Als ich im Sterben lag - William Faulkner - E-Book

Als ich im Sterben lag E-Book

William Faulkner

0,0
9,99 €

-100%
Sammeln Sie Punkte in unserem Gutscheinprogramm und kaufen Sie E-Books und Hörbücher mit bis zu 100% Rabatt.
Mehr erfahren.
Beschreibung

Die Legende von Addie Bundren beginnt und endet am selben Ort: in Yoknapatawpha County. Vier Tage nach ihrem Tod – die Bussarde kreisen schon – machen sich die Hinterbliebenen auf den Weg in die entfernt gelegene Kreisstadt Jefferson. Denn Addie hat ihrem Mann Anse das Versprechen abgenommen, sie im Grab der Ihrigen beizusetzen. Doch auf dem Weg gerät der Leichenzug in immer neue Schwierigkeiten: Im Hochwasser stürzt eine Brücke ein; bei der Durchquerung des Flusses gehen Fuhrwerk und Sarg beinahe verloren. Und zu allem Unglück bricht sich der älteste Sohn, Cash, das bereits verkrüppelte Bein, während Dewey Dell, die einzige Tochter, neben der Verantwortung für den Jüngsten an einem eigenen Geheimnis schon schwer genug zu tragen hat. In wechselnden Kapiteln kommen die engsten Angehörigen zu Wort, aber auch Freunde und Nachbarn, der Arzt und der Pastor. Und irgendwann erhebt sogar die Verstorbene selbst die Stimme – bis am Ende dieser tragikomischen letzten Reise Lügen, Hoffnungen und Zwistigkeiten, kurz: die wahren Familienzusammenhänge, offenliegen. Faulkner selbst bezeichnete diesen 1930 erstmals erschienenen Roman als seinen besten, und seine Leser stimmen bis heute mit ihm überein. «Als ich im Sterben lag» ist ein Klassiker der Weltliteratur – überreich an eindringlichen Charakteren und Stimmungen, angesiedelt in der vielleicht berühmtesten fiktiven Landschaft der modernen Literatur.

Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:

EPUB
MOBI

Seitenzahl: 299

Bewertungen
0,0
0
0
0
0
0
Mehr Informationen
Mehr Informationen
Legimi prüft nicht, ob Rezensionen von Nutzern stammen, die den betreffenden Titel tatsächlich gekauft oder gelesen/gehört haben. Wir entfernen aber gefälschte Rezensionen.



William Faulkner

Als ich im Sterben lag

Roman

Aus dem Englischen von Maria Carlsson

Rowohlt Digitalbuch

Inhaltsübersicht

DarlCoraDarlJewelDarlCoraDewey DellTullAnseDarlPeabodyDarlVardamanDewey DellVardamanTullDarlCashVardamanTullDarlCashDarlVardamanDarlAnseDarlAnseSamsonDewey DellTullDarlTullDarlVardamanTullDarlCashCoraAddieWhitfieldDarlArmstidVardamanMoseleyDarlVardamanDarlVardamanDarlVardamanDarlCashPeabodyMacgowanVardamanDarlDewey DellCash
[zur Inhaltsübersicht]

Darl

Jewel und ich gehen hintereinander den Weg hinunter. Obgleich ich ihm fünfzehn Fuß voraus bin, kann jeder, der uns vom Baumwollschuppen beobachtet, sehen, dass Jewel mit seinem ausgefransten, eingerissenen Strohhut einen ganzen Kopf größer ist als ich.

Gerade wie eine Lotleine läuft der Weg, von Füßen glatt getreten und vom Juli ziegelhart gebacken, zwischen den grünen Reihen abgeernteter Baumwollstauden zum Schuppen in der Mitte des Felds hin, wo er sich teilt und in vier weichen rechten Winkeln um den Schuppen herumführt und sich dann, so von Füßen festgetreten, aber immer weniger deutlich sichtbar, wieder im Feld verliert.

Der Baumwollschuppen ist aus rohen Rundbalken gezimmert, der Lehm ist längst aus den Ritzen herausgebröckelt. Quadratisch, das halb eingestürzte Dach nur zur einen Seite abgeschrägt, lehnt er verlassen, windschief im flirrenden Sonnenschein; in zwei einander gegenüberliegenden Wänden ist je ein großes Fenster; beide gehen auf den an den Schuppenecken sich teilenden Weg hinaus. Als wir dort sind, biege ich ab und folge dem Weg, der um den Schuppen führt. Jewel, fünfzehn Fuß hinter mir, sieht starr geradeaus und steigt mit einem großen Schritt durchs Fenster. Immer noch geradeaus starrend, seine blassen Augen wie Holz in sein hölzernes Gesicht eingelassen, durchquert er mit vier langen Schritten den Schuppen, steif, würdevoll wie ein geschnitzter Zigarrenreklame-Indianer, in geflicktem Overall und scheinbar erst von den Hüften abwärts lebendig, und steigt mit einem einzigen Schritt durch das gegenüberliegende Fenster wieder auf den Weg hinaus, gerade als ich um die Ecke komme. Hintereinander, mit fünf Fuß Abstand, Jewel jetzt vor mir, gehen wir den Weg weiter zum Fuß des steilen Hangs hin.

Tulls Wagen steht neben dem Brunnen, am Geländer festgemacht, die Zügel um die Sitzrunge geschlungen. Hinten im Wagen hat er zwei Sitze. Jewel bleibt beim Brunnen stehen, nimmt die Kalebasse vom Weidenzweig und trinkt. Ich gehe an ihm vorbei den Weg hinauf; jetzt höre ich Cashs Säge.

