4,99 €
Was alles passieren kann, wenn ein unternehmender junger Mann einen Djinn in seine Gewalt bekommt und sich bei ihm drei schöne, möglichst exotische Frauen für seinen Harem bestellt! Nicht nur, daß die drei Damen einander erst unter ungewöhnlichen Umständen kennenlernen, sie müssen auch schon bald – noch dazu in Begleitung ihrer zänkischen, alten Schwiegermutter – eine mühselige und aufregende Reise antreten, denn ein unglückseliger Zufall hat Aman Akbar in einen schneeweißen Esel verwandelt. (Dieser Text bezieht sich auf eine frühere Ausgabe.)
Das E-Book können Sie in Legimi-Apps oder einer beliebigen App lesen, die das folgende Format unterstützen:
Seitenzahl: 508
Elizabeth Scarborough
Aman Akbars Harem
Roman
Aus dem Amerikanischen von V. C. Harksen
FISCHER Digital
Allen meinen feministischen Freundinnen, die die Tänze des vorderen Orients kennengelernt und dadurch Interesse an Leben und Kultur der Frauen dieser Länder bekommen haben, allen meinen Lehrerinnen in diesen Tänzen, besonders Jeannie und Naima, und allen Freunden, die je einen Harem gehabt haben, noch haben oder gern hätten, ist dieses Buch liebevoll zugeeignet.
Aman Akbar
ein junger Mann aus der Stadt Kharristan, der durch das Eingreifen eines Djinns zuerst reich, dann aber ein Esel wird
Samira Um Aman
seine ebenso energische wie sittenstrenge Mutter
Hyaganusch
seine hübsche, hohlköpfige junge Base
Amollia
die schwarze, schöne 135. Tochter des Großen Elefanten, Amans Gattin Nr. 1, Besitzerin der gefleckten Katze Kalimba
Rasa
eine Steppenprinzessin, weißblond und von praktischer Denkweise, Amans Gattin Nr. 2, Erzählerin der Geschichte
Aster
eine niedliche chinesische Schauspielerin von einschmeichelnder Gerissenheit, irrtümlich für eine Prinzessin gehalten und darum Amans Gattin Nr. 3
Fatima
eine heilige Einsiedlerin, vormals im Harem des Königs
Marid Khan
ihr Neffe, ein Beduinenfürst
Abad
der junge König des gewaltigen Reichs
Onan Emir
Statthalter von Kharristan, ein Schurke
Sani
König der Divs, auch der Ewig-Wandelbare genannt, ein rachsüchtiger Geisterfürst
Der Djinn
ein wohlwollender, gelegentlich aber überforderter Flaschen-Genius
Im zweiten Jahr der Herrschaft des Knabenkönigs befahl Aman Akbar seinem Djinn, sich in die Lüfte zu erheben und nach Gattinnen auszuschauen, die der Stellung, die unser ruhmreicher Gebieter damals erstrebte, angemessen wären. Aman, ein ehrgeiziger, jedoch gutherziger Mann, der entsprechend dem Geschmack jener Zeit eine Vorliebe für das Exotische hatte, erklärte dem Djinn, der ihm diente, mit großer Genauigkeit, daß eine Frau für seinen Harem hübsch zu sein hätte, in allen weiblichen Fertigkeiten wohlerfahren und zudem im eigenen Volke von edlem Geblüt, jedoch hinwiederum nicht von solcher Beliebtheit, daß der Verlust ihre Familie in allzugroße Trauer verfallen lassen würde.
Man könnte nun meinen, ein solches Verfahren müßte zwar für Aman Akbar durchaus von Vorteil, für die betroffenen Frauen jedoch geradezu verabscheuungswürdig sein. Aber dieser Gedanke wäre in der Mehrzahl der Fälle falsch, wenn auch ein verzeihlicher Irrtum. Anders ist es bei jemandem, der wie ich die dritte Tochter und das mittlere der Kinder des obersten Fürsten unseres Stammes ist. Wir Yahtzeni sind zuallerst Krieger (aus Neigung) und in zweiter Linie Hirten (das ist unser Beruf). Darum sind gute Männer bei uns eine Seltenheit, weil wir einen gewaltigen Verschleiß haben.
Unsere Feinde sind entfernte Verwandte meiner Mutter. Sie leben vorwiegend auf den Höhenzügen des Gebirges und fallen jedes Frühjahr und jeden Herbst bei uns ein, töten viele Männer und rauben Schafe und Frauen. Wir versuchen, sie genauso zu überfallen, können aber nicht so gut klettern, so daß wir bei unseren Raubzügen nur noch mehr Männer verlieren. Inzwischen bekommen die zu Hause gebliebenen Frauen aber trotzdem Kinder, und diese Kinder scheinen in den letzten Jahren öfter Mädchen zu werden als Knaben. Das bedeutet, daß die Mädchen bei uns, wenn sie heranwachsen, nicht auf eine Heirat hoffen dürfen, sondern mit einem Leben ständiger Jungfernschaft im Dienst an ihren Eltern und dem Stamm rechnen müssen. Die einzige Abwechslung, die wir gewöhnlich überhaupt erwarten können, ist, entführt, versklavt, geschändet und allenfalls dann geheiratet zu werden, wenn wir unseren Entführern Söhne gebären und uns so ihres Schutzes würdig erweisen.
Zu der Zeit, als ich, die dritte Tochter, meinem Vater geboren wurde, hatte er angefangen, die Hoffnung auf Söhne aufzugeben und verlor in seinem Kummer derart den Verstand, daß er mir beibrachte, wie man mit dem gebogenen Bronzedolch und der Lanze kämpft, mit Pfeil und Bogen jagt und die wilden Pferdchen einfängt und reitet – so wie er es einen Sohn gelehrt hätte. Meine Mutter hielt ihn für verrückt und erklärte ihm wieder und wieder, daß die Sache böse enden würde; die älteren Männer des Stammes, soweit noch am Leben, verspotteten uns alle beide und betrachteten mich als unnormal, wild und fremdartig. Groß war daher die Erleichterung meiner Mutter, als sie meinen Bruder zur Welt brachte und mich nunmehr an Spindel, Wollflocken und Webstuhl fesseln und in den Heiltränken und Gebeten unterweisen konnte, die als für die Erziehung einer Tochter unentbehrlich angesehen wurden. Immerhin kam mir das, was ich zuvor, als ich noch meines Vaters Sohn war, gelernt hatte, entschieden zustatten, als das Lager überfallen, mein Vater erheblich verletzt und meine Schwester – nicht undankbar darüber – fortgeschleppt wurde. Meine eigene Abneigung gegen die Hochzeitsbräuche der Feinde meines Volkes brachte ich mit meinem Dolch unmißverständlich zum Ausdruck.
So kam es, daß ich, als ich das erste Mal den Blick auf mir spürte, während ich dasaß, spann und auf die Schafe aufpaßte, bei meinem Stamm schon als zum Heiraten ungeeignet galt und man mir einen unnatürlich heftigen Charakter nachsagte.
In dieser Jahreszeit gab es wenig Regen, und der Himmel, der Schnee verhieß, sah aus wie eine Filzdecke. Unsere Schafe streiften auf der Futtersuche weit umher, und ich folgte ihnen. Ich hatte einen bequemen Felsblock gefunden, gerade so hoch, daß die Spindel an meinem Schenkel lehnen konnte. Als ich die Augen auf mir fühlte, hielt ich die Spindel mitten in der Drehung an, indem ich sie an die Hüfte preßte. In den Hügeln und um meine Herde wimmelte es von Wölfen und Bären, nicht zu vergessen die ewig unzufriedenen Verwandten meiner Mutter. Ich legte die Spindel beiseite und griff zum Dolch; vor den zweibeinigen Tieren hatte ich mehr Angst als vor den vierbeinigen. Hätte ich damals gewußt, woher das unbehagliche Gefühl kam, wäre ich wahrscheinlich so entsetzt gewesen, daß mich das Messer auch nicht mehr getröstet hätte.
Später sollte ich mich darüber freuen, daß ich an diesem Tag mein neues Gewand hatte anziehen müssen; das alte, geflickte, das mir meine Mutter genäht hatte, als ich zum ersten Mal als Frau mittanzen durfte, war beim letzten Scharmützel so zerfetzt worden, daß man es nicht mehr reparieren konnte. Schon davor war es allerdings so abgewetzt gewesen, daß es an den intimsten Stellen hauchdünn war und durchschien; ich schämte mich fast, damit vor den Schafen herumzulaufen. Die Fäden des neuen Kleids waren auch feiner gesponnen als die des alten, denn in den Jahren, die dazwischenlagen, war ich mit der Spindel zunehmend geschickter geworden. Ich hatte es in ein Bad aus Eisenholz gelegt und dadurch tief rostrot gefärbt. Dem Lager zu entfliehen und mit den Schafen umherzuwandern, versetzte mich in festliche Stimmung. Diese Stimmung und die Kälte, die den Morgen beißend machte, hatten mich dazu veranlaßt, meinem Putz noch die Filzweste hinzuzufügen, die ich meiner Schwester vor ihrer Entführung bestickt hatte – innen mit dem Fell eines schwarzen Lamms gefüttert, außen Stickgarn in verschiedenen Gelbtönen und sanftem Rosa. Aman sagt, er habe den Gegensatz zwischen meiner damaligen Festkleidung und meiner wilden Erscheinung im Kampf höchst erotisch gefunden – Aman sagt manchmal solche Sachen. Denn obwohl er sein ganzes Leben lang in Kharristan gewohnt hat, hat er immer eifrig den Marktplatz beobachtet und besitzt außerdem eine lebhafte Phantasie. Er findet die merkwürdigen Leute, die an jenem Mittelpunkt der zivilisierten Welt zusammenströmen, unendlich faszinierend und ihre Verschiedenartigkeit reizvoll. Dadurch war er auch darauf vorbereitet, mich schön zu finden und nicht nur ungewöhnlich.
