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Tim Köhler ist ein Bummelstudent, der in Magdeburg Volkswirtschaftslehre studiert. An einem Tag gerät sein Leben aus den Fugen. Er verliert seinen Studienplatz, er verliert seinen Geldgeber, er verliert seine Wohnung und fast seinen gesamten Besitz. Jetzt muss er den Weg zurück in ein geordnetes Leben finden. Ein Weg der Höhen und Tiefen für ihn bereit hält.
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Seitenzahl: 91
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Tim Köhler wuchs als Einzelkind in Hessen auf. Er bekam immer, was er wollte. In der Schule war er eher schlecht als recht. Im Gymnasium drehte er eine „Ehrenrunde“, als er in der neunten Klasse war. Er quälte sich mit Hängen und Würgen durch das Abitur und schloss es schließlich mit einer Durchschnittsnote von 3,7 ab. Die Eltern von Tim ließen ihm freien Lauf und achteten nur darauf, dass er das Abitur bestand. Alles andere sollte er selbst entscheiden. Sie finanzierten ihn durch und kümmerten sich ansonsten wenig um Tim.
Nach dem Abitur machte er erstmal ein Jahr Pause. Trotz einiger Veranstaltungen in der Schulzeit und beim Berufsinformationszentrum der Arbeitsagentur, sowie einigen Studienberatungen, wusste er nicht, ob er eine Ausbildung oder ein Studium machen sollte. Er lungerte viel herum und ging von Party zu Party. Tims Eltern waren der festen Überzeugung, dass er irgendwann seinen Weg finden würde.
Als er 20 war, starben seine Eltern bei einem Autounfall. Tim blieb in der teuren Wohnung seiner Eltern, meldete sich selbst bei der gesetzlichen Krankenkasse an und verprasste nach und nach das geringe Erbe seiner Eltern. Als nach zwei Jahren nicht mehr viel davon übrig war, versuchte er, seinen Onkel anzupumpen. Dieser hatte ein großes Vermögen und ihn schon früher reichlich beschenkt. Auch er war der Meinung, dass Tim seinen eigenen Weg suchen und finden sollte.
Da Tim Abitur hatte, war der Onkel der Überzeugung, dass er einen akademischen Abschluss machen sollte. Daher beschloss er ihn großzügig zu unterstützen. Tims Cousine gefiel das gar nicht. Sie hielt Tim für das, was er war: ein verwöhnter Faulpelz ohne Lebensziele und Motivation. Tim hatte kaum Freunde und außer seinem Onkel und seiner Cousine keine Verwandten mehr. Der Onkel traf mit ihm eine Vereinbarung. Tim bekommt 1.500 Euro im Monat von ihm, wenn er ein Wirtschaftsstudium beginnt. Tim schlug ein und beschloss in eine Region zu ziehen, wo das Leben nicht ganz so teuer ist und er in einer Großstadt leben könnte. Er wollte nicht in eine Region gehen, wo sich Fuchs und Hase gute Nacht wünschen.
Die Wohnung seiner Eltern kostete 900 Euro. Das konnte er sich nicht leisten, wenn er bequem von 1.500 Euro leben wollte. Seine Wahl fiel auf Magdeburg. Er schrieb sich für Volkswirtschaft ein. In Mathematik hatte er auf dem Abiturzeugnis eine Zwei. Wie er die bekommen hatte, war ihm schleierhaft. Der Studiengang war nicht durch einen Numerus clausus beschränkt. Richtig Lust zu studieren hatte er nicht, aber es hatte einen Vorteil: Es fließt weiter Geld. Der Abschied aus seiner Heimat fiel ihm nicht schwer. Da er die meiste Zeit vor seinem Computer verbrachte, hatte er auch kaum Freunde in seinem Umfeld, die er vermissen würde. Außerdem würde er auch in seiner neuen Heimat Kontakt zu Menschen bekommen.
Tim fand eine großzügige 70 qm Altbauwohnung in einem Außenbezirk von Magdeburg. Dafür zahlte er 550 Euro Warmmiete. Er kündigte die Wohnung seiner Eltern und zog um. In den nächsten zwei Jahren ließ er es sich gutgehen und verbrachte möglichst wenig Zeit mit dem Studium. Die Nachbarn nannten ihn den verwöhnten, faulen Wessi. Viel Kontakt zu den Nachbarn oder anderen Studierenden hatte er nicht. Er lebte meist in den Tag hinein und das Geld seines Onkels war immer pünktlich auf seinem Konto. So war das Leben schön. Dass dies nicht mehr lange so bleiben könnte, kam ihm nicht in den Sinn.
