Als die Sonne den Tag verließ - Veronika Simonsen - E-Book

Als die Sonne den Tag verließ E-Book

Veronika Simonsen

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Beschreibung

Dies ist die wahre Lebensgeschichte eines jungen Mädchens aus Nordfriesland. Als sie im Alter von siebzehn Jahren ihren Freund bei einem Autounfall verliert, trauert sie Tag für Tag, Monate lang. Ihr Leben erscheint ihr sinnlos und leer. Geplagt von Depressionen und Schuldgefühlen versucht sie mit ihrem verstorbenem Freund Kontakt aufzunehmen. Sie beschäftigt sich fast ausschließen mit dem Tod, um herauszufinden ob sie ihn jemals wieder sehen wird. Ihr Leben bedeutet ihr nichts und sie flüchtet sich in die Drogenwelt. Gerade als sie sich ins Leben zurück kämpfen will, geschieht der nächste Schicksalsschlag. Und auch das soll nicht der letzte gewesen sein. Von all der Trauer zerfressen, flüchtet sie sich immer weiter in die Drogensucht. Doch sie findet zurück ins Leben.

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Dieses Buch widme ich:

Stefan

meinem Vater und meiner Mutter

Mein Dank geht an:

Herrn W. Lutz

Herrn Pastor Albrecht

Die Namen der handelnden Personen wurden aus Gründen des Datenschutzes geändert.

Inhaltsverzeichnis

1. Teil: Als die Sonne den Tag verließ

Wie ich mein Leben begann...

Meine erste große Liebe

Realitätsverlust

Als die Sonne den Tag verließ

Spuren im Sand

Der Kampf zurück ins Leben

Mit Anlauf in die Hölle

Es kann immer schlimmer kommen…

Der Versuch zur „Normalität“ zurückzukehren

Neue Liebe! Endlich Glück?

Neuanfang mit alten Lasten

2. Teil: Zurück ins Licht

Zurück ins Licht

Ungewolltes Gefühlschaos

Ordnung schaffen

Trauer, Verzweiflung, Schmerz

BEVOR DU URTEILEN KANNST

ÜBEL MICH ODER MEIN LEBEN

ZIEHE MEINE SCHUHE AN

UND LAUFE MEINEN WEG.

DURCHLAUFE DIE STRABEN

BERGE UNDTALER

FUHLE DEN TRAUER

ERLEBE DEN SCHMERZ

UND DIE FREUDEN.

ERST DANN

kANNST DU URTEILEN!”

(UNBEkANNT)

Vorwort

Ich bin gerade siebzehn Jahre jung, als ich beginne, dieses Buch zu schreiben.

Ich wohne mit meinen Eltern und meiner älteren Schwester in Nordfriesland, in einem kleinen Dorf nahe der dänischen Grenze, in einem alten aber schönen Haus. Das, was ich hier schreibe, ist mein wahres Leben, so wie ich es erlebt habe.

Wenn man jung ist, sieht man jeden schweren Moment als den schlimmsten seines Lebens an. Auch ich kenne diese Momente nur allzu gut, doch gerade dann, wenn man glaubt, nach dieser schweren Phase sich wieder gefasst zu haben, kommt es noch schlimmer, viel schlimmer...

Wie mein Leben begann…

Ich weiß aus Erzählungen, dass meine Mutter in den ersten Wochen nach meiner Geburt keine besonders große Bindung zu mir hatte: sie fand mich dick und hässlich. Es gibt kaum Fotos von mir aus dieser Zeit.

Aber die erste wirkliche Erinnerung, die ich an mein Leben habe, ist die, als ich in den Kindergarten kam. Ich hatte den Malwettbewerb gewonnen. Die Aufgabe bestand darin, ein Hochhaus mit vielen Fenstern auszumalen. Während ich auf jedes kleinste Detail achtete, malten die anderen Kinder das gesamte Blatt aus. Der Gewinn war ein Playmobil Krankenhauszimmer. Trotzdem fühlte ich mich nicht wohl unter den vielen anderen Kindern. Ich wollte nach kurzer Zeit nicht mehr in den Kindergarten gehen. Meine Mutter sorgte dafür, dass ich zuhause bleiben konnte. Meine sozialen Kontakte beschränkten sich somit vorerst auf meine Familie.

Im Großen und Ganzen hatte ich eine gute Kindheit. Das habe ich zumindest immer geglaubt. Eigentlich gab es auch nichts auszusetzen, ich hatte viele Freiheiten. Wir waren viel draußen an der frischen Luft, fuhren mit unseren Fahrrädern, tobten im Wald oder kletterten auf Bäume. Die Sorgen der heutigen Eltern, wie z.B. schimpfende Nachbarn, Fehlverhalten der Kinder oder gar plötzliches Verschwinden, gab es bei uns in der Art nicht. Im Dorf schien alles friedlich. Dennoch weiß ich heute, dass mich damals schon vieles geprägt hat. Mein Vater ging, wie fast jeder Vater, werktags regelmäßig zur Arbeit. Er hatte selten Zeit für uns Kinder. Meine Mutter hatte ihren Job als Verkäuferin für meine Schwester und mich an den Nagel gehängt, als ich noch ein Kleinkind war. Von da an war sie Hausfrau. Trotzdem hatte sie nicht besonders viel Zeit für uns. Sie war viel im Garten und oft bei meiner Tante zum Kaffee trinken. Manchmal zwei bis dreimal täglich. Wahrscheinlich deswegen, weil meine Tante aufgrund ihrer schlechten Ehe viel Beistand benötigte. Außerdem litt meine Mutter an Migräne. Jeder, der so einen Fall in seiner Familie hat, weiß, was das bedeutet: Ruhe! Dass auch mich das Leid der ewigen Kopfschmerzen in absehbarer Zeit treffen würde, hatte ich natürlich zu der Zeit noch nicht erwartet. Aber ich hätte mich rücksichtsvoller verhalten.