Ich habe erfahren, daß der Djinn sich beschwerte und mich unwürdig fand – welche Edelfrau, soll er eingewendet haben, achtet so wenig auf ihr Äußeres, daß sie ihr Haar in Zöpfe mit Lederbändern flicht, anstatt Perlen hindurchzuwinden? Woraus man sieht, wie wenig der Djinn von weiblichem Putz versteht – meine Haare sind fast weiß, und Perlen würden mir gar nicht stehen. Außerdem hielt er meine beachtliche Nase für scheußlich; aber das ist typisch für den Djinn, der ein überwiegend recht behütetes Leben geführt hat, eingesperrt in seiner Flasche. Darum neigt er nämlich oft zu prüden und konservativen Anschauungen. Obwohl er groß darin ist, andere Leute hierhin und dorthin zu bringen, hat er am Leben dieser Welt so gut wie niemals aktiven Anteil genommen, so daß es ihm gelungen ist, trotz seiner Reisen relativ unberührt und unaufgeklärt zu bleiben. Bei dem hier erwähnten Anlaß jedoch stieß sein dünkelhaftes Gemecker auf taube Ohren, denn Aman antwortete ihm: »Ihre Nase ist gekrümmt wie der Schnabel des Falken und paßt darum vorzüglich zum Funkeln ihrer Augen – wisse, o Djinn, daß der Falke ein edler Vogel ist, stolz und, wie ich glaube, außerdem auch nützlich.« Es gab noch weitere Diskussionen dieser Art, der Aman huldigt, wenn er sich in seinen quasi-poetischen Vergleichen ergeht, etwa über weiches Gefieder und zarte Farben; aber selbst wenn er mit glatter Zunge und ohne Verstand daherredet, kann er doch scharf beobachten. Man kann das schon daraus ersehen, daß er zum Vergleich mit mir nicht irgend so ein leichtfertiges Vögelchen heranzog.
Jedenfalls fühlte ich mich den ganzen Morgen gereizt wie ein noch nicht zugerittenes Pony; ohne es zu wissen von unsichtbaren Blicken gestört.
Die neue Weide lag auf einer ansteigenden Bergwiese, und der Weg war lang und ermüdend. Schon bald zog ich die Weste aus, denn die angenehme Kühle verwandelte sich in unbehagliches Jucken, als die Sonne und ich gemeinsam höherstiegen. Als ich den Bach erreichte, wo ich Wache halten wollte, während ringsum die Schafe grasten, lief mir der Schweiß von der Stirn wie Tau, und das neue Gewand klebte unter den Achseln. Das sprudelnde Wasser sah erfrischend aus, und ich roch nach Ziege. Meine neuen Sachen wollte ich nicht verderben, indem ich sie schon am ersten Tag verstänkerte; also legte ich sie dankbar beiseite und watete in den Bach. Das eisige Wasser belebte mich zwar einen Augenblick, aber sofort begann ich vor Kälte zu zittern – einer Kälte, die meinen Körper durchdrang, als wollte sie mir das Fleisch von den Knochen schneiden. Ich schoß aus dem Wasser, schnaubte durch Nase und Lippen wie ein Pferd und schnatterte in meiner blauen Haut.
»Wer kann den Geschmack meines Gebieters begreifen?« jaulte eine Stimme, die über mir aus der Luft zu kommen schien. Ich blickte scharf aufwärts und machte einen Satz auf meine Kleider zu, weniger, um mich zu verhüllen, als um meinen Dolch zu suchen, der noch in meinem seidenen Gürteltuch steckte. Trotz der fremdklingenden Aussprache fürchtete ich, in die Hände unserer Feinde gefallen zu sein und war entschlossen, möglichst vielen davon das Lebenslicht auszublasen, bevor sie mich von meiner Unschuld trennen konnten.
»Ja, ja, Rasa Ulliovna, bedecke dich nur unbedingt«, fuhr die nörgelnde Stimme fort. Ich war so verblüfft darüber, meinen Namen zu hören, daß ich die Klinge fahren ließ, um nochmals nach dem Sprecher zu suchen. Sobald ich ihn entdeckt hatte, machte ich mir keine Sorgen mehr. Ein solches Geschöpf, dachte ich, könnte ich mit bloßen Händen erledigen. »Gehorche, Mädchen«, befahl der Djinn in strengerem Ton. »Wir haben noch viel zu tun, ehe ich dich dem Gebieter übergeben kann.«
»Du Wichtigtuer wirst mich überhaupt niemandem übergeben«, erwiderte ich und zerrte mir das Kleid über den Kopf, mit einem Ruck, um nicht länger blind zu sein als unbedingt nötig. »Wie kannst du es wagen, eine Prinzessin der Yahtzeni beim Baden zu bespitzeln?«
»Um Vergebung, Hoheit«, antwortete das Wesen, erhob sich von dem Felsen, auf dem es balancierte wie ein Ball, und bemühte sich nach besten Kräften, seine nicht vorhandene Taille zu einer Verbeugung einzuknicken. »Ich wollte dich allein sprechen. Die Vorhänge deines Badezeltes waren meinen Augen unsichtbar.« Trotz seines Spottes wirkte der Djinn verlegen. »Du brauchst nicht zu fürchten, von meinem Blick entehrt zu werden. Ich bin ein Ifrit, kein Mann, der dich hier in deiner eher unverdaulichen Nacktheit sieht.«
Ich kannte damals die Bedeutung des Wortes Ifrit nicht und wußte genausowenig, was ein Djinn oder ein Genius ist; denn die Überlieferungen der Yahtzeni wissen nichts von solchen Wesen. Aber auch ohne das war mir klar, daß dieses Geschöpf keiner meiner gewöhnlichen Feinde war. Zwar hatten von diesen einige vielleicht guten Grund, sich meinen Namen zu merken, aber keiner hätte sich so gewählt ausdrücken können wie der Djinn. Hinzu kam, daß sich keiner von ihnen, ganz gleich aus welchem Grund – es sei denn vielleicht Wahnsinn oder die Androhung von Folter besonders geliebter Personen – jemals so merkwürdig angezogen hätte: weite, wallende Hosen aus scharlachroter Seide, ein indigoblaues Wams und eine Weste von einer Farbe, die ich überhaupt noch nie gesehen hatte, außer allenfalls bei Sonnenuntergängen – ein weithin leuchtendes Blaugrün wie das der Steine, die mir später so ans Herz gewachsen sind, daß Aman sie zu meinen ganz speziellen Glücksbringern ernannt hat. Um die gesamte, üppige Leibesmitte des Wesens schlang sich eine Schärpe aus Goldtuch. Ein weiteres Stück Goldtuch war um seinen Kopf gewickelt wie ein Verband. Es trug keine Waffen, und seine Füße verloren sich in einer Dunstwolke, die auf dem Felsen lag wie ein Bodennebel. Dieses letztere hätte mich wahrscheinlich vorsichtig gemacht, wenn ich darauf geachtet hätte; aber das glatte, bartlose Gesicht des Djinns und seine weiche Rundlichkeit erweckten mir den Eindruck, daß er – wenn überhaupt ein Feind – wohl kaum ein ernstzunehmender Gegner wäre. Freilich war es immerhin möglich, daß er Freunde rufen konnte, und ich mußte mich ja um meine Schafe kümmern.
»Hebe dich von hinnen«, erklärte ich ihm und schwang meinen Dolch. »Verschwinde, oder ich lasse die Luft aus dir.« Und dann blitzte mein Dolch nicht mehr, sondern verschwand mir aus der Faust. Ich fing an zu bibbern wie ein Kind und wich vor ihm zurück, denn ich begriff, daß ich einen schweren Fehler gemacht hatte.
»Schon besser«, sagte der Djinn selbstzufrieden und zerfloß, nur um sofort neben mir aufzutauchen, in seiner ganzen Größe, wenn auch ohne Füße.
