Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag - Katrin Bauerfeind - E-Book
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Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag E-Book

Katrin Bauerfeind

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Beschreibung

Im Scheitern bin ich richtig gut! Es wird ja weltweit viel gescheitert. Gucken Sie sich die Nachrichten an, schauen Sie sich um, blicken Sie kurz in den Spiegel. Sehen Sie? Überall wird deutlich mehr gescheitert als gesiegt. Außerdem kaufen hauptsächlich Frauen Bücher, und Frauen scheitern noch mehr als Männer, egal was Ursula von der Leyen sagt. Deswegen ist das Thema auch ein Anbiedern an die Zielgruppe. Außerdem: Übers Gewinnen schreiben Leute wie Carsten Maschmeyer, und da will man ja wohl automatisch lieber das Gegenteil. Und: Es ist das Thema, mit dem ich mich am besten auskenne. Scheitern kann ich. Wenn alles so läuft wie immer, werde ich das Buch nicht fertig schreiben ... Aber selbst wenn das Buch fertig wird, bin ich mir sicher, dass es nicht so erfolgreich ist wie Shades of Grey oder Harry Potter, obwohl ich auch über dominanten Sex schreibe (Seite 662), und über Jungs mit Brille (Seite 923). Zack, bin ich wieder gescheitert! Und selbst wenn dieses Buch ein Weltbesteller werden sollte, werde ich das Gefühl haben, dass ich in dieser Zeit meine Mutter vernachlässigt habe, noch immer nicht in Madrid war und erst recht nicht beim Sport. Sie sehen: Scheitern kann man eigentlich immer und überall. Es ist ein günstiges Hobby für die ganze Familie, und ich als Scheidungskind weiß, wovon ich rede. Aber keine Angst. Dies ist kein deprimierendes Buch. Im Gegenteil. Selbst wenn Sie eigentlich die Buddenbrooks oder Frank Schätzing, Ulysses oder das letzte Werk von Richard David Precht lesen wollten, aber stattdessen jetzt dieses Buch in der Hand haben, weil es dünner, billiger und lustiger ist, ist es genau das richtige. Dies ist ein Buch für all die, die sich schon einmal entschlossen an ihren Computer gesetzt haben, um zum Beispiel ihre Diplomarbeit zu Ende zu schreiben, und dann vier Stunden lang bei YouTube-Videos von Haushaltsunfällen, Katzenkindern und romantischen Heiratsanträgen hängen geblieben sind. Für alle, die sich jedes Jahr drei Tage vor dem Urlaub erfolglos in ihre Bikinifigur hungern wollen, alle, die eigentlich große Pläne für ihr Leben hatten und jetzt plötzlich eine Einbauküche abbezahlen und alle, die das Gefühl haben, es fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag: ein Tag, an dem man endlich mal alles erledigen könnte … Geschichten von Katrin Bauerfeind: ein Buch, wie wenn Horst Evers eine klasse Frau wäre!