Als ich oben bin, hat er mit Sägen aufgehört. Er steht in einem Haufen von Spänen und fügt gerade zwei Bretter zusammen. In den Schattenfugen sind sie gelb wie Gold, wie sanftes Gold, auf den Flachseiten die weichen wellenförmigen Kerbungen des Breitbeils: ein guter Tischler, dieser Cash. Er legt die beiden Bretter auf den Sägeböcken mit den Kanten aneinander, zu einem Viertel könnte der Sarg fertig sein. Er kniet sich hin, peilt mit einem zugekniffenen Auge an den Kanten entlang, nimmt die Bretter wieder herunter und greift zum Breitbeil. Ein guter Tischler. Addie Bundren könnte sich keinen besseren wünschen, keinen besseren Sarg für sich. Er wird ihr Zuversicht und Trost schenken. Ich gehe weiter, zum Haus, hinter mir das

Tschack.  Tschack.  Tschack.

des Breitbeils.

[zur Inhaltsübersicht]

Cora

So habe ich mir die Eier vom Mund abgespart und gestern gebacken. Die Kuchen sind ziemlich gut geworden. Wir sind sehr angewiesen auf unsere Hühner. Es sind gute Legehennen, die paar, die uns die Opossums und so übrig gelassen haben. Schlangen haben wir auch, im Sommer. Eine Schlange räumt einen Hühnerstall schneller aus, als man gucken kann. Wie sie dann so viel mehr gekostet haben, als Mr. Tull dachte, und ich außerdem versprochen hatte, dass die größere Anzahl an Eiern das schon wettmachen würde, musste ich vorsichtiger sein denn je, denn wir hatten sie schließlich auf mein Zureden angeschafft. Wir hätten uns billigere Hühner halten können, aber ich hatte mein Versprechen ja erst gegeben, als Miss Lawington mir geraten hatte, eine gute Rasse zu nehmen, und weil Mr. Tull ja selber zugibt, dass sich eine gute Rinder- oder Schweinerasse auf die Dauer immer rentiert. Als wir dann so viele verloren, konnten wir es uns nicht mehr leisten, die Eier für uns selbst zu verbrauchen, und ich wollte verhindern, dass Mr. Tull mir vorwirft, wir hätten die Hühner nur auf mein Drängen angeschafft. Als Miss Lawington mir dann was von Kuchenbacken erzählte, dachte ich, das könnte ich doch machen, Kuchen backen, und auf einen Schwung genug verdienen, um den Nettowert der Hennen um den Wert von zwei Stück zu erhöhen. Und wenn ich die Eier immer nur eins zur Zeit zurücklegte und sie so zusammensparte, würden sie nicht mal was kosten. Und diese Woche haben die Hennen so brav gelegt, dass ich nicht nur über die für den Verkauf bestimmten Eier hinaus genügend zusammensparen konnte, um damit die Kuchen zu backen; ich hatte sogar so viele darüber hinaus, dass Mehl und Zucker und Holz für den Ofen nichts kosten würden. So machte ich mich gestern ans Backen, sorgfältiger als je in meinem Leben, und die Kuchen gerieten ziemlich gut. Aber als wir heute Morgen in die Stadt kamen, sagte Miss Lawington, die Dame hätte ihren Sinn geändert und die Gesellschaft abgesagt.

«Die Kuchen hätt sie auf jeden Fall nehmen müssen», sagt Kate.

«Nun ja», sage ich, «jetzt hat sie doch keine Verwendung mehr dafür.»

«Sie hätt sie nehmen müssen», sagt Kate. «Aber diese reichen Damen in der Stadt können ihren Sinn ändern, wie’s ihnen passt. Arme Leute können das nicht.»

Reichtum gilt nichts vor dem Angesicht des Herrn, denn Er sieht ins Herz. «Vielleicht kann ich sie Samstag auf dem Wochenmarkt verkaufen», sage ich. Sie sind wirklich gut geworden.

«Nicht für zwei Dollar das Stück», sagt Kate.

«Na ja, es ist ja nicht so, als hätten sie mich viel gekostet», sage ich. Ich hab die Eier zusammengekratzt und ein Dutzend gegen Zucker und Mehl eingetauscht. Die Kuchen haben mich praktisch nichts gekostet, sogar Mr. Tull sieht ein, dass ich mehr Eier zusammenhatte, als ich zum Verkaufen brauchte, wir haben da ja eine feste Abmachung. Im Grunde war’s so, als hätten wir die Eier gefunden oder geschenkt bekommen.

«Sie hätte diese Kuchen nehmen müssen, wo sie dir’s doch so gut wie zugesagt hat», sagt Kate. Der Herr aber sieht ins Herz. Wenn es Sein Wille ist, dass manche Leute was anderes unter Redlichkeit verstehn als andere, dann ist es nicht an mir, Seinen Ratschluss anzuzweifeln.

«Ich nehme an, sie hat sie nie ehrlich gewollt», sage ich. Dabei sind sie wirklich gut geworden.

Die Bettdecke ist bis zu ihrem Kinn raufgezogen, trotz der Hitze, nur ihre Hände und das Gesicht sind zu sehen. Ihr Kopf wird vom Kissen gestützt, sodass er etwas erhöht liegt und sie aus dem Fenster sehen kann, und wir können es immer hören, wenn er zum Breitbeil oder zur Säge greift. Wären wir taub, wir brauchten bloß ihr Gesicht zu beobachten, um ihn zu hören, ihn zu sehen. Ihr Gesicht ist so abgezehrt, dass die Knochen sich unmittelbar unter der Haut in weißen Linien abzeichnen. Ihre Augen sind wie zwei Kerzen, die ihr Wachs in die Auffangteller eiserner Kerzenhalter vertropfen. Aber die ewige, die immerwährende Erlösung und Gnade sind nicht über ihr.