Diesmal betrachtete ich seinen Mangel an sichtbarem Unterbau mit größter Ehrfurcht, warf mich vor dem nicht vorhandenen Detail auf den Boden und fraß Staub. Dies ist die einzige Verhaltensmaßregel, die die Überlieferung der Yahtzeni für den Umgang mit Dämonen vorschreibt. »Vergib mir, o Fürchterlicher«, brachte ich schließlich hervor. »Ich wußte nicht, daß ich vor dem Angesicht eines Wesens, wie du es bist, stand.«
»Nichtsdestotrotz ist es so«, versetzte der Djinn, »und ich könnte noch hinzufügen, daß du meine Zeit vergeudest. Wenn du die Freundlichkeit haben würdest, dich von der Erde zu trennen, so wie du ja auch das Wasser aufgegeben hast, so will ich mich daran machen und dich sofort verzaubern, auf daß dein Gebieter dich in deinem zweifelhaften Glanz erblicken möge, bevor dieser Tag endet und ein neuer beginnt.«
»Gebieter?« fragte ich, trotz meines Entsetzens neugierig. »Meinst du meinen Vater? Ich habe keinen anderen Herrn.«
»Hast gehabt«, berichtigte mich der Djinn, ein wenig müde. »Und wahrlich, ein beklagenswerter Zustand muß das gewesen sein. Aber fürchte dich nicht, dank meiner Macht und dank dem Willen deines Gebieters wird auch dafür Abhilfe geschaffen werden. Denn der gewaltige Aman Akbar hat dich erblickt und Gefallen an dir gefunden, auch wenn nur Gott allein weiß, wieso; und er hat mir den Auftrag erteilt, dich noch heute zu ihm zu bringen.«
»Alles schön und gut«, sagte ich (denn meine Ehrfurcht nahm bereits wieder ab, weil ich anfing, mich an das seltsame Wesen zu gewöhnen). »Nur bin ich gar nicht so sicher, daß ich einen Gebieter haben möchte. Ich bin die Tochter eines Anführers und keine Sklavin – was ist das überhaupt für ein Mann, dieser Ak- – das hört sich ja an, als ob man niest – und selbst wenn ich bereit wäre, hier fortzugehen, was wird aus meinen Schafen?«
Der Djinn schnaubte, daß die Hängebacken wackelten. »Du bist sogar noch törichter, als du aussiehst, Weib, an Schafe zu denken und von Sklaverei zu faseln, wenn dir eine so hohe Ehre zuteil wird. Sprich nicht über solche Dinge zu dem Werkzeug deiner Befreiung aus Schmutz und Unwissenheit. Denn du sollst aufgenommen werden in den Harem Aman Akbars, des reichsten Mannes von Kharristan nach dem Emir selbst, dem – äh – Helden von tausend Abenteuern. Seinem Geheiß folge ich, wenn ich dich für diese große Gunst und Gnade auswähle.«
»Was heißt hier Gunst und Gnade?« fragte ich und richtete mich auf, um mir die Hosen hochzuziehen. »Du bespitzelst mich wie ein Lüstling und versuchst mich zu entführen – zu irgendeinem fremden Mann und seinem Harem, was immer das sein mag, ohne daß von einer Heirat auch nur die Rede ist – ganz zu schweigen von einem Brautpreis. Und ich vermute, daß ich, um dir und deinem Herrn gefällig zu sein, auch noch zulassen soll, daß die Schafe meines Stammes sich hier in den Bergen verlaufen? Und wer soll in unserm Zelt die Arbeit tun, nachdem meine Schwestern nicht mehr bei uns sind, mein Vater verwundet ist und meine Mutter täglich älter und schwächer wird?«
Der Djinn schlug die Augen nieder, als wollte er all seine Geduld zusammenraffen, und gab einen Seufzer von sich, der dort, wo vermutlich seine Füße hätten sein müssen, den Nebel spaltete.
»Du bist nicht nur ein häßliches, sondern auch ein halsstarriges Weib, und ich bemitleide meinen Gebieter. Aber er will dich nun einmal haben und ist keiner, den man unehrenhaft nennen könnte. Deine Schafe werden selbständig zur Herde deines Vaters zurückkehren. Und ich nehme an, ich kann deinem Vater eine Entschädigung für den Verlust deiner Arbeitskraft anbieten, wenn das bei deinem Volk Sitte ist – selbst wenn nur krasse Barbaren so etwas fordern würden. Richtig wäre, daß der Gebieter von deinem Vater eine Mitgift verlangen müßte, weil er deinen unglücklichen Erzeuger von der Bürde deines Appetits und deiner schwatzhaften Zunge befreit.«
»Es wäre sinnlos, etwas von meinem Vater zu verlangen«, erklärte ich. »Die Herden und die Pferde gehören dem ganzen Stamm, und so ist es auch mit der Arbeit meiner Hände.«
»Aha. Nun, ein Kästchen Juwelen dürfte mehr als ausreichend sein. Ich schicke es mit den Schafen mit.«
»Pferde«, sagte ich kühn. »Meine Leute brauchen keinen Schmuck; aber Pferde würden meiner Mutter ihre Lasten erleichtern und beim Hüten der Herden und dem Transport der Zelte helfen. Zehn wären genau richtig.«
»Zehn!« Der Djinn explodierte fast. Aber trotzdem schaffte er sie im Nu herbei, in einer Art und Weise, die mir wie ein Wunder erschien. Ich protestierte nicht weiter, als die Tiere, schwarz, mit Schwanenhälsen, die Schafe von uns fort und bergab trieben, dem Lager meines Vaters zu. Ich platzte fast vor Stolz über den Handel, den ich abgeschlossen hatte, und nahm nun allen Mut zusammen, um dem Djinn zu folgen.
Zehn Pferde – das war der höchste Brautpreis, der in meinem Volk jemals für eine Frau gezahlt worden war. In Wirklichkeit war es auch, ganz wie der Djinn vermutet hatte, längst nicht mehr Sitte, überhaupt einen solchen Preis zu entrichten, weil es so wenig Männer gab. Der Djinn bemerkte meinen schlecht verhehlten Triumph und brummte etwas, aus dem hervorging, der Preis wäre hoch genug, um dafür zwanzig wesentlich pflegeleichtere Houris zu erwerben. Dann aber schnalzte er mit den Fingern, und der Nebel um seine Füße verdichtete sich zu einem Teppich. Nachdem er darauf Platz genommen und mich überredet hatte, das gleiche zu tun, sprach er eine schnelle Zauberformel und wir erhoben uns in höchst erstaunlicher Weise in die Luft.
Daß der Djinn eine ungewöhnliche Art zu reisen hatte, überraschte mich nicht. Eher wäre ich enttäuscht gewesen, hätte ein so mächtiges Wesen vorgeschlagen, wir sollten zu Fuß losmarschieren oder auf einem der neuen Pferde reiten. Aber je höher wir flogen, desto mehr verlockten mich die Berge und Gletscherspalten dazu, seitlich über den Teppichrand zu schauen; und wenn ich die Augen abwendete, mußte ich schnell den Kopf in den Nacken werfen, damit der Wind die Tränen verwischte, die in mir aufstiegen, als ich meine heimatlichen Ebenen zu einer dünnen, grüngelben Linie zusammenschrumpfen sah. Ich erspähte das Lager unserer Feinde und lehnte mich bei dem Versuch, meine Schwester dort zu entdecken, so weit über den Rand des Teppichs, daß er gefährlich zu kippen anfing. Der Djinn streckte hastig den Arm aus, und eine magische Kraft zog mich zurück und begradigte unseren Kurs wieder.
Wir flogen über ein anderes Gebirge, hinter dem weite Felder lagen und Meere, noch mehr Berge, große Städte; und wieder andere Ebenen und Gebirge; und das alles dauerte nur einen Augenblick.
Als wir höher aufstiegen, dachte ich, wir würden nun noch wundervollere Dinge sehen, aber das war nicht der Fall. Über den Wolken gab es keine Paläste und Gärten und Herden der Götter, und nicht einmal die Krieger, die wir im Kampf verloren hatten, saßen dort und wetzten ihre Messer und Äxte und warteten darauf, das nächste Gewitter losprasseln zu lassen. Oder wenn sie doch dort waren, dann blieben sie für mich unsichtbar, denn alles, was ich sah, waren die Gipfel der Wolken und sonst nichts. Der Djinn hockte still da, Arme und Beine gekreuzt, und wollte nicht mit mir reden. Nach einiger Zeit wurden die Wolken dünn wie ein Tüllschleier und hüllten uns kurze Zeit in ihr Gefieder, bevor unser Gefährt sie durchschnitt. Ich sah, daß wir uns zwischen den verhangenen Gipfeln riesiger Berge befanden. Von dort senkten wir uns zu einem Vorgebirge hinab, von dem zwei Flüsse zu Tal strömten. Zwischen ihnen lag eine gewaltige Stadt – rund gebaut, mit muschelförmigen Kuppeln verziert und stachlig von Türmen; glänzend wie blasser Bernstein im Licht des sichelförmigen Mondes, der gerade darüber aufging.
»Kharristan«, sagte der Djinn und verharrte kurze Zeit schwebend, um sich am Anblick meiner Verblüffung über das, was seine Kultur hervorgebracht hatte, zu weiden.
Die Städte, die ich bisher gesehen hatte, waren die ummauerten Stadtsiedlungen, die wir von Zeit zu Zeit aufsuchten, um unsere Felle, Hornknöpfe, Webereien und Garne gegen Messer, Nadeln, bestimmte Nahrungsmittel und gelegentlich gegen Farben, die wir nicht hatten, einzutauschen. Ein- oder zweimal hatte ich meinen Vater begleitet, um an den Hintertüren feiner Häuser mit den Dienern der Mächtigen zu handeln; dabei hatte ich vielleicht eine schöne Rolle Seidenstoff gesehen, eine Porzellanschale, mit Figuren bemalt, oder eine tragbare, aus Marmor gemeißelte Göttin. Aber das meiste von dem, was ich dort erblickt hatte, waren rohe Haufen aus Stroh und Lehm oder gemörtelten Steinen, umgeben von Mauern aus dem gleichen Material – übelriechende, ekelhafte Fallen für die Milchgesichter aus den Städten, die in ihrem eigenen Dreck hausten – wie mein Vater es gern beschrieb. Nichts davon war wie dieses Gebirge aus Mauern im Mondlicht, diese goldenen Türme und wogenden Kuppeln, deren im tiefen Schatten liegende, anmutig geschwungene Fenster und Türen die Stadt luftig und leicht aussehen ließen wie eine Schneeflocke.
