohilfe?“, unterbricht sie mich und klingt dabei etwas ernüchtert.

Ich schlucke.

„Nein“, entgegne ich. „Es ist ja viel mehr.“

„Nämlich?“

Sie bemerkt mein Zögern.

„Mir kommt da ein Duo in den Sinn“, sagt sie. „Violine und Bandoneon. Sie spielen argentinische Tangos und Tango Nuevos von Piazzolla. Die beiden sind gerade in Norddeutschland auf Tournee. Wäre das nicht etwas für das Haus?“

„Klingt interessant, aber so kurzfristig lässt sich das, glaube ich, kaum einplanen.“

Amanda Schiller lässt nicht locker. „Ein Saxofon-Quartett fällt mir noch ein. Großartige Musiker. Die planen längerfristig.“

„Vier Saxofone gleichzeitig in unserem kleinen Saal: Ist das nicht zu laut?“, gebe ich zu bedenken.

„Sie suchen doch nur eine Bürohilfe.“

„Nein! – Also …“

Amanda Schiller hat bislang das Programm für einen Club in Schwerin organisiert, der vor kurzem allerdings schließen musste. Der Pachtvertrag lief aus, und es gab zunehmend Ärger mit den umliegenden Anwohnern, die sich über den Lärm beschwert hatten.

„Ehrlich gesagt fühle ich mich mit einem Job als Bürohilfe ein wenig unterfordert“, gesteht sie. „Ich möchte auch gestalten.“

„Als Hannah noch hier war, habe ich mich zwar allein um die Ausstellungen gekümmert, aber das Abendprogramm haben wir tatsächlich zu zweit organisiert.“

Amanda Schiller starrt mich regungslos an.

„Aber wir kannten uns eben auch schon lange und waren aufeinander eingespielt …“

Sie starrt mich immer noch regungslos an.

„Gut“, sage ich. „Ich werde nochmal darüber nachdenken. Sie hören in den nächsten Tagen von mir.“

Am darauffolgenden Morgen gehe ich eher lustlos noch einmal die übrigen Bewerbungen durch, die ich auf meine Anzeige erhalten hatte. Tatsächlich haben mich die Unterlagen von Amanda Schiller gleich zu Anfang am meisten überzeugt. Sie scheint mir die Einzige zu sein, die sich auch für Kultur interessiert. Eine der übrigen Bewerberinnen hat bislang im Büro bei einem Immobilienmakler gearbeitet, eine andere kümmerte sich zuletzt um die Finanzbuchhaltung in einer Kfz-Werkstatt, die Dritte besaß bis vor kurzem einen kleinen Laden für Dessous, der Konkurs anmelden musste. Alle drei wohnen hier im Ort, aber ich kann mich nicht erinnern, eine von ihnen jemals bei einer Veranstaltung im Haus gesehen zu haben.

Ich vermisse Hannah.

Unschlüssig lege ich die Bewerbungen wieder beiseite und versuche, das leidige Personalproblem zu verdrängen. Eine Notiz, die am Monitor meines Computers klebt, erinnert mich daran, dass ich nochmal probieren sollte, Noemi Zelder telefonisch zu erreichen. Die junge Studentin von der Hamburger Hochschule für Musik und Theater hatte mir ein Projekt angeboten, das sie zusammen mit sechs Kommilitonen erarbeitet hat. Eigentlich lehne ich Angebote von Ensembles mit mehr als drei Personen grundsätzlich ab. Allein schon deshalb, weil es sich kaum finanzieren lässt, wenn man die Künstler einigermaßen fair bezahlen möchte. Doch unsere Bühne ist auch zu klein. Die Akteure würden sich gegenseitig auf die Füße treten. Noemi versicherte mir allerdings, dass sie für das Projekt nicht viel Platz bräuchten, weil sie kaum einmal alle gleichzeitig auf der Bühne stehen. Und auch das Honorar von 150 Euro pro Person konnte sie nicht abschrecken. Mehr, erklärte ich ihr, sei bei einem Ensemble von sieben Personen finanziell einfach nicht machbar. Ihre Idee zu realisieren, so meinte sie, sei ihnen wichtiger als das Geld.