«Sie sind wirklich gut geworden», sage ich. «Aber nicht zu vergleichen mit den Kuchen, die Addie immer gebacken hat.» Am Kissenbezug sieht man, wie dies Mädchen wäscht und bügelt, falls sie ihn überhaupt je gebügelt hat. Vielleicht, dass ihr jetzt die Augen aufgehn, wo sie hilflos daliegt und der Barmherzigkeit und Pflege von vier Männern und einer ungewaschenen Göre von Tochter ausgeliefert ist. «Keine Frau weit und breit konnte es im Backen je mit Addie Bundren aufnehmen», sag ich. «Ich wette, kaum ist sie wieder auf den Beinen, backt sie, und dann können wir einpacken, wir verkaufen keinen Krümel mehr.» Die Steppdecke buckelt sich nicht höher, als wenn ein Sumpfhuhn drunterläge, einzig am Knistern der Matratzenfüllung aus getrockneten Maisblättern merkt man, dass sie atmet. Selbst die Haare an ihrer Wange regen sich nicht, obwohl das Mädchen dicht neben ihr steht und ihr mit dem Fächer Luft zufächelt. Während wir ihr zusehen, wechselt sie, ohne das Fächeln zu unterbrechen, den Fächer in die andere Hand.

«Schläft sie?», flüstert Kate.

«Sie sieht nur Cash da draußen zu», sagt das Mädchen. Wir können die Säge im Holz hören. Es klingt wie Schnarchen. Eula dreht sich aus der Taille heraus um und sieht zum Fenster hinaus. Ihre Halskette passt wirklich hübsch zum roten Hut. Kaum zu glauben, dass sie nur fünfundzwanzig Cent gekostet hat.

«Sie hätt die Kuchen nehmen müssen», sagt Kate. Ich hätte das Geld wirklich gut gebrauchen können. Nicht dass sie mich was gekostet hätten, vom Backen abgesehn. Jeder kann sich mal verspekulieren, kann ich ihm sagen, aber nicht jeder kommt davon, ohne Federn zu lassen, kann ich ihm sagen. Und nicht jeder kann seine Fehler essen, kann ich ihm sagen.

Jemand geht durch den Flur. Es ist Darl. Er wirft keinen Blick ins Zimmer, als er an der Tür vorbeikommt. Eula sieht ihm nach, wie er weitergeht und irgendwo hinten verschwindet und nicht mehr zu sehen ist. Sie hebt die Hand und berührt leicht die Perlenkette und dann ihr Haar. Als sie merkt, dass ich sie beobachte, werden ihre Augen ausdruckslos.

[zur Inhaltsübersicht]

Darl

Pa und Vernon sitzen auf der hinteren Veranda. Pa kippt sich einen kleinen Priem aus dem Deckel seiner Tabakdose in die Unterlippe, die er zwischen Daumen und Zeigefinger weit nach vorn zieht. Sie sehen sich um, als ich über die Veranda gehe und die Kalebasse ins Wasserfass tunke und trinke.

«Wo ist Jewel?», fragt Pa. Schon als ich noch ein Junge war, hatte ich entdeckt, wie viel besser Wasser schmeckt, wenn es eine Weile in einem Zedernholzfass gestanden hat. Ein wenig lau und doch kühl, mit einem leisen Aroma, wie der heiße Juliwind in Zedernzweigen schmeckt. Es muss mindestens sechs Stunden stehen, und man muss es aus einer Kalebasse trinken. Nie aus einem Metallgefäß.

Und nachts schmeckt es noch besser. Ich hab meistens im Flur auf dem Fußboden auf der Decke gelegen und gewartet, bis ich hörte, dass alle schliefen, dann bin ich aufgestanden und zum Wasserfass gegangen. Es war schwarz, der Fassrand war schwarz, die stille Wasserfläche ein runder dunkler Mund ins Nichts, wo ich manchmal ein, zwei Sterne sah, bevor ich die Kalebasse eintauchte, und manchmal hab ich auch ein oder zwei im Rund der Kalebasse gesehen, ehe ich trank. Dann wurde ich größer, älter. Da habe ich gewartet, bis sie alle schlafen gingen, damit ich mich hinlegen konnte mit hochgezogenem Hemd; ich hörte sie schlafen, spürte mich, ohne mich zu berühren, spürte, wie die kühle Stille über mein Geschlecht hinstrich, und hab mich gefragt, ob Cash drüben im Dunkel es auch so machte, es vielleicht schon die letzten zwei Jahre so gemacht hat, noch ehe ich es hätte tun wollen oder tun können.

Pas Füße sind schlimm verformt, die Zehen sind verkrümmt und verkrüppelt, und die kleinen Zehen haben keine Nägel mehr; das kommt, weil er als Junge so hart hat arbeiten müssen in der Nässe und in selbstgeschusterten Schuhen. Neben dem Stuhl stehen seine klobigen Stiefel. Sie sehen aus, als ob man sie mit einer stumpfen Axt aus einem Stück Roheisen gehauen hätte. Vernon ist in der Stadt gewesen. Ich habe ihn nie in Overalls in die Stadt fahren sehen. Seine Frau, sagt man. Die hat früher auch in der Schule unterrichtet.

Ich schütte den Rest aus der Kalebasse im Bogen auf den Boden und wische mir den Mund am Ärmel ab. Es wird noch vor morgen früh regnen. Vielleicht schon in wenigen Stunden, bevor es dunkel wird. «Unten bei der Scheune», sage ich. «Schirrt das Gespann an.»