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Seitenzahl: 241

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Katrin Bauerfeind

Mir fehlt ein Tag zwischen Sonntag und Montag

Geschichten vom schönen Scheitern

FISCHER E-Books

Inhalt

01 Gegen offene Türen rennen – Ein Geleitwort von mir selbst02 Scheitern an Warnhinweisen: Auf eine Zigarette mit Albert Camus03 Ich fahr’ lässig oder Scheitern am Individualismus …04 Drei Bier mit dem Vater von Helmut oder Kein Tattoo, kein Piercing, nichts05 Dialekt der Aufklärung oder Ich in New York (zwischen Stuttgart und Ulm)06 Die Anti-Hochzeit07 Ich geh als Stecknadel – Scheitern am Heiraten08 Scheitern am Sport … … ideal für Einsteiger!09 Bio und Rhythmus oder Scheitern an Weckern10 Katrin Bauerfeinds gesammelte MackenKeine Polizei! – Macke 1Ich bin eine Schildkröte! – Macke 2Bitte helfen Sie mir! – Macke 311 Rückwärts und rumpelig12 Der trojanische Kerzenständer oder Scheitern am Wegwerfen13 Der Dominostein-Effekt oder Scheitern am Erledigen14 Die zitternde Seele von Frau Bauerfeind oder Vom Scheitern mit Schamanen15 Intensive Stationen oder Fernsehen ist jetzt Blumenkohl16 Der 3sat-Kreisverkehr17 Blasenschwach und ungeschminkt oder Scheitern mit Promistatus18 Diagramme und Torten oder Scheitern an Marktforschung19 Fast die schönste Frau der Welt – Über zweifelhafte Erfolge20 Feminismus und andere ZwischenüberschriftenSo eine FreiheitDas Richtige tunWer keinen Penis hatWie lange noch?Film. ReifWegmachen21 Dann las ich von Olivenöl … oder Wie man an Schönheitsidealen scheitert22 Drei Sambuca oder Scheitern im Sexshop23 Im Bett mit Béla Réthy oder Wie schlecht ist Sex?24 Fleckenteufel oder Fassung bewahren, Fassung verlieren25 Wie ein Sprung vom Zehnmeterbrett oder Ich kann nicht nein sagen26 Leerstand oder Scheitern an BeziehungenI Es regnetII HässlichIII LuftIV Die KontrolleV Jenseits von AfrikaVI Als Single27 Die kleine Kneipe am Ende der Liebe28 Bleiben oder gehen?29 Édith Piaf oder Scheitern an Kurzmitteilungen30 Es gibt kein Sushi …31 Spinat auf der Festplatte oder Wenn aus Menschen Eltern werden32 Nachts, betrunken und allein oder 12 Dinge, die mit 30 anders sind als mit 2033 Hühnersuppe, Lakritz, Schnabeltasse34 30 mit Trara und Tröte oder Scheitern am Jungbleiben35 And here’s to you, Mrs. Robinson oder Die kleinen Fehler unserer Stars36 Das Googeln von Knubbeln oder Scheitern an Selbstdiagnosen37 Ich liebe es38 Ach du lieber Hamster. Scheitern an Gott39 Auf geht’s, dahin geht’s, im Himmel gibt’s Zigarren40 Jonas 2141 Frau werden – Was uns keiner gesagt hat42 Kaputt – Scheitern am Küssen43 Kinderkriegen – Was uns keiner gesagt hat44 Mein Name ist nicht Bond – Scheitern am Scheitern45 Interview mit mir

01Gegen offene Türen rennen – Ein Geleitwort von mir selbst

Ich wollte nach langer Zeit mal wieder das Yoga-Programm auf der Wii angehen. Das ist nur eine Spielekonsole und kein Fitnesscenter, aber es ist besser als nichts, und mit der Wii kann ich Yoga unter Anleitung machen, aber alleine. Ich habe es auch schon mit anderen in einem richtigen Yoga-Studio versucht, aber wie soll ich mich beim Yoga entspannen, wenn die Trulla neben mir ihre Matte nicht richtig parallel zu meiner ausrichtet?! Ich hab eine leichte Macke mit geraden Kanten. Ich bin ein Fan von geraden Kanten. Ich scheitere oft an solchen Dingen. Und an anderen Menschen, aber dazu später mehr.

Ich habe mir also Spielekonsolenyoga fest vorgenommen. Ganz fest. Dann muss ich feststellen, dass ich keine Batterien mehr für das blöde Plastikbrett habe, das man bei der Wii fürs Yoga braucht. Ich muss also zum Kiosk um die Ecke, aber vielleicht dann doch nicht in den etwas peinlichen Sportsachen. Ich ziehe mich um und kaufe Batterien, um dann zu merken, dass ich jetzt zwar Batterien habe und das blöde Plastikbrett, aber nicht mehr die Wii selbst. Die hat nämlich mein Exfreund in unserer alten Wohnung, was mich daran erinnert, dass ja auch meine Beziehung gescheitert ist …

Um den Tag nicht kampflos dem Scheitern zu überlassen, gehe ich zum Friseur. Neue Haare sind immer gut. Der Friseur soll mir meine Haare so färben, dass sie aussehen wie die von Blake Lively letztes Jahr. Ein natürliches Kupfer. Ich habe Fotos mitgebracht. Der Friseur sagt, es sei kein Problem. Aber er ist offenbar zu schwul, um nebenbei noch irgendwas anderes zu machen. Eine Ausbildung zum Beispiel. Friseur ist anscheinend mittlerweile so wie Heilpraktiker, Journalist oder Bundespräsident, also offenbar kein Lehrberuf mehr. Jetzt habe ich magentafarbene Haare. Es ist ein ganz normaler Mittwoch, und ich habe magentafarbene Haare. So in etwa ist mein Leben. Eine Abfolge von Fehlschlägen.