In dem Projekt geht es um Alice im Wunderland. In einer Mischung aus Rezitation und Gesang, Klassik und Jazz wollen sie den Roman von Lewis Carroll neu interpretieren. Sie kombinieren Elemente aus dem Text mit Liedern aus dem Disney-Film und Songs von Tom Waits aus dessen Avantgarde-Musical Alice. Noemi erwähnte die Schubertiaden, Hauskonzerte, die zu Lebzeiten Franz Schuberts veranstaltet wurden und die sie sich für das Projekt zum Vorbild genommen hätten. Eine Mischung aus freundschaftlichem Treffen und literarisch-musikalischem Salon, wobei Konzert und Lesung durch geistvolle Unterhaltungsspiele ergänzt werden sollen.

Die Idee hat mir gefallen, und so habe ich die Studentengruppe engagiert, obwohl ich bislang nur Noemi persönlich kennenlernen konnte. Ich weiß natürlich, dass es ein gewisses Risiko birgt, mit Leuten zu arbeiten, die ihre Professionalität noch trainieren müssen. Deshalb wundere ich mich auch nicht, dass ich seit zehn Tagen vergeblich auf ein einigermaßen originelles Pressefoto warte.

Ich höre das Freizeichen. Es klingelt sicher zehnmal, bevor Noemi sich endlich meldet. Offensichtlich habe ich sie geweckt.

„Wir haben gestern ziemlich lange geprobt“, grummelt sie mit verschlafener Stimme durchs Telefon.

Als ich nach dem Pressefoto frage, bleibt es am anderen Ende erst einmal still.

„Dir ist offensichtlich nicht klar, wie wichtig so ein Foto für die Werbung ist“, erkläre ich ihr. „Nicht nur für die Berichterstattung in der Zeitung, sondern auch für ein gutes Plakat. Ja, wärest du Tom Waits oder Walt Disney, dann könnten wir eventuell darauf verzichten. Aber tatsächlich bist du ja nicht mal Alice.“

„Es ist einfach schwierig, alle sieben Leute für einen Fototermin zusammen zu bekommen“, entschuldigt sie sich. „Ich habe ein Foto von Cora und mir, das ich dir mailen könnte. Cora ist die Jazztrompete.“

„Nein, das genügt nicht, Noemi.“

„Ein Foto von Ferdinand könnte ich auch noch auftreiben. Einer der Schauspieler.“

„Hast du mir doch schon geschickt, aber das scheint mir ein Schnappschuss aus dem Urlaub zu sein.“

Unprofessionell, denke ich. Wie konnte ich mich nur darauf einlassen?

„Ich kümmere mich nochmal darum“, versichert mir Noemi, und wir beenden das Gespräch.

Mein Blick fällt zwangsläufig wieder auf den Stapel mit den Bewerbungsunterlagen. Ich entschließe mich, einmal diese Finanzbuchhalterin anzurufen.

„Hallihallo“, höre ich plötzlich Torbens Stimme.

„Du schon wieder.“

Torben hält eine Skizzenmappe unter dem Arm und kommt auf mich zu.

„Keine Angst, die ist nicht für dich“, beruhigt er mich.

„Sondern?“

„Ich habe vor, einen Blog zu starten. – Da staunst du, was?“, fügt er hinzu, als er meinen irritierten Gesichtsausdruck sieht.

„Torben, ich muss dringend telefonieren“, erkläre ich ihm und bemerke gleichzeitig, dass mir die Ablenkung gar nicht so unangenehm ist. Die Finanzbuchhalterin kann warten.

„Ich werde jetzt jeden Tag ein Bild malen und in einem Blog online zum Kauf anbieten. Am ersten Tag kostet es nur 250 Euro, aber jeden Tag wird es fünfzig Euro teurer. Das heißt, je früher jemand zugreift, umso günstiger bekommt er es.“

„Täglich ein Bild? Da hast du einen ziemlichen Zeitdruck.“

„Es werden ja kleine Arbeiten sein, und ich will natürlich auch immer einige Bilder in petto haben. Falls es einen Tag mal eng wird.“

Keine so schlechte Idee, denke ich. Aber das behalte ich für mich.

„Und? Was denkst du darüber?“, fragt er.