Spielt da unten mit diesem Pferd rum. Wird wohl durch die Scheune auf die Koppel gehn. Vom Pferd ist erst gar nichts zu sehn. Es steht oben in der Kiefernpflanzung, da ist es kühl. Jewel pfeift, ein einzelner scharfer Pfiff. Das Pferd schnaubt, dann sieht Jewel es einen blitzhellen Augenblick zwischen den blauen Schatten aufleuchten. Jewel pfeift noch einmal; das Pferd kommt die Böschung runtergeschlittert, steifbeinig, die Ohren aufgestellt und zuckend, die fehlfarbenen Augen rollend, bleibt es in zwanzig Fuß Entfernung stehen, die Flanke Jewel zugewandt und schielt den Jungen kokett und lauernd über die Schulter an.

«Komm her, Sir», sagt Jewel. Es bewegt sich, bewegt sich so schnell, dass sein Fell wie von elektrischen Wellen durchzittert wird und die heraushängende Zunge wie tausend Flammen flickert. Mit fliegender Mähne, peitschendem Schweif und rollenden Augen setzt das Pferd abermals zu einem kurzen Luftsprung an, hält dann inne, die Vorderhufe dicht nebeneinander, und beobachtet Jewel. Jewel geht ruhig, die Hände in den Hüften, auf das Tier zu. Sieht man von Jewels Beinen ab, gleichen sie den gemeißelten Figuren eines archaischen Standbilds unter glühender Sonne.

Als Jewel das Pferd fast berühren kann, steigt es auf die Hinterbeine und lässt sich voller Wucht auf Jewel fallen. Jewel ist von einem funkelnden Wirbel von Hufen umschlossen, wie von Flügelgeschwirr; mittendrin, unter dem aufgebäumten Pferdeleib, bewegt er sich blitzschnell, geschmeidig wie eine Schlange. In dem Augenblick, bevor die Hufe auf seine Arme treffen, löst er sich vom Boden; waagerecht, schlangengeschmeidig schnellt er hoch und packt die Nüstern des Pferds, dann lässt er sich wieder auf die Erde fallen. Er steht auf, beide stehen starr, reglos, schreckgebannt da, das Pferd zurückgebäumt, auf steifen zitternden Beinen, den Kopf gesenkt; Jewel, die Absätze in die Erde gebohrt, drückt mit der einen Hand dem Pferd die Luft ab, mit der andern klopft er ihm mit tausend kurzen zärtlichen Schlägen auf den Nacken und stößt dabei wüste obszöne Flüche aus.

Einen schreckstarren Augenblick stehen sie so da, das Pferd zittert und stöhnt. Dann sitzt Jewel oben. In gekrümmter schnellender Bewegung wie eine durch die Luft sausende Peitschenschnur hat er sich hinaufgeschwungen, den Körper schon mitten im Sprung dem Rücken des Pferds angepasst. Noch einen kurzen Augenblick bleibt das Pferd mit gesenktem Kopf stehen, dann bricht es aus. Sie jagen in halsbrecherischen Sprüngen die Böschung hinunter, Jewel oben, blutegelgleich sich am Widerrist festhaltend, bis zum Zaun, wo das Pferd mit einem Zittern, das seinen Körper durchläuft, wieder zum Stehen kommt.

«Na schön», sagt Jewel, «kannst jetzt aufgeben, wenn du genug hast.»

In der Scheune lässt Jewel sich zu Boden gleiten, noch bevor das Pferd stillsteht. Es geht in die Box, Jewel hinterher. Ohne den Kopf zu wenden, schlägt das Pferd nach ihm aus und knallt mit dem Huf gegen die Bretterwand, dass es wie ein Pistolenschuss kracht. Jewel versetzt ihm einen Tritt in den Magen; das Pferd wirft den Kopf in den Nacken und bleckt die Zähne; Jewel haut ihm mit der Faust ins Gesicht, schlängelt sich zur Heuraufe durch und springt hinauf. Sich an der Futterkrippe festhaltend beugt er den Kopf nach unten und späht über die Boxen hinweg durchs Tor. Der Weg ist leer; von hier kann er nicht mal Cash sägen hören. Er langt nach oben, zerrt hastig ein paar Armvoll Heu aus der Raufe und stopft es in die Krippe.

«Friss», sagt er. «Stopf das verdammte Zeug in dich rein, solange man dich noch lässt, du lahmer Schlappschwanz du. Du braves altes Mistvieh», sagt er.

[zur Inhaltsübersicht]

Jewel

Muss sich ausgerechnet draußen unmittelbar vor ihrem Fenster hinstellen und an diesem gottverdammten Sarg rumsägen und -hämmern. Wo sie ihn sehn muss. Wo jeder Atemzug, den sie tut, voll ist von seinem Klopfen und Sägen. Wo sie sehn kann, wie er sagt: Sieh her. Sieh, was für einen schönen Sarg ich dir mache. Ich hab ihm gesagt, er soll woanders hingehn. Ich hab gesagt, guter Gott, willst du sie denn in dem Ding sehn. Es ist wie früher, als er ein kleiner Junge war, und sie sagt, wenn sie ein bisschen Dünger hätte, würde sie versuchen, ein paar Blumen zu ziehen, und er hat die Brotbackform genommen und sie ihr voll mit Dung aus dem Stall zurückgebracht.

Und jetzt hocken diese andern da, wie Bussarde. Warten und fächeln sich Luft zu. Weil ich gesagt habe: Wenn du bloß nicht dauernd dran rumsägen und -nageln würdest, dass kein Mensch mehr schlafen kann, und ihre Hände liegen da auf der Steppdecke wie zwei frisch ausgegrabene Wurzeln, die man hat waschen wollen, aber man hat sie nicht sauber gekriegt. Ich kann den Fächer sehn und Dewey Dells Arm. Ich hab gesagt: Wenn du sie bloß mal in Ruhe lassen würdest. Sägen und hämmern und die Luft über ihrem Gesicht die ganze Zeit so schnell hin und her bewegen, dass man nicht atmen kann, wenn man müde ist, und dies verdammte Breitbeil mit seinem Wieder-ein-Schnitz-weniger. Wieder einer weniger. Wieder einer weniger, bis jeder, der auf der Straße vorbeikommt, stehen bleiben muss und zusehn und sagen: Was der doch für ein guter Tischler ist.