Tim Köhler saß im Gastronomiebereich eines Magdeburger Einkaufszentrums und genoss eine Portion Currywurst mit Pommes und eine Cola. Dabei dachte der inzwischen 24-jährige über seine Zukunft nach. Es war Ende März und seine Hochschule, an der er Volkswirtschaftslehre studierte, hatte ihm soeben mitgeteilt, dass er wegen einer endgültig nicht bestandenen Mathematikprüfung zwangsweise exmatrikuliert wird. Ab dem 1. April war er damit kein Student mehr. Morgen wollte er sich näher mit seiner Zukunft beschäftigen. Exmatrikulation bedeutete das generelle Studienende für Wirtschaftsstudiengänge, an allen Hochschulen. Es gab natürlich auch andere Studiengänge, wo Mathematik nicht vorkommt und in die er wechseln könnte, aber auf Philosophie und solche Sachen hatte er erst recht keine Lust. Er konnte schon in der Schule Aristoteles und Platon nicht leiden. Was würde wohl sein Onkel sagen? Wie sollte es weitergehen? Trotz seines Lotterlebens hatte er keine Freunde in seiner neuen Heimat gefunden. Tim war in den letzten Jahren mit seinem Dasein in der Anonymität der Großstadt versunken.
Ihm fiel eine Ausgabe der örtlichen Tageszeitung, der Magdeburger Volksstimme, ins Auge, die auf dem Nachbartisch lag. Vielleicht stand da ja etwas Interessantes drin. Er griff sich die Zeitung und schlug den Anzeigenteil auf. Als sein Blick die Todesanzeigen streifte, traute er seinen Augen kaum. Er sah eine Anzeige mit dem Namen seines Onkels! Die Geburtsdaten stimmten auch. Aber warum tauchte die Anzeige in der Magdeburger Volksstimme auf, wenn sein Onkel in Hessen lebt?
Die Anzeige hatte seine Cousine aufgegeben, in der Hoffnung, dass Tim die Anzeige entdeckt. Wahrscheinlich wollte sie ein Zeichen setzen, dass kein Geld mehr fließen wird. Das einzige Kind seines Onkels hatte ihn nicht per Brief über das Ableben seines Geldgebers informiert. Da sich Tim und seine Cousine auf den Tod nicht ausstehen konnten, war das kein Wunder. Wer sollte jetzt sein Leben finanzieren? Hatte ihn der Onkel vielleicht mit einem Teil des Erbes bedacht? Sie würde ihm den Geldhahn zudrehen, das stand fest. Hatte der Onkel das Geld für April bereits überwiesen? Wenn nicht, dann würde es eng werden. Tim hatte noch knapp 300,00 Euro auf dem Konto und 77,00 Euro in der Tasche. Davon konnte er noch nicht einmal die Miete von 550,00 Euro bezahlen. Tim aß seine letzten Pommes auf und ging durch das Einkaufszentrum Richtung Straßenbahnhaltestelle.
Auf den Nachrichtenanzeigetafeln erschien plötzlich eine Eilmeldung. Bei einer Gasexplosion war ein Haus in Magdeburg vollständig zerstört worden und die Trümmer brannten lichterloh. Das Haus sollte in seinem Stadtteil sein. Tim fuhr nach Hause. Das musste er sich ansehen.
In seinem Stadtteil angekommen war die Straße zum Unglücksort und zu seinem Haus abgesperrt. Von weitem erahnte er, was passiert war. Es war das Haus, in dem er lebte, das explodiert war und brannte! Er zeigte der Polizei an der Absperrung seinen Ausweis und der Wachtmeister bestätigte ihm seinen Verdacht.
Gas war ausgeströmt. Ein Gast einer Feier beim Hauseigentümer hatte im Flur eine Zigarette angezündet. Der Brand entstand durch mehrere Kanister Benzin, die ein anderer Nachbar in seinem Keller lagerte. Außer ihm waren alle Anwohner zuhause oder auf der Party des Vermieters gewesen. Es hatte niemand überlebt. Die Polizei hielt Tim fest. Sie wollten gerade einen Seelsorger holen, da riss er sich los und rannte weg. Er wollte nur weg, nur aufwachen aus diesem vermeintlichen Albtraum, doch irgendwann realisierte er, dass es kein Traum war.
Tim ging zum Ort des Geschehens zurück. Er fühlte sich vollkommen leer. Als er den Seelsorgern übergeben wurde, kam ihm kein Wort über die Lippen. Er weinte unentwegt. Tim war klar geworden, dass an einem Tag das ganze Kartenhaus seines Lebens in sich zusammengefallen war. Eine Hausratversicherung hatte er nicht. Er besaß noch sein Geld und das was er bei sich trug. Sein Smartphone hatte er zum Aufladen zuhause gelassen. Alles war weg. Seine Unterlagen, seine Kleidung, all sein Besitz, der in seiner Wohnung war. Er hatte kein Dach mehr über dem Kopf, seine Geldquelle war wahrscheinlich versiegt und sein Studium war auch zwangsweise beendet worden. Sein bisheriges Leben hatte sich in Luft aufgelöst. Alles zurück auf Anfang. Alles auf Null!
Tim brach schließlich in Verzweiflung bewusstlos zusammen. Ein Krankenwagen brachte ihn in das Universitätsklinikum. Als er wieder erwachte, wunderte er sich, dass er im Krankenhaus lag. Er stand unter Beobachtung und ein Seelsorger kam ins Zimmer.
„Was mache ich im Krankenhaus?“, fragte Tim.