Vielleicht finden Sie es übertrieben, daraus ein Drama zu machen oder gar ein Buch. Dann sind Sie vermutlich über vierzig. Ich fürchte, ich bin typisch für meine Generation: so viele Möglichkeiten und am Ende nur das Gefühl, nichts hinzukriegen. Wir haben so viele Chancen und trotzdem meist das Gefühl zu scheitern. Wir haben mehr offene Türen als ein Adventskalender, aber am Ende eben magentafarbene Haare …

02Scheitern an Warnhinweisen: Auf eine Zigarette mit Albert Camus

Ich rauche. Seit ich fünfzehn bin, rauche ich. Wir reden hier nicht von der Gelegenheitszigarette zu einem »schönen Glas Wein«, wir reden nicht von der Zigarette mit Freunden, wir reden nicht von der Zigarette danach. Wir reden bei mir eher von der Zigarette dabei. Währenddessen.

Ich habe ein echtes Nikotinproblem, wenn das mit dem Sex zu lange dauert. Ich bin die Marlboro-Frau, nur ohne den Hut, die Kühe, die Landschaft, die Freiheit und die Abenteuer. Ich rauche einfach. Würde ich fürs Rauchen bezahlt, hätte ich mehr Geld als Heidi Klum vor der Scheidung. Vom Nikotinpegel würde ich besser zu Helmut Schmidt passen als Sandra Maischberger. Vielleicht ist in meiner oralen Phase was schiefgelaufen, vielleicht hat meine Mutter mich nicht lange genug gestillt. Fakt ist: Ich rauche. Viele von Ihnen werden das unsympathisch finden. Das ist die normale Reaktion von Nichtrauchern. Ich erwarte auch keinen Applaus und keine Zustimmung, muss aber sagen, dass ich dieses Unentspannte in der Diskussion um den blauen Dunst nicht verstehe.

Rauchen ist gefährlich, keine Frage. Die meisten Raucher werden früher oder später sterben. Aber auf der anderen Seite hat eine Tante von mir beim Kniffeln mal einen halben Dreierpasch verschluckt und wäre daran fast erstickt. (Die ganze Geschichte würde hier zu weit führen, aber es ging darum, dass sie behauptet hatte, man könne auch mit dem Mund würfeln.) Meiner besten Freundin in der Grundschule ist beim Seilchchenspringen die Achillessehne gerissen, und ein Kollege ist neulich im Fitnesscenter über eine Hantel gestolpert und gegen einen Crosstrainer geprallt. Auch das gesunde Leben hat also seine Risiken.

Man wird dafür bewundert, wenn man sich für Red Bull aus zig Kilometern mit einem Fallschirm auf die Erde stürzt, in einem Formel-1-Auto mit 800PS Woche für Woche im Kreis fährt oder ohne Sauerstoff den Mount Everest besteigt. All das sind Tätigkeiten, die unstrittig genauso sinnlos und gefährlich sind wie Rauchen. Aber nur Zigaretten haben dieses schlechte Image.

Bevor Sie mich also wegen des Rauchens verurteilen, bedenken Sie bitte, dass ich ja auch ganz viele Sachen nicht tue, die meine Umwelt ebenfalls gefährden könnten. Ich habe keine Waffen und keine Kinder, ich habe keine ansteckenden übertragbaren Krankheiten, und ich war nie beim Promi-Dinner oder bei Beckmann.

Natürlich hab ich schon ein paarmal versucht aufzuhören, aber ich scheitere jedes Mal und mittlerweile auch ganz gerne. Scheitern am Nichtrauchen ist der Einstieg ins schöner Scheitern.

Romy Schneider und Marlene Dietrich haben geraucht, Mutter Beimer nicht, Audrey Hepburn und Brigitte Bardot haben geraucht, Kristina Schröder nicht, Bette Davis hat mehr geraucht als der Ätna, Veronica Ferres war dagegen 2001 »Nichtraucherin des Jahres«. Von Hitler wollen wir gar nicht erst reden. Der war nicht nur Nichtraucher, sondern auch Vegetarier. Sie verstehen, worauf ich hinauswill?