Wär’s nach mir gegangen, als Cash damals vom Kirchendach gefallen ist, und wär’s nach mir gegangen, als Pa krank ins Bett musste, weil die Holzfuhre auf ihn gekracht ist, wär’s nie so weit gekommen, dass jeder Mistkerl im County reinkommt und sie anstarrt, weil wenn es einen Gott gibt, wozu zum Teufel ist er dann da. Wenn ich’s bestimmen könnte, wären nur ich und sie auf einem hohen Hügel, und ich würde Felsbrocken den Hügel runterrollen lassen mitten in ihre Fressen, ich würde die Felsbrocken hochheben und sie den Hügel runterwerfen in ihre Fressen, ihre Zähne, all das bei Gott, bis sie Ruhe hätte und dies elende Breitbeil nicht mehr hören müsste mit seinem Ein-Schnitz-weniger. Ein Schnitz weniger, und wir hätten Ruhe.

[zur Inhaltsübersicht]

Darl

Wir sehn ihn um die Ecke kommen und die Stufen raufgehn. Er sieht uns nicht an. «Fertig?», fragt er.

«Wenn du angespannt hast», sag ich. Ich sage: «Warte.» Er bleibt stehn und sieht zu Pa hin. Vernon spuckt aus, ohne sich zu regen. Er spuckt mit punktgenauer Präzision in den narbigen Staub unterhalb der Veranda. Pa reibt die Hände langsam auf seinen Knien. Er späht über den Kamm des Steilhangs ins Land hinaus. Jewel sieht ihn kurz an, dann geht er zum Wasserfass und trinkt.

«Unentschlossenheit ist mir so verdrießlich wie nur irgendeinem», sagt Pa.

«Immerhin drei Dollar», sag ich. Auf Pas Buckel ist das Hemd stärker ausgeblichen als an andern Stellen. Es gibt keinen Schweißfleck auf seinem Hemd. Nie hab ich auf seinem Hemd einen Schweißfleck gesehn. Er war mal krank vom Arbeiten in der Sonne, als er zweiundzwanzig war, und er erzählt den Leuten, wenn er jemals schwitzt, muss er sterben. Ich nehme an, er glaubt es.

«Aber wenn sie nicht durchhält, bis ihr zurück seid», sagt er. «Sie wird enttäuscht sein.»

Vernon spuckt in den Staub. Vor morgen früh gibt es Regen.

«Sie hat fest damit gerechnet», sagt Pa. «Sie wird gleich aufbrechen wollen. Ich kenne sie. Ich hab ihr versprochen, dass ich das Gespann hier bereithalte, sie zählt drauf.»

«Gerade dann brauchen wir die drei Dollar», sage ich. Er späht hinaus übers Land und reibt die Hände auf den Knien. Seit er keine Zähne mehr hat, sinkt sein Mund im gleichen langsamen Rhythmus immer wieder ein, wenn er den Priem von der einen Seite zur andern schiebt. Der Stoppelbart gibt der unteren Hälfte seines Gesichts das Aussehen, das alte Hunde haben. «Besser, du entschließt dich bald, damit wir loskönnen und vor der Dunkelheit noch eine Fuhre schaffen», sag ich. «Ma ist nicht so krank», sagt Jewel. «Halt’s Maul, Darl.»

«Das stimmt», sagt Vernon. «Es scheint ihr heute besser zu gehn als die ganze letzte Woche. Bis ihr zurück seid, du und Jewel, ist sie wieder ganz kregel.»

«Du musst es ja wissen», sagt Jewel. «Du bist hier ja oft genug rumgeschlichen und hast sie dir angesehn. Du oder deine Leute.» Vernon sieht ihn an. Jewels Augen sehn wie blasses Holz aus in seinem dunkelroten Gesicht. Er ist einen Kopf größer als wir andern, war’s schon immer. Ich hab ihnen gesagt, Ma hätte ihm darum mehr die Rute gegeben und ihn mehr verhätschelt als uns. Weil er mehr ums Haus, in ihrer Nähe rumgelungert hat. Das ist auch der Grund, warum sie ihn Jewel genannt hat, hab ich ihnen erklärt.

«Halt’s Maul», sagt Pa, aber so, als ob er gar nicht richtig hingehört hätte. Er späht ins Land hinaus und reibt sich die Knie.

«Du könntest dir Vernons Gespann ausleihen, und wir holen dich dann ein», sag ich. «Falls sie nicht auf uns gewartet hat.»

«Ach, halt doch deine verdammte Fresse», sagt Jewel.

«Sie wird in unserm eigenen Wagen fahren wollen», sagt Pa. Er reibt sich die Knie. «Kann keinem so verdrießlich sein.»

«Das kommt vom Daliegen und Zusehn, wie Cash rumschnitzt an diesem verdammten …», sagt Jewel. Er sagt es grob, wütend, aber das Wort sagt er nicht. Wie ein kleiner Junge, der im Dunkeln seinen Mut beweisen will, und plötzlich vor der eigenen Stimme zu Tode erschrickt.

«Sie hat das so gewollt, genauso, wie sie in unserm eigenen Wagen fahren will. Sie wird friedlicher ruhen, wenn sie weiß, dass er gut und solide gearbeitet ist und nur für sie. Sie hat immer gern etwas nur für sich gehabt. Das wisst ihr.»