Verwirrt vom Mondlicht und der Anstrengung der ungewöhnlichen Ereignisse dieses Tages achtete ich gar nicht auf den anderen prunkvollen Palast Kharristans, denn die ganze Stadt kam mir vor wie ein einziges, gewaltiges und herrliches Bauwerk. Schließlich fand der Djinn, ich hätte genug Zeit gehabt, mich beeindrucken zu lassen, und wir flogen zu Aman Akbars Wohnsitz. Ich erkannte gar nicht, daß es ein Wohnsitz war. Ich dachte, wir wären mitten in der Stadt auf einer freien Wiese gelandet, denn Blumen blühten, es gab Bäume und ein Tier, das inmitten eines rechteckigen Beckens stand und Wasser verspritzte. Das Wetter war nicht mehr winterlich wie zu Hause. Der Wind, der meine Wangen umfächelte, als wir landeten, war warm wie menschlicher Atem. Mein Wollgewand begann von neuem, mir Hautjucken zu verursachen.
Aster, von der ich später noch erzählen werde, hätte jetzt Wert darauf gelegt, genau zu beschreiben, welche Art Blumen dort blühte, und wie viele es waren, und sie würde auch darauf hinweisen, daß die Bäume anders aussahen, als ich es gewöhnt war. Sie würde noch viele andere Dinge erwähnen, die nebensächlich wären und wahrscheinlich insgesamt auch nicht völlig der Wahrheit entsprechen würden. Was aber wirklich wichtig war: neben dem Teich stand Aman Akbar und wartete auf mich.
Im innersten Herzen der Frauen aller Zeiten gibt es den Traum von Aman Akbar oder jemandem wie ihm.
Nicht daß ich mir davor einen Mann ausgemalt hätte, der aussah wie er – ich hatte noch nie einen Mann gesehen, der zugleich so dunkel und doch so strahlend schön war. Aber ein Mann, dessen Berührung so weich ist wie ein Pferdemaul, dessen Atem süß ist wie Klee und nicht säuerlich von den Resten der letzten Mahlzeit, ein Mann, der nach sauber gewaschener Kleidung riecht und in dessen Haar sich jedes Licht weit und breit widerspiegelt – ach! ach! ach! Er war so viel hübscher als ich, daß ich vor lauter Starren kaum ein Wort herausbrachte. Als er nach meiner Hand griff, versteckte ich beide Hände in den Falten meines Rockes und schämte mich wegen des Staubs, der tief in den Runzeln meiner Knöchel lag, und wegen der Narben so vieler Brombeeren und so vieler Kämpfe, die sich in blassen Mustern auf meinem Handrücken und bis hinauf zu den Handgelenken und Armen kreuzten. Seine Hände waren wohlgeformt, mit langen Fingern, die Haut war honigfarben, weich und glatt, obwohl ich die Rauheit von Schwielen spürte, als es ihm gelang, mein unwilliges Handgelenk zu fassen.
Nicht daß sein ganzer Charme in Schönheit und Gepflegtsein bestanden hätte. Meiner Erfahrung nach verdankt ein Mann seine Reinlichkeit weit häufiger der Frau, die seine Kleider scheuert und das Wasser für seine Waschungen heranschleppt. Aber darüber hinaus umgab Aman Akbar ein Hauch staunender Verwunderung – über seine Umgebung, über den Djinn (hier freilich mit dem Hochmut vermischt, der dem Herrn eines solchen Hauses anstand), über das Leben und – das war das Seltsamste – über mich.
Seine Augen waren schwärzer als Schlehen, aber groß und warm. Sein Lächeln war zugleich sanfter und zärtlicher als das meiner Mutter und verständnisvoller und beschützender als das meines Vaters. Nicht daß einer meiner Eltern je gelächelt hätte. Unsere Leute sind meist keine großen Lächler. Aber sein Lächeln war noch viel schöner, als ihres gewesen wäre, hätten sie je davon Gebrauch gemacht. Ich spürte, daß hier ein Mann stand, der mich niemals verprügeln würde, weil ich ein Schaf verloren oder einen Wasserkrug zerbrochen hätte, denn ich würde ihm kostbarer sein als alles andere. Wie sich von selbst versteht, gefiel er mir auf den ersten Blick.
Er redete mich mit leiser, sanfter Stimme an. Ich verstand seinen Namen und meinen, obwohl er den Namen »Rasa« in so melodischem Tonfall aussprach, daß es völlig anders klang, als wenn ich ihn sonst über die Steppe gebrüllt oder an den Kochfeuern geschrien hörte. So wie Aman es sagte, hätte es »erste Blüte des Frühlings« oder »Antlitz des neuen Mondes« bedeuten können, anstatt, wie in Wirklichkeit, »Wildgras« oder auch »Unkraut«. Abgesehen von den Namen begriff ich jedoch kein Wort von dem, was er sagte. Trotzdem nickte ich hoffnungsvoll. Er blinzelte, lächelte mitfühlend und gab dem Djinn einen Befehl.
Dieser rollte die Augen und verbeugte sich mit allen Anzeichen des Widerwillens, wobei er murmelte: »Wo aber bleibt der Nutzen ausländischer Gattinnen, wenn man ihnen das Reden beibringt? Ist nicht die Haupttugend solcher Frauen ihre Unfähigkeit zu schelten oder zu klatschen?«
»Die Herrin Rasa soll das Herz meines Herzen sein, das Licht meiner Seele, o Ifrit. Wie aber soll ich ihr Vertrauen gewinnen, wenn sie keines meiner Worte verstehen kann? Ich muß ja auch nicht nur ihre Liebe erringen, sondern sie auch mit ihrer neuen Umgebung und mit dem einzigen wahren Gott und seinem Wort bekanntmachen.«
»Es ist geschehen. Jedes Wort, das aus deinem Munde fließt, hat sie verstanden. Trotzdem kann ich immer noch dafür sorgen, daß sie zwar alles begreift, was du sagst, aber nicht selber reden kann«, bemerkte der Djinn hoffnungsvoll. Aman warf ihm einen strengen Blick zu. Der Djinn zuckte die Achseln, löste sich übergangslos in Rauch auf und wehte von dannen.
»Wohin ist er gegangen?« fragte ich, zum einen, um zu erfahren, ob der Dämon getan hatte, was man ihm befohlen hatte, zum anderen, weil es mich interessierte. In der Tat hatte er gehorcht. Aman streichelte erfreut meine Hand mit seinem Daumen und antwortete: »Zurück in seine Flasche, Geliebte, um dort zu warten, bis ich ihn wieder herbeirufe.«
»So bist du ein großer Zauberer, daß dir ein solcher Dämon gehorcht?«
Daran hätte ich vorher denken sollen. Der Handel, den ich eingegangen war, hatte schon sehr viel weniger für sich, wenn mein Mann mich das erste Mal, wenn ich ihn erzürnte, sofort mit einem Feuerstrahl töten konnte oder sich zur Schlafenszeit aus seiner jetzigen, männlichen Gestalt in irgend etwas Abscheuliches verwandelte. Es war üblich, daß eine Yahtzenifrau nach der Heirat ein paar Zähne verlor; aber ich hatte mir ausgerechnet, daß ich – immerhin ein großes und kräftiges Mädchen – mit den Männern unseres Stammes, aber auch denen der Feinde, durchaus fertigzuwerden imstande war. Hatte ich mir ahnungslos einen zu starken Gegner ausgesucht?
»Nicht mehr als jeder andere Mann von ungewöhnlichem Verstand und Mut«, meinte er, warf sich in die Brust und machte ein paar bedeutende Handbewegungen, um mir dann einen schnellen Seitenblick zuzuwerfen, um nachzuschauen, ob ich auch genügend beeindruckt war. Ich war schlicht und einfach verwirrt und muß auch so ausgesehen haben, denn er entspannte sich, grinste und streichelte meinen Arm.
»Was ich sagen will, Rasa, mein Liebling, ist, daß es von beidem eine ganze Menge brauchte, um die Dienste des Djinns zu erringen – und beträchtliches Glück. Obwohl natürlich alles durch das Beobachten der Leute zustandekam. Mir war aufgefallen, daß ein gewisser, schwerreicher Mann offenbar irgendetwas suchte; und ich dachte mir, daß das, was er suchte, offenbar sehr wertvoll sein müßte, denn warum sollte er sich sonst soviel Mühe geben. Mit ein paar geschickten Schachzügen fand ich das Ding schneller als seine Beauftragten. Es entpuppte sich als eine alte Flasche.« Er lächelte, und seine Zähne blitzten wie die Kante des Mondes. »Kein Kharristani, der seine fünf Sinne beisammen hat, würde so einen Schatz liegenlassen. In manchen alten Flaschen ist gar nichts, in anderen alter Wein, aber viele – und das sind die wichtigen, die, von denen wir alle schon als kleine Kinder hören – enthalten Gefangene, die zum Geschlecht der Djinni gehören. Sie müssen dem, der die Flasche besitzt, drei Wünsche gewähren.«
»Warum?«
Er breitete die Arme aus und hob die Brauen, eine elegantere Geste als ein Achselzucken. »So steht es geschrieben. Manche sagen, die Flasche enthalte nicht nur die Gestalt des Djinns, sondern auch seine Seele, und um diese vor Schaden zu bewahren, verrichte der Djinn seine magischen Dienste.«
Die ganze Sache klang mir nicht recht sauber, aber ich wollte so früh in unserer Beziehung um keinen Preis mit Kritik anfangen. Immerhin konnte man verstehen, warum der Djinn nicht unbedingt ein vergnügter oder besonders eifriger Diener war.