Die Warnhinweise auf den Zigarettenpackungen sollen nach dem Willen der EU demnächst noch größer und drastischer werden. Ich finde das unhöflich. Man klebt auch keine Bilder einer ängstlichen Kuh auf ein halbes Pfund Hackfleisch. Man zeigt uns bei IKEA nicht die Paare, die sich im Bettenmodell »Lillebror« nachhaltig zerstritten haben, und auf einer Packung Fritten bei McDonald’s ist kein Bild von Reiner Calmund. Warum muss ich mir also ausgerechnet bei Zigaretten diese Ermahnung gefallen lassen?

Demnächst darf man in der Öffentlichkeit gar nicht mehr rauchen. Mir gefällt das nicht. Ich finde, wenn man das Haus verlässt und sich damit in die Öffentlichkeit begibt, muss man damit rechnen, dort Dinge zu erleben, die einem nicht gefallen. Das ist nicht nur das Risiko von Öffentlichkeit, das ist auch der Sinn. Sonst erlebt man gar nichts Neues mehr und bleibt nur unter sich. Wohin das führt, kann man am englischen Königshaus sehen. Man nennt es Inzest, und es sieht aus wie Prinz Charles.

Ich bin privat zum Beispiel gegen große Kopfhörer auf Leuten, die am Verkehr teilnehmen, ich finde Strass an Sachen, die man anzieht, fragwürdig, und ich bin gegen japanische Touristengruppen. Ohne Grund. Aber ich finde, ich muss in einem Café damit leben, dass bestrasste Japaner am Nachbartisch große Kopfhörer tragen. Vielleicht ist in der Gruppe sogar zufällig jemand, der mir erklärt, was es mit Mangas auf sich hat oder mit diesen Automaten, an denen man in Japan getragene Mädchenunterwäsche kaufen kann. Soll heißen, Risiken bergen immer auch Chancen. Wenn Öffentlichkeit nur noch dazu da ist, mich vor allem, was anders ist, abzuschirmen und der Staat nur noch dafür sorgt, mich vor Belästigungen durch andere zu schützen, dann läuft irgendwas schief. Und mit dem Rauchen fängt es an. Dabei, finde ich, ist Rauchen ein Grundrecht.

Seit Anbeginn der Zeit haben die Menschen versucht, dem Leben, dem Alltag zu entkommen. Die ersten Menschen haben sich vielleicht einfach nur im Kreis gedreht, bis ihnen schwindelig war. Aber ich bin sicher, sobald das Feuer entdeckt war, wurde auch geraucht. Ich fand die hochgelobte amerikanische Serie Mad Men weitgehend langweilig. Die Serie zeigt allerdings, dass früher wirklich einiges besser war: Da rauchte der Frauenarzt auch bei der Schwangerschaftsuntersuchung und bot nebenbei der werdenden Mutter noch Feuer an.

Klar, wir wollen alle steinalt werden und gesund bleiben und Spaß haben bis ins hohe Alter, aber das sind ja drei Wünsche auf einmal, und seit der Überraschungsei-Werbung wissen wir, dass das nun wirklich nicht geht. Wir können alt und gesund werden, haben dann aber keinen Spaß mehr, oder wir haben Spaß, werden dann aber nicht alt.

Ich sage nicht, dass man ohne Zigaretten keinen Spaß haben kann. Ich habe nur das Gefühl, dass es bei Zigaretten nicht aufhört. Es wird aktuell diskutiert, ob man jungen Mädchen Ohrlöcher stechen darf oder ob das schon Körperverletzung ist, es wird über eine Helmpflicht für Fahrradfahrer nachgedacht, Alkohol soll teurer werden, wir sollen weniger Zucker essen und mehr Sport machen. Die Optimierung geht immer weiter. Wir sollen immer gesünder werden und besser, aber keiner erklärt einem, wozu.

Was ist der Sinn? Es ist wie mit den Fernsehern. Die werden auch immer besser, schärfer, größer und smarter. Aber was nutzt das, wenn auf diesen Topgeräten am Ende doch nur Berlin Tag und Nacht läuft? Was nutzt das geilste Smartphone, wenn wir es nur nutzen, um zu fragen: »Boah, is bei dir auch so langweilig?«

Wir alle werden immer besser, schärfer und smarter. Gerade in meiner Generation hat jeder neun Zusatzausbildungen, sechzehn Praktika, Auslandserfahrung und Computerkenntnisse. Aber was nützt das, wenn man am Ende doch nur eine halbe Stelle an der Uni hat, in der Firma von Onkel Klaus arbeitet oder dort kellnern muss, wo andere brunchen?

