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Liebesglück, Herzschmerz, Beziehungsstress – über die unglaublich komischen Seiten des spannendsten Gefühls seit es Menschen gibt! Das Herz ist vermintes Gelände. Unbekannte Gegend, gefährliches Terrain. Aber es nutzt nichts. Wir müssen Liebe wagen. In allen Formen. In allen Aggregatzuständen. Katrin Bauerfeind wühlt sich in ihrem neuen Buch durch alle Facetten dieses Gefühls. Sie hebt die kleinen emotionalen Schätze aus dem Alltag, fragt sich, wo die Liebe herkommt, wo sie hingeht, wenn sie weg ist, wie man sie findet, verliert und wiederfindet, und was es überhaupt damit auf sich hat. Es ist ein Plädoyer für mehr Liebe. Ein Aufruf, dem grassierenden Hass etwas entgegenzusetzen, Viagra fürs Herz, ein heiteres Gegengift zur dunklen Lage da draußen. Zu all dem gibt's in diesem Buch Geschichten, selbst erlebte und selbst ausgedachte. Lustige, melancholische, liebevolle. Geschichten, nach denen Sie hoffentlich das Buch zuklappen und sagen: »Liebe, ja sicher! Her damit! Los geht's!« Tourdaten: 13.03.18 Frankfurt 14.03.18 Mainz 15.03.18 Saarbrücken 21.03.18 Bielefeld 22.03.18 Rheine 23.03.18 Köln 6.04.18 Bochum 7.04.18 Osnabrück 8.04.18 Oldenburg 11.04.18 Bremen 12.04.18 Hamburg 13.04.18 Stade 14.04.18 Lübeck 25.04.18 Freiburg 26.04.18 Mannheim 17.05.18 Nürnberg 18.05.18 Ravensburg 19.05.18 Stuttgart 25.05.18 Erfurt 26.05.18 Wolfenbüttel Weitere Termine folgen
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Seitenzahl: 248
Katrin Bauerfeind
Alles kann, Liebe muss
Geschichten aus der Herzregion
FISCHER E-Books
Meine Herren, mein Freund, der sagte
Mir damals ins Gesicht:
»Das Größte auf Erden ist Liebe«
Und »An morgen denkt man da nicht.«
Bertolt Brecht
Auf Wolle
»Man kann sich leichter am Hintern kratzen als am Herzen.« Das ist kein altes Sprichwort, sondern ein neu ausgedachtes. Es soll Ihnen, liebe Leser*innen, die Angst nehmen, dass es auf den nächsten Seiten kitschig wird. Obwohl es um Liebe geht.
Die Leute, denen ich im Vorfeld von diesem Buch erzählte, sahen mich an, als hätte ich meinen Verstand verbummelt. »Liebe? Ach du Scheiße!« Über Liebe schreiben sonst nur singenden Glückskekse wie Helene Fischer oder alte Frauen wie Rosamunde Pilcher. Aber ich doch nicht! Ich hab schließlich studiert. Und im letzten Buch was über Feminismus geschrieben.[1] Und jetzt das! Liebe muss man sich erst mal trauen zu sagen. »Ich meine jetzt gar nicht nur dieses Mann-Frau-Ding«, sagte ich deswegen zu den Leuten, »ich meine ja auch Liebe zu Menschen im Allgemeinen.« Das klang, als würde ich an emotionalen Tagen Obdachlose mit Febreze einsprühen. Noch mehr ratlose Blicke. »…und ich meine die Liebe zu einem selbst, die Liebe zur Heimat, die Liebe zum Leben.« Die Blicke wurden nicht besser. »Aber schon auch das Mann-Frau-Ding«, sage ich deshalb, »nur eben in lustig.« Wobei Liebe und lustig ja meist nicht gut zusammengehen. Bei der Frage »Geld oder Liebe« zum Beispiel, entscheiden sich spontan die meisten für Liebe. Dabei hängt die Antwort ja häufig nur an der nächsten Frage: »Wie viel Geld?« Angenommen nämlich, Mark Zuckerberg entscheidet sich spontan, all sein Geld auf Ihren Kopf zu hauen, unter der einzigen Voraussetzung, dass Sie den Menschen an Ihrer Seite verlassen. Was ist dann? Da kommen Sie doch ins Grübeln, oder? Klar, Sie hätten plötzlich keinen Peter-Michael-Thomas[2] mehr, dafür aber gut 70 Milliarden Dollar. Für das Geld könnten Sie sich Ihren Michael-Peter-Thomas aus Marzipan nachbauen lassen und hätten danach immer noch knapp 70 Milliarden Dollar. Da können Sie kurz vorher noch »Ich liebe dich« zu Thomas-Peter-Michael gesagt haben und sogar gemeint haben, da ist der doch trotzdem ratzfatz Single, oder nicht? Liebe ist also käuflich. Das ist nicht so schön. Und auch ohne Geld wird sie oft nicht besser. Kaum jemand hat jemals ein lange verheiratetes Paar erlebt und gedacht: »Super, genau das will ich auch!