Als es so weit war und ich in die Schule ging, war ich oft auf mich allein gestellt. Wenn ich nach Hause kam, war ich allein. Keiner half mir bei den Hausaufgaben oder hatte ein warmes Essen gekocht. Für mich war das in Ordnung. Ich war gern allein. Aber ich wurde (wahrscheinlich unbewusst) zur Selbstständigkeit erzogen. Das ging so weit, dass ich Unterstützung und Hilfe im Schulbereich nicht mehr zulassen konnte und auch nur wenig soziale Kontakte zuließ. Ich hatte zudem Schwierigkeiten damit, in Gesellschaft zu essen und blieb lieber allein.

Mit sechs Jahren wurde ich eingeschult. Und mit der Schulzeit fingen auch die Kopfschmerzen an, ich hatte sie eigentlich täglich. Ich denke, das hatte viele Gründe: die schlechte Luft im Klassenraum und im Schulbus, zu wenig Flüssigkeitszufuhr, Stress, Belastung…. Tag für Tag, und es wurde mit den Jahren immer mehr. Im Sommer war es noch schlimmer…

Die Ferien und die Wochenenden verbrachte ich oft bei meiner Tante. Ich schlief bei meiner Cousine Marie, manchmal mit meiner Schwester, aber überwiegend allein. Wir spielten häufig mit ihrer Legostadt, mit Barbie oder waren auch bei ihr viel draußen. Ich war gerne dort, nur das gemeinsame Essen gefiel mir eben nicht.

Mein Onkel spielte oft mit uns, er baute zusammen mit uns die Legostadt auf, fuhr mit uns baden oder tobte mit uns, aber er war sehr grobmotorisch. Als wir, zusammen mit meinen Eltern, bei ihnen im Garten gegrillt haben, ich denke ich war ca. sieben bis acht Jahre alt, bemerkte ich zum ersten Mal, wie Alkohol die Menschen verändern kann. Mein Onkel saß allein, mit einem Bier in der Hand, in der Küche, während alle anderen draußen aßen. Wir Kinder gingen zu ihm hinein. Er bat uns, den anderen nichts zu sagen, aber er hätte gerade „gekotzt“. Ich weiß nicht warum, aber ich wusste sofort, dass es mit dem Bier zu tun hatte. In der nächsten Zeit wurde es immer schlimmer. Seine ständige Trunkenheit wurde mir mehr und mehr bewusst. Meine Tante und mein Onkel stritten sich immer häufiger und heftiger. Es war ein fürchterliches Gefühl, diese Veränderungen mitzuerleben und so hilflos zu sein. Meine Cousine tat mir unendlich leid. Meine Mutter verbot uns schließlich, bei ihm ins Auto zu steigen. Dieses Verbot brachte viel Unsicherheit und Angst mit sich. Ich wusste nicht, wie ich ihm das Mitfahren in seinem Auto ohne Angaben von Gründen verweigern sollte. Ich erinnere mich nur an ein einziges Mal, als ich es tun musste. Es war auf dem Schulweg nach Hause, er wollte mich schnell rum fahren. Doch ich lehnte ab und log, dass ich lieber laufen würde. Ich hatte stets Angst, wieder in solch eine Situation zu geraten und mich mit Unwahrheiten zu rechtfertigen.

Meine Cousine und ich sprachen in unserer Kindheit gar nicht über das Thema Alkohol und ihren Vater.

Erst später wurde mir so richtig bewusst, dass der Grund dafür, warum er stets für uns zum Laden fuhr, um Bonbons zu kaufen, das Bier war. Das der Grund für seine grobe Art, das Bier war. Dass der Grund, warum er stets die Namen von Sally und mir vertauschte, das Bier war. Dass der Grund, warum er meine Tante so häufig beleidigte, das Bier war. Und dass der Grund, warum ich seinen Bruder nicht leiden konnte, das Bier und der Jägermeister waren, den er täglich mitbrachte.

In dieser Zeit entwickelte ich meine Einstellung und meine Abneigung zum Alkohol.