«Dann soll sie ihn nur für sich haben», sagt Jewel. «Aber wie zum Teufel könnt ihr damit rechnen, dass er –»

Er hat den Blick auf Pas Hinterkopf geheftet, seine Augen wie aus blassem Holz.

«Aber klar», sagt Vernon. «Sie hält durch, bis er fertig ist. Sie hält durch, bis alles bereit ist, bis ihre Zeit gekommen ist. Und so wie die Straßen jetzt sind, habt ihr sie im Nu in die Stadt gebracht.»

«Sieht nach Regen aus», sagt Pa. «Bin vom Unglück verfolgt. Schon immer.» Er reibt mit den Händen seine Knie. «Dieser elende Doktor, er kann jeden Augenblick kommen. Ich konnte ihm nicht früher Bescheid geben. Wenn er morgen kommen würde und ihr sagen, es ist so weit, würde sie nicht mehr warten wollen. Ich kenne sie. Wagen oder kein Wagen, sie würde nicht mehr warten. Sie würde sich aufregen, und ich möchte um alles in der Welt nicht, dass sie sich noch aufregt. Mit dem Familiengrab in Jefferson und ihrem eigen Fleisch und Blut, das da auf sie wartet – sie würde ungeduldig werden. Ich hab ihr mein Ehrenwort gegeben, dass ich und die Jungen sie so schnell hinfahren würden, wie die Mulis laufen können, damit sie in Frieden schlafen kann.» Er reibt die Hände auf den Knien. «Keinem ist je was so verdrießlich gewesen.»

«Wenn bloß nicht jeder wie der Satan drauf versessen wäre, sie dorthin zu schaffen», sagt Jewel in diesem schroffen, jähzornigen Ton. «Und Cash, der den ganzen Tag unmittelbar vor ihrem Fenster herumhämmert und -sägt an diesem …»

«Es war ihr Wunsch», sagt Pa. «Du hast ihr nie Zuneigung oder auch nur Freundlichkeit gezeigt. Nie hast du das. Wir wollten niemandem verpflichtet sein», sagt er, «sie und ich. Sind es bis jetzt auch nicht gewesen, und sie wird ruhiger sterben, wenn sie das weiß, und dass es jemand von ihrem Blut war, der die Bretter ausgesägt und die Nägel eingeschlagen hat. Sie war so, hat immer hinter sich aufgeräumt.»

«Bedeutet immerhin drei Dollar», sage ich. «Sollen wir nun los oder nicht?» Pa reibt sich die Knie. «Morgen bei Sonnenuntergang sind wir zurück.»

«Also», sagt Pa. Er sieht hinaus über das Land, sein Haar ist zerzaust, langsam schiebt er den Tabak am Zahnfleisch entlang.

«Na los», sagt Jewel. Er geht die Stufen hinunter. Vernon spuckt treffsicher in den Staub.

«Bei Sonnenuntergang also», sagt Pa. «Ich möchte sie nicht warten lassen.»

Jewel blickt über die Schulter zurück, dann geht er weiter, ums Haus. Ich trete in den Flur und höre die Stimmen, noch ehe ich an ihrer Tür bin. Unser Haus steht am Hügel und kippt ein wenig nach vorn, da streicht immer ein Luftzug schräg aufwärts durch den Flur. Eine Feder, die man bei der Eingangstür fallen lässt, steigt auf und segelt an der Decke entlang schräg nach hinten, bis sie bei der Hintertür in den Gegenzug kommt und wieder nach unten gezogen wird. So ist es auch mit Stimmen. Wenn du den Flur betrittst, hörst du sie, als kämen sie aus der Luft über deinem Kopf.

[zur Inhaltsübersicht]

Cora

Das Rührendste, das ich je erlebt hab. Es war, als wüsste er, dass er sie nie wiedersehn würde, als Anse Bundren ihn vom Sterbebett seiner Mutter weggejagt hat, sie nie wiedersehn würde in dieser Welt. Ich hab immer gesagt, Darl ist anders als die andern. Hab immer gesagt, er ist der Einzige, der das Wesen seiner Mutter hat, der ein Herz hat. Nicht dieser Jewel, den sie unter Schmerzen geboren und dann nicht genug hätscheln und tätscheln konnte trotz seiner wüsten Zornausbrüche und der Anwandlungen von Düsternis, und der üble Teufeleien ausheckte, um ihr das Leben schwerzumachen; es hat immer wieder Zeiten gegeben, da hätte ich auf ihn einschlagen mögen. Nicht zu kommen und ein letztes Lebwohl sagen, nicht auf die drei Dollar zu verzichten, wenn’s doch darum gegangen wäre, der Mutter den Abschiedskuss zu geben. Ein Bundren durch und durch, der niemanden liebt, der sich um nichts schert, höchstens darum, wie er mit möglichst wenig Arbeit möglichst viel erreichen kann. Mr. Tull sagt, Darl hätte die andern gebeten zu warten. Er sagt, Darl hätte sie fast auf Knien angefleht, ihn doch nicht zu zwingen, die Mutter in ihrem Zustand zu verlassen. Aber nichts hat geholfen, Anse und Jewel mussten ihre drei Dollar haben. Wer Anse kennt, hat nichts anderes erwartet, aber zu denken, dass dieser Junge, dieser Jewel, all die Jahre ihrer Selbstverleugnung, ihrer offenkundigen Vorliebe für ihn einfach verkauft – sie konnten mir nichts vormachen: Mr. Tull sagt zwar, Mrs. Bundren hätte Jewel von allen am wenigsten gemocht, aber ich wusste es besser. Ich wusste, dass sie ihn bevorzugte wegen der gleichen Eigenschaft, die sie auch Anse Bundren ertragen ließ, selbst als Mr. Tull sagte, sie hätte ihn vergiften sollen – für drei Dollar der sterbenden Mutter den Abschiedskuss verweigern!