« Aber deswegen allein bleiben? In meinem Alter schon darauf zusteuern, später erst drei Wochen nach dem Tod gefunden zu werden, wenn die Katze einem schon das Ohr abgekaut hat, und zwar wörtlich? Es wird im Laufe der Zeit immer schwieriger, jemanden zu finden. Weil man mehr Macken bekommt, seltsamer wird und merkwürdiger. Bis man so seltsam und merkwürdig ist, dass man denkt, »das pack ich jetzt nicht mehr alleine«. Dann braucht man die Liebe, aber gerade dann ist sie schwer zu finden. Zack! Jetzt bin ich schon im Vorwort wieder negativ geworden, dabei will ich genau das Gegenteil. Denn ich glaube, in der heutigen Zeit brauchen wir die Liebe dringend. Mit Hass sind alle schnell bei der Hand. »There will be haters.« Mit so einem Satz werden jetzt schon Turnschuhe beworben. Der Ton da draußen ist rau geworden. Das Internet ist der Brutkasten für Hass. Alle sind mit den Nerven am Anschlag, jeder hat den Kaffee auf, keiner hört mehr zu. Hass ist einfach, Liebe macht Arbeit. Hass ist real und ernst zu nehmen, die Liebe halten alle für flusigen, wolkigen Teenager-Quatsch. Und wie sie geht, die Liebe, das sagt einem eh keiner. Es gibt keine Tutorials, keine Kurse, keinen Unterricht, nichts. In der Schule lernt man Algebra oder wie man einen Aufsatz schreibt über Effi Briest, die langweiligste Frau, die jemals nicht gelebt hat, aber man lernt nicht, wie man dem sehr lebendigen Markus Schettke aus der Nachbarklasse schreibt, dass man mit ihm knutschen will. Keiner sagt einem, was man da sagt. Dabei ist das so wichtig! Wie viel Unglück in der Welt ist, weil einem das mit der Liebe keiner erklärt hat, lässt sich mit Algebra gar nicht ausrechnen.
Hattest du eine schöne Kindheit? Diese Frage hört man oft, keiner fragt: Hattest du eine schöne Pubertät? Hattest du schöne Jahre zwischen 30 und 40? Wie schwer das alles ist mit dem Leben! Ich drifte schon wieder ab. Was ich meine: Gerade jetzt müssen wir uns bemühen. Umeinander. Mit heißem Herzen. Und wenn Sie denken, dass sich das übertrieben anhört: Die von der Hass-Seite, die anderen, die sprengen sich sogar in die Luft. In echt. Wenn wir da nicht wenigstens ein heißes Herz entgegenzusetzen haben, brauchen wir gar nicht erst anzufangen. Ein gutes Leben ist mehr als freies WLAN, Superfood im Müsli und ein Netflix-Abo. Wir brauchen Momente, in denen die Seele tanzt, und zwar keinen Discofox, sondern richtig, ausgelassen, wild, mit den Armen rudernd. Ja, genau, die Seele rudert mit den Armen. Natürlich eine schiefe Metapher, aber kommen Sie mir nicht mit Logik! Gerade die unlogischen Momente sind die besten – die, in denen wir staunend vor dem Leben stehen und denken, wie fucking groß, einmalig und überwältigend es sein kann. Und wie umwerfend der Mensch. Wann hatten Sie das zuletzt? Und wie oft hatten Sie zuletzt »Stress« und »leider keine Zeit«? Wenn Sie dieses Buch lesen und am Ende Ihre Eltern anrufen und sagen: »Ich wollte euch nur sagen, dass ich euch liebe«, wenn Sie einer Freundin eine SMS schicken: »Ich hab nächste Woche gar keine Zeit, aber wir treffen uns trotzdem!«, wenn Sie über den anderen Menschen in Ihrer Wohnung denken: »Es macht mich irre, wie er beim Essen die Gabel hält, wie laut er telefoniert und wie uneffektiv er die Wäsche aufhängt, aber es gibt jeden Tag auch diese drei Momente mit ihm, in denen das Leben hüpft, die Momente, um die es eigentlich geht, und beim nächsten Mal sag ich ihm das auch mal wieder!«, wenn Sie so was in der Art nach diesem Buch tun, dann hat es seinen Zweck erfüllt. Lieben Sie los!