Ich erinnere mich an einen Silvesterabend. Meine Schwester und ich waren mit unserer Tante auf dem Weg zu unseren Eltern zum Abendessen. Mein Onkel fuhr betrunken das Auto. Marie und mein Cousin waren ebenfalls dabei. Als meine Tante und mein Onkel anfingen sich zu streiten, weil mein Cousin nicht angeschnallt war, artete es völlig aus. Mein Onkel hielt am Straßenrand an und warf meine Tante aus dem Auto. Es war eine dunkle Straße ohne Beleuchtung. Ohne sie fuhren wir weiter. Ich war jung und empfand es als schrecklich, fies und gefährlich. Am liebsten hätte ich geschrien. Auch sie hatte etwas getrunken. Ich machte mir Sorgen, dass sie überfahren werden könnte. Als wir bei meiner Mutter ankamen, fuhr mein Großvater sofort los um sie zu suchen. Immer wieder sah ich zur Tür, bis sie endlich mit verweintem Gesicht vor uns stand.

Meine Freizeit nach der Schule verbrachte ich zusammen mit meiner Schwester und den anderen Dorfkindern. Wir waren viel draußen, und taten eben das was alle Kinder und Jugendlichen (zu meiner Zeit) so taten. Da es keinen anderen Platz für uns Kinder gab, trafen wir uns auf dem Spielplatz. Später wurde der Spielplatz für uns gesperrt. Nur Kinder bis zu zwölf Jahren durften diesen betreten. Von da an trafen wir uns am Busunterstand, gleich neben dem Bäcker, wo wir immer ungern gesehen waren.

Im Dorf gab es einen Jungen, dem ich in meinen Kindertagen zu Füßen lag. Ich schwärmte für ihn. Und er auch für mich, zeitweise zumindest. Schon früh musste ich erfahren, was es heißt, wenn ein Mann, bzw. ein Junge, zwei Frauen gleichzeitig „liebt“. Das hat mir sehr viel Kummer gebracht, und schon früh habe ich das Gefühl der Eifersucht kennen gelernt. Ja, ich habe mich regelrecht ausnutzen und hintergehen lassen. Meine Enttäuschungen ließ ich stets in meinem Zimmer raus, indem ich mit Gegenständen um mich warf. Doch außer diesem Dorf gab es nichts für mich. Wir lebten so, als sei die Dorfgrenze das Ende der Welt. An den Tagen, an denen die Jungs im Dorf Lust auf "ärgern" hatten, war ich immer zweite Wahl, gleich nach dem Jungen mit Übergewicht. Da wurde ich mal mit einem Kabel am Fuß durch den Wald gezogen, mit unreifen Mirabellen beworfen, oder es wurde auf meinem Schulranzen herumgesprungen. Zweimal bin ich von der Schule nach Hause gelaufen, einmal wegen dem Schulranzen und einmal wegen pausenloser Schubserei. Oft habe ich geweint, bin regelrecht ausgerastet. Doch, wie schon gesagt, es gab nur dieses Dorf. Vor meinen Eltern habe ich dieses Verhalten der Jungs viele Jahre verheimlicht, auch in Phasen der völligen Verzweiflung habe ich immer meinen Mund gehalten.

Als ich nach der vierten Grundschulklasse in die Realschule wechselte, merkte ich schnell, dass die Welt größer war als nur unser Dorf. Ich lernte neue Leute kennen, ich verließ das Dorf und der Abstand zu meiner alten Clique wurde jeden Tag ein Stück größer, bis es schließlich nur noch der Ort war, wo ich mit meiner Familie wohnte und höchstens Mal zum Bäcker ging.

Als ich nach zwei Jahren auf die Hauptschule wechselte, fand ich (mit dreizehn Jahren) einen neuen Freund. Ein Jahr waren wir zusammen, es war meine erste richtige Beziehung. Doch schon nach den ersten Monaten war das Feuer aus. Meine Zeit verbrachte ich damit, darauf zu warten, dass er sich melden würde, meistens vergeblich, bis ich schließlich herausfand, dass er neben mir bereits eine andere Freundin hatte. Da war es vorbei. Wieder war ich allein und verzweifelt. Es war die schlimmste Zeit meines Lebens, dachte ich. Ich war Erschrocken darüber, wozu gewissenlose Menschen fähig sind. Von da an traf ich mich mit meiner besten und einzigen Freundin Denise; wir waren ständig zusammen. Aufgrund dessen, das sie einige Probleme mit ihren Eltern hatte, schlief sie auch öfters bei mir.

Meine erste große Liebe

Es gab kaum Verbote in meiner Familie, denn das Vertrauen war sehr groß.

Mit vierzehn Jahren lernte ich Stefan auf dem Tondern Festival in Dänemark kennen. Er war gerade achtzehn Jahre alt geworden, blond und sehr sympathisch. Ich ging so über den Platz, als ich Stefan auf dem Fahrersitz eines VW Busses sitzen sah. Er schaute aus dem Fenster und sah mich an. Er war ein Freund meiner Schwester Sally. Ich hatte schon etwas getrunken und war auf der Suche nach einem Bekannten. Da ging ich zu ihm ans Fenster und meldete mich bei ihm ab, als sei er mein Vater. Ich gab ihm einen Kuss auf die Wange, und sofort fragte er, ob er noch einen bekäme. Den bekam er. Dann ging ich weiter. Später trafen wir uns wieder und liefen gemeinsam über den Platz. Wir lachten, redeten und aßen eine Margaritha Pizza von seinem letzten Geld. Spät nachts brachte er mich zu dem Bus eines Kollegen, in dem ich schlafen sollte. Ich schlief sofort ein. Als ich morgens aufwachte und zur Toilette ging, sah ich, wie er in seinem roten VW Golf auf dem Vordersitz schlief. Als ich von der Toilette zurückkam, stand er plötzlich vor unserem Bus. Ich hatte ein dickes Grinsen im Gesicht. Da er selber noch nicht fahren durfte, fuhren wir ihn schließlich nach Hause. Mit seinem Humor verging die Fahrt wie im Flug.