„Hast du dann überhaupt noch die Muße, dich um deine Ausstellung in Brandenburg zu kümmern, von der du erzählt hast?“

„Die habe ich abgesagt. Der Kurator ist abgesprungen, und der Typ, der da jetzt zuständig sein soll, hat nicht das geringste Gespür für Kunst.“

„Ach, ja?“

„Dem fehlt die künstlerische Sensibilität. Da geht es nur noch ums Geld. Mit Buchhaltern will ich nicht arbeiten.“

„Auch ein Buchhalter kann sich für Kunst interessieren.“

„Die haben doch nur Zahlen im Kopf.“

„Es ist nicht verkehrt, wenn Galeristen etwas von Finanzen verstehen.“

„Vor allem ist es nicht verkehrt, wenn sie etwas von Kunst verstehen“, kontert Torben. Dann sieht er auf die Uhr, und ihm fällt ein, dass er dringend weiter muss, wenn er seinen Termin beim Friseur nicht verpassen will. Mit einem Wink verabschiedet er sich und ist im nächsten Augenblick verschwunden.

Die Finanzbuchhalterin wartet immer noch auf meinen Anruf. Ich schiebe die Bewerbungsunterlagen erneut beiseite. Morgen ist auch noch ein Tag.

2

Am frühen Nachmittag bin ich mit meinem Mann im Stadtcafé verabredet. Simon wollte morgens nach Hamburg fahren, um ein paar Farben und Leinwände zu besorgen. Als ich kurz nach 14 Uhr das Café betrete, sitzt er bereits an einem der Tische am Fenster und nickt mir zu.

Wir begrüßen uns mit einem Kuss, und ich setze mich ihm gegenüber. Mein Blick streift durch den Raum. Wie üblich um diese Zeit sind fast alle Plätze besetzt, und gewohnheitsmäßig kontrolliere ich, ob sich Stammkunden unseres Kulturhauses unter den Gästen befinden, die einen kurzen Gruß von mir erwarten. Im ersten Moment erkenne ich niemanden, doch dann entdecke ich unsere Zahnärztin mit ihrem Mann am anderen Ende des Cafés. Sie sind allerdings so sehr in ihr offensichtlich recht ernsthaftes Gespräch vertieft, dass sie mich nicht bemerken.

„Ich habe dir schon einen Milchkaffee und ein Stück Schokoladentorte bestellt“, verrät Simon. – „Die isst du doch sonst so gern“, fügt er hinzu, als er bemerkt, dass ich mit den Augen rolle.

„Ja, ist schon in Ordnung.“

„Sonst müssen wir tauschen, und du nimmst meinen Apfelstrudel.“

Simon weiß, dass ich Apfelstrudel nicht ausstehen kann.

Während wir auf unsere Bestellung warten, erzählt er mir von seinem Ausflug nach Hamburg. Auf dem Weg zu seinem Lieblingsladen mit Künstlerbedarf ist er in einen großflächigen Feuerwehreinsatz geraten. Der Dachstuhl eines Hauses hat gebrannt, und die Flammen schossen nur so in die Höhe, wie mir Simon mit ausladenden Gesten aufgeregt schildert. Mehrere Löschfahrzeuge seien im Einsatz gewesen, und die gesamte Fußgängerzone musste für zwei Stunden komplett gesperrt werden. Simon entschloss sich kurzerhand, dem Pulk von Schaulustigen den Rücken zu kehren und die Wartezeit in einem kleinen Restaurant in der Nebenstraße zu verbringen.

„Hatten wir nicht hier in der Kreisstadt vor kurzem auch erst einen Dachstuhlbrand?“, versuche ich mich zu erinnern.

„Keine Ahnung“, erwidert Simon. „Aber das kann man doch auch nicht vergleichen.“

„Wieso nicht?“

„Hast du schon eine Entscheidung getroffen, ob du diese Frau aus Schwerin einstellst?“, wechselt er das Thema. „Wie hieß die noch? Goethe oder so.“ Simon grinst schelmisch.

„Goethe, ja“, reagiere ich genervt. „Amanda Goethe. – Nein, habe ich noch nicht entschieden.“

„Ich weiß sowieso nicht, warum du noch jemanden suchst“, nörgelt Simon, während uns die neue Kellnerin mit stoischer Miene den bestellten Kaffee und Kuchen serviert.

„Weil mir die Arbeit über den Kopf wächst.“

„Ich könnte dir ja dann und wann helfen. Aber mir traust du das offensichtlich nicht zu.“

„Du sollst malen. Kümmere dich um deine Kunst.“

Simon blickt beleidigt auf seinen Teller und schiebt wortlos ein Stück des Apfelstrudels durch die schmierige Vanillesoße.