Meine Tage werden immer kürzer. Auch im Sommer. Ich kriege mein Leben kaum noch in die paar Stunden gezwängt, die mir pro Tag zur Verfügung gestellt werden. So viel zu tun, so viel zu erledigen. Ein großes Wollen, Sollen, Müssen. Ich muss unbedingt pünktlich bei einem Geschäftstermin sein, weil ich schon die letzten beiden Male zu spät gekommen bin; ich soll vorher bei einer Freundin etwas abholen, und ich will danach noch was einkaufen. Angeblich macht die moderne Technik alles immer leichter und schneller, aber die Technik hält nicht Schritt mit den Terminen. Vermutlich wurde einen Tag nach dem Telefon das Meeting erfunden und drei Stunden nach dem Computer die Deadline. In Wahrheit rufen moderne Lösungen nur noch moderne Probleme hervor, nie ist es andersherum. Die Erfindung des Autos zum Beispiel führte auf kürzestem Weg zur Parkplatznot. Was nutzt es, schnell von A nach B zu kommen, wenn man in B nicht parken kann? Parkplätze gibt es in unseren Städten noch weniger als Zeit, und damit ich nicht schon wieder zu spät komme, parke ich bei meiner Freundin kurz semilegal halb auf dem Bürgersteig. »Man kommt mit dem Kinderwagen noch vorbei«, denke ich. Es sei denn, man hat Zwillinge, aber dann hat man eh ganz andere Probleme. Und ich brauche ja nicht lange. Ich darf gar nicht lange brauchen, sonst kann ich das mit der Pünktlichkeit beim Termin gleich wieder vergessen. Rein, raus, hallo, tschüss. Vier Minuten, höchstens, dann steh ich wieder auf der Straße. Aber offenbar war ich lange genug weg, dass mir jemand einen Zettel an die Windschutzscheibe klemmen konnte: »Sie parken faktisch vor einer Einfahrt. Beim nächsten Mal Spiegel ab. Arschloch.« So steht’s da, in geübter Handschrift, blau auf weiß. Ich werfe den Zettel ins Auto. Ich kann mich wirklich nicht um alles kümmern. Ich muss los. Ich hab’s eilig. Und seit ich bei Facebook, Twitter und Konsorten bin, perlt unqualifizierte Kritik an mir ab wie kalter Kaffee an Meissener Porzellan. Der Zettel liegt neben mir. Als Beifahrer. An der nächsten Ampel gucke ich rüber und sehe das »Arschloch« da liegen. An der übernächsten lese ich noch »Spiegel ab« und dann natürlich doch wieder den ganzen Zettel. Handgeschrieben. Das ist praktisch wie Steinzeit-Twitter. Ich merke, wie meine innere Mikrowelle loskocht. »Sie parken faktisch vor einer Einfahrt.« Wer, um Gottes willen, schreibt denn »faktisch« auf so einen Hasszettel? Da ist es doch genauso benagelt wie in einem Liebesbrief. »Man kann faktisch festhalten, dass ich dich liebe. Punkt!« So was machen nur Lehrer oder andere Beamte. Und wie kommt dieser Hilfspolitessen-Anwärter in einem Satz von »faktisch« auf »Arschloch«? Was sind das überhaupt für Leute, die heute noch am helllichten Tag, mitten auf der Straße, Papier dabeihaben? Nicht die Rückseite von einer Werbung, einer Speisekarte oder einem Bierdeckel, nee, richtiges Papier! Und einen Kugelschreiber! Und wie schnell der Kerl gewesen sein muss, (es ist der Handschrift nach auf jeden Fall ein Mann)! Der muss doch in seiner verschissenen faktischen Einfahrt auf mich gelauert haben! Der macht das wahrscheinlich hauptberuflich. Rennt den ganzen Tag die Straße auf und ab und verteilt Zettel. Vermutlich trägt er so gesunde Mephisto-Schuhe mit Fußbett und eine wetterfeste Jack-Wolfskin-Jacke. Das würde ihm ähnlichsehen. Lehrer für Mathe und Erdkunde. Der geht bestimmt gerne mal wandern und trinkt abends ein »schönes« Glas Wein und hat zuletzt die AfD gewählt. Solche Leute sind das doch! Reinsteigern ist eine meiner leichteren Übungen. Ich schleiche äußerlich mit fünf Stundenkilometern durch die Stadt und bin innerlich auf 180. Weil heute mal wieder alle fahren wie Onkel Horst nach neun Pils, weil die Stadt hier schon wieder ein Freilichtmuseum für Baustellen eingerichtet hat – anders ist die Straßenführung nicht zu erklären –, weil das Navi mir jetzt schon sagt, dass ich zwanzig Minuten zu spät kommen werde, und weil, ey, »faktisch«, Freundchen, dein »faktisch« reimt sich auf mein »fick dich«! Damit das mal klar ist. Einen Fuck-Tisch kenne ich aus Pornos, wo Mutti in der Küche noch mal hart weggeknuspert wird, und bevor du mir den Spiegel abbrichst, du Hobbyhausmeister, kann es durchaus sein, dass ich dir deine dumme Fresse gepflegt auf links ziehe. Jetzt hupe ich einen Panda weg (das Auto, nicht das Tier, aber in meinem derzeitigen Zustand würde ich auch einen Panda in einem Panda weghupen. Soll sich das Scheißvieh doch bei Greenpeace beschweren!). Wenn ich in der Verfassung zu dem Termin gehe, ist es ziemlich wahrscheinlich, dass ich den Eindruck hinterlasse, ich sei im Fernsehen eine ganz locker, luftige Tante mit Humor, während ich in Wirklichkeit Godzilla mit Make-up bin. Toll! Super! Danke an den Zettel-Blockwart! Bis ich das Image korrigiert habe, hat es sich wahrscheinlich schon überall verbreitet, und entsprechend werden die Anfragen weniger. Ich kann im Prinzip gleich den anstehenden Termin ignorieren und sofort zum Jobcenter fahren. Weil irgendein Straßenverkehrsordnungsnazi nichts mit seinem Leben anzufangen weiß, stehe ich jetzt mit einem Bein in Not und Elend! Im Reinsteigern war ich immer schon gut. Von null auf furchtbar in einer Minute ist kein Problem. Unter Apokalypse fange ich gar nicht erst an. Ich hab ja sonst keine Hobbys.
Mein Park-Karma lässt mich weiter im Stich. Alles voll. Mit viel Mühe und Not rangiere ich mich ohne Blechschaden in die letzte freie Fläche. Der Tag ist im Grunde jetzt schon verratzt. Stimmungsmäßig ist bei mir an diesem Mittwochmittag schon Totensonntag. Erst recht, als ich nach dem Termin wieder zu meinem Auto komme. Jemand hat mich tatsächlich zugeparkt!! Es ist nicht zu fassen! Irgendein Schrotthaufen hat sich mit seinem Auto in die zweite Reihe gestellt, so dass ich nicht mehr rauskomme. Ich setze mich in meinen Wagen und hupe ausführlich. Nichts passiert. Neben mir liegt immer noch der Zettel. Ich krame nach einem Kugelschreiber und schreibe auf die Zettelrückseite: »Glückwunsch zum ›Parkplatz‹! Vollasi«. Ah, nicht gut … Ich sollte durch Facebook & Co eigentlich wissen, dass die Leute Ironie nicht verstehen. Ich sollte außerdem härter austeilen, und eventuell schreibt man Asi auch mit zwei »s«. Wie in »die Geissens«. Am besten, ich schreibe eine zweite Fassung. Härter, schärfer, besser. Noch während ich ›du Parkpimmel‹ schreibe, kommt die Fahrerin des Wagens. Sie sieht aus wie ich. In etwa mein Alter, meine Haarfarbe, und ihren Mantel kenne ich von Zara. Sie trägt eine Einkaufstüte und ein kleines Kind. Sie winkt hektisch entschuldigend in meine Richtung und zeigt auf die gegenüberliegende Straßenseite, wo ich jetzt eine Kita sehe. Das »Strolchennest«. Ich lächle in Richtung der Mutter. Mein Lächeln, das ich geübt habe, falls ich jemals für Werbung angefragt werden sollte. Es sagt, dass alles easy ist und mein Leben aus Schmetterlingen besteht, seit ich dieses Shampoo/Waschmittel oder Medikament gegen Scheidenpilz nehme. Ich lächle, als gäbe es kein Morgen. Ich lächle gegen die aufsteigende Peinlichkeit in mir an. Als mein eigener Pressesprecher möchte ich mich jetzt hier, in diesem Auto, mit diesem Lächeln auf das Energischste von mir distanzieren. Es wäre schön, wenn es eine Rückspultaste für mein Leben gäbe. Ich möchte die letzten paar Stunden löschen und noch mal neu anfangen. Um ein Haar hätte ich einer jungen Frau meine »Parkpimmel-Botschaft« an die Scheibe geklemmt. Sie hat wahrscheinlich am Ende ähnlich lange gebraucht, um ihr Kind abzuholen, wie ich vorhin bei meiner Freundin. Ein paar Minuten haben gereicht, um aus mir einen Teil der Hass-Staffel zu machen. Wer weiß, wem die Mutter dann später geschrieben hätte. Ein