Die nächsten Tage sollte Sally mich immer von ihm grüßen, und ich fuhr immer häufiger mit ihr ins Nachbardorf, in der Hoffnung ihn zu treffen.

Am Wochenende ging ich mit meiner Schwester auf eine Party ihres Freundes Basti. Stefan war auch da und gab sich richtig Mühe, mich kennen zu lernen. Obwohl wir uns gut verstanden, kannten wir uns kaum. Alkohol war schon damals nichts für mich; nicht nur dass ich nicht viel vertrug, die anschließenden Tage waren stets der Horror mit endlosem Erbrechen. So trank ich immer nur sehr wenig. An diesem Abend ging ich mehrmals mit einem vollen Glas hinter den Schuppen und kam mit einem fast leeren Glas zurück. Niemand bemerkte mein absichtliches Verschütten der für einige fast schon heiligen Sternmarke. Mit Stefan verließ ich die Party, um in seinem Bus zu übernachten. Schnell schlief ich ein, und als wir am nächsten Morgen aufwachten, sahen wir, dass sich unbemerkt noch zwei seiner Freunde zu uns gelegt hatten. Früh schon fuhr ich nach Hause, denn es war mir irgendwie unangenehm, wenn er mich nach einer Party so verschlafen und ungeschminkt gesehen hätte. Ich dachte oft an ihn.

Einige Tage später hatte ich in unserem Dorf auf dem Feuerwehrflohmarkt einen Verkaufsstand. Wir hatten vereinbart, dass er mich dort besuchen würde. Ich trug eine weiße, viel zu lange Stoffhose, die aufgrund des nassen Grases am Morgen bis zu den Kniekehlen durchnässt und schmutzig war. Besonders schön sah es nicht aus. Hin und wieder sah ich zur Auffahrt hoch, ob er kommen würde. Und er kam tatsächlich vorbei, mit leider viel zu wenig Zeit. Aber wir verabredeten uns für den nächsten Tag am Abend. Er wollte zu mir nach Hause kommen. Ich war total aufgeregt und versuchte mich besonders schön anzuziehen. Vor Aufregung lief ich immer wieder durchs ganze Haus. Mein Zimmer blitzte bald in allen Ecken so räumte ich auf. Immer wieder hörte ich dasselbe Lied " Blue " von Eiffel 65. Dann endlich hatte das lange Warten ein Ende, meine Tante hatte ihm die Tür geöffnet. Er hatte sich ein rot kariertes Hemd angezogen und ich war total erstaunt, dass ein achtzehnjähriger junger Mann sich ein Hemd anzog. Er sah sehr gut aus, er hatte sich richtig hübsch zu Recht gemacht. Ich erinnere mich daran, als ob es erst gestern gewesen wäre. Er schrieb mir später seine Adresse auf und fragte nach meiner, denn er müsse ja wissen, wo er den Heiratsantrag hinschicken solle. Bis in die Nacht war er bei mir. Ich erzählte ihm, dass meine Eltern nichts dagegen hätten, dass er so lang bei mir sei; jedoch wusste ich, wie sie vor Wut kochten. Als wir beide schon fast einschliefen, war es jedoch Zeit für ihn zu gehen. Unten an der Haustür gab er mir den ersten Kuss. Seit diesem Tag waren wir ein Paar. Es war kurz vor meinem fünfzehnten Geburtstag.

Eine Woche später fuhr er mit seinem Vater und seinem Bruder nach München zum Oktoberfest. Dort wurde natürlich viel getrunken. Er rief immer wieder bei mir an, und wenn ich nicht zu erreichen war, rief er auch bei meiner Freundin Denise an, ob sie wüsste, wo ich sei. Er sagte mir dass er mich über alles liebe, dass er so gerne alles für mich tun würde und dass es ihm leid täte, dass er jetzt nicht bei mir sein könne. Wir waren doch erst kurze Zeit zusammen, und ich bedeutete ihm schon so viel. Durch die Einkaufsstraße rief er "Ich liebe meine Freundin", so glücklich war er. Wenn es auch manchmal schon sehr extrem war, nach nur so kurzer Zeit, fand ich es doch sehr rührend. Wir hatten etwas Unzertrennliches.

„Liebe ist ein seltener Gast,

halte sie fest wenn du sie hast!“

(Unbekannt)

Stefan war in der Lehre zum LKW – Fahrer bei Transit Transport und ich ging noch zur Schule. Seine Freunde waren alle ein paar Jahre älter als ich, aber ich verstand mich nach einiger Zeit recht gut mit ihnen; trotzdem fühlte ich mich in ihrer Gegenwart unwohl.