Ach, in den letzten drei Wochen bin ich herübergekommen, wann immer ich konnte, manchmal auch dann, wenn ich’s eigentlich nicht konnte, ich hab meine Familie und meine Pflichten vernachlässigt, weil ich nicht wollte, dass sie in ihrer letzten Stunde dem Großen Unbekannten gegenübertreten muss, ohne dass ein vertrautes Gesicht ihr Mut macht. Nicht dass ich dafür Anerkennung verdiene: ich erwarte das Gleiche für mich. Aber gelobt sei Gott, bei mir werden es die Gesichter meiner Lieben sein, mein eigen Fleisch und Blut, denn mit meinem Ehemann und meinen Kindern bin ich gesegnet gewesen, mehr als die meisten Frauen, auch wenn sie mir zu Zeiten Ungemach bereitet haben.

Sie ist ihr Leben lang eine einsame Frau gewesen, einsam in ihrem Stolz, hat sich bemüht, den andern vorzumachen, dass es nicht so ist, hat sich nicht anmerken lassen, dass sie sie bloß geduldet haben, denn noch eh sie kalt ist in ihrem Sarg, karren sie sie vierzig Meilen weit weg, um sie zu begraben, was eine Missachtung von Gottes Willen ist. Verweigern ihr, in derselben Erde zu ruhen wie die andern Bundrens.

«Aber sie wollte von hier weg», sagte Mr. Tull. «Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, bei ihren eigenen Leuten zu liegen.»

«Warum ist sie dann nicht schon zu ihren Lebzeiten gegangen?», hab ich gesagt. «Keiner von denen hätte sie zurückgehalten, auch der Kleine nicht, der ist fast schon alt genug, um genauso selbstsüchtig und hartherzig zu sein wie die andern.»

«Es war ihr ausdrücklicher Wunsch», sagte Mr. Tull. «Ich hab selber gehört, wie Anse das gesagt hat.»

«Und du glaubst Anse natürlich», sagte ich. «Jemand wie du glaubt so was. Erzähl mir doch nichts.»

«Wenn er nicht damit rechnen kann, dass für ihn was rausspringt, wenn er den Mund hält, dann glaube ich ihm», sagte Mr. Tull.

«Erzähl mir doch nichts», hab ich gesagt. «Der Platz einer Frau ist bei ihrem Ehemann und ihren Kindern, lebendig oder tot. Glaubst du, ich würde dich und die Mädchen alleinlassen, wenn meine Stunde geschlagen hat, und nach Alabama zurückfahren, das ich aus freiem Willen verlassen habe, um mein Schicksal mit deinem zu verbinden, im Guten wie im Bösen, bis zum Tod und darüber hinaus?»

«Nu ja, die Menschen sind verschieden», sagte er.

Das kann ich nur hoffen. Ich habe mich immer bemüht, im Angesicht Gottes und der Menschen rechtschaffen zu leben, um der Ehre und dem Wohl meines christlichen Gatten und der Liebe und Achtung meiner christlichen Kinder willen. Wenn ich mich also dereinst niederlege im Bewusstsein, meine Pflicht getan zu haben und den Lohn dafür zu empfangen, werde ich von liebenden Gesichtern umgeben sein, und der Lebewohlkuss jedes Einzelnen meiner Lieben wird Teil meines Lohns sein. Nicht wie Addie Bundren, die einsam stirbt und ihren Stolz und ihr gebrochenes Herz verbirgt. Und froh ist, dass sie gehn kann. Liegt da, den Kopf erhöht auf Kissen, damit sie zusehn kann, wie Cash den Sarg zimmert, muss wohl aufpassen, dass er nicht schludert, und diese Männer, denen alles egal ist, denen es nur darum geht, ob die Zeit noch reicht, sich die drei Dollar zu verdienen, bevor der Regen kommt und der Fluss so hoch anschwillt, dass man nicht mehr rüberkann. Wenn es ihnen nicht um ihre letzte Fuhre ginge, hätten sie sie in einer Decke auf den Wagen geladen und erst den Fluss überquert und dann angehalten und ihr die Zeit gelassen, den christlichen Tod zu sterben, den sie ihr grade noch gönnen.

Außer Darl. Das Rührendste, was ich je gesehn hab. Manchmal verliere ich vorübergehend den Glauben an die menschliche Natur; Zweifel überkommen mich. Aber immer richtet der Herr meinen Glauben wieder auf und offenbart mir Seine großmütige Liebe zu Seinen Geschöpfen. Nicht Jewel, der, den sie immer liebevoll umsorgt hat, der nicht. Der war hinter den zusätzlichen drei Dollar her. Darl war es, der, von dem die Leute sagen, bei dem stimmt was nicht, der ist träge und vertrödelt die Zeit mit diesem und jenem, nicht viel anders als Anse, und dann Cash, ein guter Tischler, der sich immer an mehr Tischlerarbeiten macht, als er schaffen kann, und Jewel, der dauernd was macht, das ihm Geld einbringt, oder dafür sorgt, dass man über ihn redet, und dies halbnackte Mädchen, das die ganze Zeit mit einem Fächer über Addie gebeugt steht, und jedes Mal, wenn eine Menschenseele mit Addie reden und sie aufmuntern will, schnell an Addies Stelle antwortet, als ob sie jeden davon abhalten wollte, auch bloß in Addies Nähe zu kommen.