Kettenbrief der schlechten Laune. Womöglich hat auch mein Zettelschreiber nur was weitergegeben. Vielleicht hat ihm eine Stunde zuvor jemand einen Zettel an seinen Wagen geklemmt, den er für zwei Minuten irgendwo abgestellt hatte, um seiner Großmutter im Wald Wein, Käse und Brot zu bringen oder dem Messias Weihrauch, Myrrhe und Gold zu liefern. Auf dem Rückweg hat er sich reingesteigert in die Wut über den Zettel, und ich kam ihm gerade recht. Natürlich, vielleicht trägt er auch nur Mephisto-Schuhe und ist faktisch ein notorischer Zettelschreiber. Aber so kommt der Hass in die Welt. Und wenn er mal da ist, hat er’s leichter als die Liebe. Jeder von uns kann ein Dominostein werden im großen »Heut kippt die Stimmung«-Tag. Und sie kippt nie ins Positive. Deswegen nutze ich jetzt die Gelegenheit und schreibe hier eine Antwort an ihn:
Lieber Zettelschreiber, Sie haben recht. Ich habe halb in einer Einfahrt geparkt. Das war weder gut noch richtig, und es tut mir leid, wenn Sie dadurch Schwierigkeiten hatten. Wir kennen uns nicht, ich weiß nichts über Sie. Unsere Leben sind uns für einen kurzen Moment in die Quere gekommen. Wer weiß, etwas früher oder später, und wir wären uns womöglich sogar sympathisch gewesen. Vielleicht mögen wir dieselben Filme, hören dieselbe Musik oder haben die gleichen Lieblingsgerichte. Womöglich haben wir gemeinsame Ziele und Ideen. Wollten Sie als Kind Rennfahrer werden, Fußballer oder Astronaut? Wollten Sie die Wale retten, ein Mittel gegen Krebs erfinden oder mal zum Lehrer des Monats gewählt werden, wenn es so was gibt und Sie wirklich Lehrer sind? Sie wollten gewiss glücklich werden. Wie wir alle. Garantiert haben Sie sich nicht ausgemalt, ein gelungener Tag bestehe aus einer wütend hingekritzelten Lektion an eine Falschparkerin. Das ist irgendwann einfach passiert. Ich glaube, dass die Halbwertszeit von Träumen, Plänen und Hoffnungen durch Alltagshass verkürzt wird. Hass macht hässlich. Wir aber brauchen jetzt das Gegenteil. Unbedingt. Vor nicht allzu langer Zeit war das noch Luxus. Jetzt ist es Notwendigkeit. Deswegen schenke ich Ihnen Liebe. Wenn Sie diese Zeilen lesen. Auch im nächsten Satz: Alles voller Liebe. Keine Nächstenliebe, keine Parship-Liebe, bloß Liebe. Ist das naiv? Absolut. Ist das albern, kindisch, nicht durchdacht? Hundertprozentig. Kann sein, es ist am Ende so was wie die Coca-Cola-Werbung zu Weihnachten. Aber das ist doch egal. Es kann doch nicht sein, dass nur die Wut als ehrlich gilt, die Liebe aber sofort als kitschig. Lassen Sie uns ausprobieren, was passiert, wenn Sie und ich ein paar Leuten einen Zettel ans Auto klemmen, auf dem steht: »Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag. Und Glück. Und Liebe.« Sie können auch was anderes schreiben. Ich weiß, was Ihr Zettel mit meiner Stimmung gemacht hat. Vielleicht klappt das ja auch andersherum. Vielleicht erwischen wir einen Menschen, dem das an dem Tag weiterhilft. Vielleicht auch nicht, aber was riskieren wir? Fangen Sie ruhig klein an. Mit Ihrer Frau, Ihren Kindern, Ihren Freunden. Ich weiß schon, so retten wir die Welt nicht. Mit blinder Liebe kommt man nicht an gegen Nazis und Rassisten. Aber um die geht es nicht. Gegen die brauchen wir andere Kaliber. Es geht hier um die anderen. Leute wie Sie und ich. Die sich so durchs Leben wurschteln, die noch nicht verloren sind, die sich noch so oder so entscheiden können. Bei denen müssen wir es jetzt im Guten versuchen! Mit Liebe. Von mir aus nennen Sie es anders. Aber machen Sie mit! Probieren Sie es mal! Wenigstens ab und zu. Regen sie sich auf, aber jedes dritte Mal denken Sie an mich und den Zettel, und dann regen Sie sich wieder ab und trinken einen Tee. Tun Sie mir den Gefallen. Ein Zettel verändert nicht die Welt, aber die Stimmung für ein paar Stunden. Vielleicht macht das am Ende den Unterschied!