Wir waren sehr glücklich und haben uns jeden Tag gesehen und telefoniert, auch wenn es hin und wieder Streit gab, weil ich immer sehr eifersüchtig war und er manchmal einen über den Durst trank. Vielleicht war ich auch ein wenig zu jung, in der Pubertät und es fehlte mir an Selbstbewusstsein. Auf jeden Fall hatte er es bestimmt nicht immer leicht mit mir. Ständig war mir alles peinlich, und ich habe mich in gewissen Situationen sehr unreif verhalten. Ich wünschte, ich wäre älter gewesen. Trotzdem liebte Stefan mich über alles, er hat immer alles für mich getan. Er schrieb mir die süßesten Briefe, und wenn er auf LKW Tour war, rief er mich jede Nacht an. Wir redeten dann einfach nur. Wenn er nachts anrief und ich es nicht gehört hatte, war ich morgens sehr traurig und unruhig. Er war meine erste große Liebe und gleichzeitig mein bester Freund.

Die meiste Zeit haben wir uns sehr gut verstanden und haben fast alles zusammen gemacht. Wenn wir nicht gerade zusammen auf dem Sofa lagen, sind wir einfach mit seinem Auto irgendwo hingefahren, nur zum Spaß. Wir fuhren zu seiner Firma um ein Foto von ihm und einem LKW zu machen, nur eins, nicht zwei oder drei, nein nur eins. Wir haben im Garten Badminton gespielt, sind baden gegangen oder Tandem gefahren. Einmal fuhren wir zusammen an den Strand und gingen spazieren. Es war wunderschön. Dabei fand er zufällig eine Flaschenpost, die er zurück ins Wasser warf, weil er sie leider nicht lesen oder gar beantworten wollte. Wir konnten zusammen lachen und er gab mir stets das Gefühl, das wichtigste und größte für ihn zu sein.

In seiner Familie habe ich mich immer sehr wohl gefühlt. Seine Mutter lebte mit ihm und seinem Bruder allein. In ihrem Haus war es stets urgemütlich, in den Ecken standen Kerzen und es lagen gesammelte Steine daneben. Ihr Haus war wunderschön dekoriert.

Vielleicht fragst du dich jetzt, warum ich diesen langweiligen Kram schreibe, aber ich will einfach keine Erinnerung vergessen...

Doch es war auch nicht alles perfekt. Wir haben auch geweint und haben uns manches Mal sehr wehgetan. Ein Beispiel war unser erster Silvesterabend. Alkohol war wie gesagt nie etwas für mich, doch es fehlte mir der Mut es zuzugeben. Schon damals neigte ich dazu, mich beobachtet zu fühlen. Die Gedanken in meinem Kopf ließen eine Leichtigkeit nicht zu, und ich fühlte mich als Spaßbremse. Ich war es ja auch. Die Gedanken an das Mitternachtsspektakel lösten in mir eine Art Hilflosigkeit aus. Ich wusste, dass ich diese gute Laune nicht vortäuschen konnte. Ich dachte, alle würden es merken und sehen, dass ich anders bin, als sie mich einschätzten. Wahrscheinlich hätte es niemanden interessiert… Aber Silvester war von jeher ein Unglückstag für mich. Um das Chaos in mir nicht mehr ertragen zu müssen und um weiteres Chaos aus dem Weg zu gehen, ging ich noch vor Mitternacht allein nach Hause. Stefan verstand es nicht, und ich konnte es ihm nicht erklären. Ich wollte, dass er noch einen schönen Abend hat. Die Einsicht, durch mein Verhalten den Abend für uns beide ruiniert zu haben, kam erst viel später. Durch die Unfähigkeit, einfach loszulassen und mitzumachen, habe ich viele Probleme erst hervorgerufen.

Bei jedem Streit dachte ich, es sei alles vorbei und es könne gar nicht schlimmer kommen. Ich weinte bitterlich, doch es kam oft noch schlimmer... Wir haben beide große Fehler gemacht. Ich, für meinen Teil, denke jedenfalls dass es Fehler waren...

Als wir ca. ein Jahr zusammen waren, hatte sich einiges in unserem Leben verändert. Stefan hatte ausgelernt und arbeitete als Lkw-Fahrer und ich machte ein soziales Jahr im evangelischen Kindergarten.

Auch Stefans Freundeskreis hatte sich verändert. Ich hatte eigentlich keine richtigen Freunde, nur eine Freundin Denise. Denise und Stefan, waren für mich das wichtigste. Mehr gab es für mich nicht.

Eines Tages, als ich mit Denise auf einer Party war- ich weiß gar nicht mehr, wie wir auf den Gedanken kamen- besorgten wir uns eine Ecstasy Pille, zum Teilen. Das war das erste Mal, dass ich Drogen nahm. Doch irgendwie waren wir so betrunken, dass wir gar nichts davon spürten, oder wir dachten das nur. Später liefen wir zu Stefan und seinem Bruder Jens, mit dem Denise zusammen war. Beide waren keineswegs begeistert. Wir nahmen dann häufiger diese Pillen, und zum ersten Mal fühlte ich mich frei von dieser Grübelei, dieser Spaßlosigkeit. Ich fühlte mich, als würde ich dazu gehören. Stefan flehte mich an aufzuhören, verfolgte mich aus Sorge. Doch zum ersten Mal hatte ich etwas gefunden das es mir ermöglichte dazu zugehören und ich wollte nicht aufhören. Doch wenn es eine Entscheidung in meinem Leben gäbe, die ich rückgängig machen oder ändern könnte, dann wäre es diese!