Apropos: Das Rauchverbot in Restaurants dient ja auch dazu, die Gesundheit des Personals zu schützen. Wobei erstens viele Restaurants davon profitieren würden, wenn man sich vor dem Essen noch die Geschmacksknospen betäuben könnte, und zweitens dem Personal vermutlich mit einer Erhöhung des Stundenlohns deutlich mehr geholfen wäre.

Ich weiß, dass Rauchen auch meine Gesundheit gefährdet. Man sagt, jede Zigarette nimmt einem drei Minuten des Lebens. Vielleicht sind es allerdings genau die drei Minuten, in denen einem der Arzt am Ende erklärt, dass man nicht mehr lange zu leben hat. Wenn die wegfallen, bin ich nicht böse. Ich möchte ja auch nicht wissen, wie viele Minuten ich schon sinnlos vor roten Ampeln verplempert habe oder in Kassenschlangen hinter Menschen, die nach passendem Kleingeld gesucht haben, oder in Gesprächen mit Redakteuren, die mir erklärt haben, wie Fernsehen geht, oder in Gesprächen mit Männern, die mir erklärt haben, wie die Liebe geht. Mit anderen Worten: Das Leben besteht aus vielen Minuten verplemperter Zeit. In dieser Zeit kann man auch rauchen.

Stellen Sie sich vor, Sie haben sich gerade lange und qualvoll das Rauchen abgewöhnt und stehen jetzt stolz auf dem Deck der Titanic. Und dann kommt der Eisberg. Da werden Sie sich schön ärgern, die Kippen über Bord geworfen zu haben. Oder, um noch mal Camus zu zitieren: »Dagegen verstand ich den Freund, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, nicht mehr zu rauchen, und dem dies kraft seines Willens auch gelungen war. Eines Morgens schlug er die Zeitung auf, las, dass die erste Wasserstoffbombe zur Explosion gebracht worden war, erfuhr von ihrer großartigen Wirkung und begab sich stracks in den nächsten Tabakladen.« Camus war Franzose, Philosoph und großer Raucher. Gestorben ist er bei einem Autounfall. Als Beifahrer.

Rauchen ist eine Art qualmende Meditation. Man tut etwas und gleichzeitig nichts. Es ist ein in dünnes Papier gewickelter Kurzurlaub. Gemütlichkeit ohne Qualm ist ähnlich sinnlos wie alkoholfreier Whiskey. Humphrey Bogart in Casablanca mit einem Nikotinpflaster statt einer Zigarette wäre schon deutlich uncooler.

Das Rauchen unterscheidet uns vom Tier. Und das ist nicht von Helmut Schmidt oder Camus oder so. Das ist von mir. (Bitte keinen Applaus – ernstes Thema.)

03Ich fahr’ lässig oder Scheitern am Individualismus …

Wenn man jung ist, hält man sich für wahnsinnig individuell. Zumindest ist man nicht Mainstream. Man wäre den Großteil der Zeit jedenfalls gerne besonders. Rückblickend sieht man später, man war wie alle anderen, die auch plötzlich einen Hut aufhatten, einen Bowler-Hat vielleicht sogar, wie die, die einen Bart trugen oder überlange T-Shirts. Am Ende landen wir alle bei IKEA und kaufen die Bücher, die andere Kunden, die dieses Buch kauften, auch kauften. Individuell ist anstrengend. Je individueller man sein will, desto dünner wird die Luft.

Pinke Haare zum Beispiel sind nur so lange individuell, solange man relativ alleine pink ist. Selbst orangefarbene Strumpfhosen – und die sehen echt beknackt aus – wurden schon an zu vielen Frauen gesehen, als dass man das noch für besonders halten könnte. Besonders beknackt vielleicht, ja, aber mehr eben nicht. Selbst bei Punks hab ich noch keinen Irokesen gesehen, der quer über den Kopf liefe. Nur längs.

Individualität hat eben Grenzen und ihren Preis. Mein Stil wurde lange Zeit mustergültig von einer Freundin so zusammengefasst: »Ich kenne niemanden, der so wenig mit seinen Klamotten ausdrücken möchte wie du.«

Ich habe das für ein Kompliment gehalten. Ich kam nicht auf die Idee, das langweilig zu finden. Erholsam, dachte ich, dass es auch Menschen gibt, die einem mit Anziehsachen nichts sagen wollen, sondern einfach nur was anhaben. Und gut, dass ich zu diesen Menschen gehöre. Der Individualitätswahn geht mir ehrlich gesagt bis heute ziemlich auf den Nerv. Das spektakulärste Kleid auf dem roten Teppich? Wofür? Für ein Bild in der Gala? Björk kann, darf und muss einen toten Schwan als Kleid tragen und Lady Gaga eine Bluse aus Schnitzel. Die heißen ja beide schon so. Aber Nadine, Maike und Katrin sollten sich eben auch so anziehen wie Nadine, Maike und Katrin.