Es war Darl. Er kam an die Tür und stand da und sah seine sterbende Mutter an. Er sah sie nur an, und ich spürte wieder die grenzenlose Liebe des Herrn und Seine Barmherzigkeit. Ich merkte, dass sie bei Jewel bloß so getan hatte und dass es wahres Verstehen, wahre Liebe nur zwischen ihr und Darl gab. Er sah sie bloß an, kam nicht mal so weit herein, dass sie ihn hätte sehn und sich aufregen können, er wusste, dass Anse ihn wegjagen und er sie nie wiedersehn würde. Er sagte nichts, sah sie nur an.

«Was willst du, Darl?», fragte Dewey Dell und fächelte weiter; sie sprach schnell, hielt sogar ihn von ihr fern. Er antwortete nicht. Er stand nur da und sah seine sterbende Mutter an, das Herz zu schwer für Worte.

[zur Inhaltsübersicht]

Dewey Dell

Das erste Mal, dass ich zusammen mit Lafe eine Reihe runterpflückte. Pa darf nicht schwitzen; sonst holt er sich den Tod wegen seiner Krankheit, und darum muss jeder, der kommt, uns helfen. Und Jewel schert sich um gar nichts, wenn’s darum geht, sich um etwas zu sorgen, ist er mit uns nicht verwandt, nicht sorgenverwandt. Und Cash, der zersägt die langen heißen traurigen gelben Tage in Bretter und nagelt sie zu irgendwas zusammen. Und Pa glaubt, dass Nachbarn immer so miteinander umgehn, weil er immer zu beschäftigt damit war, sie für sich einzuspannen, und nie die Zeit hatte, darüber nachzudenken. Und ich glaub auch nicht, dass Darl es täte, der am Abendbrotstisch sitzt, die Augen über Essen und Lampe hinweg ins Weite gerichtet, voll von dem aus seinem Schädel gegrabenen Land, die Lücken gefüllt mit der Ferne hinter dem Land.

Wir pflückten weiter die Reihe runter, die Büsche und der verborgene Schattenplatz kamen immer näher, wir pflückten weiter in den verborgenen Schatten rein mit meinem Sack und mit Lafes Sack. Weil ich mir sagte, soll ich oder soll ich nicht, als der Sack halb voll war, und weil ich mir sagte, wenn der Sack voll ist, wenn wir zu den Büschen kommen, dann kann ich nicht anders. Ich hab mir gesagt, wenn ich es nicht tun soll, wird der Sack nicht voll sein, und ich mach mich an die nächste Reihe, wenn der Sack aber voll ist, kann ich nicht anders. Hat wohl die ganze Zeit so sein sollen, dass ich nicht anders kann. Und wir haben weitergepflückt auf den verborgenen Schattenplatz zu, und es hat unsere Augen zueinander hingezogen, sie haben auf seine Hände gesehn und auf meine, und ich hab nichts gesagt. Dann hab ich gesagt: «Was machst du?», und er hat gesagt: «Ich pflücke in deinen Sack.» Und so war er voll, als wir ans Ende der Reihe kamen, und ich konnte nicht anders.

Und so ist es passiert, weil ich nicht anders konnte. Es ist passiert, und dann sah ich Darl, und er wusste es. Ohne die Worte zu gebrauchen, sagte er, er weiß, es ist so, wie er mir ohne Worte gesagt hat, dass Ma sterben wird, und ich wusste, dass er es wusste, weil wenn er mit Worten gesagt hätte, dass er es weiß, hätte ich nicht geglaubt, dass er da gewesen war und uns gesehn hat. Aber er sagte, er weiß es, und ich sagte: «Willst du es Pa sagen, willst du ihn umbringen?», ohne Worte habe ich das gesagt, und er sagte ohne Worte: «Warum?» Und darum kann ich so mit ihm reden, weil ich voller Hass weiß, dass er es weiß.

Er steht in der Tür und sieht sie an.

«Was willst du, Darl?», frag ich.

«Sie stirbt», sagt er. Und Tull, der alte Geier, kommt, um ihr beim Sterben zuzusehn, aber ich leg sie alle rein.

«Wann stirbt sie?», frage ich.

«Bevor wir zurück sind», sagt er.

«Warum nimmst du dann Jewel mit?», frage ich.

«Er soll mir beim Aufladen helfen», sagt er.

[zur Inhaltsübersicht]

Tull

Anse reibt sich weiter die Knie. Sein Overall ist verwaschen, auf dem einen Knie ist ein Tuchflicken, rausgeschnitten aus einer alten Sonntagshose, blankgewetzt.

«Keinem so verdrießlich wie mir», sagt er.

«Ab und zu muss man vorausdenken», sage ich. «Aber über kurz oder lang renkt sich alles ein, so oder so.»

«Sie wird gleich losfahren wollen», sagt er. «Auch wenn alles klappt, es ist immer noch weit genug bis Jefferson.»

«Aber die Straßen sind jetzt gut», sage ich. Heute Abend wird es aber regnen. Seine eigenen Leute begräbt er in New Hope, keine drei Meilen von hier. Sieht ihm ähnlich, eine Frau zu heiraten, die eine anstrengende Tagesfahrt von hier geboren ist, und sie dann bei sich sterben zu lassen.

Er sieht über das Land und reibt sich die Knie. «Ist keinem so verdrießlich wie mir», sagt er.

«Die haben reichlich Zeit für den Rückweg, sind jeden Augenblick wieder da», sage ich. «Ich würde mir keine Sorgen machen.»

«Immerhin drei Dollar», sagt er.

«Vielleicht müssen sie sich gar nicht so beeilen mit der Rückfahrt», sage ich. «Wollen’s hoffen.»

«Sie will jetzt gehn», sagt er. «Sie lässt sich nicht mehr davon abbringen.»