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Die 54 kurzen Prosatexte kreisen rund um den Alltag, in den wir verstrickt sind, der uns hindert und aufhält, zugleich unser Leben ist. "Gegen die Gewohnheit leben", "In einem Bild verschwinden", "Die Hoffnung füttern", "Ab in den Blätterrausch" - mit viel Phantasie spürt die als Krimiautorin bekannt gewordene Schriftstellerin Lücken im Alltag auf, findet und erfindet sie kleine Fluchten. Ihr Buch ist auch ein Plädoyer für den Alltag als solchen. Die kleinen poetischen Texte überzeugen mit ihren dichten Bildern und der knappen Sprache. Susanne Vierheller hat das Buch mit zwölf Radierungen illustriert - lyrische Pausen zwischen den Alltagsrettung-Texten.
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Seitenzahl: 30
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Barbara Krohn
Mit Radierungen von
Susanne Vierheller
edition lichtung
eBook-Ausgabe 2016 © lichtung verlag GmbH 94234 Viechtach Bahnhofsplatz 2awww.lichtung-verlag.de Umschlaggrafik: Susanne Vierheller Konvertierung: lichtung verlag GmbH eBook eISBN 978-3-941306-13-4
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Die gedruckte Ausgabe ist in der edition lichtung erschienen: 1. Auflage 2010, 3. Auflage 2013 © lichtung verlag GmbH ISBN 978-3-929517-92-7
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Gegen die Gewohnheitleben. Zum Beispiel, falls du Langschläfer bist, morgens früh aufstehen. Leichter fällt es im Sommer. Wenn im Dunkeln der erste Vogel singt. Du stehst am Fenster, noch widerwillig, traumverhangen, fröstelnd. Kein Schatten fällt. Frühmorgens bist du noch allein in der gefiederten Welt.
Einen Ort im Gelände finden. Am Ufer eines Flusses, auf einem Hügel. Auf der Verkehrsinsel mitten im Staub der Tage. Ganz gleich, was für Geschichten über diesen Ort im Umlauf sind, wenn du willst, gehört er dir. Der Bahndamm, dessen vergessene Ufer von unverputzter Natur umwuchert sind. Du stellst dich dazu, als wärst du eine dieser Pflanzen, die auch im Schotter wachsen. Und was, bitte schön, wächst auf der Verkehrsinsel, hältst du mir entgegen? Was immer du willst. Zwischenräume. Der Rausch der Bewegung, der Rausch des Stillstands.
Den Jäger und Sammler in dir wecken, der Bilder jagt und Wörter sammelt. Sie sind wie Pilze, schie-ßen aus dem Boden der Zeit, stecken zwischen den Zeilen wie unter Laub, unscheinbar oder leuchtend, schmackhaft oder ungenießbar. Heute hast du Glück. Du findest gleich zwei: wespengelber Mittag. Steck sie ein, nimm sie mit. Irgendwann, wenn du nicht mehr daran denkst, wirst du sie wiederfinden, in deiner Hosentasche, einer Falte der Jahre, wie ein Bonbon aus alten Zeiten.
Das Wasser suchen, den Bach, den Fluss, das Meer. Wann immer du es erreichst, du kommst nie zu spät. Diese Vorstellung läuft rund um die Uhr, ob du trunken bist von Leere, erschöpft vom Sehnen, ausgetrocknet von den tausend Mails am Tag. Das Wasser stellt keine Fragen. Es ist für dich da. Dein geheimer Gedankenmüllentsorger, Gefühlsschnellkompostierer, Frustspülmittel, Hoffnungswasserträger. Deine Ruhe, deine Bewegung.
In einem Bild verschwinden. Einfach hineingehen. Das ist kein optischer Trick, es klappt tatsächlich. Aber aufgepasst, ein echtes Bild muss es sein, mit gespaltenem Herzen gemalt. Keine Plakatwand, keine Werbefotos und Konsorten, dort prallst du ab und gehst zu Boden. Das echte Bild ist offen. Du stehst davor, tastend, witternd, nimmst es mit allen Sinnen in dich auf: die Farben, Formen, Flächen, Figuren, das ungewohnte Rosa, das unsagbare Blau, das Haus ohne Türen und Fenster. Dahinter liegt ein anderes Zuhause, es nimmt dich auf, Gast auf Lebenszeit.
Das Einhorn neu erfinden. Es hat ja keinen Sinn zu warten, bis ein anderer es tut. Alle Machbarkeitsbedenken werden ignoriert, jetzt heißt es, aus dem Gegenlicht zu schöpfen. Du machst das Unsichtbare sichtbar. Dann kleidest du es ein, nach deinen Visionen, stattest es aus mit deiner Sehnsucht, deinem Mut. Oder es bleibt nackt. Du kannst es zähmen, ihm Zügel geben oder es laufen lassen. Es liegt an dir. Irgendwann bricht es immer aus und sucht das Weite, dein Geschöpf.
An einem nasskalten Abend noch einmal aus dem Haus