Aman Akbar führte mich nun in den Palast, und beileibe nicht durch den Hintereingang, sondern durch offene, von gewölbten Decken überdachte Laubengänge, die auf weißen Säulen ruhten, in die herabhängende Weinreben eingemeißelt waren. Die laue Nachtluft war durchtränkt vom süß-würzigen Duft von Blumen, die ich nie zuvor erblickt hatte, und das schimmernde Mondlicht ließ unsere Schatten vor uns hertanzen. Innen entzündete sich von selbst eine Lampe und verbeugte sich vor uns, bevor sie uns weiter hinein führte. Ich riß Mund und Nase auf.
Aman Akbar sah so zufrieden aus wie ein Sechsjähriger, der zum ersten Mal mit seiner Schleuder etwas getroffen hat: »Du wirst bemerken, daß ich, als ich diesen Palast befahl, ihn mit der allerneuesten magischen, arbeitssparenden Ausstattung bestellt habe. Es gibt nirgends Dienerschaft. Ich brauche nur über die Schwelle zu schreiten, und jeder Wunsch wird mir durch Zauber erfüllt.«
Er legte die Hand in meinen Nacken und drehte mich hierhin und dorthin. Zuerst mußte ich die Federfächer bewundern, an deren Spitzen Augen saßen. Wenn wir in ihre Nähe kamen, begannen sie sofort, sich auf und ab zu bewegen. Bücher klappten einladend ihre Seiten auf. Im Baderaum zischte Dampf aus den Wänden und Wasserstrahlen sprangen in die Höhe, als wir an ihnen vorbeigingen, als wollten sie uns fangen.
Hier meinte Aman Akbar: »Vielleicht möchtest du dich nach der langen Reise ein wenig erfrischen, mein Liebes.«
»Hier drin?« fragte ich, denn ich bin weniger angriffslustiges Wasser gewöhnt, außer natürlich zur Überschwemmungszeit.
»Es ist schließlich das Badezimmer«, entgegnete er, was einleuchtend war, und wischte mir einen Finger voll Schweiß von der Stirn. Das beschämte mich zutiefst. Aman Akbar schwitzte nicht, und ich war überzeugt, daß hierzulande nie jemand so etwas tat. Er lächelte wieder sein sanftes, tröstendes Lächeln und schob mich auf die Wasserfinger zu, die sogleich nach mir schnappten. »Geh nur. Du wirst vom …«, und hier machte er eine bedeutungsvolle Pause, die ahnen ließ, daß er jetzt nicht alles sagte, was er wirklich meinte, »… Abendessen viel mehr haben, sobald du erst gebadet hast.«
Ganz bestimmt. Im Kampf gegen soviel Wasser würde ich auf alle Fälle einen heftigen Appetit bekommen. Einerseits war ich in Versuchung, das schnellste Bad aller Zeiten zu nehmen; andererseits verspürte ich – wenn ich nämlich an die Pause dachte, die dem Wort »Abendessen« vorangegangen war – den Wunsch, mich recht lange dabei aufzuhalten, einmal, um alles so gründlich zu erledigen, daß ich mich nachher vor meinem eleganten neuen Herrn nicht zu genieren brauchte, und zum andern, um die verfluchte Angelegenheit, die dann wohl folgen würde, so weit wie möglich hinauszuschieben.
Aber ich gab mir Mühe, das Meinige zu tun. Wirklich. Nach und nach hatte ich begonnen, die Meinung des Djinns zu teilen, daß es nämlich eine außergewöhnliche Ehre bedeutete, von Aman auserwählt zu werden; und ich wünschte um keinen Preis, dadurch auf diese Auszeichnung zu reagieren, daß ich gleich seinem ersten Wunsch nicht nachkam. Also zog ich mich aus und legte meine Kleider zusammen, der Tür so nahe und dem Wasser so fern wie nur irgend möglich.
Es mag sein, daß die Bäder von Kharristan in der ganzen Welt berühmt sind, aber in meinem von der Reise verwirrten Zustand wurde ich einfach nicht mit ihnen fertig. Kaum hatte ich die am harmlosesten aussehende Apparatur betreten, ein täuschend stilles Wasserbecken, als sich das Gewässer auch schon in einen Strudel verwandelte und der auf dem Grund hausende Dämon mich hinabzuziehen versuchte. Beim eiligen Hinausklettern trug ich eine nicht unansehnliche Prellung davon und stand dann keuchend da und schaute über den Rand. Vielleicht war das eine Mutprobe, die Aman von mir forderte – mich diesen Wasserdämonen zu stellen? Ich hatte zwar von einem derartigen Brauch noch nichts gehört, aber andere Länder, andere Sitten. Es hatte auch noch nie jemand aus meiner Bekanntschaft fußlose Dämonen auf fliegenden Teppichen auf Brautschau geschickt.
Das Betreten der Bäder als Probe dieser Art war keine sonderlich verlockende Aussicht, wenn man nicht wußte, wie sie funktionierten und den Dolch nicht gebrauchen konnte. Daß ich nackt war, half auch nicht weiter. Ich entschied, daß mir nur eines übrigblieb: mich ihnen zu unterwerfen wie Göttern und das Beste zu hoffen. So nämlich handeln, wie man mir oft erklärt hat, die wahrhaft Tapferen, wenn die Schlacht verloren, ihr Anführer erschlagen und der Feind so zahlreich ist wie Wassertropfen im Meer – von meinem augenblicklichen Standpunkt aus ein eher unglücklicher Vergleich.
Ich marschierte also tapfer voran und erduldete den erstickenden Dampf und die Nadelstiche der Wasserstrahlen. Als weiter nichts Gräßliches passierte, drehte ich mich sogar um, damit sie sämtliche Stellen meines Körpers erreichen konnten. So konnten sie sehen, daß sie mir das Schlimmste antun durften, ohne daß ich verzagte. Entmutigt löste der Dampf sich auf, und nach einer Weile tröpfelten die Wasserstrahlen nur noch und versiegten dann. Statt dessen schickten sie einen Schwarm grober Schwämme gegen mich, die durch die Luft sausten und mich von allen Seiten attackierten, mir das Fell schabten und polierten, alte Wunden neu schmerzen ließen und mir die Krusten von Knien und Ellbogen kratzten. Heißes Wasser folgte, das ich jedoch stoisch ertrug. Nur das kalte Wasser hätte mich fast aufkreischen lassen. Danach umzingelten mich dicke Handtücher, die mich schier erstickten und sich unter meine Füße und an intime Stellen drängelten, ein obszöner Versuch, mich zu entmutigen. Diesem Vorgang folgte ein Angriff von Öl- und Parfümflaschen, die ihren Inhalt über mich ausgossen und auf meiner Haut verteilten, bis ich in dem Zeug schwamm wie in einer Marinade.
Und dann – unglaublich! – hörte der ganze Spuk einfach auf. Das Wasserbecken glättete sich, und ein Deckel schob sich darüber. Die Handtücher zogen sich in eine Nische zurück, in die auch das Licht einer Lampe mich einlud, das auf die weichen, blauen Falten eines leichten Gewandes schien, als Ersatz für mein eigenes, das auf einem Silberhaken hing und trocknete. Es war ein hübsches Kleid und kühler als meines, darum zog ich es an und folgte dann der Lampe und meiner Nase. Ich konnte bereits den Duft gebratenen Fleischs und andere, unvertraute Gerüche spüren, die trotz ihrer Fremdartigkeit recht deutliche Bilder von dampfenden Schüsseln, in deren Mitte Aman Akbar saß, in mir heraufbeschworen.
»Du hast den Gürtel vergessen«, empfing er mich und schmollte vor Enttäuschung wie ein Kind. »Das Kleid sieht ja aus wie ein Zelt!«
Ganz schön mies, so etwas zu jemandem zu sagen, der es um seinetwillen gerade erst mit den Wasserdämonen aufgenommen hatte und ihnen nur knapp entkommen war. Ich hatte gar keinen Gürtel für das Kleid gesehen – das leider wirklich an ein irgendwie durchsichtiges Zelt erinnerte –, und selbst wenn, hätte ich mich wahrscheinlich nicht noch erst damit aufgehalten, mich so aufzutakeln. Schließlich hatte ich es eilig, da herauszukommen. Ich hockte mich auf die Fersen, damit ich ihn nicht überragte und auch, damit er mich zum Essen auffordern konnte.