„Sie haben einen sehr anstrengenden Tag hinter sich und wurden ohnmächtig. Daher hat Sie ein Krankenwagen hierher gebracht.“, sagte der Seelsorger.
“Wer sind Sie? Was ist passiert?“, fragte Tim.
„Ich bin Pfarrer Schwarze von der evangelischen Kirche. Das Haus, in dem Sie gelebt haben, ist heute einer Gasexplosion mit anschließendem Feuer zum Opfer gefallen. Dieser Schock ist sicher nicht einfach zu verkraften. Das war wahrscheinlich der Auslöser für Ihren Zusammenbruch.“, sagte Schwarze.
„Das war kein Traum? Das war echt?“, fragte Tim.
„Ja. Sie sind der einzige Überlebende aus diesem Haus. Es tut mir sehr leid.“, sagte Schwarze.
Tim begriff, dass er nicht geträumt hatte, und fing verzweifelt an zu schreien und um sich zu schlagen. Zwei Pfleger und ein Arzt stürmten ins Zimmer und versuchten, ihn zu beruhigen. Tim weinte hemmungslos, bis er keine Tränen mehr hatte. Nachdem der Arzt ihm eine Beruhigungsspritze gegeben hatte, schlief er ein.
Tim wachte am nächsten Morgen wieder auf. Als er bemerkte, dass er nicht in seinem eigenen Bett lag, wurde ihm endgültig bewusst, dass der gestrige Abend tatsächlich der Realität entsprach. Im Radio, das an seinem Bett stand, berichteten sie über das Unglück. Dann klopfte es an der Tür.
„Herein.“, sagte er.
„Guten Morgen, Herr Köhler.“, begrüßte ihn eine Krankenschwester.
„Guten Morgen, Schwester. Ich hätte gerne den Pfaffen von gestern gesprochen. Vielleicht kann er mir helfen.“, sagte er.
„Jetzt stehen Sie erstmal auf und gehen ins Bad. Ich bringe Ihnen in einer Viertelstunde ihr Frühstück. Um neun kommt die Visite und dann sehen wir weiter.“, sagte sie.
Tim überlegte, wie er sich duschen und die Zähne putzen soll. Er hatte doch nichts mit. Als er in die Badkammer kam, stand alles für ihn bereit: Duschgel, Zahnbürste und Zahnpasta. Er erledigte seine Morgentoilette und setzte sich, in seinen gestrigen Klamotten, angezogen an den Tisch im Zimmer. Kurz darauf brachte ihm die Krankenschwester ein kleines Frühstücksbuffet.
„Sie konnten ja gestern nichts bestellen. Daher haben wir Ihnen möglichst viel Auswahl zusammengestellt. Außerdem müssen Sie ja auch wieder zu Kräften kommen. Ich wünsche guten Appetit, Herr Köhler.“, sagte sie.
„Danke Schwester. Sie sind so gut zu mir. Wie kann ich das wieder gutmachen?“, sagte Tim.
„Das ist doch selbstverständlich. Sie brauchen jetzt vor allem Zuwendung. In einer halben Stunde kommt die Visite und danach Pfarrer Schwarze, nach dem Sie ja vorhin gefragt haben. Wenn Sie noch irgendein Anliegen haben, dann klingeln Sie bitte kurz. Wir sind für Sie da.“, sagte sie und verließ das Zimmer.
Tim aß mehr zum Frühstück als sonst und fühlte sich durch die Worte und Taten der Schwester sehr geborgen. Um kurz nach neun, Tim hatte sich inzwischen wieder auf das Bett gelegt, kam die Visite. Auf einmal standen acht Ärzte um sein Bett. Der Oberarzt erkundigte sich nach seinem Befinden und berichtete ihm, dass er heute noch aus dem Krankenhaus entlassen wird. Was seine neue Unterkunft angeht, werden gleich Pfarrer Schwarze und eine Angestellte der Stadt Magdeburg mit ihm sprechen. Die Ärzte wünschten ihm alles Gute und eine erfreulichere Zukunft. Dann gingen sie hinaus.
Fünf Minuten später klopfte es und Tim bat die Wartenden ins Zimmer. Die Tür öffnete sich und Pfarrer Schwarze, sowie eine ihm unbekannte Dame kamen herein.
„Guten Morgen. Mein Name ist Langner und ich komme von der Stadt Magdeburg. Ich bin für die Betreuung von Wohnungslosen zuständig. Pfarrer Schwarze, unseren Seelsorger, kennen Sie ja bereits.“, sagte sie.
„Wohnungslos? Ach ja, letzte Nacht, das war kein Traum, sondern echt, oder?“, fragte er.
„Nein es war leider kein böser Traum. Das tut mir sehr leid für Sie. Ich wollte Ihnen Bescheid sagen, dass Sie um 11 Uhr, also in knapp eineinhalb Stunden einen Termin bei mir haben. Sie finden mich im Wohnungsamt in der Stadtverwaltung. Hier ist meine Karte mit dem Termin. Dort sprechen wir über alles Weitere. Herr Schwarze wird mit dabei sein. Also bis später.“, sagte sie und ging hinaus. Pfarrer Schwarze blieb noch kurz bei ihm.