Mit aller Liebe
Ihre Katrin Bauerfeind
Ich komme nach Hause, und hier hat sich nichts verändert. Rein gar nichts. Da steht noch der Teller vom Frühstück. Das verdammte Ding hat keine Notwendigkeit gesehen, sich selbst in die Spüle zu bringen. Genauso wenig war der Kühlschrank einkaufen. Er steht da, stumm, kühl und leer wie eine Kirche nach dem Hochamt. Ausgerechnet heute, wo ich den ganzen Tag noch nichts Vernünftiges gegessen habe. Es wird für mich mal wieder auf einen Bringdienst hinauslaufen. Ich stehe in der Wohnung und merke, es war kein Leben in der Bude, seit ich morgens die Tür hinter mir zugemacht habe. Die Wohnung ist eh nur eine Übergangswohnung. Wie jede Wohnung bislang. In der von den Eltern bleibt man nur, bis man groß genug ist für was Eigenes. Die Studenten-WG ist nur für die Zeit an der Uni. Die erste Wohnung ist nur die Wohnung vor der zweiten. Man guckt sich um im Leben. Ob man in der Stadt bleibt? Eher nicht. Ob man allein bleibt? Eher nicht. Ob man dann nicht doch noch ein, zwei Zimmer mehr braucht? Eher ja. Entsprechend richtet man sich ein. Nichts für die Ewigkeit. So geht es lange. Ewig nichts für die Ewigkeit. Außerdem reichen die Zeit, die Kraft und das Interesse am Wohnen nur für ungefähr zwei Wochen nach dem Umzug. Alles was dann nicht fertig ist, bleibt improvisiert. Für die kleine Rumpelkammer wollte ich eigentlich mal eine Lampe gekauft haben, aber da stehen eh nur der Staubsauger und die Waschmaschine drin, und wofür brauchen die beiden Licht? Und ich komme ja eigentlich auch super mit der Taschenlampe klar, die ich da aufs Regal gelegt habe. Den Sessel von Mark wollte ich auch schon lange rausschmeißen. Dann hab ich aber stattdessen Mark rausgeschmissen. Sein Sessel ist jetzt immer noch da. Nicht aus sentimentaler Erinnerung, sondern weil es bequemer ist, den unbequemen Sessel zu behalten, als einen neuen zu kaufen. Ich wüsste gar nicht, wie der aussehen sollte. Aus IKEA bin ich rausgewachsen, für richtige Möbel aber irgendwie noch nicht alt genug. Ich bin jetzt in dem Alter, in dem man eigentlich einen eigenen Stil haben sollte. Aber dazu bin ich bislang nicht gekommen. Zu viel Übergang.
Die Wohnung ist still. Still ist nicht mein bevorzugter akustischer Aggregatzustand. Es ist nicht die Stille vor dem Sturm, es ist die Stille vor der Stille. Eine Stille wie in Stille Nacht, aber ohne Weihnachten und Bescherung. Eine Stille wie auf der stillen Treppe der Supernanny, wo man sitzt und darüber nachdenkt, was man anders machen sollte. Ich schätze, weit über die Hälfte aller Haustiere wurden aus Situationen wie diesen angeschafft. Die andere Hälfte als Ersatz für Kinder. Ich brauche also mindestens zwei Katzen.