Obwohl es sehr schwer für mich war, verließ ich Stefan. Und damit meinen Seelenpartner, meinen Lebensinhalt! Schon des Öfteren hatten wir uns zuvor getrennt und es konnte so nicht weiter gehen. Ich war in einer Art Selbstfindungsphase. An diesem Entschluss waren nicht in erster Linie die Drogen schuld, nein, es war so viel vorgefallen, und wir beide hatten uns so manches Mal ziemlich wehgetan. Wir waren beide in einem Alter, in dem man sich ausprobieren wollte und haben uns gegenseitig betrogen. Schon des Öfteren hatten wir uns zuvor getrennt und so konnte es nicht weiter gehen. Wäre ich nur älter und reifer gewesen…

Es folgte eine ziemlich harte und ungewisse Zeit. Er hat mich immer und überall gesucht, fuhr mir hinterher und machte sich fürchterliche Sorgen. Es war schon etwas unheimlich. Er kämpfte richtig um mich. Ich, für mein Teil, war einfach zu jung, um zu wissen, was das richtige für mich war, oder um zu ahnen, dass ich diese Entscheidung mein Leben lang bereuen könnte. Ich war ja fast noch ein Kind, das mit ca. dreizehn Jahren noch mit Barbies gespielt hatte. Nun, drei Jahre später, befand ich mich in der schwersten Phase meines Lebens, dachte ich. Wie gesagt, wenn ich die Entscheidung mit den Drogen rückgängig machen könnte, ich würde alles dafür tun! Denn ich hätte alles viel klarer gesehen.

Realitätsverlust

Denise und ich nahmen an einem Wochenendtag um die fünf Ecstasy Pillen, die wir zu der Zeit noch geschenkt bekamen. Zu dieser Zeit dachten wir aber auch noch, wie günstig dieses Drogenleben doch sei. Wobei wir in unserer Rechnung die fünf geschenkten gar nicht kalkulierten. Denn nur eine Pille kostete damals 5 Mark, wenn man nur kleine Mengen kaufte, so wie wir es eben taten. Und eine Flasche Sternmarke plus Cola war halt teurer. Ja, so dachten wir. Die Kosten für die Unmengen an Zigaretten, die man im Drogenrausch so raucht, vergaßen wir genauso wie das Steigern des Drogenkonsums.

An diese ersten Drogenerfahrungen habe ich kaum Erinnerungen, zumindest nicht an die meisten Leute, die wir trafen oder wie wir wohin gekommen waren, geschweige denn, wo wir waren. Wir waren einfach ständig breit. Immer häufiger schwänzten wir die Schule. Geschlafen haben wir immer bei mir zu Hause, da war die Kontrolle nicht besonders groß. Meine Mutter betrat nur sehr selten mein Zimmer und ließ mir meine Ruhe.

Es war schrecklich, wenn ich allein zu Hause schlief. Nach einer Party sah ich orangene Monster mit braunen Latzhosen auf meinem Bett sitzen, die mich auslachten. Ich versteckte mich unter meiner Bettdecke und hoffte, es würde bald aufhören. Bis sie weg waren. Wo ich zuvor gewesen bin, weiß ich nicht mehr. Mainzelmännchen machten mein Zimmer sauber, und eine Ratte wurde in meine Musikanlage gezogen. Das sind Dinge, die ich nie vergessen werde und auch nie wieder erleben möchte. Einmal redete ich mit einer Nachbarin; ich kannte sie kaum, und als ich die Augen öffnete, war sie gar nicht da. Als ich aufstand, um kurz auf die Toilette zu gehen, lag Denise bei uns im Flur auf dem Fußboden und schlief. Wie sie dahin gekommen ist, wissen wir nicht, ebenso wenig warum sie dort liegen blieb. Ein anderes Mal sah ich gräuliche Bilder und Skulpturen von Gottheiten die an mir vorbei zogen.

Ich erinnere mich noch gut daran, wie ich im Rausch im Schlafzimmer der Eltern eines damaligen Freundes stand. Eigentlich wollte ich nur zur Toilette. Und diese war scheinbar nicht so leicht zu finden. Seine Eltern waren mir nur als die pingeligsten und verständnislosesten Eltern bekannt, die es weit und breit gab. Zudem hatten sie keinen Humor. Zum Glück konnte ich unbemerkt verschwinden, die Toilette habe ich an dem Abend nicht mehr gefunden.

Hätte ich damals gewusst, wie ich aussah- mit aufgerissenen Augen und Pupillen, so groß wie Reißzwecken, bleich, kauend ohne etwas zu essen und immer in Bewegung- dann hätte ich mich nicht so oft von meinen Eltern abholen lassen. Aber es war Stress pur zu versuchen, den Bewegungsdrang, den Redezwang sowie alle anderen Merkmale des Drogenkonsums zu unterdrücken um nicht aufzufallen. Denn ich muss sagen, diese Merkmale waren bei mir besonders ausgeprägt, ganz extrem war das Kauen. Doch meine Eltern hatten nie etwas bemerkt. Menschen, die nie zuvor, irgendetwas mit Drogen zu tun gehabt haben, in keiner Weise, bemerken den Zustand des Gegenübers anscheinend glücklicherweise nicht. Jeder andere aber sieht es sofort.