„Amanda Schiller will sich allerdings in die Programmplanung einmischen“, gestehe ich. „Und das gefällt mir gar nicht.“

„Das ist dein Problem“, ätzt Simon. „Alles willst du immer alleine machen, und hinterher jammerst du über zu viel Arbeit.“

„Iss deinen Apfelstrudel.“

Ich schaue auf die Uhr.

„Schon wieder unter Zeitdruck?“, fragt Simon.

„Ich habe doch heute Abend das Konzert, und ich muss die Musiker vom Zug abholen.“

Auf dem Weg zum Bahnhof fahre ich bei der Druckerei vorbei, um die bestellten Programmzettel für den Abend mitzunehmen. Ich wollte etwas Aufwändigeres, das ich nicht am eigenen Kopierer herstellen konnte. Das Deckblatt ist identisch mit dem Plakat, das ich vorab hatte drucken lassen. Es zeigt ausgesprochen gelungene Porträts der beiden Musiker: Johanna und Demian Basler, jung, attraktiv, frisch verheiratet. Mir kam die Idee, die Fotos so zu bearbeiten, dass sie ein wenig an die ikonischen Siebdrucke von Andy Warhol erinnern. Ich hoffe, auf diese Weise nicht nur ein größeres, sondern auch einmal ein jüngeres Publikum anzulocken. Auf dem Programm stehen allerdings klassische Sonaten von Brahms, Beethoven, Fanny Hensel und Schostakowitsch. Das lässt sich nicht verleugnen. Wer dann mit der Musik nichts anfangen kann, hat aber zumindest die Gelegenheit, zwei schönen Menschen bei der Arbeit zuzusehen.

Johanna und Demian warten bereits vor der Touristen-Information, als ich am Bahnhof eintreffe. Sie stützt sich auf einen knallgelben Trolley und mustert die zugegeben triste Umgebung, die den Bereich um dem Bahnhof prägt. Ihre langen, rotbraunen Haare hat Johanna mit einem Kamm hochgesteckt, und so erinnert sie mich an eine Frau aus einem Gemälde von Gustav Klimt, die sich auf ihrer Zeitreise in einen zerknautschten Trenchcoat gewickelt hat. Demian hat ein ausdrucksstarkes, kantiges Gesicht mit grünblauen Augen und einer weißblonden Igelfrisur. Ich muss unweigerlich an den jungen Billy Idol denken. Sein Cello, das fast genauso groß ist wie er selbst, trägt Demian lässig auf dem Rücken.

„Ich glaube, ich war echt noch nie in dieser Gegend“, staunt Demian, während er sein Cello neben sich auf die Rückbank zerrt.

„Aber ihr lebt doch schon länger im Norden, oder?“, frage ich.

„In Hamburg, ja. Aber alles, was darüber liegt, betritt Demian nur, wenn du ihn mit Geld lockst“, lacht Johanna und lässt sich neben mir ins Auto fallen. „Eigentlich ist ihm Hamburg schon viel zu weit nördlich.“

Auf der Fahrt zum Kulturwerk beginnen sie von ihrem gemeinsamen Gastspiel am Comer See zu schwärmen. Von dem angenehmen Klima, dem atemberaubenden Bergpanorama, dem Dom von Como und der imposanten mittelalterlichen Stadtmauer.

„Aber vor allem Bellagio musst du gesehen haben“, begeistert sich Demian. „Ich denke, Bellagio ist einer der schönsten Ferienorte überhaupt. Große Parkanlagen voller Zypressen, Azaleen, Rosen, Kamelien und Rhododendren.“

„Rhododendron gibt es hier auch“, werfe ich ein.

„Papperlapapp. Die Gärten in Bellagio zählen zu den charmantesten Italiens.“

„Schau mal aus dem Fenster, Demian“, unterbricht ihn Johanna schließlich. „Hier ist es auch nicht schlecht.“

„Ja. Schöner grauer Himmel.“

Wir erreichen das Kulturwerk. Ich parke das Auto hinter dem Haus, Johanna und Demian greifen sich Trolley und Cello und folgen mir durch den Hintereingang.

„Sehr intim“, konstatiert Demian, als wir den Saal betreten.