Manchmal allerdings denkt man, dass man jetzt echt mal aus der Tiefe seines Herzens heraus eine Idee hat, die sonst niemand hat.

Bei mir war es ein VW-Bus. Ja, es klingt total lächerlich, aber ich schwöre, ich dachte damals, ich sei die Einzige, die Erste oder irgendwas dazwischen. Inspiriert von einer Fernsehreportage, bei der ich drei Wochen durch den Balkan reisen durfte, mit eben genau so einem Bulli, stieg ich also mit einer 5000-Euro-Investition ins Bulli-Geschäft ein. Frankreich. Küste. Meer. Lagerfeuer. Gitarre. Offene Tür. Schlafen unter freiem Himmel. Gauloises rauchen und den Slogan leben: Liberté toujours! Freiheit is just another word for nothing left Toulouse. So wird’s gemacht. Frankreich, ich komme!

Spontan kaufte ich also den Bus, wobei spontan in meinem Fall meistens auch fahrlässig heißt. Ich hörte nur halbherzig zu, als man mir erklärte, wie man den Bus betankt, begast und befüllt, würde ich doch im Leben nie brauchen oder ohnehin bis Frankreich wieder vergessen haben. Ich packte mein Zeug in den Wagen und fuhr los.

Mein Bulli, der gar kein Bulli war, sondern nur ein T3, war wunderschön. Dunkelblau, in der Mitte mit einem hellblauen Streifen und einem weißen Hochdach. Er hatte nur vier Gänge, an die 60PS, keine Servo, keinen Airbag, nicht mal Radio, und war Baujahr 1983. Er war in einem Topzustand, was bei so einem alten Bus heißt, dass die wichtigsten Teile noch nicht verrostet sind. Das Lenkrad war LKW-groß, und genauso fühlte ich mich auch: wie die queen of the road! Ich sang fröhlich Kinderlieder vor mich hin: Drei Chinesen mit dem Kontrabass, mit allen Vokalen plus Umlaute, »Liebeskummer lohnt sich nicht«, mit allen Strophen – und »Country Roads«.

Als mir zum ersten Mal langweilig wurde, war ich gerade kurz hinter Düren, 20 km von Köln entfernt. Und bis nach Frankreich, bis ans Meer, war es noch weit. Also erst mal eine rauchen, das hilft immer, wenn irgendwas noch sehr lange dauert. Ich hörte spontan im Kopf wieder den Verkäufer: »Ich würde nicht im Bus rauchen, ist ’n bisschen gefährlich mit der ganzen Elektronik und den Gasflaschen!« Es stand plötzlich Liberté toujours gegen Bulli-Verkäufer. Per Schulterblick versuchte ich die Gefahr einzuschätzen. In der Tat waren in dieser Busküche so viele Ritzen und Spalten, von denen ich nicht sagen konnte, was sich darunter verbarg. Mal angenommen, die Kippe flog nicht raus, sondern wieder rein, genau in eine der Ritzen, darunter Gasflaschen, Elektrozeug und was weiß ich, da würde ich hier auf der A3 in meinem neuen Bus in die Luft gehen, bevor ich überhaupt nur in die Nähe von Nordfrankreich gekommen war.

Ich bin risikobereit, aber nicht lebensmüde. Also siegte der Bulli-Verkäufer, und ich fuhr auf einen Rastplatz, zu meinen Kollegen mit den anderen LKWs – und rauchte. Als ich wieder in den Bus stieg und die Uhrzeit kontrollierte, sah ich, dass ich genau eine Stunde unterwegs war. Entschleunigung, der Weg ist das Ziel, schön und gut, aber wenn ich mich auf das Dach meines Bullis stellte, könnte ich wahrscheinlich noch die Spitzen des Kölner Doms sehen. Zum ersten Mal war ich ein wenig ernüchtert.