Wenn ich im Rausch, aber auch wenn ich nüchtern war, verdrängte ich jeglichen Gedanken an Stefan. Eine Schutzhandlung meines inneren Schweinehundes, denn ich wusste, dass mein Verhalten keineswegs der richtige Weg war. Teilweise machte er mir sogar Angst, wenn er unten an meinem Fenster stand. Durch die Halluzinationen die ich durch die Drogen hatte, hatte ich oft Angst. Ich schlief nicht mehr im Dunkeln oder ohne Musik, ich tue es bis heute nicht. Durch mein Verhalten, versuchte ich alles zu verdrängen und zu beschönigen. Durch die Drogen konnte ich endlich einmal frei sein, ohne meine Gedanken, ohne diese Einsamkeit in mir. Alles Illusionen? Was für mich das einzig richtige gewesen wäre, erkannte ich nicht.

Ich fing eine Affäre mit dem Dealer Brian an; wir sahen uns nur nachts oder am Wochenende. Denn er war Moslem. Eine Beziehung mit einer Deutschen war für seine Familie nicht denkbar. Für sie war ich nur eine Schulfreundin, obwohl ich nicht mal mehr zur Schule ging. Er war jünger als ich, etwa vierzehn oder fünfzehn. Er bildete sich einiges darauf ein, dass er für sein Alter ein schon recht erfolgreicher Drogendealer war. Als seine Mutter einmal zweihundert Pillen bei ihm fand, glaubte sie ihm angeblich, dass er diese nur für einen Freund aufbewahrte und gab sie ihm zurück. Ich denke, sie hat es gewusst und versuchte, ihren Sohn vor seinem Vater zu schützen.

Mir war klar, dass er vor seinen Eltern nie zu mir stehen würde, aber das war mir nicht wichtig. Es war eine Affäre. Und ich hatte einfach unglaubliche Angst davor, Stefan die Wahrheit zu sagen. Obwohl wir gar nicht mehr zusammen waren, hatte ich Angst, ihn ganz zu verlieren. Die Schreie tief aus meinem Herzen verdrängte ich genauso wie mein schlechtes Gewissen und meine Liebe zu Stefan. Diese Verdrängung war so wirksam, dass ich kaum Erinnerungen an diese Zeit habe. Ich weiß nicht einmal, über welchen Zeitraum das Ganze lief. Aber ich weiß, dass Stefan sehr darunter litt und sich immer wieder um mich bemüht hat. Nichts bereue ich mehr in meinem Leben als mein Verhalten in dieser Zeit.

Ich fing das Kiffen an, erst gelegentlich zwei bis drei Gramm die Woche, dann bis zu zwei Gramm am Tag.

Als das soziale Jahr beendet war, begann ich eine Lehre als Einzelhandelskauffrau in einem Juweliergeschäft. Anfangs gefiel es mir eigentlich ganz gut. Doch die Arbeitszeit in der Woche von 9.00 – 12.00 Uhr und von 14.00 – 18.00 Uhr war lang, und ich arbeitete zusätzlich jeden zweiten Samstag. Weil es nur ein kleines Geschäft war, konnte mein Chef das Gehalt im Vergleich zu anderen Lehrlingen im Einzelhandel kürzen und tat es auch. Mit der Zeit war ich viel allein im Laden; das machte mir auch Spaß. Ich arbeitete selbstständig und übernahm einige Aufgabenbereiche. Mit Freude gravierte ich alles, was nur irgendwie zu gravieren ging. Ich bemühte mich, den Schmuck und den Verkaufsladen in Ordnung zu halten, erledigte kleinere Uhrenreparaturen und stand hinterm Verkaufstresen. Nur leider war nicht besonders viel los in dem Laden.

Die schlimmste Zeit mit den Lügen gegenüber Stefan war durch das Totschweigen gewisser Themen vorbei. Wir konnten wieder vernünftig als Freunde reden, und er versprach mir, nicht von UNS zu reden und mir einfach nur Zeit zu lassen. Das war die Chance für mich, meine Gefühle, Probleme und alles Weitere weiter auszublenden und zu unterdrücken. Seine Gefühle ließen dieses Schweigen jedoch auf Dauer nicht zu, und es führte zu Streit, denn jedes Mal lief ich vor diesem Thema weg. Hätten wir darüber geredet, wäre schließlich mein Lügengebäude zusammengebrochen. In diesem Lügenmeer fand ich mich selbst schon längst nicht mehr zurecht. Heute weiß ich, er hätte mir sicher verziehen. In Momenten vollen Bewusstseins fühlte ich mich eiskalt und schlecht. Dann war ich mir vollkommen bewusst, dass ich das Falsche tat, fand aber keinen Ausweg. Schnell musste ich dieses Gefühl loswerden, um mich selbst zu ertragen. Dabei war mir zu jeder Zeit klar, dass ich ihn niemals verlieren oder hergeben wollte. Ich war zu weit gegangen.