Er klopfte auf ein Kissen neben sich und pickte als weiteren Anreiz ein zart aussehendes Stückchen aus der nächsten Schüssel, das er mir entgegenstreckte, wobei er direkt unter meiner Nase herumwedelte. Ich lehnte mich ins Kissen zurück und wollte das Fleisch packen, aber er zog es wieder zurück und bestand mit eifrigem, amüsiertem Blick darauf, daß ich den Mund aufsperrte, um es entgegenzunehmen. Ich spürte, daß ich vor Verlegenheit errötete. In unserm Volk füttert man nur kleine Kinder so, oder Kranke. Aber zweifellos war das wieder einer von den abseitigen Bräuchen meines Gatten. Darum schloß ich die Augen, öffnete den Mund und bekam nun das Fleisch, das so köstlich war, daß ich es fast ohne zu kauen verschlang. Danach nickte er in Richtung Schüssel und deutete auf seinen Mund, woraus ich entnahm, daß ich jetzt ihn füttern sollte. Ich wünschte mir von Herzen, er hätte nicht plötzlich die Sprache verloren und sich dafür dieses gezierte, dünkelhafte Lächeln angewöhnt, aber ich ging davon aus, daß das ebenfalls der Sitte entsprach und bemühte mich um Geduld. Also fütterten wir einander, bis der Inhalt der silbernen Schüssel merklich abnahm, mit Kumqats und Reis, Pistazien und Lamm, in Honig getränkten Orangen und Fruchtgetränken, die er »Sorbets« nannte.
Als wir beim Traubenschälen angekommen waren, einer klebrigen Prozedur, die vom Hammelfett schmierige Finger nicht sonderlich erleichterten, war aus dem Schweigen längst häufiges Gekicher geworden. Als mir die letzte Weinbeere aus der Schale schoß und von Amans Nase abprallte, ging es mir viel besser als am ganzen Rest des Tages.
Nachdem sich das Gekicher bis auf einen gelegentlichen Ausbruch beruhigt hatte, schnippte er zweimal mit den Fingern, und kleine Schalen mit parfümiertem Wasser erschienen. Damit wuschen wir uns das Hammelfett ab, und die Schüsselchen verneigten sich und verschwanden. Gleichzeitig setzte ein unterdrückter Lärm von wiehernden Hörnern, verstimmten Saiteninstrumenten und pochenden Trommeln ein, die das unordentlichste Musikstück vor sich hinprügelten, das ich je gehört habe. Allerdings war es zweifellos recht suggestiv, und ich brauchte Aman Akbar nur in die Augen zu sehen, um zu wissen, in welche Richtung diese Suggestion ging.
Er nahm mich wieder bei der Hand und sagte: »Ich weiß eine Art der Unterhaltung, Liebste, für die wir keinen andern Zauber brauchen als unsern eigenen.«
Aus dieser Rede erkannte ich, daß er mit mir vorhatte, was Männer mit ihren Gattinnen und Sklavinnen zu tun pflegten. Und da ich wußte, daß ich mich zu einem guten Preis verkauft hatte, fand ich mich damit ab, nun auch meinen Teil des Vertrags zu erfüllen.
Jedes Yahtzeni-Kind weiß, was in der Ehe geschieht – niemand, der mit sechs bis zwanzig anderen Leuten in einem Zelt lebt, kann es vermeiden, diese Dinge zu registrieren – auch wenn die Beteiligten zumeist versuchen, ihr Tun hinter Vorhängen und Decken zu verbergen. Nur sind diese Versuche oft genug erfolglos, so daß ich jetzt die Paarungshaltung einnehmen konnte, die ich gelernt hatte, indem ich meiner Mutter dabei zuschaute; wie alle meines Volkes wußte sie von der Liebe, was es zu wissen gab – nämlich alles, das einem Schafe beibringen können.
Einen Augenblick lang machte Aman Akbar keine Bewegung in meine Richtung, und ich krümmte mich innerlich und überlegte, ob unsere so unterschiedlichen Sitten nicht zu einem weiteren, peinlichen Mißverständnis geführt hatten. Vielleicht mußte ich ihm auch erst einmal ein paar Schafe vorführen? Dann aber versetzte er mir einen scherzhaften Klaps auf die Hinterbacke. Ich drehte mich um und betrachtete mein Hinterteil, um den Grund seines Zögerns festzustellen; und er lächelte mich an, nahm mich bei den Schultern und schloß mich von neuem in die Arme. Dann lehrte er mich viele Dinge, die Schafe nicht kennen, weil ihre Körper ihnen die Vergnügungen, denen sich die unseren jetzt voller Freude hingaben, gar nicht gestatten würden.
Danach fiel ich in einen tiefen und traumlosen Schlaf. Traumlos jedenfalls, bis das Klagegeheul anfing, sanfter zwar als das Heulen von Wölfen, aber lauter als der Wind. Ich konnte nicht sagen, ob es geträumtes oder wirkliches Geheul war, aber auf alle Fälle war es lästig. Meine Mutter hält sowieso das, was man träumt, immer für wichtiger als die Wirklichkeit und schreibt den Träumen alle möglichen Vorzeichen und Omen zu. Ich wurde soweit wach, daß ich merkte, wie Aman Akbar stöhnte und sich umdrehte, wobei er mir den Arm über die Schultern warf.
Von allem, was mir widerfahren war, seit ich dem Djinn begegnete – der Reise, dem Palast, den Wasserdämonen, der Mahlzeit mit den merkwürdig schmeckenden Speisen – schien nur dieser Mann der Wirklichkeit anzugehören. Das spürte ich nicht nur an der fast unbehaglichen Wärme seines wohlgenährten Fleischs an meinem eigenen, sondern auch am Schweiß, der jetzt auch seine Haut feuchtete, und an den Schwielen, die seine wohlgeformten Füße und Hände rauh machten. So bedeuteten auch die Dinge, mit denen er mich zu beeindrucken suchte – der Palast, der Djinn, seine blumenreichen Reden, die Prahlerei mit dem »ungewöhnlichen Verstand und Mut«, sein Talent im Bett – mir viel weniger als seine ganze Art. Er, der schöne, reiche Gebieter all dieser Pracht wünschte vor allem, mir mit diesen Dingen zu gefallen, wollte unbedingt, daß ich – eine Fremde, eine Ausländerin, von Bedeutung eigentlich hauptsächlich für meine Feinde – ihn gern hatte. Ich erkannte, daß ich ihn mochte, wenn auch vielleicht nur deshalb, weil er nicht davon überzeugt war. Ein Yahtzeni, der Eindruck auf eine Frau machen wollte, hätte mit der einen Hand ein Pferd, mit der anderen die Betreffende gepackt und wäre gar nicht auf die Idee gekommen, nach ihrer Ansicht über die Sache zu fragen.
Aman fing an zu schnarchen. Nach und nach verstummte das Geheul. Ich beruhigte mich mit der vagen Erklärung, daß es ja nur natürlich war, wenn in einem von Dämonen erbauten Palast Geister spukten.
Ein ganz anderes Heulen weckte mich am nächsten Morgen. Dieses Geräusch bestand aus einem an- und abschwellenden, sich wiederholenden Singsang und schien aus dem Gitterfenster in der Mauer zu dringen, das von unserer Matratze – deren alleinige Bewohnerin ich inzwischen war – am weitesten entfernt lag. Ich stand auf und zog das blaue Kleid über meinen Körper, der von den Anstrengungen der Nacht noch klebrig und von der ersten, frühen Morgenhitze bereits schweißfeucht war. Die Straßen unter mir waren still, und die wenigen Leute, die man drüben in der Stadt sehen konnte, schienen auf ihren Teppichen ein Nickerchen zu machen. Mehrere Straßen weiter brachte ihnen der Sänger, von dem das eintönige Gedudel herrührte, vom Turm aus ein Ständchen. Mit Hilfe meines gerade erst erworbenen Verständnisses der hiesigen Sprache konnte ich sogar ein paar Worte ausmachen. Ich hörte dieselben Laute viermal an diesem Tag und lernte später, daß der Gesang den Ruf zum Gebet bedeutete.
Was ich von der jetzt ihres Mondesglanzes beraubten Stadt erkennen konnte, sah im harten Gleißen des Sonnenlichts schon eher nach den Städten aus, die ich gewöhnt war. Die Bernsteinfarbe hatte sie von den gebleichten Lehmziegeln, aus denen die Mauern bestanden, und sie waren vielfach beschmiert, abgeplatzt und verdreckt. Aber nicht nur das. Bei der großen Hitze stank alles zum Himmel, und obwohl die Leute noch schliefen, waren die Fliegen doch längst wach. Trotzdem gefielen mir die bunten Farbflecke und die lebhaften Streifenmuster, die auf den Decken und Wollsträngen auftauchten, die in der Sonne trockneten, auf Teppichen und Sonnenschutzdächern vor Läden. Vielleicht würde mir Aman Akbar erlauben, ein wenig solche Wolle zu kaufen, um einen Mantel für ihn zu weben – wir Yahtzeni verwenden meistens Pflanzenfarben, und bei den leuchtenden Scharlach- und Indigotönen juckte es mich in den Fingern, damit zu weben. Am besten, wenn mir hier alles gefiel. Nachdem ich ja nun eine richtige Ehefrau war, würde ich bestimmt viel mit solchen Dingen zu tun haben.