„Stimmt, es ist nicht sehr groß“, gestehe ich ein. „Aber unsere Gäste lieben gerade diese eher häusliche Atmosphäre.“

„Verstehe uns nicht falsch“, sagt Johanna. „Wir spielen auch lieber in kleineren Sälen. In großen Hallen vermisse ich den Kontakt zum Publikum.“

Demian stimmt ihr zu, und während Johanna den Flügel begutachtet, packt er sein Cello aus. Sie wollen sich ein wenig einspielen, und ich verabschiede mich ins Büro, um die Buchungen für den Abend zu kontrollieren.

Die Veranstaltung ist bislang zur Hälfte ausverkauft. Natürlich habe ich meine Stammgäste, auf die ich mich verlassen kann. Vor allem, wenn Kammermusik auf dem Spielplan steht. Sie füllen allerdings nicht den Raum. Wäre ich immer ausverkauft, könnte ich die Eintrittspreise reduzieren. Dann aber wäre die Nachfrage nach Tickets vielleicht so groß, dass gar nicht für alle Platz wäre. Das nennt man wohl Teufelskreis. Es ist, wie es ist.

Jemand klopft von außen gegen die Fensterscheibe. Ich sehe hoch und entdecke zu meiner Überraschung Gisela Quecke, die Redakteurin unserer Lokalzeitung, die spähend ihre Nase gegen das Glas drückt.

„Haben Sie noch eine Karte für heute Abend?“, fragt sie, als ich ihr die Tür öffne.

„Auch zehn, wenn Sie wollen“, antworte ich und wundere mich gleichzeitig über ihr Interesse. Ich kann mich nicht erinnern, dass Frau Quecke jemals einen unserer Kammermusikabende besucht hätte.

„Eine genügt“, winkt sie ab und folgt mir zum Schreibtisch. „Mein Chef war vor kurzem bei einem Konzert der beiden Künstler in Berlin. Ein Freund hatte ihn mitgeschleppt. Er ist eher widerwillig mitgegangen, aber anschließend war er so begeistert …! – Als er jetzt gelesen hat, dass die hier bei uns auftreten, meinte er, wir müssten unbedingt darüber berichten.“

„Das freut mich“, sage ich.

„Es wird doch auch Schostakowitsch gespielt, richtig?“

„Seine Sonate für Cello und Klavier op. 40 d-Moll.“

„Vierzig, genau. Die hatten sie wohl auch in Berlin auf dem Programm.“

Während ich am PC das Ticket buche, setzt sich Gisela Quecke auf den Stuhl mir gegenüber. Aus dem Saal nebenan dringt die Musik von Johanna und Demian zu uns herüber.

„Klingt doch ganz gut“, meint Frau Quecke und lauscht.

„Was die da gerade spielen, ist allerdings Brahms.“

„Ach …“

„Manche meinen, das sei keine Musik, sondern Chaos.“

„Brahms?“

„Schostakowitsch. Die Prawda hatte das geschrieben, nachdem die Sonate damals in Russland zum ersten Mal aufgeführt worden war.“

„Ist die Musik denn so schrecklich?“

„Ganz im Gegenteil: Sie ist großartig“, erkläre ich. „Aber Sie dürfen nicht vergessen, dass Stalin damals gerade den sozialistischen Realismus verkündet hatte. Die Künstler sollten optimistisch und volksnah komponieren. Die Musik von Schostakowitsch ist alles andere als das.“

„Oh, je …“, beginnt Gisela Quecke zu zweifeln.

„Lassen Sie sich überraschen“, sage ich. „Vielleicht gefällt es Ihnen ja.“

Am Abend sitzen kurz vor acht 32 Zuschauer in unserem Saal und warten auf den Beginn der Vorstellung, mittendrin auch Gisela Quecke. Applaus. Johanna und Demian betreten die Bühne. Sie begrüßen die Gäste, bedanken sich für die Einladung und das Interesse an der Veranstaltung. Dann setzt sich Johanna an den Flügel, Demian greift sich sein Cello und nimmt ebenfalls Platz. Es wird still im Raum, und das Konzert beginnt mit Brahms, einer romantischen Liebeserklärung an Clara Schumann. Zart und impressionistisch klingt die Sonate und erweist sich im Spiel von Johanna und Demian doch voller Spannung. Auf Brahms folgt Beethoven. Er war einst der Erste, der Cello und Klavier gleichberechtigt einzusetzen wusste, und er galt daher für Brahms als großes Vorbild. Nach einer kleinen Pause steht Fanny Hensel auf dem Programm, mit einer kurzen, recht