Ich komme nach Hause, und es ist schon wieder alles anders. Er war offensichtlich beim Sport und hat anschließend den Inhalt seiner Sporttasche in den Flur gekippt. Männer und Hunde haben den unausrottbaren Trieb, ihr Revier zu markieren. Man könnte meinen, dass es dem Mann reichen sollte, wenn sein Name mit an der Tür steht, aber so ist es nicht. Dafür war er einkaufen. Erstaunlicherweise hat er sich zwar wieder nicht gemerkt, welche Salami ich mag (nämlich nicht die, die er immer kauft), aber der gute Wille zählt, und außerdem kocht er. Ausgerechnet heute, wo ich schon pappsatt bin. Aber Hunde und ich haben den unausrottbaren Hang zum Futtern. Sobald was im Napf ist, wird es gegessen. Alles andere wäre unhöflich gegen die Natur und gegen den Mann. Außerdem habe ich seit frühester Kindheit Futterneid. Ich habe feine Sensoren, die wahrnehmen, wenn jemand in der Wohnung etwas Essbares in die Hand nimmt. Mein Kinderzimmer war regelrecht schallisoliert, wann immer meine Mutter aus dem Nebenraum rief, ich sei mit Rasenmähen dran, aber wenn meine Oma im Keller ein Einmachglas mit Apfelmus im Regal verrückte oder eine seit zwei Jahren abgelaufene Packung »Edle Tropfen in Nuss« aus der Ecke zog, stand ich in Schallgeschwindigkeit neben ihr und setzte einen Gesichtsausdruck auf, den man sonst nur von Kindern auf »Brot für die Welt«-Plakaten kennt. Entsprechend schwierig ist es jetzt mit einem Mann, der ernährungstechnisch offenbar denkt, er ist noch im Wachstum oder zumindest im Straßenbau. Immer ist irgendwas im Kühlschrank. Immer wird irgendwas gegrillt, gebraten, gekocht. Ansonsten gehen wir essen. Seit wir zusammengezogen sind, habe ich schon vier Kilo zugenommen. Wenn er kocht, ist es laut, denn er kocht zu Musik. Die muss laut sein, um die Dunstabzugshaube zu übertönen. Auf Stufe drei könnte die Haube vermutlich auch das Smogproblem in Peking lösen. Stufe drei ist eine Art Windmaschine, die Orkane simuliert. Dazu telefoniert er. Ich höre an seinem Tonfall, dass er mit einem seiner Kumpel telefoniert, denn es wird viel gelacht. Männer lachen mit Männern so, wie sie sich auch untereinander begrüßen: mit kräftigen Schlägen auf den Rücken des anderen. Frauen dagegen berubbeln sich zur Begrüßung traditionell an den Oberarmen, was deutlich leiser ist. So lachen sie auch, es sei denn, sie sind betrunken. Ich bin aber nüchtern und müde, und für diesen Zustand ist es mir zu laut an einem Tag, der für mich ohnehin schon sehr laut war. Ich will eigentlich jetzt mal meine Ruhe. Aber wir teilen die Miete fifty-fifty, und er kann hier natürlich auch mal laut sein, wenn ich leise will. Beziehungen sind Arbeit. So steht’s doch überall. Ich komme allerdings gerade schon von der Arbeit und frage mich, warum ich jetzt nicht Feierabend habe, sondern noch einen unbezahlten Zweitjob. Und warum muss eigentlich immer nur ich daran arbeiten? Und warum steht da immer noch der blöde Sessel? Wir haben schon tausendmal darüber gesprochen, dass der optisch wie geschaffen dafür ist, draußen als Sperrmüll an der Straße zu stehen …
Was mache ich mit dem Abend? Eine erste Online-Umfrage im Freundeskreis ergibt, dass 157 Prozent meiner Freundinnen keine Zeit haben. Die meisten haben Kinder, und die meisten Kinder haben gerade eine Phase. Die Maja schläft momentan nicht ein, wenn man ihr nicht sämtliche Bände »Petterson und Findus« vorliest, die Svea muss noch zum Kinderyoga, der Anton hat Grippe, und Luke hatte gestern Geburtstag, weswegen die Wohnung wieder restauriert werden muss, nachdem die Kinderpiraten sich benommen haben wie erwachsene Hooligans. Die kinderlosen Freundinnen haben zu 297 Prozent eine Beziehung. Die ist entweder gerade frisch, so dass das Hirn nur in Teilzeit arbeitet und Katja sich deswegen ein Longboard gekauft hat, Jasmin plötzlich Jazz hört und Tanja über einen Umzug nach Alt-Popelsdorf-Nord nachdenkt, weil ER da ein Haus hat, direkt neben seinen Eltern und unmittelbar gegenüber der einzigen Kneipe im Umkreis von 100 Kilometern, was aber dadurch kompensiert wird, dass die Natur so toll ist (»Wir haben sogar Rehe!