Nach meiner Kippenpause, zurück auf dem Highway, kam eine leichte Brise auf, und der Bulli mit seinem Hochdach war sofort auf Schlingerkurs. Ein Glück, dass auf den anderen beiden Spuren nicht viel los war. Es war ungemütlich und anstrengend, und ich merkte, dass ich wirklich keinen einzigen Muskel in den Armen habe. Der Bus fing an, mich gehörig zu nerven. Durch den Wind fuhr ich nicht schneller als 60 km/h. 7,5-Tonner rollten vorbei. Von Liberté toujours waren nur noch die Gauloises übrig. Aber ich konnte ja nicht schon wieder zum Rauchen anhalten, ich hatte schließlich nur eine Woche Zeit, und die wollte ich nicht rauchend auf deutschen Rastplätzen verbringen, sondern am französischen Meer.

Ich wusste nicht, wie ich das Busfahren jemals so romantisch verklären konnte. Diese Balkanreise fürs Fernsehen war doch so toll gewesen! Dann fiel mir wieder ein, dass Fernsehen nicht nur die Zuschauer belügt, sondern erst recht die Macher. Ich bin in den drei Wochen Balkantour nicht ein einziges Mal selbst gefahren, ich saß auf dem Beifahrersitz und quatschte, während jemand von der Produktionsfirma den Bus bis Istanbul juckelte. Wenn ich zu müde zum Quatschen war, klappte irgendjemand von der Produktion die Rückbank um, und ich schlief. Kaffee machen mit Gasherd? Produktion. Essen kochen? Produktion. Das Einzige, was ich auf dieser Reise selbst gemacht habe: Ich saß im Bus. (Und geraucht hab ich auch, ja.)

Die nächste Zigarette warf ich todesmutig aus dem Fenster. Sicherheit und Freiheit schließen sich eben aus. Im Bulli genauso wie im restlichen Leben. Konnte schon sein, dass mich hier auf der A3 tatsächlich das Rauchen ins Grab bringen würde, aber fuck it, wie wir im Showbiz sagen. So würde ich es vielleicht sogar in den Express schaffen: »TV-Star explodiert!« (Leute aus dem Fernsehen, die keiner kennt, heißen in der Zeitung immer »TV-Star«.) Okay, spektakulär wär’s schon, aber eben auch völlig sinnlos.

Mittlerweile hatte ich 50 Kilometer zurückgelegt, zwei Stunden waren vergangen. Kurz entschlossen telefonierte ich am nächsten Rasthof: »Ähm, was machst du grade so? … Würd’s dir was ausmachen, mir mein Auto an den Rasthof Fernthal zu bringen …? «

Eine Stunde später saß ich in meinem Auto und fuhr in der angemessenen Reisegeschwindigkeit von 180 km/h Richtung Italien.

Wahrscheinlich hat es einen Grund, dass nach dem T3 andere Modelle gebaut wurden. Bessere, schnellere. Ich bin seitdem nie wieder mit dem Bus gefahren. Ich habe Anteile verkauft und betrachte mich jetzt als stille Teilhaberin de la liberté, während Freunde damit rumreisen und mir von spannenden Urlauben an der Müritz und am Gardasee erzählen.

Der Titel der ersten Zeitschrift, die ich nach diesem Urlaub in die Hand bekam: »Wie wir dieses Jahr Urlaub machen: mit dem VW-Bus!« Ich hab’s eingesehen: Individuell ist eben einfach nichts für mich.

04Drei Bier mit dem Vater von Helmut oder Kein Tattoo, kein Piercing, nichts

Es ist so weit. Ich bin meine Mutter geworden.

Ein Mann fragt mich neulich zwischen zwei Bieren: »Hast du ein Tattoo?«, und ich sage: »Nein«. Gegenfrage: »Echt, gar keins?«

So als bestünde die Möglichkeit, dass ich sage: »Warte, stimmt, jetzt wo du noch mal nachhakst, ich hab doch eins. Ich hab mir ein Backgammon-Spiel tätowieren lassen. Das ist irre praktisch, wenn man unterwegs ist, hat man immer was zum Spielen dabei. Und zwar an einer ganz krassen Stelle, wo’s nicht jeder sieht! Manchmal nicht mal ich, deswegen hatte ich es grad vergessen. Aber mehr sag ich jetzt nicht.« Das sage ich natürlich nicht, stattdessen nur: »Nee, gar keins.« Und ich sage es stolz. Wenn meine Mutter wüsste, wie stolz ich es sage, wäre sie womöglich noch stolzer. Es ist ein Elend. Es ist, als hätte sie nicht nur einen Krieg gewonnen, sondern die Besiegte bedankt sich auch noch und übernimmt die Kultur der Sieger. Ich bin Deutschland, Mutti ist Amerika.