Ansonsten verstanden wir uns gut, und er kam häufig zu mir in den Laden, in dem ich arbeitete. Ich war glücklich, wenn er kam. Er kam sofort, wenn ich irgendwelche Probleme hatte. Oder wenn er Probleme hatte. Während meiner Mittagspause holte er mich manchmal ab, und wir fuhren zu ihm in seine Wohnung bei seinem Vater, in die er vor kurzem eingezogen war. Er versuchte mir immer wieder zu erklären, dass alles wieder wie früher werden könne und er nun eine Wohnung habe. Ich wollte darüber nachdenken, aber tat es nie. Wie gesagt, ich versuchte jedes Gefühl zu unterdrücken. Es fiel mir schwer meine Entscheidung gegen die Droge zu stellen, denn das hätte ich tun müssen, wenn ich zu ihm zurück wollte. Und genau da lag das Problem. Im tiefsten Inneren wusste ich genau, zu wem ich gehörte und wen ich wollte. Aber die Droge bedeutete damals für mich, jemand zu sein, der ich nie war. Ein bisschen so zu sein wie andere eben, jemand, der selbstbewusst unter Leute geht. Ohne die Droge konnte ich so nie sein.

Doch es kam die Zeit, in der ich meine Gefühle wieder zulassen konnte. Abends, wenn ich allein war, wünschte ich mir die alte Zeit zurück. Ich schämte mich für mein Verhalten und meine Stimmung schwankte erheblich. Ich dachte daran, wie es wohl wäre, bei ihm zu wohnen, ihn wieder zu haben. Immer mehr unterlag ich den Lügen, den Lügen gegenüber meinen Mitmenschen und den Lügen mit denen ich mich selbst belog. Manchmal dachte ich, wie schön es wäre, ihn einfach in den Arm zu nehmen oder nachts an seinem Fenster zu stehen und ihn um Verzeihung zu bitten, ihm alles zu gestehen. Aber ich hatte Angst davor, was die Wahrheit mit sich bringen würde. Wieso hatte ich es nur soweit kommen lassen? Ich hatte ihm unglaublich wehgetan. Das hatte ich nie gewollt.

Stefan kaufte den BMW von seinem Bruder und lud mich einige Tage später ins Kino ein. Es war um die Weihnachtszeit und der erste Teil von „Harry Potter“ lief an, einer meiner absoluten Lieblingsfilme. Anschließend waren wir bei seiner Mutter und seinem Bruder Jens. Ich habe mich immer sehr gut mit ihnen verstanden, und sie wussten, was ich Stefan bedeutete. Als er mich dann nach Hause fuhr, wollte ich ihn fragen, ob er bei mir schlafen wollte. Ich stand noch in der Haustür und sah ihm nach, aber ich brachte kein Wort heraus. Verdammt, warum tat ich es nicht.

Schon war Silvester, ich hielt mein Wort und blieb zu Hause bei meinen Eltern. Mein neuer Vorsatz fürs neue Jahr sollte sein, nie wieder zu lügen. Ich wollte alles beichten und hoffte, dass alles wieder gut werden würde. Meine Gedanken waren positiv, und meine Entscheidung stand fest: Stefan war der einzig Richtige. Aber was hatte ich ihm nur angetan? Was hatte ich aus meinem Leben gemacht? Zuvor musste ich einiges in meinem Leben klären. Alles sollte perfekt und geregelt sein für einen Neustart.

Stefan fragte mich einen Abend kurz nach Silvester, ob ich Zeit für ihn hätte, doch ich konnte nicht. Ich schämte mich, dass ich wieder nicht nüchtern war und der Ausstieg sich so schwierig für mich gestaltete. Es tat mir verdammt leid.

Als die Sonne den Tag verließ

Einen Tag später, am Samstag den 05.01.2002, rief er wieder bei mir an und wollte diesmal zu mir kommen. Ich lag noch im Bett und sprang auf, um mir etwas anzuziehen und mich für Stefan zu schminken. Doch er hatte mich schon tausende Male so gesehen, und so dachte ich mir, mein verschlafenes Aussehen sei nicht so schlimm und unwichtig. Um dreizehn Uhr kam er zu mir ins Zimmer und lächelte wie immer. Er schenkte mir die Bücher von "Der Herr der Ringe", und ich freute mich sehr. Wir redeten darüber, dass er am Abend zum ersten Mal Türsteher in einer Diskothek sein sollte und sich schon darauf freute.

Er wollte mit mir spazieren gehen, doch da ich erst spät von der Feier zurück war blieben wir bei mir. Wären wir nur gegangen.

Ich überlegte, ihn zu fragen, ob wir Nintendo spielen sollten, so wie früher, aber ich hatte Angst, dass er diesmal Nein sagen würde. Hätte ich es bloß getan. Ich wollte ihm sagen, wie lieb ich ihn habe, doch ich dachte, zuerst müsste ich meine Affäre zu dem Dealer beenden; alles auf Neustart setzen, bevor es weiter gehen konnte. Ich wollte mich nicht erneut in Lügen verstricken. Ich sagte ihm aber nicht von dem was ich dachte. Er sah mich an und versicherte mir, dass er mir alle Zeit der Welt geben würde und immer auf mich warten würde. Dann kommt es auf einen Tag mehr ja auch nicht an, habe ich gedacht.