«). Oder die Beziehung ist gerade in der Auflösungsphase, wo man wochenlang in Vollzeit damit beschäftigt ist, dem anderen Vorwürfe zu machen, und noch mal nachrechnet, wie viel Geld einen der Kerl gekostet hat, weil man die eigene, im Grunde perfekte, Wohnung aufgegeben hat, um an den Arsch der Heide nach Alt-Popelsdorf-Nord zu ziehen, wo es selbst den Rehen so langweilig ist, dass sie sich an den Zubringer zur Autobahn stellen, nur um da wegzukommen. Oder die Beziehung ist in Ordnung, was dazu führt, dass aller guten Dinge zwei sind oder dann eben erst wieder vier, mit einem anderen Wort: Pärchenabend. Singles werden auf Pärchenabenden ähnlich enthusiastisch begrüßt wie Flüchtlinge in Ostdeutschland. Geht man als Single trotzdem hin, wirken die Paare meist, als wären sie beim Benefiz oder machten Erwachsenen-Sitting. Oder man dient den Paaren als abschreckendes Anschauungsmaterial zum Thema Trennung. Also bleibe ich lieber wie Kevin allein zu Haus. Wofür gibt es denn das Internet? Das ist eine gute Frage, denn offensichtlich wurde es nicht für einen Abend allein zu Haus erfunden. Das Internet ist für Singles abends eine tödliche Falle. Auf Instagram zeigen alle nur ihr glückliches Leben, und auch wenn ich weiß, dass nichts davon stimmt, ist die Überschwemmung an »happylife, »bestdayever, »meinlebenistgeileralsdeinleben eine todsichere Autobahn in die Depression. Auf Facebook sitzt derweil der Pöbel, der mit schnell zusammengeschustertem Hass seine Abende füllt, was man sich nicht ins Haus holen will. Fast zwangsläufig lande ich bei Schuhen, Hosen, Hemden, Beauty, ich packe Warenkörbe, von denen ich weiß, dass ich den Inhalt weitgehend wieder zurückschicke, sobald er angekommen ist. Es gibt natürlich noch eine Vielzahl von Serien und Filmen. Actionfilme erinnern mich aber zu sehr an Mark, Romantic Comedys erinnern mich zu sehr daran, wie es mit Mark nie war. Serien haben den Nachteil, dass dort alle Figuren aufregend, skurril, exzentrisch und besonders sind, also das Gegenteil von meinem echten Bekanntenkreis, was sogar eine Abkürzung zur Autobahn in Richtung Depression ist. Bei den Dokus geht es viel um Hitler oder Haie. Ich mache einen Wein auf und überlege, ob alleine trinken schon ein Anzeichen von Depression ist. Ich gucke eine Doku über Depressionen, in der Alkohol nicht weiter erwähnt wird. Am Ende der Doku ist die Flasche leer, mein Bett auch und überhaupt mein ganzes Leben.
Was machen wir mit dem Abend? Es gibt zig Möglichkeiten. Stefan und Alissa haben gefragt, ob wir um neun vorbeikommen wollen. Pärchenabend. Beim letzten Pärchenabend haben wir zusammen Pizza gemacht, und Stefan und Alissa haben darüber gestritten, ob sie Zwiebeln und Oliven auf ihre Hälfte legen. Zwiebeln und Oliven waren offensichtlich nur Platzhalter für schlechten Sex und andere Vorwürfe, die nicht direkt ausgesprochen wurden. Jetzt soll »Tabu« gespielt werden, und bei nichts wird es schneller ernst als beim Spielen. Könnte also anstrengend werden. Ich würde lieber um acht ins Kino. Der Film hat bei der Berlinale den Goldenen Bären gewonnen, könnte also anstrengend werden, findet Mark. Gut. Der Klügere gibt nach, denke ich. Dann eben Pärchenabend. Um Viertel vor acht steht Mark im Flur und ist bereit fürs Kino. Er hat sich wohl für den Klügeren gehalten und nachgegeben. Ich bin nicht fertig, weil ich dachte, wir gehen zu Stefan und Alissa. Bis ich fertig bin, hat der Film schon angefangen. Also doch Pärchenabend. Wir haben beide schlechte Laune. Ich, weil wir nicht im Kino sind, und er, weil sein nichtgebrachtes Opfer, mit mir ins Kino zu gehen, nicht gewürdigt wird. Als wir bei »Tabu« im selben Team sind und er den Begriff »Pizza« schlecht erklärt, werde ich sauer, und wir streiten uns. Ich nehme mir vor, beim nächsten Mal allein zu Haus zu bleiben.
Urlaub als Single ist wie Bratwurst als Eis, also zwei an sich total gute Sachen, die aber durch die bloße Kombination zu etwas Seltsamem werden, was keiner haben will. Man kann eher ankündigen, dass man sich selbst den Blinddarm rausnimmt, als zu sagen, dass man allein in Urlaub fährt. Wer das in meinem Alter tut, hat alles falsch gemacht. Mit Anfang zwanzig ist alleine wegfahren kein Problem, und ab Anfang sechzig geht’s auch wieder. In beiden Fällen ist es mehr oder weniger immer Sex-Tourismus, getarnt als Club-Urlaub oder Bildungsreise. Aber dazwischen, in meinem Alter, finden es alle einsam, schlimm und falsch. Mittlerweile sage ich, ich fliege allein nach Ungarn für eine Nasen-OP