Was waren Tattoos vor fünfzehn Jahren für ein geiler heißer Shit! Und was waren alle, die eins hatten, geiler heißer Shit. Mit 16 waren Mädchen, die Tattoos und Piercings hatten, cool, unbeschreiblich cool.

Eine Freundin wollte damals auch unbedingt zu den Bemalten gehören und suchte ewig nach einem Motiv. Klar, lebenslänglich, da will man sich schon sicher sein und lieber dreimal mehr nachdenken als einmal zu wenig. Sie turnte grade so im Park in Berlin und schlug ein Rad, guckte mit dem Kopf zwischen den Beinen durch und sah: den Berliner Fernsehturm. Wenn sie heute von diesem Erlebnis berichtet, sagt sie: Und da wusste ich, der ist es!

Also hat sie sich den Fernsehturm fett auf die linke Wadenseite tätowieren lassen. Es ist ein kleiner dicker Fernsehturm, künstlerische Freiheit muss sein. Und der Alex ist bunt ausgemalt: rot, grün, gelb und blau. Um den Fernsehturm herum fliegen Schwalben, aber weil niemand Schwalben malen kann, außer Kindern, hat der Tätowierer die Schwalben gemalt, wie Kinder sie malen. Ein Bögelchen und noch ein Bögelchen. Ich würde sagen, der Mann war nicht unbedingt der Leonardo da Vinci der Tätowierer. Jetzt ist der beschwalbte Fernsehturm immer da, wo Karla ist. Was als leicht ungelenke Liebeserklärung an Berlin irgendwann ganz schön war, entspricht mittlerweile so gar nicht mehr dem State of the Art. Es ist ein bisschen so wie mit den Schulterpolstern der Achtziger: Was damals irre gut war und an Kim Basinger enorm geil aussah, kann man heute beim besten Willen nicht mehr tragen. Auch Karla nicht. Aber Tattoos gehören ja quasi regelrecht zum Körper des anderen, und man sagt ja auch nicht: »Boah, hast du hässliche Füße, lass dir die doch weglasern!« Deswegen habe ich bei Karla ganz vorsichtig nachgefragt, ob sie ihr Tattoo noch schön findet oder eventuell auch schon ein kleines bisschen doof. Ich meine, man muss ja auch wissen, auf welchem Level die Freunde gerade unterwegs sind. Karlas Geschmacksempfinden war aber offenbar auch im Jahr 2013 angekommen, denn sie sagte sofort: »Nee, voll scheiße ist das, das nervt mich total!« – »Aber war das nicht schon vor 15 Jahren klar, dass du das scheiße finden würdest? Ich meine … allein die Schwalben!«

Nein, war ihr nicht klar. Und ich bin natürlich in diesem Moment auch eine dieser ätzenden Personen, die hinterher klüger sind, als sie es vorher je waren. Ich würde nie sagen: Hätte ich dir gleich sagen können, hättest du mich mal gefragt, aber natürlich meine ich genau das.

Ich kann heute einfach so tun, als hätte ich diesen Trend nicht nötig gehabt, als hätte ich mit 16 schon gewusst, dass ich es heute blöd finden würde. So war’s aber nicht. Die simple Erklärung für meine Unbemaltheit ist: Ich durfte nicht. Als ich nach Hause kam und meinen Eltern erklärte, dass mindestens meine Jugend versaut wäre, wenn nicht gar mein ganzes Leben, wenn ich nicht jetzt sofort, auf der Stelle, ein Arschgeweih bekäme, lächelten die nur milde. Sie zweifelten an, dass das Glück meiner Jugend oder gar meines Lebens an bunten Mustern auf dem Steißbein hingen. Später, so leierten sie die Leier aller Eltern, würde ich ihnen dankbar sein. Und bis es so weit ist, galt § 1 jeder Elterndiktatur: »Solange du noch keine 18 bist, machst du, was wir sagen!« Was hab ich meine Eltern damals gehasst!! Wie sicher war ich mir in diesem Moment, dass Dankbarkeit in diesem Leben nicht mehr möglich sein würde.