Das Licht, das durchs Fenster hereinsickerte, fand auf unserem Lager einen glitzernden Spiegel. Ein schmales Armband, ganz aus Gold, dort, wo Aman gelegen hatte. Ein weiteres Hochzeitsgeschenk. Bei all meiner Ahnungslosigkeit konnte ich doch nicht ganz versagt haben, denn sonst hätte er mich sicher nicht so belohnt? Ich ließ das Armband über mein Gelenk gleiten, nahm es dann aber wieder ab und legte es aufs Kissen. Ich hatte ein Bad nötiger als Schmuck. Der Schreckenskammer von gestern abend wollte ich mich allerdings nicht aussetzen. Der seltsame, symmetrische Teich auf der Lichtung, bei dem ich Aman zuerst gesehen hatte, war mir sympathischer. Wenn ich ihn wiederfinden konnte, würde ich dort baden. Unterwegs würde ich den Wasserdämonen kühn entgegentreten, zumindest bis ich meine eigenen Kleidungsstücke geholt und vielleicht auch den Gürtel gefunden hätte, der an dem blauen Gewand fehlte.
Offenbar hatte ich die Wasserdämonen am Abend zuvor ordentlich eingeschüchtert, denn heute zeigte sich keine Spur von ihnen. Da war nur das zugedeckte Becken und das Zimmer selbst; auf dem Silberhaken hing noch mein Gewand, darunter das Gürteltuch, das zu dem blauen Kleid gehörte; daneben in einem Regal lag ein weißes Kleid, ebenso leicht, aber aus feinerem, glänzenderem Stoff. Auch die Fächer an der Tür verhielten sich still, was mich weniger freute, denn der Morgen war längst nicht mehr nur warm, sondern inzwischen schier unerträglich heiß. Auch von den Büchern begrüßte mich keines, und ich begann mich zu fragen, ob wenigstens der Teich noch dort sein würde. Zum Glück gab es ihn noch, auch wenn das Tier in der Mitte kein Wasser mehr verspritzte. Doch verbreiteten die Blumen und Bäume nach wie vor ihr Parfüm und ihren köstlichen Schatten, der gut die Hälfte des Ortes schützte. Ich wusch mich gründlich, zog das weiße Kleid statt meines dicken Hausgewebten an und schaute mich um.
Ein angenehmer Frühstücksplatz, dachte ich bei mir. Aber obwohl gewisse, aufreizend würzige Düfte von den gekachelten Giebeln des übrigen Palastes aufstiegen, erschien als Antwort auf meine Wünsche mitnichten etwas Eßbares. Ich versuchte es mit Wünschen ohne Worte, mit laut gesprochenen Wünschen und zuletzt mit kräftigen Verwünschungen, nachdem ich begriff, daß es nur Amans Wünsche waren, die Essen und auch all die anderen, heute morgen nicht vorhandenen Annehmlichkeiten des Palastes herbeischafften. Offensichtlich hatte er doch nicht an alles gedacht – aber natürlich hatte er ja auch bisher allein gelebt und war nicht gewöhnt, darauf Rücksicht zu nehmen, was eine zweite Person in seiner Abwesenheit anfangen sollte. Es war auch nicht so schlimm, denn die Reste des Festmahls von gestern abend lagen ja noch in unserem Hochzeitsgemach herum. Ich ging dorthin zurück, sammelte alles Eßbare auf und trug es hinaus zum Springbrunnen. Den ganzen Tag – und den nächsten – sah ich von Aman Akbar keinen Schimmer, und in der Nacht dazwischen auch nicht.
Als Kriegerin verfügte ich über durchaus gute Nerven. Als Ehefrau waren dieselben Nerven mittags um zwölf bereits ruiniert. War er fortgegangen, um die Schafe zu hüten? Oder in die Stadt? Nachts schlief ich nur wenig, marschierte im Zimmer auf und ab, lief in Abständen in den Garten, um zu sehen, ob er vielleicht gerade ankam, und lauschte, ob unten auf der Straße nicht seine Stimme zu hören wäre, wobei ich nicht einmal sicher war, ob ich sie auch erkennen würde.
Im Zimmer war es erstickend heiß. Ich schob das Armband – den Ring, den mein Herr mir gegeben hatte – mißmutig am Arm auf und ab und versuchte, zu einem Entschluß zu kommen, was ich tun sollte. Ein so reicher Mann würde doch gewiß nicht selber seine Herden hüten oder auf die Jagd gehen? Und wenn ihn Geschäfte aufhielten, warum schickte er keine Nachricht? Und wieso nahm er mich nicht mit? Ich hätte so gern die Stadt kennengelernt, auch wenn sie mir zu heiß war.
Als er am folgenden Tag immer noch nicht kam, erwog ich, in der Stadt nach ihm zu suchen, denn langsam bekam ich Angst um ihn. Mein Vater hatte immer gesagt, daß in den Straßen der Städte Diebe und Mörder umherschlichen, Männer, übler als die Vettern meiner Mutter. Wenn mein neuer Gatte nun mit so einem Kerl zusammengestoßen war? Was sollte dann aus mir werden? Ich kannte in diesem fremden Land keine Seele außer ihm und dem Djinn, und der letztere würde ohne seinen Gebieter kaum eine große Hilfe sein.
Aber als der Tag verging und ich wiederum erwartete, ihn plötzlich am Teich oder auf der Straße vor meinem Fenster stehen zu sehen, sagte ich mir, daß die Stadt mir zwar bedrohlich vorkäme, schließlich aber doch seine Heimat wäre. Er hatte hier jahrelang ohne meinen Schutz gelebt und würde mir höchstwahrscheinlich alles andere als danken, wenn ich ihn störte, während er mit anderen Männern trank, spielte, Geschäfte machte oder was immer ihn sonst abhalten mochte, nach Hause zu kommen. Dieses sein Fernbleiben war nicht gerade ein Hinweis auf die heitere Zukunft, die vor uns lag, wenn auch das, was er bisher für mich getan hatte, vorbildlich genannt werden konnte. Dennoch nahm ich mir fest vor, wenn er auch das Abendessen versäumte (das ich leider auch versäumen mußte, denn die Reste der vorvorgestrigen Abendmahlzeit waren jetzt kaum mehr als Kerne, Samen und von Fliegen umschwärmte Abfälle), dann würde ich ihn suchen gehen, ihn und etwas Eßbares.
Ich war gerade im Begriff, diesen Entschluß auszuführen und hatte bereits mein heimatliches Gewand wieder angezogen und ein Messer, das ich in dem Zimmer mit den Büchern gefunden hatte, in den Gürtel gesteckt, als ich plötzlich merkte, daß die Seiten sich umzublättern begannen und die Lampen angingen – und tatsächlich – den Korridor entlang wedelten die Fächer mit den Augen auf ihren Spitzen zur Begrüßung, als Aman Akbar durch die Bogen und Säulen draußen hereintrat. Er war schöner denn je, in einen grünen Mantel gekleidet, der am Saum und an den Aufschlägen dick mit Blau, Scharlachrot und Gold bestickt war. Darunter bauschten sich weite blaue Hosen. An den Füßen trug er Pantoffeln mit aufgebogenen Spitzen in goldgesticktem Purpurrot. Sie paßten zu der Binde, die in unzähligen Windungen sein Haupt umschlang. Diese Binde, die man Turban nennt, war mit einer Agraffe verziert, die aus blauen, in Gold gefaßten Juwelen in Gestalt einer Blume bestand, und aus der drei weiße Federn sproßten, so daß Aman Akbar groß und stattlich aussah. In seinem Gesicht stand das zärtliche Lächeln, das mir freilich etwas müde vorkam, und in der Hand trug er ein in Seide gewickeltes Päckchen.
»Mein Gebieter!« rief ich aus, rannte auf ihn zu und hielt dann inne, unsicher, ob ich ihm nun den Mantel abnehmen, ihn umarmen oder ihm sonstwie meine Ehrerbietung bezeugen sollte. Ich wußte zwar, was sich bei meinem Volk geziemte, aber ich kannte ja die Bräuche der Reichen und Mächtigen dieses Landes nicht, und vielleicht wäre sogar mein nachgiebiger Gatte gekränkt, wenn ich mich ungebührlich benahm. Aber er befreite mich selbst aus dieser Zwickmühle.
»Geliebte«, seufzte er, breitete die Arme aus und umfing mich.
»Wo warst du?« fragte ich und erkannte aus dem harten Blick, mit dem er mich bedachte, daß meine völlig verständliche Frage hier nicht gestattet war. Ich versuchte mich aus der Affäre zu ziehen, indem ich fortfuhr: »Denn wenn du deine Herden hütest – ist es da nicht meine Pflicht, dich abzulösen oder dir mittags das Essen zu bringen – oder macht das der Dämon?«
Der harte Ausdruck schwand aus seinem Antlitz und die braunen Augen schmolzen vor Mitgefühl. »Aber mein Liebling, du hast dich meinetwegen gegrämt! Das sollst du nicht. Meine Geschäfte rufen mich oft unerwartet ab, aber auch wenn ich nicht an deiner Seite weile, bin ich gut versorgt. Sieh nur, ich habe dir ein Geschenk mitgebracht.«
Er streckte mir das gelbe Seidenpäckchen entgegen. Ich löste den Knoten, und ein Medaillon aus Gold, an dem einer der blaugrünen Steine hing, fiel mir in die Hand. Aman legte es mir zärtlich um den Hals und sagte: »Ach, wie herrlich es dir steht. Und ich sehe, daß du auch das Armband gefunden hast. Freust du dich?«
»O ja, und ich danke dir, aber …«
»Und was möchtest du heute abend speisen? Ich dachte an in Honig und Mandeln geröstete Wachteln und vielleicht einen Granatapfelsorbet, dazu Reis mit Datteln.«
Und so verging diese Nacht so vergnüglich wie die erste, nur mit dem Unterschied, daß Aman, vom Abendessen gestärkt, redselig wurde und anfing, mir mehr über die Stadt und die Leute darin zu erzählen. Manches von dem, was er berichtete, war recht unterhaltsam, über andere Dinge wollte er wohl auch nur einmal sein Herz ausschütten, denn er war voller Zorn über die Verhältnisse, in denen die Armen der Stadt – Amans alte Freunde – leben mußten, weil der neue Emir sie dazu zwang. Die königliche Wache war zur Geißel des einfachen Volkes geworden und plünderte deren Behausungen nach Lust und Laune. Die Soldaten machten sich nichts daraus, Frauen zu entführen, fromme Gläubige zu überfallen oder die Schalen der Bettler auszurauben. Der Emir kümmerte sich nur insoweit um die Regierungsgeschäfte, als er sich mit ihrer Hilfe bereichern konnte und strebte statt dessen nur danach, magische Dinge anzuhäufen, dazu schöne Frauen – sogar wenn sie mit anderen verlobt waren; hier zeigte Aman ganz besondere Empörung – und Reichtümer, die das rechtmäßige Eigentum alter und angesehener Familien waren, die dem früheren König durch Generationen treu gedient hatten. Amans eigener Vater, so erklärte er mir, war ein Abenteurer im Dienste des Königs gewesen und hatte so einiges Vermögen und Ansehen errungen. Dieses bescheidene Erbe hinterließ er bei seinem Tode Aman, der es bekommen sollte, sobald er zum Manne herangereift war. Aber als der König dann Sindupur eroberte, hielt er es für erforderlich, die Hauptstadt in das noch immer unruhige Herz seines neuen Herrschaftsgebietes zu verlegen und die anderen großen Städte unter die Aufsicht mehrerer Statthalter zu stellen. Unter ihnen gab es einige von der Sorte des Emirs, die anscheinend ihren Posten nur deshalb erlangten, weil sie zu unzuverlässig oder zu unfähig waren, dem König innerhalb der neuen Grenzen, in denen der Aufruhr noch tobte, von Nutzen zu sein. Von diesen Statthaltern wurden solange die Steuern erhöht und das Eigentum der Bevölkerung beschlagnahmt, bis auch das Vermögen von Amans Vater gänzlich dahin war. Aman hatte, um sich fortzubringen, die allerniedrigsten Arbeiten verrichten müssen – bis er die Flasche entdeckte.
Ich fand diese Ausführungen höchst aufschlußreich, erinnerte mich jedoch an meinen Vater, der immer gesagt hatte, jeder Mensch, der nicht selber herrschte, hätte wahrscheinlich das Gefühl, daß sein Herr nicht immer gerecht handelte; so daß ich von Amans Bericht einiges abzog, weil ich dachte, das, worüber er sich so beschwerte, wäre vielleicht auch von dieser Art. Außerdem konnte ich meine eigenen Fragen nicht vergessen, die er trotz seiner vielen Worte noch nicht beantwortet hatte. Nicht daß diese Worte nicht mit anscheinend tiefster Aufrichtigkeit gesprochen worden wären. Aman Akbar war eindringlicher denn je und gab sich die größte Mühe, mir alles so darzustellen, daß ich es auch begriff und eine gute Meinung von ihm bekam, weil er sich durch all diese Widrigkeiten wieder nach oben gekämpft hatte. Und natürlich gelang ihm das auch, denn er war ungemein bezaubernd und in der Tat sehr überzeugend, und gewiß strengte es meine Ohren nicht an, seiner sanften und schmelzenden Stimme zu lauschen. Und trotzdem lag etwas allzu Glattes in der Art, wie er seine Geschichte erzählte, eine Andeutung von Ausweichen im schnellen Abwenden seines Blicks und im plötzlichen Wechsel des Themas immer dann, wenn mir eine Frage einfiel, die ich ihm stellen wollte. Ich fühlte mich ungefähr so, als wollte mir jemand ein Pferd verkaufen, das ich noch nie zu Gesicht bekommen hatte und nur aufgrund des Zeugnisses seines Eigentümers erwerben sollte.
Er hatte auf dem Rücken gelegen, Handbewegungen zur Zimmerdecke vollführt und gelegentlich eine Weinbeere in den Mund gesteckt; plötzlich aber drehte er sich zur Seite und betrachtete mich von ganz nahe. »Du bist so still, Rasa, mein Liebling«, meinte er.
»Ich könnte wohl kaum etwas zu deiner Beredsamkeit beitragen, o mein Herr«, antwortete ich. Die Worte kamen etwas schief heraus und klangen gar nicht so schmeichelhaft, wie ich es beabsichtigt hatte. Er stieß ein wenig vornehmes, brüllendes Gelächter aus und umarmte mich.
»Ich habe wirklich geredet wie ein Lehrer, nicht wahr? Aber es plaudert sich so angenehm mit dir, ganz wie ich es geahnt habe. Als ich dich zum ersten Mal erblickte – du sprangst gerade über euer Lagerfeuer, um den Schuft zu erschlagen, der eine deiner Gefährtinnen zu Boden geworfen hatte –, habe ich gleich zu dem Djinn gesagt: Das ist das richtige Mädchen für mich.«
»Und wann war das, o Herr?« fragte ich. »Warum sah ich dich nicht auch?«
»Weil ich nicht wirklich dort war, mein Herz. Wäre ich dortgewesen, glaubst du, ich hätte gezögert, vorwärtszustürmen und dir und deinem edlen Vater beizuspringen, um dadurch eure Achtung zu erwerben? Nein, der Djinn hat mich nicht wirklich an die Orte – äh – an den Ort gebracht, wo ich dich sah. Vielmehr warf er ein Bild der Ereignisse in eurem Lager auf das Wasser eines der Gartenteiche und ließ mich so dich zur Braut erwählen.« Er sah mir tief in die Augen, hob eine Locke meines Haares hoch und ringelte sie um seine Finger.
»Ich bin so glücklich, daß du eingewilligt hast, dem Djinn zu folgen. Sonst hätte ich eine Reise unternehmen müssen, um zu dir zu kommen und dich auf weit weniger geschwinde Weise zu gewinnen. Da du aber so weit entfernt von mir gewohnt hast, wären wir vielleicht beide erst als uralte Leute zusammengekommen; aber ich hätte es dennoch getan. Mit Hilfe des Djinns habe ich viele Frauen von hoher Geburt gesehen und auch Frauen, deren Schönheit meine Sinne berauschte. Aber keine davon bewegte sich mit der wilden Anmut der in die Enge getriebenen Löwin, so wie du, und in keinem anderen Augenpaar glänzten, leuchtend wie die Strahlen des Mondes, solche Treue und solche Tapferkeit. Ich wußte sofort, daß du meine Freundin und nicht nur meine Geliebte werden und mich in all meinen Träumen und Plänen unterstützen, ja sogar leiten würdest.«
Vielleicht wußte er auch, daß ich vor Freude über seine Lobpreisungen so überwältigt sein mußte, daß ich ihn zumindest eine Zeitlang nicht danach fragen würde, um was für Pläne und Träume es sich eigentlich handelte. Überhaupt waren wir von der Stimmung des Augenblicks alle beide so hingerissen, daß wir die Unterhaltung nicht weiter fortsetzten und alle Fragen meinem Gedächtnis wenigstens vorübergehend entschwanden.
Eine der harmloseren dieser Fragen galt dem nur nachts vernehmbaren Klagegeheul – schwächer, wenn ich allein war, als wenn Aman bei mir weilte, aber immer etwa zur gleichen Zeit ertönend. Als aber in dieser Nacht das Heulen von neuem begann, befanden wir uns gerade mitten im Spiel der Liebe, und ich hätte gar nicht fragen können, was das Geräusch bedeutete, weil mein Mund anderweitig beschäftigt war. Aman ignorierte den Lärm völlig. Seine Mißachtung überzeugte mich davon, daß es sich um ein ganz alltägliches und normales Ereignis handelte – so etwas wie den Gebetsrufer. Also dachte ich bis zur nächsten Nacht nicht weiter daran. Da klang es schwächer und weiter entfernt, war aber nicht weniger störend. Der Unterton von Selbstmitleid darin schien mich zu verspotten, während ich – wiederum allein – in unserem Hochzeitsgemach auf- und abschritt und an einem Wachtelknochen nagte.
Ich beeile mich, an dieser Stelle zu betonen, daß es Amans ausweichendes Benehmen und nicht etwa Furcht war, die mich so lange daran hinderten, der Sache auf den Grund zu gehen. Denn obgleich er mir noch mancherlei von den Geschichten, Bräuchen und der Religion seines Volkes erzählte und mich mit dem Wunsch nach ähnlichen Einzelheiten über das meinige quälte, ging er niemals darauf ein, wo